Die Kunst Butterbrot zu schmieren - Mo Kast - E-Book

Die Kunst Butterbrot zu schmieren E-Book

Mo Kast

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Beschreibung

Leo ist in seinen Mitbewohner Mirco verliebt, und zwar leider ziemlich einseitig. Der Saftsack weiß auch noch davon und lässt keine Gelegenheit aus, ihn damit aufzuziehen. Aber hey, wo die Liebe eben hinfällt ... Als Dave in Leos Leben tritt, scheint sich mit dessen charmantem Lächeln endlich alles zum Besseren zu wenden. Und vielleicht ist es an der Zeit, sich einen anderen Mitbewohner zu suchen, einen Hund zum Beispiel. Eine kurzweilige Novelle mit heiteren Momenten, einer ausführlichen Anleitung über das korrekte Schmieren von Butterbroten, und darüber, wie wichtig es sein kann, Grenzen zu setzen. Das eBook ist zudem liebevoll mit zahlreichen Illustrationen gespickt.

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1. Schritt: Zutaten für Brot und Butter kaufen.
2. Schritt: Brotteig herstellen.
3. Schritt: Brot im Ofen backen.
4. Schritt: Sahne schlagen, bis sie flockt.
5. Schritt: Buttermilch in Glas abgießen.
6. Schritt: Süßrahmbutter trocken tupfen.
7. Schritt: In eine Butterschale geben.
8. Schritt: Brot auskühlen lassen.
9. Schritt: Währenddessen Buttermilch trinken.
10. Schritt: Brot auf Brett platzieren.
11. Schritt: Brot in Scheiben schneiden.
12. Schritt: Dünne Butterscheiben mit Messer abtrennen.
13. Schritt: Butterscheiben auf Brot legen.
14. Schritt: Gleichmäßig bis zum Rand verstreichen.
15. Schritt: Überstehende Butterreste entfernen.
16. Schritt: Unebenheiten mit Rest ausbessern.
17. Schritt: nach Belieben mit Salz bestreuen.
18. Schritt: Auf Instagram posten. #butterbrotkunst
19. Schritt: Butterbrot genießen.
00. Schritt: Hunger auf Butterbrot
Danke, ihr wundervollen Menschen!
Bitte an euch fabelhafte Leser!
Vita von Mo
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Impressum

 

 

 

 

 

 

Die Kunst Butterbrot zu schmieren

 

Eine queere Novelle von Mo Kast

1. Schritt: Zutaten für Brot und Butter kaufen.

 

 

Ich mochte mein Leben. Dafür gab es viele Gründe: Meinen Job, für den ich angemessen gut bezahlt wurde und den ich schon ganz gerne machte. Meine Wohnung, in der ich mich äußerst wohlfühlte – keine Kompromisse in der Einrichtung, weder finanzielle noch mit anderen Leuten. Ich konnte mir mittlerweile all die schönen Dinge leisten, die ich als Student hatte entbehren müssen. Gute Klamotten, eine etwas überteuerte Kaffeemaschine, die dafür hervorragenden Kaffee machte, ab und zu einen Urlaub im Hotel. Ich genoss es überaus, ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu sein. Es gab nur eine Sache, die ich bisher nicht so optimal im Griff hatte ...

»Leo, du bist doch in mich verliebt?« Mit diesen Worten stürmte Mirco aus seinem Zimmer in unser gemeinsames Wohnzimmer. Innerlich verdrehte ich die Augen. Äußerlich hielt ich den Blick auf die aufgeschlagene Zeitung in meinen Händen gerichtet.

»Müssen wir darüber reden?«, fragte ich trotzdem.

»Ja, schon.« Mein bezaubernder, langjähriger Untermieter blieb vor mir stehen und schien darauf zu warten, dass ich ihm meine Aufmerksamkeit zuteilwerden ließ.

»Okay, gut, ich bin in dich verliebt. Und weiter?« Verbissen starrte ich auf den Artikel vor mir, ohne ihn zu lesen. Es war ein kleines, peinliches Geheimnis zwischen Mirco und mir, über das ich mich am liebsten ausschwieg. Dafür mochte er das Thema umso mehr ...

