Die Könige aus dem "Haus der Bäume" – Magie und Dämon - Johanna Maurer - E-Book

Die Könige aus dem "Haus der Bäume" – Magie und Dämon E-Book

Johanna Maurer

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Beschreibung

In Ruthiel schläft eine Macht, die es zu formen und zu kontrollieren gilt. Welche Verantwortung mit ihren magischen Fähigkeiten einhergeht und  in einigen Jahrzehnten auf ihren Schultern lasten wird, davon ahnt sie noch nichts. Weiterhin üben die ominösen Vorfälle in den Bergen von verschwundenen Elbinnen und getöteten Elben einen besonderen Reiz auf Tharandil aus. Und so brechen er und Nimrond mit einer Delegation nach Ethaborn auf, um König Amikron zu unterstützen und das Rätsel zu lösen. Es ist eines ihrer letzten Abenteuer, denn die Zeit der Könige neigt sich dem Ende entgegen. Bevor sie jedoch ihren Weg zu den Göttern antreten können taucht noch einmal ein alter Bekannter auf. Dämon Drumba will ihnen alles nehmen ...

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Seitenzahl: 919

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2025 novum publishing gmbh

Rathausgasse 73, A-7311 Neckenmarkt

[email protected]

ISBN Printausgabe: 978-3-7116-0277-0

ISBN e-book: 978-3-7116-0278-7

Lektorat: Mag. Eva Reisinger

Umschlagabbildungen: Amandee | Dreamstime.com; André Schneeberger

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

Innenabbildungen: Sylvia Wilhelm

www.novumverlag.com

Widmung

Diese Geschichte ist

für meine Zwillingsschwester, Karin, die mir mit Rat und Kritik zur Seite stand.

Für eine Freundin, Michele, die mich ermutigte das Manuskript an einen Verlag zu senden.

Für meinen Mann, Heiko, der die allererste Version zu lesen bekam und mir den Rücken stärkte weiter zu schreiben.

Abschnitt I

Ruthiel, die Magierin

Ruthiels Geheimnis

König und Stellkönigin verbringen seit dem Tage, an dem der Bote in das Esszimmer stolperte, halbe Nächte in der großen Bibliothek und werten die Nachrichten aus, die ihnen mittels Scherben und Boten zugetragen werden. Eine schlechte Kunde jagt die nächste, nirgendwo ein Lichtblick, nirgends ein Hoffnungsschimmer, und in ihre Gesichter gräbt sich die Sorge. Mehr und mehr und immer schneller bröckelt die Front und ist, das müssen sie sich rasch eingestehen, unhaltbar. Der Gardemeister zieht noch an der Schlachtlinie die letzte Konsequenz und gibt den Befehl zum sofortigen Rückzug.

Jeder Tag, der ohne Informationen über Nimrond und ihre beiden Leibwächter einhergeht, lässt Tharandil nervöser werden. Bange ist ihm ums Herz, um seinen Geliebten und die beiden Halunken und um alle anderen Jäger und Jägerinnen und zivilen Streiter, welche im Namen vom „Haus der Bäume“ nun versuchen, ihnen genügend Zeit für einen geordneten Abmarsch zu verschaffen. Deren Widerstand gegen die anstürmenden Echsentruppen ist wohl für viele Elben und Elbinnen der letzte Dienst, den sie für ihr Königshaus noch tun können. Wie soll er denen dieses Opfer jemals danken?

Ruthiel und Hamiko stehen am Rande des Geschehens, aber sie beobachten genau, was vorgeht. Die Veränderung im Verhalten der Erwachsenen in ihrem Umkreise erfüllt ihre kleinen Herzen mit Furcht. Ihre Mutter ist mit einem Male überaus beschäftigt mit ernsten Angelegenheiten und bringt weniger Zeit als sonst üblich für gemeinsame Unternehmungen auf. Eigentlich sehen sie Jamena fast nur noch zu den Mahlzeiten und des Abends spät, dann huscht sie noch mal schnell zu ihnen an die Betten und küsst ihre Lieblinge. Manchmal sind Ruthiel und Hamiko aber auch schon eingeschlafen und ihre Mutter schleicht auf Zehenspitzen ins Zimmer.

Gerne würde die Stellkönigin den sich überschlagenden Ereignissen Einhalt gebieten und alles wieder auf „Null“ drehen, aber nichts und niemand kann den Lauf der Dinge bremsen.

Dann kommt der Tag, an dem Tharandil schweren Herzens den Befehl zum Aufbruch nach Gydland erteilt, und in der Hauptstadt verlesen Sprecher seine Aufforderung an alle Bewohner von Varngond, mit ihnen in das Nachbarland, das Reich von König Barin, zu fliehen. Ein Verbleib und Gegenwehr-Leisten unter den gegebenen Umständen wäre glatter Selbstmord oder der Gang in die Leibeigenschaft. Trotzdem bleibt ein Teil der Elben aus den verschiedensten privaten Gründen in ihren gewohnten Gefilden.

Und dies, obwohl Tharandil ihnen einen sicheren Ort verspricht, an dem sein Volk siedeln wird können, und was noch wichtiger ist, dort haben sie Zeit und Ruhe, um einen Plan für die Rückeroberung zu schmieden. Wie lange ihr Aufenthalt im Exil andauern wird, steht in den Sternen, aber jeder mit ein bisschen Verstand hinter der Stirn weiß, wir reden hier von Jahren.

Immer wieder betont Tharandil, diese übereilte Abreise, das Wort Flucht vermeidet er, stellt keine Kapitulation dar, sondern nur ein rein taktisches Vorgehen. Erstens, zum Schein nachgeben, zweitens, einen behüteten Platz aufsuchen, drittens, eine schlagkräftige Armee aufbauen samt Vormarschstrategie, und viertens, mit voller Kraft auf die Echsen dreinschlagen. Manchmal braucht es einfach Zeit und Geduld, damit man an sein Ziel gelangt, und der Rückzug in sichere Gefilde bildet den Auftakt für eine Heimkehr. Irgendwann.

In Windeseile packen die Mitglieder der Königsfamilie ihre privaten Habseligkeiten. Organisieren dazu den Auszug aus Schloss und Stadt und nebenbei müssen sie noch an die Elben und Elbinnen denken, die ausharren wollen.

Nimronds drastische Darstellung dessen, was sich unter den Echsen abspielt, verursacht Hektik und Durcheinander allerorten. In fast jedem Gesicht spiegelt sich die Angst davor, überrannt zu werden, die Furcht vor der ungewissen Zukunft und die übermäßige Anstrengung, denn Tag und Nacht arbeiten sie an ihrem Fortgang und die Stunden rennen dahin. Was muss nicht noch alles erledigt werden, und der Berg der Dinge, die wohl aus Zeitmangel liegen bleiben, wächst anstatt kleiner zu werden. Was nehmen wir mit und was überlassen wir den schuppigen Stinkern. Was ist das Allernötigste? Geld und Gold für König Barin, Lebensmittel und Futter für die Tiere, dazu Kleidung und Hausrat, um sich neu einzurichten, und natürlich auch ein paar persönliche Sachen. Einige wenige Dinge, die einem am Herzen liegen, Bilder, Schmuck, Parfum, der Lieblingskamm, kleine Statuetten von den Göttern und Spielzeug für die Kinder.

Wenn es ginge, würden sie gleich drei Sachen in einem Rutsch erledigen, so sehr drängt die Zeit, und doch muss alles der Reihe nach abgearbeitet werden, und damit auch ja kein Punkt vergessen wird, rennt ein jeder von ihnen mit einer Liste in der Hand rum. Alle Bewohner vom Schloss bekamen ihren Anteil an den für die Abreise zu verrichtenden Vorbereitungen zugewiesen, Tharandil und Jamena erledigen ihren Part im gleichen Maße wie Mägde und Knechte, Zofen und Stallburschen, Jäger und Küchenpersonal.

Sind sie erst mal auf der Straße unterwegs, gibt es kein Umdrehen mehr. Was unverrichtet an Ort und Stelle zurückbleibt, bleibt unerledigt und ist unweigerlich verloren.

Ruthiel jammert seit Tagen, weil es langsam ernst wird mit der Abreise aus Varngond. Die Aussicht, in ein anderes Land gehen zu müssen, schreckt sie. Die großen Kisten und Koffer mit ihren Habseligkeiten wurden bereits von Almuth gepackt und stehen zum Abtransport auf dem Gang. Es gibt keinen anderen Weg, auch wenn sie es noch so sehnsüchtig hoffte und Inana jeden Tag in der Palastkapelle Blumen brachte und um ein Wunder bat. Sie alle werden die gewohnte Umgebung, die heimeligen Kammern und vertrauten Flure im Schloss übermorgen verlassen.

Am letzten Abend weint Ruthiel beim Nachtmahl und Jamena nimmt sie in die Arme und trägt sie ins Bett.

Von einer etwas anderen Seite aus betrachtet Hamiko die Lage. Klar, er ist ja auch schon groß und ein halber Mann. Er weiß, dass eine Katastrophe im Anmarsch ist, er hat doch Augen und Ohren, und dies verursacht ein ungutes Kribbeln in seinem Bauche. Ihr Leben erfährt gerade eine plötzliche Wendung in eine unfreundliche Richtung, aber der Aufbruch in ein fremdes Land bedeutet für ihn ebenso den Beginn eines großen Abenteuers.

