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Caraleya Shyr ist die Tochter des dunklen Fürsten, der grausam in Eryendor herrscht. Auch seine eigenen Kinder werden von ihm bestraft, wenn sie Güte oder Mitgefühl zeigen. Zum Schutz ihres kleinen Bruders hat die Feuermeisterin ihr Gewissen von sich abgespalten und ist damit selbst zu einem Monster geworden. Eines Nachts stellt sich ihre Welt auf den Kopf, als sie von ihrer wahren Herkunft erfährt und durch die eigenen Wachen aus ihrem Zuhause vertrieben wird. Caraleya wittert eine Möglichkeit, sich endlich vor ihren Eltern zu beweisen und folgt einem fremden Mädchen in die Wüste, wo das verbannte Volk der Tekula lebt. Dort erfährt sie von einer Prophezeiung, die sich auf sie selbst zu beziehen scheint, und muss sich entscheiden, auf welcher Seite sie steht.
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Veröffentlichungsjahr: 2020
Patrizia Gebler
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Veröffentlicht im Tribus Buch & Kunstverlag GbR
November 2020
Alle Rechte vorbehalten
Copyright © 2020 Tribus Buch & Kunstverlag GbR
Texte: © Copyright by Patrizia Gebler
Druck: epubli, ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Cover: Patrizia Gebler
Landkarte: Patrizia Gebler über Inkarnate
Lektorat: Lisa Gausmann
Layout: Verena Ebner
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und wird strafrechtlich verfolgt.
Tribus Buch & Kunstverlag GbR
Obere Findelstätte 50a
49124 Georgsmarienhütte
Deutschland
www.tribusverlag.com
Götter Sprache
Abscédat aneima : Berg der Geister
Acqua : Wasser
Appêri : Öffne dich!
Apóthneisko : Angreifen
Detîner! : Stopp (nicht bewegen)
Dinât : Meister (Elementgabe)
Dryadale : Mischung aus Wolf und Elfe
Elvanos : Zweibeiner
Esperando : Hoffnung
Feiroco : Feuer
Ferrus : Stein
Frigônei : eiskalt
Garjena Vêsele : Wanderung der Seele
Karn : Schwarz
Lamina tosthende : Waffe, zeig dich!
Loritomí : Bewegung!
Lucís : Licht
Megrèdemi : Ergib dich mir.
Meligra/o : Ansprache an Höhere
Nesfa/o : Ansprache an Niedere
Niekos : Tier; Lebewesen
Òbri : Riese
Plausô mazpecha : Lungen versagen
Perdeíga : Zerstöre!
Reîne(us) : Ansprache an Königin/ König
Satis seignâ : Wunde, heile
Sôla monostráte : Sonne, zeig dich
Temna : Erde
Tentíara : Macht
Uscâni : Verschwindet!
Venus : Wind
Vol sensáre : Fliegt langsam!
Zaeli : Luft
Jåzyrk
Azena : Ansprache an Ältere
Dobré ráno : Guten Morgen
Hezky den : Dankeschön
Valk-Diote : Wolfs-Elfe
Zenâispariz : Hirnparasit
Gottheiten:
Laethus - Gott des Windes und der toten Seelen
Paquassa - Göttin des Wassers und des Heilens
Terrard - Gott der Erde und der Ernte
Ignavia - Göttin des Feuers und der Fruchtbarkeit
Moyana - Göttin der Lebewesen und der Verwandlung
Tulo - Gott des Bösen und der Blitze
Jahreszeiten:
Windzeit - dauert 90 Tage
Regenzeit - dauert 90 Tage
Blütezeit - dauert 90 Tage
Sonnenzeit - dauert 90 Tage
Währung:
Elementgaben:
Flammen umgaben mich. Das Feuer leckte an meiner Haut wie an einem begehrten Dessert, dennoch verschlangen sie mich nicht. Für mich fühlten sie sich zwar warm an, aber ich genoss diese Wärme. Sie war mein Zuhause. In der Dunkelheit hinter den geschlossenen Lidern konnte ich für eine kurze Zeit alle Pflichten vergessen und ohne den Druck perfekt erscheinen zu müssen, einfach die Minuten verstreichen lassen.
„Das reicht Caraleya. Mach so weiter und du wirst vielleicht eine annehmbare Feuermeisterin. Natürlich niemals so perfekt wie ich“, hörte ich die tiefe Stimme meines Vaters. Mein Herz schien sich bei den abfälligen Worten von Glorícus zusammenzuziehen und die gewohnte Enttäuschung machte sich in mir breit. Hatte ich nach all den Jahren wirklich ein Lob erwartet? Mit einem Seufzen öffnete ich die Augen. Als ich meine Umgebung wieder wahrnahm, wurde ich auch in die Realität zurückgerissen.
Ich stand auf dem umzäunten Übungsplatz von dem Schloss meines Vaters, dem dunklen Fürsten. Die Mauern bestanden aus dunklen Sandsteinen, genau wie der Rest der Burg. Sie lag direkt am südlichen Ende des Alluth Gebirges und unter den Mauern des Schlosses ging es Hunderte Meter den Berg steil nach unten. Viele Diener, die sich meinem Vater widersetzt hatten, waren schon in die Tiefe geworfen und nach ihrem Tod zu einem Seelenopfer meiner Eltern gemacht worden. Aufregung erfüllte mich bei diesem Gedanken, denn auch ich würde bald alt genug sein, um dieses Ritual selbst durchführen zu können und endlich über mehr Macht zu verfügen.
Ein riesiges Eisentor, welches von Elfen bewacht wurde, stellte den Eingang der Festung dar. Durch dieses Tor gelangte man in eine mit Fackeln beleuchtete Halle, die in den Berg gemeißelt war. Das Feuer hatte meine Mutter so verzaubert, dass es nie ausbrannte und auch keinen Rauch verbreitete. Von der Eingangshalle führten riesige, steinerne Treppen nach oben in das eigentliche Schloss, welches entweder durch riesige Fenster oder Fackeln beleuchtet wurde. Von außen sah der Palast, mit seinen runden Türmen und blauen Dächern, wirklich eindrucksvoll aus, und auch im Inneren dekorierten wunderschöne Gemälde und goldene Verzierungen jeden Gang.
„Geh jetzt bitte zu deiner Einzelstunde Bloßfechten. Und beeil dich, denn du weißt ja, dass Unpünktlichkeit eine Schwäche ist“, sagte mein Vater und zeigte mir dann mit einer Handbewegung, dass ich entlassen war.
Ich nickte gehorsam und lief zu dem kleinen, hölzernen Häuschen am Rande des Platzes, wo wir uns umziehen konnten. Dort schlüpfte ich in meine lederne Rüstung. Auf dem Rücken meines Brustharnisches prangte das Zeichen von Ignavia, der Göttin des Feuers: Ein schwarzer Punkt, umgeben von vier schwarzen Flammen, die golden umrandet waren. Zwischen den vier größeren Flammen schauten goldene Spitzen hervor. Stolz blickte ich in den Spiegel und bewunderte das Zeichen, welches auch meinen Körper unterhalb des Schlüsselbeins zierte. Wenn ich nur so mächtig wie eine Göttin wäre, könnte ich mich vor meinen Eltern endlich beweisen. Eine stille Träne huschte über meine Wangen, doch ich wischte sie mit dem Hemdärmel weg.
„Reiß dich zusammen“, ermahnte ich mich selbst und stürmte aus der Hütte. Ich sollte glücklich darüber sein, dass die beiden mich seit der Nacht vor einigen Jahren wenigstens nicht mehr als absolute Versagerin einstuften und ich auch keine Peitschenhiebe mehr ertragen musste.
