Die Klügere gibt nach - Tanya Huff - E-Book

Die Klügere gibt nach E-Book

Tanya Huff

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Beschreibung

Man sollte einem Zwei-Sterne-General nie sagen, was man wirklich von ihm denkt. Doch genau diesen Fehler macht Staff Sergeant Torin Kerr. Nach dem letzten erfolgreichen Einsatz erklärt sie dem General ganz genau, was sie von ihm hält. Als Belohnung – oder zur Strafe – muss Torin ohne ihre Mannschaft zur nächsten Mission aufbrechen. Sie soll eine wissenschaftliche Expedition auf einem gerade erst entdeckten, scheinbar verlassenen Raumschiff von wahrhaft gigantischen Ausmaßen schützen. Doch nicht nur sie schützt die Mission, ein vorgesetzter Offizier, der politisch einige Eisen im Feuer hat, ist ebenfalls dabei. Es wird sich zeigen, ob das Schiff wirklich nur ein harmloses Wrack ist oder eine tödliche Falle. Oder auch das Werk einer bisher unbekannten Alienrasse, die sich mit anderen Lebensformen ganz und gar nicht verträgt ...

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Tanya Huff
Die Klügere gibt nach
Die Abenteuer der Torin Kerr Übersetzt von Oliver Hoffmann
Military Science-Fiction

Inhaltsverzeichnis

Die Klügere gibt nach

Widmung

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Sechzehn

Siebzehn

Nachwort der Autorin

Impressum

Orientierungsmarken

Inhaltsverzeichnis

Widmung

In der Krise zeigt sich der wahre Charakter.
Dieses Buch ist für die Einsatzkräfte, die auf dem Weg die Treppe hoch den Tod gefunden haben.