An dem Gedanken hält er sich fest, und seitdem er davon erfahren hat, vollbringt er in seinen Tagträumen an der Seite von Xernot manche Heldentat. Hinaus in die weite Ferne und in ein vollkommen unbekanntes Gebiet jenseits eines Tores soll es gehen. Hat er zumindest gehört von den Fuchsjägern der Garde, allerdings waren die fünf Freunde gerade dabei, die Weinvorräte, soweit sie es vermochten, in sich hineinzuschütten. Wäre doch schade, wenn der gute Tropfen in Echsenschnauzen fließen täte.

Seit Tagen überlegt er, wie es dort wohl aussehen mag. Vielleicht gelbe Bäume und rotes Wasser mit Himbeergeschmack, und Zuckerstangen wachsen wie Stangenbohnen an Ranken.

Vorsichtshalber hängt er sein Schwert an den Gürtel seiner Jacke und steckt seinen Dolch in den Stiefelschaft. Sollte es außer Süßkram dort auch widerliche Monster geben, ist er bestens vorbereitet. Meint er, es gäbe irgendetwas, wovor sich seine Schwester fürchtet, oder sie schwebe in höchster Gefahr, rennt er gleich mutig herbei und schlägt die Feinde in die Flucht. Er ist Ruthiels Beschützer und Galan und wenn er auf seinem Pony im Schlosspark angetrabt kommt, schaut sie voller Stolz auf ihren starken Jäger.

Das Holzschwert in den kleinen Händen, geht der Knirps des Abends in den sparsam ausgeleuchteten Nebenfluren im Palast vorneweg und ebnet ihr den Weg, jegliches Ungetier mäht er in seiner Fantasie nieder oder verjagt es mit lauter Stimme. Oft läuft sie ihm hintendran mit einer Krone aus Papier auf dem Kopf und einem roten Umhang aus einer alten Decke genäht um die schmalen Schultern. Sämtliche Bedienstete, die Männer und Frauen der Schlossgarde und der Wachen, lächeln breit, wenn sie die zwei Kinder daherschreiten sehen. Wahrlich jetzt schon ein schönes Königspaar, Bruder und Schwester. Ihre Kinderspiele von Stellkönig Hamiko und Königin Ruthiel sind ab sofort Schnee von gestern.

Noch ist es Nacht, als Jamena und Mavron ihre beiden Kinder aus den Betten holen und ankleiden. Verschlafen murren die zwei Sprösslinge und reiben sich die müden Augen. Zu so früher Stunde am Tische zum Frühmahl zu sitzen, wirft sie aus ihrem Rhythmus, und außer einem Glas Milch und etwas süßem Brot kriegen sie nichts hinunter. Ruthiel hält ihre Puppe fest umklammert und Hamiko hat sein Stoffpferdchen unter den Gürtel mit dem Holzschwert geklemmt. Ohne sein Pony wollte er keinen Schritt aus seinem Zimmer tun.

Im flackernden Licht der Fackeln und Siberyllaternen setzt Jamena das kleine Mädchen und den etwas älteren Jungen in die große Kutsche, küsst sie auf die Wangen und schlägt dann die Wagentür zu. Dem Jäger davor befiehlt sie, ja mit allen Sinnen auf die Kinder acht zu geben. Fünf und acht Elbenjahre alt sind Ruthiel und Hamiko an diesem Morgen und was verstehen Kinder schon von der Invasion der Echsen und dem Krieg, den diese mit sich bringt und der ihr Heimatland mit Grauen überzieht. Alles, was ihnen wichtig ist und für sie bis heute ein sicherer Hort war, versinkt im Chaos eines übereilten und hastigen Aufbruches. Schnell muss es gehen, nur fort von hier, die Schuppentiere stehen quasi bereits vor dem Tor des Palastes.

Immerhin gibt es für Ruthiel ein Trostpflaster für ihre traurige Seele an diesem Morgen, die neugeborenen Kätzchen maunzen sie aus ihrem Körbchen an. Auch wenn Jamena anfangs ein Machtwort sprach, die Mäusejäger können sich ihrer Meinung nach unter den neuen Bewohnern selber versorgen, finden sich die Schnurrer kurz vor der Abfahrt in der Staatskarosse ein. Tharandil und Almuth schleppen den Bastkorb samt Katzenmutter in letzter Minute an, bevor die Pferde lostraben. Ruthiel bat am Vortag an allerhöchster Stelle, bei Tharandil, um Hilfe.

Jetzt ist sie glücklich, soweit ein kleines ängstliches Mädchen dies sein kann. Eng drückt sie sich an Hamiko, der ist stark, der beschützt sie, der hat sein Schwert mitgebracht, und die Augen fallen ihr zu.

Schweigend und mit Tränen in den Augen räumen die im Palast verbleibenden Elben und Elbinnen den Tisch mit den Resten des Frühmahles ab. Zur selben Zeit erhellt ein blasser Streif den Horizont und dort hinein, in die aufgehende Sonne, fahren die Wagen. Gleichzeitig setzt sich ein Treck aus hunderten von Fuhrwerken, unzähligen Reitern, Fußgängern und Haustieren mit Tagesbeginn von Kyomoto aus in Bewegung und vereint sich mit den Kutschen und Leiterwagen der abreisenden Königsfamilie und ihrer Leute.

Wohlaufgehoben in der großen Königskutsche schlummern Ruthiel und Hamiko zusammen mit der Katzenfamilie. Kaum lagen die Kinder in Decken und Fellen eingemummelt auf den Bänken, schliefen sie auch schon wieder ein.

Neben dem Gefährt traben Jamena und Mavron auf ihren Pferden und Tharandil reitet in Begleitung einiger Fuchsjäger allen vorneweg unter dem Banner vom „Haus der Bäume“. Solange diese Fahne über ihren Häuptern weht, so lange besteht Hoffnung.

Später auf ihrem Wege zum Tor schließen sich aberhunderte von Armeeangehörigen und Zivilisten dem Zug an.

Mehr Leute, als Tharandil annahm, schafften es, vor den Echsen davonzueilen, bevor die sie töten oder gefangen nehmen konnten. Ob König Barin in Gydland sich über so zahlreichen Besuch freuen wird, bezweifelt Tharandil mit jedem Elben und jeder Elbin, die bei ihnen anlangen, mehr und mehr.

Ein Planwagen hinter dem nächsten, dazwischen einfache Leiterwagen und Handkarren, Elben und Elbinnen auf Reittieren und zu Fuß, dazu ein Gewimmel von Haustieren jeglicher Art. Wer abseits am Wegesrand steht und aus der Ferne den Tross erblickt, schaut einen aus tausenden von Individuen bestehenden Lindwurm.

Sie rasten kaum, nur des Abends halten sie für die dunkelsten Stunden der Nacht, Tier und Elbe bedürfen der Ruhe. Auch wenn die Zeit immer knapper wird, schnell, schnell zum Tor nach Gydland, und Tharandil die Reise zu langsam voran geht. Aber er muss Rücksicht nehmen, da sind Kinder und Schwangere, Alte und Verwundete und Kranke. Wenn er alleine unterwegs wäre, da wäre er schon längst auf der anderen Seite. Die Verantwortung für sie umschlingt ihn mit eisernen Ketten und statt zu rennen, bleibt ihm nur ein Tippeln. Er weiß, er wäre ein schlechter König, täte er sich davonmachen, um seinen Hintern schon mal in Sicherheit zu bringen, und seine Leute ihrem Schicksal zu überlassen.

Sollten die Echsen sie einholen oder gar überholen, dann stirbt er mit ihnen. Das kann man ja wohl von einem Regenten erwarten.

Zu ihrem Glück liegt der Übergang in einem noch nicht von den Echsen eingenommenen Gebiet von Varngond. Die kommen von der gegenüberliegenden Seite heranmarschiert.

Je näher sie dem rettenden Durchschlupf kommen, desto zahlreicher werden sie. Das Volk der Waldelben strömt aus allen Löchern, um sich mit ihrem Treck zu vereinen. Tharandil überlegt mehrfach, ob es wirklich eine so gute Idee war, lauthals alle zum Mitkommen aufzufordern. Was aber jetzt total egal ist, dass er ein Schlupfloch kennt und die Biege macht mit den Seinen, hätte sich dank der immer prächtig funktionierenden Klatschleitungen unter den Jägern sowieso in Windeseile rumgesprochen. Und die Leute einfach wieder fortschicken, kann er als ihr König natürlich auch nicht.

Die vor dem Tor auflaufende Masse an Elben führt unweigerlich zu einem Stau und es entstehen Zank und Streit unter den Flüchtlingen. Wer zuerst und wer zuletzt? Einige der Ankömmlinge werden beinahe sogar handgreiflich, um einen Platz an vorderster Stelle zu ergattern.

Eine dermaßen erhitzte Stimmung lässt König Tharandil keine andere Wahl. Er ist gezwungen, seinen Jägern zu befehlen, für Ordnung zu sorgen, und dem kommen sie sofort mit Schwertern in den Händen nach. Schön in der Reihe bleiben, ein Wagen nach dem anderen, eine Sippschaft nach der nächsten, und um ein gutes Beispiel abzugeben, heißt er seiner eigenen Familie, sich hinten anzustellen. Erst als die Hälfte aller Wartenden hindurch ist, erlaubt er Mavron, die Kinder auf die andere Seite zu bringen.

Nur er, Jamena und Nimrond reiten mit ein paar Jägern als Vorhut in Gydland ein. Laroman und Xernot bleiben ebenso auf ihrer Seite zurück, ihnen obliegt es, in des Königs Namen für Ruhe und einen ordentlichen Ablauf zu sorgen. Zu jeder Tages- und Nachtstunde wandern die Elben nun durch das Nadelöhr und es dauert trotzdem seine Zeit, bis auch der letzte Kuhschwanz hinter der silbrig schimmernden Pforte verschwindet.