»Na ja, könntest du mir einen Gefallen tun?«

Jetzt sah ich doch auf. Direkt in seine großen, blauen Augen. Er klimperte mit den langen Wimpern, weil er annahm, ich hätte mich in seinen Welpenblick verliebt. Was möglicherweise vielleicht ein bisschen stimmte. Der ausschlaggebende Grund war aber sicherlich, dass ich ihn gerne um mich hatte und ich mein Leben mit ihm deutlich lieber mochte als ohne ihn. Ich seufzte.

»Du nutzt gerne meine Gefühle für dich aus, oder?«, kam es ergeben von mir.

»Hey, Alter, ich war da immer ehrlich zu dir. Das zwischen uns, das ist ...« Mirco dachte wohl über ein passendes Wort nach. Ich winkte nur genervt ab. Jedes Mal, wenn er wieder betonte, dass wir niemals eine Beziehung führen würden, musste ich ein bisschen um meine Würde ringen. Zugegeben, ich hatte nie um ihn gekämpft, vor allem am Anfang hatte ich mir jedoch noch Hoffnungen gemacht. Jetzt waren nur meine unerwiderten Gefühle übriggeblieben, mit denen ich für gewöhnlich umzugehen wusste. Lieber ein Mitbewohner, mit dem ich mich gut verstand, als eine weitere gescheiterte Beziehung. Außerdem würde ich es nicht ertragen, wenn Mirco meinetwegen unter der Brücke landen würde. Bestimmt würden ihn komische Leute aufsammeln und er würde sich in eine Schuldenfalle der Mafia treiben lassen und Drogen verkaufen müssen, um die Schulden abzubezahlen, und schließlich würde man ihn auf offener Straße erschießen. Den schönen Mirco. Das war nicht okay. Immerhin konnte er ja nichts dafür, dass ich etwas für ihn empfand.

»Was für einen Gefallen?«, lenkte ich mich von dem Gedankengang ab, während ich das Nachrichtenblatt auf den kleinen Ablagetisch neben dem Ledersofa legte. Wie ich Mirco kannte, wollte er nämlich meine volle Aufmerksamkeit.

»Es ist nicht direkt ein Gefallen, es ist mehr … deine Meinung, so als jemand, der na ja … wie seh ich in dem Hemd aus?« Er breitete seine Arme aus, drehte sich demonstrativ um die eigene Achse. Ich zog eine Augenbraue hoch. Ein breites Grinsen schlich sich gewinnend über seine Lippen.

»Wie ein langweiliger Spießer«, konfrontierte ich ihn mit der traurigen Wahrheit. Er hatte sogar die schulterlangen Haare zusammengebunden und den wohlgepflegten Drei-Tage-Bart abrasiert. Die Freude erlosch aus seiner Mimik.

»Oh … ehrlich? Ich mein, ich dachte mal an einen neuen Look. Yuppie soll wieder in sein, hab ich gehört.« Er kratzte sich an dem haarlosen Kinn.

»Äh ja … was war falsch mit deinem alten Look?« Ich mochte seinen Sonnyboy-Look. Der passte nämlich ziemlich treffend zu seinem charmanten Charakter.

»Na ja, ich werde doch bald fünfundzwanzig, vielleicht sollte ich mal seriöser werden.« Er warf sich mit einem Seufzen neben mich aufs Sofa. Den Kopf im Nacken. Eine Trauermiene im Gesicht. Liebeskummer. Mal wieder. Ich überlegte, ob ich weiter Zeitung lesen sollte, bis ich zu meiner Verabredung losmusste. Wir hatten so ein Drama schon oft genug durch, dass ich diese Unterhaltung im Autopilot führen könnte – vermutlich, ohne dass er etwas merken würde. Er war nicht unbedingt der aufmerksamste Mensch. Und auch wenn Mirco sich immer mit voller Begeisterung und ganzem Herzen in eine Beziehung stürzte, hielt es nie lange.

»Sie findet mich unreif«, erklärte er schließlich mit Grabesstimme. »Und hat Schluss gemacht.«

»Ich glaube nicht, dass ein Hemd daran etwas ändert.« Besonders nicht so ein langweiliges. Sonst trug er gerne T-Shirts mit sorgfältig ausgewählten Aufdrucken. Was bei anderen schnell mal lächerlich aussah, stand ihm vorzüglich. Das Hemd jetzt war hellblau mit kleinen Punkten und saß an den Schultern zu eng, war dafür an der Taille zu weit. Als Hemdliebhaber tat es fast weh, sich das anzuschauen. So ehrlich konnte ich jedoch nicht zu ihm sein. Das würde sein Ego nicht verkraften.

