Im Schatten der Zitronenbäume - Roberta Gregorio - E-Book
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Im Schatten der Zitronenbäume E-Book

Roberta Gregorio

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Beschreibung

Der perfekte Liebesroman für Urlaub am Meer – oder auf dem heimischen Balkon: »Im Schatten der Zitronenbäume« von Roberta Gregorio als eBook bei dotbooks. Warmer Sand zwischen den Zehen, eine kühle Meeresbrise im Gesicht, und eine Kugel Gelato zum Dahinschmelzen … Leider nur ein Tagtraum für Carla, die in der bayerischen Provinz-Idylle ihrer Eltern versauern muss. Doch dann erfährt sie das Unglaubliche: Sie wurde adoptiert – und hat Verwandte in Italien! Prompt beschließt sie, das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und in das Land von Amore und Bella Vita zu reisen. Aber schon bald merkt Carla, dass neue Familie nicht nur neues Glück, sondern auch pures Chaos bedeuten kann. Als dann auch noch gleich zwei charmante Männer das Spielfeld betreten, steht Carlas Leben vollends Kopf. Wird sie in all dem Trubel noch hören können, was ihr Herz ihr leise zuflüstert? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der sommerliche Italienroman »Im Schatten der Zitronenbäume« von Roberta Gregorio – auch bekannt unter dem Titel »Amore – Famiglia und andere Tragödien«. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 269

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Über dieses Buch:

Warmer Sand zwischen den Zehen, eine kühle Meeresbrise im Gesicht, und eine Kugel Gelato zum Dahinschmelzen … Leider nur ein Tagtraum für Carla, die in der bayerischen Provinz-Idylle ihrer Eltern versauern muss. Doch dann erfährt sie das Unglaubliche: Sie wurde adoptiert – und hat Verwandte in Italien! Prompt beschließt sie, das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und in das Land von Amore und Bella Vita zu reisen. Aber schon bald merkt Carla, dass neue Familie nicht nur neues Glück, sondern auch pures Chaos bedeuten kann. Als dann auch noch gleich zwei charmante Männer das Spielfeld betreten, steht Carlas Leben vollends Kopf. Wird sie in all dem Trubel noch hören können, was ihr Herz ihr leise zuflüstert?

Über die Autorin:

Roberta Gregorio, geboren 1976 in Bayern, ist staatlich geprüfte Fremdsprachenkorrespondentin. Heute lebt sie als Autorin mit ihrer Familie im tiefsten Süden Italiens, wo sie am kleinen, grünen Schreibtisch mit Blick aufs Meer ihrer Fantasie freien Lauf lässt.

Die Website der Autorin: robertagregorio.de/

Eine Übersicht über weitere Romane der Autorin bei dotbooks finden Sie am Ende dieses eBooks.

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Dieser Roman ist bereits unter den Titeln AMORE - FAMIGLIA UND ANDERE TRAGÖDIEN und AMORE - MEINE FAMILIE UND ANDERES CHAOS bei dotbooks erschienen.

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Aktualisierte Originalausgabe Mai 2020

Dieses Buch erschien bereits 2016 unter dem Titel »Amore - Famiglia und andere Tragödien« und 2019 unter dem Titel »Amore - Meine Familie und anderes Chaos« bei dotbooks.

Copyright © der Originalausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Copyright © der aktualisierten Originalausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock / Roman Sigaev / Stefano_Valeri / Igor Zh / Oleg GawriloFF

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-95824-647-8

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Roberta Gregorio

Im Schatten der Zitronenbäume

Roman

dotbooks.

Kapitel 1

»Also, mach’s gut. Ich muss los!«, rief mir Margit, meine beste Freundin und Mitbewohnerin, zu und war auch schon aus der Tür. Sie würde mit Manuel in die Berge fahren, wo seine Familie eine Luxushütte besaß, und erwachsene Feiertage haben. Während ich mit meinen 28 Jahren Weihnachten wie immer bei Mama und Papa verbringen würde.

Ich musste nur noch dieses letzte Geschenk zumindest akzeptabel verpacken und ebenfalls losfahren. Nicht jedoch in die Berge, sondern aufs Land.

Weihnachtsfeiern bei uns Meinhards waren, vor allem für meine Mutter, das Highlight des Jahres. Klar konnte ich, Carla Meinhard, als einzige Tochter des Hauses nicht davon fernbleiben. Nein, das brachte ich auch dieses Jahr nicht übers Herz. Offen gestanden hatte ich auch keine interessante oder erwachsene Alternative, aber das war eine andere Geschichte.

Wenig enthusiastisch, aber immerhin mit dem Anflug einer ergebenen Vorfreude im Herzen, packte ich die bunten Päckchen in die Tasche und machte mich, am Steuer meines roten Cityvans, auf den Weg hinaus aus der Großstadt in das kleinste Kaff der Welt, wo ich aufgewachsen war … wohlbehütet und, nun ja, ohne erwähnenswerte Vorfälle.