Eins

Die Moral von der Geschichte lautet: Sag nie einem Zweisternegeneral ins Gesicht, er sei ein Drecksack.«
Captain Rose lehnte sich an seinem Schreibtisch zurück und trommelte mit den Fingern auf dessen Plastikzierleiste. »Ich bin etwas überrascht, dass Sie das nicht wussten.«
»Das geht mir auch so, Sir.« Staff Sergeant Torin Kerr starrte auf die Befehle des Generals auf ihrem Tablet. »Das geht mir auch so.«
»Dennoch können Sie es wohl auch als Kompliment sehen, dass General Morris Sie auf diese Aufklärungsmission schicken möchte.«
»Jawohl, Sir, aber wenn ich ›ein unidentifiziertes Alien-Raumschiff, das wie tot im Weltraum treibt‹ höre, ist das Wort, das bei mir im Gedächtnis hängen bleibt, ›tot‹. Ich habe mich noch nicht mal richtig vom letzten Mal erholt, als ein General sich persönlich für etwas interessiert hat.« Ehe sie den Blick hob, leerte sie mit mehr Nachdruck als notwendig ihren Bildschirm. »Angesichts der Tatsache, dass unsere letzte diplomatische Mission darauf hinauslief, dass man uns den Arsch aufgerissen hat, hoffe ich, dass ich überleben werde, was er unter Aufklärung versteht.«
Der Captain lächelte, Lachfältchen bildeten sich in der blassen Haut beider Augenwinkel. »Sie haben aber selbst auch ein paar Ärsche aufgerissen, Staff.«
»Jawohl, Sir. Obwohl ich zugeben muss, dass ich Unterstützung von einem Zug Marines und Lieutenant Jarret hatte. Beide«, fügte sie hinzu, »hätte ich auch diesmal gerne wieder dabei.«
»Soll ich auch eine gepanzerte Einheit mitschicken?«
»Ich wünschte, das könnten Sie, Sir.« Torin hängte sich das Tablet an den Gürtel, holte tief Luft und schickte sich ins Unvermeidliche. Sie war bei ihren obersten Vorgesetzten unangenehm aufgefallen und würde mit den Konsequenzen leben müssen – Konsequenzen, die die wenigen Informationen, über die sie verfügte, genauer definierten. »Er will, dass ich das nächste Shuttle in Richtung Kern nehme. Ab MidSector ist dann für meinen Transport gesorgt, aber da steht nicht, wo ich eigentlich hinsoll.«
»Er ist General, Staff. Das muss er uns nicht sagen. Wir fragen nicht.«
»Jawohl, Sir. Das nächste Shuttle geht in knapp zwei Stunden. Wenn der General nicht dafür gesorgt hat, dass ich nicht zur Dekontaminierung muss, muss ich mich beeilen.«
Der Captain nickte, was zugleich Zustimmung und die Erlaubnis wegzutreten bedeutete. »Kommen Sie schnell zurück, Staff Sergeant. Ich habe einen neuen First, und der wiederum hat einen Haufen neuer Rekruten, bei denen er Ihre Hilfe brauchen könnte. Der Zeitpunkt für eine Lustreise durch die Galaxis Ihrerseits ist denkbar schlecht gewählt.«
»Ich werde es nicht versäumen, das dem General gegenüber zu erwähnen, Sir.«
»Nun, ich hoffe, Sie sind klug genug, das zu unterlassen, Staff.«
»Jawohl, Sir.«
»Staff?«
Knapp vor dem Bewegungsmelder der Tür hielt sie inne.
»Abgesehen von General Morris’ Herkunft ist es durchaus möglich, dass er Sie für diese Mission empfohlen hat, weil Sie die Beste dafür sind.«
»Abgesehen von General Morris’ Herkunft hatte ich daran nie irgendwelche Zweifel, Sir.«
***
Dabei hat der Tag so gut angefangen, brummte Torin bei sich, während sie zum nächsten Vertikalschacht marschierte. Die Verwaltung hatte Binti Mashona endlich die Freigabe für die Scharfschützenausbildung erteilt, Corporal Hollice wurde verdientermaßen zum Sergeant befördert, es schien tatsächlich eine Reihe neuer Rekruten mit einigermaßen funktionsfähigen Gehirnen eingetroffen zu sein, und dank der Situation auf Silsviss stand die Sh’quo-Kompanie so weit unten auf dem Einsatzplan, dass die Anderen schon den gesamten Sektor überrennen mussten, damit sie wieder in den Einsatz geschickt wurde. Ich hätte wissen müssen, dass das nicht so bleiben kann.
*Melden Sie sich in sechsundvierzig Minuten in Shuttlehangar zwölf zur Dekontaminierung.*
Jahrelange Übung verhinderte, dass sie keine sichtbare Reaktion auf die plötzliche Meldung ihres Implantats zeigte. Captain Rose hatte ihren Einsatzbefehl umgehend an das Stationssystem übertragen.
Ein rascher Blick nach oben und unten im Vertikalschacht zeigte eine Personengruppe auf dem Weg nach unten, darunter aber einen freien Fallweg bis zu Deck C. Torin war wild entschlossen, General Morris’ Namen nicht nur zu missbrauchen, sondern wenn nötig auch auf jede nur erdenkliche Weise zu ihren Gunsten einzusetzen, und stürzte sich kopfüber in den Schacht. Die Drehung mitten im Fallen verringerte ihre Geschwindigkeit leicht, doch sie war immer noch schnell genug, um die Sicherheitsprotokolle auszulösen, als sie die Schlaufe packte und sich an Deck schwang.
*Bitte lassen Sie in den Vertikalschächten mehr Vorsicht walten. Dies ist eine Stufe-1-Verwarnung.*
Torin bestätigte den Empfang mit der Zunge, ohne langsamer zu werden. Mit einer Stufe-1-Verwarnung konnte sie leben. Man brauchte drei in zehn Tagen, ehe die Station sie meldete, und sie würde so lange weg sein, dass diese Verwarnung bei ihrer Rückkehr wieder gelöscht sein würde.
Sie hakte ihr Tablet vom Gürtel und sicherte im Gehen ihren Schreibtisch – sie versiegelte ihre persönlichen Ordner und verschlüsselte den Rest mit Sergeant Chous Zugangscodes. Anne Chou würde die befehlshabende Unteroffizierin des Zugs sein, solange sie weg war, sodass Lieutenant Jarret wenigstens jemanden haben würde, der schon einmal …
»Stimmt es, Staff?«
Sie sah auf den Kraisoldaten hinab, der plötzlich neben ihr aufgetaucht war. Aufgrund ihres Größenunterschieds sah sie nur seine fleckige, haarlose Schädeldecke, was ihr nicht half, seine Frage zu verstehen. »Ob was stimmt, Ressk?«
»Dass General Morris Sie auf eine Aufklärungsmission schickt, statt Sie zu befördern und Sie für eine Weile schön bequem auf der Ventris-Station Überlebenstraining abhalten zu lassen.«
»Ich bin beeindruckt. Diese Befehle stehen noch keine zehn Minuten im System.«
Ressk musste längere Schritte machen, um mit ihr mitzuhalten, seine nackten Füße klatschten auf den Boden. »Ich schätze, wenn man erst einmal für jemanden die Kastanien aus dem Feuer geholt hat, erwartet diese Person, dass man es immer wieder tut.«
»Genauso funktioniert das Universum.« An der Schleuse zum Wohntrakt blieb sie stehen. »Haben Sie einen Grund, sich auf dieser Ebene aufzuhalten, Ressk?«
»Sergeant Aman möchte mich sehen, Staff. Aber als ich Sie gesehen habe, dachte ich, ich sage …«
Die Pause würde immer länger.
»Private?«
Seine Nasenwülste erröteten. »Könnten Sie mit dem General reden, Staff? Es war schon immer mein Traum, ein unidentifiziertes, im Weltraum treibendes Alien-Schiff zu erforschen!«
Torin blinzelte. »Machen Sie Witze?«
»Nein, Staff. Sie wissen, dass ich jedes Betriebssystem knacken kann. Ich könnte auf einer solchen Mission von Nutzen sein.«
»Das bezweifle ich nicht, aber ich bin sicher, wir werden Spezialisten …«
»Ich bin aber schneller. Wenn es um Leben und Tod geht, brauchen Sie nicht irgendeinen Spezialisten …«, das Wort klang bei ihm wie eine Mischung zwischen einer Beleidigung und einem Fluch, »… der in aller Ruhe alles nach Vorschrift erledigt.«
»Ressk …«
»Ich kenne die Vorschriften nicht mal!«
*Melden Sie sich in dreißig Minuten in Shuttlehangar zwölf zur Dekontaminierung.*
»Wenn ich kann, rede ich vor meinem Aufbruch mit Captain Rose.«
»Danke, Staff. Sie sind eine echte chirtric.«
Torin wurde nicht jeden Tag als Delikatesse bezeichnet, dachte sie, während sie zu ihrem Quartier weiterging, doch selbst wenn es ihr gelang, mit Captain Rose zu reden, würde dieser keine Zeit mehr haben, mit dem General zu sprechen, ehe das Shuttle die Station verließ.
***
Captain Roses Verwaltungsmitarbeiter versprach, die Anfrage weiterzugeben. »Sie wissen, dass Captains normalerweise nicht Zweisternegenerale anfunken und Ihnen vorschlagen, Personal einzusetzen, dessen Computerfertigkeiten ans Illegale grenzen, oder, Staff?«
»Nicht mein Problem.« Mit dem Daumen schloss Torin ihren Seesack. »Ich habe ihm versprochen, dass ich versuchen würde, mit Captain Rose zu reden. Sie hatte keine Zeit für mich, also habe ich mit Ihnen gesprochen. Ich habe ein reines Gewissen.« Ihr Tablet gab ein Geräusch irgendwo zwischen einem Schnauben und einem Kichern von sich. »Noch etwas, Corporal?«
»Nur meine besten Wünsche für eine erfolgreiche Mission und eine unbeschadete Rückkehr, Staff Sergeant.«
»Danke. Kerr Ende.«
Der Doppelklang, mit dem die Verbindung endete, ertönte, als sie sich ein letztes Mal im Raum umsah, zu dem Schluss kam, dass sowohl der Wohn- als auch der Schlafbereich einer oberflächlichen Inspektion genügen würden und zur Tür ging. Die leeren Augenhöhlen des Silsvissschädels auf dem Regal über ihrer Unterhaltungseinheit schienen ihr auf Schritt und Tritt nachzusehen. Einige der politisch korrekteren Bataillon-Unteroffiziere hatten sich dagegen ausgesprochen, den Schädel eines Angehörigen einer intelligenten Spezies in der Offiziersmesse anzubringen, also hatte sie ihn mit in ihr Quartier genommen, statt ihn in einen Wiederaufbereiter zu stopfen.
»Schau nicht so bekümmert«, befahl sie ihm. »Ich bin bald wieder da.«
*Melden Sie sich in zwölf Minuten in Shuttlehangar zwölf zur Dekontaminierung.*
Obwohl es auf dem unteren Transportband voll war, erreichte sie ihr Ziel sieben Minuten zu früh und konnte den Vorraum des Shuttlehangars durchqueren, ohne die bei den unteren Rängen weit verbreitete Auffassung zu erschüttern, dass Offiziere ab dem Sergeantenrang die Zeit kontrollieren konnten und sich deshalb niemals beeilen mussten.
»Staff Sergeant Kerr!«
Torin sah auf die Uhr und drehte sich um. Second Lieutenant di’Ka Jarret, ihr Zugkommandant, dessen violette Augen ein paar Schattierungen dunkler waren als sein Haar, eilte um eine hässliche graue Plastikbank herum auf sie zu. Wie alle Angehörigen seiner Spezies war er schlicht nicht in der Lage, tölpelhaft zu wirken, doch er sah nicht glücklich aus. »Sir?«
»Wollten Sie einfach so abhauen?« Er klang nicht gerade begeistert.
