Die Zähmung eines widerspenstigen Herzens - Mo Kast - E-Book

Die Zähmung eines widerspenstigen Herzens E-Book

Mo Kast

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Beschreibung

"Ging es dir nie so, dass du nach jeder Beziehung weniger Lust hattest, nochmal eine einzugehen?" Isaac ist dreißig. Sein Freund hat ihn gerade verlassen. Seine Katze hasst ihn. Und jetzt will auch noch sein neuer, überaus dreister Nachbar, dass er ihm beim Einzug hilft. Zeit für ein Bier! Kann sich aus Freundschaft eine Beziehung entwickeln, selbst wenn man das Vertrauen in die Liebe verloren hat? Ein Roman so romantisch wie Schwarzbier und britischer Humor!

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Die Zähmung eines widerspenstigen Herzens

 

Roman von Mo Kast

 

Prolog: Surprise!

Der scharfe Geruch nach Reinigungsmittel stieg Isaac in die Nase. Irritiert blickte er von seinem Bildschirm auf und entdeckte die Reinigungskraft, die gerade begonnen hatte, den Boden zu wischen. Sein Blick wanderte zur Uhr, die gut sichtbar über dem Fenster hing. Zehn nach sieben.

Verdammt, er hatte Thomas versprochen, heute pünktlich zuhause zu sein. Sein Freund hatte nämlich eine große Überraschung angekündigt. Außerdem regte er sich immer darüber auf, wenn Isaac nicht rechtzeitig aus der Arbeit kam. Er war mal wieder der letzte Kollege im Büro. Alle anderen Plätze waren bereits verwaist. Wann war Martin gegangen? Schon vor über einer Stunde, oder? Mit wenigen Klicks fuhr er den Computer herunter und schnappte sich die Jacke von seinem Stuhl.

»Angelika, schönen Abend dir!«, rief er der Putzkraft noch zu, die nur knapp nickte und weiter schrubbte. Sie war nicht die Gesprächigste.

Er spurtete aus dem Bürogebäude und die Straße entlang zur S-Bahn-Station. Begleitet wurde er dabei vom unfreundlichen Frühlingswind, der an seiner Funktionsjacke zerrte, und kühlem Nieselregen. Die stickige Untergrundstation wurde zu einem willkommenen Unterschlupf vor dem Wetter. Keine Minute zu früh erreichte er sie. Laut quietschend fuhr gerade die S-Bahn ein und brachte einen Schwall warmer Luft und Menschen mit sich. Isaac drängte sich an ihnen vorbei, um noch rechtzeitig in die Bahn zu steigen. Er bekam dabei einen Ellenbogen in die Seite. In solchen Momenten dachte Isaac darüber nach, ob ein Auto nicht doch eine attraktivere Alternative wäre.

Schwer atmend klammerte er sich an einer der Stangen fest. Es gab zwar freie Plätze, aber heute war er nicht lange im Hangar gewesen und fand, dass er schon genug gesessen hatte. Die Arbeit im Büro mochte Isaac an seinem Job als Ingenieur am wenigsten. Er war einfach kein Schreibtischhengst. Schrauben, testen, tüfteln lag ihm dafür umso mehr.

Er atmete tief durch und gönnte sich einen Moment Ruhe. Schließlich zog Isaac sein Smartphone aus der Jacke und schickte seinem Freund eine Entschuldigung für die Verspätung. Zwei Haken erklärten ihm, dass die Nachricht gelesen wurde. Dass Thomas nichts erwiderte, war kein gutes Zeichen. Er war auf jeden Fall angepisst.

Isaac seufzte und steckte das Handy wieder ein. Sein Blick schweifte durch den Wagon und blieb schließlich an seiner schemenhaften Spiegelung hängen. Die dunklen Locken klebten ihm vom Regen in der Stirn, dafür beschönigte das schwarze Glas einiges. Die Augenringe waren kaum zu erkennen, ebenso die Falten, die mit dreißig so langsam kamen. Trotzdem fand er, er sah abgekämpft und müde aus. Nicht von der Arbeit, sondern von der ewigen Diskussion, die ihn zuhause erwarten würde. Thomas fand, er mache zu viele Überstunden und wahrscheinlich hatte er recht. Es war nur keine Absicht. Isaac vergaß über die Arbeit oft die Zeit und er ließ nicht gern etwas unfertig liegen. Dass ihm das ausgerechnet heute wieder passieren musste, wenn eine Überraschung auf ihn wartete. Was es wohl war? Kurz schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, dass Thomas sich trennen wollte. Aber das war Unfug. Heute Morgen hatte er ihm noch über den Frühstückstisch zugelächelt und ihm einen sanften Abschiedskuss gegeben. Zwischen ihnen war alles in Ordnung!

Trotzdem merkte Isaac, wie er sich unnötig viel Zeit beim Aufschließen der Wohnung ließ. Ihn begrüßte der Duft nach gebratenem Steak und Rotweinsoße. Thomas hatte wohl für sie gekocht. Das hätte er nicht gemacht, wenn er sich trennen wollte, oder? Anstatt einfach aus seinen Schuhen hinauszuschlüpfen, löste Isaac sogar die Schnürsenkel, um das Paar feinsäuberlich in das Schuhregal zu räumen, bevor er sich traute ein »Hey, bin da!« in die Wohnung zu rufen.

Keine Antwort. Mist! Isaac schluckte.

Es wäre ja alles weniger dramatisch, wenn Thomas nicht recht mit seiner Wut hätte. Isaac hatte ihm heute Morgen noch versprochen, mal nicht so lange zu machen – diesmal wirklich! Dann hatte es diese Fehlfunktion in der Armatur gegeben, die auf ein Softwareproblem zurückging. Niemand außer ihm wusste, was zu tun war. Abschließend musste er noch einen Vermerk in der Dokumentation notieren und plötzlich war es nach sieben gewesen. Vielleicht sollte er sich einmal einen Wecker stellen, damit er rechtzeitig aus der Firma kam. Thomas würde sich freuen.

Aus dem Wohnzimmer konnte Isaac die Flimmerkiste hören. Es würde also kein gemeinsames Abendessen geben, sonst hätte Thomas in der Küche auf ihn gewartet. Aber was hatte Isaac auch erwartet? Er war immerhin zwei Stunden zu spät. Er straffte seine Schultern und versuchte, das ungute Gefühl in seiner Magengegend zu ignorieren. Als er schließlich den Raum betrat, saß Thomas wie vermutet auf der Couch und warf ihm einen kühlen Blick zu, während er den Fernseher auf lautlos stellte. Lautlos, nicht aus. Natürlich wusste er, wie sehr das Isaac nervte … Das war kein guter Anfang für den Abend.

»Sorry, ich hab es nicht eher geschafft. Du weißt ja, wie das ist.« Warum hatte Isaac das gerade gesagt? Thomas machte nie Überstunden. Er arbeitete in der Verwaltung der Uni. Niemand erwartete von ihm, dass er sich außerhalb der Arbeitszeit noch mit seinem Job befasste. Theoretisch verlangte man das auch nicht von Isaac. Er liebte es jedoch, schwierige Probleme zu lösen, dafür blieb er eben gerne mal länger. Eventuell machte ihn das zu einem Workaholic, aber war das denn so schlecht? Laut seinem Lebenspartner schon.

»Schau unters Sofa!«, kam es plötzlich mit harter Stimme von Thomas. Seine sonst so vollen Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Die Arme hatte er verschränkt. Auf die Entschuldigung ging er gar nicht erst ein.

Isaac runzelte die Stirn. »Was?«

»Schau einfach drunter. Ich hatte dir doch eine Überraschung versprochen.« Sein Partner klang noch immer abweisend und er verdrehte die blauen Augen. Was wahrscheinlich der Grund war, warum Isaac dieser komischen Aufforderung nachkam. Er wollte einfach keinen Streit.