Auf dem Weg zu meinem Ausbilder sah ich Belamy und winkte ihm fröhlich zu. Egal, wie schlecht es mir gehen mochte, mein kleiner Bruder schaffte es immer, ein Lächeln auf mein Gesicht zu zaubern. Er schien gerade seine Kampfübungen hinter sich zu haben und selbst auf die Entfernung konnte ich die dunklen Flecken unter seinen Achseln erkennen. Die Wärme der strahlenden Sonne hatte den Schweiß noch nicht getrocknet. Bel schenkte mir ein erschöpftes Lächeln und hob die Hand zum Gruß.
Er sah aus wie eine nachgebaute Version unseres Vaters. Schwarze Haare umrandeten sein schmales Gesicht, welches von seinen dunklen Augen dominiert wurde. Er war groß gebaut, aber sehr schlaksig. Egal, wie sehr er es versuchte, er konnte nicht an Muskelmasse zunehmen. Eigentlich konnte er gar nicht zunehmen, auch wenn er dreifach so viel aß wie ich.
Leichtfüßig lief ich zu dem Teil des Übungsplatzes rüber, wo alle Soldaten ausgebildet wurden. Natürlich hatten mein Bruder und ich eine abgesperrte Sektion, etwas oberhalb des Übungsplatzes der normalen Elfen, und bekamen jeden Tag eine Einzelstunde, dennoch konnten wir zu ihnen hinunterblicken. Glorícus wollte in jeder Lebenslage darstellen, dass wir dem Volk übergestellt waren. Der Kampfort von Bel und mir maß zwanzig Quadratmeter, auf welchem das Gras jeden Tag penibel von unserem Gärtner geschnitten wurde. Drei Truhen beinhalteten die Waffen der verschiedenen Kampftechniken, die uns unser Ausbilder lehrte. Schwertkampf, Bogenschießen und Speerwurf.
In den hölzernen Zaun, der unsere Sektion umrandete, hatten Bel und ich als Kinder unsere Initialen eingeritzt. Bei der Erinnerung an sein kindliches Lachen musste ich grinsen. Damals waren wir so unbeschwert gewesen und hatten den Ernst des Lebens noch nicht begriffen. Leider wurde er uns doch viel zu früh durch die Ermordung meiner Hebamme beigebracht. Früher musste ich jedes Mal bei der Erinnerung an ihr angstverzerrtes Gesicht weinen, doch heute bildete sich nicht einmal eine Träne deswegen.
„Caraleya. Da bist du ja, drei Minuten zu spät“, schnauzte unser Ausbilder und warf mir ein Schwert zu. Ich musste schnell reagieren, damit ich es nicht fallen ließ und mich so vor allen hier blamierte.
Der Elf war gut zwei Köpfe größer als ich und auch doppelt so breit. Er strotzte nur so vor Kraft und seine Arme waren so muskulös, dass er sie nicht mehr an den Körper anlegen konnte. Gerüchten zufolge hatte er Magie genutzt, um solch breite Muskeln zu bekommen, denn wir Elfen waren eigentlich schlank gebaut.
„Lass dich nicht umbringen“, warnte mich mein Ausbilder kurz bevor er angriff. Dem ersten Schlag wich ich geschickt aus und ging dann in die Gegenattacke über. Morthyr hatte jedoch schon damit gerechnet, dass ich ausweichen würde, und so nahm er seine Verteidigung wieder ein, bevor ich zuschlagen konnte.
„Zu langsam, Caraleya“, knurrte Morthyr und machte einen kurzen Ausfallschritt nach vorne. Hätte ich sein Vorhaben nicht schon gekannt, wäre ich jetzt auf seinen Trick reingefallen, aber mit dem Wissen, was er als Nächstes tun würde, duckte ich mich unter seinem Schwert hinweg, drehte mich um ihn herum und schlug ihm von seiner anderen Seite das Schwert aus der Hand. Siegessicher hielt ich ihm meine Waffe an die Kehle, doch Morthyr gab sich nicht so schnell geschlagen. Mit einem hämischen Grinsen und einer flüssigen Bewegung zog er einen Dolch aus seinem Gürtel, mit welchem er das Schwert von seiner Kehle wegschlagen konnte. Der Dolch vibrierte unter der Kraft, doch das Feenglas hielt dem gewöhnlichen Eisen meines Schwertes leicht stand.
Da ich nun die schwerere und unhandlichere Waffe trug, war mein Vorteil verschwunden. Nun musste ich wirklich aufpassen, dass ich nicht von dem kleinen, aber scharfen Dolch getroffen wurde. Immer, wenn ich versuchte, ihn zu treffen, konnte er meine Attacke blocken. Nach einem weiteren Hieb meinerseits, der ins Leere ging, hatte Morthyr die Zeit, sein Schwert wieder aufzuheben. Seinen Dolch steckte er zurück in den Gürtel und grinsend umkreiste er mich wie eine Raubkatze. Jetzt ging der Tanz von vorne los. Wieder trat Morthyr einen Schritt nach vorne und ich wollte ihm ausweichen wie am Anfang, doch er erkannte mein Vorhaben, und so senkte er sein Schwert mit gleichgültigem Gesichtsausdruck in das Fleisch meines linken Armes. Das scharfe Metall hatte meine Lederrüstung durch die Wucht seines Schlages durchschnitten und mir gefühlt den halben Arm durchtrennt. Der Schmerz zuckte durch meinen Körper und schien für einen Augenblick allumfassend zu sein. Blut tropfte durch das weiche Leder des Oberteils.
Verdammt!
Einen ersten Schrei des Schocks hatte ich nicht unterdrücken können, doch jetzt biss ich die Zähne zusammen. Adrenalin verteilte sich in meinem Körper und linderte die Schmerzen der Verletzung etwas. Ich richtete mich wieder auf und parierte einen Hieb, der haarscharf an meinem Gesicht vorbei ging. Morthyr grinste hämisch. Wie immer bereitete es ihm großen Spaß, Schmerzen zu verteilen. Mit meinem verletzten Arm ging ich in die Verteidigung und achtete jetzt genau auf seine Augen, welche sein nächstes Vorhaben verraten würden. Das Bloßfechten ohne Schild war eigentlich eine Disziplin, bei welcher ich mich wohlfühlte. Jetzt wünschte ich mir jedoch einen Schild herbei.
Nachdem ich noch einige weitere Hiebe pariert hatte und mein warmes Blut sowohl meine ganze Hand benetzte als auch auf meine Hose tropfte, wollte ich den Kampf einfach schnell beenden. Ich konzentrierte mich auf meine Fähigkeiten. Feuer schien durch meine Adern zu fließen und ich übertrug die Hitze auf mein Schwert. Das nächste Mal als sich unsere Klingen berührten, leitete ich mein Feuer auf seine Waffe. Auch sein Schwert fing jetzt an zu glühen. Obwohl der Griff mit Stoff verstärkt war, musste es jetzt ungemütlich heiß für meinen Ausbilder werden.
„Argh!“, schrie Morthyr und ließ seine Waffe fallen. Ich konnte sehen, dass der helle Stoff des Griffes angesengt war und rauchte. Mit einem Grinsen hielt ich ihm wieder mein Schwert an die Kehle und erntete einen Applaus von den Soldaten, die bei unserem Kampf zugeschaut hatten.
„Ihr sollt kämpfen, Schwachköpfe!“, schrie mein Ausbilder die jungen Männer an. Anscheinend konnte er die Niederlage, wie immer, nicht gut wegstecken. Sofort verstummte der Beifall und jeder auf dem Übungsplatz wandte sich wieder seiner Aufgabe zu.