»Die Anweisungen des Generals waren sehr eindeutig, Sir. Ich hatte sechsundvierzig Minuten, um mich zur Dekontaminierung zu begeben, und Sie waren beim Bataillon. Captain Rose hat Ihnen eine Kopie der Befehle geschickt.«
»Ich habe die Datenübermittlung des Captains erhalten, Staff Sergeant«, informierte der di’Taykaner sie und richtete sich zu voller Größe auf. Torin starrte den Pheromondämpfer an, den er unübersehbar an der Kehle trug und widerstand mit Mühe dem Impuls, dessen Leistung etwas hochzudrehen. Eine kleine Indiskretion einige Monate zuvor hatte dazu geführt, dass sie anfälliger für die biochemischen Signale des Lieutenants war, als sie hätte sein sollen. In der betreffenden Nacht war er für sie nur ein attraktiver junger di’Taykaner – und damit ein Angehöriger einer der ungehemmteren Spezies der gesamten Galaxis – gewesen, am nächsten Morgen aber plötzlich ihr neuer Second Lieutenant. Manchmal, fand Torin, hatte das Universum einfach einen ganz miesen Sinn für Humor.
Bei freier Zeiteinteilung hätte sie beliebig lange warten können, bis er fortfuhr, und das auch getan. Seine letzten Worte hatten einen indignierten Unterton gehabt, den man jungen Offizieren austreiben musste – der Großteil des Universums, vom Marine Corps ganz zu schweigen, kam ganz gut klar, ohne sie je zurate zu ziehen.
Doch da gegenwärtig General Morris die Ansagen machte, was ihre Zeit anging …
»Ich habe auch eine Nachricht geschickt, Sir. Ich habe sie auf dem Transportband geschrieben. Die Station müsste sie inzwischen auf Ihr Tablet übertragen haben.«
Sie rechnete halb damit, dass er seinen Posteingang überprüfte. Als er das nicht tat, gestattete sie sich den Anflug eines Lächelns. »Ich freue mich, dass ich auf diese Weise noch Gelegenheit habe, mich von Ihnen zu verabschieden, Sir. Sie müssen sich wirklich beeilt haben, um es vom Bataillon rechtzeitig hier herunter zu schaffen.«
»Nun, ich …«
»Staff Sergeant Torin Kerr, melden Sie sich zur Dekontaminierung an Shuttlerampe zwölf.«
»Sag’s doch der ganzen Station«, murmelte Torin, als ihr Name, ihr Rang und ihr Ziel von den mattgrünen Wänden des Vorraums widerhallten.
»Ich glaube, genau das ist gerade geschehen.« Haare und Ohren des Lieutenants lagen eng an seinem Kopf an. »Sie, äh …« Als Torin eine Augenbraue in seine Richtung hob, eine Fertigkeit, die den Preis des Trainingsprogramms mehr als wert gewesen war, vollendete er seinen Satz hastig: »… Sie kommen doch zurück?«
»Das habe ich vor, Sir.« Sie trat einen Schritt näher an die Dekontaminierungsschleuse heran. »Bei jedem Aufbruch auf eine Mission.«
»Ich weiß. Was ich sagen wollte …«
»Oh, ich weiß, was Sie sagen wollten, Sir.« Eine der wichtigsten Aufgaben von Staff Sergeants war die Unterstützung ganz frischer Second Lieutenants, während diese lernten, wie man sich vor echten – im Gegensatz zu theoretischen – Marines verhielt. Die Erkenntnis, dass diese Beziehung nicht notwendigerweise von Dauer war, dass Vorgesetzte ihnen die besagte Unterstützung ohne jede Vorwarnung entziehen konnten, schockierte die jungen Offiziere immer ein wenig. »Während ich vorübergehend nicht bei der Kompanie bin, können Sie komplett auf Sergeant Chous Fähigkeit vertrauen, den Zug zu leiten.«
»Das tue ich.« Er öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen, und schloss ihn dann wieder. Nach kurzem Nachdenken straffte er die Schultern, streckte ihr die Hand hin und beschränkte sich auf ein »Viel Glück, Staff.«
»Danke, Sir.« Als er wie jeder di’Taykaner versuchte, den Körperkontakt in die Länge zu ziehen, entzog sie ihm ihre Hand und betrat den Annäherungsbereich der Dekontaminierungsschleuse.
»Staff?«
Sie trat über die Schwelle in die äußere Kammer und wandte sich dabei halb zu ihm um. Der Lieutenant lächelte, sie hatte seine Augen noch nie so hell gesehen. »Haben Sie General Morris wirklich einen Drecksack genannt?«
***
Torin verstaute ihren Rucksack in dem Fach über ihrem Sitz und sah sich in dem Militärabteil um. Weiter vorn saßen zwei Offiziere links und rechts vom Gang. Der menschliche Artillerie-Captain hatte sein Tablet bereits ins System des Shuttles eingeklinkt und der Ecke des Bildschirms, die Torin einsehen konnte, nach zu urteilen die Getränkedatei geöffnet, doch man würde ihm seinen Drink erst im Susumiraum servieren. Die Majorin, eine di’Taykanerin, hatte ihren Sitz komplett zurückgeklappt und schien zu schlafen. Torin fragte sich, ob sie dem Captain bereits Avancen gemacht hatte und schon mal vorschlief – und ob der Captain deshalb trank.
Im hinteren Bereich des Abteils machten es sich gerade ein halbes Dutzend Soldaten und ein Corporal bequem. Ihren Reisedokumenten zufolge – die für Offiziere ab dem Rang eines Sergeants in der Passagierliste des Shuttles zugänglich waren –, war der Corporal aus der Crayzk-Kompanie turnusgemäß Richtung Kern unterwegs und die sechs Soldaten auf dem Rückweg zur Ausmusterung auf der Station Ventris.
Sie hatte das Unteroffiziersabteil ganz für sich allein.
Als sich das Shuttle von der Station entfernte, wurden die Trennwände undurchsichtig. Der Mittelgang, der durch das gesamte Abteil führte, blieb zwar offen, doch die Illusion der Trennung zwischen den Rängen funktionierte ganz gut – eine Illusion, der Torin viel abgewinnen konnte. Sie wollte ebenso wenig für die Offiziere verantwortlich sein wie für die unteren Ränge.
Eine halbe Stunde später trat das Shuttle in den Susumiraum ein. Da sich von Flug zu Flug wenig veränderte, würden sie nur acht bis vierzehn Stunden darin bleiben und ihn dann ohne Zeitverlust vier Lichtjahre entfernt bei MidSector wieder verlassen. Torin entnahm ihrem Alkoholkontingent einen Beutel Bier und lehnte sich zurück, um sich die drei neuesten Folgen von StarCops anzusehen, eine der wenigen von Menschen produzierten Videoserien, die sie nur ungern verpasste.
Aber weder Detective Bertons Versuch, die Schmuggler zu finden, die das stark abhängig machende di’Taykaner-Vritran in den menschlichen Raum brachten noch Detective Canters Suche nach dem Mörder eines Krai-Diplomaten fesselten sie. Genauso gut hätte sie sich eine H’san-Oper anschauen können. Als in der dritten Episode ein Regierungsbeamter seinen Einfluss zum eigenen Vorteil geltend machte, schaltete sie ab und betrachtete ihr Spiegelbild im Monitor.
Wenn General Morris einen Aufklärungstrupp auf ein unbekanntes Alien-Raumschiff schicken wollte, dann hatte er die Wahl zwischen zahlreichen Teams des Corps. Torin wusste nicht, ob sie den Staff Sergeant einer bestehenden Einheit ersetzen oder Teil eines neu zusammengestellten Teams sein sollte, aber beides reizte sie nicht besonders. Es war ineffizient und fast schon dumm.
Sie konnte das schaffen. Ihr war klar, dass man von ihr als Mitglied des Corps erwartete, dass sie nach Belieben des Corps Einsätze übernahm und ortsunabhängig blieb. Sie war außerdem bereit, die volle Verantwortung für das zu übernehmen, weswegen sie ins Gedächtnis eines Zweisternegenerals eingebrannt war.
Doch Dummheit bei Ranghöheren kotzte sie wirklich an.
Weil an der Dummheit Ranghöherer häufig Menschen starben.
Ein Krai-Revierbehauptungsschrei ertönte aus dem hinteren Bereich, dicht gefolgt von einem Schwall herzhafter menschlicher Schimpfwörter. Dies riss Torin aus ihrer nachdenklichen Stimmung, und sie stellte verblüfft fest, dass sie fast eine Stunde vor sich hingebrütet hatte.
Die Flüche wurden etwas ernster.
Nicht ihr Problem.
Sie hörte die Stimme des Corporals und dann die unverkennbare Sequenz Haut/Boden.
Jetzt war es ihr Problem.
Torin erhob sich, zog ihre Uniformjacke an und ging den Gang entlang. Sie war gerade so schön mies drauf …
Der Corporal lag auf dem Rücken. Einer der Krai-Soldaten – der Größe nach zu urteilen wahrscheinlich die Frau – saß auf seiner Brust und nagelte mit den Füßen seine Arme auf den Boden. Er leistete keinen Widerstand, weswegen Torin davon ausging, dass er sich beim Aufprall auf den Boden verletzt hatte. Die kleinere Krai hatte einen Beutel Bier in dem Fuß, den Torin sehen konnte, und trommelte mit beiden Fäusten gegen den Sitz vor ihm, wobei ihre Nasenwülste so dunkel waren, dass sie fast purpurn schienen. Die di’Taykaner waren nirgends zu sehen – alle drei hatten sich wahrscheinlich in den winzigen Gemeinschaftsraum gezwängt, sobald das Shuttle in den Susumiraum eingetreten war –, und damit blieb von den ursprünglich sechs Soldaten nur ein Mensch, der das Ganze sehr witzig zu finden schien.
Er sah Torin zuerst. Als sie auf halbem Weg war, riss er die Augen auf, als die Winkel auf ihren Ärmeln den Weg am Bier vorbei in sein Gehirn fanden. Als sie die zweite Hälfte der Entfernung zurückgelegt hatte, hatte er aufgehört zu lachen und es geschafft, etwas auszustoßen, das eine Warnung gewesen sein mochte.
Zu spät.
Torin nutzte ihren Schwung, um die Krai bei der Uniform zu packen, von dem Corporal wegzureißen und zurück auf ihren Sitz zu schleudern.
Die plötzliche Stille war ohrenbetäubend.
Sie half dem Corporal auf.
Jemand räusperte sich. »Staff, wir …«
Sie verzog den Mund. »Klappe.« Die Stille hielt an.
»Wenn ich ein Wort höre, während Corporal Barteau …« Es schien niemanden zu wundern, dass sie den Namen des Corporals kannte.
»… mir erzählt, was zum Teufel hier hinten los war, werde ich die Kontrollen Ihrer Sitze übernehmen, und Sie verbringen den Rest des Fluges angeschnallt.« Mit zusammengekniffenen Augen starrte sie das schweigende Trio ausdruckslos, aber unfreundlich an. »Habe ich mich klar ausgedrückt?«
»Jawohl, Staff Sergeant.«
»Gut. Corporal.«
Sie zogen sich zurück zu der Wand, die die Mannschaftsränge von den Unteroffizieren trennte.
Torin fragte so leise, dass nur der Corporal sie hören konnte: »Geht es Ihnen gut?«