Als er sich hinab beugte, bemerkte er zunächst nichts. Gerade als er sich wieder aufrichten wollte, hörte er jedoch ein Geräusch. Ein Fauchen, um genau zu sein. Schließlich entdeckte er etwas in der Dunkelheit.

»Ist das eine … Katze?«, fragte Isaac, kniff dabei die Augen zusammen. Er konnte nur einen vagen Schemen erkennen. Das Fauchen war allerdings ziemlich eindeutig.

»Ja«, war die knappe Antwort.

»Warum ist eine Katze unter dem Sofa? Passen wir auf den Perser von Frau Kohnle auf?«, hakte Isaac nach.

»Es ist unsere Katze.« Thomas fixierte ihn nun. Er schien auf eine bestimmte Reaktion zu warten. Isaac hob seinen Kopf wieder, um seinen Freund anzusehen.

»Ist das die Überraschung?«, fragte er schließlich. Was anderes fiel ihm nicht dazu ein. Hatte Thomas tatsächlich eine Katze angeschleppt, ohne ihn vorher zu fragen?

»Surprise!« Sein Freund hatte einen sarkastischen Unterton, wedelte mit seinen Händen. »Ich hatte ihr eigentlich eine Schleife umgemacht. Aber nachdem du ewig nicht heimgekommen bist, hatte sie keine Lust mehr zu warten und hat sie abgestreift.« Da war er wieder, der übliche Vorwurf. Diesmal ersparte sich Isaac das Seufzen. Das wäre in der Situation nicht hilfreich.

»Warum überrascht du mich mit einer Katze?« Das musste er trotzdem fragen.

Thomas atmete aus, schloss einen Moment die Augen. Als er sie wieder öffnete, war da endlich dieses Lächeln auf seinen Lippen, in welches sich Isaac damals verliebt hatte. Auch wenn sie manchmal wegen Kleinigkeiten stritten, war Thomas zum Glück nicht nachtragend.

»Du meintest doch mal, du magst Katzen. Ich wollte dir eine Freude machen.« Thomas' Stimme klang plötzlich überraschend sanft und seine Züge wurden deutlich weicher. Auch seine Körperhaltung war nicht mehr auf Abwehr, stattdessen beugte er sich zu Isaac, der noch immer auf den Boden kniete, und strich ihm eine seiner wilden Locken aus dem Gesicht.

Unbewusst erwiderte Isaac das Lächeln und brachte es nicht über sich, ihm zu sagen, wie schlecht er die Idee fand. Immerhin war ein gemeinsames Haustier eine große Sache. Der nächste Schritt in ihrer Beziehung, nachdem Thomas vor einem halben Jahr zu ihm gezogen war. Es war ein Liebesbeweis, der sich für Isaac nur irgendwie unverdient anfühlte. Er war nämlich schon wieder zu spät und die Katze saß unter der Couch. Außerdem hatte Thomas ihm zugehört und sich gemerkt, was er sagte. Es war bereits einige Monate her, als er mal erwähnt hatte, dass er Katzen cool fand. Nur dumm, dass Thomas das so falsch verstanden hatte … Isaac hatte nichts gegen die Tiere per se. Sie waren weich, warm, konnten schnurren, sahen ganz süß aus. Aber er mochte sie lieber … bei anderen Leuten. Seine Eltern hatten mal welche gehabt, als er jung war. Er hatte daher noch gut in Erinnerung, wie viel Arbeit sie machten. Katzenklo reinigen. Katzenkotze vom Teppich wischen. Katzenhaare von den Klamotten zupfen und vom Sofa saugen. Mehrmals täglich füttern. So richtig heiß war er nicht darauf und so wirklich Zeit hatte er dafür auch nicht.

»Ist sie noch jung?« Dann wäre sie leichter weiterzuvermitteln.

»Sie ist eine Heilige Birma! Zehn Wochen alt! Und sie hat die schönsten blauen Augen der Welt!« Thomas war sichtlich begeistert von dem fauchenden Fellbündel unter dem Möbelstück. Er strahlte über das ganze Gesicht.

»Die war doch sicher teuer.« Nicht, dass der Preis bei einem Lebewesen eine Rolle spielen sollte, aber Isaac fühlte sich nicht wohl mit teuren Geschenken. Außerdem hatten sie sich darauf geeinigt, finanziell keine großen Sprünge mehr zu machen. Die Wohnung hatte Isaac erst vor einigen Monaten gekauft und sich damit für die nächsten dreißig Jahre verschuldet. Da Schulden noch ein neues Konzept für ihn waren, fühlte er sich von jeder weiteren Ausgabe unter Druck gesetzt. Selbst wenn es nur eine von Thomas war. Sie teilten sich immerhin ein gemeinsames Leben und ein Konto für Essen, Versicherungen und Nebenkosten. Und Haustiere kosteten auch im Unterhalt Geld: Impfung, Kastration, Entwurmung und wenn sie mal krank wurden ...

»Nein, keine Sorge! Sie ist ohne Stammbaum. Ich hab sie über ebay-Kleinanzeigen gefunden!«, berichtete Thomas mit einem gewissen Stolz. Einen Preis nannte er trotzdem nicht. Isaac würde nicht mehr weiter danach fragen. Er vertraute seinem Freund.

»Wie heißt sie denn?« Um sich von Thomas abzulenken, beugte er sich wieder zu der Katze hinab, schielte unters Sofa. Ein unglückliches Maunzen schallte ihm entgegen. Armes Ding.

»Nun …« Etwas in Thomas' Stimme ließ Isaac aufblicken. Prompt wurde er angelächelt. »Ich dachte, du willst ihr vielleicht einen Namen geben.«

»Ich soll ihr einen Namen geben?« Ihm wurde warm ums Herz bei dem Gedanken. Er hatte noch nie einem Lebewesen einen Namen gegeben, wenn man von ›Boris, dem phallischen Kaktus‹ absah, der bei ihm im Büro stand.

»Hey, wenn du nicht willst, nenn wir sie einfach Musch…«

»Ophelia! Wir nennen sie Ophelia!«, unterbrach Isaac seinen Freund. Den Namen hatte er schon immer gemocht. Eine bessere Gelegenheit, ihn zu benutzen, würde sich nicht mehr ergeben.

»Schöner Name«, kam es mit einem sanften Lächeln von Thomas, welches Isaac nur zu gerne erwiderte. Sein Freund war nicht mehr sauer auf ihn.

»Jetzt bist du wohl nicht mehr die Kratzbürste hier in der Wohnung«, sagte Isaac mit einem Augenzwinkern zu Thomas. Der lachte, stieß gegen seinen Arm. Damit war es besiegelt: Die Katze blieb hier. Nein, Ophelia blieb hier. Er und Thomas hatten nun eine gemeinsame Katze! Ein herzzerreißendes Miauen war zu hören.

 

Kapitel 1: Hallo Nachbar

Über ein Jahr später kämpfte Isaac wie jeden Morgen seit der Trennung mit sich, ob er Thomas schreiben sollte.

Der hatte sich vor drei Monaten von ihm getrennt, Isaac bisher aber nicht blockiert. Was Isaac nur deshalb wusste, weil er ihm ab und zu ein Foto von Ophelia schickte. Ohne Kommentar, nur ein Bild von der Katze. Warum er das machte, verstand er selbst nicht. Manchmal reagierte Thomas mit einem nichtssagenden Emoji. Jedes Mal war es ein Stich ins Herz. Die Emojis fühlten sich wie eine unüberwindbare Mauer an. Sie waren so … endgültig nonverbal. Isaac wollte aber mit Thomas sprechen. Er verstand es immer noch nicht. Waren die vielen Überstunden wirklich schuld gewesen? Oder hatte mehr nicht gestimmt? Selbst wenn … man hörte doch nicht wegen so einer Kleinigkeit einfach auf, jemanden zu lieben, oder? Sie hätten bestimmt daran arbeiten können. Warum hatte Thomas das nicht gewollt? War seine Liebe doch nicht so stark gewesen?