Während ich noch kritisch das Hemd beäugte, drehte er sich plötzlich mit seinem ganzen Körper in meine Richtung. Da war definitiv weniger Distanz zwischen uns, als mir lieb war. Außerdem sah er mir wieder direkt in die Augen. Ich musste schlucken und benötigte eine gewisse Willensstärke, um nicht zurückzuweichen oder ihn zu einem Kuss an mich heranzuziehen. Beides war nicht in Ordnung. Deshalb hasste ich es, wenn er sich so verhielt.

»Wie kommt es, dass du mich magst? Ich mein, laut meiner Ex bin ich unreif, anstrengend, unsensibel und habe keine Ahnung von den Gefühlen anderer.« Seine Augen schimmerten feucht, als er das sagte. Der arme Tropf.

»Hey, immerhin siehst du gut aus!« Das war meiner Meinung nach der Hauptgrund, warum die meisten etwas mit ihm anfingen. Er sah unverschämt gut aus – sogar in dem spießigen Hemd, das ihm kein Stück stand. Und insofern er keinen Liebeskummer hatte, konnte man viel Spaß mit ihm haben. Selbst, wenn man nur befreundet war.

Seine Augen wurden schmal. Er rückte noch weiter auf. Der Geruch seines Aftershaves stieg mir in die Nase. Meine Nackenhaare stellten sich auf. Flucht oder Sex?! Mein Körper wollte beides! Verdammtes Mistding. Und verdammter Mirco. Es war leicht mit ihm zusammenzuleben, wenn er die Grenzen zwischen uns wahrte. In solchen Situationen wie eben war aber gar nichts leicht. Er war so greifbar nah. Emotional wie auch physisch. Trotzdem wollte er mich nicht. Das respektierte ich. Mir konnte allerdings niemand vorwerfen, dass es mich Überwindung kostete, mich ein Stück nach hinten zu lehnen, anstatt ein paar Zentimeter nach vorne zu seinen Lippen.

»Es ist mein Aussehen? Das ist das, was du an mir magst?« Er runzelte die Stirn, schüttelte leicht ungläubig den Kopf. Hatte ich ihn mit der Aussage gekränkt?

»Glaub mir, wenn es nur das wäre, hätte ich dich schon längst rausgeworfen. Und ich will da wirklich nicht weiter mit dir darüber reden.« Nun war definitiv der richtige Zeitpunkt, um wieder nach der Zeitung zu greifen. Wie einen Schutzwall brachte ich sie zwischen uns. Mirco verstand den Hinweis nicht.

»Du liest das doch gar nicht!«, kam es empört von ihm, riss dabei das Blättchen an sich und nahm mir damit meinen letzten Zufluchtsort. Den entnervten Seufzer konnte ich mir diesmal nicht ersparen. So anstrengend war Mirco schon lange nicht mehr gewesen.

»Ich würde sie lesen, wenn du mich lassen würdest!«, zischte ich. Allerdings würde ich mich nicht dazu herablassen, nach der Zeitung zu greifen. Keine Lust auf eine Blamage oder ein Gerangel mit Mirco. Mit bösen Blicken beobachtete ich, wie er damit vor meiner Nase hin und her wedelte und die Seiten zerknitterte.

»Du kriegst sie zurück, wenn du mir sagst, warum du mich liebst.« Er hielt sie mir provokativ vor das Gesicht. Wie alt waren wir?! Ich fragte mich ernsthaft, ob ich es hier mit einem Kleinkind zu tun hatte. Wo war eigentlich seine Trauer über die Trennung geblieben? Die vermisste ich gerade schmerzlich. Da schmollte er nämlich am liebsten allein in seinem Zimmer.

»So wichtig ist mir die Zeitung dann auch nicht.« Ich fand, Mirco hatte sich nun genug an meiner Zuneigung für ihn aufgegeilt. Hoffentlich hatte er seine Trennung bald überwunden, damit wir weiter verdammt gute Freunde sein konnten – und nicht er ein Jammerlappen und ich sein emotionales Trostpflaster.

