Die Kristallelemente (Band 1): Das silberne Herz des Meeres - B. E. Pfeiffer - E-Book

Die Kristallelemente (Band 1): Das silberne Herz des Meeres E-Book

B. E. Pfeiffer

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Beschreibung

Die rauschenden Wellen, der sanfte Wind, das Kreischen der Möwen … schon immer hat sich Amara zum Meer hingezogen gefühlt, denn sie trägt Magie in sich und ist mit der See verbunden. Allerdings darf sie dieses Geheimnis niemandem anvertrauen, denn ihr eigener Vater ließ ihre Großmutter wegen ebendieser Gabe auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Als sie an einen brutalen Kaufmann verheiratet werden soll, wird Amara klar: Sie muss fliehen. Dank ihrer Magie spürt sie, dass berüchtigte Piraten die Stadt überfallen werden – das ist die Gelegenheit, ungesehen ihrem goldenen Käfig zu entkommen. Leider läuft sie bei der Flucht ausgerechnet dem Kapitän des Piratenschiffes in die Arme und dieser hat ganz eigene Pläne mit ihr. Denn auch für ihn sind ihre Kräfte etwas Besonderes. Sie könnten ihm helfen, einen uralten Fluch endlich zu brechen und einen Schatz zu erobern, der seinesgleichen sucht: das silberne Herz des Meeres.

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Informationen zum Buch

Impressum

Widmung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Epilog

Dank

 

B. E. Pfeiffer

 

 

Die Kristallelemente

Band 1: Das silberne Herz des Meeres

 

 

Fantasy

 

Die Kristallelemente (Band 1): Das silberne Herz des Meeres

Die rauschenden Wellen, der sanfte Wind, das Kreischen der Möwen … schon immer hat sich Amara zum Meer hingezogen gefühlt, denn sie trägt Magie in sich und ist mit der See verbunden. Allerdings darf sie dieses Geheimnis niemandem anvertrauen, denn ihr eigener Vater ließ ihre Großmutter wegen ebendieser Gabe auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Als sie an einen brutalen Kaufmann verheiratet werden soll, wird Amara klar: Sie muss fliehen. Dank ihrer Magie spürt sie, dass berüchtigte Piraten die Stadt überfallen werden – das ist die Gelegenheit, ungesehen ihrem goldenen Käfig zu entkommen. Leider läuft sie bei der Flucht ausgerechnet dem Kapitän des Piratenschiffes in die Arme und dieser hat ganz eigene Pläne mit ihr. Denn auch für ihn sind ihre Kräfte etwas Besonderes. Sie könnten ihm helfen, einen uralten Fluch endlich zu brechen und einen Schatz zu erobern, der seinesgleichen sucht: das silberne Herz des Meeres.

 

 

Die Autorin

Bettina Pfeiffer wurde 1984 in Graz geboren und lebt heute mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Baden bei Wien.

Seit ihrer Kindheit liebt sie es, sich Geschichten auszudenken. Besonders als Ausgleich zu ihrem zahlenorientierten Hauptjob taucht sie gern in magische Welten ab und begann schließlich, diese aufzuschreiben. So entstand recht schnell die Idee für die ›Weltportale‹ und andere magische Geschichten im Genre Fan-tasy/Romantasy.

Inspiration dafür findet sie immer wieder durch ihre Kinder, mit denen sie gern auf abenteuerliche Entdeckungsreisen geht.

 

 

 

www.sternensand-verlag.ch

[email protected]

 

1. Auflage, März 2020

© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2020

Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski

Lektorat / Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Natalie Röllig

Korrektorat 2: Sternensand Verlag GmbH | Jennifer Papendick

Satz: Sternensand Verlag GmbH

 

ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-115-4

ISBN (epub): 978-3-03896-116-1

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

Widmung

Für Oma. Möge der Wind dich sicher nach Hause tragen.

 

 

Prolog

 

Einst, als die Welt aus roher Magie geformt wurde, entstanden zwei Wesen, alt wie die Zeit.

Während das eine anmutig und voller Güte war, bestand das andere aus Zorn und Neid. Sie sollten ein Gleichgewicht bilden, wenn sich die Länder und Meere sowie die Lebewesen formten.

Aber das dunkle Wesen war gierig. Es wollte über alles allein herrschen. So kämpfte es mit all seiner Macht gegen das helle Geschöpf und konnte doch nie den Sieg erringen. Auch nicht, als es Monster aus sich gebar, die sich vom Licht des hellen Geschöpfs ernähren sollten.

Erst als die Magie die Menschen schuf, änderte sich alles. Das helle Geschöpf beschützte diese Lebewesen und doch gelang es dem dunklen Wesen, ihre Herzen zu vergiften und mit ihnen seinem Gegenspieler eine Falle zu stellen.

Das helle Geschöpf wusste, dass es nicht mehr in der Lage war, die Welt zu retten. Also opferte es sich und zerbarst in vier Elemente – Feuer, Wasser, Erde und Luft – und verteilte sie über die Welt, um das dunkle Wesen zu bannen. Und wenn es einst gelingen würde, sie alle zu vereinen, könnten die Finsternis endgültig besiegt und ein neues Gleichgewicht erschaffen werden.

Solange die Elemente über Magie verfügten, würde es der Dunkelheit nie gelingen, die Welt zu erobern. Aber der Frieden sollte nicht lange währen, denn ohne den Schutz des hellen Geschöpfs gelang es dem dunklen Wesen immer wieder, die Zusammenführung der Elemente zu verhindern. Es vergiftete die Herzen der Seefahrer und sorgte dafür, dass sie nach einem sagenumwobenen Schatz, dem silbernen Herzen des Meeres, suchten und blind wurden für das, was wirklich wertvoll war.

Denn nur mit dem silbernen Herzen konnte die uralte Magie erweckt werden: jene des Kristallherzens.

Wasser, aus Sturm geboren,

setzt die Magie in Gang.

Kapitel 1

 

Ich stand in meinem frühlingshaften Blumenkleid auf einer Düne und ließ den Blick über die unruhige See schweifen. Der Wind trieb mir Tränen in die Augen und obwohl die Sonne schien, wusste ich, dass ein Sturm aufziehen würde.

Ich wusste es, weil ich schon immer anders war. Das Meer war meine Bestimmung, zumindest hatte meine Großmutter das immer gesagt. Sie war eine weise Frau gewesen, bis man sie auf einen Scheiterhaufen gestellt und als Hexe verbrannt hatte. Sie hatte gewusst, dass man sie holen würde, war aber nicht fortgelaufen. Schließlich war sie alt, wie sie sagte. Doch Großmutter schärfte mir – damals ein kleines Mädchen von fünf Jahren – ein, dass ich meine Gabe niemandem zeigen dürfte.

 

»Hör mir zu, Amara«, sagte sie, als die lauten Rufe schon durch die Tür unseres vornehmen Hauses drangen, »du darfst niemanden wissen lassen, was du kannst.«

»Was meinst du, Oma?«, fragte ich verzweifelt.

»Du kannst den Sturm, der lauert, nicht nur fühlen, du kannst ihn auch heraufbeschwören.« Sie lächelte und strich mir über den damals hellblonden Haarschopf. »Wasser, aus Sturm geboren, setzt die Magie in Gang«, flüsterte sie und ihr Blick war in die Ferne gerichtet, bevor sie mich wieder ansah. »Das Schicksal hat eine besondere Rolle für dich erwählt, meine Kleine. Aber dazu musst du leben. Lass niemanden wissen, welche Gabe du in dir trägst. Versprich es mir.«

 

Und ich hatte es versprochen. Nur Oma hatte gewusst, welche Magie in mir schlummerte. Niemand sonst.

Ich seufzte. Die Menschen glaubten ohnehin nur, was sie glauben wollten. Denn ganz gleich, wie oft ich versucht hatte, sie zu warnen, sie lachten mich aus, wenn ich von Stürmen sprach. Besonders, wenn es warm war und kein Wölkchen den Himmel verdunkelte. Anfangs hatte es mich wütend gemacht, jetzt kümmerte es mich kaum noch und ich behielt meine Warnungen für mich.

