Die Kinder der Syrer - Herbert Schommers - E-Book

Die Kinder der Syrer E-Book

Herbert Schommers

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Beschreibung

Das Geschwisterpaar Adil und Dalia leben in Syrien. Nach dem Tod der Eltern beschließen sie ihr Glück in Europa zu suchen und flüchten. Doch die Flucht scheint keine richtige Flucht zu sein, denn immer ist Hilfe da, wenn sie gebraucht wird. Sie werden von Geheimdiensten wegen geheimen Unterlagen, von denen sie nicht wissen wo sie sind, oder was darin steht, verfolgt. Nach und Nach entpuppt sich die Tatsache das sie keine Syrer sind, sondern Deutsche. Nach der Ankunft in Deutschland gerät Adil unter Mordverdacht. Adil und der Kommissar Jan Brugger freunden sich an. Gemeinsam versuchen sie der Sache auf den Grund zu gehen. Dabei wird Dalia entführt und verschleppt. Nach ihrer Befreiung lassen die Täter nicht nach und entführen die Tochter von Jan Brugger. Mit Hilfe von Verfassungsschutz und BND gelingt es ihnen die Tochter zu befreien und den Fall zu lösen.

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Seitenzahl: 293

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Herbert Schommers

Die Kinder der Syrer

Denke immer daran,

dass du mutiger bist,

als du glaubst,

stärker als du scheinst,

Klüger als du denkst,

und mehr geliebt

als du weißt

Kapitel 1

Nichts ist mehr wie es einmal war. Alles nur noch Schutt und Staub, soweit das Auge sehen konnte. Der Krieg hatte seine Spuren hinterlassen. Die Häuser in denen einst die Menschen lebten waren jetzt nur noch Ruinen. Sie waren die einsamen Zeitzeugen der Geschehnisse der letzten Jahre. Wenn man inne hielt und lauschte, konnte man hören wie sie ihre Geschichten von Angriffen, Bombeneinschlägen, Vergewaltigungen und Morden erzählten.

Nur der Wind war frei und spielte mit dem Sand. Er ließ eine kleine Säule aus Sand aufsteigen, die sich um sich selbst drehte. Eine Spirale der Unendlichkeit. Er scherte sich auch nicht darum, dass man in der Ferne noch das Grollen der Bombeneinschläge hörte. Der Wind war frei und konnte gehen wohin er wollte.

Adil, so hatten ihn seine Eltern genannt weil sein Name „Gerechtigkeit“ bedeutet. Sein Vater hatte darauf bestanden ihn so zu nennen, weil er an die Gerechtigkeit glaubte und darauf hoffte das seine Heimat einmal wieder das sein würde was sie einst war. Er hoffte darauf das seine Kinder in der Zukunft in Frieden leben konnten, ohne Hass und Terror.

Sie lebten in Syrien im Nahen Osten. In einem Land das etwa halb so groß ist wie die Bundesrepublik Deutschland. Es grenzt an Israel, den Libanon,Türkei, Irak und Jordanien und hat einen Zugang zum Mittelmeer. Bekannt ist die Hauptstadt Damaskus, deren Geschichte bis in die Steinzeit zurückreicht. Einst war Syrien ein beliebtes Touristenziel. Seine Eltern hatten damals mit Freude in diesem Land gelebt, doch die Freude war lange verflogen, aber sie hatten ihr Einkommen und wünschten sich Kinder, die dieses Land genauso liebten wie sie selbst. Sie sollten später einmal ihr Einkommen haben und in Frieden leben können. Die Touristen kamen nicht zuletzt wegen der langen und reichen Geschichte dieses Landes, sondern auch wegen seiner Landschaften. Die Landschaften waren sehr unterschiedlich, im Südosten die Syrische Wüste mit ihrer eigenen Schönheit. Im Süden des Landes wird die Landschaft durch Vulkane und Lavafeldern geprägt und im Osten erheben sich 2800 m hohe Berge. Im Westen liegt das Mittelmeer. Sein Vater liebte das Land, ebenso wie seine Mutter.

Das Leben in Syrien war nicht mit dem Leben in anderen westlichen Ländern zu vergleichen und dennoch lebten seine Eltern gerne hier.

Adil horchte oft in die Stille und lauschte den Geschichten der zerstören Häuser. Er konnte sie hören und wenn sie ihm ihre Geschichten erzählten, rollten Tränen aus seinen Augen als einsame Zeugen für seinen Schmerz.

Er wäre gerne so frei wie der Wind gewesen, um hinaus in die Welt zu ziehen und von den Gräueltaten in seiner Heimat zu berichten. Dieser Weg war ihm jedoch versperrt. Da war noch seine kleine Schwester Dalia, was so viel bedeutete wie „Die Blume“ . Ihre Mutter hatte ihr den Namen gegeben, weil sie wie eine bunte Blume strahlte und den Menschen in ihrer Nähe ein Lächeln ins Gesicht zauberte.

Adil hatte seiner Mutter versprechen müssen, dass er auf seine kleine Schwester aufpassen würde und sie vor allem Unheil bewahren müsse, dann war sie in seinen Armen gestorben. Längst war er darüber hinaus Schmerz zu empfinden. Er hatte mit seinen einundzwanzig Jahren schon viele Menschen sterben sehen. Aber der Tod seiner Mutter machte ihm doch deutlich zu schaffen. Nicht zuletzt deshalb weil er mit ansehen musste, wie es dazu gekommen war.

