Die Legende der schwarzen Rose - Daniela Etzold - E-Book

Die Legende der schwarzen Rose E-Book

Daniela Etzold

4,8

Beschreibung

Elfen gibt es nicht! Genau das dachte Reena auch immer. Doch nach dem Unfalltod ihrer Eltern und ihrem Umzug zu ihrer Großmutter nach Schottland, sollte sie eines Besseren belehrt werden. Fremde Menschen, die erste große Liebe und intensive Träume führen Reena in eine unglaubliche, zauberhafte Welt und in ein spannendes Abenteuer. Es gibt so viele Dinge, die wir uns überhaupt nicht vorstellen können. Doch wer glaubt, sieht auch!

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Inhaltsverzeichnis

Ein neues Leben

Die Gräfin Gallaway

Ankunft in Schottland

Grany

Der fremde Junge

Die Legende von Alina und Kijan

Die neue Schule

Entdeckungen

Annäherungen

Dean

Träume

Legenden werden wahr

Glauben

Logan Macbain

Die Suche

Zeichen

Der Schneesturm

Die schwarze Rose

Die Erlösung

Epilog

Ein neues Leben

Reena saß auf ihrem Bett und blickte aus dem Fenster in den Hof.

Wie vertraut war ihr dieser Ausblick? Wie lange war sie schon hier?

Zwei Monate oder drei? Sie hatte die Tage nicht gezählt.

Neben ihr lag ihr Koffer, den sie vor zwei Jahren von ihrem Vater geschenkt bekommen hatte.

Bei seinem Anblick stach es ihr ins Herz.

Sie versuchte sich sein Gesicht vorzustellen. Seine blauen Augen mit den Lachfalten, seine geschwungenen Lippen, die immer lächelten und seine braunen Locken die beim Gehen auf und ab wippten.

Er fehlte ihr so sehr. Genauso wie ihre Mutter. Reena erinnerte sich daran, wie sie immer für sie gesungen hatte wenn sie als kleines Mädchen schlecht geschlafen hatte.

Sie vermisste den Duft ihrer braunen Haare und ihre liebevollen Augen.

Wehmütig dachte Reena an den Ausflug den sie damals gemeinsam unternommen hatten. Sie fuhren ans Meer und Reena war schlecht gelaunt. Sie wollte lieber mit ihrer Freundin Selma zu Peter Harris Party fahren. Das war die Party des Jahres! Aber nein, sie musste ja unbedingt mit zum Strand.

Sie konnte sich noch genau an den Tag erinnern. Das schöne Wetter, die gescheiterten Versuche ihrer Eltern sie aufzumuntern und dann die verhängnisvolle Rückfahrt.

Jetzt kam sie sich elend vor und hatte ein schlechtes Gewissen.

Wenn sie nur gewusst hätte, dass es das letzte Mal sein sollte, das sie ihre Eltern sah. Sie hätte den Tag genossen und ihnen noch so vieles gesagt. Sie liebte sie doch so sehr. Es waren die besten Eltern die man haben konnte.

Aber nun war es zu spät!

Das Nächste, was ihr in den Kopf schoss, war das grelle Licht, das quietschen der Reifen und dann die lange Dunkelheit die sie gefangen hielt.

Als sie endlich die Augen öffnete, sah sie in ein fremdes Gesicht und lag in einem fremden, harten Bett. Ihr Kopf hämmerte und ihr Bein war komplett eingegipst und schmerzte.

Doch wo waren ihre Eltern? Wieso waren sie nicht hier?

Was war passiert?

So viele Fragen wirbelten durch ihren Kopf.

Eine fremde Frau fragte, ob sie etwas zu trinken wollte und hielt Reena einen Becher mit Wasser entgegen.

Da sie sich nicht in der Lage fühlte zu sprechen, nickte sie nur und die Krankenschwester hielt ihr den Becher an die Lippen.

Kühl floss es durch ihren wunden Hals, der sich anfühlte, als habe sie Tage lang nichts getrunken.

Dann kam ein kleiner, grauhaariger Mann herein und setzte sich neben ihr Bett.

