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Inkompetente Mörder, idealistische Idioten und wahnsinnige Bäcker - aber warum ist dann diese Katze auf dem Cover? "Die Komtess von Haberlund" beinhaltet vier Kurzgeschichten voller schwarzem Humor, die lose mit der Handlung der "Diener"-Serie verbunden sind und als Einzelband gelesen werden können. Zwischen all den widerwilligen Reisegefährten und moralisch verkommenen Figuren finden sich Anspielungen auf verschiedenste Märchen und Volkssagen - aber ob hier wirklich jemand glücklich bis zum Ende seiner Tage lebt, muss der Leser dann schon selbst herausfinden.
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Seitenzahl: 232
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Die Komtess von Haberlund
Und weitere Geschichten
Copyright ©2021 Klaus Viedenz, Zur Silberkuhle 19, 57489 Drolshagen
Dieses Buch und sein Inhalt dürfen ohne die ausdrückliche Genehmigung des Autors weder reproduziert oder in irgendeiner anderen Art und Weise verwendet werden, es sei denn zur Verwendung kurzer Zitate für Buchkritiken.
Dies ist ein fiktionales Werk. Namen, Charaktere, Orte und Handlungen sind frei erfunden, jedwede Ähnlichkeit mit realen Personen ist reiner Zufall.
Autor: Klaus Viedenz
Umschlaggestaltung: Klaus Viedenz
Cover Art: ©Herryfaizal (Shutterstock)
Herstellung: epubli GmbH
Inhalt
Die Komtess von Haberlund
Die Bäckersleute
Die Postkutsche
Mord auf Burg Nordsicht
Die Komtess von Haberlund
Leser, ich habe sie ermordet.
Es war ein stiller Mord, sie und ich allein waren anwesend und es war sauber, aber chaotisch. Denn obwohl sie eine sehr religiöse Person war, war Elaine Ettler, Gräfin von Haberlund, anscheinend überhaupt nicht bereit, diesen Ort der Trauer und Sünde zu verlassen, um sich ihrem Gott anzuschließen. Stattdessen fing das verrückte Miststück an zu kämpfen.
Im Ernst, warum müssen sie immer kämpfen? Ethische Fragen mal beiseite, es ist sehr einfach, ein Attentäter zu sein. Ein erfolgreicher Attentäter zu sein ist eine ganz andere Sache und ein erfolgreicher Attentäter zu sein, der über eine lange Zeit hinweg nicht erwischt wird, ist wirklich schwer. Dieses Freiberuflerleben ist eine ziemlich herausfordernde Aufgabe. Ich bin schon lange genug im Geschäft und habe bestimmte Regeln entwickelt, die mir sehr helfen, meinen gewählten Karriereweg auf befriedigende Weise zu verfolgen –
Regel Eins: Erwisch dein Ziel immer allein.
Regel 2: Mach es schnell.
Regel 3: Hinterlass kein Durcheinander.
Und sehr unerwartet erwies sich die religiöse und aufrichtige, edle Komtess von Haberlund als ziemlich motiviert, die Einhaltung der beiden letztgenannten Regeln zu gefährden, weil sie mir eine Hölle von einem Kampfes lieferte. Ich habe sie sauber erwischt, nachdem sie gerade die kleine Teegesellschaft nebenan verlassen hatte, um frische Luft auf dem Balkon zu schnappen, aber obwohl ich den Schal ganz schön eng um ihren Hals bekam, erwies sich der Abschluss der Arbeit aus verschiedenen Gründen als sehr großes Hindernis.
Diese Gründe waren, nach ihrer Bedeutung sortiert:
Erstens war dies nicht die einzige Teegesellschaft, die die Komtess in dieser Woche gegeben hatte. In der Tat gab sie jeden Tag eine, und sie verbrachte die meisten von ihnen mit dem Essen ungesunder Mengen von Keksen, während sie dem lokalen Klatsch zuhörte. Dies hatte zu dem geführt, was man als schweres Übergewicht bezeichnen könnte, und dieses Gewicht bedeutete, dass die feiste Komtess zu schwer war, um sie von ihren Füßen zu heben, was es ziemlich anstrengend machte, sie zu erdrosseln.
Zweitens hatte die Komtess durch Zufall oder durch überraschende Geistesgegenwart irgendwie eine ihrer Hände zwischen Hals und Schal bekommen, was die Dinge noch komplizierter machte, weil sie den Mord völlig unnötig verlängerte.
Und drittens hatte sie sehr lange, scharfe Fingernägel an ihrer freien rechten Hand. Sie benutzte diese Hand und diese Fingernägel, um es mir wirklich unheimlich schwer zu machen. Sie griff nach der Vase auf dem Balkon, um jemanden auf unseren netten kleinen Plausch hier draußen zu aufmerksam zu machen, dann kratzte sie mich an meiner linken Wange und zog danach am Schal. Kräftig. Kräftiger als so eine alte, zerbrechliche, feiste Dame hätte es sein sollen.