»Nur ein bisschen außer Atem, Staff. Ich hatte mit ihrem Angriff nicht gerechnet. Sie hatten getrunken, und ich glaube, sie wollte vor Private Karsk angeben. Ich habe mich weitergebildet.« Er nickte in Richtung der Pläne, die über die hintersten beiden Sitze ausgebreitet lagen.
»Ich habe sie gebeten, leiser zu sein. Dann …«
Ein unidentifizierbares Geräusch aus dem rückwärtigen Bereich des Abteils ließ Torins den Kopf drehen. Alle drei Soldaten, die sich nicht von ihren Sitzen gerührt hatten, erstarrten mit weit aufgerissenen Augen, als habe man sie mit einem Scheinwerfer angestrahlt. Torin musterte sie einen Augenblick lang – und hoffte halb, sie würden noch weiteren Ärger machen –, dann wandte sie sich langsam wieder Corporal Barteau zu.
Der zuckte die Achseln. »Sie sind auf dem Weg nach Hause, Staff.«
»Ich weiß.«
»Die Privates Karsk und Visilli waren bei Beconreaks, und Private Chrac war an der Evakuierung der Black Star beteiligt. Sie sind gegen …«
»Ich weiß, Corporal, ich war dort. Worauf wollen Sie hinaus?«
»Ich finde, wir sollten sie nicht melden. Nicht dafür, dass sie ihre Heimkehr gefeiert haben.«
»Sehe ich auch so.«
Er sah sie überrascht an. »Wirklich?«
Torin atmete langsam aus und zwang sich, nicht die Zähne zusammenzubeißen. Sie entnahm der Reaktion des Corporals, dass sie offenbar aussah, als kaue sie auf Glasscherben. »Ja. Das sehe ich genauso. Ich werde noch mal mit ihnen reden, es aber dabei belassen, wenn wir MidSector ohne weitere Zwischenfälle erreichen.«
»Sie haben ihnen bereits eine Heidenangst eingejagt«, meinte der Corporal anerkennend.
»Nun ja, ich würde sagen, ich hätte ihn gern noch viel mehr Angst eingejagt, aber dann hätte ich für die Reinigung der Sitze bezahlen müssen.«
***
Deutlich gefasster rief Torin den Bildschirm mit dem Getränkeangebot auf und bestellte gleich darauf einen Beutel Bier.
Wir fragen nicht, wir zagen nicht.
Ich werde diesen Job für euch erledigen, dachte sie bei sich und trank dabei in Gedanken sarkastisch auf ihre nicht anwesenden Vorgesetzten, aber ich will verdammt sein, wenn ich dabei draufgehe.
***
Als das Shuttle an MidSector andockte, hatte das Entgiftungsmittel, das Torin bei dem Austritt aus dem Susumiraum eingenommen hatte, seine Wirkung entfaltet. Die militärischen und zivilen Passagierinnen und Passagiere hatten zwar den Flug getrennt verbracht, doch die Ausstiegsrampen beider führten in denselben Ankunftsbereich.
In der Menge befanden sich viel weniger Uniformierte, als Torin gewohnt war.
»Entschuldigen Sie.«
Torin hatte die Wahl. Sie konnte stehen bleiben oder einfach über die di’Taykanerin drüber laufen, die vor ihr stand. Torin blieb stehen. Aber die Entscheidung hätte genauso gut anders ausfallen können.
Die di’Taykanerin hatte lindgrünes Haar und ebensolche Augen. Ersteres stand in einer fünfzehn Zentimeter hohen Aureole um ihren Kopf ab, Letztere waren so hell, dass Torin sich fragte, wie sie überhaupt etwas sehen konnte, da ihre Lichtrezeptoren alle geschlossen schienen. Ihre dazu passende Kleidung war außergewöhnlich dezent – trotz der Farben –, und alles in allem erweckte sie einen Eindruck gewollter Unschuld.
Torin kaufte ihr das nicht ab. Wer sich so große Mühe gab, verbarg in der Regel genau das Gegenteil.
»Einer meiner thytrins hätte in diesem Shuttle sein sollen, Sergeant di’Perit Dymone. Ich habe ihn nicht aussteigen sehen, deshalb habe ich mich gefragt, ob er, nun, vielleicht schon wieder seinen Flug verpasst hat.« Die Frage war ihr etwas peinlich, und ihr Haar legte sich leicht an. »Den letzten hatte er auch schon verpasst.« Mit höflich desinteressierter Miene wartete Torin.
»Ich dachte, er ist vielleicht noch an Bord, wenn er ihn diesmal gekriegt hat.«
»Nein.«
»Sind Sie sicher …« Sie senkte den Kopf, und ihre Augen wurden etwas dunkler, während sie Torins Kragenabzeichen musterte. »… Staff Sergeant?«
»Ja.«
»Aber …«
»Ich war die einzige Unteroffizierin in einem Vorgesetztenrang an Bord. Ihr thytrin hat auch diesen Flug verpasst.«
»Oh.« Ihr Haar legte sich noch weiter an, während sie aus dem Weg ging und mit einer langfingrigen Hand an ihrem Dämpfer herumspielte. »Dann entschuldigen Sie, dass ich Sie gestört habe.«
Torin setzte ihren Rucksack auf. »Kein Problem.«
»Äh, Staff Sergeant, möchten Sie …«
»Nein. Danke.« Wenn di’Taykaner eine Frage mit Möchten Sie begannen, war klar, worum es ging. Vielleicht verpasste der thytrin des Mädchens deshalb ständig seinen Flug.
Als Torin den Ausgang erreichte, war sie spät genug dran, um an den Sicherheitsscannern nicht mehr warten zu müssen. Sie fragte sich, warum sich der Niln neben ihr die Mühe machte, mit dem Betriebssystem der Station zu streiten – sinnloser ging es eigentlich gar nicht mehr –, schob ihr Tablet in die dafür vorgesehene Aussparung und wandte sich dem Bildschirm zu.
Unmittelbar bevor der Scan dazu führte, dass sich ihre Pupillen maximal erweiterten, sah sie aus dem Augenwinkel etwas Lindgrünes. Die di’Taykanerin? Als der Scan abgeschlossen war, drehte sie sich um.
Auf der anderen Seite des Vorraums, der sich inzwischen weitgehend von den Passagierinnen und Passagieren des Shuttles und ihren Abholerinnen und Abholern geleert hatte, kauerte die di’Taykanerin und sprach mit einem Katrien. Sie merkten wohl, dass sie beobachtet wurden, hoben den Blick und lächelten. Für einen Allesfresser hatte der Katrien ziemlich viele scharf aussehende Zähne im kleinen Maul, und obgleich Torin aufgrund einer teuren Sonnenbrille wenig von seinem Gesicht sah, sagte ihr sein vertraut wirkender Gesichtsausdruck, dass sie diesen Katrien schon einmal gesehen hatte. Sie konnte sich nur nicht erinnern, wo.
*Sie dürfen die Station betreten. Begeben Sie sich sofort zu Andockbucht SD-31. Ihr Pilot wurde über Ihr Eintreffen informiert.*
Torin bestätigte mit ihrer Zunge den Empfang der Information und trat durch die Luke, ohne weiter über die Identität des Katriens nachzudenken.
Gegenüber dem Ausgang aus dem Vorraum befand sich ein großer Bildschirm mit einer dreidimensionalen Karte der Station. Als Torin sich ihm näherte, blinkte ein roter Punkt auf der Karte auf, und ein langer, roter Pfeil führte zu einem Feld mit den Worten »Sie sind hier.« Torin hätte ihren Alterssold darauf verwertet, dass die Graffiti daneben in einer ihr unbekannten Sprache »Aber Ihr Gepäck ist auf Antares« oder so etwas bedeuteten.
Der Abflugbereich der Shuttles befand sich eine Ebene tiefer. Leider war SD-31 kein Shuttledock. Alle Stationen im mittleren und äußeren Sektor verfügten über je eine Staffel Zweipersonenjäger zu ihrer Verteidigung sowie eine Reihe von Extradocks für den Fall, dass Jäger ohne ihre Schiffe eintrafen. Da noch nie eine Station im mittleren Sektor angegriffen worden war, hatten ihre Staffeln schnell wechselnde Schichten. Es gab für eine funktionierende Zivilgesellschaft wenig Schlimmeres als eine Staffel gelangweilter Vakuumjockeys.
»Andockstation SD-31.«
Die Karte baute sich neu auf. Ein zweiter roter Punkt erschien. Eine grüne Linie verband ihn mit dem ersten.
Okay. Das würde dauern. »Kürzester Weg. Speziesneutral.« Nicht wesentlich kürzer.
Die Stationen im mittleren Sektor existierten schon länger, als die Menschen Teil der Föderation waren und waren mit der Zeit fast organisch gewachsen.
»Wie ein Tumor«, murmelte Torin und begab sich zum nächsten Transitknoten. Stationen im äußeren Sektor waren nach Kriegsbeginn nach militärischen Gesichtspunkten gebaut worden und deutlich effizienter. Sie hoffte, dass ihr Pilot einfach weiter das gemacht hatte, was ein VJ eben tat, wenn er nicht gerade flog oder sich mit Piloten der Marines prügelte, nachdem er von ihrem Eintreffen erfahren hatte, denn so schnell würden sie nicht aufbrechen.
Es überraschte sie nicht, am Knoten feststellen zu müssen, dass sie gerade eine Transportkapsel verpasst hatte. Angesichts des bisherigen Tagesverlaufs wäre sie auch nicht überrascht gewesen, wenn sie hätte feststellen müssen, dass aufgrund ungeplanter Wartungsarbeiten bis auf Weiteres keine Transportkapseln mehr fuhren und sie die rund acht Kilometer quer durch die Station zu Fuß zurücklegen musste.
Wir fragen nicht, wir zagen nicht.
Ein Zitat, das zu so etwas wie ihrem Mantra geworden war.
Bis die nächste Transportkapsel kam, hatte sich der Wartebereich gefüllt. Drei di’Taykaner-Offiziere am anderen Ende – mit rosa, blaugrünem und lavendelfarbenem Haar – boten eine optische Gedächtnisstütze für alle, die sich fragten, warum das Corps auf schwarze Uniformen umgestiegen war, und zwischen ihnen und Torin befanden sich etwa vierzig Zivilisten, darunter vier Angehörige von Spezies, die sie nicht kannte.
Es gab auch eine Reihe Katrien. Sie waren schwer zu zählen, weil sie kleiner waren als viele der anderen Spezies, aber andererseits leicht auszumachen, da sie alle ständig zu reden schienen – manchmal auch mit anderen Katrien, die gleichzeitig quatschten. Ihr Heimatsystem lag in der Nähe des mittleren Sektors, was ihre große Zahl erklärte. Torin sah sich nur selten Sendungen aus dem Kern an, glaubte sich aber an ein Katrien-Nachrichtenformat zu erinnern, das berichtet hatte, ihr Handelskartell habe eine beträchtliche Anzahl von X- wie Y-Achsenrouten übernommen.
Als die Transportkapsel schließlich kam, setzte sich Torin in die Mitte, schob ihr Tablet in eine Datenkonsole und suchte, nachdem sie einen kleinen Aufpreis für eine sichere Verbindung bezahlt hatte, nach »Alien-Schiff antriebslos im Weltraum« und nach »Schiff unbekannter Herkunft«. Nichts. Toll, wenn ich ausnahmsweise mal ein bisschen Unterstützung durch die Medien hätte brauchen können, schafft General Morris es, die Sache unter Verschluss zu halten.
Beeindruckend, vor allem, da die Marines bei ihrem Eintreffen in mehr als einem umkämpften System bereits Medienvertreter vorgefunden hatten.