Magie war etwas Rohes, etwas, das den Menschen mehr Furcht einflößte als ein Sturm oder Krieg. Weil sie es nicht verstanden. Oder beherrschen konnten. Beinahe hatte ich Mitleid mit ihnen.

Wieder seufzte ich. Ich gehörte nicht hierher. Wegen meiner Gabe nicht und weil ich … nun, anders war.

Die Menschen in unserem Städtchen Westwend, am Rand eines mächtigen Königreichs namens Daris, hielten mich zum Glück bisher nur für verrückt. Wie konnte es auch anders sein, schließlich war meine Großmutter als verurteilte Hexe verbrannt worden und ich hatte vor Jahren von Stürmen gesprochen, wo doch herrlichstes Wetter geherrscht hatte.

Mein Vater hatte sich zwar redlich bemüht, mich so aufzuziehen, dass ich den Ansprüchen unserer Mitbürger gerecht wurde, aber so wirklich gelungen war ihm das nie. Wobei ich schon längst aufgehört hatte, helfen zu wollen. Ich passte dennoch nicht hierher.

Die meisten Mädchen unserer Stadt liebten es, sich hübsch anzuziehen, und gaben das Geld ihrer Väter für Stoffe oder Haarbänder aus. Ich hingegen kaufte Landkarten oder einen Kompass und überließ es meiner Mutter, meine Kleidung auszuwählen. Sie hatte dafür ein Händchen, ich nicht. Rüschen fand ich immer schon albern, ganz gleich, wie modisch sie in diesem oder jenem Jahr waren.

Mein Vater war ein reicher Händler. Er besaß fünf Schiffe, die er zwischen den Königreichen unserer Welt, die man Callisto nannte, umherschickte, mit denen er Ware kaufte und verkaufte. Ich war sein einziges Kind und obwohl mich jeder für sonderbar hielt, gab es genug Interessenten, die um mich werben wollten. Denn ich versprach unermesslichen Reichtum. Außerdem schien ich trotz meiner wilden Art und der Mängel, die man mir nachsagte, liebreizend zu sein. Zumindest hatte ich dieses Wort mehrmals gesagt bekommen.

Dass ich den Männern gefiel, verdankte ich dem Modegeschmack meiner Mutter. Sie steckte mich in lächerliche Kleidchen und zwang mich, meine mittlerweile walnussbraunen Haare in Locken legen zu lassen. Immerhin konnte ich sie davon abhalten, mir die Farbe ins Gesicht zu pinseln, die viele Frauen meines Alters trugen, um interessanter zu sein.

Meine Familie genoss hohes Ansehen, obwohl meine Großmutter eine Hexe gewesen war. Da belächelte man mein Temperament, mit dem ich mich oft für Schwächere einsetzte, als kindlichen Eifer. Mein Vater sah das natürlich anders. Ich hatte viel zu oft seine Bestrafung erdulden müssen, wenn ich mich wieder ungebührlich verhalten hatte. Er meinte, irgendwann würde er mir diese Aufmüpfigkeit schon austreiben.

»Du wirst dich noch wundern«, hauchte ich und fuhr über meinen Arm, an dem ich noch die blauen Flecken meiner letzten Züchtigung spürte. Ich hatte ihn diesmal wohl zu sehr gereizt.

Zu meinem Leidwesen lockte ich trotz allem zahlreiche Bewerber an. Geld war nun einmal nicht von der Hand zu weisen und auch wenn ich nicht verbarg, dass ich mich nicht für Tischwäsche oder Haushaltsführung interessierte, sondern Abenteuer erleben wollte, hatten viele um meine Hand angehalten.

Vater hatte sich alle Anträge angehört, niemandem eine Zusage gegeben und war anschließend mit den in seinen Augen besten Kandidaten auf die Jagd gegangen. Denn obwohl unsere Stadt vor allem wegen seines reichen Fischfangs bekannt war, liebten es gerade die wohlhabenden Bürger, in den etwas entfernten Wäldern zu jagen. Nach einigen Ausflügen hatte er verkündet, wen ich heiraten durfte.

Ich ballte die Fäuste, als ich daran dachte, wie diese Männer mit ihren erlegten Tieren zurückkamen und mir Blicke zuwarfen, als wäre ich ihre nächste Beute. »Aber nicht mit mir«, murmelte ich und lockerte meine Finger wieder, während ich auf das Meer hinausblickte.

Vater hatte sich Zeit gelassen und schließlich Earl James Brunwick ausgewählt, mich zur Frau zu nehmen. Der Earl war bereits dreimal verheiratet gewesen und in etwa so alt wie mein Vater selbst. Aber er brachte einen Titel im Tausch gegen mein Vermögen, und seine Familie war einflussreich. Vater erhoffte sich dadurch noch bessere Geschäfte zu machen. Erkauft mit dem Glück seiner Tochter.

Denn Earl Brunwick galt als brutaler Mann. Seine erste Frau hatte er angeblich erwürgt, allerdings konnte man es ihm nie nachweisen, seine zweite Frau starb kurz nach der Geburt ihres ersten Kindes, weil der Earl es nicht abwarten konnte und das Bett gleich nach der Niederkunft mit ihr teilte. Seine dritte Frau fand man mit zerschmetterten Knochen bei den Klippen unter seinem Herrenhaus.

Ich hatte keine Zweifel, dass ich nicht lange überleben würde. Der Earl zog eine Ehe mit mir vermutlich ausschließlich meiner Mitgift wegen in Betracht. Vater wählte ihn vor allem wegen seines Ranges und Einflusses. Es hätte mich nicht gewundert, wenn es einen Ehevertrag gäbe, der beiden Vorteile zusicherte, auch für den Fall, dass ich unter mysteriösen Umständen sterben würde.

Ich stieß den Atem aus und umklammerte den Stoff meines Kleides, als Wut in mir aufstieg. Für meinen Vater war ich eine Handelsware. Es kümmerte ihn nicht, ob ich glücklich war oder überhaupt den nächsten Frühling erleben würde. Das hatte es nie.

Deswegen hatte ich einen Entschluss gefasst. Ich würde weglaufen.

Es würde nicht einfach werden und ich musste den richtigen Zeitpunkt abwarten, denn sobald man mein Verschwinden bemerkte, würde man mir folgen. Und ich wusste, ich könnte nie weit genug kommen, bevor mein Vater mich einfangen ließe. Es gab nur eine einzige Gelegenheit.

Einmal, jedes Jahr am Tag des Sommerbeginns, überfiel eine Bande Piraten eine der Städte an der Küste von Daris.

Um diese Seeräuber rankten sich unzählige Gerüchte. Von Dämonen selbst war die Rede, verflucht durch die Magie der Hexen, die man verbrannt hatte und deren Asche mit dem Regen ein unglückliches Schiff dazu verurteilte, jedes Jahr an den Ort ihrer Qual zurückzukehren.

Eine andere Geschichte berichtete davon, dass der Kapitän einer Meerhexe das Leben genommen und den Zorn der alten Götter auf sich geladen hatte. Und wieder eine andere berichtete von einem uralten Dämon, der die Piraten erwählt hatte, ihn aus seinem nassen Grab zu befreien und seine Mächte zu erwecken.

Manchmal waren die Piraten unsterblich, manchmal verwundbar. Aber immer hieß es, diese Seemänner wären mehrere Hundert Jahre alt. Ich hielt alles für Lügengeschichten.

Aber wer Magie so sehr fürchtete, hatte vermutlich auch vor wiederkehrenden Piraten Angst, die, so behaupteten einige Menschen, vollkommen schwarze Haut besaßen.

Abgesehen von dieser seltsamen Farbe benahmen sie sich wie gewöhnliche Piraten: Sie brandschatzten und plünderten. Aber was mir zugutekam, war eine andere Angewohnheit von ihnen, denn sie entführten eine oder zwei Frauen, wenn sie eine Stadt betraten.

Was mit diesen Frauen geschah, wusste niemand, denn sie wurden nie wieder gesehen. Man mutmaßte, die Piraten brachten sie über den Ozean in ein fernes Königreich, Sarabor etwa, in dem sie als Sklavinnen verkauft wurden. Die Händler erzählten sich, dass die Frauen, die entführt wurden, eines gemeinsam hatten: Sie seien atemberaubend schön gewesen.