Inzwischen war ich ernsthaft versucht, den Schal mit einer Hand loszulassen, um zu meinem Messer zu gelangen und hieraus eine ziemliche Sauerei zu machen. Aber der Kunde wollte, dass es sauber war, und Löcher in die Seite der Komtess zu bohren, wäre sehr, sehr schmutzig gewesen. Also musste ich warten. Sehr ungeduldig natürlich, weil nebenan noch diese Teegesellschaft stattfand, all die freundlichen alten Damen aus Trionas oberen Kreisen, die darüber sprachen, wer das Medaillon der Komtess gestohlen hatte, wer den Kaiser ermordet hatte, und die neueste Mode. Madame Joyner schien zu denken, dass es die Drakensteyns gewesen waren. Das war mir total egal – es war nicht ich gewesen, wohlgemerkt, und die offizielle Version war immer noch, dass der alte Gabriel der Vierte friedlich verstorben war. Was mich interessierte, waren die Wächter dieser plaudernden alten Damen. Es waren drei von ihnen in diesem Raum, und drei Wachen waren genau drei zu viel. Also zog ich immer wieder so hart wie möglich am Schal, um die Komtess auch friedlich versterben zu lassen, bis sie endlich aufhörte zu kämpfen, einen lauten Furz von sich gab und still lag. Ich wartete noch zwei lange Sekunden, bevor ich unter ihr hervorkroch, fühlte nach ihrem Puls – nicht existent –, ordnete den Schal hübsch an und kletterte von diesem Balkon zum nächsten und durch das Fenster. Ich schlüpfte in meine Schuhe, ordnete meine Kleidung, überprüfte, ob die Fingernägel der Gräfin Kratzer auf meinem Gesicht hinterlassen hatten, und schloss mich wieder der Teegesellschaft an.
„Ach, da seid Ihr, Madame Vallond“, sagte Madame Joyner. "Was denkt Ihr über diese Drakensteyns?"
„Der Jüngste ist extrem stattlich“, sagte ich und setzte mich neben sie. „Und immer noch nicht verheiratet! Ich habe ihn beim Turnier im letzten Sommer gesehen, er war sehr elegant.“
„Ihr spielt nicht in Irgold Drakensteyns Liga“, sagte Madame Duvallier hochmütig, als ob das gesagt werden müsste. Oh Leser, wie gern ich sie erwürgt hätte. Aber meine Talente gibt es zu einem Preis, einem sehr hohen Preis, und bis jetzt hatte mich niemand gebeten, Madame Duvalliers Zunge oder Kopf zu entfernen. Schade.
„Ich habe gehört, dass er eine von Königstreus Mädchen heiraten wird“, fuhr Madame Duvallier fort und nahm einen weiteren ausgezeichneten Schluck Wein. „Ich kann nicht glauben, dass so etwas geschehen sollte. Allein der Gedanke! Die Drakensteyns, eine der prominentesten und ältesten Linien des Imperiums, sollen sich mit diesen Emporkömmlingen verbinden? Pah!“
Es war eine ziemlich frech von ihr, der Frau eines kleinen Ritters, der nicht viel mehr als einen alten Namen besaß, die Schwarze Herzogin von Balyrien einen Emporkömmling zu nennen, aber ich empfand nicht den Drang, darauf hinzuweisen. Stattdessen nickte ich höflich und nahm einen dieser schönen Kekse, die die liebe Komtess so genossen hatte. Eigentlich waren sie wirklich gut. Vielleicht hätte ich sie fragen sollen, wo sie sie herbekommen hat, bevor ich sie erdrosselte. Nun, das konnte ich jetzt nicht mehr ändern, also machte ich mich in meiner Ecke klein und unwichtig und plauderte nett mit Madame Joyner über mögliche Ehemänner, die mein Bruder vielleicht endlich für mich findet – wenn er jemals wirklich mit einem Namen ankommt, wird dieser Kerl plötzlich an einem plötzlichen Fall von Pech und Messer im Rücken sterben.
„Die Grünfelds sind eine beeindruckende Familie“, sagte ich gerade, als Madame Duvallier anfing sich zu fragen, was unsere Gastgeberin so lange aufhielt.
„Bailey, bitte sehen Sie nach der Komtess“, sagte sie zu ihrem Wachmann. „Draußen ist es ziemlich frostig, sie wird sich eine Erkältung einfangen, wenn sie so lange auf dem Balkon bleibt. Ich möchte die Geschichte mit diesem Medaillon noch einmal hören.“
„Natürlich, Madame“, sagte ihr knurriger, nutzloser Wächter und ging auf den Balkon.
„Aber der jüngste Grünfeld scheint ziemlich dumm zu sein“, sagte ich zu Madame Joyner. „Er macht optisch schon ziemlich was her, aber - “
„Verfickte Scheiße!“
„Bailey!“, donnerte Madame Duvallier empört. „Was fällt Ihnen ein?!”