Am letzten Knoten hatte Torin dann die Transportkapsel für sich, und an der Endstation betrat sie einen leeren Bahnsteig. Vier Katrien hüpften aus der nächsten Transportkapsel, ein weiterer aus der dahinter. Sie hatte zwar nicht besonders auf ihr Fellmuster geachtet, doch die dunkle Sonnenbrille des alleinreisenden Katriens, der sich jetzt eilig den anderen anschloss, kam ihr bekannt vor.
Ich bin in Freundesland, rief sich Torin ins Gedächtnis. Es besteht kein Grund zu der Annahme, dass ich verfolgt werde. Warum sollten nicht zufällig zwei verschiedene Leute dieselbe teure Brille tragen?
Aber sie ging trotzdem quer über den Bahnsteig auf sie zu – Paranoia und Überlebensinstinkt waren bei Leuten, die von Berufs wegen zum Ziel von Schusswaffen wurden, zwei Seiten derselben Medaille. Der Katrien stieß eine Reihe schriller, unverständlicher Geräusche aus, als sie die Gruppe erreichte, und alle fünf wandten sich zu ihr um.
Sie sah den Grund ihrer Beunruhigung finster an. »Kennen wir uns?«
Ein gedrungenes Wesen – Torin wusste zu wenig über die Katrien, um eine Vermutung hinsichtlich seines Geschlechts zu wagen – spreizte Hände, die aussahen wie ein schwarzer Latexhandschuh, der aus den Ärmeln eines Pelzmantels ragte, und antwortete mit einem freundlich klingenden Wortschwall in seiner Sprache.
*Keine Übersetzung verfügbar.*
»Spricht jemand von Ihnen die Föderationssprache?«
Ein zweiter Wortschwall, der noch freundlicher klang als der erste.
*Keine Übersetzung verfügbar.*
Alle fünf lächelten jetzt breit, der Katrien, der ihr möglicherweise gefolgt war, zeigte dabei noch etwas mehr Zähne als die anderen. Torin wusste, dass man aufgrund der eigenen keine Annahmen über andere Spezies treffen sollte, aber auf sie wirkte sein Grinsen selbstgefällig. Wenn sie hier auf der Station lebten, dann sprachen sie die Föderationssprache. Zweifellos nervten sie sie absichtlich. Vielleicht mochten sie grundsätzlich keine Militärs. Viele der Älteren Rassen waren pazifistisch eingestellt – was beinahe zu ihrer Auslöschung geführt hatte, als die Anderen auftauchten, weswegen sie die Menschen, die di’Taykaner und die Krai in die Föderation aufgenommen hatten.
Vielleicht war dieser Katrien derselbe, den sie im Vorraum gesehen hatte. Vielleicht hatte er den anderen gesagt, sie sollten sich vor der Soldatin dumm stellen. Scheiß drauf. Dies war eine freie Station. Sie würde nicht mitspielen.
Allerdings prägte sie sich sein Fellmuster ein. Wenn Sie diesen selbstgefällig lächelnden Katrien je wiedersah, dann würde sie ihn erkennen.
Mit einem Lächeln, das weniger Zähne zeigte, aber sarkastischer war, antwortete sie: »Danke für Ihre Zeit.«
Sie riefen ihr etwas nach, als sie den Bahnsteig verließ. Torin schaltete mit der Zunge ihr Implantat ab, ehe es ihr erneut mitteilen konnte, dass keine Übersetzung zur Verfügung stand. Manche Dinge mussten nicht übersetzt werden.
***
Vor SD-31 lehnte ein Vakuumjockey an dem orangen Metallschott. Torin fragte sich, wie ein so rückgratlos aussehender Pilot der Kriegsflotte überhaupt aufrecht stehen konnte. Als sie näherkam, richtete er sich auf.
»Staff Sergeant Kerr?«
»Jawohl, Sir.«
»Lieutenant Commander Sibley. Ich bin Ihr Chauffeur.« Er legte die Handfläche aufs Schloss und trat beiseite, als sich die Luke öffnete.
Torin spähte in die winzige Umkleidekabine und wandte sich genau rechtzeitig wieder zu dem Piloten um, um zu sehen, wie er einen H’san-Stim in seine Brusttasche schob. Menschen kauten die Stäbchen als leichte Stimulanzien. Sie machten nicht abhängig und waren komplett harmlos, hinterließen allerdings Flecken auf den Zähnen und färbten, wenn man es übertrieb, das Unterhautfett hellorange. Die Stäbchen waren zwar nicht gerne gesehen, aber nicht illegal, und Piloten der Kriegsflotte, die mit hoher Geschwindigkeit dreidimensional agieren mussten, kauten sie oft, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Ihre vorgesetzten Offiziere, die ihre Piloten lieber lebend als tot sehen wollten, drückten üblicherweise ein Auge zu.
Lieutenant Commander Sibley folgte ihrem Blick und grinste. »Ich weiß, Staff, das ist eine schlechte Angewohnheit, die ich mir nicht abzugewöhnen versuche.«
»Das geht mich nichts an, Sir.«
»Wohl war.« Er betrat die Kabine. Torin folgte ihm. »Wir haben eine Fliegerkombi in Einheitsgröße für Sie. Ich gehe davon aus, dass Ihre Bekleidungsfreigaben aktuell sind?«
»Ja, Sir. Ich darf alles tragen, was militärisch genutzt wird.«
Die Anzüge sollten mit Ausnahme des Kragenrings und des Visiers überall locker sitzen, weswegen man gut mit einer Einheitsgröße arbeiten konnte. Der Kontakt mit dem Vakuum löste eine chemische Reaktion aus, durch die der Anzug sich versteifte, woraufhin die Zwischenräume zwischen ihm und der Haut sich mit Isolierschaum füllten, der für dreißig Minuten die Körpertemperatur konstant auf 15° C hielt. Da die Anzüge nur einen Luftvorrat von zwanzig Minuten hatten, mussten Piloten außerhalb der Rettungskapsel ihrer Jäger auf diese Weise nicht befürchten zu erfrieren.
Torin wusste, dass die Vakuumjockeys untereinander die Anzüge als Bojen bezeichneten – Markierungen, damit die Kriegsflotte ihre Leichen leichter finden konnte.
Theoretisch sollten Piloten sich nicht einmal dann außerhalb ihrer Kapseln wiederfinden, wenn ihre Jäger um sie herum zu Klump geschossen wurden. Torins Erfahrung nach hielt diese Theorie der Wirklichkeit nicht stand. Theoretisch erfanden Spezies die Raumfahrt, nachdem sie Kriege hinter sich gelassen hatten, aber das hatte den Anderen offenbar niemand gesagt.
Sie überprüften gegenseitig ihre Versiegelungen und Rucksäcke, dann öffnete Lieutenant Commander Sibley die äußere Tür. Wie erwartet befand sich in SD-31 eine Jade für zwei Personen, von der Torin im Augenblick allerdings nur die Einstiegsluke zur Kapsel sah.
»Sind Sie je in einem dieser Prachtstücke geflogen, Staff Sergeant?«
Torin drehte sich der Magen um, als sie in die Andockbucht hinaustrat und die Schwerkraft plötzlich nachließ. »Nein, Sir.«
Seine haselnussbraunen Augen glitzerten vor Vorfreude, als er ihr zeigte, wo und wie sie ihr Gepäck unterbringen konnte, dann deutete er auf den winzigen hinteren Bereich. »Wir haben hier 0,5 g, Staff, also kommen Sie herein, die Füße etwa so weit auseinander …« Er streckte die weiß behandschuhten Hände aus. »… und setzen Sie sich. Ihr Rucksack passt in die Rückenlehne Ihres Sitzes, und wenn Sie es richtig machen, greifen alle Verankerungen automatisch.«
Aber was ist, wenn ich es falsch mache?, fragte sich Torin, während ihre Füße das Deck berührten und sie sich auf eine unangenehme nachgiebige Oberfläche setzte. Offenbar würde sie das ein andermal herausfinden müssen, denn es legten sich Gurte um ihre Schultern und verschwanden zwischen ihren Beinen im Sitz. Großartig. Wir können Raumfalten erzeugen, aber unsere Sicherheitsgurte sind noch dieselben wie auf dem Traktor meines Vaters. Die Bildschirme links und rechts von ihr blieben dunkel, aber auf dem geschwungenen vor ihr leuchtete ein halbes Dutzend grüner Kontrollleuchten.
»Sie sitzen gut.« Der Pilot zog sich aus ihrem Bereich zurück und ließ sich in seinen eigenen fallen, und zwar beträchtlich schneller, als sie das gemacht hatte. »Wahrscheinlich falten Sie die Hände am besten im Schoß, Staff Sergeant. Ihre Kontrollen sind nicht scharf geschaltet, aber Sie sitzen auf dem Platz meines Schützen, und mir wäre es lieber, wenn wir nicht aus Versehen die Station zu Klump schießen. Das sieht die Flotte nicht gern.«
Ja, das gibt immer großen Ärger, amüsierte sich Torin im Stillen, sagte aber laut: »Ich habe die Hände in den Schoß gelegt, Sir.«
Er war noch nicht richtig angeschnallt, da schloss sich die Kapsel bereits. Gleich darauf fielen sie in den Weltraum hinaus.
Die Schwerelosigkeit drehte ihr erneut den Magen um. Torin schluckte schwer, als die Beschleunigung sie zuerst in die Gurte und dann in den Sitz presste. Lieutenant Commander Sibley hatte über sein Implantat die Starterlaubnis eingeholt, wahrscheinlich, um sich in den Weltraum stürzen zu können, ohne sie vorzuwarnen. Zwei Diagonalbewegungen später flogen sie im Vergleich zur Station auf dem Kopf.
»In etwa anderthalb Stunden werden wir die Berganitan erreichen. Ich hoffe, Sie leiden nicht unter Klaustrophobie.«
Nun, Sir, das hätte ich vermutlich schon vor Jahren herausgefunden, denn da war ich zum ersten Mal zusammen mit ein paar Dutzend schlammbeschmierter Marines im Truppenabteil eines Schlittens eingepfercht, während der Feind versucht hat, uns in die Luft zu jagen. Wenigstens haben Sie Fenster.
Doch sie sagte nur: »Nicht, dass ich wüsste, Sir.«
Einen Augenblick lang fragte sie sich, ob General Morris’ offensichtliche Vorliebe für die Berganitan wohl etwas zu bedeuten hatte. Vielleicht war es das einzige Schiff, mit dem ihn die Admiralität spielen ließ.
Plötzlich sackte die Jade von der Station weg. Nach etwa dreißig Metern drehte sie sich auf den Rücken.
Ich hätte ihm nicht sagen wollen, dass ich noch nie in einer Jade gesessen habe. Sie hatte eigentlich angenommen, ein Lieutenant Commander sei ein bisschen alt für das gute alte »Schauen wir mal, ob wir die Marine zum Kotzen bringen können«-Spiel. Falsch gedacht. Alle VJs waren verrückt, von den jüngsten Ensigns bis zu Wing Admiral di’Si Trin persönlich – das hätte sie eigentlich wissen müssen. Nun, in Anbetracht der zehn Stunden und siebenundvierzig Minuten im Susumiraum war es ein langer Tag gewesen.
Lieutenant Commander Sibley flog noch ein paar letzte Schlenker, dann brachte er die Jade auf Reisegeschwindigkeit. »Wenn Sie sich übergeben müssen, Staff Sergeant, beißen Sie auf den schwarzen Kontakt unten an Ihrem Visier. Dann öffnet sich eine Tüte.« Keine Antwort. Nicht mal Kotzgeräusche.
»Staff?«
Ihre Kontrollleuchten waren grün. Sie war bei Bewusstsein. Puls von sechzig. Atmung langsam und gleichmäßig.
Dann dämmerte es ihm. Während er eine Runde geflogen war, die dazu diente, die Grenzen der menschlichen Physiologie auszuloten, war seine Passagierin eingeschlafen.