Man hatte oft versucht, das sagenumwobene Schiff, das angeblich aus dem Schlund der Hölle selbst stammte, zu finden. Immerhin hieß es, dass die Piraten unermessliche Schätze besäßen, erbeutet aus ihren unzähligen Schlachten und der Lohn für die schönen Frauen, die sie angeblich blutrünstigen Kalifen und Kaisern verkauft hatten.

Westwend war schon lange nicht mehr Ziel dieses Überfalls geworden. Vielleicht lag es daran, vielleicht war es aber auch meine Magie, die mich warnen wollte. Etwas in mir wusste, dass der nahende Sturm die gefürchteten Piraten zu uns bringen würde.

Ich hatte sie noch nie gesehen, aber man behauptete unter anderem, dass sie hässlichen Meeresgeschöpfen ähnlicher sähen als Menschen. Allerdings erzählte man sich das nur hinter vorgehaltener Hand, denn Magie, Dämonen und Fabelwesen durfte es nicht geben. Wer dennoch daran glaubte, wurde wie meine Großmutter verbrannt.

Mir war es gleichgültig, ob sie Menschen mit Farbe im Gesicht waren oder Ausgeburten eines Dämons selbst. Ihr Angriff würde mir dazu verhelfen, diese Stadt hinter mir zu lassen und dem grausamen Schicksal zu entgehen, das mein Vater für mich gewählt hatte.

Niemand würde nach mir suchen, wenn ich nach dem Angriff der Piraten verschwunden war. Niemand. Denn ich galt dann als verloren.

Ich blickte zu der kleinen Höhle, welche die Brandung ein Stück entfernt in eine Klippe gefressen hatte. Dort hatte ich schon vor Tagen alles vorbereitet. Ein kleines Ruderboot, Proviant für eine Woche, meine Landkarten und meinen Kompass.

Sobald ich die Nähe der Piraten fühlte, würde ich mich in die Höhle flüchten und dort warten, bis Ruhe eingekehrt war. In der Nacht darauf würde ich mit dem Boot losrudern, bis ich ans Ufer des nächsten Königreichs kam. Ich hatte Geld gespart und ich war mir sicher, Arbeit zu finden, wenn ich mich bemühte. Denn ich war mir für keine Tätigkeit zu schade. Außer meinen Körper zu verkaufen.

»Bald, schon bald, bin ich hier fort«, machte ich mir selbst Mut und hob die Nase in den Wind.

Einen Tag, vielleicht zwei, dann würde der Sturm hier sein und mit ihm das gefürchtete Schiff der Piraten. Kurz erwog ich, die Stadt zu warnen, auch wenn das bedeutete, dass eine Flucht schwieriger wäre. Aber ich wusste, niemand würde mir glauben, also ließ ich es.

»Amara!«, hörte ich die Stimme meiner Mutter, die mit ihrem Sonnenschirm in der Kutsche gewartet hatte.

Wir waren von der Schneiderin, die mein abscheuliches ausladendes Hochzeitskleid fertigte, auf dem Weg zurück in das Stadthaus meines Vaters unterwegs gewesen, als ich darum bat, mir die Beine vertreten zu dürfen.

»Komm endlich. Dein Vater will nicht, dass du so lange in der Sonne bist. Du verdirbst dir die Haut, und Earl Brunwick möchte, dass du blass wie eine Schneeflocke bist.«

Ich unterdrückte ein Schnauben. Als ob es mich interessierte, wie der Earl sein Spielzeug mochte. Dennoch gehorchte ich und trottete zur Kutsche.

»Geh aufrechter, Kind. Du bist bald eine Lady. Du musst Haltung zeigen. Ganz gleich, welche Last auf deinen Schultern liegt oder welche Schmerzen dich plagen. Geh aufrecht und lass niemanden wissen, was du wirklich denkst oder fühlst.«

»Ja, Mutter«, murmelte ich, als ich in die offene Kutsche stieg und mich zwang, nicht zum Meer zu blicken.

Zwei Tage höchstens noch. Dann wäre ich hier fort. Lange bevor mich der Earl gelehrt hat, was wahre Schmerzen waren. Denn dass er mir wehtun würde, weil es ihm Lust bereitete, war mir in dem Moment klar gewesen, als er seinen gierigen Blick über meinen Körper hatte schweifen lassen.

Aber so weit würde es nicht kommen. Denn in zwei Tagen war ich frei.

Kapitel 2

 

Wolken schoben sich vor den silbrigen Mond, als ich die Fensterläden öffnete und mein Gesicht in den kühlen Wind hielt. Selbst hier, fünf Minuten zu Pferd entfernt, hörte ich noch das Rauschen der Wellen. Sie wehrten sich gegen das, was im Begriff war, sie zu durchpflügen.

Ein Schiff, getrieben von seltsamer Magie, näherte sich. Ich konnte es nicht sehen, ich fühlte nur, wie es unaufhaltsam auf die Küste von Westwend zuhielt. Also schienen zumindest die Legenden um die Magie, die sich um den Dreimaster rankten, der Wahrheit zu entsprechen. Etwas Dunkles bahnte sich seinen Weg über das Meer, und es ging von diesem Schiff aus.

Noch einmal überlegte ich, Alarm zu schlagen. Aber es hatte keinen Sinn. Hätte man mir vor vier Jahren geglaubt, als ich erklärt hatte, dass ein Orkan viele Opfer fordern würde, wären unzählige Menschen heute noch am Leben, die ihren Tod im Unwetter fanden. Vor drei Jahren hatte ich gefleht, man möge Dämme errichten, weil eine gewaltige Welle Teile der Stadt zerstören könnte. Vater hatte mich ermahnt, mich nicht in Hexenwerk zu üben und meine Zunge zu hüten. Es ginge um sein Ansehen. Also hatte ich damals nicht weiter versucht, die Menschen zu warnen, die kurz darauf von einer Welle mit sich gerissen wurden.

Deswegen schwieg ich auch diesmal und verdrängte mein schlechtes Gewissen, als ich in Männerkleidung und mit Reitstiefeln die Wand des Hauses hinabkletterte. In den luftigen Kleidchen, die ich ansonsten tragen musste, wäre eine Flucht unmöglich gewesen.

»Leb wohl«, flüsterte ich, als ich zum Fenster hinaufblickte und mich schleichend vom Haus entfernte.

Das Meeresrauschen erhob sich, brüllte mir die Ankunft der Piraten entgegen, als ich die Mauer, die das Grundstück umgab, erreichte. Ich warf noch einen letzten Blick auf das Haus, in dem ich aufgewachsen war, in dem Wissen, dass ich es nie wieder sehen würde.

Aber da war keine Wehmut, nur Erleichterung. Denn was auch immer das Schicksal für mich vorgesehen hatte, es musste besser sein als das hier. Eingesperrt in einem Haus ohne Hoffnung, verdammt dazu, einen Mann zu heiraten, der mich im besten Fall als Spielzeug betrachtete, war nicht das, was ich für mein Leben vorgesehen hatte.

Ich salutierte meinem Elternhaus ein letztes Mal zu, dann begann ich, die Mauer abzusuchen.

Es gab ein Loch, groß genug, dass ich mich durchzwängen konnte. Denn das Tor war streng bewacht und die Mauer zu hoch, um sie hinaufzuklettern. Ich ließ meine Finger über den bröckeligen Putz der Wand gleiten, bis ich die ersten Risse ertastete. Man hatte vor Jahren einen Rosenstock an jene Stelle gepflanzt, die brüchig geworden war. Als hätte die Pflanze den Lauf der Zeit aufhalten können.

Ich zischte, als meine Finger von Dornen aufgerissen wurden. Ärgerlich, dass mir das ausgerechnet heute passieren musste, aber ich konnte es nicht ändern. Ich tastete mich weiter, bis ich die Öffnung fand. Durch die Wolken, die sich vor den Mond geschoben hatten, war es stockfinster geworden und der Wind, der plötzlich aufzog, ließ mir einen Schauer über den Rücken laufen.

Für mich bestand kein Zweifel. Die Piraten, die sich gerade unbemerkt unserem Hafen näherten, besaßen dunkle Magie. Voller Kälte und Hass.