Aber dann war da noch Ophelia. Ein großer Liebesbeweis. Das Ersatzkind.

Wahrscheinlich schickte er deshalb die Bilder. Er wollte, dass sich Thomas wieder daran erinnerte, was sie sich bedeutet hatten. Immer noch bedeuteten. So einfach konnte doch nicht Schluss sein!

Plötzlich war er wieder in der Vergangenheit bei ihrem ersten Treffen: Die Silvesterparty bei Martin. Isaac saß auf einer alten Ledercouch, ein Bier in der Hand, während er mit geschlossenen Augen die Geräusche des Raums auf sich wirken ließ. Die etwas zu laute Rockmusik, vermischt mit dem Stimmengewirr der Studenten, bei welchem Isaac keine einzelnen Worte ausmachen konnte. Es war warm und jemand sollte vielleicht einmal lüften, um den Geruch nach zu vielen Körpern auf engen Raum und Zigarettenrauch zu vertreiben. Aber es interessierte niemanden. Nicht einmal Isaac. Und plötzlich spürte er, wie sich jemand neben ihn fallen ließ. Ein Bein stieß gegen seines. Er öffnete seine Augen, sah zu dem Fremden. Dunkle Haare. Blaue Augen hinter Brillengläsern. Volle Lippen, die zu einem verschmitzten Lächeln verzogen waren. Isaacs Herz setzte für einen Moment aus. Er hatte nie einen schöneren Mann gesehen.

»Glaubst du an Liebe auf den ersten Blick?«, hatte der Fremde amüsiert gefragt. »Oder soll ich noch einmal vorbeikommen?« Er zwinkerte ihm zu, während sich ihre Knie berührten.

»Nein«, war Isaacs wenig geistreiche Antwort gewesen. »Einmal reicht. Danke.«

»Ich bin Thomas.«

»Isaac.« Und sie schüttelten sich die Hände, weil Isaac ihm automatisch seine Hand angeboten hatte. Fast konnte er den festen Händedruck von Thomas noch spüren, auch nach all den Jahren, die bisher vergangen waren. Fünf, um genau zu sein. Und drei Monate. Sie hatten sich in derselben Nacht noch um Punkt zwölf geküsst.

Sein Finger schwebte über dem Display des Smartphones. Es lag immer auf dem Nachttisch neben dem Bett und war so ziemlich das Erste, worauf Isaac morgens schaute. Nachricht an Thomas tippen oder nicht?

Er entschied sich dagegen. Es war Samstagmorgen. Er war ein erwachsener Mensch. Natürlich hatte er Liebeskummer und verdammt, tat der weh. Aber er hatte ebenso Aufgaben und Pflichten. Die Wäsche musste gemacht werden. Das Bett neu bezogen werden. Die Katzentoilette wollte frisches Streu. Und er sollte noch staubsaugen und wischen, bevor Martin ihn abholte. Sie hatten für das Wochenende eine Angeltour geplant. Mit Camping und stundenlangem Im-Boot-sitzen. Was für manche langweilig klang, war für Isaac tatsächlich echte Entspannung. Er freute sich darauf, auch wenn er etwas Sorge hatte, dass Martin mit ihm reden wollte. Über Gefühle. Wie es ihm so mit der Trennung ging. Kein Gespräch, das Isaac mit einem Arbeits- und Angelkollegen führen wollte, selbst wenn er sein bester Freund war. Eigentlich wollte er es mit niemandem führen. Nicht mal mit Thomas, obwohl das sicherlich helfen könnte. Immerhin war das einer von Thomas' Kritikpunkten gewesen. Er wäre nicht emotional genug, würde seine Zuneigung zu wenig zeigen. Und klar, ganz falsch lag Thomas damit nicht. Aber Isaac fand, er hatte seine Liebe durchaus gezeigt. Durch viele Kleinigkeiten! Die … nicht gereicht hatten. Offensichtlich.

Isaac wälzte sich aus dem Bett und stellte dabei zufällig fest, dass Ophelia an seinem Fußende geschlafen hatte. Was … ungewöhnlich für sie war. Ihr Lieblingsschlafplatz hier in der Wohnung war sonst der Kleiderschrank, dessen Schiebetüren sie leider öffnen konnte. Mehr als bei einer Gelegenheit hatte Isaac schon von ihr eine verpasst bekommen, als er nach einem frischen T-Shirt griff. Der Schrank gehörte ihr, das musste Isaac wohl respektieren. Wenigstens pinkelte sie dort nicht mehr hinein. Das hatte sie am Anfang ständig gemacht … Dafür wusste Isaac nun gut darüber Bescheid, wie man den Gestank von Katzenurin wieder aus Holz und Kleidung herausbekam. Das war nicht ganz so einfach, wie Isaac sich das ursprünglich vorgestellt hatte. Thomas war keine Hilfe gewesen, ihm wurde von dem Geruch immer nur übel. Konnte ihm niemand verdenken. Er hatte keinerlei Erfahrung mit Katzen und was für Dreck sie mit sich brachten.

Isaac schüttelte kurz den Kopf in der Hoffnung, ihn so frei von Thomas zu bekommen. Es funktionierte nicht ganz, aber er würde sich jetzt eine lange, warme Dusche gönnen und danach einen Earl Grey aufbrühen. Dann sah die Welt gleich viel besser aus. Mit oder ohne Thomas. Ophelia folgte ihm dafür ins Bad und legte sich dort auf die Badematte vor der Dusche. Es war wirklich ein befremdliches Verhalten, das sie die letzten Wochen an den Tag legte.

»Du vermisst Thomas wohl auch, hm?«, fragte Isaac die Katze schließlich. Sie sah demonstrativ in die andere Richtung und er fühlte sich wie ein Idiot. Jetzt begann er schon, mit Tieren zu sprechen … War er wirklich so einsam? Ja, war er. Thomas hatte ihn verlassen und alles, was ihm geblieben war, war eine Katze, die ihn nicht leiden konnte.

 

Während der Wasserkocher das Wasser auf die optimale Earl-Grey-Temperatur von 90° Grad brachte, wanderte Isaacs Blick zur Nespresso-Maschine. Die hatte Thomas unbedingt haben wollen und Isaac hatte sie ihm zu dessen 33. Geburtstag geschenkt. Seit der Trennung stand sie ungenutzt dort. Im Schrank gab es sogar noch eine fast volle Packung mit diesen Umweltverbrechen von Kapseln. Er sollte sie wahrscheinlich verschenken. Für den Müll waren sie zu schade, er würde sie aber niemals trinken. Er war kein Kaffeetrinker, außerdem hatte er Thomas zu oft damit aufgezogen, dass er dieses Zeug mochte. Es wäre inkonsequent, jetzt selbst diese Kapseln zu nutzen, und Isaac war kein Fan von Inkonsequenz.

Vielleicht sollte er Thomas fragen, ob er die Kaffeemaschine abholen wollte? Oder wieder einziehen wollte, um sie hier zu benutzen … Jedenfalls gab es noch einiges an Kram, den Thomas hier vergessen hatte. Darauf könnte er ihn ja mal hinweisen, oder?

Gerade als er WhatsApp öffnen wollte, hörte er ein lautes Scheppern begleitet von einem Fluchen aus dem Hausflur. Erschrocken fuhr Isaac zusammen, behielt aber wenigstens das Handy im eisernen Griff. Sollte er nachschauen gehen, was das da los war? Für einen Einbruch war es schon zu hell. Außerdem wären Einbrecher vermutlich unauffälliger … Trotzdem ging Isaac zur Wohnungstür und spähte durch den Spion. Viel erkennen konnte er nicht. Dafür hörte er nun, wie über ihm die Tür aufgesperrt wurde und ein dumpfes Geräusch, als würde etwas unsanft auf den Boden fallen gelassen. Stimmt, die Wohnung sollte ja neu vermietet werden. Er hätte nur nicht erwartet, dass das so bald passierte. Der alte Mieter war erst vor einer Woche ausgezogen. Aber klar, in Universitätsstädten blieben Wohnungen nie lange leer, auch wenn es hier nicht so verrückt wie in München oder Hamburg zuging.