Sie verschlafen die Passage, auch weil Mavron ihnen einen Schlaftee gegen Abend eingeschenkt hat. Wie zwei Eichhörnchen im Kobel aneinander gekuschelt liegen Hamiko und Ruthiel auf dem Boden der Kutsche, eingelullt vom sanften Schaukeln und Mohnsaft.

Erst gegen Morgen erwachen sie in einem fremden Land. Dabei zeigt sich Hamiko ein wenig ernüchtert über das, was seine Augen durch das Fenster des Prunkwagens erblicken. Wiesen, Wald, Tiere, Elben, irgendwie hatte er sich Gydland anders vorgestellt. Hier sieht es ja aus wie zu Hause, die Höfe und Häuser genauso gebaut wie bei ihnen auf dem Lande. Von wegen Glaspaläste mit silbernen Dächern, bäuerlich und einfach, aber zweckmäßig sind Wohngebäude und Ställe aus Holz und Lehmziegeln errichtet.

Sein Traum vom Zuckerstangenernten und süßen Wasserrinnsalen verfeinert mit Beerensirup zerplatzt in dem Moment, als er die neue Umgebung in Augenschein nimmt.

Jedoch, seine Enttäuschung wandelt sich im Laufe des Tages in Erstaunen um, denn das erste Mal in seinem Leben begegnet er Menschen. Zunächst wähnt er, es seien nur fremde Elben, weil ihre Kleidung der ihren ähnelt, aber dann bemerkt er markante Unterschiede und die Sache wird spannend für ihn. Was reden die doch in einer für ihn seltsamen und unbekannten Sprache und einige der Männer haben Haarwuchs an den Wangen und unter dem Munde. Sowas haben Ruthiel und Hamiko vorher noch nie gesehen, Bärte, gestutzt oder handbreit herabhängend vom Kinn, und Ruthiel fragt allen Ernstes: „Uma, kriegen die Frauen auch einen Pelz im Gesicht, wenn sie erwachsen werden?“

Schon nach wenigen Tagen toben die zwei Rabauken gemeinsam mit anderen Elbenkindern und dem Nachwuchs der Menschen aus dem nahegelegenen Dorf herum. Neugierde hüben wie drüben und schnell stellen sie fest, so anders spielen die Kinder hier auch nicht. Vertraut sind ihnen Seilspringen, Verstecken, Ballwerfen, und rasch erlernen sie in der kurzen Zeitspanne, die sie gemeinsam auf dem Anger verbringen, eine Menge neuer Wörter aus dem Sprachschatz der Gydländer. Jamena kann nur staunen, mit was für Begriffen die zwei Knirpse um sich werfen, „Bitte“ und „Danke“ wäre wünschenswert, stattdessen prahlen sie mit deftigen Ausdrücken aus dem Bereich der Tierwelt. Eigentlich haben Ruthiel und Hamiko genug vom Wandern, aber nochmal werden die Zugtiere ins Geschirr gespannt und das Elbenvolk macht sich auf zu seinem endgültigen Ziele. Einem Landstrich, der ihnen von König Barin zugewiesen wird, und so müssen sie ihren neugewonnenen Spielgefährten „Lebe wohl“ sagen.

Der neue Ort bietet spannende Möglichkeiten für kleine Elblinge, halbverfallene Gebäude von Wildnis umwuchert, laden regelrecht dazu ein, darin rumzukriechen. Da verstecken sich bestimmt Untiere in den Büschen und fette Ratten huschen durch das Gebälk. Hier ist Hamikos ganzes jägerisches Können gefragt und er weicht nicht eine Handbreite von der Seite seiner Schwester.

Ruthiel und Hamiko stört es nur rudimentär, dass ihr Leben im Exil in einem baulichen Provisorium, dem alten verfallenen Gutshof, beginnt. Eher das Gegenteil ist der Fall, aufregend ist es hier, und sie nutzen jede Gelegenheit, um aus dem fürsorglichen Augenmerk der Erwachsenen zu verduften.

Was macht es schon, wenn Kammern und Zimmer erst noch hergerichtet werden müssen. Dann schlafen sie halt im Heuhaufen auf dem Boden und die Mahlzeiten werden von allen Mitgliedern und Mitarbeitern des Hofes an einem einfachen Holztisch in der Deele des Stalles eingenommen. Wache neben Stellkönigin, Zofe neben Gardemeister, Wäscherin neben Prinz und Prinzessin, Tharandil holt alle an eine Tafel. Einmal aus Platzgründen, aber auch um ihnen zu zeigen, dass sie zusammengehören und gemeinsam durch diese schwere Phase des Aufbaus gehen. Immerhin geht die Herrichtung der Wohngebäude flott voran und die königliche Familie kann ihre eigenen Zimmer und Gemächer beziehen. Ab diesem Zeitpunkt speisen Regenten und Gesinde wieder getrennt, auf die Dauer wäre Tharandil die Nähe zum einfachen Volke mit Sicherheit leid gewesen.

Jemand ganz anderes sorgt bereits nach einigen Dekaren für leidige Mienen bei Ruthiel und Hamiko. Jamena organisiert gemeinsam mit anderen Frauen zügig einen geregelten Schulunterricht für alle mitgereisten Kinder jeglicher Altersstufen. Darin sind sich die Eltern einig, gerade jetzt in der anstrengendsten Phase, dem Aufbau einer Stadt und eines Gemeinwesens, brauchen die jungen Elben und Elbinnen einen Ort des Lernens, damit sie schnell wieder Fuß fassen, und zudem hat man sie aus dem Wege und kann sich auf andere Dinge konzentrieren.

Lehrkräfte aller Fachrichtungen sind genügend unter den mitgereisten Landsleuten und ein Platz, der sich als Schulgebäude wunderbar eignet für die verschiedenen Jahrgangsstufen, wird ebenfalls nach kurzer Suche aufgetan.

Ein großer rechteckiger mehrstöckiger Turm, ein wenig vom Gelände des Gutes entfernt gelegen, eignet sich hervorragend. Fünf Klassen, auf jedem Stockwerk eine, lassen sich dort mühelos unterbringen. Anfangs mangelt es zwar noch an Inventar und alle sitzen erst mal auf Stroh und Kissen auf dem Boden. Aber das tut der Wissensvermittlung keinen Abbruch und die Schreiner fertigen nach und nach Stühle und Pulte aus dem Holz der Bäume.

Im Gegensatz zu ihrem Bruder, dem die Praxis mehr liegt als die Theorie, versenkt sich Ruthiel bereits vom ersten Schuljahr an regelrecht in den Unterrichtsstoff. Sie besitzt für ihr Alter ein enorm leistungsfähiges Gedächtnis und kürzere Gedichte kann sie alleinig nach zwei- oder dreimaligem Lesen auswendig daher sagen.

Und wenn Jamena oder Mavron ihnen vor dem Schlafengehen eine Geschichte vorlesen, die sie schon mal gehört haben und die ihnen bekannt ist, dann erzählt Ruthiel den Text nahezu wortgenau mit sämtlichen Einzelheiten weiter fort. Hamiko hingegen spinnt kurzerhand einen neuen Inhalt zu der bestehenden Erzählung hinzu. Er ist ein Ausbund an Fantasie und Abenteuergeschichten und häufig endet seine Version mit einem toten Drachen und einer geretteten Elbenschönheit. Seltsamerweise weist die Dame irgendwie immer eine gewisse Ähnlichkeit mit seiner Schwester auf.

Erstaunlich flexibel, anpassungsfähig und lerneifrig findet Mavron ihre zwei Sprösslinge und nicht nur die, allgemein alle Elbenkinder jeglicher Altersstufen. Aus beruflichem Interesse beobachtet er mit großer Faszination, wie sie mit der fremden Umgebung zurechtkommen und sich einleben. Dies Geschehen ist es ihm wert, festgehalten zu werden, und akribisch schreibt er in einem Tagebuch ihr Verhalten und Benehmen nieder und wie sie geschickt die Anfangshürden meistern.

Anscheinend mühelos und kaum kräftezehrend finden sie sich in der neuen Umgebung und Lebensweise zurecht. Veränderungen in Lebensstil und Umfeld, mögen sie auch noch so einschneidend sein, stecken sie innerhalb kurzer Zeit weg oder bauen sie in ihren Tagesablauf ein. Völlig selbstverständlich, als sei es das Normalste von der Welt, mal eben in ein fremdes Land zu übersiedeln und von vorne anzufangen. Am allermeisten bewundern er und Jamena die Leichtigkeit, mit der die Rangen das Gute und Schöne selbst in diesen schweren Zeiten erblicken und sich daran erfreuen. Während ihre Mütter und Väter noch mit den Unzulänglichkeiten und Problemen der neuen Welt und der Errichtung von Wohnungen und sonstigen lebensnotwendigen Arbeiten beschäftigt sind, laufen sie den Schmetterlingen hinterher oder klatschen beim Anblick eines Vogels entzückt über sein buntes Federkleid in die Hände.

Sämtliche Sorge, Furcht, Zukunftsangst scheint ihnen fremd und sie leben selbst hier in ihrer Kinderwelt. Familie, Freunde, Haustiere, überschaubar und vertraut, und damit haben sie alles, was ihre kleinen Herzen begehren.

Woher das Essen und die Kleidung und das Dach über dem Kopfe kommt, interessiert höchstens die etwas älteren Heranwachsenden, denn sie müssen ihren Fähigkeiten nach bereits mit anpacken. Aber die Kleinsten springen jeden Morgen unbeschwert in den Tag. Brot und Suppe steht immer auf dem Tisch und satt werden sie davon allemal und eine geflickte Hose oder ein verschmutztes Hemd ist kein Beinbruch.