Eine dicke Schneedecke lag auf Bäumen, Feldern und Hausdächern und trug dazu bei, die an mir vorüberziehende Landschaft, wenn möglich, noch monotoner erscheinen zu lassen, als sie ohnehin war. Ich überlegte kurz, das Lenkrad grob nach rechts zu drehen. So ein kleiner Unfall konnte definitiv dazu beitragen, den bevorstehenden Abend aufregender zu gestalten. Schon sah ich mich im Krankenhaus liegen, im Untersuchungszimmer mit einem attraktiven Arzt. So eine Mischung aus George Clooney und Patrick Dempsey. Die Versuchung war wirklich groß. Natürlich widerstand ich ihr.

Schließlich arbeitete ich darauf hin, endlich erwachsen zu werden.

Knapp vor Sonnenuntergang war ich da. Perfektes Timing, wie immer. Ich schaffte es alle Jahre wieder, die Rückkehr nach Hause so lange wie irgend möglich hinauszuzögern.

Kaum hatte ich den Motor abgestellt, sah ich sie auch schon auf mich zu rennen: Ursula, meine Mutter, stets elegant mit ihren frisch gesträhnten Haaren, die sie stur im Joan-Collins-Look trug. Einziger Fehltritt die Küchenschürze, die ihre üppige Figur unschön umhüllte. Ich kam nicht nach ihr. Streng genommen auch nicht nach meinem Vater. Dunkle Haare, braune Augen und butterweiche Kurven – das war ich. Nach wem ich genau kam, hatte ich, ehrlich gesagt, nie wirklich begriffen. Mein Vater hatte einmal von einem südländischen Ur-Ur-Irgendwas erzählt. Dieser Ur-Ur-Irgendwas hatte meine Ur-Ur-Irgendwas geschwängert und seine gänzlich undeutschen Gene in unsere Familie geschmuggelt. Ich nahm mir einmal mehr vor, dem Ur-Ur-Irgendwas eine Statue errichten zu lassen. Meine Dankbarkeit ihm gegenüber war immens. Denn insgesamt war ich zufrieden mit meinem Aussehen. Mein mediterranes Auftreten verschaffte mir nicht zuletzt einen gewissen Erfolg bei Männern. Dass sie am Ende dann doch alle ihre blonden Stefanies heirateten, lag gewiss nicht an mir.

»Mäuschen! Komm rein, komm rein, komm rein!«, rief mir meine Mutter zu, schickte dabei Atemwölkchen in die Luft und fächelte so sehr mit der Hand hin und her, dass ich damit rechnete, sie jeden Moment wegfliegen zu sehen. Die Freude war ansteckend. Ich ruderte also aus Solidarität auch mit den Armen. Außer meiner Mutter sah mich ja niemand dabei.

»Hallo Mama, na, schon alles bereit für das große Fest?« Dass meine Frage vor Ironie nur so troff, bekam sie nicht mit. Wir umarmten uns, und ich atmete den typischen Mama-Duft nach Parfüm, Waschmittel und Haarspray ein. Ihr Geruch war vertraut und deckte sich mit meiner Idee von Zuhause.

Während sie weiter mit der Hand fächelte, trat ich ein.

»Natürlich, natürlich, natürlich!« Wenn sie aufgeregt war, verfiel sie in einen seltsamen Zustand, der einer Mischung aus Stottern und Amnesie glich. »Die Plätzchen sind alle fertig dekoriert, der Braten ist im Rohr, Knödel im Wasser und der Apfelstrudel im Kühlschrank. Ja, ja, ja. Alles bereit!«

So genau hatte ich es nun auch wieder nicht wissen wollen.

»Wo bleibt ihr denn? Kommt endlich rein!«

Mein Vater Emil tauchte endlich hinter Mama im Flur auf. Er grinste warm, und ich merkte an seiner gesamten Körperhaltung, wie sehr er sich freute, mich zu sehen. Ich schlüpfte an meiner Mutter vorbei ins Warme und versuchte mich an einer herzlichen, aber gefassten Begrüßung – ich war ja kein Kind mehr. Mein Vater schien das nicht zu bemerken, denn er hob mich kurzerhand hoch. Es kostete ihn keinerlei Anstrengung.

»Da ist sie ja endlich, mein Carla-Herzchen!«

Ganz ungeniert drückte er mir einen Schmatzer auf den Mund und setzte mich wieder ab. Das machte er schon, seit ich denken konnte. Früher hatte ich deshalb immer mit ihm geschimpft, weil der Bart mich zum Niesen brachte. Aber an Weihnachten ließ ich es ihm durchgehen. Mit manchen Traditionen sollte man einfach niemals brechen.

Nach Hause kommen war für mich eine stets seltsame Angelegenheit. Einerseits stellte sich sofort eine offensichtliche Vertrautheit ein. Ich wusste, wo alles stand – jedenfalls meistens. Hätte wohl blind in jedes Zimmer gefunden, ohne dabei irgendwo anzuecken. Sogar wo das Toilettenpapier aufbewahrt wurde, war mir bekannt. Trotzdem konnte ich mich nicht mehr als festen Bestandteil dieses Mikroorganismus betrachten.