»Ich bin traurig, du könntest mich aufmuntern.« Wieder dieses Wimpernklimpern.

»Okay, ich mach dir ein Angebot: Zieh ein anderes Hemd an und ich lad dich auf einen Drink ein. Reicht dir das?« Ich fühlte mich etwas zu nett, allerdings sah ich ihn auch wirklich ungern so niedergeschlagen.

»Hrm … na ja, klingt wie ein Kompromiss. Das Hemd lass ich aber an. Ich finde, ich sehe erwachsen damit aus!«

Wäre ich ein spitzfindiger Korinthenkacker, würde ich darauf bestehen, dass das kein Kompromiss war, sondern er nur seinen Dickschädel durchsetzte. Anders als Mirco besaß ich jedoch ein bisschen Feingefühl.

»Na ja, musst du wissen. Hauptsache, du gehst mir nicht mehr auf die Nerven.« Mit einem Seufzen erhob ich mich. Es war Freitagabend, da traf ich mich normal immer mit Mary im Bananas, einer unaufdringlichen Kneipe im Schwulenviertel der Stadt. Es war also keine große Planänderung, wenn Mirco mitkam.

»Julie und ich wollten heute zu einer Club-Eröffnung.« Ihm war wohl wieder eingefallen, warum er Aufmunterung brauchte. Sein Strahlen aufgrund meiner Einladung war aus seinem Gesicht verschwunden. Schade.

»Du magst doch gar keine Clubs«, merkte ich an.

»Aber ich mochte Julie! Ehrlich. Ich dachte, sie wird mal die eine, weißt du.« Als er das sagte, war er mir in den Flur gefolgt und schlüpfte in seine ausgetragenen Sneaker. Die sahen neben meinen braunen Brogue immer aus, als hätte man sie eben aus dem Müll gefischt, jedoch besser dort gelassen. Ich schätzte Mirco offensichtlich nicht für seinen nicht vorhandenen Modegeschmack. Ich zog mir mithilfe eines Schuhlöffels den schicken Herrenschuh an und griff nach meinem grauen Herrenmantel. Mirco hatte sich seinen Parka geschnappt – darunter sah man wenigstens nicht das abscheulich biedere Hemd. Gemeinsam verließen wir die Wohnung und gingen Richtung S-Bahn.

»Das denkst du bei jeder«, kam es trocken von mir. Aber bei keinem einzigen Kerl dachte er das. Mirco hatte manchmal seltsame Affären mit Männern, über die er kaum sprach, insbesondere nicht mit mir. Womöglich war das seine Art von Taktgefühl mir gegenüber. Oder er hatte Angst, ich würde irgendwann wissen wollen, warum ich nicht infrage kam. Dass ich ein Typ war, schien nicht das Problem zu sein. Aber was das Problem war, blieb vielleicht besser ungeklärt. Ich war eigentlich mit dem Status quo unserer ... Freundschaft zufrieden.

»Das ist gar nicht wahr! Julie war was besonders«, widersprach er mit all seiner Überzeugung. Mirco glaubte wirklich an das, was er sagte. Manchmal beneidete ich ihn um diesen Optimismus. Hätte ich bereits so viele gescheiterte Beziehungen hinter mir, ich hätte die Liebe längst an den Nagel gehängt. Hatte ich vielleicht sogar ...

»Du weißt doch noch nicht mal, was für einen Job sie hatte. Und beeil dich, die S-Bahn wartet nicht.« Mircos Lauftempo war schon immer eine Herausforderung für meine Geduld. Er wäre sicher schneller, wenn er die Füße ordentlich vom Boden heben würde, anstatt so zu schlürfen. Was übrigens auch der Grund war, warum seine Schuhe so heruntergekommen aussahen. Ich war jedoch nicht seine Mutter und würde ihm das deshalb niemals ins Gesicht sagen. Und irgendwie mochte ich es ein bisschen, wie er lief. Es hatte etwas ... Entschleunigendes an sich. Eine ganz eigene Ruhe, die ich immer suchte, aber selten fand. Die meisten würden vermutlich lachen, wenn ich ihnen erzählen würde, dass Mirco der Entspanntere von uns beiden war. Besonders, wenn sie ihn mit Liebeskummer erlebten. Natürlich war er deutlich überschwänglicher und auch dramatischer als ich, aber innerlich ... Innerlich war er klarer, vielleicht weil er seine Gefühle so offen zeigte und sie nicht immer schweigend mit sich herumtrug.