„Sie ist tot!“, rief er und rannte zurück in den Raum, Schwert in der Hand. „Beschützt die Damen, Männer!“
„Was ist los, Sir?“, fragte Madame Joyner, die beim Anblick von Baileys Schwert fast ohnmächtig geworden wäre.
„Die Komtess wurde massakriert!“, sagte der Wachmann. „Jemand muss die Stadtwache benachrichtigen!“
Massakriert? Ich habe niemanden massakriert! Okay, es hat ziemlich lange gedauert, aber es war nichts Schmutziges daran – in der Tat war ich überrascht, dass Bailey sofort erkannt hatte, dass dies ein Mord war. Schließlich hatte ich den Schal der Komtess fein säuberlich wieder um ihren Hals gelockert. Nun, anscheinend war der Wächter nicht so dumm, wie ich gedacht hatte. Erste Eindrücke können falsch sein, schau dir nur mich an.
„Massakriert?“, fragte Madame Duvallier und klang dabei mehr fasziniert als entsetzt. „Wovon sprechen Sie? Unmöglich! Wir waren die ganze Zeit hier!“
Sie stand auf, ging auf den Balkon, Bailey ignorierend, der immer wieder murmelte, dass eine Dame solche Dinge nicht sehen sollte, und öffnete die Tür wieder. Dann gab sie einen schrillen Schrei von sich und drehte sich um.
„Bailey, wir gehen!“, rief sie. „Welches Monster das hier auch getan hat, es könnte immer noch da sein!“
„Natürlich, Madame!“, sagte Bailey und geleitete seine Herrin aus dem Zimmer, gefolgt von vielen anderen lieben Freundinnen der Komtess. Madame Joyner saß wie gelähmt in ihrem Stuhl und alle anderen schrien entweder nach der Wache oder gingen, also nutzte ich die Gelegenheit, auch zu gehen. Massaker, am Arsch, dachte ich, während ich die saubere, schicke Eingangshalle der Komtess durchquerte und meinen Mantel überzog. Ich habe keinen Kratzer an ihr hinterlassen. Jeder tut so, als müssten sie die Stücke von ihr einzeln in verschiedenen Teilen der Stadt für die Beerdigung aufsammeln. Der Kunde hatte ausdrücklich etwas Unscheinbares bestellt. Beunruhigend und mysteriös, denn es gab eine Party nebenan, aber nichts Schmutziges. Ich hatte nichts getan, was das Wort Massaker rechtfertigen würde –
Wie alle anderen gefror ich zur Salzsäule, als ich aus der Haustür kam. Der Balkon war über dem Eingang, drei Stockwerke über dem Boden, wo mich niemand hätte arbeiten sehen können, und der Balkon hatte eine eiserne Brüstung... und von dieser Brüstung hing Elaine Ettler, Komtess von Haberlund. Um ihren Hals nicht ihren Schal, sondern ein langes, weißes Seil. Kein Seil, merkte ich nach einem Moment. Es ist ihr verdammtes Haar. Jemand hat ihre Leiche an ihren eigenen verdammten Haaren aufgehängt. Als sie schon tot war. Jemand hat meine Arbeit versaut. Nun, zumindest muss meine Reaktion der völligen Überraschung allen bewiesen haben, dass ich überhaupt keine Ahnung von dem hatte, was auf diesem Balkon passiert war. Wie alle anderen verbrachte ich viel Zeit damit, auf die schwingende Leiche der Komtess zu starren, und dann ging ich.
Während ich zurück in Richtung Gasthof ging, tat ich mein Bestes, um alle Anhänger der Kurfürsten zu ignorieren, die sich gegenseitig auf der Straße beleidigten. Die meisten dieser Argumente endeten in gewalttätigen Kämpfen, und die Wache war vollzählig unterwegs, um sicherzustellen, dass zumindest niemand getötet wurde. Nur wegen der dummen Wahl, dachte ich. Gott sei Dank können wir nicht abstimmen, dann wäre es noch schlimmer. Lasst die Bauern sich gegenseitig über ihren neuen Kaiser schlagen, es wird nichts ändern. Die Herzöge haben die Stimmen und niemand sonst, nicht der eingebildete Ehemann von Madame Duvallier oder einer dieser schreienden Idioten auf der Straße.
Ich tat mein Bestes, um alles zu ignorieren und mich immer noch auf meine Umgebung zu konzentrieren, schließlich war ich eine junge, nicht unattraktive Frau allein auf den Straßen nach Einbruch der Dunkelheit, und obwohl ich mich durch die besseren Teile von Triona bewegte, hätten einige dieser Männer vielleicht das Gefühl gehabt, dass ich in Not war und Gesellschaft brauchte. Aber während ich mich nicht viel darum kümmerte - denn, seien wir mal ehrlich, keiner dieser Nichtsnutze würde noch zwei Sekunden überleben, wenn er mich anfasste - war ich immer noch sehr gepisst und extrem nervös. Denn wer auch immer es für eine gute Idee gehalten hatte, die Leiche der Komtess aufzuhängen, muss gesehen haben, wie ich sie ermordete. Er muss direkt hinter mir auf diesem Balkon gewesen sein, und er muss die verdammte Madame Joyner meinen Namen haben sagen hören. Fick dich, Joyner.