Unangefochtene Herrin des Mikroorganismus Meinhard war Mama. In Sachen Weihnachtsdekoration konnte ihr zum Beispiel niemand das Wasser reichen. Das Wohnzimmer, die Küche und das Esszimmer waren ein einziges Glitzern, Funkeln und Leuchten. Kerzen, Kugeln und Tannen, wo man auch hinsah. Im Badezimmer entdeckte ich sogar eine Weihnachtsmannseife. Sie roch nach Zimt.

»Carla-Herzchen, kommst du essen?«, rief mein Vater aus dem Erdgeschoss hinauf. Selbst aus dem Badezimmer, hinter geschlossener Tür, hörte ich ihn klar und deutlich. Seine Stimme glich einer Posaune. Im Gegensatz zu meiner Mutter versuchte er seine ländlichen Wurzeln nicht zu verstecken. Er war ein einfacher, ehrlicher Mann. Und durchschaubar. Ein feiner Kerl, mit einer gewissen Vorliebe für Eierlikör.

Meine Eltern waren mit der Verwandtschaft zerstritten. Niemand hatte mir jemals eine Erklärung dafür abliefern wollen. Jedes Mal, wenn ich nachgefragt hatte, bekam ich ausweichende Antworten, bis ich es irgendwann akzeptiert hatte. Wenn ich einerseits meine eigenen Tanten nicht kannte, so musste ich doch eingestehen, dass Streit mit der Familie seine Vorteile hatte. Heiligabend etwa verbrachten wir stets unter uns. Und das reichte mir vollkommen. Mama geriet nämlich Jahr für Jahr, bereits ab Ende November, in einen Ausnahmezustand, den man wirklich als nicht mehr normal bezeichnen konnte. Sie ließ es sich nicht nehmen, den ohnehin schon beträchtlichen Weihnachtsschmuck-Bestand der Familie Meinhard zu erweitern. Ganze Elch-Familien, Weihnachtsmänner in allen Formen und Größen. Engel, ja, auch die. Das Haus war also auch ohne Verwandtschaft voll genug.

»Carla-Herzchen, trinkst du einen Schluck mit?«, wandte sich mein Vater in der Küche, die ich inzwischen betreten hatte, direkt an mich. Der Duft nach gutem Essen war geradezu betörend. Ich schielte zu Mama rüber, die unheimlich beschäftigt tat. Eine Abmachung zwischen den beiden, wie ich vermutete. Papa durfte sich Heiligabend eine Eierlikörfahne antrinken und Mama bekam dafür … ja, was nur? Vor meinem inneren Auge spielten sich Szenen ab, die ich mit niemandem teilen mochte. Nicht einmal mit mir selbst.

»Nö, danke, ich passe, Papa!«, lehnte ich ab und ließ mich auf die Eckbank plumpsen. Er tat gleichgültig, zuckte sogar mit den Achseln und schenkte sich selbst eine ordentliche Menge des zähflüssigen Gebräus ins Glas, bevor er zu mir rutschte.

»Und, was gibt’s Neues in der Stadt?«, wollte er jetzt von mir wissen. Mein Papa stellte sich das Stadtleben so aufregend vor. Und ich brachte es nicht über’s Herz, ihm diese Illusion zu nehmen.

»Du, nicht viel. Oft komme ich vor lauter Arbeit gar nicht aus der Wohnung!«, gestand ich und merkte, wie er dazu zwar nickte, dabei aber doch enttäuscht wirkte. Er kam ja so selten in die Stadt. Ich war mir ganz sicher, er ging davon aus, dass ich jeden zweiten Tag eine Schießerei von meinem Fenster aus beobachten konnte. Dass ich stattdessen jeden Tag Nachbars Hund beim Scheißen in den dummen Vorgarten beobachten konnte, erzählte ich ihm daher lieber nicht.

»Reicht dir das, was du verdienst, zum Leben? Brauchst du was?«, flüsterte er mir jetzt ins Ohr.

Das rührte mich ja fast. Er glaubte nämlich immer, dass ich gar nicht richtig arbeitete. Das ging seiner Meinung nach nicht von zu Hause aus. Da er aber immerhin für meine Ausbildung zur Dolmetscherin gezahlt hatte, fand ich, er sollte sich zumindest nicht dauernd Sorgen machen. Klar, unsere WG im Vintage-Patchwork-Flohmarkt-Ikea-Look war nicht jedermanns Sache. Margits Freund Manuel weigerte sich sogar beharrlich, diese Chaoten-Wohnung zu betreten. Aber am Hungertuch nagte ich wirklich nicht.

»Papa, ich verdiene genug!«, stellte ich also fest und lenkte das Gespräch ganz deutlich in eine andere Richtung: Fußball!

Und wahrlich hielt er einen schier endlosen Monolog über seine Löwen, bis Mama endlich unsere ungeteilte Aufmerksamkeit reklamierte.

»Carla, deckst du bitte mal den Tisch?«, mischte sie sich ein.

Ich seufzte innerlich. Es war ja nicht so, dass ich es nicht machen wollte. Viel mehr wusste ich bereits, wie das enden würde. Aber bitte, wenn sie meinte …

»Klar, Mama!«, sagte ich trotzdem. Ich griff in die Schublade mit den Tischdecken und entdeckte den feierlichen, dicken Stoff sofort. Am Tisch warf ich das große Tuch schwungvoll über, das dabei einen herrlichen Geruch nach Frischgewaschenem hinterließ.