Beruhigt von dem Gedanken, dass augenscheinlich niemand ausgeraubt wurde, ging Isaac zurück in die Küche. Der Wasserkocher war bereits fertig. Routiniert goss Isaac sich eine kleine Kanne des Schwarztees auf und stellte die Sanduhr für die richtige Ziehzeit. Etwas, was er eigentlich nicht mehr brauchte, aber so in Fleisch und Blut übergegangen war, dass er es automatisch machte. Dabei stellte er fest, dass die pyramidenförmigen Teebeutel bald leer waren. Er sollte seine Mutter fragen, ob sie ihm wieder ein paar Packungen schicken konnte. In Deutschland gab es einfach keinen guten Earl Grey. Aber wenn er sie danach fragte, müsste er ihr erklären, warum er nicht in drei Monaten zu ihnen kam. Theoretisch hatte er den Flug nach London noch nicht storniert und seine Urlaubstage waren genehmigt. Isaac wollte es nicht vor sich zugeben: Wenn er jedoch alles absagte, hätte er das mit Thomas komplett aufgegeben. Sollte er aber nicht bald etwas Sinnvolleres machen, als Katzenbilder zu schicken, wäre es wahrscheinlich wirklich zu Ende. Sein Blick ging wieder zu Thomas' Kaffeemaschine.

Das letzte Sandkorn fiel in die untere Hälfte des schmalen Glases.

Isaac nahm den Beutel aus der Kanne und holte eine der blauen Keramiktassen mit Untersetzer aus dem Schrank. Das altmodisch anmutende Keramikgeschirr war ein Geschenk seiner mittlerweile verstorbenen Großmutter gewesen. Mit einem Augenzwinkern hatte sie ihm erklärt, dass es seine Mitgift als Braut wäre. Er hatte den Eindruck gehabt, sie wollte ihm damit sagen, dass es für sie okay war, dass er schwul war, selbst wenn sie es nie offen zugegeben hat. Jedenfalls hatte das Geschirr deshalb einen gewissen emotionalen Wert für ihn. Es sah aber in der hochmodernen Küche mit roter Hochglanzfront und Induktionsherd ziemlich deplatziert aus. Die Fronten hatte Thomas ausgesucht, weil Isaac da auf seinen Geschmack vertraut hatte. Leider hatten sie nicht bedacht, dass sie die Oberflächen nur einmal schräg anschauen mussten und sie bekamen bereits Schmierflecken. Was Isaac tatsächlich ziemlich nervte. Wenn er zum wiederholten Male am selben Tag Fingerflecken wegwischte, vermisste er ein bisschen die alte Küche mit den zusammengewürfelten Möbeln aus seiner Studienzeit.

Mit der Tasse setzte er sich an den Küchentisch und starrte aus dem Fenster. Der Tag versprach ziemlich schön zu werden. Blauer Himmel. Vögel, die er sogar durch das geschlossene Fenster zwitschern hörte. Außerdem hatte ihm der Wetterbericht 25° Grad versprochen. Wunderbar für den März. Er freute sich schon auf den Angelausflug und spekulierte darauf, dass ein paar Forellen bissen. Die würden sie dann abends über dem Lagerfeuer grillen. Besser konnte es nicht werden! Er musste nur noch Zitronen besorgen, bevor Martin in zwei Stunden hier aufschlagen würde. Er sollte also langsam mal in die Gänge kommen.

Den Tee wollte er trotzdem noch in Ruhe genießen. Was sein neuer Nachbar wohl anders sah. Ein lauter Rums von oben ließ Isaac wieder zusammenfahren. Es klang so, als wäre ein Kistenturm mit Geschirr umgefallen. Da der Gebäudekomplex erst vor drei Jahren gebaut worden war und man auf gute Dämmung geachtet hatte, bekam man eigentlich nur wenig von seinen Nachbarn mit. Aber manches war eben doch zu laut …

Isaac schielte aus dem Fenster nach unten, in der Hoffnung vielleicht einen Blick auf den Unruhestifter zu erhaschen, wenn er etwas von seinen Sachen holte. Ein großer Sprinter stand direkt vor der Tür. Auf der hydraulischen Ladefläche zum Hoch- und Herunterfahren hüpfte eine Brünette mit Dreads herum, die einem Kerl Marke Holzfäller irgendwelche Dinge reichte. Klasse. Ein Hipsterpärchen. Wehe, die hatten lauten Sex bei offenem Fenster oder noch schlimmer: mochten Räucherstäbchen. Von dem Geruch bekam Isaac nämlich Kopfschmerzen.

Der Kerl blickte plötzlich in seine Richtung hoch. Hastig lehnte sich Isaac vom Fenster zurück, damit man ihn nicht mehr sehen konnte. Was ziemlich sicher zu spät war. Peinlich. Gleich beim Nachbarnausspionieren erwischt worden. So machte man in jedem Fall einen guten Eindruck.

Er griff nach dem Tee, nahm einen kleinen Schluck davon, während er auf seinem Smartphone durch die heutigen Nachrichten scrollte. Fühlte sich mal wieder alles nach Weltuntergang an. Überschwemmungen. Fluten. Wahlen. Und dann kam wirklich eine Horrornachricht und zwar von Martin.

›Sorry, wird nichts mit dem Ausflug. Wenn du morgen zu Kaffee und Kuchen kommst, sagen wir dir wieso.‹

Isaac hatte bereits eine Vermutung. Martin und Sarah waren seit acht Monaten verheiratet und bei mehr als einer Gelegenheit hatte sein bester Freund erwähnt, was er so machen würde, wenn er dann mal Vater war. In den letzten paar Wochen noch häufiger als sonst. Sollte er morgen kein Ultraschallbild vor die Nase gehalten bekommen, würde Isaac einen Besen fressen. Aber hatte er Lust darauf?

Es fühlte sich so an, als würde jeder in seinem Leben vorankommen, während er nur arbeitete. Früher hatte ihn das nicht gestört, aber da hatte er noch Thomas und war fest davon überzeugt gewesen, dass sie zusammen alt werden würden.

›Soll ich was mitbringen? Vielleicht einen Babyjumper?‹, schickte er an Martin.

Ein Emoji mit Herzchenaugen war die Antwort, sonst nichts.

Dann sollte er wohl statt den Zitronen für eine frisch gefangene Forelle besser Babykleidung aussuchen gehen. Er hatte langsam Übung darin. Mit dreißig war er nun in einem Alter, in dem Babys plötzlich überall aus dem Boden sprossen wie Pilze. Er war sogar schon genötigt worden, eines zu halten. Das Kind einer Arbeitskollegin. Es war eine grauenhafte Erfahrung gewesen. Das Baby hatte sofort geweint und er hatte sich unbeholfen gefühlt, als es angefangen hatte zu zappeln. Da würde er lieber mit Ophelia zum Tierarzt gehen, als nochmal so ein kleines Menschending halten zu müssen. Und seine Katze war – so eine Überraschung – kein großer Tierarztfan.

Apropos Ophelia, in die Küche war sie ihm nicht gefolgt. Ihre Näpfe waren aber feinsäuberlich leer gefressen. Vielleicht hatte er Glück und konnte eine Weile bei der Marke bleiben. Die ersten Wochen nach der Trennung hatte sie einen ähnlich großen Appetit gezeigt wie Isaac, nämlich gar keinen. Aber sie schien Thomas' Abwesenheit mittlerweile überwunden zu haben, was man von ihm traurigerweise nicht behaupten konnte.