„Für heute war das genug, geh zum Heiler“, raunzte Morthyr und das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Schnell lief ich zu der Tür, die ins Innere der Burg führte und bog den ersten Gang links ein, zu den Zimmern der Heiler. Dass mein Blut den Boden verschmutze, kümmerte mich wenig, denn die Diener würden das heute Nacht säubern.
„Gegrüßt von den Göttern, Feirocodinât. Was haben wir denn da?“, fragte der alte Glatzkopf und humpelte mit seinem Krückstock auf mich zu. Einige Wunden waren einfach nicht zu heilen, zum Beispiel eine abgenutzte Hüfte, durchtrennte Nerven oder das Alter. Das Ritual der Unendlichkeit wollte der Heiler jedoch trotzdem nicht durchführen, dafür hing er zu sehr an seinem Leben. Dieses Ritual war die einzige Möglichkeit für unser Volk, sich fortzupflanzen. Ein alter Elf, der schon Hunderte von Jahren gelebt hatte, opferte sich, um einer jungen Familie ein Kind zu schenken. Seine Seele wanderte mithilfe von dem magischen Drachenblut in den Körper der werdenden Mutter und konnte sich dort zu neuem Leben ausbilden. Meine Mutter glaubte, dass dies eine Bestrafung der Götter war, damit wir Elfen uns nicht weiter vermehren und somit ausbreiten konnten. Da Helaina aber eine Frau war, die sich nicht gerne von irgendjemandem etwas sagen ließ, hatte sie das Gesetz der Natur umgangen. Sie konnte die toten, seelenlosen Körper der Elfen wiederverwenden und schaffte es, ihnen mithilfe von schwarzer Magie neues Leben einzuhauchen.
„Gegrüßt von den Göttern, Acqadinât. Morthyr hat mich erwischt“, grummelte ich und setzte mich auf den hölzernen Schemel. Das Zimmer des Heilers war nur von Fackeln beleuchtet und da hier so viel Wasser in Tonkrügen aufbewahrt wurde, entstanden gruselige Schatten an der Wand. Als kleines Kind hatte ich mich so vor diesem Raum gefürchtet, dass ich eine Wunde nicht heilen ließ und fast an einer Infektion gestorben war. Die Narbe trug ich immer noch an meiner rechten Hüfte und damit die Erinnerung, dass Angst alles nur noch schlimmer machte. Sie war nur dazu da, um gewöhnliche Elfen des Volkes einzuschüchtern und an der Macht zu bleiben, hatte mir meine Mutter während meiner Fieberträume beigebracht.
„Na das kriegen wir aber schnell wieder hin“, sagte der Glatzkopf und kippte etwas Wasser aus einem Krug auf die Wunde.
„Satis seignâ“, murmelte er. Es waren die Worte in der Göttersprache, welche ‚Wunde heile‘ bedeuteten. Jede Form von Magie, bis auf die Elementmagie, konnte nur in dieser Sprache genutzt werden. Diejenigen, die die Elementmagie beherrschten, waren von einem der Götter gesegnet worden und wurden als Elementmeister bezeichnet. Auf der Göttersprache bedeutete dieses Wort ‚Dinât‘. Deswegen wurden Feuermeister Feirocodinât und Wassermeister Acqadinât genannt. Es war der Brauch, jeden Elfen auch mit seiner Gabe anzusprechen, da es sehr hoch angesehen war, von einem der Götter gesegnet worden zu sein.
Sofort nachdem der Heiler die Worte ausgesprochen hatte, spürte ich die Erleichterung. Der Schmerz verblasste, und als ich meinen Arm betrachtete, war nur noch ein blasser Strich auf meiner Haut zu erkennen.
„Das ist morgen weg“, verkündete mir der Alte und humpelte wieder zurück zu seinem Schreibtisch. Damit war ich entlassen, er war nie ein Freund der vielen Worte gewesen.
Ich lief wieder durch den Gang zurück und bog erneut links ab, um zu den Haupttreppen zu gelangen.
Mit guter Laune spurtete ich die Treppen zu meinem Zimmer hinauf, welches im nördlichen Turm lag. Von hier oben hatte ich einen guten Ausblick über das Alluth Gebirge und konnte in der Ferne das kleine Dorf Shuf erkennen. Dort wohnten einige Bauern, die das Land um den Dunklerwald herum bewirtschafteten.
Mein Zimmer bestand aus zwei Stockwerken, unten war der Turm noch in der Mauer eingelassen, doch oben standen mein Doppelbett und mein hölzerner Schrank in einem kreisrunden Raum, in welchen ringsum Torbögen eingebaut waren. Nur während der Regen- und Windzeit wurden gläserne Platten an diesen Fenstern befestigt, den Rest des Jahres war es so warm, dass ich gewissermaßen draußen schlafen konnte.
Erschöpft warf ich mich auf mein Bett und atmete erst einmal durch, denn bis hier oben musste ich viele Treppenstufen steigen. Mir war die körperliche Anstrengung jedoch viel lieber als das Zimmer meiner Eltern, welches sich im Herzen des Schlosses befand und somit kein natürliches Licht hineinließ. In einem geheimen Zimmer, hinter einem gemalten Bild der beiden, verbrachte meine Mutter viel Zeit und perfektionierte ihre schwarze Magie, indem sie tierische Opfer brachte und Blutrituale durchführte.
Als ich wieder zu Atem gekommen war, stemmte ich mich hoch und ging zu meinem riesigen Schrank, der voll mit den wunderschönsten Kleidern war.
Heute Abend würde meine Familie einen Ball veranstalten, denn obwohl der dunkle Fürst grausam herrschte, konnte meine Mutter ihn dazu bringen, manchmal Spaß zu haben. Für ihn gebot sich die Möglichkeit, die reichen Landwirte einzuschüchtern und allen zu zeigen, wie mächtig er war. Also willigte er ein, Bälle in dem Schloss zu halten. Auch Helaina schlug diese Feste nicht nur aus reiner Herzensgüte vor, sondern genoss die Bewunderung ihres Volkes.
Dieses Fest war allerdings etwas ganz Besonderes, denn ich feierte in meinen zweiundzwanzigsten Geburtstag hinein. Endlich würde ich als vollwertige Elfe angesehen werden.
Das wunderschöne Kleid, welches ich mir extra für diesen Anlass hatte nähen lassen, hing schon an der Tür des Schrankes und bewundernd strich ich über den sanften, hellblauen Stoff. Da es Ende der Blütezeit war, würde es auf keinen Fall regnen und auch nicht sehr kühl draußen sein. Daher war der Stoff ziemlich dünn, ging aber trotzdem bis zum Boden.
Ich freute mich schon darauf, das Kleid anzuziehen, doch erst musste ich mich waschen und danach noch ein paar Stunden warten, bis die Feier endlich losging.
Ich stieg die hölzerne Leiter zum unteren Teil meines Zimmers hinab und ging in den abgesonderten Raum, welcher meine steinerne Wanne und meinen Abort beinhaltete. Meine Zofe hatte schon Wasser in die Wanne eingelassen und ich hielt meine Hand hinein, um dieses mit meinem Feuer aufzuwärmen. Das Wasser fing an der Stelle, wo es meine Hand berührte, an zu brodeln und zu kochen. Für jemanden, der nicht die Elementgabe besaß, würde es sich wahrscheinlich anfühlen, als wäre er in einen heißen Suppentopf gestiegen, aber meine Haut konnte diese Hitze gut aushalten.