»Das musst du schon schöner machen, Carla!« Mama schob mich förmlich weg vom Tisch und strich nicht vorhandene Falten aus dem Stoff. Ich tauschte einen Blick mit Papa aus. Er zwinkerte mir aufmunternd zu. Sie werkelte hingegen wieder am Herd herum.

Mit dem Geschirr konnte ich wenig falsch machen – das hoffte ich zumindest. Wir hatten nämlich richtiges Weihnachtsgeschirr. Ich fand es furchtbar, mit seinen hellblauen Jagdszenen. Aber mit meiner Mutter konnte man in diesem Punkt nicht diskutieren. Vorsichtig stellte ich das feine Porzellan ab, in einem Versuch, die perfekte Tischchoreographie zu erraten. Das schwere Kristall und das silberne Besteck schafften einen interessanten Kontrast. Ich war zufrieden, hatte sogar die starren Servietten kunstvoll gefaltet. Stolz stellte ich mich meiner Mutter. Sie beäugte mein Kunstwerk kritisch.

Und stellte alles noch einmal um.

Mein Vater beobachtete die Szene schmunzelnd, während ich wirklich versuchte zu begreifen, wie man es denn nun richtig machte. Zwecklos.

Soviel zum Thema Tisch decken. Alle Jahre wieder einen Versuch wert, alle Jahre wieder kommentarlos durchgefallen.

»Hier kommt der Braten, Braten, Braten!«, strahlte Mama uns an, als handelte es sich nicht um Fleisch, sondern Goldbarren. »Und beeilt euch damit! Das Christkind kommt bald, bald, bald!«, setzte sie noch hinzu. Papa kippte den Likör in einem Zug in sich hinein. Jetzt strahlte auch er.

Meine Kopfschmerzen setzten exakt nach dem dritten Bissen des zugegeben besten Bratens aller Zeiten ein. Es lag an der Weihnachtsmusik aus Mamas Küchenradio, das, wie mir schien, O, Tannenbaum in Schleife trällerte. Weihnachtslieder klangen für mich ab einem gewissen Punkt eh alle gleich. In diesen Momenten fehlte mir Ralf, unser Dackel, unendlich. Er hatte nämlich bei Weihnachtsmusik immer so laut gejault, dass Mama sie stets abstellte.

»Frohe Weihnachten, Ralf!«

Ich handelte mir fragende Blicke meiner Eltern ein, die zuvor sehr konzentriert auf ihr Essen gewesen waren.

»Hast du jetzt gerade Frohe Weihnachten, Ralf gesagt?« Meine Mutter war sichtlich verwirrt, ihre Gabel schon zu lange in der Schwebe.

»Nein. Nein … natürlich nicht. Das war ein Frohe Weihnachten … ähm … Alf. Ich meine … all. Ja, Frohe Weihnachten uns allen.« Ich hob das Glas und strahlte meine Eltern mit dem breitesten Lächeln an, das mein Gesicht ohne bleibenden Schaden produzieren konnte. Das machte meine Kopfschmerzen nicht besser, aber Mama glücklich. Und Papa auch, der sein Likörglas munter nachfüllte.

Kapitel 2

Als wir Geschenke auspackten, hatte Papa schon ordentlich einen sitzen. Es war ja nicht so, als hätten wir nicht alle gewusst, wie das ausgehen würde. Irgendwann kippte er regelmäßig vom Stuhl, und wir trugen ihn zu Bett. Simpel. Aber ungerecht, da nur er Spaß an der Sache hatte.

Mama und ich, wir knieten unter dem Baum, und ich hatte große Mühe, meine Päckchen zu finden. Sie waren winzig. Das beruhigte mich ungemein. Letztes Jahr war das Paket nämlich enorm gewesen und dabei fast so groß wie meine Enttäuschung. Also bitte! Ein Topf! Und das mir!

Während ich das Papier vorsichtig öffnete, spürte ich doch tatsächlich so etwas wie Aufregung. Eine Schmuckschachtel? Ja! Ein Kettchen fiel mir entgegen. Delikat, leicht. Es verschwand fast in meiner Hand. Mein Blick blieb am Herzanhänger aus rotem Stein hängen. Ich hielt die Kette ins Licht. Sie funkelte dabei. Wunderschön! Fast fragte ich mich still, wo der Haken war. Aber es schien keinen zu geben. Denn in den anderen Päckchen fand ich das passende Armband und die Ohrringe dazu.

»Gefällt es dir?«, wollte meine Mutter von mir wissen. Sie war dabei so gerührt, dass sie sogar ganz normale Sätze von sich gab.

»Na klar! Vielen Dank! Aber das hättet ihr wirklich nicht tun brauchen. Der Schmuck war sicher teuer!« Mein schlechtes Gewissen war schon immer stärker als mein Sprachzentrum. Und ich hatte ein wirklich schlechtes Gewissen, wenn ich auch noch bedachte, mit wie wenig Herz ich meine Geschenke für die Eltern ausgesucht hatte. Den x-ten Schal für Mama, das hundertste Buch für Papa.