»Schwimmlehrerin! Sie ist Schwimmlehrerin.« Er japste etwas, als er das sagte. Mein Schritttempo brachte ihn gerne mal außer Atem. Das hinderte ihn natürlich nicht daran, mich davon überzeugen zu wollen, dass Julie seine zukünftige Frau hätte werden sollen.

»Nein, das war Amelia. Julie ist allergisch auf Chlor. Sie studiert aber Englisch und Geschichte auf Lehramt«, korrigierte ich ihn, während wir an der S-Bahnstation ankamen. Ich hatte schon viel Gelegenheit gehabt, mich mit Julie zu unterhalten. Da ich aus mir unerfindlichen Gründen ständig auf Dates von den beiden mitgeschleppt wurde. Vielleicht aus Mitleid, weil ich ja armer Single war. Oder aus ... Nein! Das wollte ich Mirco gar nicht unterstellen.

»Ha, mit der Lehrerin lag ich also richtig!« Und er war auch noch stolz darauf. Zumindest sagte das sein triumphierendes Grinsen. Tatsächlich lächelte ich kurz, ohne es zu wollen. Diese Wirkung hatte er leider schon immer auf mich gehabt.

»Und wie lang wart ihr zusammen?« Ich zog meine Augenbrauen hoch, als ich ihn das fragte. Die einfahrende Bahn rettete ihn vor einer Antwort.

»Mindestens drei Monate!« Eine Rettung, die Mirco scheinbar ablehnte.

»Fünf Wochen. Morgen wären es fünf Wochen gewesen.« Das Augenverdrehen sparte ich mir, es wäre ihm eh egal. Stattdessen stieg ich in die volle S-Bahn und hielt mich an einer der Stangen bei den Türen fest. Mirco folgte mir, immer noch ein eifriger Ausdruck im Gesicht.

»Wir waren für die Ewigkeit bestimmt, da zählen so ein paar Tage mehr oder weniger nicht.« Jetzt wurde er theatralisch. Die Sache war einfach, dass er nicht verstand, dass es eben doch auf so Kleinigkeiten ankam. Welchen Job sie haben, welche Träume und Ziele. Und auch, wie lange man bereits eine Beziehung führte. Selbst wenn ich ihm das erklären würde, würde er es nicht verstehen. Mirco verschwendete sich nämlich nicht auf ... Kleinigkeiten.

»Und wie wären die Namen eurer Kinder gewesen?« Den sarkastischen Unterton konnte ich nicht ganz unterdrücken.

»Fiona und Finnigan.« Er grinste mich breit an. Bestimmt hatte er sich die Namen eben erst ausgedacht.

»Wunderschön«, kommentierte ich deshalb mit hochgezogenen Augenbrauen. Dem Kribbeln unter meiner Haut schenkte ich wie immer keine Beachtung. Warum musste er mich so verflucht hinreißend angrinsen?!

»Ja, so wie unsere Kinder geworden wären. Fiona hätte die Haare ihrer Mutter gehabt und Finnigan mein Lächeln.« Offensichtlich ignorierte er meinen Sarkasmus. Darin hatte er auch zur Genüge Übung.

»Das klingt nach einem tragischen Verlust.« Ich presste die Lippen zusammen und sah ihn gespielt mitleidig an.

»Ja, absolut. Sie wären wundervolle Kinder gewesen.« Er seufzte sehnsuchtsvoll. Ich persönlich empfand allein die Vorstellung von Mirco als Vater äußerst gruselig. Er schaffte es nicht einmal, daran zu denken, Klopapier zu kaufen oder unsere Pflanzen zu gießen. Aber wahrscheinlich waren das Dinge, in die man hineinwuchs, wenn es so weit war. Ob der Wunsch nach Kindern wohl der Grund war, warum er keine ernsthafte Beziehung mit einem Kerl wollte? Von Adoption hielt er nämlich nichts. Es musste schon das eigene Fleisch und Blut sein. Mirco versank in Schweigen. Er trauerte vermutlich dem imaginären Nachwuchs nach, den er nicht mit Julie haben würde.

Erst als wir aus der S-Bahn stiegen, schreckte er aus seinen Gedanken auf.