>> Reena<<, begann er vorsichtig, >>ich bin Doktor Gold. Wie geht es Ihnen? <<

Er griff nach ihrem Handgelenk und fühlte mit warmen Händen ihren Puls.

Reena räusperte sich und krächzte: >>Wo bin ich? <<

Sie spürte wie ihre Kehle brannte.

Der Arzt reichte ihr den Becher mit Wasser und sprach weiter.

>>Sie sind im Krankenhaus!

Können Sie sich an irgendetwas erinnern? <<

Reena sah in seine grauen Augen und in ihrem Inneren wurde es plötzlich heiß als stünde ihr Herz in Flammen.

Er hatte ihr etwas zu sagen, dass sie nicht hören wollte und sie wusste was es war!

Bilder flimmerten durch ihren Kopf, wie sie auf der Rückbank des VW Kombies saß und die Kopfhörer ihres MP3 Players in den Ohren hatte.

Dann sah sie plötzlich grelle Scheinwerfer und hörte ihren Vater >> Shit! << rufen.

Danach war alles dunkel.

Ein Kloß bildete sich in ihrem brennenden Hals. Sie wollte sich die Decke über den Kopf ziehen und aufwachen, denn das war ein Albtraum! Da war sich Reena ganz sicher. Das war nicht real! Das konnte, nein, durfte, nicht real sein!

>>Wo sind meine Eltern? << Fragte sie heiser und Panik krampfte sich wie eine eiserne Klaue um ihr Herz und versuchte es aus ihrer Brust zu reißen.

In mitfühlendem Ton sprach der Arzt:

>>Reena, sie müssen jetzt stark sein! Sie hatten einen Autounfall und lagen drei Wochen im Koma. Ich muss ihnen leider mitteilen, dass ihre Eltern den Unfall nicht überlebt haben. Es tut mir so leid Reena! <<

Reena hörte ihn wie durch einen Tunnel und die Worte Unfall und nicht überlebt hallten in ihrem Kopf.

Nein! Nein! Nein! Nein! Schrie sie in Gedanken. Sie hielt sich die Ohren zu, sie wollte es nicht hören!

Das ist nicht wahr! Dachte sie. Das ist ein Albtraum, ich wache gleich auf und dann ist alles wie es war!

Aufwachen, aufwachen, aufwachen!!!! Schrie sie in ihrem Kopf.

Der Arzt sagte etwas zu ihr und holte sie zurück in die Realität.

>> Reena? << Fragte er sanft und seine Worte klangen, als hätte sie Watte in den Ohren.

>>Reena, wollen Sie etwas zur Beruhigung? <<

Jetzt erst merkte sie, dass ihr Tränen über die Wangen liefen. Wie ein tropfender Wasserhahn rannen sie unaufhörlich und schnürten ihr die Kehle zu.

Das Atmen fiel ihr schwer und in ihren Ohren rauschte es.

Sie schüttelte den Kopf. Nein, sie wollte nichts zur Beruhigung. Warum auch sollte sie sich beruhigen?

Sie wollte schreien, davonrennen, die Worte aus ihren Ohren verbannen!

Was hatte er gesagt? Sie lag drei Wochen im Koma!

Drei Wochen!!!

Ihr wurde übel bei dem Gedanken und sie verscheuchte ihn ganz schnell.

So viele Gedanken auf einmal überschwemmten sie und sie versuchte alles zu ordnen, zu begreifen.

>>Ich lasse sie erstmal allein. <<

Sagte der Arzt und stand auf.

>>Wenn sie mich brauchen, klingeln sie! <<

Dann verschwammen ihre Erinnerungen und sie kehrte zurück in die Gegenwart.

Sie saß auf ihrem Bett und kämpfte wieder mit dem Kloß in ihrem Hals.

Das war etwa neun Wochen her.

Neun Wochen eines neuen Lebens. Einer neuen Welt, die sie nicht wollte, aber aus der sie nicht fliehen konnte.

In ihrem Innern war eine unendliche Traurigkeit welche sie zu ersticken drohte.