»Oh doch! Wir lieben dich nämlich, und das wollen wir dir auch mal zeigen. Stimmt’s, Emil?«, richtete sie die Frage direkt an meinen Vater, der im Sessel hing und auf den Bildschirm starrte.

»Danzano i fiocchi di neve, vorticano nell’alto dei cieli, come piume d’argento, come esili ballerine incantate …«, klang es dezent aus dem Fernseher in die plötzliche Stille hinein. Papa richtete sich unerwartet auf. Der Blick, den er mit Mama austauschte, beunruhigte mich.

»Schau mal, Uschi, da ist die Marianna!«, nuschelte er immerhin so deutlich, dass ich jedes Wort verstand.

Mama sprang so schnell auf, dass ich ihre Knie knacken hörte.

»Du hältst jetzt besser den Mund und gehst ins Bett!« Viel zu ärgerlich drehte Mama den Fernseher ab und zerrte Papa vom Sessel. Irgendwie hatte ich das Gefühl, eingreifen zu müssen. Irgendwie ließ ich es bleiben. Die Unentschlossenheit blockierte mich. Was ging hier vor? Papa war doch nicht anders betrunken als alle andere Weihnachten auch. Meine Beine trugen mich jetzt doch wie von selbst in Richtung Flur, meinen Eltern hinterher. An der Tür hielt ich inne.

»… aber irgendwann müssen wir es dem Kind doch sagen«, hörte ich Papa. Seine Stimme war zwar undeutlich, aber laut.

»Ja, irgendwann, aber ganz bestimmt nicht an meinem heiligen Weihnachten. Geh jetzt ins Bett, wir reden morgen darüber.« Wenn Mama diesen Ton draufhatte, war jeglicher Protest ein Risiko. Papa versuchte es aber trotzdem.

»Ist doch egal. Weihnachten, Neujahr … sie muss es endlich wissen.«

»Emil!«

Dann nur noch Poltern, die Treppe hoch.

Ich stand unschlüssig im Wohnzimmer. Unruhig tigerte ich hin und her. Ein ungutes Gefühl beschlich mich. Meiner Angst konnte ich aber keinen Namen geben.

Als Mama ins Wohnzimmer zurückkam, war ich mehr als erleichtert. Sie würde mir jetzt sicher erklären, was eben vorgefallen war. Das würde sie doch?

Stattdessen ging sie schnurstracks an mir vorbei und hob die Weihnachtsgeschenke vom Boden, wo wir sie achtlos hatten liegen lassen. Das Papier packte sie in eine Tüte. Sie zeigte mir ihr Gesicht nicht.

»Mama, was war denn das eben für eine Szene?«

Keine Antwort.

»Mama?«

Ich ging zu ihr hin, zog sie am Ärmel. Wieso guckte sie mich nicht an?

»Wer ist Marianna?«

Sie rannte davon, und ich bekam es wirklich mit der Angst zu tun.

In der Küche holte ich sie ein.

»Sag was, Mama. Du beunruhigst mich jetzt echt.«

Eine gefühlte Ewigkeit lang war nur unser aufgeregter Atem zu hören. Versuchter Blickkontakt, den Mama mir verweigerte. Und dann die Bombe.

»Ich bin nicht deine echte Mutter.«

Eine Explosion. Ja. So verheerend, so laut.

Ganz bestimmt hatte ich mich verhört. Ganz, ganz sicher. Das hatte ich doch?

»Du bist nicht meine … Mutter?«

Mama schluchzte bei dieser Frage laut auf und vergrub den Kopf in ihren Händen. Es war mir unmöglich, einem logischen Gedankengang zu folgen.

Aber ich begann zu verstehen, dass ich nicht in ihrer Gebärmutter entstanden war. Die Kinderlosigkeit hatte demnach nicht erst nach meiner Geburt eingesetzt, wie man mich hatte glauben lassen.

Vor mir tat sich ein riesiges schwarzes Loch auf, das mich mit einem Happen verschluckte. Das Einzige, was ich fühlte, war Verlust.

War ich etwa adoptiert?

Die Frage kam aus dem Nichts. Hatte mich in 28 Jahren kein einziges Mal beschäftigt. Gut, ich war tatsächlich ein wenig anders als meine Eltern. Aber waren wir das nicht alle? Und hätte ich das nicht merken müssen? Ich hielt mich weder für dumm, noch für besonders begriffsstutzig. Trotzdem hatte ich nie – nicht ein einziges Mal – daran gezweifelt, dass meine Eltern auch wirklich meine Eltern waren.

Oder hatte ich meine Augen nur ganz fest vor dem Offensichtlichen verschlossen?

»Erklär es mir!« Ich erschrak über den Klang meiner Stimme. Sie schien nicht zu mir zu gehören.

»Ich bin nicht deine leibliche Mutter.«

Ich schluckte schwer. Gift, Galle, Enttäuschung. Im Kopf drehte sich mir alles. Trotzdem formulierte mein Gehirn eine Frage.

»Aber diese Sängerin aus dem Fernsehen – diese Marianna – ist es?« Dabei fühlte ich mich wie in einer schlechten Soap-Opera. Das konnte doch nicht wirklich mir passieren.