»Was machen wir jetzt eigentlich genau?«, fragte er mit einem Stirnrunzeln, als er bemerkte, wo wir ausgestiegen waren.

»Dasselbe, was ich jeden Freitagabend mache.« Ehrlich gesagt, war ich ein wenig gespannt, ob ihm die Information etwas brachte.

»Du versuchst, die Weltherrschaft an dich zu reißen!« Mirco strahlte über das ganze Gesicht, als er das sagte. Er wusste, ich würde die bescheuerte Referenz auf die Zeichentrickserie verstehen. Mirco mochte Zeichentrickserien, passte zu seinem kindlichen Gemüt, und seine Begeisterung bot mir eine gute Gelegenheit, sie gemeinsam und ungeniert mit ihm anzuschauen. Ich verdrehte trotzdem die Augen, um ihm zu zeigen, was ich von seiner Antwort hielt. Seine Mundwinkel gingen nach unten.

»Wir gehen ins Bananas?«, hakte er jetzt doch nach. Ich war mir nicht sicher, ob der kleine Regenbogen am Schild schuld war, dass Mirco ungern dorthin ging, aber er mochte das Bananas nicht. Warum das so war, hatte ich aber nie gefragt.

»Ich treff mich dort mit Mary und Dave.« Mary und ich kannten uns noch aus der Schulzeit. Als sie sich in der siebten Klasse geoutet hatte, wurden wir so etwas wie die besten Freunde. Unsere regelmäßigen Treffen waren mir heilig.

»Was? Warum? Ich dachte, wir hätten mal einen Abend für uns.« Mirco wirkte immer weniger begeistert von meiner Abendplanung.

»Du wärst heute mit Julie auf einer Club-Eröffnung, wenn sie nicht Schluss mit dir gemacht hätte.« Ich konnte mich ehrlich gesagt gar nicht erinnern, wann Mirco und ich zuletzt einen Freitagabend verbracht haben. Die Wochenenden gehörten nämlich seinem Liebesleben. Die Wochentage gehörten dafür mir.

»Musst du Salz in meine Wunde reiben?« Er zog eine traurige Schnute. Ich lachte.

»Ich wäre netter zu dir, hättest du das Hemd nicht anbehalten. Mach wenigstens die Haare auf, bevor wir in der Bar sind. So kann ich mich nicht mit dir blicken lassen.« Das Hemd würde zumindest sicherstellen, dass ihn niemand anbaggerte – falls das Mircos Sorge war.

»Wer ist eigentlich Dave?«, lenkte er von dem Kleiderthema ab. Ihm war also aufgefallen, dass er ihn noch gar nicht kannte. Ehrlich gesagt, hatte ich erwartet, dass das eine Kleinigkeit war, die ihm entgehen würde.

»Ich habe ihn vor ein paar Wochen kennengelernt. Netter Kerl. Hübsches Lächeln«, erklärte ich kurz. Eigentlich wollte ich nicht mit Mirco über Dave reden.

»Hübscher als meines?« Er hatte gerade das Gummiband aus den Haaren gezogen und warf mir ein charmantes Lächeln zu, während er eine Haarsträhne hinter sein Ohr strich. Verdammt.

»Tausendmal«, log ich in sein Gesicht, ohne mit der Wimper zu zucken. Dave hatte in der Tat ein wundervolles Lächeln, aber er war nicht Mirco.

2. Schritt: Brotteig herstellen.

Energisch schob ich die Bartür auf. Es war noch früh am Abend und entsprechend wenig los. Mary wartete bereits an unserem Stammplatz – ich hätte sie aber auch so gefunden. Ihre große, schlanke Gestalt und die modische Kurzhaarfrisur verliehen ihr etwas elegant Erhabenes und machten sie zu einem echten Hingucker. Außerdem winkte sie mir zu. Ich nickte kurz, um ihr zu signalisieren, dass ich sie bemerkt hatte. Dave hatte ich noch nicht entdeckt. Ich war mir nicht sicher, ob ich mich darüber freuen sollte oder nicht. Tatsächlich hätte ich ihn gerne gesehen, aber irgendwie wurde mir flau im Magen bei dem Gedanken, dass sich Mirco und er kennenlernten. Das mit der Einladung hätte ich mir wohl früher überlegen sollen ... Wenn es um Mirco ging, wurde ich schlichtweg irrational. Ob umdrehen noch eine Option war?