Zwei

»Staff Sergeant Kerr?« »Jawohl, Sir.« Der Lieutenant, der außerhalb der Jägerbucht wartete, hatte die hellsten blauen Augen und Haare, die Torin je bei einem di’Taykaner gesehen hatte. Seine Uniform war perfekt gebügelt, seine Stiefel und Knöpfe auf Hochglanz gewienert, selbst sein Dämpfer blinkte und blitzte.
Er wirkte leicht enttäuscht, weil sie in allen Punkten mit ihm mithalten konnte.
»Ich bin Lieutenant Stedrin, General Morris’ Adjutant. Der General möchte Sie sofort sehen.«
Sie war fünfzehn Stunden unterwegs gewesen. Sie wollte duschen – wobei wollte vielleicht nicht das zutreffendste Wort war.
Stedrins Augen verdunkelten sich, als versuche er, ihre Miene genauer zu deuten. Dann trat er zurück und deutete nach rechts. »Zum Anbau für das Corps geht es hier entlang.«
Schweigend machten sie sich auf den Weg, heimlich beobachtet von der Mannschaft der Berganitan. Torin und ein Stabsfeldwebel nickten einander zu, als sie an seinem Arbeitstrupp vorbeikam, doch der Lieutenant hätte sich genauso gut durch ein leeres Schiff bewegen können. Sie fragte sich, ob er wohl kleinere Schritte gemacht hätte, wäre sie nicht groß genug gewesen, um sein Tempo zu halten, und kam nach einem kurzen Blick auf seine angespannten Kiefermuskeln zu dem Schluss, dass die Antwort wohl Nein lautete. Er war ganz bestimmt sehr beliebt bei den Krai.
»Der General hält viel von Ihnen«, verkündete Stedrin plötzlich in einem Tonfall, der nahelegte, dass der General der Einzige war, dem das so ging. »Er sagt, ohne Sie hätten wir die Silsviss wohl kaum als Verbündete gewonnen.« Die Pause war zu kurz für eine Antwort, aber andererseits zu lang, um sie als etwas anderes als eine bewusste Betonung zu werten. »Ich finde allerdings, das haben Sie jetzt ausreichend ausgenutzt. Verstanden, Staff Sergeant Kerr?«
»Jawohl, Sir.« Das erklärte auch, warum er es nicht bei einer Nachricht belassen hatte. Er hatte den langen Weg herunter zu Jägerbucht auf sich genommen, um sie zu warnen – entweder sie benahm sich, oder sie bekam es mit ihm zu tun. Diese überambitionierte Stock-im-Arsch-Attitüde war untypisch für di’Taykaner. Sie hätte gewettet, dass die ungenannte Hälfte seines Namens aus mindestens acht Buchstaben bestand – was bedeutete, dass seine Familie zu einer der unteren Kasten Taykans gehörte –, doch sie bemühte sich, unter der Last seines Blickes ein ausdruckloses Gesicht zu wahren.
»Ich habe den Eindruck, Sie nehmen das hier alles nicht ernst, Staff Sergeant.«
Sie machte einen Schritt nach vorn und überprüfte, dass das Kontrolllicht grün war, dann öffnete sie die Schleuse zwischen dem Marine-Anbau und der eigentlichen Berganitan. »Tut mir leid, Sir.«
»Was genau?«, verlangte er zu wissen und durchschritt die Luftschleuse mit der peniblen Vorsicht eines Mannes, der sehr wenig Zeit im Weltraum zugebracht hatte.
»Dass Sie einen falschen Eindruck gewonnen haben, Lieutenant.« Sie schloss die Schleuse und wandte sich zu ihm um. »Ich nehme grundsätzlich alles ernst, was ich tue. So sorge ich dafür, dass meine Leute am Leben bleiben.« Sie ließ nicht zu, dass er den Blickkontakt sofort unterbrach.
Der Lieutenant, dessen Haare eng am Kopf anlagen, wich einen Schritt zurück, öffnete den Mund und schloss ihn dann wieder. Torin musste ihm zugutehalten, dass er mitbekam, wenn er einen Kampf nicht gewinnen konnte, und wartete geduldig, bis er seine Gefühle wieder unter Kontrolle hatte. Das Abteil des Generals lag keine drei Meter den Gang entlang, und das Letzte, was er wollte, war, dass General Morris ihn fragte, warum er so aufgebracht sei.
Oder sich fragte, wo zum Teufel er gewesen war.
Sekunden bevor Torin das verbalisieren konnte, machte der di’Taykaner auf dem Absatz kehrt und marschierte den Gang entlang, elegant, aber so stocksteif, dass kein Zweifel daran bestand, dass dieses Thema noch nicht erledigt war.
***
»Sie sehen besser aus als bei unserem letzten Zusammentreffen, Staff Sergeant.«
»Danke, Sir.« Dasselbe galt für ihn. Als sie den General das letzte Mal gesehen hatte, hatte er zwei Veilchen gehabt, eine gebrochene Nase und einen schockierten Gesichtsausdruck – und für all das war im Grunde sie verantwortlich gewesen.
Angesichts seiner momentanen Miene dachte er wohl gerade weitgehend dasselbe. »Ja, nun, wir haben hier ein Problem, also lassen wir besser die Vergangenheit hinter uns, einverstanden?«
»Jawohl, Sir.«
Es war eher ein neutrales Geräusch als seine Zustimmung, doch General Morris nahm ihre Worte für bare Münze, lächelte und nickte – was Torin nervös machte. Verdammt, sie hasste lächelnde Generäle.
»Sie fragen sich wahrscheinlich, warum ich Sie von Lieutenant Stedrin habe herbringen lassen.«
Dem war zwar so, doch sie hatte keine Erklärung erwartet. Die Pause dehnte sich so lange, dass Torin den Eindruck bekam, der General wisse es auch nicht so genau. Sie wollte gerade ein weiteres »Jawohl, Sir« von sich geben, damit er weitersprach, als er die breiten Schultern straffte und sagte: »Sie werden auf dieser Mission die befehlshabende Unteroffizierin sein, und da ich Sie dafür persönlich ausgewählt habe, hatte ich das Gefühl, ich sollte Sie dem befehlshabenden Offizier persönlich vorstellen.« Er berührte den Rand seiner Komm-Einheit. »Lieutenant.«
»Sir.« Stedrins Stimme erklang so frisch und munter aus dem Schreibtisch, dass Torin klar wurde, er hatte nur auf den Anruf des Generals gewartet.
»Der Captain soll sich sofort in meinem Büro melden.«
»Jawohl, Sir.«
Generäle stellten Staff Sergeants nicht vor.
Staff Sergeants fragten Generäle nicht, was zum Teufel sie sich bei etwas dachten.
Leider.
General Morris lehnte sich in seinem Stuhl zurück und legte die breiten Fingerspitzen aneinander, um Torin dann darüber hinweg anzusehen. »Wie sehr interessieren Sie sich für Politik, Staff Sergeant?«
»Gar nicht, Sir.«
»Sie tun einfach nur Ihre Pflicht?«
Den Sarkasmus von Zweisternegenerälen ignorierte man am besten.
»Jawohl, Sir.«
Er nickte und fuhr fort: »Wie Sie wissen, ist die Politik Teil meines Jobs. Das Machtgleichgewicht im Parlament ist im Augenblick stark gefährdet. Viele der älteren Spezies haben den Eindruck, die Föderation bemühe sich nicht ausreichend um eine diplomatische Lösung des Konflikts mit den Anderen – trotz der Tatsache, dass das einzige Ergebnis der Diplomatie bisher tote Diplomaten waren. Es ist sehr gut möglich, dass die Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Fraktionen zu einer Handlungsunfähigkeit der Regierung führen könnten, wie wir sie schon ’89 erlebt haben, als die Verteidigungsausgaben stagnierten und die Anderen den Großteil von SD38 eingenommen haben, einschließlich der Heimatwelt der Ba’tan. Es wäre schön«, fuhr er trocken fort, und Torin hatte den Eindruck, dass er ebenso mit sich selbst wie mit ihr sprach, »wenn sich diesmal die Dinge ohne einen so drastischen Tritt in unseren kollektiven Arsch wieder stabilisieren würden. Überraschenderweise machen in letzter Zeit die Krai den meisten Ärger, indem sie die verschiedenen Fraktionen gegeneinander ausspielen, damit das Militär endlich ihre Beschwerden zur Kenntnis nimmt, dass es nicht genügend von ihnen in Führungspositionen gibt. Sie beharren darauf, dass Kraioffiziere bessere Chancen brauchen, an Stellen zu dienen, wo die Beförderungswahrscheinlichkeit höher ist.«
»An der Front, Sir?«
Ihre Frage schien den General aus dem Konzept zu bringen. »Nein, nicht an der Front. Es geht ihnen um bessere Überlebenschancen.«
Wem nicht?
»Sir!«
Torin fragte sich, ob Stedrin wohl strammstand, wenn er den General über das Komm kontaktierte. Es klang jedenfalls so.
»Ja, Lieutenant?«
»Der Captain ist hier, Sir.«
»Schicken Sie ihn rein.« General Morris erhob sich, zog seine Uniformjacke zurecht und kam um den Schreibtisch herum, wobei er Torin einen fast entschuldigenden Blick zuwarf.
Scheiße. Das ist nicht gut. Sie stand gerade nicht stramm, deshalb drehte sie sich um neunzig Grad, als sich die Tür hinter ihr öffnete, um weder dem General noch dem eintretenden Offizier den Rücken zuzudrehen.
Er kam ihr bekannt vor. Das musste nichts heißen, da sich die Krai insgesamt in Hautfarbe und Größe nicht besonders unterschieden und einander außer für Spezies mit hoch ausgeprägtem Geruchssinn alle ziemlich glichen.
»Staff Sergeant Kerr, ich möchte Ihnen Ihren vorgesetzten Offizier auf dieser Mission vorstellen, Captain Travik.« Oh Scheiße.
Captain Traviks Rettung der belagerten Forschungsstation auf Horohn 8, bei der er wagemutig einen Belagerungsring der Anderen durchbrochen hatte, was die Sensoren der Station aufgezeichnet hatten, hatte öffentliches Interesse erregt und ihn berühmt gemacht. Man hatte ihn im gesamten Sektor gefeiert, und jedes Mal, wenn das Corps in irgendeiner beliebten Sendung Erwähnung fand, wurde sein Bild gezeigt, und der ständige Medienrummel hatte noch zu seinem Ruhm beigetragen, was sein Ego proportional hatte mitwachsen lassen.
Die meisten Marines, die unter dem Befehl des Cap­tains auf Horohn 8 gelandet waren, hatten nicht überlebt.