Zwar nehmen Ruthiel und Hamiko und die anderen Kinder die Ernsthaftigkeit der Situation am Rande wahr, es muss schon ziemlich derbe sein, was in ihrer Heimat vorgeht, wenn sie alle Mann aus Varngond davoneilen, aber dramatisch stellt sich die Lage für sie nicht dar.

Was wohl auch darin sich gründet, dass ihre Eltern und alle Erwachsenen mit Feuereifer daran arbeiten, so schnell als möglich eine solide Grundlage für ihren Aufenthalt in Gydland zu schaffen. Ein Dekare nach der anderen geht vorüber und mit jedem Tag, der ins Land zieht, kehrt ein wenig mehr Normalität in ihr Leben zurück. Man richtet sich über die Lumnos häuslich ein, denn so wie es ausschaut, werden sie wohl länger in Gydland verweilen.

Das Elbenvolk findet zurück zu seinen ursprünglichen und alltäglichen Gewohnheiten und Lebensrhythmen. Man arbeitet, man schläft, man lacht, man feiert, man flucht, man dankt, man ärgert sich, man freut sich, es wird gehasst und geliebt, Kinder werden gezeugt und geboren und einige wenige von ihnen sterben. Diesen bedauernswerten Elben und Elbinnen verwehren die Götter eine Heimkehr nach Pelegorn und ihre Körper werden in den Boden von Gydland gesenkt.

Fünfzehn Sommer wird ihr Aufenthalt in Gydland währen, eine lange Zeitspanne für die Menschen, ein Wimpernschlag im Dasein eines Elben. Während ein Menschenkind nach dieser Anzahl an Jahren bereits an der Schwelle zum Erwachsensein anlangt, sind Ruthiel und Hamiko immer noch Kinder.

Ihre körperliche und geistige Verwandlung dauert aus Menschensicht extrem lang und ihr allmähliches Heranwachsen wird nur von den eigenen Leuten registriert, weil Elben die Zeit in anderen Dimensionen messen.

Hamiko erlebt während des Aufenthaltes im Exil ein einschneidendes Ereignis in seinem Leben und dazu trifft ihn dies noch mitten in sein Herz. Sein Vater Xernot verlässt von einem Tage auf den anderen Gydland, so kommt es Hamiko zumindest vor, und er bleibt einsam zurück. Der Fuchsjäger sieht es als seine Pflicht gegenüber dem „Haus des Sandes“ an, seinen Leuten beizustehen, nur, wie soll man sowas einem Kinde erklären. Hamiko fühlt sich in diesen Tagen nach Xernots Abreise von allen verlassen, obwohl Jamena und Mavron ihm liebende Eltern sind, und zudem ein kleines bisschen von seinem Vater verraten.

Mit Xernots Fortgang kommt ihm der Krieg gegen die Echsen und somit die grausame Realität auf einmal sehr nahe, bislang blieben die Geschehnisse auf Pelegorn irgendwo auf der anderen Seite des Tores, weit von ihnen entfernt. Traurig und missgelaunt hockt Hamiko eine Weile rum und weiß so recht nichts mit sich anzufangen. Eifersüchtig schielt er nach Ruthiel. Die hat es gut, Uma und Ada sind beide vor Ort.

Dabei kann Ruthiel doch nichts dafür, sie wollte niemals, dass Xernot und Laroman gehen. Vorsichtig schleicht sie um ihren trauernden Bruder herum, sogar noch, als er sie bereits mehrfach fortgescheucht hat. Diesen Schmerz des Verlassenseins und sein Herzeweh will er mit sich selber ausmachen, er ist doch schon groß und ein halber Jäger. Und dann ist er doch glücklich, als sie ihre kurzen Arme um ihn schlingt, um ihm Trost zu spenden.

Unentwegt weilt er in seinen Gedanken bei Xernot und zum ersten Male in seinen jungen Jahren keimt eine ihn lähmende Angst in ihm auf. Er hat grauenvolle Furcht davor, seinen Vater zu verlieren. Ein jeder Bote, der ankommt, ein jedes von ihm erlauschte Getuschel zwischen Jamena und Tharandil lässt seinen Atem schneller gehen und ein Kloß setzt sich in seine Kehle.

„Bitte, bitte, Yormas, bloß keine schlechten Nachrichten“, damit beendet er jeden Abend sein Gebet an die Götter.

Es gibt keine Worte, mit denen er die Erleichterung beschreiben kann, als Xernot eines schönen Tages plötzlich und wie aus dem Nichts am Gatter des Reitplatzes steht. Hamiko heult vor Freude.

Einige Sommer später wendet sich das Blatt, jetzt ist es Ruthiel, die seine beruhigende Nähe sucht. Unbedingt bedarf sie eines starken Armes, der sie beschützt. Vor was? Vor den seltsamen gräulichen Geistern, welche sie ganz plötzlich seit einem halben Jahr in den Fluren und Räumen des Gutshofes und auch außerhalb sehen kann. Irgendetwas hat von ihr Besitz ergriffen und will so gar nicht mehr hinfort schweben. In ihrer Not klammert sie sich an ihren Bruder, dem kann sie sich anvertrauen, der plappert keine Geheimnisse aus.

Was mag Ruthiel von ihm wollen? In der letzten Zeit war sie anders als sonst, verängstigt hält sie seine Hand, wo immer es möglich ist. Hamiko macht sich ernsthaft Gedanken über den Zustand seiner Schwester und gleich ist er schlauer. Sie hat versprochen, es ihm oben auf dem Dachboden zu erzählen.

Der Dachboden des Gesindehauses ist ein gutes Versteck für Kinder und Liebespaare. Hamiko und Ruthiel haben eine kleine Nebenkammer für sich requiriert und ein Schild an der Tür weist darauf hin.

„Achtung, hier haben nur Prinzessin Ruthiel und ihr Jäger Hamiko Zutritt.“

Am Fuße der steilen Treppe wartet das Mädchen bereits auf ihn und flink wie Mäuse huschen sie zu der wurmstichigen alten Eingangstür hinauf und verziehen sich in ihr Gemach. Kaum hingesetzt und in die Decken eingehüllt, legt das Mädchen auch schon los, als wenn sie sich schleunigst etwas von der Seele reden müsste.

„Versprich mir, Hamiko, kein Wort zu Uma und Ada, oder irgendjemandem sonst. Das, was ich dir jetzt erzähle, unterliegt der allerhöchsten Geheimhaltungsstufe“, spricht sie mit ernster Stimme.

„Klar doch, bin doch keine Quatschbase“, antwortet Hamiko und es ehrt ihn, der Geheimnisträger der Prinzessin zu sein. Auf ihn kann sie sich voll und ganz verlassen, er wird sie garantiert nicht enttäuschen.

Geheimnisvoll raunt sie ihm zu: „Hast du das auch manchmal, dass du neben einer Person einen grauen Schatten siehst? Sowas wie ein dunkler Nebelhauch direkt an der dran.“

Hamiko schüttelt den Kopf und dabei schaut er Ruthiel ungläubig an. Er hat es nicht so mit überweltlichen Erscheinungen und hochgeistigen Dingen und an Gespenster glaubt er schon mal gar nicht.

„Nein, ich sehe nur die eine Person selber, und wenn die einen Schatten hat, dann vom Lichte her. Hast du mal überlegt, ob mit deinen Augen alles in Ordnung ist? Manchmal sehen Leute Dinge zweimal oder verschwommen, weil sie schielen.“

Tolle Erklärung, aber wohl falsch, und sie verdreht die Augen.

„Meine Augen sind voll in Ordnung und ich sehe sonst alles scharf und klar. Es passiert auch nur bei wenigen Personen. Warum diese Schatten bei einer auftauchen und bei der anderen nicht, weiß ich nicht. Nur, wenn ich die grauen Figuren genau anschaue, dann spüre ich in meinem Inneren Freude, Furcht, Hoffnung oder Verzweiflung. Die machen das in mir und es ängstigt mich, deren Gemüt bei mir drin zu haben. Aber das Allerseltsamste ist, das, was die Schatten mich fühlen lassen, stimmt oft nicht mit dem, was die Person gerade in ihrem Gesicht zeigt, überein.“

Also dafür braucht Hamiko keine Geistererscheinungen, lächeln, wenn ihm gerade zum Heulen ist, kann er auch.

„Wie soll ich das erklären? Jemand lacht mich an, aber der Schatten löst Traurigkeit in mir aus, oder so ähnlich. Es können zwei unterschiedliche Wahrnehmungen zur gleichen Zeit sein. Das eine sehe ich mit meinen Augen und höre vielleicht sogar fröhliche Worte mit meinen Ohren und das andere empfinde ich irgendwie mit meinem Herzen.“

Scheint eine verzwickte Angelegenheit zu sein und Hamiko denkt eine Weile nach, bevor er ein Fazit aus dem von Ruthiel Gesagten zieht: „Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung, wovon du erzählst. Du solltest das vielleicht doch eher mit einem Erwachsenen besprechen. Uma weiß bestimmt einen Rat. Stell dir mal vor, du könntest Dinge sehen oder spüren, die für andere unsichtbar sind. Davon habe ich gehört, das soll es geben. Wäre doch von Vorteil, vorher zu wissen, wann wir eine Klassenarbeit schreiben.“ Damit endet ihr Treffen, denn es ist Zeit für das Abendessen, und sie eilen zurück.