Wieder ging sein Blick zu der verflixten Kaffeemaschine.

Ein Klingeln an der Tür riss ihn diesmal los. Hastig sprang er vom Tisch auf und rannte in den Flur. Vielleicht war es die Amazonbestellung von gestern Abend. Das wäre zwar sehr früh, aber manchmal konnten die flink sein. Er drückte den Türöffner für unten und riss gleichzeitig die Wohnungstür auf. Dass er nur seinen gestreiften Pyjama trug, war ihm egal. Paketboten sahen sicher täglich die unmöglichsten Outfits. Außerdem war es Samstagmorgen, da durfte man so aussehen!

Es war nicht der Paketbote. Dafür ein junger Kerl, der dem Klischeebild eines verpeilten Studenten entsprach, inklusive der Brille, zerzausten Haaren und einem abgetragenen T-Shirt.

»Ah, zum Glück! Du siehst nicht aus, als wärst du über hundert!«, kam es von dem Kerl. Isaac runzelte irritiert die Stirn. Was zur Hölle?

»Hey, ich bin Julius. Ich äh … bin der neue Nachbar und ziehe gerade ein!« Ein breites Strahlen ging über das ganze Gesicht. Dabei bemerkte Isaac, dass Julius drei Leberflecken auf der Wange hatte.

»Ist mir aufgefallen«, war Isaacs eher verhaltene Reaktion.

»Oh, Shit. Hab ich dich geweckt? Das war nicht meine Absicht, ich hab wirklich versucht, leise zu sein, aber die Sachen sind so schwer!«, quasselte der neue Nachbar munter weiter.

»Nein, schon okay. Ich war schon wach.« Isaac kratzte sich unbehaglich an der Nase. Er wusste nicht ganz, wie er mit dem Typ umgehen sollte. Er hatte bisher immer ein eher distanziertes Verhältnis zu seinen Nachbarn gepflegt und eigentlich nicht vor, das zu ändern.

»Ach, zum Glück! Oh Mann, du hast ja eine Katze! Ich wusste gar nicht, dass die hier erlaubt sind!«, rief Julius nun, während sein Blick auf etwas hinter Isaac ging. Ophelia fauchte.

»Äh ja. Das ist Ophelia. Sie ist …«

Julius ging in die Hocke, hielt ihr seine Hand hin. Sie machte sich etwas kleiner, rannte aber nicht weg. Stattdessen stellte sie neugierig ihre Ohren auf und schien nach ihm zu schnuppern. Der Kerl machte einen komischen Schnalzlaut – wahrscheinlich um ihr Vertrauen zu wecken. Was das Gegenteil erreichte. Bei dem Geräusch stellten sich all ihre Haare auf und sie raste ins Wohnzimmer davon.

»Schüchtern, hm?« Mit dem Wort grinste Julius ihn an.

»Kann man von dir nicht behaupten, hm?« War Isaacs Retoure. Der Typ war fast unangenehm forsch.

Dann fing Julius an zu lachen. Es war ein schönes Lachen, stellte Isaac fest. Sehr melodisch und offen, irgendwie ehrlich. Sowas gefiel ihm.

»Erwischt! Eigentlich bin ich hier, weil ich Hilfe brauche.«

»Beim Umzug?« Isaac schielte skeptisch die Treppen hinunter. Ein Stockwerk tiefer standen drei vereinsamte Kisten herum, die sicher dem neuen Bewohner des Hauses gehörten.

»Ja, ich hab beim Mieten des Sprinters was verkackt und der muss in zwei Stunden zurück. Und ja, wie das mit Freunden so ist, hat man sie nur, wenn man keine Hilfe braucht. Außer natürlich Laura und Fleming. Die sind die besten. Aber äh … ich hab viel Zeug.« Julius kratzte sich im Nacken.

Isaac war erstaunt von so viel Ehrlichkeit. Es wäre sicher mal ganz nett, einen Nachbarn zu haben, der ihn nicht konsequent ignorierte wie die meisten hier im Haus. Außerdem hatte er nichts vor. Er seufzte. »Ich zieh mir noch was an und komm dann runter.«

»Ernsthaft, du hilfst mir?« Julius' Augen weiteten sich. »Das ist genial! Oh mein Gott, danke, danke!«

»Du darfst mich auch Isaac nennen«, erwiderte dieser mit einem Augenzwinkern. Ja, der Witz war alt, aber hey, mit dreißig galt das wohl auch für ihn. Zumindest kam ein amüsiertes »Ha!« von seinem neuen Nachbarn. Das gab auf jeden Fall Bonuspunkte.

»Cooler Name! Gefällt mir.«

»Julius, wo bleibst du denn?«, schallte eine helle Frauenstimme durchs Haus. So viel dazu, dass sie versuchten, leise zu sein.

»Bin unterwegs! Ich hab Hilfe organisiert!« Mit den Worten rannte der Typ in großen Schritten die Treppen herunter. Dass er sich mit den schlaksigen Beinen nicht der Länge nach hinlegte, grenzte fast an ein Wunder. Julius hatte ein bisschen was von einer betrunkenen Giraffe.

Isaac bemerkte, wie sich ein Lächeln in sein Gesicht geschlichen hatte. Bei einem Umzug zu helfen war zwar nicht so entspannend wie angeln, aber es war immerhin eine nette Ablenkung, die Isaac dringend gebrauchen konnte.

 

Kapitel 2: Auf Isaac!

Wie viel Zeug konnte ein einzelner Mensch nur haben? Von oben sah der Sprinter deutlich kleiner aus. Erst jetzt wurde Isaac klar, wofür er sich bereit erklärt hatte. Der 3,5-Tonner war bis zum Anschlag gefüllt und das, obwohl Julius schon ein paar Kisten nach oben gebracht hatte.

»Fleming, Laura, das ist Gott. Ich meine Isaac!« Der neue Nachbar machte eine weite Bewegung mit den Armen, als würde er die Lottozahlen präsentieren. Er ernte von allen ein Stirnrunzeln.

»Ich wohne hier im Haus«, erklärte Isaac deshalb kurz, während er sich am Kinn kratzte. Dass Julius auch den dummen Witz aufgreifen musste …

»Er hilft uns!«, fügte Julius mit einem begeisterten Nicken hinzu. Dabei rutschte seine Brille ein Stück nach unten. Die Beiläufigkeit, mit der er die Sehhilfe wieder hochschob, deutete darauf hin, dass dies öfter passierte.

»Sieht stark aus«, kam es mit einer brummigen, tiefen Stimme von dem Holzfällertyp, der scheinbar Fleming hieß, und sogar ein kurzes Lächeln übrig hatte. Isaac sah an sich herab. Er hatte eine ausgewaschene Jogginghose und ein T-Shirt vom letzten Marathonlauf der Stadt an. Da er damit rechnete, ordentlich ins Schwitzen zu kommen, hatte er sich für ein Outfit entschieden, dass eher praktisch als beeindruckend war. Außerdem war sein neuer Nachbar auf jeden Fall ein paar Jahre jünger als er. Also wenn dann sollte Julius ihm imponieren wollen und nicht andersrum. Zugegeben, ein bisschen hatte er das sogar schon geschafft. So viel charmanter Dreistigkeit begegnete man selten. Das Mädchen mit den Dreads trat an ihn heran und kniff plötzlich in seinen Oberarm. Isaac widerstand dem Impuls zurückzuweichen, er war nämlich allgemein kein Fan davon, ungefragt angefasst zu werden. Nur musste das nicht jeder mitbekommen.

»Fühlt sich auch stark an«, kommentierte Laura ihr Verhalten.

»Ich mache Yoga«, kam es trocken von Isaac.

