Die kleine Eismanufaktur in Amalfi - Roberta Gregorio - E-Book
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Die kleine Eismanufaktur in Amalfi E-Book

Roberta Gregorio

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Beschreibung

Gelato und Gefühlschaos in Italien Seit ihr Vater an einem Herzinfarkt starb, leitet Livia die traditionelle Eismanufaktur ihrer Familie in der Altstadt Amalfis allein. Sie liebt es, neue Sorten auszuprobieren und ihre Kunden mit immer ausgefalleneren Kreationen zu überraschen. Sie arbeitet viel, trotzdem schafft sie das Pensum kaum. Zeit für ein Liebesleben bleibt da schon gar nicht. Doch eines Abends lernt sie Mario kennen, der kreuzunglücklich auf der Piazza vor der Gelateria sitzt. Und plötzlich ist Livia verliebt, ausgerechnet in einen Mann, den sie kaum kennt und der gar kein Eis mag. Doch die beiden kommen sich mit jeder Portion Gelato näher. Und sie merken bald: Nicht alle Probleme lassen sich mit einer Portion Eis mit Sahne lösen ...

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Die kleine Eismanufaktur in Amalfi

Die Autorin

Das Buch

Gelato und Gefühlschaos an der Amalfi-KüsteSeit ihr Vater an einem Herzinfarkt starb, leitet Livia die traditionelle Eismanufaktur ihrer Familie allein. Sie liebt es, neue Sorten auszuprobieren und ihre Kunden mit immer ausgefalleneren Kreationen zu überraschen.Sie arbeitet viel, trotzdem schafft sie das Pensum kaum. Und ihr Liebesleben zieht dabei sowieso den Kürzeren. Doch eines Abends lernt sie Mario kennen, der kreuzunglücklich auf der Piazza vor der Gelateria sitzt. Die beiden schütten sich gegenseitig ihre Herzen aus und kommen sich mit jeder geteilten Kugel Eis näher. Aber Livia ahnt, dass Mario ihr nicht die ganze Wahrheit erzählt ...

Roberta Gregorio

Die kleine Eismanufaktur in Amalfi

Roman

Ullstein

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Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage Juni 2021© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2021Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®, MünchenE-Book powered by pepyrus.comISBN: 978-3-8437-2499-9

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Grazie mille

Leseprobe: Sommertage auf Capri

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Prolog

Prolog

»Kannst du nicht wie alle anderen deinen Urlaub verbringen, Livia?« Nonna Filippa sah sie tadelnd an.

Livia zog die Schultern hoch. Dann legte sie das Messer weg und ging in der Küche auf und ab. Durfte man nicht mal kochen, wenn man Ferien hatte?

»Geh ans Meer, lies ein Buch, nimm ein Bad, sieh fern, aber, um Himmels willen, lass mich in Frieden kochen! Du machst mich ganz wirr im Kopf, wenn du die ganze Zeit um mich herumschwirrst!«

»Tue ich gar nicht!«, protestierte Livia empört.

Filippa zog die Augenbrauen hoch und stemmte die Hand in die Hüfte.

Livia prustete genervt.

Was war das überhaupt für eine Idee gewesen? Sie wollte gar keinen Urlaub machen. Und schon gar nicht zwei Wochen lang. Doch dann hatten ihr Papà und ihre Mamma darauf bestanden, und Nonna hatte begeistert in die Hände geklatscht. Es war beschlossene Sache gewesen, noch bevor Livia die Möglichkeit gehabt hatte, zu protestieren.

Tag drei der freien Zeit war gerade erst angebrochen, und Livia hatte das Gefühl, unter Strom zu stehen. Sie hatte auf nichts Lust, außer darauf, in ihr Eiscafé zu gehen, um – wie immer – zu arbeiten. Sie fühlte sich wie auf Entzug.

Wieder seufzte Livia so verzweifelt, dass es wie das Wimmern eines kranken Tieres klang.

Ans Meer? Na gut, dann würde sie eben ans Meer gehen!

Sie packte ihre Badesachen zusammen und verließ das Haus, doch als sie in der Nähe der Gelateria war, an der sie vorbeimusste, um zum Strand zu gelangen, wurde sie davon angezogen wie von einem Magneten.

Sollte sie es wagen und nur kurz nach dem Rechten sehen?

Ihre Füße warteten erst gar nicht auf das Okay ihrer Gedanken, sondern trugen sie bereits in Richtung Eiscafé.

Die Hintertür war offen, und sie würde wirklich nur Hallo sagen und dann ihren Urlaub genießen. Versprochen!

Livia klopfte nicht an, sie ging direkt ins Eislabor. Ihr Vater stand am Arbeitstisch, mit dem Rücken zu ihr.

»Buongiorno, Pa …« Der Rest blieb ihr in der Kehle stecken, denn ihr Vater schien zu keuchen. Bei genauerem Hinsehen bemerkte sie auch, dass er sich am Arbeitstisch festhielt. Er wandte sich nicht zu ihr um. Und das war noch ungewöhnlicher. Sie lebten und arbeiteten in Symbiose. Das, was sie verband, war unbeschreiblich stark. Dennoch drehte er sich nicht zu ihr um.

Augenblicke später hob er wie von Schmerz gequält den Rücken und fiel zu Boden. Einfach so. Wie ein Sack Kartoffeln. Das Geräusch war schrecklich endgültig.

Livia handelte wie in Trance und merkte erst kurze Zeit später, dass sie sofort neben ihm kniete und instinktiv seine Atmung und seinen Puls prüfte. Sie musste wohl geschrien haben, denn schon bald standen Menschen um sie herum. Sie machte die Herzmassage, sie blies ihm ihren Atem in die Lunge. Und sie dachte bei sich: Wenn ich mir einen Tod für ihn hätte aussuchen können, dann hätte ich diesen gewählt: in meinen Armen, umgeben von seinem geliebten Eis.

Dann spürte sie eine Hand auf ihrem Rücken. Die Berührung war nicht fest oder gar schmerzhaft. Ganz im Gegenteil, dennoch veranlasste sie Livia dazu, sich umzudrehen. Sie sah eine bekannte Uniform, einen Schnurrbart und warme Augen, die eine beruhigende Wirkung auf sie hatten.