Adil war in der Umgebung unterwegs um irgend etwas essbares aufzutreiben. Er hatte Filmteig, gehackte Nüsse und Honig aufgetrieben. Daraus ließ sich Baklava herstellen. Es war nicht viel aber immerhin hatten sie für heute was zu essen.

Als er zurück kam, hörte er schon die Schreie seiner Mutter. Er ließ alles fallen und rannte so schnell er konnte in die Richtung aus der die Schreie kamen. Als er näher kam, sah er wie Soldaten in der Wohnung waren. Zwei von Ihnen hielten seine Mutter, die auf dem Bett lag, an den Armen fest. Ein weiterer stand zwischen ihren Beinen. Er hörte noch, wie einer der beiden, die die Arme festhielten, sagte:

„Mach sie fertig, die hat´s doch nötig, die deutsche Schlampe“

Das seine Mutter ihn anschrie er solle weglaufen hörte er nicht mehr. Er stürzte sich auf den Mann der vor seiner Mutter stand und dabei war seine Hose zu öffnen. Der war völlig überrascht, drehte sich um und holte mit der Faust aus, die dann in Adil´s Gesicht landete und dort einen stechenden Schmerz hinterließ. Sofort kam ein weiterer Soldat, den er nicht gesehen hatte, hielt ihn fest und drückte ihm seine Waffe an die Schläfe.

„Keine Bewegung mehr oder du kannst dich gleich mit Allah unterhalten.“

Adil wehrte sich heftig, war aber den Kräften des Soldaten nicht gewachsen. Er verspürte einen heftigen Schmerz in seinem Schultergelenk als der Mann ihm den Arm auf den Rücken drehte. Er konnte sich nicht mehr bewegen, geschweige denn seiner Mutter helfen. Ein Soldat, der seitlich neben ihm stand, versuchte noch zu helfen in dem er die anderen anschrie:

„Lasst die beiden sofort los. Wer hier jetzt weiter macht, den werde ich erschießen“.

Er zog seine Waffe aus dem Halfter. Doch genau in diesem Augenblick stand ein weiterer Soldat hinter ihm und hielt ihm ebenfalls eine Waffe an den Kopf.

„Du wirst hier niemanden erschießen. Hast du mich verstanden? Sonst müsste ich dich erschießen“.

Adil musste mit ansehen wie seine Mutter vergewaltigt wurde. Von jedem einzelnen dieser Männer, mit Ausnahme des Soldaten der helfen wollte. Er war machtlos und mit jeder Vergewaltigung wurde sein Hass größer. Adil prägte sich jedes einzelne Gesicht der Männer ein, und in diesem Augenblick schwor er sich jeden einzelnen zu töten. Als sie endlich aufhörten und von seiner Mutter abließen drehte sich einer der Soldaten um, nahm seine Waffe und zielte auf Adil.

„Du bist ein mutiger Kämpfer. Schließe dich uns an und du bleibst am leben,“ sagte der Soldat.

„Niemals, ihr seid Schweine und Verbrecher! Was habt ihr meiner Mutter angetan? Nennt ihr das Befreiung? Wie vereinbart ihr das mit dem Glauben, den der Prophet Mohammeduns gegeben hat?“ schrie Adil den Soldaten an.

„Du bist dumm Junge“, meinte der Soldat nur und zielte jetzt genau auf seinen Kopf. Seine Mutter, die in diesem Augenblick unbeaufsichtigt war, sprang auf Adil zu und riss ihn zu Boden. Im gleichen Augenblick hörte er noch das Geräusch des Schusses. Er fühlte aber keinen Schmerz. Die Soldaten zogen einfach ab. Adil hörte noch wie einer sagte:

„Wir gehen, die haben genug.“

Dann verschwanden sie. Jetzt erst bemerkte er das seine Mutter da lag und schwer atmete.

„Mama, was ist mit dir?“

Er fasste sie an und versuchte sie aufzusetzen. Es gelang ihm nicht. Er fühlte Flüssigkeit. Er zog seine Hand zurück und sah das sie voller Blut war. Seine Mutter hatte ihm das Leben gerettet, in dem sie ihr eigenes dafür geopfert hatte.

Tränen liefen über seine Wangen. Er schaute seine Mutter an und rief mit weinerlichen Stimme:

„Mama geh nicht weg, wir brauchen dich doch“.

Aber es half nichts, seine Mutter würde nie mehr ihre Augen öffnen. Als Adil das realisiert hatte kam nur noch leise ein Wort aus seinem Mund:

„Mama“

Als Adil seiner Schwester Dalia vom Tod ihrer Mutter erzählte, brach Dalia unter Tränen zusammen. Sie weinte und trauerte um ihre Mutter.

„Adil Mama ist tot, jetzt haben wir niemanden mehr auf dieser Welt. Wir sind jetzt alleine auf uns gestellt. Adil versprich mir das du mich niemals verlassen wirst. Du bist alles was ich noch habe. Versprich es“

„Versprochen. Ich werde dich niemals alleine lassen. Mama habe ich es auch versprechen müssen“.

Adil sah seine Schwester lange an und sagte dann zu ihr:

„Wir müssen sie noch heute beerdigen“

Zwischenzeitlich waren ihre Nachbarn, die von den Ereignissen Kenntnis erlangt hatten, gekommen um zu helfen. Als Adil ihnen erzählt hatte was genau geschehen war wurden sie traurig und begannen zu weinen. Ein Mann der ebenfalls herbei geeilt war, sah Adil und Dalia an und sagte:

„Im Namen Allahs des Propheten, ihr Grab möge ihr weit sein. Gib, dass diese Tote mit ihrem Propheten vereinigt wird und vermehre ihre Wohltätigkeit. Möge Allah eurer geliebten Mutter seine Barmherzigkeit gewähren und sie in seinem Paradies willkommen heißen“.