Ich rieb mir über die Arme, als meine Haut zu kribbeln begann. Angst stieg in mir auf und ich wusste, dass die dunklen Wolken über mir teilweise meiner Gabe geschuldet waren, denn ich beherrschte den Sturm. Ob ich damit die Piraten hätte aufhalten können?

Nicht mein Problem. Das alles war nicht länger mein Problem.

Dennoch plagten mich Zweifel. Durfte ich wirklich wegschauen? Ich ließ den Blick über das Meer schweifen, das man von hier aus sehen konnte. Es war fast unmöglich, es in der Dunkelheit auszumachen, bis ich ein Flackern wie von einem Feuer bemerkte und die Augen aufriss.

Wie aus dem Nichts war in der Bucht ein Schiff erschienen und erstrahlte in blutrotem Licht. Kanonenschüsse wurden abgefeuert und die Glocke, die Alarm schlug, läutete.

Mir lief die Zeit davon. Ich sollte schon längst näher am Meer sein!

Hastig zwängte ich mich endlich durch die Mauer und lief los. Schreie wurden laut, als erneut Kanonenkugeln abgefeuert wurden, und irgendwo im unteren Teil der Stadt, wo viele Handwerker ihre Läden hatten, krachte es. Feuer brachen aus, Menschen fluchten, flehten, warfen sich auf die Knie, um zu beten.

Ich wich ihnen aus, verbarg mein Gesicht in dem großen Dreieckshut, den ich gefunden hatte, und hoffte, niemand würde jetzt schon nach mir Ausschau halten.

Das gespenstische Lachen der ersten Piraten drang bereits durch die Straßen. Und mit dem Lachen diese dunkle Magie, die sie umgab. Was auch immer sie waren, ich wollte ihnen ganz gewiss nicht in die Hände fallen.

Es krachte erneut, Glas splitterte, Frauen brüllten und Männer wimmerten.

Ich hätte Mitgefühl gehabt, wenn ich Zeit dazu gehabt hätte. Aber ich musste mich beeilen.

In dem Chaos näherte ich mich dem Meer langsamer, als mir lieb war. Ich wollte mich in der Höhle verstecken, bevor die Piraten alle Straßen verwüsteten. Leider hatte ich nicht bedacht, dass sie mich eventuell verschleppen oder töten würden, wenn sie mich sahen. Aber auch das kam mir weniger schrecklich vor, als Earl Brunwick heiraten zu müssen.

Ich lief weiter, obwohl neben mir Schüsse fielen, machte auch nicht halt, als eine Kanonenkugel nur zwei Straßen weiter den Boden aufriss und alles um mich von der Erschütterung bebte. Die Magie, die von den Piraten ausging, kroch durch die ganze Stadt wie wabernder Nebel im Herbst. Ich fühlte, wie sie nach etwas Ausschau hielt.

Mein Herz schlug schneller, ich beschleunigte meine Schritte und betete stumm, dass sie nicht nach mir suchten, weil meinen Eltern bereits aufgefallen war, dass ich mich nicht mehr im Haus befand.

Keuchend bog ich um eine Ecke, als mir zwei Piraten entgegenkamen. Ich konnte sie nicht richtig sehen, aber im Schein des Feuers ähnelten sie wirklich Dämonen. Ihre Gesichter waren schwarz, nicht dunkel wie die Haut mancher Südländer. Als wären sie mit Pech übergossen worden. Ihre Augen hingegen funkelten so rot wie das Feuer, das um sie loderte, und ihre Haare erinnerten mich an Seegras. Ich wollte lieber nicht die Möglichkeit haben, sie genauer zu betrachten.

Soldaten kamen auf mich zu, aber da sie mich für keine Bedrohung hielten, benahm ich mich wie alle anderen Stadtbewohner und lief zwischen den Feuerherden und den Verwundeten an ihnen vorbei. Niemand schenkte mir wirkliche Beachtung. Für sie war ich ein Junge, der um sein Leben rannte.

Außer mir versuchte keine Seele, das Meer zu erreichen, daher wurde es einfacher, als ich die Stadt hinter mir ließ.

Vor Erleichterung weinte ich fast los, als der Strand endlich vor mir erschien. Ich blickte mich um und lief dann auf die Höhle zu.

Ich hatte es tatsächlich geschafft! Mein Plan war aufgegangen, ich würde frei sein.

Lachend kletterte ich in mein Boot, das ich in aller Heimlichkeit dort hingebracht und mit Proviant und Kleidung gefüllt hatte. Ich hatte Wochen gebraucht, um einen günstigen Zeitpunkt zu finden und das Wrack, das ich am Strand entdeckt hatte, seetüchtig zu machen. Aber jetzt konnte ich stolz auf mich sein, zu Atem kommen und warten. Der Angriff würde wohl noch ein wenig andauern, also legte mich auf den Rücken.

Ich atmete viel zu schnell und schwitzte, aber das war mir gleichgültig. Auch kümmerte es mich nicht, dass immer noch Kanonenschüsse abgefeuert wurden. Ich merkte erst, dass ich mir nur selbst etwas vormachte, als ich weinte und mein Körper zu zittern begann. Nein, es war mir nicht gleichgültig. Aber ich konnte nichts mehr dagegen unternehmen.

All dieses Morden, diese Zerstörung … Wie konnten Menschen so etwas machen? Nur um eine oder zwei Frauen zu entführen und weitere Schätze für ihre Sammlung zu erbeuten. Falls das mit den Schätzen stimmte. Denn ich hatte zwar gehört, dass ihr Schiff voller Gold sei, doch dass sie etwas aus den zerstörten Städten mitnahmen, von den Frauen abgesehen, war umstritten. Aber auch das durfte ich nicht an mich heranlassen. Ich sollte diesen Wesen danken. Durch sie würde ich frei sein.

Ich legte den Hut auf mein Gesicht und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich brauchte nur einen Tag hier auszuhalten. Jetzt hinauszurudern, wäre zu gefährlich. Die Piraten oder die Stadtwache könnten mich für einen der Gegner halten und angreifen. Nein, ich sollte warten, bis die Schlacht vorüber war und der nächste Tag zu Ende ging, ehe ich endgültig fliehen konnte.

Bei dem Lärm der Kanonen war es unmöglich, zu schlafen, obwohl ich mich schrecklich müde fühlte. Schließlich musste es weit nach Mitternacht sein.

Die Wellen tanzten, während ich immer wieder einnickte, bis ihr Tanz lauter wurde und es mir vorkam, als wollten sie mich warnen. Nur erkannte ich diese Zeichen nicht rechtzeitig.

Ich roch den Fischgestank, der von ihm ausging, lange bevor ich ihn sehen konnte. Ich blieb ganz ruhig liegen, hoffte, wer auch immer die Höhle gefunden hatte, würde mich nicht bemerken.

Leider wurde meine Hoffnung schnell zunichtegemacht, als mich eine schleimige Hand am Kragen packte und hochhievte.

Er stand bis zu den Knien im Wasser, seine Haut wirkte im milchigen Mondlicht, das durch eine Öffnung fiel, nachtschwarz, seine Haare wirr wie Seegras, das im Wasser trieb. Seine blutunterlaufenen Augen leuchteten im Dunklen wie zwei Kerzen und sein Mund war seltsam verformt, fast so, als wäre er zusammengenäht worden.

»Sieh an, was sich hier versteckt hat«, brummte er und roch an mir. »Ein Weibsbild in Männerkleidung.«

Ich strampelte, wollte mich wehren, trat nach ihm. Tatsächlich landete mein Stiefel in seinen Rippen, aber er schien es nicht einmal wahrzunehmen. Er zog mich nur näher an sich heran und sein Gestank trieb mir die Tränen in die Augen.

»Lass mich los, du Biest!«, fauchte ich und versuchte, ihm das Gesicht zu zerkratzen.

In seinen Augen veränderte sich etwas, als er mich mit seiner zweiten Hand am Nacken packte und sich mein Körper plötzlich taub anfühlte.

»Wer von uns beiden ist hier ein Biest, du Furie?«, zischte er, umfasste meine Taille und warf mich über seine Schulter. Dann schnappte er sich den Beutel mit meinem Proviant und den wenigen Gegenständen, die ich mitgenommen hatte, und watete durch das Wasser. »Wenn wir an Bord der Crimson Conch sind, werde ich dir beibringen, wie man mit seinem Captain spricht.«

Ich hätte gern etwas erwidert, aber ich konnte nur schnaufen, weil sich mein Mund nicht mehr bewegen ließ.