Nachdem ich mich mit der Kernseife fertig gewaschen hatte, kletterte ich die Leiter wieder nach oben. Ich blickte freudig auf mein Kleid, während ich meine Haare mithilfe der Hitze meines Feuers trocknete. Dafür musste ich einfach meine Hände entzünden wollen, dann jedoch kurz davor abbrechen und versuchen, dieses Gefühl zu behalten. So wurden sie immer heißer und mit ein wenig Übung konnte ich jetzt auch Kleidung trocknen, die von den Hausdamen gewaschen worden war.
Gerade als ich mein Unterkleid, welches aus hellblauer Spitze bestand, über den Kopf gezogen hatte, klopfte es an der Falltür, die nach oben ins Schlafzimmer führte. Hastig stellte ich mich hinter die Trennwand, die hoch zu meinen Schultern ging, denn durch die Spitze des Unterkleides war ich sehr entblößt.
„Herein!“
Die Tür öffnete sich einen kleinen Spalt und ein schwarzer Schopf kam zum Vorschein. Kurz darauf erkannte ich die dunklen Augen meines Bruders, die viel mehr leuchteten als die meines Vaters.
„Belamy!“, rief ich fröhlich, kam jedoch trotzdem nicht hinter der Trennwand hervor. Als mein kleiner Bruder erkannte, was ich gerade machte, lief er rot an.
„Oh, ich kann auch später wiederkommen“, stotterte er und ich musste lachen, denn mit Mädchen kannte er sich wirklich kein bisschen aus.
„Nein, gib mir nur das blaue Kleid, das an der Schranktür hängt!“, ordnete ich an und er leistete Folge. Nachdem er es mir überreicht hatte, schlüpfte ich hinein. Das Kleid war eher ein langer Rock mit einer Schlaufe, die ich mir über den Kopf zog, um meine Brust zu bedecken. Der Rücken wurde ganz frei gelassen, doch Dank des Unterkleides war dort nun die Spitze zu erkennen, genauso wie in meinem Ausschnitt. Jetzt, da ich fast fertig angezogen war, lief ich zu Bel und fiel ihm um den Hals.
Er hatte sich auch schon fertiggemacht und sah wirklich gut in der schwarzen Kleidung aus, obwohl er mir mit etwas mehr Farbe besser gefallen hätte. Einzig sein lockeres Leinenhemd und der Gürtel für sein Schwert waren in einer dunkelgrünen Farbe gehalten, womit er auf seine Erdengabe anspielte. Das Zeichen von Terrard prangte rechts auf seinem Hemd, die Näherinnen hatten es mit goldenem Faden aufgestickt. Das Zeichen bestand aus zwei ineinander liegenden Kreisen, die sich nach oben öffneten wo eine dreiblättrige Blume herausspross.
Als ich Belamy umarmte, umhüllte mich der so vertraute Geruch von frischer Erde. Es war sein Duft und ich liebte ihn über alles.
„Ich habe mein Geschenk schon hier. Möchtest du es aufmachen?“, flüsterte Belamy in mein Ohr und brachte mich sofort zum Lächeln. Sanft löste er sich aus der Umarmung und reichte mir ein kleines Päckchen.
Voller Vorfreude öffnete ich ungeduldig das hölzerne Kästchen. Darin lag, auf einem samtenen Kissen, eine Kette. Ein blaugrüner Kallait hing an einem schwarzen Lederband, welches hinten zugeknotet werden konnte. Der Stein passte perfekt zu meinem Kleid. Unseren Heilern zufolge solle er Schutz bieten und eine heilende Wirkung haben. Es war ein wunderschönes Geschenk.
„Sie ist einfach perfekt!“, teilte ich meinem Bruder mit, der mich erwartungsvoll angesehen hatte. Wieder umarmte ich ihn und bat ihn anschließend, mir die Kette anzulegen.
„Miss Caraleya? Ich muss noch Eure Haare flechten“, erklang die Stimme meiner Zofe von unten. Bel zog seine Augenbraue hoch und sah mich fragend an. Wahrscheinlich wollte er wissen, ob er jetzt verschwinden müsste.
„Ich komme gleich“, antwortete ich. Wieder zog ich meinen Bruder, der mich um einen Kopf überragte, in eine feste Umarmung.
„Ich verstehe nicht, warum du manchmal so grausam bist, wenn du mich doch so liebhaben kannst“, sagte er dann. Ich schob ihn auf Armlänge von mir weg und blickte in seine traurigen Augen.
„Bel, du weißt doch, wie sehr ich früher gelitten habe!“
„Ja, aber wenigstens warst du du selbst. Jetzt bist du auch zum Monster geworden.“ Er raufte sich die Haare, als würde er mit sich selbst hadern. Seine Augen fanden wieder zu meinen. „Es tut mir leid, Cara. Ich will deinen Geburtstag nicht versauen. Ich nerve dich heute Abend damit nicht mehr.“ Sprachlos ließ er mich vor meiner Trennwand stehen und kletterte die Leiter hinunter. Ich war doch nicht zum Monster geworden, oder? Ich versuchte diese Gedanken beiseitezuschieben, denn heute Abend wollte ich Spaß haben. Morgen würde ich mir über die Worte meines Bruders Gedanken machen.
Bevor ich mir meine Frisur flechten ließ, musste ich noch eine Pflicht erfüllen. Ich ging zu dem Kristall, welcher in der Mitte meines Zimmers auf einem goldenen Podest stand und leicht leuchtete. Er war so groß wie meine Faust, beinhaltete jedoch sehr mächtige Magie. Mein Vater hatte ihn mir gegeben und sagte mir, dass er ein Geschenk und eine Aufgabe der Göttin Ignavia war. Ich sollte ihn jeden Tag mit ein wenig Feuermagie füllen. Das würde die Balance des Wetters stabil halten. Ich war damals zehn gewesen und hatte mich riesig gefreut, dass mein Vater mir so eine große Verantwortung übertrug. Lächelnd berührte ich den Kristall und übertrug mein Feuer in ihn. Der Kristall leuchtete rot auf und ich spürte, wie sich die Luft um ihn herum ein wenig erwärmte. Jetzt, da ich eine vollwertige Elfe war, würde er mir vielleicht das genaue Geheimnis des Kristalls verraten, und warum wir überhaupt das Wetter ‚stabil‘ halten mussten.
Als ich den Saal betrat, schlug mir zuerst der köstliche Duft des Essens entgegen, welches unsere Köche gezaubert hatten. Am Ende des Raumes, welcher von vier riesigen Kronleuchtern erhellt wurde, standen der goldene Thron von Glorícus und daneben ein mit Tierknochen verzierter Thron für seine Gemahlin. Wahrscheinlich die Überreste ihrer Tieropfer, mit welchen sie ihre lebendigen Toten erschuf und die dunkle Magie nutzte. Von dort würden sie ihre Gäste empfangen und um Mitternacht durfte ich mich auf den goldenen Thron meines Vaters setzen, um die Geschenke des Volkes zu erhalten. Hinter den beiden Stühlen an der Wand waren die Zeichen der fünf Götter aufgemalt worden.
Das Zeichen von Paquassa stellte einen goldenen Punkt dar, der von acht unterschiedlich großen, goldenen Wassertropfen umgeben war. Laethus, der Gott der Luft, wurde durch eine golden umfasste, nach oben hin spitz zulaufende Wolke dargestellt. Das Zeichen von Moyana sah aus wie das Profil eines Narri und einer Nigrå, die in entgegengesetzte Richtungen schauten und in ihrer Mitte entsprang ein dreibauchiges Blatt. Narri und Nigrå nannten wir zwei Tiere, die sich sehr in ihrem Aussehen glichen, dennoch war das eine schwarz und das andere weiß, wie Nacht und Tag. Das Zeichen von Moyana befand sich hinter Helainas Thron und das von Ignavia hinter Glorícus, damit ihre Gäste nie vergaßen, sie mit dem richtigen Element anzusprechen.