Kapitel 1

»Wieso denn Bitterschokolade, sag mir, perché?«»Weil der Kaffee die Papillen auf der Zunge fast ein bisschen betäubt, Livi, capisci?«»Und Schokolade weckt sie wieder auf?«Er lacht und nickt dann. »Ja. So kann man es sagen.«

(Eissorte Dolcezza di caffè con cioccolato fondente, zum ersten Mal hergestellt in der Artigiani del Gelato im Mai 1992)

Livia schlug die Augen auf und fragte sich, was sie geweckt haben mochte: das Kreischen der Möwen, das vom nahe gelegenen Meer zu ihr gelangte, oder doch der Kaffeeduft, der aus der Küche ihrer Nachbarin kommen musste. Die gute Patrizia schlief schlecht, wie Livia wusste – nein, wie eigentlich jeder wusste, der sich lange genug mit der alten Dame unterhielt. Livia schnupperte und rechnete sich aus, dass der einladende und unvergleichliche Geruch es ungehindert aus Patrizias Küche und dann wieder hinein in ihr Schlafzimmer geschafft hatte. Streng genommen kein großes Kunststück, denn sie lebten in einer typisch italienischen Gasse, wo die Häuser so eng aneinandergebaut waren, dass kaum ein Blatt zwischen sie und die Nachbarn passte. Für viele mochte diese Bauweise vielleicht beklemmend sein, nicht aber für Livia, die ausgesprochen gerne hier mitten in Amalfi mit ihrer nonna Filippa lebte.

Livia gähnte und streckte sich. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, es konnte also kaum später als halb sechs sein, doch war es für sie Zeit, aufzustehen. Leise kroch sie also aus dem Bett, um Filippa nicht zu wecken, die, im Gegensatz zu Patrizia, sehr gut und lange im Schlafzimmer nebenan schlief, ging ins Bad, zog sich an und verließ das Haus. Die Via Lorenzo d’Amalfi war noch menschenleer, und man hörte die Möwen weithin kreischen. Im Laufe des Tages würden sie sich etwas zurückziehen, um erst bei Sonnenuntergang wieder ihre eleganten Runden zu drehen.

Wenig später betrat Livia eilig den antiken Palazzo und genoss weiterhin die Ruhe, die so früh am Morgen auch hier noch herrschte. Die Stille im Eingangsbereich aus hellem Marmor, der durch die hohen Decken etwas geradezu Majestätisches ausstrahlte, war angenehm, ebenso die dezente Kühle, die gegenüber der sommerlichen Temperatur draußen wohltuend war. Livia liebte jeden Winkel des Palazzo La Fontana, der sich in privilegierter Lage gleich zu Füßen des Amalfi-Doms befand. Hier war sie aufgewachsen, hier hatte sie fast jeden Tag verbracht, seit sie denken konnte.

»Buongiorno, Signorina Livia!«, hörte sie leise, aber deutlich.

Die Stimme erkannte sie sofort, noch bevor sie sah, zu wem sie gehörte: Es war Andrea, der Pförtner, der seinen Dienst antrat. Er gehörte zum Palazzo wie das Meer zur Küste. Er kam aus der Hotelhalle in den Eingangsbereich, während sie diesen nutzte, um zur Hintertür ihrer Gelateria zu gelangen. Der Palazzo beherbergte, neben dem Traditionshotel La Fontana, verschiedene kleine Geschäfte, die allesamt auf die Piazza gerichtet waren, auf der sich ein Brunnen – also eine Fontana – befand. Der Palazzo war eine kleine Welt für sich. Eine große Familie fast. Das spürten wohl auch die unzähligen Touristen, die Jahr für Jahr im Hotel logierten, genauso wie die vielen Kunden der Geschäfte, die sich bunt und pittoresk aneinanderreihten. Denn wer einmal im Urlaub in die Welt des La Fontana eingetaucht war, der kam auch wieder. Irgendwann. Und selbst wenn es erst nach zwanzig oder dreißig Jahren passierte.

»Andrea, buongiorno!«, rief sie und winkte ihm im Vorbeigehen zu.

Er lächelte – das vermutete Livia eher, denn Andreas breiter Schnurrbart bedeckte seine Lippen –, dann hob er die Kappe seiner Uniform und machte einen Diener. Galant wie immer. Auf Andrea war Verlass. Ebenso auf seine Augen, die gleichzeitig Wärme, Freundlichkeit, Verständnis und Stärke ausstrahlten. Sie kannte diese Augen, wusste, wie beruhigend sie wirken konnten, wenn es darauf ankam.

»Viel Arbeit?«, fragte er höflich.

Livia tippelte im Rückwärtsgang durch den Flur, damit sie den Blickkontakt zu ihm nicht verlor und trotzdem weitergehen konnte. Sie hob ihre Arme seitlich, wobei ihre Tasche, die sie stets über die Schulter hängte, mit einem Ruck in ihre Armbeuge fiel. »Wie immer«, bestätigte sie.

Er hob den Daumen und winkte, dann ging er leise pfeifend weiter zu seinem Arbeitsplatz draußen gleich rechts neben der schweren Eingangstür aus Glas. Livia wusste, dass er geduldig und charmant jeden einzelnen Gast begrüßen würde. Sie wusste auch, dass die Gäste ihn teilweise gar nicht wahrnahmen, was sie wirklich schade fand. Wer Andrea nicht kannte, der verpasste viel.

Während sie sich der Hintertür zu ihrer Gelateria näherte, kramte sie schon in der Tasche nach dem Schlüssel, fand ihn natürlich erst, nachdem sie die Hoffnung schon beinahe aufgegeben hatte. Sie beschloss mal wieder, Ordnung in ihrer Handtasche zu schaffen. Irgendwann würde sie bestimmt auch die Zeit dafür finden. Doch war das mit der Ordnung so eine Sache. Man fing an, in der Tasche aufzuräumen, dann plötzlich fand man, dass auch der Schrank das mal wieder nötig hätte, und kaum hatte man kurz nicht aufgepasst, war man versucht, das ganze Leben auf den Kopf zu stellen. Und dazu war Livia nicht bereit.