Außerdem bestand die große Wahrscheinlichkeit, dass Herr Unbekannter Mörder mir gerade folgte und darauf wartete, dass ich allein war, spitzes Messer bereit. Und die Sache war, ich wusste verdammt gut, wer dieser Herr Mörder sein musste, denn es gab nur eine Sache an der schwingenden Komtess, die anders war als bei unserer intimen letzten Begegnung: die schwingende Leiche trug schwarze Stiefel. Und es gibt nur einen verdammten Verrückten im ganzen Kaiserreich, der sich immer die Zeit nimmt, dieses offensichtliche Markenzeichen an den Füßen seiner Opfer zu hinterlassen. Der verdammte Gestiefelte Kater. Der teuerste, brutalste, berühmteste Profi, ein Mann, der immer den Job erledigt, ein Mann, der dafür bekannt ist, Konkurrenz zu hassen. Ich wäre nicht der erste Kollege von ihm gewesen, der mit schwarzen Stiefeln an den Füßen und einer breiten Lücke im Hals im Fluss schwimmt. Also tat ich das Einzige, was möglich war, um ihn abzuschütteln: Ich ging in eine ganz andere Richtung, überquerte den Fluss nicht auf einer der Brücken, sondern allein auf einer Fähre für einen unerhörten Preis, und dann rutschte ich aus meinen Schuhen, nahm sie in die Hand und lief davon, so schnell ich in diesem verdammten Kleid laufen konnte.
„Wohin so eilig, Süße?!“, rief mir ein Betrunkener hinterher, aber ich ignorierte ihn, verließ die Hauptstraße und rannte geradeaus zu dem Gasthof, in dem ich meinen Abend begonnen hatte. Ich zog meine Schuhe wieder an, warf meine Kapuze über und durchquerte die Gaststube. Wie alle anderen Tavernen an diesem Abend war sie voll von betrunkenen Männern, die ihren Abend damit verbrachten, über die Wahl zu diskutieren und entweder den Prinzen und Drakensteyn zu loben oder zu beleidigen. Sie waren so beschäftigt, einander anzuschreien, dass ich es unbemerkt zur Treppe schaffte. Ich ging so schnell wie möglich hinauf in diesen verdammten Schuhen, zog den Schlüssel heraus, entriegelte die Tür und verriegelte sie hinter mir wieder.
Drinnen lag Madame Vallond noch gefesselt und geknebelt auf dem Bett.
Die Bäckersleute
Die Wälder und Sümpfe in dem Dreieck zwischen Triona, Eisenfurt und Burg Sternenhain waren ein undurchdringliches Dickicht aus Schlamm, Mücken und noch mehr Schlamm, das trotz der Nähe zur Hauptstadt nie trockengelegt worden war. Die Artenvielfalt, die sich hier fand, war ein Traum für jeden Biologen, aber James war kein Biologe, und so interessierte es ihn herzlich wenig, dass die Mücken, die ihn und die beiden Schwarzenfels auf ihrer Flucht nach Südwesten piesackten, zur seltenen Spezies der Eisenfurter Sumpfspitzmücke gehörten, die es nirgendwo sonst im Reich gab. Was diese Mückenart so besonders machte, war, dass ihre Stiche, obwohl sie nicht weiter gefährlich für Menschen waren, gewaltige Beulen auf der Haut hinterließen, die verteufelt heftig juckten. Nicht viel weniger störend als die Mücken war der Untergrund, auf dem sie sich nach Süden kämpften: an guten Stellen Dornengestrüpp und Brombeersträucher, an schlechten dichter Schlamm, in dem ekelhaftes Getier sein Unwesen trieb. Aber es war der einzige Weg, den sie nehmen konnten, denn die gepflasterte Straße zwischen Triona und Eisenfurt war voller Menschen und jeder Mensch, der sie sah, war eine Gefahr, denn James reiste mit den beiden meistgesuchten Männern des Südens.
Keiner von ihnen wusste genau warum, aber die komplette Stadtwache und jeder Prätorianer hatte versucht, Ottmar und Rudolf Schwarzenfels in die Finger zu bekommen, um sie langsam und schmerzhaft zu ermorden. Vermutlich lag es an den Nachrichten aus Aruna, die dem Kaiser ohnehin schon Bauchschmerzen bereiten mussten – eine Rebellion war schon schlimm genug, eine Rebellion mit einem Schwarzenfels an der Spitze musste um jeden Preis verhindert werden. Das Schicksal hatte James mit ihnen zusammengeführt und so fand er sich jetzt mit ihnen auf dieser aberwitzigen Flucht nach Südwesten wieder.