Perplexes Schweigen, das schließlich lautem Gelächter wich. Die hielten das wohl für einen Witz. Tatsächlich hatte er mit Anfang zwanzig eine Zeitlang Yoga gemacht, war aber mittlerweile auf Ving Tsun umgesattelt und ging seit der Trennung sogar zweimal die Woche ins Training. Das tat er nicht zur Fitness, sondern um geschmeidig zu bleiben. Und weil er sonst nicht wusste, was er tun sollte. Thomas hatte sich zwar beschwert, dass er nie Zeit für ihn gehabt hatte, aber Isaac kamen die Wochenenden und Abendstunden ohne ihn wie kleine Ewigkeiten vor.

»Wir müssen aber echt mal hinne machen, Jungs.« Laura hob hier Handy hoch, um auf die Uhrzeit hinzuweisen. Julius verzog unwillig das Gesicht.

»Ich würde sagen, wir machen jetzt am besten die Couch. Jetzt, wo wir noch jung und frisch sind!« Der neue Nachbar deutete auf ein beiges Ungeheuer an Sofa. So groß wie es hässlich war. Und es war riesig.

»Eine wahre Schönheit, nicht wahr?«, fragte Julius mit einem breiten Grinsen.

»Es ist sehr … groß«, war Isaacs diplomatische Antwort. Sofas sollten groß sein, oder? Es war also das Netteste, was er über das Ding sagen konnte.

»Und so scheiße hässlich. Hat meine Ex ausgesucht und ich durfte zahlen. Ich hab sie nur aus Protest mitgenommen.« Julius verdrehte die Augen. Isaac grinste kurz. Die Situation kam ihm durchaus bekannt vor. Das meiste in seiner Wohnung hatte Thomas ausgewählt, weil er nach eigener Aussage den besseren Geschmack hatte. Gezahlt hatte jedoch Isaac, sicher weil er das bessere Gehalt hatte.

Fleming klopfte Julius dafür auf die Schulter und sprang schließlich auf die Ladefläche. Sein Kumpel folgte ihm und zusammen zogen sie an dem Ding, das bisher hochkant im Sprinter gestanden hatte. Isaac entschied sich dafür, auf der Straße zu warten und ihnen zu helfen, sobald das Ding in der Waagerechten lag und nur noch rausgezogen und geschoben werden musste. Mit dem Hieven großer Geräte kannte er sich aus Berufswegen immerhin aus. Kurz spielte Isaac mit dem Gedanken, darüber einen zweideutigen Witz zu machen, entschied sich aber dagegen. Er war sich nämlich nicht sicher, wie die anderen seinen Humor aufnehmen würden, und er wollte nicht gleich als der Kerl mit den ordinären Flachwitzen dastehen.

»Isaac, bist du bereit?«, rief Julius hinter dem Sofa hervor. Seitlich davon stand Fleming, der dafür sorgte, dass die Couch nicht auf die Kisten kippte. Der Plan sah wohl so aus, das Sofa einfach auf ihn fallen zu lassen. Isaac wollte noch protestieren, da lag das Ding schon halb auf ihm. Zum Glück hielten es Fleming und Julius rechtzeitig fest.

Ein »Ups« und ein beschämtes Lachen kamen von der ungelenken Giraffe. Isaac atmete tief durch. Auf was hatte er sich da nur eingelassen?

»Etwas spät, die Warnung. Und jetzt bitte langsam rausschieben. Dann trägst du vorne!« Isaac deutete auf Fleming, der zwar wahrscheinlich keine Bäume fällte, aber seinen Oberarmen nach definitiv Kraftsport machte. »Und wir halten es hinten.«

»Jawohl!« Julius salutierte und sprang von der Ladefläche. Wenigstens hatte der noch gute Laune. Bei Umzügen konnte das ja schnell mal in die andere Richtung umschlagen.

»Warum benutzen wir nicht die Hebebühne?«, kam es von Laura, die die Jungs skeptisch beobachtete.

»Weil jetzt die Couch noch weit oben ist und wir sie nicht extra wieder hochheben müssen. Aber wäre cool, wenn du in der Wohnung noch etwas Platz machen könntest.« Julius warf dem Mädchen die Schlüssel zu, die sie gekonnt auffing.

»War der Plan.« Sie verdrehte die Augen, als hätte sie seine Anweisung als unnötig empfunden. Sie schnappte sich noch eine hässliche Stehlampe, die ziemlich gut zur Couch passte, und marschierte davon. Ob sie die neue Freundin von Julius war? Vielleicht sogar der Trennungsgrund? Isaac würde einen Teufel tun und danach fragen, aber er war ehrlich gesagt schon ein bisschen gespannt darauf, Julius und seine Freunde näher kennenzulernen. Sei es nur, um sich von Thomas abzulenken.

Okay, vielleicht hätte er sich weniger schweißtreibende Ablenkung suchen sollen. Selbst zu dritt war die Couch verflucht schwer. Isaac war sich ziemlich sicher, dass er seine Muskeln schon ewig nicht mehr so intensiv gespürt hatte. Auch Julius neben ihm schnaufte angestrengt. Und sie hatten gerade mal die erste Etage geschafft. Leider passte das Ungetüm nicht in den Aufzug. Dass es einen gab, war Julius wohl gar nicht klar gewesen. Zumindest hatte er ziemlich verblüfft geschaut, als Isaac ihn erwähnte. Der Aufzug lag nämlich am Ende des Flurs und war ihm bei der Wohnungsbesichtigung scheinbar nicht gezeigt worden. Das erklärte zumindest, warum er so dringend Hilfe bei dem Umzug brauchte. Immerhin wohnte er nun im vierten Stock und das war schon mit genügend Helfern und ohne Zeitdruck eine ziemliche Plackerei. Selbst mit Aufzug … Umzüge waren anstrengend.

»Shit, absetzen, absetzen!«, rief Fleming, der starke Holzfäller. Spätestens an diesem Punkt hätte auch Isaac danach gefragt. Sie waren im zweiten Stock angekommen und ließen das Ungetüm einfach im Flur fallen. Kein sanftes Absetzen. Nichts mit Kontrolle. Isaac konnte spüren, wie sein Körper leicht zitterte. Früher hatte er sowas besser gestemmt, oder? Gut, dass er wieder Kampfsport machte!

»Konntest du nicht in den zweiten ziehen?« Fleming ließ sich auf das Sofa fallen. Julius warf sich neben ihn, sagte aber nichts. Die Brille war verrutscht und sein Kopf knallrot vor Anstrengung.

»Wir könnten im dritten einen Zwischenstopp in meiner Wohnung machen. Ich hab eine Kaffeemaschine!« Die verdammte Kaffeemaschine …

»Na, wenn das nicht motiviert!« Julius klatsche in die Hände, wenn auch nur sehr müde, und hing wie ein nasser Sack auf dem Sofa. Fleming seufzte und schob sich die Ärmel seines karierten Hemds wieder hoch. Mit etwas Schwung erhob er sich von dem Ding und zog schließlich Julius mit. Der sah ihn nur leidend an, aber sein Kumpel hatte offensichtlich kein Mitleid.

Zusammen packten sie erneut an. Den Zwischenstopp bei Isaac ersparten sie sich allerdings und wuchteten stattdessen das Sofa bis zu Julius‘ neuem Zuhause. Isaac hatte keine Ahnung, wo er die Kraft dafür hergenommen hatte, war aber ein wenig stolz auf sich. Zufrieden sah er sich in der fremden Wohnung um. Laura hatte sich tatsächlich nützlich gemacht und genug Platz für die Couch freigeräumt. Daneben stellte sie die Stehlampe Marke Ex-Freundin und nickte zufrieden. Fleming hatte sich dafür wieder auf die beige Scheußlichkeit gesetzt und zog die junge Frau nun zu sich. Kichernd ließ sie sich auf seinen Schoß fallen und flüsterte ihm etwas ins Ohr, was er mit einem Augenzwinkern quittierte. Süßes Paar, stellte Isaac voller Neid fest.