Es sind diese nebligen Gestalten in elbischer Körperform, welche ihr ab und an in Fluren und Zimmern begegnen und sie bis ins Mark hinein erschrecken. An den Tag, wann die genau das erste Mal auf der Bildfläche erschienen, kann sie sich nicht erinnern, aber eines weiß sie mit Sicherheit, niemand von den Erwachsenen wird ihren Sätzen Glauben schenken. In ihrer kindlichen Logik, und um sich selber Mut zu machen, redet sich Ruthiel ein, es seien Traumgebilde, denen es gelingt, in den Tag einzudringen. Leicht wie zartes Gazegewebe in verschiedenen Grautönen schwebt immer nur ein einzelnes Gespenst im Rücken von einem Elben oder einer Elbin. Ihre Mutter täte die Beschreibung von Wesen, die aus dem Kopf eines kleinen Mädchens in die hiesige Welt wandern, garantiert als Hirngespinst eines unausgeschlafenen Geistes mit folgenden Worten abtun: „Ruthiel, du liest und hörst zu viele Märchen und Gruselgeschichten. Kein Wunder, dass die Wolkenfeen und Moorgeister bei dir schon über die Flure laufen. Mach mal eher die Augen zu und schlafe, dann wabert dein Gehirn dir tagsüber auch keine Gespenster vor“, weil bei ihrer Tochter nächtelang die Lampe brennt und sie mit Hamiko quatscht und quatscht oder er ihr bis nach Mitternacht Erzählungen aus Sagenbüchern vorliest.

Es begann irgendwann im Laufe ihres elbischen achten Lebensjahres und Ruthiel tut das, was sie erblickt, als einen Streich ihrer Fantasie ab oder als Tagtraum. Jedoch, je häufiger sie die Gestalten sieht, desto mehr ist sie der Meinung, dass es eine andere Bewandtnis damit haben muss. Selbst bei wachem Verstande zeigen sie sich ihr als eine Dunstgestalt, angehängt an eine Person. Flurwache oder Zofe oder Bedienstete, Rang und Tätigkeit sind anscheinend völlig unerheblich, es kann jeder Elbe oder jede Elbin sein.

Anfangs hofft Ruthiel, dies sei nur eine vorübergehende Phase in ihrer Entwicklung, ausgelöst durch die überbordende Vorstellungskraft in ihrem Geiste, welche reichlich Nahrung findet, weil Hamiko und sie sich an selbstgesponnenen und lebhaften Abenteuergeschichten ergehen.

Allerdings zeigen sich die Wesen hartnäckig und tun ihr nicht den Gefallen, wieder zu verschwinden. Dabei wünscht sie sich das so sehr. Weiterhin muss sie deren Anblick ertragen. Den Göttern sei Dank kommt es selten vor, aber es hört auch nicht auf. Was hat sie schon alles probiert. Mit gedachten Worten verscheuchen, „Los haut ab“, mit aller Willenskraft in eine andere Richtung denken, „Heute Mittag gibt es Knödel“, oder bei deren Anblick auf dem Absatz rumdrehen und fortlaufen. Wobei ihr völlig bewusst ist, dass der gräuliche Schatten weiter existiert, nur sie ist um die Ecke rum.

Schließlich gibt sie auf. Es muss wohl so sein, dass sie mit den „Nebelelben“ in einem friedlichen Miteinander leben soll. Und Ruthiel nimmt deren Erscheinen irgendwann als etwas Normales hin und sie verlieren den größten Schrecken. Zumal ihr auch von denen keinerlei Gefahr droht, obwohl, ein Gruseln verursacht deren Anblick weiterhin jedes Mal. Alles, was sie tun, ist, unbeweglich in der Gegend rumstehen. Weder kommen sie auf das Mädchen zu, noch verfolgen sie sie. Bemerkenswert findet sie zudem den Umstand, dass die grauen Gespenster nur an bestimmten Leuten drankleben, als wenn die lebende Person und sein Geist mittels eines unsichtbaren Bandes miteinander verknüpft wären.

Graue Schattenkreaturen, das ist so ziemlich das Letzte, was Tharandil und Nimrond jetzt noch gebrauchen können. Die Erinnerung an die Schattenwesen von Gathame, als Diener gerufen, wäre sofort wieder bei allen im Gedächtnis. Daher ist es vorerst gut und richtig, dass Ruthiel über ihre seltsame Fähigkeit schweigt. Ihre Mutter täte genau andersherum reagieren, als sie in ihrer Vorstellung annimmt, und ihre Worte beileibe nicht als eine Erfindung eines überreizten kindlichen Gemütes abtun. Jamena würde panisch die Alarmglocken läuten und sämtliche Jäger auf den Plan rufen und das ganze Gutshaus bei Nacht taghell erleuchten.

Sie gibt sich redlich Mühe, ihre anscheinend übernatürliche Begabung zu verstecken, aber manches Geheimnis lüftet sich von selber. Ob man will oder nicht, denn sie wird beobachtet. Ihren Eltern und auch Tharandil und Nimrond, überhaupt allen, die sie näher kennen, fällt das in unregelmäßigen Abständen auftretende ungewöhnliche Verhalten des Mädchens ins Auge.

Urplötzlich verharrt ihre Tochter für die Dauer von zwei, drei Atemzügen mitten in der Bewegung. Wie ein Kaninchen beim Anblick eines Fuchses, bloß die Ohren stille halten und nicht mal das Näschen rümpfen. Unabhängig von Ort und Tageszeit, egal ob am Tische sitzend, die Hand mit dem Löffel schwebt in der Luft, oder sie bremst abrupt ihren Gang und bleibt wie angenagelt stehen. Auffällig dabei, sie starrt jedes Mal mit weit geöffneten Augen eine bestimmte Person an.

Dann wacht sie ebenso plötzlich wieder auf und schaut fragend in die Runde, als sei sie aus einer großen Tiefe aufgetaucht. Was war gerade? Wo war ich gerade?

Auf das ungewöhnliche Benehmen ihrer Tochter können sich Jamena und ihr Mann anfangs keinen Reim machen und Mavrons ärztliches Wissen stößt bei den von Ruthiel gezeigten äußeren Symptomen an seine Grenzen.

Jamena ist in Sorge und doch folgt sie dem Rat ihres Mannes, das Mädchen vorerst nur im Auge zu behalten. Es wird schon keine ansteckende Krankheit sein und hoffentlich geht es von alleine vorüber. Im besten Falle handelt es sich nur einfach um eine Marotte von Madame, die sie bald wieder ablegt. Sollte es schlimmer werden, müssen sie natürlich eingreifen.

Ruthiels Zustand bleibt unverändert und inzwischen macht sich die gesamte Familie Gedanken um ihre Gesundheit, und Tharandil bemerkt geistreich bei einer Sitzung des Familienrates: „Vielleicht, wohlgemerkt, ich möchte damit keine Pferde scheu machen, sollten wir die Möglichkeit einer bislang unbekannten Gehirnkrankheit in Betracht ziehen.“ Eine Äußerung, die Jamena nach Luft schnappen lässt. Ihre Tochter soll wahnsinnig oder geistesgestört sein? Und diese Diagnose stellt ausgerechnet er. Meint Tharandil, er sei ein Experte in Sachen „Gehirnschaden“, nur weil er aus eigener Erfahrung spricht?

Seinen darauf noch in die Runde geworfenen Vorschlag, einen Geistheiler hinzuzuziehen, lehnt Jamena mit einem vernichtenden Blick in seine Richtung vehement ab. Woher soll ein kleines Mädchen Wahnvorstellungen und geistige Aussetzer haben?

Dann schon eher eine Schädigung von Nervensträngen oder Probleme mit der Muskulatur in Betracht ziehen. Irgendetwas von natürlichem Ursprung, was sich durch ärztliche Kunst heilen lässt. Vielleicht sind es Krämpfe in den Gliedmaßen, verursacht durch eine Vergiftung mit Metallen. Andererseits, woher soll sie die haben? Beide Kinder essen und trinken dasselbe und Hamiko zeigt keinerlei Besonderheiten in seiner Bewegung und dem Verhalten.

Ruthiel bemerkt sehr wohl die besorgten Blicke ihrer Eltern. Es ist aber auch wie verhext, dann wenn sie die Schatten am wenigsten erwartet, überrascht es sie eiskalt. Da hilft ihr auch nur wenig, dass sie sich schon seit einer längeren Weile nicht mehr vor ihnen fürchtet. Reagieren tut sie doch, weil sie noch ein Kind ist und kein abgeklärter Erwachsener, der seine Gefühle unter Kontrolle hat. Und somit bleibt sie jedes Mal stehen und blickt mit großen Augen auf die grauen Wesen. Derweil mehr fasziniert als denn verängstigt, und immer versucht sie einzelne Details, Gesichtszüge in der wabernden Dunstmasse zu erkennen. Was ihr jedoch erst gelingt, seitdem sie lernte, mit der seherischen Gabe umzugehen.

Wozu sollte sie noch warten. Bevor ihre Eltern über ihrem Gesundheitszustand verzweifeln, Mavron fragt inzwischen dreimal am Tage nach ihrem Wohlbefinden, weil niemand eine plausible Erklärung findet, will sie den Schritt wagen.

Ein paar Tage lang überlegt sich Ruthiel die richtigen Worte und dann eines Abends, als Jamena und Mavron gemeinsam an ihrem Bette sitzen, erzählt sie von den „Schattenwesen“.

Ihre Eltern blicken sie ungläubig an. Ein kleines Mädchen soll ein dermaßen mächtiges magisches Können, denn was sollte es sonst sein, in seinem Innersten beherbergen? Unvorstellbar. Eher lässt die Geschichte in ihnen einen namenlosen Schrecken wieder lebendig werden. Aber woher sollte Ruthiel davon Kenntnis haben? Sie war ja nicht mal geboren, als Hamiko entführt wurde.