Danach trat eine kurz Stille ein bis eine der Frauen sagte:

„Wir müssen sie heute noch beerdigen. Wir werden jetzt den Leichnam waschen und in ein Leinentuch wickeln wie der Glaube es uns lehrt. Danach legen wir eure Mutter in einen Sarg und bringen sie in die Moschee und beten“

Tage nachdem sie ihre Mutter beerdigt hatten, stand Adil vor seiner Schwester, sah sie an und sagte dann voller Hass:

„Ich werde die Mörder unserer Mutter finden und sie alle töten. Niemand von ihnen, die unsere Mutter vergewaltigt und getötet haben, sollen weiterleben. Sie müssen alle sterben“.

Dalia sah Adil an und erwiderte ihm:

„Nein Adil. Mama hätte das nicht gewollt. Papa wurde schon getötet und jetzt Mama. Sie würden wollen das wir zusammen bleiben und nicht selbst zu Mördern werden“.

„Aber ich muss sie rächen, ihr Tod war so sinnlos“.

„Nein Adil sie wird immer bei uns sein, genau wie Papa“.

„Dalia ich kann hier nicht leben ohne das die Mörder zur Rechenschaft gezogen werden. Hier gibt keine Gerechtigkeit, hier gibt es nur Hass und Tod“

„Dann gehen wir weg. Wir gehen nach Deutschland und werden dort leben wie unsere Eltern es gewollt hätten. Wir werden nicht zu Mördern werden. Mama und Papa wären damit niemals einverstanden“.

„Du hast Recht, ich kann hier nicht mehr leben. Wir gehen weg, weit weg. Wir gehen nach Deutschland. Wir sprechen bereits die Sprache und werden uns etwas aufbauen und in Frieden leben. So wie unsere Eltern es gewollt hätten,“ erwiderte Adil.

„Aber wie sollen wir nach Deutschland kommen? Wir haben keine Möglichkeiten hier weg zu kommen und auch kein Geld für eine Flucht nach Deutschland“, erwiderte Dalia.

„Dalia, wir werden arbeiten und sparen, bis wir genügend Geld für die Reise nach Deutschland haben“.

„Hier gibt es keine Arbeit. Hier gibt es nur Krieg“, warf Dalia ein.

„Dann gehen wir eben nach Ägypten um zu arbeiten“

Kapitel 2

Jan Brugger war ein durchtrainierter Mann, mittleren Alters und Polizeihauptkommissar. Während seiner Zeit bei der Bundeswehr hatte er eine Ausbildung als Einzelkämpfer mit verschiedenen Kampfsporttechniken absolviert. Er nahm jeden Lehrgang mit, den er bekommen konnte. Eine Ausbildung bei den Feldjägern war für ihn ein wichtiger Teil seiner Ausbildung, die ihm später bei der Polizei diverse Vorteile eingebracht hatte.

Aufgrund seiner Erfahrungen, die er beim Bund gesammelt hatte, hatte ihm das Bundeskriminalamt ein lukratives Angebot unterbreitet. Er konnte problemlos zum BKA wechseln, mit dem Dienstgrad eines Hauptkommissars, was ihm persönlich nicht viel mehr Geld ins Portemonnaie spülte, ihn aber in den Glauben versetzte im Ansehen der gesamt Bevölkerung gestiegen zu sein, mit Ausnahme eines Mannes.

Seine Frau Petra hatte vor kurzem jenen Mann kennengelernt, was sie in den Glauben versetzte, die Zeit mit Jan vertrödelt zu haben, und Jan zu einem winzigen Punkt auf ihrer Liebesskala schrumpfen ließ. Sie hatte ihre Beziehung brutal einfach beendet. Mit sieben kleinen Sätzen:

Du bist nie zu Hause.

Du lebst nur für deinen Beruf.

Die ständige Angst, eines morgens einen Anruf zu bekommen und zu erfahren das du erschossen wurdest.

Ich habe jemanden kennengelernt.

Den liebe ich.

Mit ihm möchte ich den Rest meines Lebens verbringen.

Ich diskutiere mit dir auch nicht mehr darüber.

Das war alles was sie Jan an den Kopf geworfen hatte und damit hatte sie die Beziehung mit ihm beendet.

Das sich seine Frau mit diesen sieben Sätzen aus ihrer Beziehung stahl, gab Jan den Rest. Jan zweifelte nicht im geringsten daran, dass die himmlische Gerechtigkeit, vor der sie sich das Jawort gegeben hatten, diesen Vorfall analysieren würde, und den Mann mit einem gewaltigen Blitzschlag in Jenseits befördern würden. Dort würde er dann unschädlich gemacht und seine Beziehung würde sich wieder normalisieren und alles wäre beim alten. Jedoch ein Gedanke beunruhigte ihn doch sehr, konnte es nicht sein, das auch derjenige getroffen würde, der ebenfalls dazu beigetragen hatte, das die Dinge sich jetzt so entwickelten wie sie sich entwickelten, sozusagen als Nebenprodukt. Nach näheren Überlegungen kam er jedoch zu dem Entschluss, dass der Blitz ihn nicht treffen würde, da er sich keiner Schuld bewusst war, und ausschließlich der neue Lover seiner Frau getroffen werden würde. Doch der ersehnte Blitzschlag blieb aus und so blieb alles beim alten.