Auch die Nachricht vom Jugendamt, dass sie eine Großmutter in Schottland habe, welche sie bei sich aufnehmen würde, konnte diese Traurigkeit nicht besiegen.

Es war ihr egal. Es war egal, wo sie nun leben würde und mit wem. Es war egal, was aus ihr werden würde. Was sollte sie schon allein auf dieser Welt? Alles war egal!

Sie sah die Vögel draußen auf den Bäumen, wie sie in den Zweigen turnten. Sie sah den wolkenlosen Himmel und einen Hund der durch den Park rannte und Tauben jagte. Aber nichts vermochte ihre Stimmung zu verbessern. Sie fühlte sich leer, ausgelaugt und wie in eine dunkle Decke gehüllt.

Stöhnend erhob sie sich von ihrem Bett.

Ein Beamter vom Jugendamt hatte ihre Sachen aus der Wohnung ihrer Eltern geholt und alles, was sie haben wollte, einpacken und zu ihrer Großmutter schicken lassen.

Sie sollte auch die Wohnung nie wieder sehen. Aber vielleicht war das gut so? Wie würde sie wohl reagieren, wenn sie all das, was sie seit siebzehn Jahren kannte, und mit ihren Eltern verband, sehen würde? Sie wollte es sich nicht vorstellen, sie wollte nur weg! Weg von ihren Gedanken und von allem was ihr so vertraut war.

Sie fühlte sich ein bisschen leichter bei dem Gedanken tausende von Kilometern weit weg zu gehen und ein neues Leben zu beginnen. Außerdem, was hatte sie für eine andere Wahl?

Also nahm sie ihre Krücken und machte sich auf den Weg in ihr neues Leben.

Eine Schwester nahm ihren Koffer und Reena folgte ihr seufzend.

Auf dem Flur standen die Ärzte und Schwestern, die sie die letzten Wochen betreut hatten, um sich von ihr zu verabschieden.

Höflich schüttelte sie Hände und bedankte sich, doch es waren Fremde für sie. Sie konnte keine Nähe zulassen, noch nicht. Wer weiß, vielleicht irgendwann einmal, aber im Moment war ihr alles zu viel.

Ein Taxifahrer stand schon bereit und nahm der Schwester den Koffer ab. Nett sah er aus.

Klein mit einem runden Bauch, der über die Jeans ragte.

Sein Gesicht war freundlich, mit vielen kleinen Lachfalten um die Augen.

Der Mann war sehr höflich, ließ sie aber weitestgehend in Ruhe. Vermutlich hatte man ihm ihre Geschichte erzählt um sie zu schonen.

Sie sprach kaum mit ihm auf der Fahrt zum Flughafen, was er ihr nicht übel nahm.

Ab und zu warf er einen schüchternen, mitleidigen Blick in den Rückspiegel. Doch Reena bemerkte es nicht.

Gedankenverloren schweifte ihr Blick über die am Fenster vorbeifliegende Landschaft, ohne wirklich etwas davon mitzubekommen.

Am Flughafen angekommen half er ihr, den Koffer zum „Check-In“ zu tragen und verabschiedete sich höflich.

Sie versuchte ein Lächeln zustande zu bringen, was ihr irgendwie gelang. Er lächelte zurück und verschwand aus ihrem Leben.

Ein Stewart trug ihr den Koffer die Gangway entlang machte aber nicht den Versuch, mit ihr zu sprechen, was ihr ganz recht war.

Auf dem Weg zum Flugzeug spürte sie den lauen Frühlingswind. Es war Mai und schon sehr warm. Sie atmete noch einmal tief ein, um sich den Duft ihres alten Lebens einzuprägen und humpelte, mit dem Gedanken, wie warm es wohl um diese Jahreszeit in Schottland sein würde, langsam ins Flugzeug.

Da sie einen langen Flug vor sich hatte, versuchte sie, es sich so bequem wie möglich zu machen.

Zum Glück hatte man ihr einen Sitz am Notausgang gegeben, damit sie ihr eingegipstes Bein ausstrecken konnte.