Ich sah zur Eingangstür, durch die soeben Dave spazierte. Klar, was auch sonst? Er grinste mir zu und ich erwiderte es automatisch. Dabei wanderte mein Blick jedoch sofort zu Mirco. Hatte er etwas bemerkt? Scheinbar nicht, da er sich gerade an mir vorbeigeschoben hatte, um sich zu Mary an den Tisch zu setzen. Die beiden verstanden sich prächtig – hauptsächlich, weil Mary nichts davon wusste, dass ich dem Kerl schon seit Jahren hinterherhechelte. Oder na ja, ihn mochte und er sich nur platonisch für mich interessierte. Aber wie bereits erwähnt, das war mein kleines, schmutziges Geheimnis. Jeder brauchte eines, oder?

»Na, schöner Mann. Oft hier?« Mit diesen Worten trat Dave an mich heran, hatte dabei eine feine Röte im Gesicht. Er war nicht der Typ für plumpe Anmachsprüche – aber der Typ, der sich gerne darüber lustig machte.

»Nur wenn so nette Gesellschaft auf mich wartet«, erwiderte ich mit einem Augenzwinkern, fühlte mich dabei aber völlig unbeholfen. Flirten war nie meine Stärke gewesen. »Ich habe übrigens meinen Mitbewohner mitgebracht. Nicht wundern, er ist ...« Ich wusste nicht ganz, wie ich den Satz zu Ende bringen sollte. Wie war Mirco denn?

»Hey, ihr Nulpen, schiebt mal eure Ärsche hier rüber, anstatt nur im Weg zu stehen!«, brüllte uns Mary von unserem Stammplatz aus zu. Ihr dreckiges Mundwerk hatte sie schon in der Schulzeit gehabt, nur heute stand es im starken Kontrast zu ihrem eleganten Aussehen. Manchmal fragte ich mich ja, ob sie in ihrer Arbeit als Fotografin auch so redete. Allerdings betonte sie ständig, dass es bei den Shootings immer alles höchst professionell zuging – und das glaubte ich ihr sogar. Sonst wäre sie nicht so gefragt.

»Charmant wie immer, liebste Mary«, kam es von Dave, während er zum Tisch schlenderte. Ich folgte ihm. Mit etwas Unbehagen stellte ich fest, dass Mirco die Getränkekarte sinken ließ und nun den Anderen unverhohlen anstarrte. So einen Blick kannte ich nicht von ihm. Er war ... ungewöhnlich ernst. Ich runzelte die Stirn. Jetzt tauchte ein breites Strahlen auf Mircos Gesicht auf und er sah aus wie immer.

»Daniel, richtig?«, fragte Mirco den Neuankömmling in der Runde.

»Dave«, korrigierte der Angesprochene ihn mit einem Lächeln, während er sich Mary gegenüber setzte. So war noch ein Platz neben ihm frei, den ich gerne für mich in Anspruch nahm. Mit einem Grinsen ließ ich mich darauf fallen und sofort traf mich Mircos Blick. Er saß mir direkt gegenüber. So war wenigstens möglichst viel Distanz zwischen Dave und ihm. Vielleicht würde es helfen, damit Mirco sich etwas zurückhielt.

»Und du bist der Mitbewohner?«, fügte Dave nach kurzem Schweigen hinzu. Mircos Augen wurden schmal und ich konnte ihm ansehen, dass er gleich etwas Dummes sagen würde.

»Dave, das ist Mirco«, kam ich ihm deshalb zuvor, deutete dabei ein wenig hektisch zwischen den beiden hin und her. Mirco begnügte sich nun mit einem schmallippigen, kurzen Lächeln.

»Die zukünftige Mutter seiner imaginären Kinder hat sich gestern von ihm getrennt«, versuchte ich, sein Verhalten zu entschuldigen. Er warf mir einen erbosten Blick zu.

»Oh je, war es die heiße Schwimmlehrerin?« Mary wuschelte ihm durch die Haare. Ihre Art von Aufmunterung. »Ich hätte wetten können, die ist von meinem Ufer.«

»Nein, das war Bianca ...«

»Amelia«, kommentierte ich aus Reflex.