Der Weg, den sie nahmen, war der einzige, den sie gehen konnten: durch Sümpfe und Wälder bis nach Sternenhain, das in der Hand der Rebellen war und somit ihren sicheren Hafen darstellte. Falls die Royalisten die Burg nicht einnahmen, während sie durchs Niemandsland wateten, krochen und schwammen.
„Sieben Tage bis Sternenhain“, hatte Ottmar Schwarzenfels zu ihnen gesagt, als er sie auf diese gefährliche Route nach Süden geführt hatte, nach dem Angriff der Prätorianer, der seine Männer in alle Richtungen zerstreut hatte.
Sieben Tage durch Schlamm und Dornen, an denen ihre einzige Nahrung die Beeren waren, die sie unterwegs fanden, und an denen sie Wasser aus den saubersten Pfützen tranken, durch die sie stolperten. Wäre unter ihnen ein Jäger gewesen, hätten sie weniger Sorgen gehabt, denn es wimmelte in diesen abgelegenen Wäldern von Rotwild, aber sie waren ein Ordensritter, der in der Stadt aufgewachsen war und zwei Adlige, die nur die Jagd zu Pferde kannten, und so mussten sie mit den Beeren vorlieb nehmen. Natürlich hätten sie auch in den wenigen Gehöften um Essen bitten können, die sich in diesem Niemandsland befanden, aber Schwarzenfels hatte strikt davon abgeraten, falls es nicht unvermeidlich werden würde: die Sumpfbewohner waren ein seltsames Volk und sehr misstrauisch gegenüber Fremdlingen, und außerdem konnte es sein, dass ihre Verfolger auf ihrer Fährte waren.
„Niemand darf uns sehen“, hatte er geknurrt.
Sieben Tage bis Sternenhain, dachte James jetzt müde, am vierten Tag ihres Marsches, während er hinter Sir Rudolf durch den Sumpf watete. Noch drei Tage, falls wir uns nicht verlaufen haben. Sie orientierten sich an der Sonne und am Moos an den Bäumen, um die richtige Richtung zu finden, aber die Landschaft änderte sich nicht: da war nur das nächste Sumpfloch, die nächsten Dornen, dann wieder das nächste Sumpfloch. Auf Menschen waren sie noch nicht getroffen, denn sie hatten jedes Gehöft, auf das sie trafen, weitläufig umgangen, obwohl es James jedes Mal einen Stich versetzt hatte. Er hatte Hunger, großen Hunger, so wie damals, als er noch ein kleiner Bettelbursche in Triona gewesen war. Den beiden anderen ging es schlimmer, da war er sich sicher, obwohl sie sich nichts anmerken ließen. Graf Schwarzenfels und sein Neffe, die Herrscher über die größte Grafschaft des Südwestens, hatten sicher noch nie hungern müssen. Aber sie beschwerten sich nicht, und so hielt James ebenfalls den Mund, obwohl sein Magen bei jedem Schritt lauter knurrte.
Sie liefen die Tage durch, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, und machten nur mittags eine kurze Rast, um sich etwas auszuruhen. Gegessen und getrunken wurde unterwegs, dann ging es weiter, bis sie abends ein halbwegs trockenes Plätzchen fanden, wo sie sich ausstreckten und schliefen, während einer von ihnen Wache hielt.
Und jetzt, am vierten Tag, kam auch noch der Regen dazu. Es begann mit einem leichten Nieseln, das nicht wirklich störte, sie aber nach wenigen Stunden bis auf die Knochen nass machte. Dann, als sie gerade durch ein besonders widerliches Sumpfloch wateten, kam der Platzregen. Sie kämpften sich fluchend weiter und flüchteten unter den größten Baum, den sie sehen konnten.
„Scheiße!“, fluchte Schwarzenfels wütend. „Scheiße, Scheiße!“
„Das wird dauern“, knurrte Sir Rudolf mit Blick auf den wolkenverhangenen Himmel. „Wenn du mich fragst, wird es eher noch schlimmer.“
„Wir müssen weiter“, presste der Graf wütend hervor. „Passt noch besser auf, wo ihr hintretet.“
Sir Rudolf sollte Recht behalten: wenig später begann es, zu blitzen und zu donnern.
„Wir müssen uns einen Unterschlupf suchen!“, schrie Schwarzenfels über das Donnern hinweg. „Wenn wir hier verrecken, war alles umsonst! Ich habe nicht zwanzig Jahre gewartet, um im Sumpf zu verrecken!“
Das war der Moment, in dem James den Lebkuchen sah, der unter einer Baumwurzel lag, und das Lebkuchenherz, das am Ast eines anderen Baums befestigt war.
„Wie kommt das hierher?“, fragte Sir Rudolf verwirrt, nachdem er ihn darauf aufmerksam gemacht hatte.
„Keine Ahnung!“, brüllte Schwarzenfels. „Aber er ist völlig durchweicht, ich esse das nicht mehr!“
„Da vorn ist noch mehr“, rief James. „Es ist fast, wie... ein Wegweiser!“
Für einen Moment blieben sie unschlüssig im knöcheltiefen Wasser stehen, während es über ihnen weiter blitzte und donnerte.