Da die himmlische Gerechtigkeit nicht ihrer Aufgabe nachkam, sah Jan nur die eine Möglichkeit sich mit einer Flasche Asbach in Köln an den Rheinboulevard zu setzen, kurz sein Leben Revue passieren zu lassen, und sich dann in den Rhein zu werfen, um sich zu ertränken. Allerdings erst nachdem er die Flasche Asbach geleert hätte, schließlich hatte die 0,7 Liter Flasche 12,99 € gekostet. Er beschloss, falls er am nächsten Morgen noch leben würde, und nicht in den Rhein gefallen wäre, oder an einer Alkoholvergiftung gestorben zu sein, ein neues Leben zu beginnen. Allerdings hielt er es für unmöglich am nächsten Morgen noch auf dieser Welt aufzuwachen, sondern er würde der himmlischen Gerechtigkeit ins Auge sehen. Die würden sich dann die Frage gefallen lassen müssen, warum der erhoffte Blitz nicht erfolgt war und sein Nebenbuhler immer noch bei seiner Frau war.

Als er am nächsten Morgen auf dem Boulevard aufwachte, war er ziemlich überrascht. Er lebte noch, wenn es auch in seinem Kopf hämmerte, als wäre ein Krieg zwischen seinen Gehirnzellen ausgebrochen. So zu sagen die linke Gehirnhälfte gegen die Rechte. Er konnte die Nachlässigkeit der himmlischen Gerechtigkeit nicht fassen. Statt ihm zu helfen, hatte sie ihn einfach da liegen lassen und ihn seinem Schicksal übergeben. Er fand es gerade zu sträflich, das der Tag wie jeder andere begann, mit Ausnahme des Krieges in seinem Kopf, und er zur Arbeit musste.

Zumindest hätte er erwarten dürfen nach so einer Nacht nicht arbeiten zu müssen. So trödelte er noch eine Weile umher, in der Hoffnung das ein Anruf aus dem Präsidium kommen würde und sein Chef ihm für den heutigen Tag Urlaub geben würde. Aber nichts dergleichen geschah. So blieb ihm keine andere Wahl als sich im Präsidium zu zeigen und zu hoffen, dass heute nichts besonders anstand.

Seine Kollegin Elena, mit der er zusammen arbeitete, war seine Teampartnerin und hatte ihn zu erst gesehen.

„Guten Morgen, wie sehen wir denn aus?“ fragte sie ganz normal wie immer.

„Wie ich aussehe weiß ich noch nicht. Ich hatte noch keinen Spiegel. Wahrscheinlich würde der Spiegel sagen geh mal zu Seite ich kenne dich nicht.

Jan würde dann ausgiebig den Spiegel beschimpfen und der müsste dann sein Urteil revidieren und sachlich feststellen, dass er wie immer gut aussah.

„Aber du siehst wie immer gut aus“, meinte er zu Elena

„Danke“ antwortete sie.

Das er die Nacht wohl offensichtlich durchgemacht hatte war nicht zu übersehen. Ein Schild mit der Aufschrift „eine Flasche Asbach entleert“, musste man ihm nicht auf die Stirn kleben, denn das war nicht zu übersehen.

Er litt heute morgen an dem sogenannten Asbach-Syndrom, was sich vor allem in den Bereichen der sozialen Interaktionen und Kommunikation auszeichnete. Das sollten seine Kollegen noch zu spüren bekommen. Er reagierte auf nichts und wurde er angesprochen, hüllte er sich in Schweigen. Er war am Boden zerstört. Seine Frau hatte ihn fallen lassen und die himmlische Gerechtigkeit hatte versagt. Grund genug in sich zu kehren und der Welt au revoir zu sagen. Doch so weit kam es nicht.

Sein Chef, Alexander Weinberg ein großer, gutaussehender Mann, stand vor ihm. Jan hatte ihn nicht kommen sehen. Weinberg sah ihn an, schüttelte den Kopf und meinte nur:

„Wir haben eine Geiselnahme in einer Sparkasse in der Berliner Straße. Jan, du und Elena übernehmt das bitte“

„Geht klar Chef“, meinte Elena.

Jan äußerte sich nicht. Er saß da wie ein schiffbrüchiger der seit Tagen auf trostloser See umhertrieb.

„Komm jetzt, es gibt Arbeit“, forderte Elena ihn auf.

Nur widerwillig kam er ihrer Aufforderung nach und setzte sich in Bewegung. Er ließ Elena den Wagen fahren, was schon mehr als merkwürdig war. Er wollte sonst immer selbst fahren. Nicht das er Elena nicht zu getraut hätte, dass sie ebenso gut fahren konnte wie er, nein, er wollte fahren weil er es für seine Pflicht hielt. Die Fahrt zur Sparkasse dauerte nicht lange. Das SEK war bereits vor Ort und man verhandelte mit einem Geiselnehmer.

Jan und der Leiter des SEK kannten sich persönlich und so kam es auch zu keinen Kompetenzstreitigkeiten.

„Was steht an?“ fragte Jan.

„Banküberfall mit Geiselnahme“

„Wissen wir schon mehr?“

„Ja, eine Polizistin war gerade in der Bank als der Überfall begann. Sie hat eine WhatsApp geschickt. Einzeltäter, der nach ihrer Ansicht nicht unbedingt der Cleverste ist. Er wollte genau 4.872 € haben, nicht mehr und nicht weniger.“

„Was 4.872 €? Was ist denn mit dem los? Nicht der cleverste das ist aber noch milde ausgedrückt.“

Ein Gedanke schoss ihm in den Kopf. Sein Nebenbuhler, der neue Lover seiner Frau, konnte ja schließlich auch nicht der cleverste sein. Sich die Frau eines Waffenträgers zu angeln. Total bescheuert.