Jamena rennt mit ihrem fürchterlichen Verdacht noch in derselben Nacht zu Tharandil und Nimrond. Ähnliche Kreaturen schlichen schon einmal im Palast herum und eventuell zogen, die Götter mögen es verhütet haben, die im Schlepptau mit ihnen nach Gydland. Tharandil glaubt das zwar nicht so recht, aber sie sollten trotzdem Augen und Ohren offenhalten, und er verdoppelt die Wachen auf den Fluren und dem Gelände des Gutshofes.

Kein Kind und auch sonst niemand verschwindet auf unerklärliche Weise. Weiterhin erscheinen ihr die Wolkenelben, und da alles Diskutieren im kleinen Familienkreis zu keiner Lösung führt, kommt man schließlich überein, die Hofmagierin möge sich mit der Sache befassen. Es lässt sich wohl kaum mehr von der Hand weisen, die Sache hat was mit Magie zu tun.

Erleichterung bei Ruthiel, die Erwachsenen glauben ihr jedes Wort, und die weise Elbin ist sehr interessiert und nach einem Gespräch mit dem Mädchen entwickelt sie eine halbwegs brauchbare Erklärung. Selber zu Gesicht bekommt sie die Gestalten leider nicht, denn ihre magische Gabe ist eine andere, auch wenn Ruthiel ihr sehr genau das Gespenst im Rücken der Küchenmagd beschreibt.

Aller Wahrscheinlichkeit nach stehen die Schattenwesen immer in Zusammenhang mit einer bestimmten Person. Sie scheinen ein Abbild, ein Schatten, von dessen inneren Wesen, der Seele, darzustellen und sind daher an den einen lebenden Körper fixiert. Dies würde auch erklären, warum sie nicht wandern oder Leute verfolgen oder irgendjemandem Leid antun. Eine sehr logische Schlussfolgerung und somit eine akzeptable Erklärung und dazu eine gute Nachricht. Tharandil ist etwas überrascht über die einfache Lösung des Rätsels. Auf eine solche Idee hätte er auch selber kommen können. Bleibt noch die Frage, warum ausgerechnet Ruthiel. Warum wurde sie mit einer derartigen Bürde geboren? Das ist es, für was Jamena die besondere Fähigkeit ihrer Tochter im ersten Moment hält. Warum legte Inana die Magie in dieser Form in ihr Kind und was planen die Götter mit ihr?

Eine kleine Magierin

Tharandil hat sich an diesem verregneten Nachmittag in das große Kontor zurückgezogen und blättert seit einigen Stunden in den Familienchroniken.

Aberhunderte von Büchern, Schriftstücken und Karten mussten sie im Palast zurücklassen. Aber die schmalen Bände mit den Namen der Regenten und ihrer nahen Angehörigen, schön nach Jahren aufgelistet und mit kurzen Notizen versehen, und sonstiger hoher Personen aus dem „Haus der Bäume“ brachten sie hierher. Dafür trug der Bibliothekar Sorge und ebenso verstaute er die wichtigsten Dokumente und Papiere in abschließbaren Kisten für den Transport, sämtliche Schreiben aus dem privaten Tresor von Tharandil wanderten sowieso mit.

Sehr weise von ihm, auch einige private Erinnerungsstücke in Sicherheit zu bringen, und in diesem Moment auch sehr nützlich. Seitdem er um das Talent seiner Enkeltochter weiß, stellt er sich eine Frage: Was wäre, wenn in seiner langen familiären Linie von Königen und Königinnen schon mal ein mächtiger Zauberer oder eine die Zukunft schauende Sylphe gelebt hätte.

Möglich ist alles und der Gedanke zaubert ein Lächeln auf sein Gesicht, und eifrig schlägt er eine Seite nach der anderen um. Allerdings muss er gegen Abend, es ist Zeit für das Nachtmahl, seine Suche ergebnislos beenden. In den ganzen Aufzeichnungen fand sich kein einziger Hinweis auf einen Vorfahren, der Ruthiel dieses Talent vererbt haben könnte. Ernüchtert und auch ein wenig enttäuscht klappt er das letzte dünne Buch zu, muss wohl dann eher von Mavrons Seite herkommen. Schade eigentlich. Den zu fragen, lässt er bleiben, die Illusion, der Chronist könnte bei einem ihrer Ahnen die Anmerkung „Magier“ vergessen haben, will er sich unbedingt behalten.

Noch ahnt Ruthiel nicht, welche Verantwortung mit ihren seherischen Fähigkeiten einhergeht und in einigen Jahrzehnten auf ihren Schultern lasten wird. In ihr schläft eine Macht, die größer ist als die Macht des Hohen Rates, die stärker ist als jeder Drache, und zerstörerischer als jeder Echsensturm. Zum Wohle aller Elben und Elbinnen auf Pelegorn muss diese Kraft in wohlgeordnete Bahnen gelenkt werden. Nur nach jahrelangem Studium und intensivem Lernen wird die Magie ein Segen sein, und selbst dann darf jeder Elbe sie nur bewusst und nur zu einem guten Zwecke einsetzen.

Mal eben ein Zauberwort sprechen, aus Jux und Tollerei oder gar, um Schaden anzurichten, ist ihnen allezeit untersagt, und sollte ein Magier es doch tun, drohen empfindliche Strafen. Von dem Verstoß aus dem Magischen Bund und Löschung jeglicher Erinnerung durch Zauberkraft hin bis zu einer ewigen Zeit eingesperrt in einem der Türme unter den wachsamen Augen der Turmwärter.

Die Schattenwesen, welche Ruthiel sich zeigen, sind nur ein Nebenprodukt dessen, eine Erscheinungsform, mit der sich ihre Gabe bemerkbar macht, was in ihrem Inneren darauf wartet, geweckt zu werden. Etwas weitaus Größeres ruht in ihrem Wesen. Viel, viel mehr, als dass sie in der Lage ist, so nebenbei und ohne es zu wollen, Wolkenelben zu sehen.

Eine jedes Kind, in dem ein magischer Keim gepflanzt wurde, entdeckt, meistens noch bevor die Jährlingszeit beginnt, eine häufig ungewollte und auf jeden Fall ungerufene Besonderheit an sich. Das können außergewöhnliche mentale Kräfte sein, Gegenstände hin- und herschieben, oder, wie bei Ruthiel, die Wahrnehmung von Gestalten, oder erstaunliche Erinnerungen an Plätze, an die man in diesem Leben noch nie einen Fuß hinsetzte, oder an Begebenheiten, die bislang noch nie stattfanden. Junge Sylphen schweben durch Zeit und Raum und meinen, es seien normale nächtliche Träume, bis zu dem Punkt, wo sie ihre Gabe erkennen.

Diese Vorzeichen geschehen einfach, damit die Außenwelt und natürlich die auserwählte Person von dem Geschenk der Götter erfährt und der junge Elbling seinen nun vorgezeichneten Weg in den Turm gehen kann.

Das Warum, Wieso und Weshalb ist für Jamena zweitrangig, darauf gibt es sowieso keine Antwort, alles, was sie jetzt interessiert, ist: Was sollen sie mit Ruthiel nun machen? Am liebsten würde Jamena Tag und Nacht bei ihr verweilen, denn sie sorgt sich um die psychische Gesundheit ihrer Tochter. Kann ein kleines Mädchen eine dermaßen schwere Last überhaupt schon tragen und die Verpflichtungen, die damit einhergehen, ermessen?

Die Antwort der Hofmagierin lautet Nein, aber ihr Rat ist einfach zu befolgen: „Stellkönigin, lasst alles, wie es ist. Die Dinge nehmen mit oder ohne Euer Zutun ihren Lauf, wenn die Götter es so planen. Das Mädchen kann die Sichtungen weder bewusst herbeirufen noch verschwinden lassen oder deuten. Ihr fehlen dafür bis zu ihrer Ausbildung noch die Zauberworte, um Einfluss zu nehmen. Sie wird lernen, die Macht in ihrem Wesen zu formen, anzuwenden und zu beherrschen, wenn ihre Stunde kommt. Bis dahin habe ich ein wachsames Auge auf Ruthiel und bereite sie langsam und mit viel Behutsamkeit auf ihre Jahre im Turm vor. Gebt mir bitte Eure Zustimmung für mein Handeln und für meine Worte und verweigert Eurer Tochter ihre ureigenste Bestimmung nicht. Sie wird ihren Weg gehen müssen.“

Jamena ist etwas erschrocken ob dieser Sätze, so weit dachten sie und Mavron noch gar nicht. Die magische Gabe wird die nahe Zukunft und überhaupt ihr ganzes weiteres Leben beeinflussen. Nach ein paar Tagen des Überlegens gemeinsam mit Mavron gibt sie der Magierin ihr Einverständnis. Wäre sie an Ruthiels Stelle, würde sie froh und erleichtert darüber sein, wenn sie jemand an die Hand nähme und einen sicheren Pfad entlang führte.

Mit Begeisterung nimmt Ruthiel die Nachricht über ihre neue Lehrmeisterin auf. Sie, die Kurze, darf nun regelmäßig zu der großen Zauberin und dies nur, weil sie nebulöse Gestalten erblickt. Ab diesem Tage wandeln sich ihre anfängliche Furcht und ihre Unsicherheit in Mut, Neugierde und Streben nach Wissen. Der Turm wird zu ihrem erklärten Ziele und sie träumt bereits jetzt davon, nach dem Jahrhaus dort ihren Fuß hineinzusetzen.