Das Essen stand links von der Tür auf langen Tischen, während das Orchester auf der rechten Seite spielen sollte. Dort waren auch die Fenster in die Steinmauern eingelassen und so konnte man jetzt auf die unendliche Götterwüste hinausschauen, später die Sterne begutachten. Direkt neben dem Thron befand sich eine Tür, die nach draußen führte. Dort konnte man auf den Balkon rausgehen und rüber zu dem Feenwald blicken, welcher südlich an das Alluth Gebirge grenzte. Für diesen Anlass war der kleine Balkon mit prächtigen Rosen geschmückt worden.
„Caraleya, du siehst wirklich bezaubernd aus!“ Meine Mutter stand von der Tür, die zum Balkon führte. Sie und Bel hatten sich dort unterhalten, als ich in den Thronsaal gekommen war.
„Vielen Dank, Mutter. Du siehst natürlich auch umwerfend aus“, lächelte ich und ließ mich von Helaina auf die Wange küssen. Sie trug ein dunkelgrünes Kleid mit hellgrüner Spitze am Ausschnitt und in ihr Haar war ein goldenes Band geflochten. Genau wie meine Frisur, war ihre kompliziert hochgesteckt und geflochten, allerdings trug sie einen Mittelscheitel, während ich einen Seitenscheitel bevorzugte.
„Euer Vater wird jeden Moment eintreffen, und auch die Gäste sollten pünktlich um acht hier sein. Du weißt ja wie sehr Glorícus Unpünktlichkeit verabscheut.“
„Dürfen wir uns schon etwas zu Essen holen? Ich verhungere gleich!“, fragte Bel und wie zur Unterstützung seiner Worte knurrte sein Magen. Als ich ihn sah, musste ich unwillkürlich an unser Gespräch von vorhin denken, aber wie eine lästige Fliege verscheuchte ich seine Worte wieder.
„Nein. Erst wenn die Gäste kommen, dürft ihr euch von dem Essen etwas holen.“
Die große Uhr über der Eingangstür zeigte drei Minuten vor zwölf, als mein Vater mir bedeutete, mich neben ihn zu setzen. Ich hatte gerade mit Bel getanzt, doch sofort leistete ich dem Befehl folge und schritt auf den Thron zu.
„Seid alle leise“, sagte mein Vater fast flüsternd, sodass es bei dem Lärm der Musik in dem Saal natürlich unterging. Ich verdrehte die Augen, denn ich wusste, worauf das hinauslaufen würde: eine Demonstration seiner Macht.
„Wenn ihr nicht auf mich hört, werde ich euch erstarren lassen müssen“, flüsterte Glorícus. Wieder reagierte keiner.
„Detîner!“, rief der dunkle Fürst auf einmal laut und seine Stimme hallte mächtig durch den Saal. Alle Anwesenden wurden zu Statuen, konnten kein Körperteil mehr regen. Auch Helaina, Belamy und ich waren starr, doch meine Mutter war genauso mächtig wie ihr Gemahl und so schüttelte sie den Zauber einfach ab und schritt zu mir auf das Podest. Auch ich murmelte in meinem Kopf ,Loritomí!‘, doch nichts geschah. Die Magie meines Vaters war viel zu mächtig für mich. Wie seine Gemahlin besaß er sechs Seelen, die er sich von anderen Elfen geklaut und dann durch das abgeänderte heilige Ritual einverleibt hatte.
Es war nun so still in dem Raum, dass man eine Ratte hätte hören können, die über den Teppichboden huschte. Doch auch die Tiere waren eingefroren worden, also bewegten sich nur die beiden Herrscher des Landes.
„Vielen Dank, dass ihr alle gekommen seid. Es wird Zeit, meiner Tochter Geschenke zu überreichen, und ich hoffe, ihr habt euch alle etwas Besonderes überlegt“, Glorícus grinste bösartig, bevor er weitersprach: „Ich selbst habe natürlich auch eine Kleinigkeit für sie. Apperí“
Die beiden Flügeltüren öffneten sich genau in dem Moment, als die Uhr zwölf schlug und draußen ein Feuerwerk ertönte. Zum Glück hielt ich meinen Kopf so, dass ich aus dem Augenwinkel die Lichter sehen konnte, die mir immer so viel Freude bereiteten.
„Loritomí!“, sagte Helaina, denn sie schien es für sinnlos zu befinden, wenn manche Gäste die bunten Farben am Himmel gar nicht sehen konnten. Sofort wandten sich alle Köpfe zum Fenster und ein „Ah“ oder „Oh“ ging durch den Raum.
„Schatz, du hast mir gerade den Auftritt versaut“, sagte Glorícus seelenruhig, doch ich wusste, dass er genau dann am gefährlichsten und wütendsten war.
„Ich habe das Feuerwerk organisiert und Caraleya soll es auch sehen und genießen können. Oder möchtest du etwa nicht, dass unsere Tochter glücklich ist?“
„Unterstell mir niemals, dass ich meine Tochter nicht liebe, Helaina!“, drohte mein Vater jetzt, denn auf diesem Gebiet war er wirklich sehr empfindlich.
„Jetzt streitet euch nicht!“, ging ich dazwischen, aus Angst, dass die beiden sich gleich bekämpfen würden: „Ich finde das Feuerwerk toll, aber danach werde ich die ganze Aufmerksamkeit auf dein Geschenk richten, Vater.“
Dieser schien damit besänftigt worden zu sein, denn er nickte lächelnd und lehnte sich dann zurück, um das Feuerwerk zu begutachten.
Nach einigen Minuten verflogen die letzten Funken und sofort wurde die Aufmerksamkeit auf das große Objekt in der Mitte des Saales gerichtet. Glorícus klatschte dreimal in die Hände und die Diener entfernten den dunklen Samt, um einen Käfig zu enthüllen. Darin befand sich eine kleine schwarze Katze.
„Oh wie süß ist die denn?“, rief ich entzückt und lief auf das Wesen zu, welches verschreckt miaute.
„Schatz. Sie ist das Tier für dein erstes Opferritual. Damit du in die schwarze Magie einsteigen kannst“, sagte Helaina.
Alle Besucher des Balls schienen die Luft anzuhalten. Ich konnte den Schrecken in ihren Augen sehen, doch ich selbst fühlte ich nichts. Natürlich, ich fühlte mich von den großen, grünen Augen der Katze hingezogen und würde sie gerne groß werden sehen, doch auf den Befehl meiner Eltern würde ich sie auch ohne Reue umbringen. War es das, was mein Bruder als Monster bezeichnete? War es so schlimm, einem Tier das Leben zu nehmen?
„Meine Gattin macht Scherze! Sie soll dein Haustier sein, damit du endlich aufhörst zu betteln“, rief Glorícus und lachte laut. Ich lächelte meinen Vater an und steckte meinen neuen Begleiter liebevoll wieder in den Käfig. Dann wies ich die Diener an, die Katze auf mein Zimmer zu bringen. Ich dankte meinem Vater überschwänglich und setzte mich auf den Thron, um die Geschenke des Volkes zu empfangen.
Nachdem alle Gäste mir ein Geschenk überreicht hatten, durfte ich endlich wieder auf die Tanzfläche.
Suchend schaute ich mich nach meinem Bruder um, doch stattdessen tippte mir ein blonder Elf auf die Schulter: „Gegrüßt von den Göttern, Feirocodinât und Prinzessin. Würdet Ihr mir die Ehre erweisen und mit einem bescheidenen Bauernjungen wie mir tanzen?“
Schon seinem Tonfall nach war dieser Elf sehr von sich überzeugt, doch bevor ich Nein sagen konnte, hatte er mich schon fest an sich gezogen und wirbelte mich umher.