Mama nickte. »Marianna Merlo. Sie ist deine leibliche Mutter.«

Wo war da bitte ein Zusammenhang?

»Emil hatte mal was mit ihr.« Peng – das war wie ein Schlag in die Magengrube und machte diese groteske Geschichte gleich etwas verständlicher, realer.

Nach dem Schrecken kam die Wut. Was hatte Papa da nur angestellt? Das musste er mir jetzt schon erklären! Ich stapfte rabiat hoch in sein Schlafzimmer, dicht gefolgt von Mama, die versuchte, mich am Ärmel zu erwischen. Sie hatte wohl Angst, ich könnte meinen Vater verprügeln. Aber das, was ich mit ihm vorhatte, war noch viel, viel schlimmer als eine Tracht Prügel! Er hatte meine Kindheit vernichtet, mein Weihnachtsfest ruiniert. Und während der Rest der Welt jetzt heiter am Weihnachtsbaum saß, musste ich herausfinden, wessen Tochter ich war. Da lief definitiv etwas falsch!

***

Träumen war für Zia Filomena nicht ungewöhnlich. Anders als bei anderen Menschen war ihr jedoch bewusst, dass ihr dabei die Tore zu einer anderen Welt geöffnet wurden. Bisher hatte sie immer nur scheu und vorsichtig hineingeblickt in dieses Paralleluniversum. Immer öfter ertappte sie sich aber dabei, dem Drang, sich für die Ewigkeit darin zu verlieren, nachgeben zu wollen. So auch jetzt.

Sie war wieder jung, hübsch und gesund. Keine Schmerzen. Rund um sie herum sattgrüne Hügellandschaft. Kurz glaubte sie, diesen Ort zu kennen. Aber der Gedanke flog weg, wurde davongetragen vom intensiven Duft nach Kräutern, Gräsern und Blumen. Die Sonne war gerade so warm, dass Filomena sie nicht als störend empfand. Trotzdem war sie froh, eine Kopfbedeckung zu haben. Es handelte sich um ein einfaches Tuch, so wie sie es als junges Mädchen immer getragen hatte, zusammengebunden hinter dem Kopf. Sie musste es festhalten. Der Wind zerrte daran. Ebenso an ihrem langen Rock. Die Gräser kitzelten an ihren Beinen.

»Filomena!«

Sie schrak aus ihrem Traum auf. Sah in die Richtung, aus der die Stimme sie gerufen hatte. Der gelbe, leuchtende Ball am Himmel blendete sie. Sie musste die Hand schützend über die Augen halten, um eine Figur hoch oben am Hügel auszumachen. Sie erkannte den Mann, der nach ihr rief. Die Freude stellte sogar die Kraft der Sonne in den Schatten. Filomena rannte los, auf ihn zu. Sie rannte mit aller Kraft. Rührte sich aber nicht vom Fleck. Rannte noch schneller, noch kräftiger. Schaute auf den jungen Mann, der ihr freudig zuwinkte. Sie kam keinen Millimeter voran.

Erst als sie auf ihre Füße blickte, merkte sie, dass ein kleines Bündel davor lag. Winzige Hände schauten aus einer Decke heraus und streckten sich ihr entgegen. Sie kannte diese Händchen, die alles andere auslöschten. Sie kannte diese Händchen, die nach ihr griffen. Und sie kannte ihre Pflichten.

Vorsichtig nahm Filomena das Bündel hoch und deckte ein liebliches Gesicht auf. Es strahlte sie an. Und vergessen war der ganze Rest. Liebevoll strich Filomena über das Haupt des Kindes. Sie beobachtete dabei ihre eigene Hand und merkte, dass sie gewohnt faltig und deformiert war. Ein letzter Blick ging hinauf auf den Hügel. Der Mann war weg.

Filomena erwachte mühsam, zog sich selbst schwer aus dem Traum.

Ihre Knochen schmerzten. Die Holzbank vor dem Kamin war unbequem. Sie war wohl eingenickt. Heiteres Glockenläuten drang an ihr Ohr. Sie wollte zur Messe. Aber erst hatte sie einen Termin. Noch bevor sie es klopfen hörte, ging Zia Filomena zur Tür.

»Avanti, avanti! Kommt rein! Nur immer rein in die gute Stube. Ich werde euch schon nicht fressen! Das habe ich nicht vor. No, no! Menschenfleisch mag ich nicht«, krächzte Zia Filomena übertrieben und sichtlich amüsiert. Sie liebte es, sich zu verstellen. Die Leute hielten sie für eine Hexe – obwohl sie rein gar nicht danach aussah – und sie tat nichts, um ihre vielen, vielen Gäste vom Gegenteil zu überzeugen. Sie kamen ja trotzdem. Oder besser gesagt gerade deshalb.

»Zia Filomena, vielen Dank, dass Sie uns gerade heute empfangen. Wir haben Ihnen Käse mitgebracht. Käse mögen Sie doch? Pecorino. Vom alten Pippo. Kennen Sie den?«, wollte die rundliche Dame ganz in Schwarz von ihr wissen und folgte dabei Filomena, wobei sie eine junge Frau mit sich zog, die sich sichtlich unwohl fühlte.