Sie schob die unbequemen Gedanken von sich, schloss auf, betrat ihr Reich und atmete tief ein. Obwohl sie tagtäglich hier arbeitete, machte ihr Herz immer wieder einen Sprung, wenn sie morgens in das Eislabor kam. Es war sicherlich nicht für alle Menschen so, dass sie voller Freude an die Arbeit gingen. Deshalb war Livia umso glücklicher, sich mit dem, was sie wirklich gut konnte und noch mehr liebte, ihren Lebensunterhalt verdienen zu können. Eis – Gelato – war ihre Welt, und sie war stolze Besitzerin der ältesten Eismanufaktur Amalfis. Artigiani del Gelato, so hieß ihr Laden schon immer, seit die Großeltern ihn eröffnet hatten. Der einfache Schriftzug über dem Eingang stand für Leidenschaft, Professionalität und Tradition. Auf Livias Schultern lastete die Verantwortung, die Eismanufaktur erfolgreich in die Zukunft zu tragen. Sie spürte diese Last jedoch kaum. Je mehr sie produzierte, umso glücklicher war sie, obwohl sie mit der Arbeit kaum nachkam. In letzter Zeit war es für sie regelrecht unmöglich geworden, ein Privatleben zu haben. Das lag daran, dass das Geschäft gut lief, besser noch als die Jahre zuvor. Vor einigen Monaten hatte ein Fernsehteam in Amalfi gefilmt, und es hatte ausgerechnet sie, Livia Lucibello, vor die Kamera geholt, damit sie über ihre Eismanufaktur sprechen konnte. Das Geschäft hatte danach einen bombastischen Aufschwung erlebt. Und ihre kleinen Eismaschinen, die … nun ja … nicht mehr die neuesten waren und in vielen Phasen der Herstellung manuell betätigt werden mussten, brummten und surrten und schafften es kaum, die Massen an Eis zu produzieren, die ihre Gäste verschlangen. Neue, größere Eismaschinen kaufen? Ja, das war natürlich naheliegend. Aber die Gaggia-Maschinen waren ihre Partner, ihre Engel, ihre Helfer. Sie hing daran. Weil ihr Papà sie gekauft und jeden Tag benutzt und beinahe verehrt hatte. Und allein deshalb schon waren sie für sie mehr wert als ein ganzer Sack Diamanten. Es stand also nicht zur Diskussion, sie zu ersetzen, auch weil sie eine Eismanufaktur und keine Eisindustrie betrieb. Den Unterschied schmeckte man! Deshalb legte Livia eine Frühschicht ein, und dann eine Spätschicht, und sie machte eigentlich den ganzen lieben Tag lang nichts anderes, als Zutaten in die Maschinen zu geben, darauf zu achten, dass alles geregelt ablief, und dann die cremige, kalte Eismasse in die Behälter zu füllen. Sie machte das natürlich alles selbst. Nie im Leben hätte sie jemand anderen an die Eisproduktion gelassen. No! Selbst der Gedanke daran ließ sie den Kopf schütteln. Sie würde das schon schaffen. Schließlich war sie eine Lucibello!

Sie blickte sich im Labor um, das weiß gefliest und überschaubar groß, aber sauber und gut durchorganisiert war. Alles, wie ihr Papà es ihr beigebracht hatte. Wenn ihr Privatleben auch manchmal keiner Ordnung zu folgen schien, hier in der Artigiani del Gelato lief alles streng nach Plan. Und mit ganz viel Herz.

»Livia? Bist du da drin?«

Erschrocken blickte Livia auf und rieb sich die Hände an der Schürze ab. Augenrollend nahm sie zur Kenntnis, dass man der Schürze jetzt sehr deutlich ansah, an welcher Geschmacksrichtung sie bis eben noch gearbeitet hatte. Vor ihr standen die letzten gefüllten Eisbehälter, die es in den begehbaren Kühlraum zu verfrachten galt.

»Ja, bin ich! Komm rein«, rief sie und hob zwei Behälter Fragola e basilico hoch. Sie ächzte dabei. Es waren immerhin zehn Liter Eis.

Die Tür öffnete sich, das hübsche Gesicht ihrer Freundin und Geschäftsnachbarin Carolina wurde sichtbar. »Pausa?«

Livia nickte erschöpft. Carolina packte mit an, sodass das Eis schnell verstaut wurde. Livia legte die Schürze weg und ließ sich von ihrer Freundin aus dem Labor führen. Livia hatte noch nichts gegessen oder getrunken, dabei hatte sie schon vier Stunden Eisproduktion hinter sich. Eine kurze Auszeit war dringend nötig.

Carolina hakte sich bei ihr unter. »Ich weiß, du hörst das nicht gerne, aber du arbeitest wirklich zu viel.«

Livia gab einen ungeduldigen Laut von sich. Auf eine Predigt hatte sie keine Lust. Deshalb grummelte sie weiter und ging den Eingangsbereich entlang, der die Stille vom Morgen längst hinter sich gelassen hatte. Carolina erwartete offensichtlich auch keine Antwort. Sie schob Livia durch die schwere Glastür nach draußen, wo ihr nicht nur Hitze, sondern auch Stimmengewirr und das Plätschern des Brunnens entgegenschlugen. Die Sonne war so hell, dass Livia blinzeln musste. Instinktiv griff sie an ihre Schulter, doch es hing keine Tasche daran. Sie hatte sie im Eislabor vergessen. Ihre Sonnenbrille war in der Tasche.

»Nimm meine«, bot Carolina an, die oft die Gabe hatte, Livia auch ohne Worte zu verstehen. Die Freundin zog die Sonnenbrille aus ihrem dunkelblonden lockigen Haar und gab sie ihr.

Livia setzte sie auf, nickte Andrea zu, der kurz seine Kappe hob und ihr zuzwinkerte. Dann erst erreichte sie der übliche amalfitanische Trubel so richtig, und sie ließ sich endlich darauf ein.

Es war Sommer, alle genossen die Sonne, Amalfi zeigte sich von der besten Seite. Es stimmte alles, wie in einem perfekt inszenierten Film: die herrlichen Gebäude, das fantastische Licht, die Touristen, heitere Stimmen, die in Sprachen der ganzen Welt redeten, das Meer und die unbeschreiblich schöne schroffe Küste. Das, was Livia sah, war die amalfitanische Realität, der amalfitanische Alltag, und sie verliebte sich jeden Tag neu in ihn.