„Ihr seid wirklich bezaubernd schön“, säuselte er, während ich aufpassen musste, dass er mir nicht auf die Füße trat. Seine Muskeln konnte ich durch die dünne Kleidung erkennen und seine Haare, die etwas länger als meine waren, rochen stark nach einem blumigen Duftwasser. Mit erhobenem Kinn tanzte er mit mir, als müsste ich ihm dafür dankbar sein. Dieser Elf war wirklich viel zu sehr von sich selbst überzeugt. Er tanzte wahrscheinlich nur mit mir, da ich die Prinzessin war, sonst hätte er mir nicht eine Sekunde seiner Aufmerksamkeit geschenkt. Schade, dass er mich erkannt hatte, denn auf diese Begegnung hätte ich verzichten können.
„Darf ich übernehmen?“, fragte eine sehr bekannte Stimme und erleichtert ließ ich die schwitzigen Hände meines Partners los, um wieder mit Bel zu tanzen. Mit einem enttäuschten Gesicht zog der Elf weiter, um sich eine andere reiche Dame zu schnappen, die er umgarnen konnte.
„Du hast mich wirklich gerettet.“ Ich grinste fröhlich, während wir zum Takt des jetzt langsamen Liedes hin- und herwiegten.
„Ach wirklich? Dann schuldest du mir jetzt also etwas?“, meinte Belamy und lächelte dabei sein schelmisches Lächeln. Ich fragte mich, wieso er nur vor Frauen so schüchtern war, wenn er mit seinem markanten Wangenknochen und diesem besonderen, kantigen Gesicht doch so gut aussah.
„Hast du schon irgendetwas im Sinn?“
„Ja, jetzt, wo du es sagst“, druckste er zu meinem Erstaunen herum: „Kennst du Julíetta? Sie ist die mit dem gelben Kleid und den wunderschönen braunen Augen.“
Ich kicherte los, doch als ich das Gesicht meines Bruders sah, wurde ich sofort wieder ernst. Er dagegen blickte niedergeschlagen auf den Boden: „Vergiss es.“
„Nein, nein! Soll ich sie ansprechen?“, fragte ich sofort und bereute, dass ich kichern musste. Bel hatte mich noch nie gefragt, ob ich eine Dame für ihn ansprechen könnte und jetzt wollte ich die Möglichkeit nutzen. Ich kannte Julíetta zwar nicht persönlich, aber jeder sprach gut über die Tochter des reichsten Landwirtes von Shuf.
„Ich habe gedacht, wenn du für mich herausfindest, was sie alles mag, kann ich sie damit beeindrucken“, erklärte er mir mit so einem süßen Gesichtsausdruck, dass ich sofort zustimmen musste.
Also ließ ich die Hände meines Bruders los und tanzte mich zu der Elfe in dem gelben Kleid, welches einen ziemlich gewagten Ausschnitt besaß. Doch durch ihre relativ kleinen Brüste, sah dieser nicht billig aus, sondern sehr elegant. Ihre hellbraunen Haare waren nur zum Teil hochgesteckt und eine Traube von Elfen hatte sich schon um sie gebildet.
„Julíetta? Würdest du mir eine Minute schenken?“, fragte ich und bekam auch sofort die Aufmerksamkeit der hübschen Elfe mit den Sommersprossen auf ihrer Stupsnase.
„Oh, Prinzessin! Natürlich!“, sagte sie überrascht, entschuldigte sich bei ihren Verehrern und folgte mir zum Essen.
„Ich habe schon viel von dir gehört und wollte mich mal selber vergewissern, ob du wirklich so herzensgut bist, wie alle behaupten“, kam ich sofort zum Punkt, während ich mir eine Weintraube in den Mund steckte. Julíetta errötete leicht, antwortete mir aber mit fester Stimme: „Ich hoffe, dass ich diesen Gerüchten gerecht werden kann, Prinzessin.“
„Was ist denn deine Lieblingsblume, Lieblingsfarbe und Lieblingsessen?“, fragte ich offen und erntete ein schüchternes Lachen.
„Man könnte meinen, dass Ihr mit mir ausgehen möchtet.“
„Nein, aber vielleicht können wir ja Freundinnen werden“, sagte ich schnell, doch ich hatte schon gemerkt, dass ich zu direkt gewesen war. Hoffentlich hatte sie den wahren Grund meiner Fragen nicht bemerkt, doch leider war sie schlauer, als ich dachte.
„Hat vielleicht Euer Bruder Euch vorgeschickt, um mehr über mich zu erfahren?“, fragte sie mit einem Schmunzeln, sodass sie auch mir gleich sympathisch war.
„Nun ja, das könnte auch sein“, gab ich grinsend zu, während ich weiter Weintrauben aus der riesigen Schüssel stibitzte.
„Lilie, gelb und Torte“, sagte die Elfe und zwinkerte mir zu. Sie war etwas größer als ich, und mit ihren langen Beinen war sie vielleicht die Schönste im Raum.
„Danke, ich werde es ihm ausrichten“, lächelte ich und wollte gerade gehen, als sie mich am Handgelenk zurückhielt.
„Ich habe einen Verlobten. Ich will dem Prinzen nichts ausschlagen, aber ich bitte Euch das zu bedenken, wenn Ihr mit ihm redet“, flüsterte sie, danach ließ sie meine Hand los und widmete sich dem köstlichen Essen.
Nicht sicher, was ich von dem zweideutigen Gespräch halten sollte, ging ich zurück zu meinem Bruder, der schon gespannt wartete. Gezwungen setzte ich ein Lächeln auf, doch er bemerkte natürlich sofort, dass etwas nicht stimmte: „Was ist denn los, Feuermücke?“
Ich spürte, wie mein Mundwinkel zuckte, denn so nannte er mich immer, wenn er mich aufmuntern wollte.
„Lilie, gelb und Torte“, sagte ich, doch auch wenn er verstanden hatte, was ich meinte, ließ er nicht locker: „Ich kenne doch das Gesicht! Was ist denn passiert? Ist sie schon verlobt?“
„Das ist sie leider.“
Belamys Lächeln erstarb und seine Augen verloren den glücklichen Ausdruck.
„Oh“, war das Einzige, was er noch sagen konnte. Die Topfpflanze, die neben ihm stand, verblühte augenblicklich und wurde braun. So wirkten sich seine Gefühle immer auf die Pflanzenwelt aus, auch wenn Helaina ihm immer wieder versuchte zu zeigen, es zu verbergen. Ich fand es eine Besonderheit, dass er überhaupt Pflanzen beeinflussen konnte, denn normale Erdenmeister vermochten es nur, Erde und Steine zu bewegen oder zu verformen. Es musste ein besonderer Segen des Gottes Terrard gewesen sein, dass mein Bruder auch die Pflanzen zum Wachsen oder Verblühen bringen konnte. Das erkannte sogar Glorícus, der nie viel von der Erdengabe gehalten hatte. Sie übten gerade, Pflanzen auf große Distanz zu beeinflussen, um ihren Feinden in Tarsis beispielsweise einen großen Schrecken einzujagen.
„Auf welches hübsche Mädchen hast du dein Augenmerk gelegt, mein Sohn?“, fragte unser Vater, der anscheinend hinter uns gestanden hatte.
Ich zuckte kurz zusammen, fasste mich aber schnell wieder und drehte mich lächelnd zu ihm um. Bel schüttelte den Kopf, um mir zu bedeuten, nichts zu sagen, doch ich konnte Vater nicht belügen.