»Pippo, Pippo? Ich glaube nicht …«, überlegte Filomena laut, hob ihre von Gicht verformte Hand und deutete den beiden Frauen, Platz zu nehmen. Ihr bescheidenes Wohnzimmer bestand aus zwei antiken Holzbänken, auf denen sie mit Schafswolle gefüllte Sitzkissen liegen hatte, einem Holztisch mit Stühlen und einem monströsen Möbelensemble aus dunklem Holz. Mitten drinnen ein Fernseher. »Wo seid ihr denn überhaupt her?«, wollte Filomena dann wissen und setzte sich unerwartet wendig in ihr Lieblingseck direkt an den Kamin. Spindeldürr, wie sie war, erweckte sie kurz den Eindruck, gleich in tausend Stücke zu zerfallen, wie ein altes Skelett. Sie griff nach einer Schachtel Zigaretten und zündete sich eine an. Gierig saugte sie den Rauch ein.

Die Frauen setzten sich ihr gegenüber und verkniffen sich ein Husten. Es sprach noch immer nur die Ältere: »Wir sind aus Rocca.«

»Oh!« Filomena war erstaunt. Rocca war weit weg. Mindestens 20 Kilometer. »Und wie seid ihr … auf mich gekommen?«

»Concetta, die Tochter von Mariagrazia, ist verheiratet mit Ulderico. Ulderico Monticelli. Den kennen Sie vielleicht. Der ist von hier …« Die Frau hielt kurz inne, und Zia Filomena nickte. Ja, den kannte sie. Oder besser, nicht ihn direkt. Aber seine Mutter, die Carmela.

»Concetta und Ulderico leben ja nun schon lange in Rocca, und die Concetta habe ich eines Tages bei Rosaria, der Friseurin, getroffen. Da sind wir ins Gespräch gekommen. Concetta wusste vom … Problem meiner Tochter …« Die Frau machte eine kurze Pause und blickte zu ihrer Tochter, die dasaß wie ein Häufchen Elend. »Dann hat sie mir erzählt, dass Sie so ein ähnliches Problem lösen konnten.« Jetzt beugte sie sich etwas nach vorne und hielt sich eine Hand an den Mund, wie um ihre Worte vor unerwünschten Zuhörern zu schützen. »Das von der jungen Angela. Die mit dem Carabiniere verheiratet ist«, berichtete sie.

Zia Filomena nickte wissend. Ja, daran konnte sie sich sehr gut erinnern. Ein niedliches junges Ding. Viel zu jung! Mädchen sollten nicht gleich heiraten. Das versuchte sie immer zu predigen, aber nein, sie wollten alle sofort an den Altar, in ihren hübschen weißen Kleidern!

»Wie heißt du, bambina mia?«, wollte Filomena jetzt direkt von ihrem jüngeren Gast wissen.

Zum ersten Mal schaute die junge Frau auf. Filomena las den Schmerz direkt aus ihren Augen. Sie erschienen tiefer als ein Brunnen. Und dunkel. Und warm, so warm. Verzweifelt auch.

»Serena. Ich heiße Serena.« Die Anstrengung, ihre Stimme fest klingen zu lassen, war offensichtlich.

»Serena … das ist ein schöner Name. Schöner Name«, bemerkte Zia Filomena und spielte mit ihrer freien Hand gedankenverloren mit der langen Kette. Die einfache Goldschnur lag auf ihrer flachen Brust, und sie vergaß sogar, an ihrer Zigarette zu ziehen. »Schöner Name«, wiederholte sie noch einmal.

Filomena und Serena sahen sich einen Moment lang in die Augen.

»Du wirst ihn nicht halten können, tesoro. Deine Zukunft ist schön, glücklich, sorglos. Aber ohne ihn. Schick ihn weg«, riet Filomena.

»Aber nein, Zia Filomena!«, mischte sich die Mutter ein. »Wir haben ein Foto von ihm dabei. Und ein Haar. Damit können Sie doch sicher etwas anfangen?«

»Nicht, wenn die Schlacht von vorneherein verloren ist!«, antwortete sie ruhig.

»Aber … aber, was ist mit dem Kleinen? Und was sollen die Leute denken? Meine Tochter ist ruiniert!« Ihre Stimme ein einziges Crescendo.

»Ruiniert ist sie, wenn sie sich an einen Mann klammert, der sie betrügt, nicht liebt und noch weniger respektiert!« Filomena zeigte sich wenig beeindruckt von der aufgebrachten Frau. Nur die Kette schlug jetzt leicht gegen die Knöpfe ihrer dunklen Strickjacke.

»Bei dieser Angela hat es aber geklappt. Wieso nicht bei meiner Tochter?« Sie gab sich einfach nicht geschlagen.

»Weil es bei uns nichts mehr zu machen gibt, mamma!«, mischte sich Serena ein und erhob sich mit einer ganz anderen Körperhaltung. Mutiger sah sie aus.

Serena nickte Filomena zu und ging. Ihrer Mutter blieb nichts anderes übrig, als es ihrer Tochter nachzutun.