„Es könnte eine Falle sein“, meinte Sir Rudolf schließlich.
„Selbst wenn“, gab Schwarzenfels zurück. „Wir sollten diesen... Wegweisern folgen. Bei dem Wetter gehen wir im Freien drauf.“ Er klopfte gegen sein Schwert. „Und selbst wenn es eine Falle ist, wüsste ich von nichts in diesen Sümpfen, das es mit drei gestandenen Kämpfern aufnehmen kann.“
Sir Rudolf biss die Zähne zusammen und nickte. James wurde nicht gefragt und watete seufzend hinter den beiden anderen her.
Nach einer Weile führten sie die Lebkuchenherzen aus dem schlimmsten Sumpf heraus und auf etwas, das fast einem Pfad ähnelte, so ausgetreten war der Boden hier.
„Da vorn ist eine Lichtung“, keuchte Schwarzenfels.
Auf der Lichtung stand das seltsamste Haus, das James je gesehen hatte: ein etwas windschiefes Langhaus, dessen Wände vollständig mit Lebkuchenherzen bedeckt waren. Aus einem Loch im Dach stieg dichter Rauch auf, offenbar war gerade jemand beim Kochen. In einem kleinen Pferch neben dem Haus wühlten ein paar Schweine im Boden, als wollten sie sich vor dem Gewitter vergraben.
„Wie kann man hier überleben?“, fragte James verwirrt.
Sir Rudolf zuckte mit den Schultern und näherte sich dem Haus, nachdem er kurz seine Waffe in ihrer Scheide gelockert hatte. Er strich langsam über die Lebkuchenherzen.
„Unglaublich“, sagte er leise.
„Wer ist da draußen?“, sagte eine heisere Stimme aus dem Haus, die sie alle zusammenzucken ließ.
„Der Wind“, sagte Schwarzenfels trocken.
Die Tür öffnete sich und ein dicker Mann mit Glatze lugte heraus, der sie etwas ängstlich musterte.
„Wir wollen nichts Böses, guter Mann!“, rief Sir Rudolf und nahm die Hand vom Schwertgriff. „Nur ein Dach über dem Kopf in diesem Unwetter!“
Der Mann musterte sie kurz und nickte dann.
„Kommt herein, Wanderer. Ich will verdammt sein, wenn ich einem Reisenden bei diesem Wetter kein Obdach gewähre.“
Sie folgten dem Sumpfbewohner hinein und fanden sich in einem großen Raum wieder, in dessen Mitte sich eine Feuerstelle befand, an der eine dicke, alte Frau gerade in einem Topf rührte. In einer Ecke stand ein großer Tisch mit Bänken, an dem zwei Kinder saßen, die einen etwas verwahrlosten, aber gutgenährten Eindruck machten, und zwei verschlossene Türen führten in andere Räume.
„Guten Abend, meine Dame“, sagte Sir Rudolf und verneigte sich höflich.
„Da sieh dir das an, endlich mal höfliche Gäste“, lachte der Mann. „Setzt euch, ihr Herren, setzt euch-“
Er nahm eine freie Bank und stellte sie nah ans Feuer.
„Danke, mein Herr“, sagte James und setzte sich dankbar hin, gefolgt von den beiden anderen. Seine Finger kribbelten angenehm, als er sie den Flammen entgegenstreckte.
Die Frau schickte die Kinder mit einem Winken aus dem Raum.
„Euren Kindern droht keine Gefahr von uns“, versicherte Sir Rudolf ihren Gastgebern.
„Das hoffe ich, mein Herr“, sagte die Frau verlegen, „aber ich glaube, ihr bringt Nachrichten vom Krieg und sie sollten sie nicht hören.“
James, der wie die beiden anderen Blut auf seiner Kleidung hatte, konnte ihre Sorge verstehen.
„Wie läuft der Krieg?“, fragte der Mann, während sie drei Schüsseln mit Suppe für die Gäste füllte.
„Das kaiserliche Heer ist in der Offensive“, berichtete Schwarzenfels gelassen. „Das sieht köstlich aus“, fügte er hinzu, als die Frau ihnen die Schüsseln vorsetzte.
Sie machte einen unbeholfenen Knicks.
„Es gibt mehr, wenn ihr wollt, Herr.“
Danach ging sie etwas zittrig hinüber zu der Tür, hinter der die Kinder verschwunden waren.
„Ihr habt wirklich nichts zu befürchten“, sagte Sir Rudolf noch einmal zu ihrem Mann.
„Daran zweifle ich nicht, Herr“, sagte der Mann etwas verschämt. „Aber wir bekommen hier nicht sehr viele Besucher. Ihr macht ihr Angst.“
Keiner der drei schien zu wissen, was sie darauf entgegnen sollten, und so beschränkten sie sich für eine Weile darauf, schweigend ihre Suppe zu essen. Die Suppe war sehr gut und enthielt bemerkenswert viel zartes Fleisch, sodass James zu dem Schluss kam, dass ihr Gastgeber ein Jäger war.