Nach dem Essen, welches wie Pappe geschmeckt hatte, packte sie die Briefe ihrer Freunde aus, die sie zum Abschied bekommen hatte, um sie zu lesen.

Eigentlich wollte sie das noch eine Weile hinauszögern.

Doch was sollte das schon ändern?

Drei Briefe hielt sie in der Hand. Einen von Selma, einen von Mandy und einen von Tess.

Ihre beste Freundin war Selma gewesen.

Sie sagte ihr noch beim letzten Besuch, das sie auf jeden Fall Freundinnen bleiben würden. Doch Reena war klar, dass bei der Entfernung höchstens ein Jahr intensiver Kontakt gehalten wurde und dann würde jeder wieder sein Leben leben.

So war es immer wenn eine ihrer Freundinnen oder Freunde weggezogen war.

Zuerst hatte man sich geschrieben und telefoniert, dann wurde es zusehends weniger.

Man fand neue Freunde und schließlich meldete man sich höchstens noch zum Geburtstag.

Außerdem war da noch ein Gefühl in ihr.

Sie wollte keinen Kontakt mehr haben.

Sie wollte einfach nur weg von ihrem alten Ich.

Als ihre Eltern starben, starb auch ein Teil von ihr mit und die Wunde, die das hinterlassen hatte, heilte nur sehr langsam.

Ihre alten Freunde zu sehen, oder von ihnen zu hören, machte es nicht besser. Es bohrte an ihrer Wunde und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als endlich dieses schreckliche Gefühl los zu werden.

Sie war immer ein fröhlicher Mensch gewesen und zufrieden mit ihrem Leben.

Normalerweise war sie diejenige, die andere aus ihrem Tief geholt hatte, wenn diese mal Liebeskummer oder Sorgen gehabt hatten. Aber das hatte sich nun alles geändert.

Manchmal fragte sie sich, ob sie je wieder glücklich sein konnte und ob der Schmerz jemals besser werden würde.

Sie drehte die Briefe in den Händen und steckte sie mit einem Seufzen wieder in die Tasche.

Draußen wurde es langsam dunkel. Weiße Wattewolken zogen am Fenster vorbei und die Welt sah winzig klein aus. Ordentliche Felder in verschiedenen Farben flogen unter ihr dahin. Häuser die aussahen wie Spielzeug.

>> Was wohl die Menschen da unten gerade tun? <<

Fragte sie sich selbst und strich mit dem Finger ein paar Kondenstropfen über das kleine Bullauge.

Bald war unter ihr nur noch der riesige, blaue Ozean zu sehen.

Der Himmel bekam einen rosa Schimmer und am Horizont sah sie einen breiten, rötlichen Streifen.

Schön sah es aus und es lenkte sie eine Weile von den trüben Gedanken ab.

Es war ein wundervoller Sonnenuntergang und das Flugzeug flog genau so, das sie es einwandfrei sehen konnte.

Von Minute zu Minute verfärbten sich die Wolken von pfirsichfarben zu orange.

Geheimnisvoll schimmerten die Tragflächen.

Am Schluss war der Himmel dunkelrot und nach oben hin lila.

Man konnte bereits die ersten Sterne sehen.

Dann ging das lila in ein wunderschönes türkis über und im nächsten Moment war es tiefblau. >> Wow! <<

Flüsterte sie, als sie die vielen Sterne sah.

Der ganze Himmel war voll mit leuchtenden Sternen.

Es sah fantastisch aus, als schwebe man mitten in einem Sternenmeer.

Alles schien so leicht und so weit weg zu sein.

Der dumpfe Schmerz wurde etwas schwächer und Reena genoss den Ausblick.

Lange noch blickte sie zu den Sternen empor und überlegte, wie es sich wohl anfühlen würde, dort zwischen all den leuchtenden Kugeln zu schweben und nichts mehr fühlen zu müssen.

Nichts! Nur Stille, Einsamkeit, Frieden!

Sie lehnt sich in ihren Sitz zurück und schloss die Augen.

Mit dem schönen Sonnenuntergang in Gedanken schlief sie endlich ein.