„Vielleicht Spielschulden“, warf Elena ein.

„Möglich“, meinte Jan.

„Wir haben jetzt aber keinen Kontakt mehr zu der Polizistin. Das Handy ist ausgeschaltet. Wir gehen davon aus, dass der Geiselnehmer es gefunden hat und an sich genommen hat“, teilte der Einsatzleiter den beiden mit.

Jan ging in Richtung Sparkasse, langsam aber gezielt. Am Ende verschwendete er keinen Gedanken mehr an den Banküberfall mit Geiselnahme. Etwas war vordringlicher. Sein Tod bei einer Geiselnahme würde alle aufschrecken lassen, vor allem aber seine Frau Petra. Sein Entschluss stand fest, entweder sterben oder aber im Besten Fall die Geiseln retten und den Täter festnehmen. Jedenfalls würde die Aktion, wie auch immer sie ausgehen würde, Petras Aufmerksamkeit erregen. Sicher wenn er tot wäre hätte sich der ganze Aufwand nicht gelohnt, denn als Toter würde er die Ehren, die man ihm erweisen würde, ja nicht mehr miterleben. Aber, und da war er sich sicher, hätte er seinen Nebenbuhler ausgeschaltet.

Jan hielt sich immer so, dass man ihn aus der Bank nicht sehen konnte. Plötzlich entdeckte er ein gekipptes Fenster im Erdgeschoss. Das war so was wie eine Einladung für ihn. Ein Fenster in gekipptem Zustand zu öffnen war kein Problem für ihn. Dafür benötigter er nicht mal zehn Sekunden und schon gar kein Werkzeug.

„Was macht der da, der Vollidiot? Ist Jan dann jetzt vollkommen bescheuert?. Mann mit dem hat man nur Ärger“.

„Er ist ein Elitekämpfer, lass ihn mal machen“, erwiderte Elena, die wohl eher nicht so von Jans Einzelaktion überzeugt war, ihn aber mal machen lassen wollte.

Das Fenster war kein Problem für Jan und schon nach wenigen Sekunden war er in der Bank. Er schaute sich kurz um und stellte fest, dass das er im Lager der Bank gelandet war. Vorsichtig öffnete er die Tür. Durch einen kleinen Spalt konnte er in den Flur schauen. Dort rührte sich aber nichts. Er griff zu seiner Waffe. Aber sie war nicht da, wo sie hätte sein sollen. Sie lag noch im Auto. Er hatte sie ins Handschuhfach gelegt, weil sie ihn beim sitzen störte. Die himmlische Gerechtigkeit hatte zugeschlagen, allerdings auf der falschen Seite. Bei ihm, statt bei dem Lover seiner Frau. Egal, jetzt musste er improvisieren. Er hatte eine Idee, wenn auch dämlich, aber immerhin könnte sie auch gelingen. Wenn nicht, war er tot. Dann könnte er sich aller Ehren, einschließlich die von Petra, sicher sein. Wenn gleich er auch nichts mehr davon hätte.

Jan betrat den Flur und arbeitete sich langsam in Richtung der Glastüre vor. Auf der Türe war das Logo der Bank eingefräst. Zwar konnte er durchsehen, aber er konnte auch gesehen werden. Doch im richtigen Augenklick klingelt das Telefon im Nebenzimmer, praktisch wie bestellt. Die himmlische Gerechtigkeit hatte wohl ihren Irrtum bemerkt und schnellstens korrigiert.

Der Geiselnehmer ging in dem Raum hin und her. Man konnte ihm ansehen, dass er nicht wusste was er machen sollten, den Anruf annehmen oder besser doch ignorieren. Er war nervös. Jan dachte über einen Zugriff nach, aber jetzt einen Zugriff wagen? Nein, das wäre in diesem Moment nicht das Richtige gewesen. Soviel war Jan schon klar. Also abwarten was der Geiselnehmer als nächstes tun würde. Der ging ins Nebenzimmer. Er hatte sich entschlossen doch zu telefonieren. Jetzt war der Augenblick günstig. Jan öffnete die Türe, ging in den Raum und konnte jetzt die Geiseln sehen. Sie waren in einem Raum mit einer Glastüre die offen stand, damit der Geiselnehmer schnellstmöglich reagieren konnte falls etwas unerwartetes geschehen würde. Er konnte die Geiseln aus dem anderen Zimmer gut beobachten, war aber durch das Telefonat abgelenkt. Jan zeigte mit dem Finger auf den Mund, um so anzuzeigen das die Geiseln sich ruhig verhalten sollten um den Geiselnehmer nicht aufzuschrecken. In diesem Moment beendete der Mann das Telefonat. Jan saß in der Falle. Er konnte nicht zurück. Jetzt packte ihn zu allem Übermut auch noch seine Fantasie. In der Ecke des Raums stand ein Schreibtisch. Es gelang ihm gerade noch rechtzeitig sich auf den Schreibtisch zu setzten. Der Geiselnehmer ging zu den Geiseln und meinte:

„Ich möchte niemanden verletzten. Sobald die da draußen meine Forderungen erfüllt haben sind sie alle frei.“

„Wir alle?“, fragte eine Frau.

„Nein, alle außer sie. Sie brauche ich noch“ erwiderte er.

„Nehmen sie mich“, sagte eine junge blonde Frau.