„Wovon lebt ihr hier, wenn ich fragen darf?“, fragte Sir Rudolf zwischen zwei Bissen.
„Wir sind Bäckersleute, Herr“ sagte der Mann lächelnd.
„Bäcker?“, fragte Sir Rudolf ungläubig. „In dieser Einöde?“
Der Mann lachte kurz auf. „Hier lebt mehr Volk, als man glaubt, Herr“, sagte er. „Und wir haben keine Mühe, alle Zutaten zusammenzukratzen. Wenn ihr wollt, könnt ihr nach der Suppe noch etwas von der Pastete haben, die wir machen, sie ist sehr zu empfehlen.“
„Wir wollen euch nicht zur Last fallen“, sagte James eilig.
Die beiden Schwarzenfels warfen ihm verwirrte Blicke zu. Natürlich, die hohen Herren wussten nicht, wie selten einfache Leute Fleisch auf den Tisch bekamen, ganz besonders in einer so abgelegenen Gegend. Vermutlich befand sich in dem Topf das Essen für die ganze Woche.
„Es gibt reichlich, Herr“, sagte der Mann ruhig. „Ihr fallt uns nicht zur Last, das versichere ich euch. Ihr könnt so lange bleiben, wie ihr wünscht.“
„Nur, bis das Gewitter vorbei ist“, sagte James freundlich. „Wir müssen weiter.“
„Natürlich“, sagte der Mann. „Darf ich fragen, wohin Ihr wollt, Herr?“
„Weiter“, sagte der Graf knapp, während er den letzten Rest Suppe aus seiner Schüssel kratzte.
„Verzeihung“, sagte der Mann hastig. „Ich wollte nicht-“
„Ihr habt nichts Falsches getan“, sagte Sir Rudolf müde. „Aber glaubt mir, es ist besser, wenn Ihr so wenig über uns erfahrt wie möglich.“
„Wie Ihr sagt, Herr.“
James war ebenfalls fertig mit seiner Schüssel. Das erste wirkliche Essen seit einer halben Ewigkeit hatte dazu geführt, dass sich endlich wieder dieses herrliche Gefühl der Sättigung in seinem Körper ausbreitete, und mit ihm eine überwältigende Müdigkeit. Es würde ihnen gut tun, eine Weile hier zu bleiben und zu rasten, Stärke zu sammeln, sich einfach zu entspannen...
„So ist es gut, Herr“, hörte er ihren Gastgeber sanft sagen. „Schlaft ein Weilchen.“
Als James wach wurde, war das Sättigungsgefühl verschwunden.
Stattdessen hatte er Schmerzen, besonders seine Arme taten weh - einen Moment später stellte er fest, dass das daran lag, dass er die Arme über dem Kopf hatte und an etwas hing. Er schlug verwirrt die Augen auf und erbrach sich herzhaft bei dem Anblick, der sich ihm bot.
„Ihr seid wach, Herr“, sagte der Bäckersmann sanft. „Sehr gut.“
James kotzte, bis es nichts mehr gab, das er hochwürgen konnte, nässte sich ein und sah dann zitternd auf. Vor ihm hockte ihr Gastgeber, der ihn neugierig anlächelte. In der Hand hielt er das große, scharfe Messer, mit dem er kurz zuvor noch das kleine Mädchen ausgeweidet hatte, das von der Decke hing wie eine Schweinehälfte in der Metzgerei.
„Eure Tochter“, würgte James panisch hervor. „Ihr habt Eure Tochter ermordet.“
Im gleichen Moment stellte er entsetzt fest, dass er genauso von der Decke hing wie das kleine Mädchen, allerdings berührten seine Füße gerade noch den Boden. Zu seinen beiden Seiten hingen die beiden Schwarzenfels, die wach und geknebelt waren. In ihren Augen sah er das gleiche Grauen, das er selbst spürte.
„Das ist nicht meine Tochter“, sagte der Bäckersmann freundlich. „Nur ein kleines Mädchen, das den Lebkuchen gefolgt ist.“
„Eine Falle“, keuchte James. „Das ist ein Falle. Ihr seid - ihr seid ein… - “
„Ein Kannibale“, sagte der Bäckersmann freundlich. „So ist es.“
„Ihr werdet mich essen“, flüsterte James entsetzt.
„In ein paar Tagen“, bestätigte der Bäckersmann mit einem breiten Grinsen.
„Warum leben wir noch?“
Der Bäckersmann lächelte.
„Was ist das: einer schlug keinen und schlug doch zwölf Mörder?“
„Was?“, fragte James verwirrt.
„Gebt Bescheid, wenn Ihr darauf kommt, Herr“, sagte der Bäckersmann etwas enttäuscht.
Er richtete sich auf und knebelte James dann mit einem Lappen. Es gab nichts, das er dagegen tun konnte, denn er hing von der Decke und seine Füße waren mit einem Strick an der Wand befestigt.