»Du siehst schon besser aus«, fand auch Carolina, die den Arm hob und winkte. Ihre gemeinsame Freundin Diletta kam ihnen entgegen. Das Trio der drei Geschäftsinhaberinnen der Läden links von der gläsernen Eingangstür des Palazzo war komplett.

Diletta, die mit ihrer olivfarbenen Haut und ihrem glatten schwarzen Haar eine richtige Schönheit war, umarmte erst Livia, dann Carolina und gab jeweils ein Küsschen auf die Wange. Livia merkte nicht zum ersten Mal, dass sie nicht unterschiedlicher hätten sein können. Doch es verband sie viel mehr als Äußerlichkeiten. Sie hatten gemeinsame und sehr ähnliche Kindheitserinnerungen, waren sie doch Seite an Seite in ihren Läden, die zuvor ihren Großeltern und dann ihren Eltern gehört hatten, aufgewachsen.

»Na, ihr zwei Hübschen? Wollen wir uns beeilen? Ich fürchte, wir bekommen bei Sal sonst keinen Tisch mehr«, begrüßte Diletta sie.

Caffè bei Sal, das war Tradition, das war die Chance, sich ein bisschen Zeit für sich, für ihre Freundschaft zu nehmen, was ihnen enorm wichtig war, da sie alle drei Vollzeit arbeiteten. Livia war zwar Single, aber Carolina hatte – nach einer unglücklich geendeten Beziehung – seit ein paar Monaten wieder einen Freund, und Diletta war verheiratet. Da war die Zeit zu dritt knapp bemessen.

Livia ließ sich vom heiteren Geschnatter ihrer Freundinnen einlullen und dachte an den Morgen zurück, an dem Patrizias Kaffeeduft sie vermutlich geweckt hatte. Ihre Zunge fühlte sich plötzlich ganz schwer an. Mamma mia, jetzt brauchte sie aber ganz dringend Koffein!

Kapitel 2

»Blumen kann man essen?« Sie reißt vor Erstaunen die Augen auf.»Nur die Schönsten, Livi, und nicht zu viele davon. Gerade so viele, dass der Duft sanft in die Nase steigt. Wie ein Hauch, oder eher eine Ahnung, capisci? Also, auf keinen Fall mit Wucht.«Sie nickt, als wäre das eh klar.

(Bouquet di rose con mandorle, zum ersten Mal hergestellt in der Artigiani del Gelato im Mai 1994)

Livia lehnte sich zurück, schloss die Augen. Es fühlte sich an, als würde die Sonne ihr Gesicht streicheln. Sanft und warm. Sie atmete den Geruch des nahe gelegenen Meeres ein, und er vermischte sich ungewohnt und doch so erfrischend mit dem Geschmack, den der eben erst getrunkene Espresso auf ihrer Zunge hinterlassen hatte. Sie öffnete die Augen wieder, hielt ihre Wange aber noch immer in die Sonne. Ihr war nach Schnurren zumute. Stattdessen seufzte sie.

So ließ es sich aushalten …

Diletta und Carolina unterhielten sich, aber Livia hörte nicht richtig hin. Das Gespräch ihrer Freundinnen plätscherte an ihr vorbei, und Livia stellte sich vor, dass es den Touristen auch so ging, wenn sie nach Amalfi kamen. Dass sie ihre Seele baumeln lassen konnten, wo Sonne, Meer und Sorglosigkeit sich trafen. Sie fand diesen Gedanken wundervoll und blickte sich vorsichtig um, versuchte, an den Gesichtern der Tischnachbarn zu erkennen, ob es ihnen genauso ging wie ihr. Sie sah Caffè trinkende Paare, Cornetti knabbernde Kinder, und ja, sie alle hatten etwas gemeinsam: Sie sahen entspannt und glücklich aus. Das machte Livia unerwartet stolz. Stolz auf ihre Heimat, auf ihr Eis und auf das, was ihr kleiner Küstenort, in dem sie schon immer lebte und bis an ihr Lebensende leben wollte, mit den Besuchern anstellte.

»Ich wüsste ja zu gerne, was du schon wieder denkst …« Carolina mischte sich vorsichtig in ihre Gedanken ein und rüttelte Livia mit ihrer Frage auf.

Livia machte nur eine wegwerfende Handbewegung. Manchmal war es einfacher, ihre Überlegungen nicht mit ihren Freundinnen zu teilen, denn nicht immer konnten Carolina und Diletta ihr folgen. Sie waren viel bodenständiger und ganz deutlich weniger verträumt. Das waren Eigenschaften, die Livia besonders an den beiden schätzte, denn sie brachten sie oft genug auf den Boden der Tatsachen zurück, was sie manchmal dringend brauchte. Sie ergänzten sich hervorragend und kamen sich daher nur selten ernsthaft in die Quere, was dazu führte, dass sie praktisch nie stritten.

»Hast du dir die Sache überlegt? Mit Rino, dem Blogger?«, wollte Diletta nun ganz neugierig von ihr wissen.

Rino war seit Tagen Dilettas Hauptthema. Sie hatte sich in diese Idee verrannt, Livia mit Rino bekannt zu machen, weil er zufällig ein ehemaliger Schulkamerad von Dilettas Mann Ezio war und weil Livia zufällig total gerne Rinos Artikel las. Das Genre interessierte sie natürlich besonders, da er – zufällig – Foodblogger war. Livia mochte es, sich seine Bilder auf Instagram anzuschauen, weil er in der benachbarten Hafenstadt Salerno lebte und am liebsten aus der Region berichtete.

Das war aber auch schon alles.

Da jedoch sowohl Diletta als auch Carolina – aus welchem Grund auch immer – glaubten, Livia unbedingt verkuppeln zu müssen, war Rino zu ihrem neuen Ziel geworden. Diletta strich sich eine lange schwarze Haarsträhne hinter das Ohr, was ihr bezauberndes Gesicht nur noch besser zur Geltung brachte, und sah sie durchdringend an.

»Bringt es etwas, wenn ich dir sage, dass ich kein Interesse habe?«, fragte Livia, obwohl sie die Antwort eigentlich schon kannte. Denn ihre Freundinnen ließen sich nur selten von ihren Ideen abbringen.