„Ich entscheide hier!“ meinte der Mann

„Ja natürlich, aber die Frau ist schwanger und würde sie nur aufhalten“

„Da ist was dran. Ich denke darüber nach“, meinte er.

Jan saß immer noch still auf dem Schreibtisch und hatte sich nicht bewegt. Erst jetzt sah der Geiselnehmer ihn in der Glasscheibe des Fensters und drehte sich ruckartig um.

„Ich habe doch gesagt keiner verlässt den Raum. Ich könnte sie auf der Stelle erschießen man“, schrie er.

„Das könntest du tun, würde aber nicht viel bringen“, erwiderte Jan ganz ruhig und wählte bewusst die „Du“ Form, in der Hoffnung etwas Nähe zum Geiselnehmer aufbauen zu können.

„Sind bei ihnen noch alle Tassen im Schrank?“, fragte der Geiselnehmer.

„Eigentlich schon. Aber mal im Ernst du könntest jetzt auf mich schießen, aber ich würde nicht sterben. Ich bin schon tot. Ich bin dein Schutzengel. Mein Auftrag lautet dich vor einer großen Dummheit zu bewahren“.

„Was ist das denn für ein Schwachsinn? Sei froh das ich dich nicht gleich erschieße, aber du stehst jetzt ganz oben auf der Liste und jetzt ab zu den anderen.“

„Na ja, sieh dir doch mal die Leute an. Die halten dich doch für total bescheuert Die können mich doch überhaupt nicht sehen und auch nicht hören. Die glauben du hast nicht mehr alle Tassen im Schrank. Ruf doch die blonde, die sich gerade bei dir angeboten hat als Geisel mit zu gehen und frag sie einfach mal was sie sieht und hört“, erwiderte Jan ganz trocken und ohne mit der Wimper zu zucken.

Jan ging davon aus, dass das die Polizistin sein musste, denn warum hätte sie sich sonst als Geisel anbieten sollen.

„Du komm her“, rief der Mann.

Die junge Frau kam auf den Geiselnehmer zu, und machte einen ängstlichen Eindruck. Jan war sich sicher das die Frau das spielte. Es musste die Polizistin sein, denn wenn nicht würde er gleich von seinem Ableben Gebrauch machen müssen und in wenigen Tagen könnte er die Radieschen von unten betrachten. Eine schlimme Vorstellung und der Gedanke ein Held zu werden geriet ein wenig in den Hintergrund seiner Gedanken.

„Was siehst und hörst du hier?“, stellte der Geiselnehmer die Frage an die junge Frau.

„Wie bitte?“

„Na was du siehst und hörst?“

„Nichts“, antwortete sie und tat total verwundert.

„Nichts?“

„Nichts!“

„Niemand der dort auf dem Schreibtisch sitzt und redet?“

„Nein da ist niemand“, sagt sie und tat so als wäre sie total erstaunt über die Frage.

„Na siehst du hab ich doch gesagt“, warf Jan jetzt ein.

Jetzt war der Geiselnehmer total verwirrt. Das konnte doch nicht sein. Er zielte jetzt mit der Waffe auf Jan. Jan wusste wenn er jetzt einen einzigen kleinen Fehler machen würde, wären seine Tage auf diesem Planeten gezählt und er wäre schneller vor der himmlischen Gerechtigkeit als ihm lieb wäre.

„Hör zu, ich bin hier um dir zu helfen. Deine Tage hier sind noch nicht zu ende. Du stehst noch nicht auf der Liste. Sollte man dich jetzt erschießen, wenn du die Bank verlässt, dann kann man dich da oben noch nicht gebrauchen. Zurück schicken können sie dich aber auch nicht. Du müsstet dann solange, bis dein Tag kommt, im Niemandsland ausharren, und glaube mir das willst du nicht erleben“.

„Hast du das gehört?“, fragte der Geiselnehmer die Frau.

„Nein, was soll ich gehört haben?“, fragte sie

Jetzt war die Gelegenheit günstig und Jan setzte jetzt alles auf eine Karte.

„Also ich bin hier um dich zu schützen. Das ist die auf mich übertragene Aufgabe. Also du wirst auf jeden Fall mit dem finalen Rettungsschuss erledigt. Und dann bist du tot und eierst durch das Niemandsland. Wenn du dich stellst und die Geiseln frei lässt, bekommst du vielleicht fünf Jahre und du lebst weiter. Dann wird alles gut, soviel kann ich dir schon mal sagen“.

„Und meine Schulden?. Die bringen mich um“, schrie er.

„Wer bringt dich um?“, fragte Jan.

„Die Geldeintreiber von dem Kredithai, bei dem ich Geld geliehen habe“, antwortete er.

„Nein, niemand bringt dich um dafür sorge ich schon“, beschwichtigte Jan.

„Wie heißt du eigentlich?“, fragte Jan

„Karl Weinhold“, erwiderte er, der eigentlich hätte merken müssen, dass ein Engel das hätte wissen müssen. Aber die Aufregung war zu groß, als das er das gemerkt hätte.

„Also Karl nimm jetzt das Telefon und sag denen da draußen, das die Geiseln jetzt rauskommen und du zum Schluss. Ich sorge dafür das dir nichts passiert und das alles wieder in Ordnung kommt. Das ist nämlich der andere Teil meines Auftrags“, sagte Jan mit ganz ruhiger Stimme.

„Dann wirst du meiner Tochter helfen?“ fragte Karl mit Tränen in den Augen.

„Ja versprochen“, erwiderte Jan, ohne zu wissen auf was er sich da einließ.