Damit ihr Wunsch für sie überhaupt Realität werden kann, müssen sie aber alle erst mal wieder zurück nach Pelegorn. Hier in Gydland gibt es keine fundierte Ausbildung für einen angehenden Magier und in den letzten Jahren ihres Aufenthaltes bittet sie die Götter um eine baldige Rückkehr. Wozu geben sie ihr die Macht der Magie, wenn sie diese niemals nutzen könnte?

Ihrer aller Geduld wird auf eine harte Probe gestellt. Fünfzehn Sommer, voller Erwartungen und Hoffnungen, ziehen vorüber und die Elben vom „Haus der Bäume“ nutzten die Zeit und bereiteten sich für den großen Tag vor. Ihre Truppen sind bestens geschult, mit Waffen und Harnischen ausgestattet und umfassend über die Lage auf Pelegorn informiert, dank ihrer fleißigen Spione. König und Stellkönigin haben alles Elbenmögliche getan, damit die Rückeroberung und die Vertreibung der Echsen aus Varngond gelingt.

Der Abschiedsbesuch von Tharandil, Jamena und Nimrond bei König Barin vor zwei Dekaren war kurz und bündig. Was gab es schon viel zu reden? Alles, was nötig war, wurde bereits gesagt, und jetzt wollen sie einfach nur Gydland verlassen. Als Dank für Barins Hilfe in größter Not überreicht Tharandil ihm zwei aus Mithrilsilber gefertigte Trinkbecher. Eine kleine Anspielung auf sein Geschenk von vor vielen Jahren, welches er aus Scham nie auspackte und wieder mit nach Hause trug. Barin grinst höflich, er versteht die Geste, Tharandil wusste davon, und er fragt sich gerade, was die Elben noch alles von ihnen und an ihnen durchschaut haben.

Und genau wie er damals tat, wird wohl auch Tharandil ein Anliegen an ihn herantragen.

Wer ein kostbares Geschenk mitbringt, führt meistens was im Schilde und will für gewöhnlich eine Gegenleistung dafür sehen.

Wie gut er sich doch auf die Gepflogenheiten der diplomatischen Gesprächsführung versteht. Tharandil jubelt ihm tatsächlich so ganz nebenbei in einer Besprechung über einige noch zu regelnde Dinge unter, dass ein kleiner Teil ihrer Bevölkerung, weniger als ein Drittel der Elben, in Gydland verbleibt. Unter anderem Mavron mit Ruthiel und Hamiko. Ihre Königslinie muss unbedingt bestehen bleiben.

Ach ne, was für eine Überraschung? Auf den Gedanken wäre sogar Barin gekommen. Er würde es auch nicht wollen, wenn seine Krone auf dem Kopfe eines familienfernen Nachfolgers säße. Was die Thronbesetzung betrifft, sind sich wohl alle Regenten sämtlicher Länder ähnlich in ihrem Bestreben.

König Barin tut so, als wenn er eine Nacht darüber nachdenken müsse, dann wirkt es großzügiger, wenn man Ja sagt, und am nächsten Morgen kommt er der Bitte von König Tharandil, seinem Volke eine Heimstatt auf ewig zu bieten, nach.

Im Moment ist alles sowieso nur eine theoretische Annahme, das Volk verbleibt in Gydland, und seine Zusage kommt erst zum Tragen, wenn die Elben den Krieg verlieren. Sollte innerhalb des nächsten Jahres kein Bote auftauchen, der den Rest abholt, kann man allerdings vom Schlimmsten ausgehen. Barin möchte jedoch ein jegliches Risiko ausschließen und als Voraussetzung verlangt er, dass sie sich im Falle eines langfristigen Ansiedelns, womöglich auch außerhalb der jetzigen Ländereien, unter die Gesetze von Gydland stellen und Frieden wahren. Unter dieser Voraussetzung stünde einem fruchtbaren Miteinander, das Wissen und Können der Elben ist hochbegehrt bei den Menschen, nichts mehr im Wege.

Selbstverständlich geben König Tharandil und Stellkönigin Jamena darauf ihr Wort und zusätzlich eine Unterschrift auf einen Vertrag, in dem jeder Punkt haarklein niedergeschrieben ist. An diesem Vormittag wechseln zwei Dokumente den Besitzer. Tharandil erhält König Barins Zusage und im Gegenzuge händigt er den alten Schuldschein an ihn aus.

„König Barin, wir danken Euch für Euer Entgegenkommen und wir haben auch den damaligen Vertrag nicht vergessen. All Eure ausstehenden Zahlungen sind beglichen und jedes Korn, das wir Euch lieferten, habt Ihr bezahlt. So hat nun eine Hand der anderen geholfen. Eure Verbindlichkeiten gegenüber dem „Haus der Bäume“ sind in diesem Augenblick gelöscht und gehören der Vergangenheit an.“

König Barin schaut eine Weile auf das Papier, als wenn er es noch nicht ganz begreifen täte, was er da in den Fingern hält, und mit belegter Stimme, die Erinnerung rührt an seinem Herzen, spricht er in die Runde: „Ich möchte Euch noch ein letztes Mal Dank sagen. Hättet Ihr damals meine Bitte abgelehnt, würden wir beide heute hier nicht an einem Tische sitzen. In den vergangenen Jahren erhielten wir zudem die Möglichkeit, viel von Euren Leuten zu lernen, und ich hoffe auf eine weitere Zusammenarbeit. Daher wünsche ich Euch Glück und ein gutes Gelingen in Hinsicht auf die Schlacht, in die Ihr nun reiten werdet. Mögt Ihr den Sieg davontragen und hernach würde es mich freuen, wenn wir feste wirtschaftliche Beziehungen aufnehmen täten. Als Grundlage für eine dauerhafte und für beide Seiten gewinnbringende Verbindung zwischen den Elben und den Menschen.“

Ein Geraune und Getuschel geht im Elbenvolke um: „Die Könige sind von Barins Hof zurück. Jetzt kann es sich nur noch um Tage handeln, dann gibt König Tharandil den Befehl zum Abmarsch für die Armee bekannt.“

Seitdem sie bei Barin vorgesprochen oder besser gesagt dem „Auf Nimmerwiedersehen“ gesagt haben, herrscht Unruhe unter den Jägern und Jägerinnen und Gerüchte über den Zeitpunkt machen die Runde. Jeder meint, er habe etwas gehört. Morgen soll es losgehen, nein, nächste Dekare, nein, eine Vorhut ist bereits auf der anderen Seite. Alles Blödsinn, weder Nimrond noch Tharandil legten sich bislang auf einen Termin fest. Sie zögern entgegen besserem Wissen, dass ihre Unentschlossenheit schlecht bei den sowieso schon auf heißen Kohlen sitzenden Jägern im Heer ankommt und deren wilde Entschlossenheit, zum Sturm anzusetzen, noch mehr anstachelt.

„Wir gehen in vier Tagen los“, sagt Nimrond und macht als Gardemeister und oberster Befehlshaber der Warterei ein Ende.

„Ist doch egal, wann wir auf dem Schlachtfeld sterben. Lass es uns jetzt wagen.“ Ein Satz, den Tharandil abnickt, nur den Teil mit dem Sterben, den findet er ein bisschen zu theatralisch, den hätte Nimrond für sich behalten können.

Des Gardemeisters Leute zerren wie junge Pferde im Geschirr. Sie wollen aufbrechen und rennen, jeder Tag, den sie länger still stehen, untergräbt die Disziplin der Männer und Frauen mehr und mehr und die Warterei zerrt an den Nerven. Worauf also noch harren? Wozu schwört Tharandil sie seit Jahren mit Worten und teilweise drastischen Maßnahmen, jagte die jungen Elben im Schnellverfahren durch das Jahrhaus, auf den Krieg ein. Das ganze Gehetze muss sich doch irgendwie gelohnt haben. Dauernd gesagt zu bekommen „wir latschen los“ und dann wieder „ne, Kommando retour“, ist sehr kontraproduktiv für die Moral der Streiter.

Endlich fällt das Startsignal in Form eines knappen Befehles und eine bunte und zahlreiche Elbenmenge versammelt sich an diesem verregneten Spätsommertag.

Tausende von Reitern, Jägern zu Fuß, Schwertkämpfern, Bogenschützen, Lanzenträgern und Begleitmannschaften sowie Bagagewagen und Packpferde wuseln seit den Vormittagsstunden auf der großen Wiese umeinander und durcheinander. Anscheinend völlig planlos, und doch bildet sich in kürzester Zeit eine Ordnung heraus, und zwei Tage später marschieren sie Abteilung für Abteilung in Richtung des Tores nach Varngond, angeführt von ihrem Königspaar und dem Gardemeister.

In ihrer letzten Nacht in Gydland liegt Jamena lange wach und ergeht sich in Gedanken. Wie kann Mavron nur so friedlich schlafen, hat er denn gar keine Angst vor dem, was kommt? Jamena meint, ihr würden die Augen bis zum Morgengrauen offen stehen, aber dann schließen sie sich doch und mit einem tiefen Atemzug schlummert sie hinweg.

Der Abend gehörte ihr und Mavron und alle am Tisch sitzenden Familienmitglieder lächelten verständnisvoll, als sie sich mit ihm bereits direkt nach dem Nachtmahl verzog. Tharandil und Nimrond übernahmen es dankenswerterweise, ihre Enkel ins Bett zu befördern. Morgen in aller Frühe wird sie sich von Ruthiel und Hamiko verabschieden. Kurz und schnell, damit auch ja keine sentimentalen Gefühlsausbrüche von ihr Besitz ergreifen. Sie benötigt einen klaren Kopf und einen messerscharfen Verstand. Das erste Mal in ihrem Leben ist ihr eine vielköpfige Armee anvertraut und sie ist verantwortlich für das Leben von tausenden von Elben. Was bedeuten da schon zwei kleine Racker? Ihr Unterfangen nimmt sie mit Leib und Seele in Anspruch, da bleibt kein Platz mehr für private Belange, das „Haus der Bäume“ verlangt volle Aufmerksamkeit und komplette Hingabe bis zum Tode.