»Du könntest ihn doch mal treffen. Einfach so. Um über deine Gelateria zu sprechen«, schlug Carolina vor, die gerade mit einem kleinen Löffel Zucker aus ihrem Tässchen kratzte, der sich wohl abgesetzt hatte. Carolina gab immer zu viel Zucker in den Kaffee, nämlich eineinhalb Päckchen. Livia bekam schon vom Zusehen Karies.

»Er hat sicher schon genug zu tun und bestimmt keine Zeit«, gab Livia, in einem letzten Versuch, sich aus der Sache herauszuziehen, zu bedenken. Denn wenn sie eines nicht mochte, dann waren es Dates, die als geschäftliche Treffen verkleidet waren.

»Doch!«, sagte Diletta.

Und das machte Livia stutzig. »Du hast das schon in die Wege geleitet?«

Diletta wandte den Blick ab und schaute auf ihre Fingernägel.

»Spring über deinen Schatten, Livi. Ihr habt so viel gemeinsam. Außerdem kommt dabei wieder Werbung für deine Artigiani del Gelato heraus. Schaden wird das keinem, nicht wahr, obwohl du auch so schon ganz viel zu tun hast«, sprang Carolina, die ihr Tässchen nun abgestellt hatte, ihrer Freundin bei.

Livia zog die Schultern hoch. »Ja, Werbung ist natürlich immer gut. Irgendwann nehme ich mir für ihn Zeit, okay?« Sie wollte das nervige Thema so schnell wie möglich vom Tisch haben.

»Irgendwann … so nächste Woche?«, erkundigte sich Diletta scheinheilig und mit halb zugekniffenen Augen.

Livia legte müde ihr Gesicht in die Hände und massierte sich die Schläfen. »Wann?«

»Er kommt nächsten Montag, wenn es recht ist.«

»Va bene. Gut. In Ordnung. Aber, ragazze, das ist das letzte Mal, dass ich bei so einem Unsinn mitmache. Ich bin Single. Ja und? Ich habe so viel zu arbeiten, dass ein Partner mich jetzt nur ablenken würde. Es geht mir gut. Wirklich. Ihr müsst euch nicht dauernd um mich Sorgen machen.« Sie liebte ihre Freundinnen, sehr sogar, aber das musste aufhören. Diese ewigen Verkupplungsversuche stressten sie mittlerweile.

Livia blickte von Diletta zu Carolina und dann wieder zurück. Beide nickten schuldbewusst. Und Livia entspannte sich sofort wieder. Meine Güte, dann würde sie diesen Rino halt kennenlernen. Und gleichzeitig auch ihre Nonna Filippa glücklich machen, die es ebenfalls nicht gerne sah, dass Livia keinen Freund hatte. Als wäre es das einzig Wichtige, einen Mann zu haben … Diese Idee war veraltet und – ganz ehrlich – doof, und Livia wusste sehr wohl, dass eigentlich weder ihre Freundinnen noch ihre Nonna derartig überholte Ansichten hatten. Ihr war klar, dass sie sich um sie Sorgen machten wegen der Sache mit ihrem Papà. Sie wollten Livia ablenken, auf andere Gedanken bringen. Aber sie brauchte ihre Zeit. Sie musste verarbeiten, was an diesem verhassten Tag passiert war, der schon fast ein Jahr zurücklag. Livia wusste nicht, wie lange es noch dauern würde und ob es überhaupt Heilung für sie gab.

»Ragazze, die Pflicht ruft, fürchte ich.« Carolinas zögerliche Stimme kam Livia gerade recht. Sie wollte jetzt ganz sicher nicht in eine traurige Stimmung geraten. Andererseits schaffte Livia es nicht, gleich aufzustehen. Noch nicht, wenngleich die Pflicht tatsächlich schon sehr laut rief. Dilettas abfälliges Schnaufen machte es auch nicht besser.

Wie lang saßen sie eigentlich schon hier im Sal sul mare? Livia warf einen Blick auf die kleine Armbanduhr, die Filippa ihr zum Abitur geschenkt hatte. Sie zuckte unmerklich zusammen. Schon zwanzig Minuten. Das war deutlich zu lang, also erhob sie sich mit einem Ruck. Der leichte Sommerrock, den sie trug, fiel dabei schwungvoll über ihre Beine und raschelte leise.

Sal kam auf ihren Tisch zu. Er versteckte etwas hinter seinem Rücken. Immer überraschte er sie mit Kleinigkeiten. Der quirlige Barbesitzer ließ es sich nicht nehmen, Livia und ihre Freundinnen höchstpersönlich zu verabschieden – und das jeden Tag, selbst bei vollem Haus, was eigentlich rund um die Uhr der Fall war. Seine Bar war zweifellos eine der beliebtesten Amalfis und befand sich im Palazzo Sant’Andrea, gleich links vom Palazzo La Fontana. Bei Sal gab es morgens Caffè und Cornetti, mittags Erfrischungsgetränke und Snacks, abends Cocktails, Aperitivi und Wein, nachts wieder warme Cornetti. Und dann ging es wieder von vorne los. Livia war schon als Teenie Stammgast bei ihm gewesen. Seit damals hatte sie sich sehr verändert, Sal hingegen nicht. Er schien nicht zu altern.

»Müsst ihr zurück an die Arbeit, bellezze?«, fragte er gewohnt charmant und mit einem Augenzwinkern.

»Ja, leider«, kam es wie aus einem Munde.

Hinter seinem Rücken holte er drei betörend duftende, wunderschöne rote Rosen hervor. Er reichte jeder eine. Livia drückte ihm einen Kuss auf die Wange und dann ihre Nase in die samtweiche Blüte. Traumhaft.

Sal faltete die Hände, lugte zu ihren Geschäften, auf die man von seiner Bar aus bequem schauen konnte, und nickte. »Ja. Dann wünsche ich euch gutes Gelingen, Bellezze. Wir Amalfitaner müssen zusammenhalten und immer für unsere Gäste da sein. Sie haben es verdient, hier bei uns die beste Zeit ihres Lebens zu verbringen.«

Carolina kicherte. »Du bist morgens immer so philosophisch, Sal«, nahm sie ihn auf den Arm.