Der Bankräuber ging zum Telefon, nahm den Hörer ab und war automatisch mit dem SEK verbunden. Eine Stimme meldete sich und fragte:

„Was kann ich für sie tun?“

„Ich ergebe mich, nicht schießen, ich komme jetzt raus“.

„OK, kommen sie mit erhobenen Händen nach draußen, so das die Kollegen die Hände sehen können“, erwiderte die Stimme.

Dann legte er den Hörer wieder auf und ging zur Eingangstüre, er drehte sich noch einmal zu Jan um und fragte:

„Das stimmt doch alles was du mir gesagt hast? Engel dürfen doch nicht lügen“

„Stimmt genau, du kannst dich auf mich verlassen“, erwiderte Jan.

Dann ging Karl Weinhold mit erhobenen Händen nach draußen.

Sofort wurde er von Leuten des SEK in Empfang genommen und in Handschellen abgeführt.

Jan stellte fest, das die Schlacht geschlagen war, der Geiselnehmer festgenommen und er hatte den Sieg eingefahren. Nicht ohne Gefahr für ihn, aber er hatte gesiegt, weil sein Plan, der eigentlich überhaupt kein Plan war, funktioniert hatte. Seinen Plan, Petra durch diese Aktion zurück zu gewinnen, konnte er gleich wieder zu den Akten legen. Niemand, und schon gar nicht Petra, würde je erfahren wie er den Geiselnehmer dazu gebracht hatte aufzugeben. Es war also ein Job wie jeder andere.

Elena war bereits mit dem Bankräuber im Verhörraum als Jan dazu stieß. Er setzte sich auf den noch leeren Stuhl, der direkt dem Geiselnehmer gegenüber stand. Beide schauten sich minutenlang an ohne ein Wort zu sagen. Elena hatte beschlossen sich aus der Sache erst mal raus zuhalten. Dann stellte Jan die erste Frage:

„Sagen sie Herr Weinhold wie sind auf die blöde Idee gekommen nur 4.872 € zu fordern? Wenn ich eine Bank überfalle, muss es sich auch lohnen. Ich verstehe das nicht. Der ganze Aufwand und am Ende dann auch noch Gefängnis, und wofür? Für 4.872 € das gibt doch keinen Sinn, man“

„Bleiben wir doch bei Karl“

„Ok ich bin Jan“

„Dein Auftritt als Schutzengel war aber auch nicht besonders clever. Du könntest jetzt tot sein“

Elena verstand nicht was da vor sich ging und schaute Jan nur fragend an.

So langsam bekam auch Jan seine Zweifel. Hatte man jemals einen Hauptkommissar gesehen, der sich als Schutzengel ausgab um eine Geiselnahme zu beenden? Sicher nicht, und obendrein auch noch absoluter Schwachsinn. Sollte das die Runde machen wäre Jan Brugger im Eimer. Statt Petra zu überzeugen, würde er nur Gelächter ernten, so zumindest glaubte er.

„Karl kannst du mir das mit den 4.872 € erklären? Ich verstehe das nicht“

„Kann ich, wenn du mir erklären kannst wieso ein Schutzengel? Im Grunde bin ich dir ja noch dankbar dafür. Du hast mir die Tür geöffnet um aus der Sache wieder raus zukommen. Ich hatte nicht die Absicht Geiseln zu nehmen. Ich wollte nicht einmal eine Bank überfallen. Sicher ich habe mit dem Gedanken gespielt, hätte das aber nie ausgeführt, wenn da nicht dieser blöde Bankbeamte gewesen wäre. Ich wollte doch nur einen Kredit über die Summe. Meine Tochter ist sehr krank und könnte mit einem Medikament aus den USA wieder gesund werden. Aber die Krankenkassen zahlen nicht, weil das Medikament in Deutschland nicht zugelassen ist. Man könnte so viele Menschen retten, wenn sich die Krankenkassen nicht so dämlich anstellen würden. Stattdessen lässt man Menschen sterben, weil sie ein Medikament nicht zahlen wollen, was dann einige Monate später doch zugelassen wird. Wir haben alle unsere Ersparnisse für unsere Tochter ausgegeben. Dann die letzte Hoffnung, dieses Medikament. Ich wollte doch nur noch einen einzigen Kredit um meiner Tochter zu helfen. Aber alle sagten nur nein, oder das können wir nicht machen ohne eine Sicherheit. Ich habe einfach nur noch die Waffe gezogen und dem Bankangestellten gesagt er solle einen Kreditvertrag über 4.872 € ausstellen. Und was macht der? Der sagt einfach das kann ich nicht. Und so bin ich dann in ganze Situation rein gerutscht. Ich wollte doch nur meiner Tochter helfen, mehr nicht. Ich hätte ja auch alles zurück gezahlt, aber nein“, erzählte Karl.

„Das tut mir sehr leid für deine Tochter. Ich habe auch Verständnis für deine Situation, aber wenn das jeder machen würde hätte wir hier nur noch das blanke Kaos“, erwiderte Jan.

„Ich muss dich leider dem Haftrichter vorführen. Aber erzähl ihm deine Geschichte, vielleicht hat er eine Einsicht und verschont dich mit der U-Haft“, meinte Jan zu Karl und ließ ihn durch einen Beamten abführen.