Für die Öffentlichkeit machte ihn dies noch mehr zum Helden.
Für das Corps, vor allem für die, die sich die Aufzeichnung genau angesehen hatten, machte es ihn zu einem waghalsigen Heißsporn, der gut darin war, die Medien zu manipulieren.
Jetzt stand er vor ihr.
Weil die Krai-Regierung mehr Krai in militärischen Führungspositionen wollte.
Torin sah den General an und hatte spontan noch ein paar weitere wenig schmeichelhafte Bezeichnungen für ihn parat.
***
Am frühen Abend Schiffszeit traten sie in den Susumiraum ein, nachdem die beiden letzten Mitglieder des Aufklärungsteams endlich eingetroffen waren. Den Daten aus dem Schreibtisch in Torins kleinem Büro zufolge stammten die zwölf Marines aus Sicherheitsgründen aus ebenso vielen verschiedenen Einheiten. Auf höchster Ebene hatte man entschieden, die Medien von dem Alien-Schiff fernzuhalten, und einzelne Marines, die sich durch den Sektor bewegten, galten als weit weniger auffällig als ein Trupp, der gemeinsam irgendwo ausrückte.
Aus militärischer Perspektive war das ineffizient, aber Torin konnte die Sicherheitsüberlegungen nachvollziehen. Sie hoffte nur, dass sie lange genug im Susumiraum bleiben würden, um ein richtiges Team aus ihren Leuten zu formen. Auch wenn sie alle dieselbe Spezialausbildung genossen hatten, würde es eine Weile dauern, drei verschiedene Spezies und zwölf verschiedene Persönlichkeiten zu einer reibungslos funktionierenden Einheit zu machen.
Allerdings würde es eine Gemeinsamkeit geben, sobald sie wussten, wer das Kommando führte.
Bringen wir es hinter uns.
***
»Staff Sergeant Kerr will uns alle in zehn Minuten sehen«, verkündete Corporal di’Marken Nivry und streckte den Oberkörper durch die Schleuse. »Zieht euch besser was an und kommt hier rüber.«
Die beiden tropfnassen Marines auf der Duschplattform warfen einander einen Blick zu, der bei beiden so identisch aussah, wie es die Physiognomie der Menschen und der Krai erlaubte.
»Morgen früh ist doch eine Einsatzbesprechung«, knurrte Werst und schaltete die Luftdüsen ein. »Kann sie nicht warten bis dahin?«
»Das muss sie nicht«, erinnerte Nivry ihn und verschwand.
Werst hob die muskulösen Arme über den Kopf, drehte sich und sah den Mann neben ihm finster an. »Was ist?«
August Guimond fuhr sich mit den Fingern durch das dichte blonde Haar, das die maximale beim Corps erlaubte Länge hatte, und lächelte breit. »Sie hat mein Gemächt gemustert.«
»Dirsrick anbol sa serrik tanayn.«
»Das ist Krai, nicht wahr?« Guimond schaltete die Luft ab und stieg von der Plattform. »Was bedeutet es?«
»Ungefähr ›Wen kümmert das schon‹.«
***
Torin sah sich in dem Abteil um. Fünf di’Taykaner, fünf Menschen, zwei Krai – eine für das Corps typische Verteilung. Die Ingenieure, Lance Corporal Danny Johnston und Corporal Heer, saßen nebeneinander, die Tablets in der Hand. Die beiden di’Taykaner, die der höchsten Kaste angehörten – die Gefreiten di’Por Huilin und di’Wen Jynett – schienen »Das Anwesen meiner Familie ist größer als das deiner Familie« zu spielen und sahen aus, als hätte sie sie in einem intimen Augenblick gestört. So lernten di’Taykaner einander nun einmal standardmäßig näher kennen, und keine zwei Minuten, nachdem sie wieder weg war, würden alle fünf in ihrem Gemeinschaftsabteil verschwinden. Kurz sah es aus, als habe Gefreiter di’Sarm Frii irgendwelche Zuckungen, doch dann sah sie die Ohrhörer, die das lange ockerfarbene Haar beinahe verbarg – wobei sein Haar sich in einem anderen Rhythmus zu bewegen schien als seine Hände und Füße.
Gefreiter August Guimond, einer der größten Menschen, die Torin je gesehen hatte, fand wohl seinem breiten Lächeln nach zu urteilen etwas oder jemanden ziemlich witzig.
Der Rest wartete mehr oder weniger aufmerksam darauf, dass sie zu sprechen begann. Der andere Krai, demnach der Gefreite Werst, hielt in beiden Händen einen Humpen sah. Krai bekamen das Aufputschmittel nur nach einer Sicherheitsüberprüfung, und angesichts seiner Auswirkungen auf Menschen war Torin froh zu sehen, dass Wersts Miene jedem schweren Schaden androhte, der versuchte, es ihm wegzunehmen.
Sie holte tief Luft, bemerkte, dass die Aufmerksamkeit ringsum wuchs, wartete, bis ein grobschlächtiger Blonder – Lance Corporal Lesli Dursinski – Frii genervt einen Ellbogenstoß verpasst hatte und begann. »Ich bin Staff Sergeant Kerr, Ihre befehlshabende Unteroffizierin auf dieser Mission. Wie Sie hat man mich von meinem Team, meinen Freunden und meinem Job weggeholt, und wie Sie weiß ich, dass das vollkommen bedeutungslos ist. Das Corps ruft – wir springen. Das ist Ihr neues Team …« Eine weit ausholende Geste ihrer Rechten. »… das sind Ihre neuen Freunde …« Gefolgt von einer ebenso weit ausholenden Geste ihrer Linken. »Mir ist egal, ob Sie einander mögen, aber Sie werden die Fähigkeiten der jeweils anderen respektieren und als Marines zusammenarbeiten. Wenn Ihnen das einmal Probleme bereitet, denken Sie daran, dass wir zu sechzehnt und dass da draußen über zweitausend Angehörige der Flotte sind.« Sie hob die linke Augenbraue und fuhr noch trockener fort: »Damit will ich keine Rivalität schüren, ich sage lediglich, dass sechzehn gut zusammenarbeitende Marines mit zweitausend Angehörigen der Flotte kein Problem haben sollten.«
»Immer her mit ihnen, Staff!« Die Gefreite di’Benti Orla war aufgesprungen. »Zweitausend Angehörige der Flotte schaffe ich vor dem Frühstück!«
Einer der Menschen, Corporal Harrop, lachte. »Ja, das habe ich auch schon gehört.«
Orla zeigt ihm den Mittelfinger, eine menschliche Geste, die die di’Taykaner begeistert übernommen hatten. »Leck mich!«
»Nach dem Frühstück.«
»Abgemacht.«
Als Harrop sie daraufhin verblüfft ansah, grinste Torin und schüttelte den Kopf. »Haben Sie schon einmal zusammen mit di’Taykanern gedient, Corporal?«
»Klar, Staff. Mit Hunderten.«
»Dann hören Sie auf, so verdammt überrascht zu schauen. Im Moment«, fuhr sie fort, denn nun hatte sie wieder die Aufmerksamkeit des gesamten Raums, »weiß ich über diese Mission nur wenig mehr als Sie. Wir werden als Erste ein Alien-Raumschiff betreten, das ein ziviler Bergungsbetrieb im Weltraum treibend gefunden hat. Morgen früh um 0900 findet drüben in der Berganitan die Einsatzbesprechung statt. General Morris möchte, dass wir alle daran teilnehmen.« Torin wartete die üblichen Beschwerden ab, aber nicht so lange, dass sie sich hochschaukeln konnten. »Ob er damit die zivilen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die ebenfalls daran teilnehmen werden, beruhigen oder einschüchtern möchte, weiß ich derzeit nicht.«
Lance Corporal Ken Tsui lachte – in jedem Team gab es immer einen, der ihre Witze verstand –, und mehrere Marines lächelten.
»Bei der Einsatzbesprechung«, fuhr Torin fort, »werden wir auch unseren befehlshabenden Offizier, Captain Travik, kennenlernen.«
Johnstons Tablet knirschte, als er die Faust darum ballte. Sekunden später begannen elf der zwölf gleichzeitig zu sprechen.
»… serley Arschloch könnte nicht mal in einem nassen …«
»… hatte auf Horohn einen thytrin dabei …«
»… Teil dieses Scheiß-Medienzirkus …«
»… Drecksack versucht, bei mir diese Heldenscheiße abzuziehen …«
»… General Morris versucht, uns loszuwerden, verdammt …«
Torin verschränkte die Arme und sah quer durch den Raum Wersts in die Augen. Er nahm einen großen Schluck sah, doch sein Gesichtsausdruck blieb unverändert. Der Reihe nach bemerkten die anderen Marines ihre Haltung, und ihre Proteste verstummten.
»Schön, nachdem Sie das jetzt alles losgeworden sind«, sagte sie in die neuerliche Stille hinein, »sollten wir ein paar Dinge klarstellen. Erstens: General Morris versucht nicht, uns loszuwerden. Die Krai im Parlament wollen mehr hochrangige Offiziere, und Captain Travik war eine politische Entscheidung. Wenn der General kein neues ’89 erleben wollte, waren ihm die Hände gebunden.«
»Fick doch die Politiker«, murmelte jemand.
Torin schnaubte. »Danke, aber nein danke. Zweitens: Dies ist kein Medienzirkus. Bis wir genau wissen, womit wir es zu tun haben, gilt Sicherheitsstufe vier, und wir operieren unter Ausschluss der Medien – weswegen auch kein bestehendes Team eingesetzt wurde. Die Medien beobachten Truppenbewegungen, aber nicht einzelne Marines.«
»Staff?«
»Ja, Dursinski?«
»Warum unter Ausschluss der Medien?« Eine tiefe, senkrechte Sorgenfalte teilte die Stirn der Lance Corporal. »Gibt es etwas an diesem Schiff, das man uns nicht sagt?«
»Wahrscheinlich. Aber ich bin sicher, wenn Sie ein bisschen darüber nachdenken, fallen Ihnen allen zahllose Gründe ein, warum der Führungsstab den Zivilisten die Entdeckung dieses Schiffs vorenthalten möchte, bis wir wissen, worum es sich handelt.«
»Nun, wenn es ein Schiff der Anderen ist, könnte Lebensgefahr für potenzielle Medienvertreter bestehen.«
»Ich weiß Ihren Enthusiasmus zwar zu schätzen, Private Guimond, aber ich wollte die Gründe, die Sie sich vorstellen können, nicht hören.«
Mit schiefgelegtem Kopf wiederholte er lautlos ihre Worte, wobei sich seine Lippen bewegten. »Oh.« Sein Lächeln wurde leicht verschämt. »Sorry, Staff.«