Er klopfte mir auf den Hintern, dann wurde es schwarz vor meinen Augen.

Kapitel 3

 

Ich war wieder ein kleines Mädchen und stand auf dem Marktplatz von Westwend. Die Nacht war bereits hereingebrochen und es roch nach Feuer und Schwefel.

Ich hob den Blick und sah meine Großmutter, angebunden an einen Pfahl. Man hatte sie geschlagen, denn ihr Gesicht war voller blauer Flecke. Sie trug ein zerrissenes Unterkleid und ihre langen weißen Haare hingen strähnig und verklebt herab. Ich wollte nicht wissen, von was sie verklebt waren, aber der Farbe nach zu schließen, musste es vertrocknetes Blut sein.

Mein Magen zog sich zusammen und ich zitterte. »Nein, nicht noch einmal«, schluchzte ich, weil das Bild mir so furchtbar vertraut war.

Ich sah den Richter, der selbstgefällig die Fackel hielt und etwas von Befreiung sprach. Allerdings begriff ich immer noch nicht, welche Befreiung er meinte.

Hinter mir stand mein Vater, der seine eigene Mutter angezeigt hatte. Sie hatte ihn großgezogen, das aus ihm gemacht, was er war. Und er hatte zum Dank nichts Besseres gewusst, als sie als Hexe anklagen zu lassen, weil ihr Verhalten seinem Geschäft angeblich schadete. Schlimmer noch, er zwang mich, ihrer Hinrichtung zuzusehen, damit ich etwas lernte. Ich wehrte mich dagegen, versuchte, mich abzuwenden, als der Richter den Scheiterhaufen entzündete. Vater hielt meinen Kopf fest.

»Oma«, schluchzte ich und fühlte, wie sich plötzlich ein Wind regte und dunkle Wolken vor sich hertrieb.

›Du darfst niemanden wissen lassen, welche Gabe du besitzt‹, hörte ich Omas Stimme in meinem Kopf, während sich unsere Blicke trafen.

Ein trauriges Lächeln glitt über ihr Gesicht, als der Wind erstarb.

Die Hitze des Feuers brannte auf meiner Haut und ich wollte weinen, aber ich konnte nicht. Meine Kehle schnürte sich zu, ich bekam keine Luft mehr, stemmte mich gegen den Griff meines Vaters, der mich unerbittlich hielt.

›Du bist so tapfer, meine Kleine‹, erklang Omas Stimme wieder in meinem Kopf und ich blickte auf. ›Kein Fluch und keine Dunkelheit werden dir jemals etwas anhaben. Glaub daran, denn dein Herz ist wertvoller als jeder Schatz dieser Welt.‹

Das Feuer loderte höher und verschlang meine Großmutter, während ich nichts tun konnte, um sie zu retten.

Es tat weh. So furchtbar weh. Als es unerträglich wurde, klatschte mir Wasser ins Gesicht.

Ich hustete und setzte mich aufrecht hin, nachdem eine erneute Ladung Wasser über mich gekippt worden war.

»Sieh an, sie wacht doch auf«, verkündete eine kratzige Stimme, die ich noch nie gehört hatte.

Ich riss die Augen auf und hätte am liebsten geschrien, als ich die rußschwarzen Piraten erkannte, die sich um mich versammelt hatten.

Das war also kein Traum gewesen, dass mich dieses ekelerregende Wesen in meiner Höhle gepackt und verschleppt hatte. Panik erfasste mich. Westwend mochte ich verlassen haben, dafür war ich jetzt in Gefangenschaft der berüchtigten schwarzen Piraten.

Ich zählte die Männer, die mich umringten. Jener, der mich gefunden hatte, war – soweit ich es feststellen konnte – nicht unter ihnen. Zehn finstere Gesichter mit entstellten Mündern und seltsam funkelnden Augen musterten mich.

Vom Schiff erkannte ich nicht viel, nur dass ich wohl an Deck lag und das Holz so rot war, wie ich es in der Nacht leuchten gesehen hatte. Wie hatte der Mann das Schiff genannt? Crimson irgendwas. Die Farbe passte, war ›crimson‹ doch das Wort für Purpurrot.

Mein Blick huschte nervös von einem Mann zum nächsten.

Was würde jetzt mit mir geschehen? Wie lange befand ich mich schon an Bord dieses seltsamen Schiffs?

Die Sonne stand hoch am Himmel, also musste es um Mittag herum sein.

Hatte ich die ganze Nacht und den halben Tag verschlafen?

»Macht Platz für den Captain!«, rief eine recht weiblich klingende Stimme.

Die Männer traten einen Schritt zur Seite, und vor mir baute sich ein Mann mit extrem breiten Schultern auf. Ich schluckte, als ich ihn erkannte. Er war es, der mich mitgenommen hatte.

Auch bei Tag hatte sein Gesicht die Farbe einer Moorleiche und sein Mund sah fürchterlich entstellt aus, als hätte man versucht, ihn zu einem Schnabel zu formen, und hätte es bei einem verunglückten Versuch belassen. Seine Augen leuchteten jetzt nicht, dafür wirkten sie fast rot, was ihm ein noch gefährlicheres Aussehen verlieh. Er trug einen zerschlissenen Mantel, der ab den Oberschenkeln nur noch in Fetzen herunterhing. Seine Hose sah nicht viel besser aus. An seiner Hüfte hing ein Schwertgürtel mit zwei Säbeln daran, und eine Pistole steckte in seinem Hosenbund. Auf seinem Kopf saß ein Dreispitz, der ebenso schäbig aussah wie der Rest seiner Aufmachung.

Er verschränkte die Arme, als er zu mir herabblickte. »Wenn du immer so lange schläfst, werden wir viel Wasser brauchen, um dich zu wecken«, kommentierte er, und die Männer lachten.

Ich wollte aufstehen, um ihm etwas zu entgegnen, aber sein Blick drückte mich nieder.

»Willkommen auf der Crimson Conch«, sagte er mit lauter Stimme und hob die Arme. »Du hast die Ehre, für ein Jahr mein Gast zu sein.«

Auch wenn mir sein Aussehen und die Tatsache, dass ich mich mitten unter Piraten befand, Furcht einflößte, so wollte ich meine Angst nicht zeigen. Ich nahm all meinen Mut zusammen und erwiderte seinen Blick. »Gästen steht es für gewöhnlich frei, einen Ort zu verlassen, wenn sie wollen«, fuhr ich ihn an. »Sie werden auch nicht gegen ihren Willen irgendwo hingeschleppt. Ich würde also eher sagen, ich bin deine Gefangene.«

Er betrachtete mich einen Moment, bevor er seinen Oberkörper nach unten beugte. Die Bewegung sah geschmeidig und doch unnatürlich aus. »Du willst nicht meine Gefangene sein. Gefangene verwahren wir tief unter Deck, wo es feucht ist und kein Tageslicht sie erreicht. Und wir stellen Dinge mit ihnen an, die du dir lieber nicht vorstellen willst.«

Ich schluckte unbehaglich und schwieg. Ich war mir ziemlich sicher, dass er meine Angst riechen konnte, so wie ich den fauligen Fischgeruch an ihm roch.

Die dunklen Piraten raubten Frauen und verkauften sie, den Gerüchten zufolge, in ferne Länder. Hatte der Pirat mich deswegen ›Gast‹ genannt, weil er mich nicht in ein Verlies sperrte, bis er mich verschacherte?

»Also, mein Gast. Für ein Jahr«, verkündete er, während er sich erhob.

Die Distanz, die er dadurch schaffte, gab mir neuen Mut. »Und dann? Werft ihr mich über Bord? Verkauft mich an den Meistbietenden?«, verlangte ich zu wissen.

»Das hat dich nicht zu kümmern, bis es so weit ist«, erwiderte er und drehte sich zu einem seiner Männer um, der einen seltsam anmutenden Kasten in der Hand hielt.