Sie träumte von einer wunderschönen Frau mit hüftlangen, silbernen Haaren und seltsamen milchig, blauen Augen.

Sie saß auf einem Baumstamm und sang eine fremde Melodie. Ihre Stimme klang wie Glöckchen im Wind und Reena bekam eine Gänsehaut.

Es war so wundervoll! Die Stimme zog sie geradezu in ihren Bann.

Reena hatte noch nie etwas Vergleichbares gehört, oder ein schöneres Geschöpf gesehen.

Doch das Lied war unheimlich traurig. Es schien fast so, als ob alle Blumen um die zauberhafte Sängerin herum die Köpfchen neigen würden und ebenfalls traurig waren.

Der ganze Wald schien in tiefer Trauer zu versinken.

Da sah Reena wie silbern schimmernde Tränen aus den seltsamen, hellen Augen rannen und in dem Baumstamm versickerten.

Dort wo die Tränen das Holz berührten, begann es blau zu schimmern.

Im nächsten Moment erwachte Reena.

Eine Stewardess hatte sie geweckt, weil sie sich anschnallen musste.

Sie befanden sich bereits im Sinkflug.

Die Bilder schwammen ihr noch vor den Augen und eine Nervosität, die sie bis dahin noch nicht verspürt hatte, breitete sich in ihrem Körper aus.

Dieses Gefühl brachte ihre Finger zum Zittern und ihr gesunder Fuß begann unruhig hin und her zu wippen.

Jeder Versuch es zu unterdrücken machte es nur noch schlimmer.

Als das Flugzeug aufsetzte, gab Reena es auf dagegen anzukämpfen und wurde tatsächlich etwas ruhiger.

Die Gräfin Gallaway

Nachdenklich stand die Gräfin am Fenster ihres Schlafzimmers und wartete darauf, dass Anthony, ihr Gärtner und langjähriger Freund der Familie, sie abholen würde, um das Willkommensgeschenk für ihre Enkelin abzuholen.

>> Reena. << Murmelte die Gräfin vor sich hin.

Wie würde sie wohl aussehen? Ihr Haar, ihre Augen, die Figur? Vielleicht wie sie oder eher wie ihr Sohn?

Bei diesem Gedanken wurde sie wieder traurig und das schlechte Gewissen schlich sich in ihr Herz, wie Gift in eine offene Wunde.

Was hatte sie nur getan? Tränen füllten ihre Augen, doch sie straffte die Schultern, atmete tief ein und drängte sie zurück. Schließlich war sie eine Gräfin und durfte die Beherrschung nicht verlieren. Außerdem, hatte sie genug geweint die letzten Wochen.

Jetzt wollte sie sich freuen. Sie sollte endlich ihre Enkelin kennen lernen. Endlich, nach siebzehn langen Jahren!

Doch die Erinnerung ließ sie nicht los und erneut schweiften ihre Gedanken zu dem verhängnisvollen Tag vor fast genau sechs Wochen.

Sie hatte ein Telefonat aus Amerika erhalten und eine tiefe, männliche Stimme mit bulligem, amerikanischem Akzent fragte sie, ob sie die Gräfin Deenah Gallaway sei und ob sie einen Sohn namens Ewan hätte. Als sie bejahte, beschlich sie eine böse Vorahnung. Ihre Hand wanderte schutzsuchend zu der glänzenden Gemme, die an einer langen silbernen Kette um ihren Hals hing. Schmerzhaft schlossen sich ihre Finger um das Schmuckstück.

Mit seltsamem Ton sprach der Mann am anderen Ende weiter:

>> Misses Gallaway, es tut mir leid, ihnen mitteilen zu müssen, dass ihr Sohn und ihre Schwiegertochter vor etwa drei Wochen bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind! <<

Die Worte fuhren wie ein Dolchstoß in ihr Herz und sie konnte nicht mehr atmen. Die Hand, die den Telefonhörer hielt, verkrampfte sich.

Erst als die Stimme am Telefon vorsichtig ihren Namen wiederholte, kam sie zurück aus ihrer Betäubung.