Er lachte und tat verlegen. Was alles nur Show war. Das gehörte mit zum Paket Sal. Ebenso sein dichtes schwarzes Haar, das er links gescheitelt trug, seine kleine braune Schürze, sein weißes Hemd und seine schwarze Hose. So sah er jeden Tag aus. Im Sommer wie im Winter.

Sie verabschiedeten sich von ihm ohne weiteres großes Tamtam. Am nächsten Morgen würden sie sich ohnehin wiedersehen. Und dann am Tag darauf. Und immer wieder.

Livia ging mit ihren Freundinnen zurück zum Palazzo La Fontana. Der Weg war kurz, dennoch mussten sie unzähligen Touristen ausweichen, die zielsicher auf den Dom zugingen, der über eine prächtige Treppe zu erreichen war. Die Stufen gingen von der Piazzetta aus, auf der sich sowohl der Palazzo La Fontana als auch der Palazzo Sant’Andrea befanden. Hier spielte sich das Leben in Amalfi ab.

Und wie hübsch sie waren, ihre drei Läden. Livia bestaunte sie gerne, wie sie so einladend, geschäftig und fröhlich nebeneinanderlagen und den perfekten Rahmen für diese wichtige Piazza boten. Carolinas Cartiera Cavaliere, eine Papeterie – natürlich mit Produkten aus Amalfi-Papier –, hatte den Laden gleich links neben dem Haupteingang des Palazzo eingenommen. Die Frontseite, die größtenteils aus Schaufenstern bestand, hatte Carolina attraktiv und gekonnt in Szene gesetzt, sodass man schon von außen Lust darauf bekam, die Cartiera zu besuchen: feinstes Briefpapier, dicke Blöcke, wundervolle Notizhefte befanden sich im Laden und in der Auslage. Rechts und links vor der Ladentür waren zwei große Kartenständer positioniert, an denen sich immerzu Menschentrauben bildeten. Ein Traum für alle Fans von hochwertigen Schreibwaren.

Dilettas Casa del Limone war ein einziger, belebend duftender gelber Fleck. Wo das Auge auch hinreichte, alles war mit Zitronen bestückt, geschmückt oder bemalt. Marmelade, Kekse, Cremes, Kerzen, Seifen, Schnäpse, Stoffe, Schürzen, Keramik und, und, und, allesamt rigoros aus Amalfi-Zitronen hergestellt oder mit der etwas lang gezogenen, großen Zitrusfrucht dekoriert.

Livia liebte die Läden ihrer Freundinnen. Am meisten aber liebte sie ihre Eismanufaktur, die sich wunderbar zwischen Cartiera und Casa fügte und von allen den kleinsten Ladenraum aufwies, denn das muntere Treiben lief an den fünfzehn kleinen Tischen ab, die unter großen Sonnenschirmen vor der Gelateria aufgereiht waren.

Zwar hatten sie Mitarbeiter, aber sie waren alle drei am liebsten selbst in ihren Läden.

»Ran an die Arbeit?«, fragte Livia also, als sie endlich vor dem Palazzo La Fontana standen.

Sie nickten sich zu und taten das, was sie am besten konnten: Menschen aus aller Welt mit ihren Spezialitäten glücklich machen.

Kapitel 3

»Wieso machen wir unser Gelato al limone denn nicht auch mal interessanter? Mit Pfefferminz, zum Beispiel. Hm? Was denkst du, Papà?« Sie pustet sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und wischt sich die Hände an der viel zu großen Schürze ab. Eine Angewohnheit, die ihr Papà immer belächelt.Er nimmt eine Zitrone aus der hölzernen Kiste und hält sie ihr unter die Nase. Livia atmet tief ein. Der Zitrusduft strömt prickelnd und frisch in ihre Nase.»Nein.« Livia schüttelt den Kopf. »Zitrone ist eine Primadonna. Zitrone muss allein bleiben.«Er nickt und fährt ihr mit der Hand über den Kopf.

(Limone d’Amalfi, September 1995)

Livias Gelateria schloss, im Gegensatz zu den anderen Geschäften im Palazzo, die sich in den heißesten Stunden des Tages eine Siesta gönnten, nachmittags nicht. Es hatte sich so eingebürgert, dass Nonna Filippa ihr in dieser Zeit, in der es auch in der Artigiani del Gelato etwas ruhiger wurde, das Mittagessen brachte. Livia hatte sie nie darum gebeten, denn sie wollte Nonna möglichst nicht zur Last fallen. Aber ihre Großmutter hatte sich nicht davon abhalten lassen. Und so war das gemeinsame Mittagessen zu einer schönen Routine geworden, die beide zufriedenstellte und glücklich machte. Livia liebte ihre etwas eigene, manchmal dickköpfige, aber herzliche Nonna sehr. Sie hatten schon immer bei ihr gelebt. Das Haus war groß und Wohnraum in der Innenstadt von Amalfi rar. Früher hatten Livias Eltern und ihre Schwester auch bei Filippa gewohnt. Doch Livias Schwester war Apothekerin geworden, und verheiratet war sie inzwischen auch. Sie arbeitete in Salerno, und knapp einen Monat nach Papàs Tod war ihre Mutter auch in die Stadt gezogen, um Livias Nichte zu hüten. Alle waren zufrieden mit dieser Lösung, obwohl Livia sie manchmal vermisste, was ein bisschen übertrieben war, da Salerno nur einen Katzensprung entfernt lag. Doch schafften sie es im Alltag immer seltener, sich zu sehen.

Livia hatte schon gedeckt. Nonna mochte den ersten Tisch rechts unter dem Sonnenschirm am liebsten, und so war das ihr Tisch geworden. Livia setzte sich, blickte interessiert auf die Kunden, beobachtete ihre Bedienung Elvira, wie sie geschickt die hohen Eisbecher auf den Tabletts jonglierte. Es war angenehm unter den Sonnenschirmen, die Blumen, die Livia rundherum in die Blumenkästen gepflanzt hatte, sorgten für Farbe und Heiterkeit und schienen mit den bunten Eissorten um die Wette zu strahlen, die auch von hier aus in der Eistheke zu sehen waren.