»Hey, ihr Turteltäubchen, keine Müdigkeit vorschützen. Da wartet noch jede Menge Scheiß im Sprinter!« Julius stand im Türrahmen, deutete mit dem Daumen hinter sich.

»Und der Aufzug«, merkte ich an.

»Der Aufzug, genau! Laura, wir haben einen Aufzug!«, verkündete Julius die frohe Botschaft. Die Begeisterung des Pärchens hielt sich aber in Grenzen.

»Ich kann euch auch einen Kaffee machen und dann mit den restlichen Sachen helfen«, bot Isaac, freundlich wie er war, an. Dass er eine kleine Pause brauchte, obwohl er nur ein Sofa nach oben getragen hatte, verschwieg er lieber. Zum Glück hatte er sich vorhin den Kommentar mit ›Schwere Dinge hieven‹ erspart. Das wäre sonst ziemlich peinlich geworden.

»Oh, Kaffee! Das wäre ein Traum.« Lauras Augen leuchteten auf. Auch die anderen nickten begeistert. Mit Kaffee kriegte man sie eben alle – außer Isaac.

»Ich habe vielleicht sogar noch einen Apfelstrudel im Gefrierfach.«

»Ich liebe den Kerl, ehrlich. Julius. Bester Nachbar aller Zeiten!«, jubelte die junge Frau, klatschte dabei in die Hände. Das sorgte für ein Lächeln auf Isaacs Gesicht. Es war ein schönes Gefühl, anderen eine Freude zu machen.

»Übrigens, heute Abend gibt es eine Einweihungsfeier für meine fleißigen Helfer!«, rief Julius ihm noch nach, gerade als er die Wohnung verlassen wollte. Immerhin war er fertig hier.

»Ich kann Wein mitbringen.« Isaac zwinkerte ihm zu. Vielleicht war sein neuer Nachbar etwas dreist – und dessen Freunde auch. Aber sie waren irgendwie ziemlich nett und es war mal ganz schön, einen Nachbarn zu haben, der nicht doppelt so alt war, wie er und sogar mit ihm redete.

 

»Auf Isaac!«, skandierte Julius, hob dabei das Weinglas mit Rotwein in die Höhe.

»Auf Isaac!«, stimmten seine Freunde mit ein und taten es ihm gleich.

»Auf mich!«, kam es etwas leiser von Isaac, als er mit den anderen anstieß.

Sie hatten die Einweihungsfeier in seine Wohnung verlegt. Bei Julius herrschte, gelinde gesagt, das absolute Chaos. Die letzten Kisten waren einfach nur noch irgendwo gelandet. Da an Besteck oder Geschirr ranzukommen, war unmöglich, da die Kartons nicht beschriftet waren. Der Umzug war scheinbar eine ziemliche Hauruck-Aktion gewesen, weil Julius so schnell wie möglich von seiner Ex wegwollte. Das wiederum war etwas, was Isaac weniger verstehen konnte. Er vermisste Thomas immer noch. Die Trennung und sein Auszug waren auch auf denselben Tag gefallen. Das war alles einfach so hart gewesen.

»Es ist übrigens echt stark von dir, dass du mir geholfen hast!«, merkte Julius zum wiederholten Male an. Er lallte schon etwas. Das war nicht sein erstes Weinglas und sicher nicht sein letztes. Isaac war jedoch froh über die Gesellschaft.

»Dafür hat man Nachbarn«, erwiderte er nur bescheiden. Er wusste selbst, dass Hilfe nicht selbstverständlich war, aber Isaac fand, sie sollte es sein.

»Trotzdem stark.« Julius grinste schief, schob sich dabei die Brille auf die Nase. Er sollte vielleicht mal zum Optiker gehen und das Gestell enger machen lassen. Thomas war auch Brillenträger und mit seinen Brillen regelmäßig beim Einstellen. Sein Ex ging allerdings nicht sehr pfleglich mit den Sehhilfen um.

»Was ist eigentlich mit deiner Katze los?«, fragte Laura etwas unvermittelt. Sie hatten es sich im Wohnzimmer gemütlich gemacht, sie und Fleming saßen auf dem grauen Hochflorteppich gekuschelt, Isaac und Julius auf der tiefen, dunklen Couch in L-Form. Hinter dem freistehenden Sofa und somit direkt in Lauras Blickeld thronte der Designerkratzbaum aus Bambusholz. Von Ophelia fehlte aber jegliche Spur. Als die drei die Wohnung betreten hatten, nahm sie nach einem kurzen Fauchen Reißaus. Thomas und Isaac hatten zwar häufiger Freunde zu Besuch, an Gäste hatte sich die Katze trotzdem nie gewöhnt – wie an so vieles.

»Die mag euch nicht«, antwortete Isaac wahrheitsgemäß.

»Die kennt mich nur noch nicht. Katzen lieben mich! Das liegt in meinen Genen! Ich sag dir, meine Mutter könnte Löwen bändigen. Und meine Schwester sicher sogar einen Liger!« Julius packte Isaac energisch am Arm, um mit der anderen Hand in einer ausladenden Geste seine Worte zu unterstreichen. Seine Augen funkelten dabei begeistert, aber eventuell reflektierten nur die Lichter der Wohnzimmerlampe in den Brillengläsern. Auf jeden Fall hatte Julius keinerlei Berührungsängste.

»Ein Liger ist eine Chimäre aus Löwe und Tiger«, fügte Fleming hinzu, weil Isaac nicht auf das Gesagte reagierte.

»Nennt man das wirklich Chimäre?«, fragte Laura mit schmalen Augen.

»Wer macht einen Doktor in Biologie?!«, konterte ihr Freund.

»Du machst ihn in Biochemie. Julius, bei deinem Doktor geht es doch um irgendwas mit Säugetieren, sag du mal was«, wandte sie sich nun an den anderen.

»Also genau genommen, mein Guter, sind Liger Hybride. Wie Maultiere!«, belehrte Julius deshalb seinen Kumpel. »Aber wusstet ihr, dass es Schiegen gibt? Das sind echte Chimäre!«

»Sind die dann halb Schaf, halb Ziege?«, klinkte sich Isaac wieder in die Unterhaltung ein, etwas überrascht darüber, dass er mit Fleming und Julius tatsächlich zwei Doktoranden vor sich hatte. Also klar, in der Arbeit hatten ein paar seiner Kollegen einen Doktortitel und das waren auch nur Menschen, aber ohne Julius Unrecht tun zu wollen, wirkte der etwas sehr verplant dafür.

»Exactamente, mi amigo!« Julius kicherte, tätschelte wieder seinen Arm. »Die blöckern, das klingt dann so: ›meck mäh‹!«

»Ernsthaft?« Isaac war sich zu neunzig Prozent sicher, dass er gerade verarscht wurde. Aber die zehn Prozent ließen ihn trotzdem ungläubig fragen.

»So ein Unfug«, mischte sich Fleming glucksend ein. »Die machen ›mäh bäh‹!«

Plötzlich lachten sie alle. Zu hundert Prozent lag das am Wein, der gerade zur Neige ging, wie Isaac so eben auffiel.

»Trinkt ihr auch Bier?«, fragte er deshalb in die Runde. Er fühlte sich gerade richtig gut und wollte nicht, dass die drei schon so bald gingen, bloß weil der Alkohol alle war. Der Supermarkt um die Ecke hatte aber leider bereits zu.

»Kommt drauf an, welches du hast. Oettinger geht gar nicht.«

»Ich hab Guinness da.«

»Oh mein Gott. Ein Guinnesstrinker! Leute!« Begeistert strahlte Julius seine Freunde an, wandte sich dann aber wieder zum Gastgeber. »Isaac, ich wusste nicht, dass du noch besser werden kannst. Ich liebe Guinness! Wo kriegst du das her?«

»Der Rewe um die Ecke hat welches.« Das hatte Isaac nur zufällig entdeckt. Davor war er oft durch die halbe Stadt gefahren, um an diese Biermarke heranzukommen. Angeblich hatte Deutschland zwar das beste Bier der Welt, allerdings kam für Isaac nichts an das aus seiner Heimat heran.