Es sah aus wie eine Standuhr, wie man sie in manchen Salons der wohlhabenden Bürger von Westwend fand. Goldene Beschläge ließen sie edel wirken. Allerdings hatte dieses Model kein Ziffernblatt, sondern eine Scheibe, auf der Sonne und Mond abgebildet waren. Außerdem gab es nur einen einzigen Zeiger.

Der vermeintliche Captain drückte auf eine Erhöhung und ein Glockenspiel erklang, gefolgt vom Rattern unzähliger Zahnräder, die sich in Gang setzten.

Er deutete auf den goldenen Zeiger, der sich dort befand, wo für gewöhnlich die Zwölf an einer Uhr angebracht war. »Diese Uhr zeigt dir, wie viel von deinem Jahr vorüber ist. Gedanken, was nach dem Jahr mit dir geschieht, würde ich mir an deiner Stelle frühestens hier machen.« Er zeigte auf einen Punkt, welcher der Elf auf einem Ziffernblatt entsprochen hätte. »Aber auch dann werde ich dir nichts erzählen, also komm nicht auf die Idee, mich ständig deswegen zu nerven, sonst landest du doch im Kerker.«

Der Captain stellte die Uhr auf eine Art Regal und sie verschmolz vor meinen Augen mit dem Schiff. Ich hielt den Atem an und kämpfte gegen das Zittern, das meinen Körper erfassen wollte.

Auf was für einem seltsamen Schiff war ich gelandet? Hatte es einen eigenen Willen? Oder wirkte die Magie des Piraten, ohne dass er einen Spruch nutzen musste?

»Und wie soll ich meine Tage gestalten, wenn ich doch hier gefang… ich meine, wenn ich hier als Gast festgehalten werde?«

»Du wirst schon etwas finden, das dein Interesse erweckt. Perfektioniere dein Talent im Sticken, das hat den meisten Frauen ganz gut gefallen«, erklärte er mit einer wegwerfenden Bewegung. »Und jetzt solltest du dich umziehen. Du magst ein schönes Gesicht haben, aber du bist angezogen, als wärst du ein Straßenjunge.«

Ich funkelte ihn an. »Und du? Du siehst aus, als hättest du dich in einen Schrank voller Motten gestellt und gewartet, bis sie deine Kleidung fast vollständig gefressen haben!«

Ehe ich michs versah, hatte er mich am Kragen gepackt und so nah an sein Gesicht gezogen, dass ich die vielen Äderchen in seinen Augen erkannte. »Willst du doch herausfinden, wie es ist, meine Gefangene zu sein, Weib?«, tobte er. Seine ohnehin tiefe Stimme hallte über das Deck und ließ die Masten erzittern. »Oder soll ich dir auf die unsanfte Weise beibringen, wie du dich deinem Captain gegenüber zu verhalten hast? Denn eigentlich wollte ich nett und höflich sein, weil du eine Dame bist. Aber du kannst gerne meine weniger freundliche Art kennenlernen.«

Meine Zehenspitzen berührten den Boden nicht mehr und ich klammerte mich an seinen Handgelenken fest, weil ich das Gefühl hatte, ich würde sonst ersticken.

»Captain, Ihr macht ihr Angst«, meinte ein Wesen neben ihm. Es war jene Stimme, die sein Kommen angekündigt hatte.

Bei näherer Betrachtung handelte es sich vermutlich um eine Frau. Ihr Körper war zumindest schlanker und hatte deutliche Rundungen verglichen mit den anderen Piraten hier an Deck.

»Dann mache ich es richtig«, zischte er und ließ mich einfach fallen. Ich landete schmerzhaft auf den Beinen, knickte um und fiel auf den Hintern. Ich stieß leise Verwünschungen aus, die ihm galten, aber er beachtete sie nicht, sah über den Rand des Schiffs hinweg. »Wirf noch einen letzten Blick auf deine Heimat. Du wirst sie vermutlich nie wiedersehen.«

Ich schaute über die Reling und entdeckte Westwend. Die Häuser der bessergestellten Menschen standen aus Stein errichtet und mit heller Farbe bemalt auf einer Anhöhe und weiter unten die Holzhütten der weniger gut betuchten Menschen.

Ich schluckte die Tränen und die Wut hinunter, als ich Schäden erkannte, die von den Kanonenschüssen angerichtet worden waren. Ganze Teile der Stadt waren verschwunden, aus eingestürzten Dächern stiegen Rauchschwaden auf.

Ich presste die Lippen aufeinander.

Hätte ich es verhindern können?

Wie von selbst stand ich auf und schritt auf die Reling zu. Niemand hielt mich auf. Ich schielte nach links und rechts, dann sprintete ich los.

Nur wenige Schritte trennten mich von einem Sprung über Bord und kein Pirat befand sich nah genug, um mich aufzuhalten. Dachte ich zumindest. Denn plötzlich trat mir der Captain in den Weg und ich prallte mit voller Wucht gegen seine Brust.

Übelkeit stieg in mir auf und brennende Tränen. Wie hatte er sich so schnell bewegt?

»Wäre ich du, würde ich meine Geduld nicht noch einmal auf die Probe stellen.« Sein Blick ruhte auf mir und ließ mein Blut in den Adern gefrieren. Aus welcher Hölle kam dieses Monster? »Genug verabschiedet. Hawk!«, rief der Captain und ein Mann löste sich aus den Zuschauern. »Bring sie in ihre Kajüte und hilf ihr, sich für das Essen herzurichten.«

Er stieß mich von sich, direkt in die Arme eines anderen Mannes. »Ay«, machte Hawk, der einer der schmächtigsten Piraten zu sein schien.

Dieser packte mich um die Taille und hob mich erstaunlich geschwind hoch. Ich hielt den Atem an, als sich seine spitze Schulter in meinen Magen grub.

Wieso mussten mich diese Piraten ständig über ihre Schultern werfen?

»Bereit machen zum Tauchgang!«, brüllte der Captain und die Männer liefen umher.

Mehr bekam ich nicht mit, denn Hawk öffnete eine Tür und trug mich eine Treppe hinunter.

»Was meint er mit Tauchgang?«, keuchte ich, weil seine Schulter wirklich spitz war und mir von dem Schwanken übel wurde.

»Wirst du sehen, Mädchen«, murmelte Hawk und ging zielstrebig auf eine Tür im Unterdeck zu. Er öffnete sie, trat ein und setzte mich ab. »Bitte schön, die beste Kajüte für unseren Gast.«

Ich ließ den Blick über das schweifen, was ich im dämmrigen Licht, das sich durch das verdunkelte Fenster stahl, erkennen konnte. Es war ein kleiner Raum, aber er war mit erlesenen Dingen gefüllt. Die Möbel sahen antik und gepflegt aus, das Bett groß und einladend und es mangelte nicht an allen möglichen Dingen, die man gebrauchen konnte, um sich die Zeit zu vertreiben.

Hawk schloss die Tür und trat an einen Schrank. Er zog etwas heraus und hielt es mir vor die Nase.

Ich stöhnte. Es war ein ausladendes, mitternachtsblaues Kleid mit Spitzenverzierung.

»Was soll ich damit?«, brummte ich und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Anziehen. Der Captain hat es selbst ausgesucht. Es wird dir gut stehen.«

»Ich habe keine Ahnung, woher er das hat oder meine Größe zu kennen gedenkt, aber ich trage ungern Kleider. Erst recht nicht auf einem Piratenschiff.«

Hawk schüttelte den Kopf. »Ein hübsches Ding wie du sollte nicht in solchen Fetzen herumrennen. Du kommst doch aus einer guten Familie!«

Ich kniff die Augen zusammen. »Woher weißt du das?«

Er zuckte die Schultern. »Geraten. Deine Hände sind so zart, dass sie vermutlich noch nie schwere Arbeit verrichten mussten. Also kannst du nur aus gutem Haus stammen.«

Ich schnaubte noch einmal und wandte mein Gesicht ab. »Ich ziehe das trotzdem nicht an.«

Hawk trat näher. »Hör mal, Mädchen …«

»Ich habe einen Namen!«

»Ist mir gleich!«, knurrte er. »Also. Der Captain will, dass ich dich vorzeigbar mache. Entweder ziehst du dich freiwillig um oder ich betäube dich und stecke dich in dieses Kleid. Ist deine Entscheidung!«

Er stieß mir das Kleid gegen die Brust und ich umfasste es widerwillig. Schön, einen Abend konnte ich mitspielen. Länger würde ich ohnehin nicht hierbleiben. Sobald sich die Gelegenheit bot, wollte ich mich davonstehlen.