Filomena folgte ihnen nicht, warf den Zigarettenstummel in den Kamin und trug den Käse in die Vorratskammer, wo er im Regal Platz neben all den anderen kulinarischen Mitbringseln fand. Nachdem sie ins Wohnzimmer zurückgekehrt war, holte sie eine Schachtel aus dem Fernsehmöbel und notierte sich alles genauestens auf dem darin enthaltenen Heft: das Datum, den Namen, das Anliegen ihres Besuchs und nicht zuletzt das Resultat ihres Treffens. Ordnung musste sein. Niemals den Überblick verlieren.

Ein Blick auf ihre Armbanduhr verriet Filomena, dass sie es noch pünktlich zur Kirche schaffen würde.

»Frohe Weihnachten, Mena!«, sagte die Alte zu sich selbst und lächelte dabei.

Kapitel 3

Ich rüttelte an meinem Vater. Er war nicht wach zu bekommen, schnarchte unbeirrt weiter. Ein Blick auf meine Mutter verriet mir, dass sie knapp vor einem Nervenzusammenbruch stand. Ihr Gesicht war übersät von roten Flecken. Ihr Blick starr, verschreckt. Aus ihr würde ich nichts Vernünftiges mehr herausbringen. Die Situation war außer Kontrolle. Ich musste mich beruhigen, lief hinaus in den Garten und warf mich kopfüber in den nächsten Schneehaufen, schrie mir meinen Frust von der Seele und schlüpfte, durchfroren und nass, wieder hinein.

Ohne ein weiteres Wort ging ich in mein Mädchenzimmer. Mama folgte mir nicht, und Papa schwebte ohnehin ungestört weiter auf seiner Eierlikörwolke.

Ich konnte nicht schlafen. Natürlich nicht. Das Bett, der Zufluchtsort meiner Kindheit, gab mir nicht den erwarteten Trost, obwohl die Decke noch immer nach Sorglosigkeit zu riechen schien. Niemand klopfte an meine Tür, und ich war dankbar dafür. Immer wieder setzte ich an, meine Gedanken zu ordnen oder besser noch, sie allesamt zu löschen.

Reset.

Start.

Was war mit meinem Ur-Ur-Irgendwas? Ich wollte, dass es ihn gab! Hätte es kaum ertragen können, ihm nicht mehr die Schuld für mein störrisches, dichtes Haar geben zu können. Das Bild der Schlagersängerin … es flackerte kurz vor meinem inneren Auge auf. Ihre Haare wie meine Haare. Wie lange hatte ich wohl auf den Bildschirm schauen können? Sekunden? Trotzdem hatte sich die Erscheinung in mein Gehirn gebrannt. Marianna Merlo.

Immer und immer wieder sagte ich ihn auf, diesen Namen, der mir unbekannt war und so viel zu verstecken schien.

Die Situation war so bizarr und meilenweit entfernt vom herkömmlichen Heiligabend bei Meinhards.

Marianna Merlo. Im Gedanken rollte ich das R bis zum Abwinken.

Thesen, Fragen und Vermutungen kreisten um mich herum und begleiteten mich durch die Nacht. Ich machte kein Auge zu. Erst ganz früh morgens fiel ich erschöpft in einen traumlosen Tiefschlaf.

Geradezu komatös fühlte ich mich, als ich irgendwann um die Mittagszeit aufschreckte. Irgendetwas in der Luft gab mir zu verstehen, dass nichts mehr so sein würde wie früher. Ich spürte die Veränderungen bereits, hatte kein klares Bild meiner Zukunft mehr.

In der Küche stieß ich auf meine Eltern. Sie saßen nur da. Tasse Kaffee und lange Gesichter. Schwer zu sagen, wer schlechter aussah. Papa in seiner kreidebleichen Kater-Version oder Mama in ihrer Joan-Collins-geht’s-beschissen-Haltung? Wahrscheinlich gewann sogar ich in meiner Wer-bin-ich-eigentlich-wirklich-Stimmung.

Wie jedes Jahr wunderte es mich, wie Mama es schaffte, die Küche über Nacht wieder perfekt sauber zu machen. Und das nach einer Familienfeier, die gleichzeitig in einer Familientragödie geendet hatte.

»Carla-Herzchen, setzt du dich zu uns?«, schaffte Papa es doch, das Wort zu ergreifen. Er deutete dabei auf meinen Lieblingsplatz auf der Sitzbank. Sein Lächeln hing seltsam schief in seinem Gesicht. Aber es war ehrlich und warm und erinnerte mich an Zeiten, in denen ich ihn für den stärksten Mann der Welt gehalten hatte. Unbesiegbar. Ein Held.

Weiterhin betretenes Schweigen, bis Mama merkte, dass ich keinen Kaffee hatte.

»Magst du auch einen?«, fragte sie mich und hob ihre Tasse. Ihre Stimme klang anders.

Ich nickte und fühlte mich plötzlich wie am Tag, an dem meine Eltern mich, exakt in dieser Küche und exakt in dieser Konstellation, aufgeklärt hatten: verloren, fremd, unpassend und peinlich berührt.

Erst als ich am warmen Getränk nippte, merkte ich, wie gut mir die Flüssigkeit tat. Mein Mund war vollkommen ausgetrocknet. Ich fühlte mich wie eine verwelkende Blume.