Sie ließ sich auf den eleganten, mit Samt bezogenen Stuhl sinken, der neben der Kommode mit dem Telefon stand und atmete stoßweise.

>> Misses Gallaway, << sprach die Stimme ernst weiter, >> ihre Enkeltochter hat überlebt! Sie ist schwer verwundet und eben erst aus dem Koma erwacht. Aber sie lebt! <<

Enkeltochter? Verwundet? Lebt? Schoss es durch ihren Kopf und holte sie aus ihrer Erstarrung.

>> Enkeltochter? << Fragte sie heiser.

>> Ja Misses Gallaway, Reena ist am Leben! <<

Sie hatte eine Enkelin! Reena!

>> Sie hatte ein schweres Schädelhirntrauma erlitten, zwei Rippen und das Bein gebrochen. Aber sie ist auf dem Weg der Besserung! << Redete er weiter.

Die Gefühle der Gräfin schlugen Purzelbäume.

Trauer, Verzweiflung, Selbsthass!

Doch all dies wurde durch die Nachricht der Enkeltochter überschattet. Ihr Sohn hatte ein Kind und es war allein und brauchte sie.

Seit ihr Sohn Ewan damals nach Amerika durchgebrannt war, hatte sie keinen Kontakt mehr zu ihm gehabt. An diese Zeit konnte sie sich nur zu gut erinnern, auch wenn sie oft genug versucht hatte alles zu verdrängen.

Ewan hatte Amy kennen gelernt und die Gräfin und ihr Mann Gregor mochten sie nicht. Sie kam aus Amerika und war so sprunghaft. Eine Studentin aus einfachen Verhältnissen. In keinster Weise wie sie sich die Frau für ihren Sohn vorgestellt hatte.

Und auch ihr Mann schien mit der Liaison nicht einverstanden zu sein.

Sie hatten einen Ruf in Forres zu verlieren und außerdem hatte ihr Sohn nur das Beste verdient.

Immer wieder kam es zum Streit bis Ewan eines Tages seine Sachen gepackt und nach Amerika ausgewandert war.

Nur ein Jahr später starb Gregor an einem Herzinfarkt und die Gräfin war allein auf Schloss Eagles Castle.

Sie war enttäuscht, verbittert und wütend. Wie konnte ihr eigener Sohn sie nur im Stich lassen und seinen Vater damit in den Tod treiben? Ja, sie gab ihm die Schuld am Tod des Grafen.

Wofür sie sich jetzt mehr als alles Andere schämte.

Einige Jahre lang hatte Ewan versucht Kontakt zu seiner Mutter aufzunehmen. Er rief ab und zu an, doch sie ließ sich stets verleugnen. Und auch die vielen Briefe, die er geschrieben hatte, blieben ungelesen.

Wenn sie nur eine Ahnung gehabt hätte, und nicht so verdammt Stolz gewesen wäre, hätte sie sicher von der Existenz der Enkeltochter erfahren. Doch nach einigen Jahren hatte Ewan es aufgegeben ihr zu schreiben.

Nur zum Geburtstag bekam sie jedes Jahr noch einen Brief.

Bei diesem Gedanken stach die Scham wieder in ihr Herz.

Doch sie nahm den Schmerz hin, denn sie hatte ihn verdient.

Sie wollte ihr Kind, ihr eigenes Fleisch und Blut vergessen, und er schrieb jedes Jahr einen Brief. Er hatte sie nie vergessen. Darüber war sie wütend gewesen.

Dadurch zwang er sie, an ihn zu denken.

Obwohl sie jeden Abend, bevor sie ins Bett gegangen war, sowieso an ihn gedacht hatte.

Sie wurde gut darin, sich selbst zu belügen. Zumindest hielt sie es einen halben Tag aus, nicht an ihn zu denken.

Doch in einem ruhigen Moment, oder durch irgendeinen Anreiz, war er wieder in ihrem Kopf. Oft tadelte sie sich selbst über ihren Starrsinn und fand sich mit der Hand am Telefon, doch ihr Stolz war immer stärker gewesen.