„Es ist wirklich toll, das ihr vorbeigekommen seid, meine Herren“, sagte der Bäckersmann, während er sich daran machte, sein Messer an einem Wetzstein zu schärfen. Das Geräusch jagte James einen Schauer über den Rücken.
„Mit Euch und den beiden Kindern sollten wir gut durch den Winter kommen, obwohl Euer Fleisch sicher nicht so zart wie das ihre ist. Nun ja, man muss nehmen, was man kriegt.“
Er legte den Wetzstein weg und wandte sich wieder dem kleinen Mädchen zu.
***
„Riecht gut“, knurrte Wolf und wischte sich das triefend nasse Haar aus dem Gesicht.
Die Hütte war das erste Anzeichen menschliches Lebens, das sie seit zwei Tagen gesehen hatten, nach zwei Tagen in strömendem Regen und sumpfigem Dickicht.
„Hier werden wir den Grafen kaum finden“, meinte Meyer müde.
„Scheiß auf den Grafen“, sagte Lotte und bleckte die Zähne. „Ich habe Hunger. Wolf hat Recht, es riecht gut.“
Sir Wenzel warf ihr einen angewiderten Blick zu.
Meyer sah Erhart an, der knapp nickte. „Vielleicht wissen die Bewohner etwas.“
„Also gut“, sagte Sir Wenzel und zog sein Schwert. „Versucht, sie nicht umzubringen, ja? Tote können keine Geschichten erzählen.“
Die Söldner traten auf die Lichtung, Erhart und er vorneweg. Wolf überholte sie und klopfte laut gegen die Tür.
„He!“, brüllte er laut. „Jemand zuhause?“
***
„Und, habt Ihr mein Rätsel gelöst?“, fragte der Bäckersmann, nachdem er den Knebel entfernt hatte und James zu trinken gegeben hatte. Er hatte so gierig getrunken wie immer, unfähig, der Versuchung zu widerstehen, obwohl er genau wusste, dass jeder Schluck Wasser sein Leiden nur verlängerte, aber er war einfach so durstig. Der Durst und der Hunger schmerzten mehr als seine tauben Gliedmaßen, mehr als sein gepeinigter Rücken.
„Nein“, sagte er heiser, wie zuvor schon Schwarzenfels und Sir Rudolf. Tatsächlich hatte er die letzten Tage damit verbracht, sich mit dem Rätsel zu beschäftigen, wenn auch nur, weil es seinem Geist half, von hier wegzukommen. Aber weder gelang es ihm, das Rätsel zu lösen, noch verschwand der schreckliche Anblick der toten Kinder, sobald er die Augen öffnete. Mittlerweile hing nur noch der Oberkörper des Jungen da, das Mädchen war völlig verschwunden. James hatte gehofft und gebetet, dass die Eltern der Kinder sie suchen würden, aber diese Hoffnung war vergeblich gewesen. Niemand war gekommen, um die Kinder zu retten, genauso, wie niemand gekommen war, um sie zu retten.
„Schade“, seufzte der Bäckersmann. „Nun, es soll wohl nicht sein.“
Er zückte sein Schlachtermesser, an dem das Blut des Jungen klebte, und setzte es an James' Kehle.
„Ich denke, wir fangen mit Euch an, Herr“, sagte der Bäckersmann.
„Das Schlafmittel“, keuchte James, bevor der Mann ihn schlachten konnte.
„Was ist damit?“, fragte der Bäckersmann neugierig.
„Deswegen habt ihr so lange gewartet, bevor ihr uns tötet“, sagte James eilig. „Weil das Schlafmittel noch in unserem Blut war.“
Der Bäckersmann tätschelte glücklich seine Wange, als wäre er ein Hund, der seinem Herrchen ein Stöckchen gebracht hatte.
„Sehr gut, Herr“, sagte er lächelnd. „So ist es, das ist des Rätsels Lösung: Einer schlug keinen ist ein Rabe, der von einem toten und vergifteten Pferd fraß und davon starb. Und schlug doch zwölf Mörder, weil die Mörder den Raben verzehrten und daran verreckten. So wäre es uns auch mit euch dreien gegangen - nun, wir wären zwar nicht gestorben, aber wir hätten eine ganze Weile geschlafen.“
„Lasst ihr mich jetzt gehen?“, fragte James heiser.
Der Bäckersmann sah ihn belustigt an. „Gehen? Warum um alles in der Welt sollten wir Euch gehen lassen, Herr?“
„Ich habe das Rätsel gelöst“, wimmerte James.
„Das habt Ihr“, sagte der Bäckersmann. „Aber das hat doch nichts damit zu tun, dass ich Euch jetzt schlachte, Herr. Man muss doch von etwas leben.“
James wurde stocksteif vor Angst und spürte, wie er sich erneut einnässte, während der Mann ihm das Messer wieder an die Kehle setzte.
Dann hörte er ein lautes Rufen von draußen.