„Die Elfe im gelben Kleid“, sagte ich also. Bel schaute betrübt zu Boden, doch ich war mir keiner Schuld bewusst. Sollte er sich nicht so zieren. Ein wenig verknallt zu sein, hatte noch keinem was geschadet.
„Oh, sie ist wirklich außergewöhnlich hübsch“, meinte Vater, als er Julíetta betrachtet hatte. „Warum gehst du nicht zu ihr hin und tanzt mit ihr?“
„Sie ist schon verlobt“, antwortete ich anstelle meines Bruders, erntete jedoch einen strengen Blick von meinem Vater.
„Du bist wieder vorlaut! Ich habe deinen Bruder gefragt.“ Seine Stimme war so bedrohlich ruhig, dass ich mich schon auf eine Ohrfeige gefasst machte. Wahrscheinlich hielt ihn nur die Menge an Elfen ab, mir auch eine zu geben. Es würde jedoch noch ein Nachspiel haben, dessen war ich mir sicher.
„Verlobt also. Wer ist der Glückliche?“ Seine Frage erübrigte sich, als ein hellblonder Elf auf Julíetta zukam und sie leidenschaftlich küsste. Glorícus schien nicht begeistert zu sein.
„Also wollt ihr mir sagen, dass sie diesen Einfaltspinsel meinem Sohn vorzieht? Niemals. Caraleya, wirst du dem Jungen die schöne Aussicht vom Balkon aus zeigen?“
„Natürlich, Vater“, sagte ich schnell und beachtete den Schrecken in Bels Augen nicht. Er war schon immer etwas sanfter gewesen als gut für ihn war. Ich als ältere Schwester hatte früh gelernt, meine Gefühle einfach auszuschalten. Und die, die sich nicht unterdrücken ließen, wurden mithilfe von Magie verbannt. Belamy dagegen konnte ich schon früh beschützen, sodass er sich nicht so ein dickes Fell angelegt hatte. Vielleicht ein Fehler meinerseits, denn jetzt musste er es in dieser grausamen Welt aushalten, musste all den Schmerz und Mitgefühl ertragen.
„Hallo erneut“, sagte ich breit lächelnd, als sich zu den Turteltauben gestoßen war. „Das ist wohl dein Verlobter, nicht wahr? Dürfte ich ihn kurz entführen? Nur ein kleiner Rundgang des Schlosses. Eine Privatführung. Diese Bitte kannst du mir nicht abschlagen.“ Ich klimperte mit den Wimpern und lächelte, doch Julíetta wusste genau, wie jähzornig die gesamte Fürstenfamilie sein konnte.
„Natürlich. Schatz, mache einen Rundgang mit ihr.“ Sie küsste ihren Verlobten lange auf den Mund, als ob sie wusste, dass dies ihr letzter Kuss sein würde.
Ich hakte mich bei dem Elfen ein, der seine Haare zur Feier des Tages zu einem hohen Zopf geflochten hatte. Er schien skeptisch, lief aber brav mit mir mit.
Jetzt musste nur noch Bel seinen Teil erledigen und schon hatte Julíetta einen neuen Verlobten.
„Gehen wir raus, der Milchmond berührt fast den Blutmond und das ist jeden Monat ein Spektakel. Findest du nicht?“
„Ja schon“, antwortete der Elf etwas eingeschüchtert. „Feirocodinât, äh Prinzessin meine ich“, fügte er hektisch hinzu. Er schien sich in den Bräuchen der Oberschicht nicht auszukennen. Ich kicherte.
„Nenn mich einfach Cara. Oh, ich bin ja so ein Schusselkopf! Wie heißt du eigentlich?“, fragte ich mit meinem breitesten Lächeln. Diese ganze Mission von meinem Vater fing langsam an, mir Spaß zu machen.
„Faslyn“, antwortete der Elf.
„Hast du denn irgendeine Elementgabe?“, fragte ich gespielt interessiert.
„Ja, die Luftgabe“, antwortete er und ich musste eingestehen, dass dieses kleine Detail mir einen Strich durch meinen Plan machte. Es brachte nichts, etwas die Mauern runterzuwerfen, wenn es einfach wieder hochfliegen konnte. Dann musste ich es wohl mit der schwarzen Magie meiner Mutter probieren. Sie hatte mich eh dazu gedrängt, mehr zu üben. Wir liefen jetzt auf dem Balkon, im Schatten der Burg und nicht zu sehen von den Gästen im Inneren. Der perfekte Platz, um meine Aufgabe auszufüllen.
„Plausô mazpecha“, flüsterte ich und opferte ein kleines Stück meiner Seele der Magie. Die Magie war das Bindungsglied der fünf Götter, sie war allumfassend auf dieser Welt. Jeder trug sie in seiner Seele, doch nur wenige wussten sie zu benutzen. Da sich die Seele, genau wie die Leber, wieder regenerieren konnte, durfte man kleine Stückchen von sich opfern. Wenn man zu viel seiner Seele an die Magie abgab und sie gänzlich aufgebraucht war, dann war man nur noch eine lebende Hülle, ohne irgendeinen Willen oder Sinn. Die mächtigsten Magier, wie meine Eltern, nutzten die Seelen von weiteren Elfen, um ihre Reserve zu erweitern. Doch um eine fremde Seele aufnehmen zu können, musste ein Körper zweiundzwanzig Jahre alt sein. Also würde auch ich es dieses Jahr lernen können. Die Theorie und den richtigen Spruch hatte mir meine Mutter allerdings schon vor einem Jahr beigebracht.
„Was hast du gesagt?“, fragte Faslyn und hustete.
„Nichts, hab mich nur verschluckt. Du scheinst eine Erkältung zu haben?“, fragte ich mit Schadenfreude in meiner Stimme. Es war die beste Idee gewesen, die lästigen Emotionen von Schuldgefühlen oder Empathie einfach auszulöschen. Früher hatte ich das Töten nicht so genossen, ich hatte es sogar verabscheut. Dafür war ich natürlich von meinem Vater verprügelt worden, denn ein Gewissen war eine Ausgeburt der Schwäche. Und eine schwache Herrscherin war eine nutzlose Herrscherin.
Faslyn hustete erneut, ich konnte mir förmlich vorstellen, wie sich seine Lunge langsam mit Wasser füllte und gleich kollabieren würde. Meine Mutter hatte mir diesen Spruch an einem ihrer lebendigen Toten gezeigt.
„Ich kann nicht atmen!“, röchelte Faslyn und ich konnte Todesangst in seinen Augen erkennen. Ich lächelte.
„Ja, das sieht schlecht aus für dich.“ Interessiert sah ich zu, wie der Verlobte von Julíetta zu Boden ging und nach einem letzten röchelnden Atemzug bewegungslos liegen blieb. Mit seiner knolligen Nase sah er auf jeden Fall nicht so gut aus wie mein kleiner Bruder, stellte ich fest, als ich sein angeschwollenes Gesicht betrachtete. Also konnte Julíetta von Glück reden, dass ich ihn beseitigt hatte.
„Bravo Cara“, sagte die raue Stimme meiner Mutter und ich spürte ihre Hand auf meiner Schulter. Ich lächelte.
„Du weißt, dass du seine Seele als deine erste zusätzliche Seele nutzten könntest?“, fragte sie, während sie sich neben mich hockte. An ihrem Tonfall erkannte ich, dass es keine Frage, sondern ein Befehl war. Ich nickte.
„Sprich, wenn du etwas möchtest“, sagte Helaina ungeduldig.