»Wie auch immer.« Mirco wischte meinen Einwurf beiseite. »Jedenfalls hat sich Julie von mir getrennt. Sie studiert Französisch und unsere Kinder hätten Mathis und Chloe geheißen.«

»Ein Junge und ein Mädchen? Wie klassisch!« Lachend knuffte Mary ihm in die Seite. Sie nahm Mircos Trennungen ähnlich ernst wie ich – nämlich gar nicht. Als Mirco sie allerdings mit seinem ›geprügelter Hund‹-Blick ansah, wurde auch sie schwach. Sie drückte ihn kurz, aber herzlich.

Ich beschloss, dass dies eine gute Gelegenheit bot, um mich Dave zu widmen. Auf das Treffen mit ihm hatte ich mich tatsächlich gefreut. Wir waren noch nicht ganz so weit, wirklich auf ein Date zu gehen, aber unverfängliche Barbesuche mit Gesellschaft fühlten sich bisher gut an. Warum ich Mirco bisher nichts von ihm erzählt habe, wusste ich selbst nicht genau. Im Moment wollte ich mir darüber keine Gedanken machen. Dave hatte uns mit einem Lächeln beobachtet. Wahrscheinlich war er überwältigt von dieser ganzen freundschaftlichen Intimität. Schlechtes Gewissen regte sich bei mir, so hatte ich mir das heute nicht mit ihm vorgestellt. Ich sah in ihm nämlich tatsächlich eine Chance, endlich von den Gefühlen für Mirco loszukommen. Mit genügend Zeit.

»Er übertreibt manchmal gerne«, erklärte ich ihm deshalb mit einem Augenzwinkern.

»Das mit seiner ... Freundin tut mir trotzdem leid. Eine Trennung ist doch immer hart.« Als Dave das sagte, linste er kurz zu meinem Mitbewohner, der es viel zu sehr genoss, sich von einer Lesbe betüdeln zu lassen.

»Ach, nächste Woche hat er schon jemand Neues. Mach dir keinen Kopf seinetwegen.« Ich winkte ab. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie Mirco wieder in meine Richtung sah. Weshalb ich mich nun ganz zu Dave drehte. »Darf ich dich einladen?«

Dave lächelte mich an. Es war ein zurückhaltendes Lächeln, das aber etwas beruhigend Aufrichtiges an sich hatte. Kurz dachte ich, dass er doch mit Mirco konkurrieren könnte. Deshalb beschloss ich, mich heute Abend nicht mehr mit fremdem Liebeskummer zu belasten und stattdessen eine schöne Zeit mit Dave zu verbringen.

Gemeinsam gingen wir an die Bar, um unsere Bestellung aufzugeben. Mirco hatte mir noch einen Getränkewunsch hinterhergerufen – was sein gutes Recht war, ich hatte ihm ja einen Drink versprochen. Ich war nur froh, dass er uns nicht begleiten wollte.

Der Barkeeper stellte uns die Drinks hin. Eine Pink Lady für Mirco, Whisky on the rocks für Dave, für mich gab es ein Kellerbier. Mary hatte sich schon selbst ihre Bloody Mary geholt – den Cocktail bestellte sie immer rein aus Prinzip, nicht weil sie ihn mochte. Dave half mir, die Getränke zum Tisch zu tragen. Mirco war gerade sehr beschäftigt damit, Mary davon zu erzählen, wie er seine Kinder mit Julie zweisprachig aufgezogen hätte und sie vielleicht einmal nach Frankreich ausgewandert wären. Ich machte mir nicht die Mühe, ihn darüber aufzuklären, dass Julie Englisch studierte. Zum einen war sie sowieso Geschichte und nicht mehr relevant, zum anderen wollte ich ihn nicht so vor Mary und Dave auflaufen lassen. Mirco konnte etwas sensibel sein, wenn man ihn vorführte ... Aber wer nicht?

»Und Marie und Antoine hätten dann diesen lustigen französischen Akzent …«, hörte ich ihn sagen.

»Hießen die nicht gerade noch Mathis und Chloe?«, hakte ich verwundert nach. So schlecht konnte sein Namensgedächtnis doch nicht sein.

»Fanden wir nicht französisch genug, deswegen sind wir auf Marie und Antoine umgeschwenkt«, erklärte Mary mit einem bestimmten Nicken.

---ENDE DER LESEPROBE---