Nach dem Ende der Geiselnahme und dem anschließend Verhör des Geiselnehmers, war Jan so ganz nebenbei zu der Erkenntnis gekommen, das er die himmlische Gerechtigkeit vermisste, für eine Angelegenheit die im Grunde genommen nicht mal der Rede wert war. Was war seine Trennung von Petra im Vergleich zu dem Leben einer jungen Frau, für die der Vater alles riskierte um ihr ein Medikament zu besorgen, das ihr Überleben sichern sollte. In seinen Augen hatte die himmlische Gerechtigkeit versagt. Wenn schon die himmlische Gerechtigkeit nicht für ihn da war, so hätte sie doch für die junge Frau da sein können. Aber nichts dergleichen und das machte Jan traurig und wütend zugleich.

Jan, der Hauptkommissar, hatte eine unfehlbare Eigenschaft. Wenn er etwas versprochen hatte, fühlte er sich verpflichtet seine Versprechen auch einzuhalten. Hatte er Karl nicht versprochen seiner Tochter zu helfen? Die himmlische Gerichtsbarkeit hatte schon mehrfach versagt. Angesichts der Zerstreutheit der überirdischen Instanzen fühlte sich Jan berufen, die Angelegenheit mit dem Medikament für die Tochter von Karl selbst in die Hand zu nehmen und dafür Sorge zu tragen, das das Geld zusammen kam. In nicht einmal 4 Wochen hatte er 9.280 € zusammen gesammelt und konnte sie der Tochter von Karl übergeben. Karls Frau besorgte das Medikament aus den USA und schon nach weiteren drei Wochen stellte sich eine deutliche Verbesserung der Krankheit ein. Jan fühlte sich zufrieden und verzichtete auf jegliche Anerkennung. Nicht einmal Petra sollte von seiner Hilfsaktion erfahren.

Kapitel 3

Adil und Dalia hatten ihre Mutter zu Grabe getragen. Sie hatten geweint und getrauert. Ein letztes Mal wollten sie ihre Freunde und Bekannten treffen. Alle waren gekommen, wenn auch nicht alle verstanden warum die beiden das Land verlassen wollten. Dennoch wünschten sie den beiden Glück und das ihr Plan gelingen möge. Jeder hatte etwas zum Abschied mitgebracht. Die meisten hatten Geld mitgebracht und jeder gab, was er geben konnte. Adil und Dalia dankten jedem von ihnen und versprachen:

„Eines Tages werden wir zurück kommen und werden euch alles zurück zahlen, was ihr für uns getan habt“, sagte Adil.

Sie wollten sich gerade auf den Weg machen, als der Soldat kam, der seiner Mutter und Adil helfen wollte, aber durch die Waffe an seinem Kopf daran gehindert wurde. Er stand lange vor Dalia und Adil und schaute sie nur an. Eine kleine Träne lief über seine Wange und dann sagte er zu den beiden:

„Ich hätte euch so gerne geholfen, aber sie ließen mich nicht. Es tut mir so leid“.

„Es tut mir leid, mir auch, aber das hilft uns jetzt auch nicht mehr“, antwortet Adil zornig.

„Ich kannte eure Mutter und euren Vater sehr gut“.

„Wenn du sie so gut gekannt hast, warum hast du unserer Mutter nicht geholfen? Du standest nur da und hattest Angst um dein eigenes Leben“, raunte Dalia den Fremden an, der aber nicht weiter darauf einging.

„Wir waren Freunde. Ich habe hier etwas für euch, für jeden eine warme Jacke. Die ist von euren Eltern. Sie haben sie mir gegeben und mich gebeten euch diese Jacken zu geben. Ich soll euch noch sagen, das ihr diese Jacken nie ausziehen sollt und vor allen Dingen nicht irgendwo liegen lassen, oder sie verschenken. Diese Jacken werden euch einmal das Leben retten. Und dann soll ich euch noch dieses Geld übergeben“.

Es waren vierzigtausend US Dollar.

Adil und Dalia verstanden nichts. Warum hatten ihre Eltern ihnen nach ihrem Tod noch Jacken zu kommen lassen, und diese Jacken sollten ihnen auch noch das Leben retten? Und woher hatten ihre Eltern vierzigtausend US Dollar?

Der Mann nahm die beiden in den Arm, wünschte ihnen Glück und ging ohne ein weiteres Wort zu sagen. So schnell er gekommen war, so schnell war er auch wieder verschwunden.

Adil hielt ihn für einen Spinner und Dalia wusste nicht was sie davon halten sollte.

Sie packten ihre paar Habseligkeiten und machten sich auf den Weg. Dalia hatte Tage zuvor eine kleine Holzbox von ihrer Mutter bekommen. Ihre Mutter hatte sie angewiesen diese Box nie aus den Augen zu lassen und auf keinen Fall zu öffnen falls ihr mal was passieren sollte. In diesem Fall sollten sie nach Deutschland fliehen und die Box erst an der Grenze zu Deutschland öffnen. Dalia erschien das alles sehr mysteriös, aber sie wollte sich daran halten.

Adil hatte einen Freund in Israel. Er hatte Adil versprochen sie beide durch Israel nach Ägypten zu bringen. Mehr konnte er aber nicht für die beiden tun. Das war noch der angenehme Teil der Reise. Als der Freund sie an der Taba Grenze absetzte, waren sie von nun an allein auf sich gestellt.

Taba war der einzige Grenzübergang zwischen Ägypten und Israel an dem Touristen fast immer zwischen den Ländern reisen konnten.

Adil sah seine Schwester an und meinte dann:

„Taba ist vierundzwanzig Stunden am Tag und jeden Tag, außer dem jüdischen Feiertag Jom Kippur und dem islamischen Feiertag Eid ul-Adha geöffnet. Es sollte kein Problem für uns sein nach Ägypten zu kommen“.