»Signorina Livia, störe ich?«

Livia drehte sich um und sah in Andreas Gesicht. Er war leicht verschwitzt, sah müde aus. Sie begriff nicht, wie lang seine Schichten dauerten, denn er war meist, wenn überhaupt möglich, noch länger im Palazzo als sie. Und eigentlich musste er die Rente wohl schon erreicht haben. Sie fragte sich, warum er noch arbeitete.

»Aber, nein, Andrea. Du störst selbstverständlich nicht. Möchtest du dich kurz setzen? Ich hole dir gerne ein Glas, wenn du auch etwas trinken willst.« Sie zeigte auf ihr Wasserglas, das in Anbetracht der Hitze einladend kalt beschlagen war.

Andrea überlegte, wägte ab, nahm dann aber entschlossen die Kappe ab, lockerte sein Hemd etwas und setzte sich zu ihr. »Ganz kurz nur. Grazie.«

Ihr war danach, ihre Hand über seine zu legen. Livia kannte ihn schon seit Ewigkeiten, und doch wurde ihr bewusst, dass sie so wenig über ihn wusste.

»Hier. Trink. Prego.« Sie reichte ihm kurzerhand ihr unangetastetes Glas. Tatsächlich nahm er einen tiefen Schluck, stellte es dann andächtig wieder ab. Und Andrea durchlebte fast eine Verwandlung. Er legte sein Pförtnerdasein ab und war einfach nur Andrea, ein nicht mehr ganz junger Mann, der nachmittags in Amalfi in einer Gelateria saß. Livia fand es spannend, diese Metamorphose mitzuerleben.

Livia ertappte sich dabei, gerne mehr davon sehen zu wollen. Mehr vom privaten Andrea.

»Ich habe dir noch nie gedankt, Andrea, oder?«

Sein Blick verriet ihr, dass er sofort wusste, was sie meinte. Doch er hob die Hand, und seine Augen wurden wieder warm und verständnisvoll, und Livia fragte sich, wie viel diese Augen wohl schon gesehen hatten.

»Ich bitte Sie! Sie müssen mir doch nicht danken.«

Da war sie ganz anderer Meinung. Sie erinnerte sich an alles. An jede seiner kleinen, so bedeutsamen Gesten, als er ihr bei Papàs Tod beigestanden hatte. Alles hatte sich eingebrannt in ihr Gehirn, in ihre Seele. Deshalb duzte sie ihn schon lange, weil er ihr so vertraut und sie ihm so dankbar war. Andersherum schaffte Andrea es nicht, das Sie sein zu lassen, obwohl sie ihm das Du schon öfter angeboten hatte. Aber so war Andrea allen seinen Mitmenschen gegenüber: höflich, zuvorkommend, galant.

»Kommt die Signora Filippa denn bald?«, fragte er endlich.

Sie sah ihm an, dass diese Frage ihn nicht wenig Überwindung gekostet hatte. Livia merkte, wie ihre Lippen sich zu einem Lächeln verziehen wollten. Doch sie zwang sich, es zu unterlassen. Sie wollte nicht, dass er sich von ihr ausgelacht fühlte. Sie hatte schon gemerkt, dass er sich in ihre Nonna verguckt hatte. Er fragte ab und an nach ihr, gewollt beifällig. So gewollt, dass es natürlich erst recht anders rüberkam.

Livia nickte also und antwortete nur: »Ja. Sie sollte bald da sein.«

Andrea räusperte sich. Danach war es plötzlich so still, dass man das Plätschern des Wassers vom nahe gelegenen Brunnen hörte. Als wäre die Zeit stehen geblieben.

»Ich bin mir nicht sicher, ob ich es wagen kann. Meinen Sie, ich kann?«

Livia tat noch nicht einmal so, als hätte sie nicht verstanden, um was es ging. Sie fand es unglaublich mutig von ihm, endlich über seine Schwärmerei für Filippa zu sprechen. Da wollte sie es ihm sicher nicht unnötig schwer machen. Die Wahrheit war aber, dass sie ihre Nonna in dieser Hinsicht nur schwer einschätzen konnte. Sie wusste, dass sie sich kannten, wie sich alle Bewohner Amalfis kannten. Sie hatte mehrmals miterlebt, wie sie sich freundlich, aber reserviert grüßten. Filippa war sicherlich eine leidenschaftliche Frau, die gerne Liebesfilme sah, aber Livia glaubte kaum, dass Nonna diese Leidenschaft mit einem Mann ausleben wollte. Doch konnte sie das hundertprozentig ausschließen? Also zog sie die Schultern hoch. Sie wollte Andrea weder ermutigen noch entmutigen. »Ich muss ehrlich sagen, ich weiß es nicht.«

»Nun, ich werde es gewiss selbst herausfinden. Doch wollte ich Sie, wenn es Ihnen recht ist, um Erlaubnis bitten, Ihrer Großmutter, wie soll ich sagen, offiziell den Hof zu machen.«

Es war wirklich schwierig, bei diesen Worten nicht zu lachen, doch sie konnte es sich gerade so verkneifen. Sie merkte aber, dass es sich nicht wie auslachen anfühlte, was sich da anbahnte, sondern eher wie ein nervöses Lachen. Wie war sie bitte in die Rolle der Anstandsdame geraten?

Zum Glück kam es nicht so weit, dass sie auf Andreas Frage antworten musste. Filippa war da. Andrea sprang sofort auf und nahm ihr den Korb ab, aus dem es appetitanregend duftete.

»Buongiorno, Signora Filippa!«, grüßte Andrea sie. Er war kein bisschen verlegen, sondern eher entzückt, wie Livia amüsiert feststellte.

»Buongiorno, Andrea.« Filippa erwiderte den Gruß. Sehr viel weniger entzückt, aber äußerst höflich und mit einem Lächeln.

Livia beobachtete die beiden still, und ihr Herz hüpfte vor Freude und Aufregung. Das war besser als im Film. Sie versuchte, ihre Nonna mit anderen Augen zu sehen, also nicht als Großmutter, sondern als Frau, an der ein Mann wie Andrea Interesse haben konnte. Filippa sah wie gewöhnlich blendend aus. Sie achtete sehr auf ihr Aussehen, trug ihr silbernes Haar kinnlang mit einem langen Pony, den sie locker seitlich hinter das Ohr steckte. Nonna war dezent geschminkt, und ihre blauen Augen, die Livia glücklicherweise von ihr geerbt hatte, leuchteten heute ganz besonders. Wie immer trug Filippa einen langen Rock und eine luftige Bluse, die sie mit einem Gürtel in Form gebracht hatte. Dadurch wurde ihre schmale Taille schön betont. Ja, Nonna Filippa, knapp fünfundsiebzig Jahre alt, war attraktiv. Und plötzlich verstand Livia Andrea. Filippa war eine Frau, in die man sich leicht verlieben konnte, das erkannte Livia erst jetzt.