Der Pirat musterte mich, als hätte er meine Gedanken gelesen. Also funkelte ich ihn an. »Und du siehst mir jetzt zu, oder wie?«

»Ich habe an Frauen kein Interesse«, erklärte er und wäre sein Mund nicht so entstellt gewesen, hätte er vermutlich gegrinst. »Außerdem muss ich dir dann die Haare machen. Dafür habe ich wirklich ein Talent.«

»Muss das sein? Ihr seid doch Piraten, es kann euch gleich sein, wie ich aussehe.«

»Oh, du machst dir wirklich nichts aus diesen Dingen, was?« Er trat näher und packte eine meiner vom Meerwasser verklebten Haarsträhnen. »Aber Locken drehen lässt du dir. Mit diesen barbarischen heißen Eisen. Sieh dir deine Haare an! Sie sind vollkommen zerstört von den Verbrennungen.«

Ich schlug seine Hand weg. »Ich hatte zu Hause genauso kein Mitspracherecht wie hier. Nur hat man mir nicht damit gedroht, mich zu betäuben, sondern mir das Essen verweigert.«

Sein Blick veränderte sich und ich hätte schwören können, dass ich Mitgefühl darin aufflackern sah. »Ay!« Er trat einen Schritt zurück. »Zieh dich um und ich rette, was ich retten kann.«

Offenbar hatte ich keine Wahl. Vorerst nicht. Aber irgendwie würde mir die Flucht schon gelingen. In einem unbeobachteten Moment … Dachte ich zumindest, bis das Schiff seltsam ruckelte.

Hastig stürmte ich zu einem der zwei winzigen Fenster und hielt den Atem an. Blasen stiegen vor dem Glas, das heller wurde, auf und der Meeresspiegel stieg immer höher. Ich taumelte rückwärts und wäre wieder auf meinem Hintern gelandet, wenn Hawk mich nicht festgehalten hätte.

»Was zur Hölle …«

»Wir tauchen, Liebchen«, meinte er ruhig. »Das Schiff ist fertig umgebaut und hat zum Tauchgang angesetzt.«

Ich hielt den Atem an, als es immer dunkler wurde und wir tiefer sanken. Im selben Moment, wie das Tageslicht verschwand, ging magische Beleuchtung in meiner Kajüte an. Sie war gerade so hell, um noch alles im Raum auszumachen, aber dunkel genug, um draußen alles zu erkennen.

Fische, die ich noch nie gesehen hatte, zogen an uns vorbei. Steinreste, die wie Mauern vergangener Kulturen aussahen, lagen auf dem Boden verstreut. Bunte Korallen wuchsen darüber und unzählige Lebewesen tummelten sich darin.

Ich ließ das Kleid sinken und trat näher an das Fenster. Ich hatte Angst, aber meine Neugierde war geweckt. Nie hätte ich erwartet, dass es unter Wasser so viel Leben gab.

»Unglaublich«, hauchte ich.

»Ja, das ist es jedes Mal«, stimmte Hawk mir zu und räusperte sich. »Genug jetzt. Du kannst das noch öfter sehen. Zieh dich um, ich habe viel zu tun, damit du wie eine Dame aussiehst.«

»Ich bin keine Dame«, erwiderte ich mit heiserer Stimme, weil ich mich nicht von dem Anblick losreißen wollte.

»Sondern?«, hakte Hawk nach und klang wirklich interessiert.

»Ich bin … sonderbar.«

Kapitel 4

 

Hawk hatte nicht gelogen, er hatte tatsächlich ein unerwartetes Talent dafür, meine Haare zu richten. Sie wirkten zwar wie auf Porträts von vor über hundert Jahren, aber ich musste zugeben, die Hochsteckfrisur brachte mein Gesicht zur Geltung.

Ich hatte ihn davon überzeugen können, auf den bauschigen Reifrock verzichten zu dürfen. »Ich kenne mich mit Mode wirklich nicht gut aus, aber solche Röcke trägt man seit Jahren nicht mehr!«, hatte ich entschieden erklärt.

Hawk hatte mit den Zähnen geknirscht, es dann aber hingenommen. Nachdem er mich begutachtet und für akzeptabel befunden hatte, führte er mich durch einen langen Gang, bis wir laute Stimmen vernahmen. Die Besatzung schien sich zum Essen versammelt zu haben.

Mir wurde ein wenig bang, als ich das laute Grölen der Männer hörte. Mit einem, der offenbar wirklich kein Interesse an Frauen hatte, war es eine Sache, allein zu sein. Aber mit einem Dutzend Piraten?

Man kannte die Geschichten. Von diesen wilden Seeräubern, die Frauen ihren Willen aufzwingen wollten.

Ich schluckte und ballte die Fäuste. War ich dieser Ehe nur entkommen, um jetzt hier eine Sklavin der Piraten zu sein? Hatte Hawk mich deswegen so hergerichtet? Damit ich die Mannschaft unterhalten konnte, während ich hier ›Gast‹ war? Die Wut konnte die Angst aber nicht lange verdrängen, als ich das Lachen erneut hörte und mir eiskalt wurde.

Ich bemerkte erst, dass ich stehen geblieben war, als Hawk mir einen leichten Stoß in den Rücken versetzte. »Mädchen, beweg dich. Oder hast du etwa kalte Füße bekommen wegen deines Essens mit dem Captain?«

Ich wandte meinen Kopf zu dem Piraten um. »Ich esse mit ihm? Alleine?« Jetzt wurde mir noch kälter. Alles, nur nicht das.

»Glaubst du, ich richte dich so schick für diese elende Meute da drinnen her?«, antwortete Hawk und erneut meinte ich, er hätte gegrinst, wenn er gekonnt hätte. »Los jetzt, sonst wird er zornig und die Prügel dafür kassiere sicher ich, nicht du.«

Er schob mich in den Raum hinein und jegliches Geräusch verstummte. Alle Augen waren auf mich gerichtet und noch nicht einmal ein Räuspern fiel.

Meine Hände begannen zu schwitzen. Ich hatte es nie gemocht, die volle Aufmerksamkeit so vieler Personen zu bekommen.

»Starrt das arme Ding nicht so an!«, erhob sich eine Frauenstimme, die mir bekannt vorkam.

Die Matrosin gesellte sich zu mir und betrachtete mich, bevor sie nickte. »Sieht ordentlich aus. Gute Arbeit, Hawk.«

»Danke, Cooks«, erwiderte Hawk. »Übernimmst du sie ab hier?«

»Ay, ich bringe sie zum Captain.« Cooks legte ihren Arm um meine Taille. »Komm, Mädchen, er wartet schon auf dich.«

Ich überlegte, ob ich sie anfahren sollte, allerdings war mir das Herz in die Hose gerutscht. Steif wie ein Stock ließ ich es zu, dass sie mich durch den Raum führte.

»Brauchst dich nicht zu fürchten, er wird nicht über dich herfallen. Er will nur angenehme Begleitung zum Essen.«

Und warum hat er dann mich ausgewählt?, dachte ich, nickte aber lediglich.

Wir gelangten an eine Tür, die mit silbernen Seeschlangen verziert war. Cooks klopfte und ein brummiges »Herein« ertönte.

Wortlos öffnete die Piratin die Tür und schob mich hinein. Noch ehe ich meinen Kopf zu ihr wenden konnte, war sie schon wieder fort und hatte meinen einzigen Fluchtweg hinter sich geschlossen.

Der Captain saß an einer reich gedeckten Tafel, erhob sich aber bei meinem Eintreten. Bildete ich es mir nur ein oder roch er weit weniger nach Fisch als vorhin auf dem Deck? Vielleicht überdeckte auch einfach der Geruch des Essens seinen Gestank.

Der Tisch bog sich unter erlesensten Köstlichkeiten wie Rinderbraten, in Salzkruste gegarten Fisch, allerlei Beilagen und Saucen sowie Kuchen und Konfekt.