Nie hatte sie die Nummer gewählt, die Anthony aus einem der Briefe hatte. Auch auf ihn war sie böse gewesen. Wie konnte er einfach die Briefe lesen!

Er war nur ihr Angestellter, dazu hatte er kein Recht!

Doch sie hielt ihn auch nicht davon ab, die Nummer in ihr Notizbuch zu schreiben, nur für den Fall, dass sie wieder zur Vernunft kommen würde.

Auch Anthonys wegen hatte sie ein schlechtes Gewissen.

Es gab keinen treueren und besseren Freund wie ihn!

Hätte sie nur auf ihn gehört!

Nur der Gedanke an Reena hielt die Gräfin jetzt aufrecht und bewahrte sie vor dem tiefen Sumpf der Selbstaufgabe und des Selbstmitleides.

Ihr Sohn hatte ein Kind zurückgelassen. Ganz allein, verletzt und sicherlich völlig verzweifelt. Sie musste sich um Reena kümmern und sie zu sich holen, das war sie ihrem Sohn und auch sich selbst schuldig!

Das Klopfen der Tür holte die Gräfin aus ihren Gedanken. Anthony stand zaghaft lächelnd im Türrahmen und fragte, ob sie soweit sei.

Sie atmete nochmals tief ein und schritt an ihrem Vertrauten vorbei durch die hohe Türe.

Hell hallten ihre Schritte auf dem Marmorboden wieder und es klang einsam. Einsame Schritte in einem einsamen, großen Haus.

Wer weiß, dachte Grany und der Gedanke ließ die Scham und das schlechte Gewissen etwas weichen, vielleicht sind es die letzten einsamen Schritte in diesem großen Haus!

Bevor sie die Überraschung für Reena abholen wollte, ging die Gräfin auf den Friedhof.

Nachdem sie die Nachricht vom Tod ihres Sohnes erhalten hatte, hatte sie veranlasst, dass die Urnen von ihm und seiner Frau nach Schottland überführt wurden und sie in dem Familiengrab beisetzen lassen.

Die Gräfin konnte den Gedanken nicht ertragen, dass die letzte Ruhestatt ihres Sohnes nicht in Schottland, seinem Geburtsland, sein sollte.

Außerdem brauchte Reena sicherlich einen Ort, an dem ihre Eltern ihr nahe waren und sie zu ihnen sprechen konnte.

Ihr hatte es nach dem Tod ihres Ehemannes immer sehr geholfen. Sie fühlte sich dann nicht ganz so einsam und leer.

Das Grab der Familie Gallaway war sehr groß und an drei Seiten von einem kniehohen, weißen Zaun umrandet.

Der Gedenkstein bestand aus dunklem, glänzendem Marmor mit verschiedenfarbigen Einschlüssen die in der Maisonne funkelten.

>> Ich hoffe Du kannst mir irgendwann verzeihen mein Sohn! << Flüsterte die Gräfin und berührte den glatten, warmen Stein und die silbernen, geschwungenen Lettern.

>> Amy, ich wünschte wir könnten nochmals über alles sprechen! Es tut mir alles so unendlich leid!

Bitte vergib mir!

Ich verspreche euch, dass ich mich um Reena kümmern werde! Sie soll all meine Liebe erfahren und sie wird es gut bei mir haben! Ich verspreche es! <<

Die Gräfin erhob sich und ging zurück zu Anthony der am Bentley auf sie gewartet hatte.

>> Dann mal los mein alter Freund! << Sagte sie und lächelte Anthony zaghaft zu.

>> Ja Misses!, << antwortet er und nickte lächelnd.

>> Das Flugzeug landet in einer halben Stunde! <<

Ankunft in Schottland

Träge erhob Reena sich und versuchte das nervöse Kribbeln aus den verspannten Muskeln zu schütteln.

Eine Stewardess nahm ihren Koffer und half ihr mit den Krücken durch den engen Zwischengang zur Gangway.

Die hübsche, blonde Frau verabschiedete sich höflich bei Reena und wünschte ihr eine gute Besserung, bevor auch sie aus ihrem Leben verschwand.