Der Anblick der Jäger und Fuchsjäger der königlichen Garde in ihren neuen strahlenden Rüstungen auf ihren prächtigen Pferden stellt heute Vormittag kaum eine Ablenkung, geschweige denn einen Trost für Hamiko dar. Ihm ist einfach nur jämmerlich zumute und Ruthiel heult leise vor sich hin.

Zärtlich streicht Jamena beiden Kindern über die Haare und drückt sie fest an sich. Hamiko findet, er sei bereits ein wenig zu alt für eine solche mütterliche Geste, und es ist ihm trotz aller Traurigkeit ein wenig peinlich. Was sollen denn seine Freunde von ihm denken? Aber er lässt es geschehen und macht seiner Mutter die Freude. Es ist vielleicht das letzte Mal, dass sie ihn so liebevoll berührt, und bei diesem Gedanken krampft sich seine Kehle zusammen und ein bislang zurückgehaltenes Schluchzen blubbert hoch, und so zittert ihre Stimme, als sie spricht: „Meine lieben Kinder, Ruthiel, Hamiko, ihr seid alt genug um zu verstehen, warum ich mit dem König reiten muss. Tharandil und ich, wir tragen die Kronen von Varngond. Wir sind in der Pflicht, mit unserem Leben für unser Land und unser Volk einzustehen. Es ist an uns, die Armee vom „Haus der Bäume“ in die Schlacht zu führen, damit wir unsere Heimat wieder erlangen.

Ich wünschte, wir hätten die Wahl, und es gäbe einen anderen Weg, als denn die Schwerter sprechen zu lassen. Mögen die Götter es geben, dass ich euch in Varngond wieder in die Arme schließen kann. Mögen die Götter ein gutes Schicksal für uns bereithalten. Mavron bleibt bei euch und wird euch beschützen und mit seiner Hand lenken. Ihr werdet seinem Wort folgen und ihm keinen Ärger machen. Er und ich lieben euch mit unserem ganzen Herzen.“

Alles, was ihnen nach diesen Worten von Jamena bleibt, ist, ihr zum Abschied zu winken, und Mavron umarmt und küsst seine geliebte Frau inniglich, dann steigt sie auf ihr Schlachtross und trabt an die Spitze des Heerzuges, wo Tharandil und Nimrond bereits auf sie warten.

„Jamena, es ist gut, alles wird gut. Deine Tränen dürfen heute fließen. Sei gewiss, der Morgen, an dem du wieder lachst, ist nicht mehr fern“, nette Worte und ein nett gemeinter Versuch vom König, ihr Gemüt zu erhellen, und sie zollt ihm dafür ein schmales, gequältes Lächeln.

Eine fürchterliche Vorstellung bemächtigt sich seiner. Nie wieder seine Frau küssen zu können, wäre für ihn die Katastrophe schlechthin, und Mavron schiebt die in ihm aufkeimende Panik ganz schnell ganz weit fort. Sie kommt zurück, daran glaubt er fest. Was sollte ihm sonst Hoffnung geben? Und bis zu dem Tage hat er genug um die Ohren. Tharandil hat ihn mit einer anderen anspruchsvollen und genauso wichtigen Aufgabe hier vor Ort betraut. Einerseits ehrt es ihn, dass sein Bandvater ihm die Zügel in die Hand drückt, andererseits zweifelt er daran, ob er der richtige Mann dafür ist. Sein Metier ist die ärztliche Kunst, weniger die Kunst des Regierens.

Er soll die Gemeinschaft der verbleibenden Elben leiten und ihr Ersatzkönig sein und sie nach Pelegorn bringen. Vorausgesetzt natürlich, dass sie gewinnen. Sollten sie verlieren, dann muss er den verschlossenen und gesiegelten Umschlag öffnen, welchen Tharandil ihm vor einigen Tage gab. Er weiß, was darin steht, seine offizielle Ernennung zum Regenten vom „Haus der Bäume“. Eine kleine Vorsorgemaßnahme für den Ernstfall. Sollte keiner von den Erwachsenen, die ein Anrecht auf die Kronen haben, zurückkehren, wird er den Thron innehaben, bis Ruthiel und Hamiko aus dem Jahrhaus kommen.

„Ruthiel, Hamiko, kommt zu mir. Wir gehen in den Stall, die neuen Kälbchen anschauen“, ruft Mavron, er mag hier nicht rumstehen und zuschauen, wie eine Reihe Jäger nach der anderen den Platz räumt.

Nur bis Tharandil, Jamena und Nimrond aus ihren Augen verschwunden sind, verbleibt er am Rande der großen Wiese, das gehört sich so. Danach nimmt er seine Kinder an die Hand und gemeinsam gehen sie in das Stallgebäude. Dringend muss er die Gedanken auf etwas anderes richten, sonst kommen ihm noch die Tränen.

Am nächsten Tage schwirrt eine Idee in seinem Kopfe herum. Er würde gerne Ruthiel fragen, ob sie irgendeine Nebelgestalt hinter Tharandil oder Jamena gesehen hat. Nur mal so, weil die Magierin deutete vor einiger Zeit vage an, dass es sich dabei vielleicht um Erscheinungen handeln könnte, die irgendwie mit dem zukünftigen Schicksal der Person zusammenhängen.

In seiner Vorstellung wäre das dann, als Exempel genannt, bei Nimrond vielleicht ein Wolkenelbe mit dem Schwert in der hoch erhobenen Hand. Sozusagen ein siegreicher Gardemeister, zu wünschen wäre das.

Kurz darauf verwirft er diesen blöden Gedanken wieder, denn das Mädchen für seine Zwecke einzuspannen, kommt ihm dann doch irgendwie schäbig vor. Vor allen Dingen, will er wirklich die Zukunft schauen mit allen Konsequenzen, die sich daraus ergeben täten? Und was wäre, wenn er danach handelte, und im Nachhinein stellte sich dann raus, dass die Deutung der Sichtung falsch war? Damit könnte er erst recht eine Katastrophe herbeizitieren und die wäre dann zu allem Übel auch noch hausgemacht.

Wie er überhaupt auf eine solche krude Idee kommt, ganz einfach. In den vergangenen Lumnos, seitdem Ruthiel von der Magierin begleitet und angeleitet wird, schälte sich ihre Gabe weiter und weiter heraus. Inzwischen überwand sie ihre Sprachlosigkeit und sie ist in der Lage, das zu beschreiben, was in ihrem Innersten vorgeht, sobald sie eine Gestalt erblickt. Zu Anfang war sie viel zu furchterfüllt und mit dem Geschehen überfordert und sie konnte das, was mit ihr passiert, das, was die Magie mit ihr macht, mit ihrem kindlichen Verstand nicht greifen und fand somit auch keine Worte für eine Beschreibung. Erst als sich die Magierin ihrer annimmt, kommt Licht in das Dunkel, und aus dem Schrecken wird eine nützliche magische Gabe. Jeden Tag versteht Ruthiel ein bisschen mehr von dem, was in ihr schlummert, jeden Tag lernt sie ein bisschen mehr, damit zu leben, und zaghaft geht sie die ersten Schritte in ihre von den Göttern vorherbestimmte Zukunft.

Mavron würde am liebsten losrennen in Richtung schöne Zukunft. Unaufhaltsam streichen die warmen Sommertage vorbei und jetzt liegt sogar schon des Morgens ein Nebelhauch über den feuchten Wiesen und in den Tälern. Ein untrügliches Zeichen für den beginnenden Herbst, und bis heute keine Nachricht von Tharandil.

Die in der Ortschaft verbliebenen Elben und Elbinnen werden mit der Zeit ungehalten und meckern, und Mavron kann das dauernde Gefrage, „Gibt es Neuigkeiten?“, nicht mehr hören. Manchmal juckt es ihn einfach zu schreien: „Ja, aber die behalte ich für mich.“ Was natürlich beides Blödsinn ist, das Rumschreien wie das Schweigen.

Abgesehen davon, wenn es welche gäbe, würde er die sofort ausposaunen, nur damit die nervige Nachfragerei ein Ende hat.

Seit dem Tage, wo sie alle abgezogen sind, wirken Ort und Gutshof verlassen und irgendwie kommt er sich einsam in diesem fremden Lande vor. Keine Jamena, kein König, und Mavron meint, dieser Eindruck würde noch dadurch verstärkt, weil das Banner nicht mehr an der Fahnenstange im Wind weht. Die Könige sind fort und nahmen es mit. Gut, er hat noch eine Ersatzfahne in einer Truhe liegen, aber die darf er nur aufhängen, wenn wieder ein rechtmäßiger König im Lande herrscht. Ihm graut vor dem Gedanken, sie könnten den Krieg verlieren und er wäre gezwungen, Tharandils Nachfolge anzutreten, bis Hamiko erwachsen ist und eine der Kronen nimmt. Die übrigens zusammen mit dem Banner in der Kiste verstaut wurden.

Der tägliche Trott, sich um Ruthiel und Hamiko kümmern, seine Patienten versorgen und die Organisation sämtlicher Dinge, die ihr nun arg geschrumpftes Gemeinwesen betreffen, nehmen ihn voll in Anspruch. Mavron ist um jede Ablenkung dankbar, denn mit jedem Tag, der ohne Nachricht vergeht, obwohl, keine Kunde ist gute Kunde, redet er sich zumindest ein, liegen seine Nerven mehr blank.