»Die Bluse steht Ihnen ausgesprochen gut, Signora Filippa«, wagte Andrea sich noch einen Schritt weiter vor.

Filippa sah überrascht auf und blickte in das Gesicht des Pförtners, als hätte sie ihn jetzt erst richtig bemerkt. »Danke«, sagte sie knapp. Es klang fast wie eine Frage.

Livia hielt vor Aufregung den Atem an.

»Nun, ich möchte Sie nicht länger stören. Buon appetito«, sagte er, stellte den Korb ab, setzte seine Kappe auf und ging, nachdem er sich mit einem Winken verabschiedet hatte.

Nonna Filippa setzte sich, aber man sah ihr an, dass sie etwas verwirrt war. »Stimmt etwas nicht mit meiner Bluse?«, fragte sie und blickte irritiert an sich herab, nahm dann aber entschlossen die ersten Behälter aus dem Korb und reihte sie auf dem kleinen Tisch auf, so gut es bei so wenig Platz ging. Livia war hungrig, ihr Magen knurrte beim Anblick der Leckereien.

»Mit deiner Bluse ist alles in Ordnung. Ich denke, Andrea wollte dir einfach nur ein Kompliment machen.«

Beim Wort »Kompliment« blinzelte Filippa so heftig, als sei ihr ein Insekt ins Auge geflogen. »Warum sollte er das?« Es klang sehr, sehr entrüstet, wie sie das fragte.

»Weil du eine wunderschöne Frau bist und er ein schlauer, vielleicht sogar verliebter Mann«, deutete Livia an und stibitzte sich ein Stück Brot.

Filippa schüttelte den Kopf und wedelte aufgebracht mit der Hand. »Hör bitte mit dem Unsinn auf, ja?« Dann öffnete sie so vehement einen ihrer Behälter, dass der Meeresfrüchtesalat, der sich darin befand, halb auf dem Tisch landete. Die geviertelte Zitrone hingegen, die obendrauf gelegen hatte, traf es deutlich schlechter – sie landete mit einem Platsch auf dem Boden. »Jetzt hat er mich ganz aus der Fassung gebracht«, flüsterte Filippa.

»Das sehe ich …« Die Reaktion war ungewohnt, so viel stand fest. Livia fragte sich aber, ob Andrea Filippa vielleicht auch nicht gleichgültig war. Denn Gleichgültigkeit sah anders aus.

»Was gibt es da zu grinsen?«, fragte Filippa sie pikiert und schob den Meeresfrüchtesalat kurzerhand wieder mit dem Löffel in den Behälter.

Dass Livia gegrinst hatte, war ihr nicht bewusst gewesen. »Ach, Nonna, lass uns einfach essen, hm?«, versuchte sie, die Situation etwas zu entschärfen.

»Ja. Ja. Essen. Das sollten wir tun.« Geschäftig kümmerte sich Filippa darum, allerhand Leckereien auf Livias Teller zu schaufeln. Livia wagte es nicht, ihr zu helfen oder ihr gar zu sagen, dass sie eigentlich mehr als genug auf dem Teller hatte. Am Ende bekam sie in dieser seltsamen Stimmung noch einen Klaps auf die Finger.

Sie kamen während ihres Mittagessens nicht mehr auf Andreas Kompliment zu sprechen. Aber Livia nahm sich vor, dranzubleiben. Nur ganz vorsichtig. Denn Filippa und Andrea als Paar … diese Vorstellung war zu schön und greifbar, um sie einfach so zu vergessen.

Nach dem gemeinsamen Essen räumten Livia und Filippa das Geschirr zurück in den Korb. Noch war es verhältnismäßig ruhig in der Artigiani del Gelato. Touristen war es jetzt zu warm. Am liebsten waren sie zu dieser Uhrzeit entweder im Wasser oder in ihren Hotelzimmern. Livia war bei dem Gedanken, dass Filippa bei der Hitze und mit der schweren Tasche allein zurück nach Hause ging, nicht wohl.

»Ich begleite dich noch schnell«, bot sie daher an.

»Kannst du denn hier weg?« Filippa blickte sich um.

»Auf jeden Fall. Elvira und das Personal an der Theke haben alles im Griff.«

»Na gut. Dann nehme ich dein Angebot sehr gerne an.«

Nonna Filippa hakte sich bei ihr unter, Livia nahm den Korb, und sie gingen los.

»Viel zu jung …«, sagte Filippa leise, als sie am Sant’Andrea-Brunnen vorbeiliefen, den Livia ganz besonders liebte. Nonna Filippa brauchte nicht extra dazuzusagen, dass sie Andrea meinte mit ihrer Bemerkung. Livia zog es auch vor, nichts darauf zu erwidern. Stattdessen lächelte sie. Es war etwas in Bewegung gekommen, und das war gut.

Kapitel 4

Sie steckt den Löffel in den Mund und schließt entzückt die Augen. »Das schmeckt so lecker!«»Danke. Also, cremig genug? Nicht zu süß?«Sie formt mit ihrem kleinen Daumen und Zeigefinger ein Perfekt-Zeichen und nimmt noch mehr Cioccolato aus dem Becher. Das ist wirklich das beste Eis, das sie jemals probiert hat – vielleicht sogar ihre absolute Lieblingssorte. Sie sagt es ihrem Papà.»Leg dich noch nicht fest, Livi. Wenn man einmal sein Lieblingseis gefunden hat, wird kein anderes jemals seinen Platz einnehmen können.«

(Cioccolato, März 1997)

Ein paar Wochen zuvor in Norditalien

»Hättest du den blöden Meeresfrüchtesalat nicht einfach mit aufs Menü setzen lassen können?« Antonietta knallte die Autotür zu und sah ihn anklagend an.