»Willst du das Essen nur anstarren oder nimmst du auch Platz?«, fragte der Captain gereizt.

Ich richtete den Blick auf ihn, obwohl ich das Gefühl hatte, dass etwas in den dunklen Ecken dieses Raums lauerte und mich beobachtete. »Du wolltest, dass ich wie eine feine Dame angezogen werde. Einer feinen Dame bietet man einen Platz an, bevor sie sich setzt.«

»Was ich soeben getan habe«, schnaubte er und deutete auf einen Stuhl.

Er selbst ließ sich wieder am Kopf der Tafel nieder. Der Platz, den er mir gewiesen hatte, lag direkt neben seinem an der langen Seite des Tisches. Es war auch der einzige freie Stuhl in diesem Raum. Wenn ich also nicht stehen bleiben wollte, musste ich wohl zu ihm gehen.

Ich stieß den Atem aus, hob den viel zu langen Rock an, damit ich nicht darüber stolperte, und ließ mich so undamenhaft wie möglich mit einem weiteren Schnauben auf den mir angebotenen Stuhl fallen.

Der Pirat musterte mich und ich verschränkte die Arme. »Schweigen wir uns jetzt an oder hat es einen Grund, dass ich hier bin?«, fragte ich und unterdrückte den Drang, nach dem Essen zu greifen. Mein Magen schmerzte fürchterlich und ich versuchte mich zu erinnern, wann ich zuletzt gegessen hatte.

»Du dinierst mit mir«, erwiderte er finster und deutete auf den Tisch. »Bedien dich. Wenn du es wünschst, werde ich dir das Essen reichen.«

»Ich habe keinen Hunger«, zischte ich. Was mein Bauch mit einem lauten Murren widerlegte.

»Scheint nicht die Wahrheit zu sein«, brummte der Pirat und begann, meinen Teller mit Fleisch, Fisch und Beilagen vollzuladen.

Er stellte ihn fast vorsichtig vor mir ab und langte dann selbst zu.

»Schön, ich habe Hunger, aber ich werde jedes Essen verweigern, bis ich weiß, was in einem Jahr mit mir geschieht.«

»Sind alle Frauen aus Westwend so bockig oder habe ich einfach nur unfassbares Glück?« Der Pirat schob sich ein riesiges Stück Fleisch in den dafür viel zu kleinen Mund. Bratensaft lief ihm über das Gesicht und er wischte ihn mit dem Ärmel ab.

»Woher kommt ihr?«, fragte ich, weil er keine Anstalten machte, auf meine erste Frage einzugehen. »Ich habe noch nie Menschen wie euch gesehen. Ihr müsst von sehr weit her sein.«

»Sag mir, Mädchen«, murmelte er und bedachte mich mit einem finsteren Blick aus seinen blutroten Augen, »hast du viel von der Welt gesehen? Oder woher stammt deine Annahme?«

»Eure Haut ist schwarz, als hättet ihr euch in Kohle gewälzt«, bemerkte ich. »Und eure Gesichter …«

Er schlug mit der Faust auf den Tisch, dass alles darauf wackelte. »Genug! Ich will, dass du mit deiner Befragung aufhörst und isst!«

Ich hoffte, er hatte mein Zucken nicht bemerkt, und drehte meinen Kopf energisch zur Seite. »Ich sagte doch, ich esse nichts, bis ich weiß, was du mit mir vorhast.«

Er lachte freudlos. »Ist dir eigentlich schon aufgefallen, dass dies kein gewöhnliches Schiff ist und ich über, sagen wir, besondere Kräfte verfüge?« Er erhob sich langsam und aus den Augenwinkeln sah ich, wie er mir katzenhaft näher kam. »Denkst du nicht, ich könnte dich mästen wie eine Weihnachtsgans, wenn du dich weigerst? Es wäre so einfach. Ich lasse deinen Körper erstarren wie in der Höhle, in der du dich verkrochen hattest, schiebe dir einen Trichter in den Mund und stopfe dir alles an Essen hinein, was ich mir vorstelle.«

Ich riss meinen Kopf zu ihm herum und kippte fast vom Stuhl, weil er sich zu mir herabgebeugt hatte und mir viel zu nahe war. Er packte meine Arme, bevor ich das Gleichgewicht verlor, und zog mich auf die Sitzfläche zurück. Mein Herz schlug viel zu schnell. Seine Nähe bereitete mir Angst und gleichzeitig faszinierte es mich, sein Gesicht zu betrachten, das so seltsam entstellt war.

»Fass mich nicht an«, sagte ich, wobei es wohl nicht viel mehr als ein heiseres Flüstern war.

Er ließ mich los und schnaubte wieder. Langsam dachte ich, er wäre nicht in der Lage, anders zu atmen wegen des Munds. »Du kannst es auf die harmlose, freundliche Art lernen oder auf die grausame. Mein Verlies ist kein Ort, an dem du gerne sein möchtest. Also entweder benimmst du dich jetzt angemessen oder ich lehre dich das Fürchten, Mädchen.«

»Ich habe einen Namen«, presste ich zwischen den Zähnen hervor, als ich die Gabel widerwillig aufhob. Meine Hand bebte vor Zorn und meine Kiefer mahlten heftig.

Er wollte, dass ich ihn mit Respekt behandelte? Dann sollte er mir einmal Respekt entgegenbringen.

»Der interessiert mich erst, wenn ich dich danach frage«, erwiderte er und hob ein Weinglas an seine spitzen Lippen.

Die Hälfte des Weins lief ihm aus den verformten Mundwinkeln heraus und tropfte vom Kinn auf sein schäbiges Hemd.

Ich wandte angewidert den Blick ab und starrte ausgiebig aus dem großen Fenster, dem ich erst jetzt meine Aufmerksamkeit schenken konnte.

Das Schiff befand sich immer noch unter Wasser. Bunte Seesterne säumten den teils sandigen, teils felsigen Boden. Eine Farbenvielfalt aus Fischen und Wesen, die ich noch nie gesehen hatte, breitete sich vor mir aus.

»Was ist das?«, fragte ich und deutete mit dem Kinn zum Fenster, auf ein Wesen, das zu schweben schien.

Der Pirat drehte sich um und gab ein Grunzen von sich. »Das sind Quallen. Du solltest ihnen nicht zu nahe kommen. Egal, wie bunt oder harmlos sie aussehen, ihre Stiche könnten auf deiner Haut grässliche Wunden hinterlassen.«

Er nahm sich ein Stück Kuchen und mühte sich damit ab, es in seinen Mund zu bekommen.

»Warum habt ihr mich mitgenommen?«, versuchte ich es auf diese Weise, als ich aufgegessen hatte.

Statt mir eine Antwort zu geben, reichte er mir einen Teller mit herrlich gestaltetem Konfekt. Kleine Zuckerblumen ruhten auf den perfekten Schokoladengüssen winziger Kugeln. Ich beachtete sie kaum.

»Willst du mir wenigstens diese Frage beantworten?«, hakte ich nach.

Der Pirat grunzte wieder. »Ihr Mädchen habt einen eigenen Geruch, anhand dessen wir euch auswählen. Meine Männer haben in der Stadt nach geeigneter Beute gesucht.«

Diesmal schnaubte ich, weil er mich als Beute bezeichnete. Für ihn war ich eine Ware, genau wie für meinen Vater. Ich hatte also tatsächlich ein Gefängnis gegen ein anderes getauscht. Ein stinkendes, voller widerwärtiger Piraten.

»Beute, wie?«, zischte ich.

Er ging darüber hinweg. »Als sie eine gefunden hatten, wurde sie von einem eurer Soldaten niedergeschossen.«

»Niedergeschossen?«, fragte ich entsetzt.

»Ja, sie haben nicht versucht, sie zu beschützen, sie haben sie von hinten erschossen, bevor meine Männer sie mitnehmen konnten.« Er starrte mir in die Augen und etwas Sonderbares regte sich darin, fast so, als hätte er Mitleid mit dieser Frau. »Eine seltsame Form von Gnade, ein junges Mädchen von hinten zu erschießen.«

»Und welche Gnade ist es, dass du mich verschleppt hast?«, brüllte ich und bemerkte erst, dass ich aufgesprungen war, als er den Blick hob.