»Wir nehmen auch was anderes, wenn du das hast.« Laura schien dagegen kein Fan des Schwarzbiers zu sein.

»Lässt sich machen.« Mit den Worten hievte sich Isaac von der Couch. Er brauchte zwei Anläufe dabei und Julius schob ihn beim zweiten Mal unkoordiniert von hinten hoch. Als er endlich stand, merkte er erst, wie schwindelig ihm war. Wie viel hatten sie eigentlich schon getrunken? Er sammelte drei Weinflaschen auf, bevor er damit in die Küche ging. Dort stellte er die Flaschen zu der ersten, die sie heute Nachmittag geleert hatten. So viel Wein hatte er sich seit Jahren nicht gegönnt. Er grinste. So gut ging es ihm schon lange nicht mehr. Beschwingt riss er die Kühlschranktür auf. Im unteren Fach lagerte der kleine Biervorrat von Thomas und ihm. Seit der weg war, hatte Isaac nichts mehr davon angerührt. Keine Ahnung, wie gut das Bier noch schmecken würde, aber wenigstens kam jetzt das Lagerbier von Thomas weg, das er eh nie gemocht hatte. Er schnappte sich die Dosen und marschierte damit in Richtung seiner Gäste.

Ganz kurz erhaschte er dabei einen Blick auf Ophelia, die vom Schlafzimmer durch den Flur ins Bad rannte. Immerhin hatte sie sich wohl vom Schrank herunter getraut, das war ja schonmal was! Er lächelte ihr beschwipst nach und wankte zurück ins Wohnzimmer, wo er mit einem fröhlichen Johlen empfangen wurde.

Isaac stellte die Sixpacks auf dem Wohnzimmertisch ab und reichte Julius gleich ein Guinness, der es dankend annahm.

»Seit er ein Auslandssemester in Great Britain gemacht hat, ist er voll verrückt nach dem Bier«, erklärte Fleming die Begeisterung. Das ›Great Britain‹ betonte er dabei sehr nasal, wahrscheinlich in dem Versuch, den Akzent zu imitieren.

»Und ziemlich allein damit«, fügte Laura zu, während sie die Dose ihres Lagerbiers öffnete.

»Oh, wo warst du?« Isaac traf zwar nicht selten auf Leute, die schonmal in England gewesen waren, trotzdem freute er sich jedes Mal darüber. Insbesondere, wenn sie dort sogar eine Weile gelebt haben.

»Leeds«, kam es knapp von Julius, der gerade einen Schluck vom Bier nehmen wollte.

»Ah, Yorkshire! Kamst du mit dem Akzent dort klar? Der ist ja sehr gewöhnungsbedürftig. Aber die Gegend ist wunderschön! Als Kind war ich da oft.« Isaac lachte. Leeds hatte er nur vage in Erinnerung, aber er war immerhin schon mal dort gewesen. Seine Eltern mochten Städteurlaube jedoch nicht, weshalb sie mehr die Umgebung darum erkundet hatten. Lang war es her.

»Ach, wie cool. Den Yorkshire-Dialekt fand ich nicht so schlimm wie den in Wales. Aber ich bin neidisch, wir sind immer nur nach Borkum gefahren. Kennst du jemand dort oder mag deine Familie England einfach?« Sein neuer Nachbar hatte wieder Isaacs Arm gepackt, als würde er sich bei diesen Neuigkeiten an etwas festhalten müssen.

»Beides. Meine Mutter ist Engländerin, mein Vater Deutscher. Aber sie leben jetzt beide in Cornwall«, fasste Isaac die Situation zusammen.

»Ach, deshalb der Name!« Laura schien sehr begeistert darüber zu sein, dass sich dieses Mysterium gelöst hatte.

»Bist du dann Engländer oder Deutscher?«, fragte Fleming dafür nach.

»Bin in England groß geworden, in Harrow bei London. Aber fürs Studium bin ich nach Deutschland gezogen und na ja, wegen der Liebe hiergeblieben.« Isaac zuckte mit den Schultern. Er hatte es nicht direkt bereut, auch wenn er vor allem am Anfang so einiges vermisst hatte, gerade was das Essen betraf und vielleicht ein paar seiner Freunde. Aber nachdem er Thomas kennen gelernt und einen Job gefunden hatte, den er wirklich liebte, war Zurückziehen keine Option mehr gewesen.

»Hach ja, die liebe Liebe. Die verführt einen zu allerlei Dummheiten.« Julius seufzte theatralisch, stieß Isaac grinsend mit den Ellenbogen an.

»Der hier muss es wissen. Julius wurde schon oft von … Dummheiten verführt«, kam es von Laura, die nun zu kichern begann. Der Angesprochene verdrehte kurz die Augen, stimmte aber schließlich in das Lachen mit ein.

»Auf die Dummheit!«, rief er, hob seine halbleere Dose in die Höhe. Die anderen taten es ihm gleich.

»Auf die Dummheit!«, schallte es unisono durch die Wohnung. Isaac war glücklich. Und betrunken.

 

Kapitel 3: Armes Ding

Völlig erschlagen öffnete Isaac die Augen. Er hasste es, wenn sich Schlaf nicht nach Schlaf anfühlte, sondern als hätte man ihn mit einem Laster überfahren – und das zweimal. In solchen Momenten kamen in ihm die ersten Gedanken ans Alter auf. Mit zwanzig hatte er noch wie ein Loch trinken können und auch genau das gerne mal getan. Am nächsten Tag war er trotzdem frisch wie ein Butterblümchen gewesen. Mittlerweile rächte sich sein Körper jedoch fürchterlich an ihm. Kopfweh. Gliederschmerzen. Der Geschmack von totem Hamster war nicht mehr herunter zu spülen. Und alles in allem fühlte er sich wie zäher, alter Teig.

Er schleppte sich ins Badezimmer. Dort begrüßte ihn erstmal ein Häufchen von Ophelia direkt neben der Katzentoilette. Scheinbar war sie nicht sehr erfreut über den gestrigen Besuch gewesen. Wäre auch komisch, wenn es mal anders laufen würde. Er räumte den Kot mit der Schaufel weg und schmiss ihn in die Toilette. Mit so etwas hatte er mittlerweile Erfahrung. Das Reinigungsmittel stand im Unterschrank des Waschbeckens bereit. Er sprühte es auf die verschmutzte Stelle und beschloss, dass nun ein guter Zeitpunkt war, nach einem Aspirin zu suchen.

Es war schon eine ganze Weile her, seit er so viel getrunken hatte. Er trank nur in Gesellschaft, passte sich ihr dabei leider an. Vermutlich hatte er sich von dem Mittzwanziger-Übermut anstecken lassen. Selbst wenn der bei ihm noch nicht lange her war, schienen diese fünf Jahre wohl einen Unterschied zu machen. Auch im Spiegel sah er nicht mehr jugendlich frisch aus. Seine dunklen Locken klebten ihm in der Stirn und standen am Hinterkopf ab. Seine Haut war noch blasser als sonst, was die Sommersprossen wie eine Hautunreinheit aussehen ließ. Und waren das Tränensäcke, die sich da unter seinen Augen abzeichneten? Isaac hielt bei seiner Bestandsaufnahme inne, um unglücklich in seinem Gesicht herumzudrücken. So alt. Allerdings hatte er mit sechzehn auch beschissen ausgesehen, wenn er verkatert war. Da hatte er das nur noch nicht einsehen wollen. Nun hatte er wenigstens die Weisheit des Alters …

Isaac drückte das Aspirin aus der Verpackung und ging in die Küche, um die Tablette in ein Glas Wasser zu werfen. Träge beobachte er, wie sie sich sprudelnd auflöste.

---ENDE DER LESEPROBE---