„Ja, Mutter. Ich will diese Seele nutzen, um meine Macht zu erweitern.“ Ein Lächeln umspielte ihre Lippen und sie zog eine kleine Glasphiole aus ihrem Ausschnitt. Darin waberte eine rote Flüssigkeit, Drachenblut.
„Es ist ganz frisch. Es sollte perfekt funktionieren. Du weißt, was zu tun ist, ich werde die Tür zum Balkon sperren“, erklärte meine Mutter und drückte mir die Phiole in die Hand. Sie zitterte leicht. Ich achtete nicht mehr auf meine Mutter, sondern konzentrierte mich allein auf das Seelenritual. Jede Sekunde zählte jetzt, sonst verblasste die Seele zu sehr und wäre nicht mehr zu gebrauchen.
„Garjena Vêsele“, flüsterte ich immer wieder, während ich das Blut in seinen Mund fließen ließ. Aufregung durchzuckte meinen Körper, denn jetzt gab ich mich endgültig der dunkeln Magie hin. Dieses Ritual hatte sich meine Mutter selbst ausgedacht und betitelte es als die Übergabe von sich an die Macht der Dunkelheit. Eine Gänsehaut bildete sich über meinen ganzen Körper, als ich dabei zuschaute, wie die Seele Faslyns Körper verließ. Sie war durchsichtig schimmernd, so wunderschön. Ich konnte erkennen, dass sie niemals für Magie genutzt worden war, also eine perfekte Seele. Ein Schaudern breitete sich über meinen Rücken aus, als die Seele sich ihren Weg in meinen Mund bahnte. Für einige Sekunden konnte ich nicht atmen, dann breitete sich ein Stechen in meiner Brust aus. Die Seele machte es sich neben meiner eigenen gemütlich und musste dafür einige Organe zur Seite schieben. Wie einen Wurm konnte ich sie in mir spüren, sie bahnte sich ihren Weg bis in die perfekte Position. Endlich hörte der Schmerz auf, doch jetzt wurde mir schwarz vor Augen. Davor hatte mich Helaina gewarnt, die Seele würde die Erinnerungen des Vorgängers manchmal wiederholen. Mit einem einfachen Spruch sollte ich diese abwenden können, aber ich war ehrlich gesagt zu neugierig. Was hatte dieser Elf erlebt, wie hatte er gelebt? Also ließ ich die Erinnerung zu.
Trotz der schweren Zeiten konnte er von sich behaupten, glücklich zu sein. Zufrieden blickte Faslyn über seine Felder, auf denen er Getreide, Mais und Roggen anbaute. Die Blütezeit hatte ihm eine reiche Ernte beschert und so konnte er für die Sonnenzeit vorsorgen. Durch den Verkauf des restlichen Essens waren auch die Steuern gesichert. Und das alles verdankte er der Schönheit, die neben ihm stand. Lächelnd drückte er ihre Hand und schaute zu ihr hinunter. Wie jeden Tag trug sie ein gelbes Kleid, mit welchem sie diese traurigen Zeiten etwas zum Leuchten bringen wollte.
„Also heute siehst du besonders bezaubernd aus, Liebste“, sagte er. Ihr Mund verzog sich zu einem breiten Lächeln, als sie zu ihm hochblickte. Ihre wunderschönen braunen Augen strahlten mit der Sonne um die Wette.
„Du willst mich doch nur so lange umgarnen, bis die Hochzeit stattgefunden hat und die ganze Farm dir gehört“, scherzte sie. Faslyn küsste ihr hellbraunes Haar und blickte ihr dann tief in die Augen: „Ich werde dich jeden Tag unseres Lebens umgarnen, denn du bist die wundervollste Frau, die ich je getroffen habe.“ Er beugte sich zu ihr runter und versuchte, seine ganze Liebe in diesen Kuss zu legen. Ihre weichen Lippen lösten ein angenehmes Kribbeln in seinem Körper aus und ihr wunderbarer Duft ließ sein Herz schneller schlagen. Auch wenn er das Glück hatte, in ihre reiche Familie einzuheiraten, so würde er mit ihr auch in dem ärmsten Viertel von Shuf wohnen. Er würde sie auch als arme Tempelmaus lieben, denn sie war der Sonnenschein in seinem Leben.
„Pass auf, dass du auf dem Schleim nicht ausrutschst, den du hier um dich sprühst“, lachte sie, nachdem sich ihre Lippen voneinander gelöst hatten, und sie schmiegte sich liebevoll an seine Brust.
„Wir haben übrigens eine Einladung von dem dunklen Fürsten erhalten, er veranstaltet ein Fest in seinem Schloss“, sagte sie dann, während sie beobachtete, wie die Sonne langsam hinter den Wipfeln der Bäume verschwand.
„Der Geburtstag der Prinzessin? Auf dieses Fest sind wir eingeladen? Ich habe als Kind immer das Feuerwerk betrachtet und mir gewünscht, auf so einer Feier dabei zu sein.“ Aufgeregt fuhr er sich durch die schulterlangen Haare, die er tagsüber immer zu einem Zopf gebunden hatte. Seine Versprochene löste sich aus der Umarmung und blickte ihn wieder an.
„Bitte mach dir keine falschen Hoffnungen. Diese Feste machen meist keinen Spaß für das Volk, sie sind nur zum Vergnügen der Fürsten und ihrer Kinder“, warnte sie eindringlich.
„Ach, Liebste. Sei doch nicht so ernst! Das wird ein Spaß“, lachte Faslyn und drückte ihr einen überschwänglichen Kuss auf den Mund.
Als hätte jemand den Ton ausgemacht, konnte ich zuerst die Sprache der beiden nicht mehr hören, dann auch das Zwitschern der Vögel und das Rauschen des Windes durch das Getreide. Wie in einer Wolke flog ich weiter und weiter, hoch in die Luft, bis ich die Erinnerung nur noch als winzigen hellen Punkt in der Dunkelheit erkennen konnte. Es erforderte einiges an Kraft, doch ich konnte meine Augen öffnen. Sollte ich jetzt nicht etwas fühlen? Ich wusste, dass ich früher vielleicht geweint hätte, doch ich merkte nur gähnende Leere in mir. Und ein wenig Neid, denn dieser Mann war so sehr geliebt worden. Eine Liebe, die ich wohl nie erleben würde. Als Prinzessin von Halvar kamen die Männer immer nur, um meinen Reichtum oder meinen Status zu bekommen, nie meinetwegen. Aber wie meine Mutter immer sagte: ‚Liebe ist Schwäche, Caraleya.‘ War ich ein Monster, weil ich den Befehlen meiner Eltern Folge leistete und ihre Weisheiten verinnerlichte? Ich seufzte und blickte auf den verunstalteten Faslyn hinunter. Morgen würde ich mit Bel vielleicht noch einmal darüber reden. Jetzt war schauspielern angesagt. Ich konzentrierte mich kurz, wartete, bis sich Tränen in meinen Augen gesammelt hatten und schrie dann wie am Spieß.
Sofort kamen die Gäste aus dem Saal gerannt, Julíetta allen voraus. Ihre braunen Augen weiteten sich und ohne auf ihr helles Kleid zu achten, welches jetzt von dem staubigen Boden beschmutzt wurde, fiel sie vor dem Toten auf die Knie.
„Was ist passiert?“, fragte sie durch einen Schleier der Tränen. Seinen leblosen Kopf hielt sie in den Händen, als würde sie ihn dadurch wieder zu sich holen können. Allerdings würde Faslyn seine braunen Augen nie wieder öffnen.
„Er ist einfach umgefallen, i- ich weiß nicht“, stammelte ich. Ich war wirklich eine gute Lügnerin.