»Schon gut. Drittens …« Sie ließ ihren ausdrucks- und emotionslosen Blick durch den Raum schweifen. »… Captain Travik ist Offizier des Marine Corps, und Sie werden seinen Befehlen, die ich an Sie weitergeben werde, gehorchen. Was Sie persönlich von ihm halten, ist irrelevant. Ist das klar?«
Im Chor riefen sie: »Jawohl, Staff.« Einige nickten. Werst trank noch einen Schluck.
»Gut. Treffen auf dem Gang um 0830. Bis dann.« Mit einer Hand an der Schleuse hielt sie inne und wandte sich noch einmal um. »Gefreite Orla.«
»Staff?« Die junge di’Taykaner schien überrascht, dass Torin sie ansprach.
»Das mit Ihrem thytrin tut mir leid. Falls Ihnen das hilft, ich gehe davon aus, dass Sie nur wenig Kontakt mit dem Captain haben werden.« Als Orla nickte, verließ Torin das Abteil und schloss die Schleuse hinter sich.
»Sie haben es ihnen gesagt?«
Torin wirbelte herum und konnte sich mit Mühe die Frage an Lieutenant Stedrin verkneifen, was er vor den Abteilen der Chargen zu suchen hatte. »Jawohl, Sir. Habe ich.«
»Warum?« Die Frage klang ebenso neugierig wie kritisch.
»Wenn sie morgen auf der Einsatzbesprechung herausgefunden hätten, dass wir von Captain Travik kommandiert werden, hätte das ihre gesamte Aufmerksamkeit beansprucht. Jetzt wissen sie es schon, können sich damit abfinden und werden sich morgen auf Informationen konzentrieren können, die für sie möglicherweise überlebensnotwendig sein werden.«
»Ich bezweifle, dass die Einsatzbesprechung so gefährlich sein wird, Staff Sergeant. Gute Nacht.«
»Gute Nacht, Sir.« Torin sah dem Lieutenant nach, bis er um die Ecke gebogen war und versuchte zu entscheiden, ob er den trockensten Humor im gesamten Sektor oder das schlechteste Taktikverständnis im gesamten Corps hatte.
***
»Du warst so schweigsam, Werst«, bemerkte Guimond, als die Horrorgeschichten und Klagen langsam versiegten. »Was denkst du darüber, unter Captain Travik zu dienen?«
»Warum willst du das wissen?«
»Ich wollte nur …«
»Glaubst du, ich würde ihn in Schutz nehmen, weil ich auch Krai bin?«
»Nein, ich …«
»Ich halte ihn im besten Fall für einen Selbstdarsteller und im schlimmsten für einen Mörder, in jedem Fall jedoch für ein Arschloch – aber wir werden mit ihm nichts zu tun haben.« Werst schaute finster in die Tiefen seines sah. »Unsere Ansprechpartnerin wird Staff Sergeant Kerr sein. Sie muss sich mit ihm herumschlagen.«
»Okay.« Guimond grinste. »Wie findest du sie?«
Werst zuckte die Achseln. »Chrick.«
»Was findest du denn nicht essbar?«, wollte Ken Tsui wissen und nahm sich noch ein Bier. »Sie ist keine Aufklärungsspezialistin.«
»Früher schon. Sie hat bei der Fünften Re’carta angefangen, Erstes Bataillon, Aufklärung. Ein halbes Dutzend Einsätze, dann verwundet, Beförderung zum Corporal, Versetzung. Was denn?«, fragte Nivry in den Raum hinein. »Ich habe mich über sie schlau gemacht.« Nivry hielt ihr Tablet hoch. »Das steht alles in der Datenbank im Anbau. Ich wette, sie hat alles über uns runtergeladen.« Niemand hielt dagegen.
»Ich habe gehört, der General habe sie persönlich ausgewählt«, bemerkte Johnston und kratzte seinen Bartschatten.
»Im Gegensatz zu uns, die wir zufällig ausgewählt wurden?«, schnaubte Nivry. »Die konnten dieses Team im gesamten Sektor zusammenstellen, da werden sie schon die besten ausgesucht haben.«
»Halten Sie sich etwa für einen Beweis dafür?«
»Aber sicher. Sieht das irgendjemand hier anders?« Sie machte eine Kunstpause und bekam tatsächlich eine Antwort.
»Er jedenfalls nicht.« Jynett verpasste dem di’Taykaner neben ihr einen Rippenstoß.
»Schleimerin«, grunzte Huilin und rieb an dem feuchten Bierfleck auf seinem Hemd.
»Faulpelz.«
»Bitte reißen Sie sich …«
»Entspannen Sie sich, Corporal, wir haben unseren FU1-Kurs gemeinsam absolviert. Die da …« Huilin prostete Jynett in einer übertriebenen Geste mit den Resten seines Bieres zu. »… war Kursbeste.«
Jynett stieß mit ihm an. »Was bedeutet, der arme Huilin musste sich mit dem zweitbesten Ergebnis zufriedengeben.«
»Das war Beschiss.«
Nivrys’ Augen leuchteten auf. »Das beweist doch, dass ich recht habe. Man hat uns ausgewählt, weil wir die besten sind. Staff Sergeant Kerr hat man wahrscheinlich ausgewählt, weil sie selbst mit Captain Travik als Handicap klarkommt.«
Auf der anderen Seite des Raumes sagte Corporal Harrop in einer der verbleibenden Menschensprachen etwas, das deutlich unhöflich klang. Alle sahen ihn an, und er übersetzte achselzuckend: »So gut ist niemand.«
Werst trank sein sah aus, erhob sich und warf den Becher in den Wiederaufbereiter. »Wäre aber besser, wenn sie es wäre.«
***
Craig Ryder hatte ein Full House, Könige und Dreier, als sein Schiff, das in einer der Shuttlebuchten der Berganitan lag, ihn informierte, dass es 0600 Uhr war. Er bestätigte per Zunge, dann hob er den Blick und schenkte seinen Mitspielern sein zweitschönstes Lächeln, das er als Ablenkung einzusetzen pflegte – aktuell von der schönen Tatsache, dass er jedem am Tisch mindestens einen Monatssold abgeknöpft hatte. »Tut mir leid, aber das ist die letzte Runde, Leute. Die Pflicht ruft.«
»Die Pflicht?« Eine der beiden das Spiel nur noch beobachtenden di’Taykaner, der schon lange ausgestiegen war, starrte ihn unter seinem wuchernden lavendelfarbenen Haarkranz hervor an. »Sie?«
»Zufällig muss ich in weniger als zwei Stunden an einer Einsatzbesprechung teilnehmen – ihr wisst ja, wie das ist –, und da möchte ich einen guten Eindruck machen.«
»Auf wen?«
»Natürlich auf die Person, bei der es mir am meisten bringt.«
»Nun, zufällig«, wiederholte Lieutenant Commander Sibley und klopfte mit seinen Karten auf die Tischkante, »bist du an der Reihe.«
Ryder lächelte jetzt direkt den Vakuumjockey an, und seine Miene bekam etwas Raubtierhaftes. »Richtig. Ich gehe mit deinen hundert mit und erhöhe um …« Ohne seinen Gegner aus den Augen zu lassen, nahm er einen Stapel Chips und warf sie in die Tischmitte. »… dreihundert.«
Die Krai zwischen ihnen warf einen Blick auf die Karten in ihrem rechten Fuß, nahm einen tiefen Schluck aus einem Bierbeutel und schüttelte den Kopf. »Ich bin raus.«
»Bleiben noch wir beide, Sibley.«
»Das könnte dir so passen«, murmelte der und starrte stirnrunzelnd auf sein Blatt.
Der zweite di’Taykaner machte einen Vorschlag.
Die beiden Menschen ignorierten ihn.
»Nun?«
»Warum nicht.« Sibley hob grinsend den Blick und schob seine letzten Chips in die Tischmitte. »Ich will sehen. Was hast du?« Ryder deckte seine Karten auf.
Sibley verging das Grinsen zwar nicht, doch es verrutschte leicht. »Das war’s dann wohl«, seufzte er und warf zwei Buben, zwei Zehner und eine Sieben ab.
Die Krai, die die ganze Nacht vorsichtig gespielt hatte, hatte noch ein paar Chips. Den Rest verstaute Ryder in seiner Gürteltasche. »Es ist immer schön, Geschäfte mit der Flotte zu machen.« Er hob sein Bier, um seinen Mitspielern mit großer Geste zuzuprosten, trank es aus und warf den leeren Beutel auf den Tisch. »Ich hoffe, es macht euch nichts aus, wenn ihr das Aufräumen übernehmt …« Es war beinahe eine Frage.
Doch ehe jemand antworten konnte, war er verschwunden.
Die Chips wogen angenehm schwer an seiner Hüfte, als er sich zu Shuttlebucht vier zurückbegab – nichts war besser, als die im Susumiraum vertane Zeit mit etwas Glück im Spiel auszugleichen. Später würde er runter zu QSM gehen und seinen Gewinn einlösen, aber im Augenblick musste er sein Schiff erreichen, ehe jemand in Flottengrau seinen Passierschein überprüfte und feststellte, dass seine Sicherheitsfreigabe diesen Teil der Berganitan nicht abdeckte.
Sie – die Analfixierten in Uniform, die den Laden hier schmissen – hatten ihn nicht dabeihaben wollen. Ihr Pech. Er allein wusste, wo es hinging, und er hatte nicht vor, diese Information einfach so preiszugeben. Seine Bewegungsfreiheit außerhalb der Shuttlebucht einzuschränken, solange er unbegleitet war, war eine kleinliche Rachemaßnahme ihrerseits gewesen. Die Sergeant-at-Arms hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass sie ihm einen Kontrollchip einsetzen würden, wenn sie ihn irgendwo antrafen, wo er nicht hingehörte.
Dennoch zog er es vor, auf fremdem Terrain zu spielen – es machte die Gegner unvorsichtig und sorgte dafür, dass er nicht für irgendwelche Schäden aufkommen musste, wenn ein Spiel aus dem Ruder lief. Was bei kleinen Spielchen unter Freunden nicht selten vorkam.
Ein paar Techniker der Frühschicht hoben die Köpfe von einer offenen Abdeckplatte, als er vorbeikam, doch er erreichte die Promise, ohne unerwünschte Aufmerksamkeit zu erregen. Er hatte das großzügige Angebot, ihm Zugang zu den Systemen der Berganitan zu geben, abgelehnt – und weil er schon immer vorsichtig gewesen war, hatte er sein Implantat und sein Schiff extrem gut gesichert. Nachdem er wieder an Bord war, ergab eine schnelle Überprüfung, dass die Sicherheitsprotokolle bei beiden intakt waren. Offiziell hatte er die ganze Nacht tief geschlafen.
»Wäre das nicht Zeitverschwendung gewesen?« Er warf die Gürteltasche auf sein Feldbett und zog sich aus, um duschen zu gehen.