Ein lauer Wind wehte ihr entgegen, als sie die Stufen herunterhumpelte.

Die Luft roch nach Erde und Moos und erinnerte sie an einen Spaziergang im Wald.

Es war wärmer, als sie erwartet hatte. In ihrer Vorstellung war Schottland immer kalt, nebelig und unheimlich.

Aber es war ganz anders. Die Vögel sangen und flogen durch die Luft als Reena auf ein altmodisches Flughafengebäude zuhumpelte.

Es gefiel ihr hier. Und es lenkte sie etwas von dem seltsamen Gefühl ab, das sich in ihr breitzumachen versuchte.

Sie war nervös und wusste nicht, was sie erwartete.

Sie hatte noch nie von ihrer Großmutter gehört.

Ihre Eltern hatten sie nie erwähnt.

Sie hatte überhaupt keine Verwandten und wusste nicht, wie man sich ihnen gegenüber verhalten sollte.

Fragen über Fragen, die in Reenas Gedanken schwirrten.

Wie würde ihre Großmutter wohl sein? Würde sie sich mit ihr verstehen? Und die brennendste aller Fragen, warum hatten ihre Eltern sie nie erwähnt?

Nun, sicher würde sie das bald herausfinden.

Sie humpelte in die Halle des kleinen Gebäudes, das eher wie ein alter Bahnhof, als wie ein Flughafen aussah, und lief zum Informationsschalter.

Eine ältere Dame mit Brille und ordentlichem Haarknoten blickte sie über ihre Brillengläser an und fragte mit breitem, schottischem Akzent, was sie für sie tun könne.

>> Ist eine Nachricht für Reena Gallaway hier? <<

Fragte sie höflich und die Frau blätterte einen Stapel Zettel durch.

>>Ja Miss, ein Herr erwartet sie im Flughafencafe.

Gleich hier links! << Sie deutete mit der Hand in Richtung des Cafes.

Reena bedankte sich und nahm mit einem Seufzen und einer wachsenden Ungewissheit ihre Krücken und humpelte um die Ecke auf das Cafe zu.

Es war nicht viel los an diesem Tag und sie sah den älteren Herrn, um den es sicherlich ging, am Tresen sitzen und eine Tasse Tee trinken.

Er hatte eine grau-karierte Kappe auf und eine braune Jacke an. Soweit man das im Sitzen sagen konnte, war er nicht sehr groß und sicher schon älter als fünfzig.

Unter der Kappe lugten graue Haare hervor.

Reena räusperte sich leise, als sie in höhrweite war.

Der Herr drehte sich um und strahlte sie an.

Bei seinem freundlichen Gesicht musste Reena unweigerlich lächeln.

Er hatte braune Augen und einen grauen, ordentlich gestutzten Bart.

>>Sie müssen Miss Reena sein! <<

Sagte er lächelnd.

>>Ich bin Anthony, der Gärtner und sozusagen Mädchen für alles auf Schloss Eagles Castle, Willkommen in Forres! <<

Schloss? Gärtner? Schoß es Reena durch den Kopf doch ehe sie etwas sagen konnte, sprach er weiter:

>>Kommen Sie Miss, die Gräfin erwartet Sie bereits! <<

>>Gräfin? << Fragte sie sich, diesesmal jedoch laut und Anthony sah sie fragend an:

>>Wussten Sie nicht, dass Ihre Großmutter eine Gräfin ist? Hat man Ihnen das nicht erzählt? <<

Fragte er mit einem unterdrückten schottischen Akzent.

>>Eigentlich, << so bekannte sich Reena, >>weiß ich überhaupt nichts! <<

>>Nun, << lächelte er, >>Dann werden wir das schleunigst ändern müssen! <<

Er zwinkert ihr zu und führte sie, nachdem er ein paar Münzen neben seine Teetasse gelegt hatte, aus dem Cafe zum Parkplatz. Er nahm ihren Koffer, den jemand am Gepäckband abgestellt hatte, und sie gingen los.

Forres war eine kleine Stadt im Norden Schottlands.

Sie befand sich nahe der Küste und war umgeben von vielen Wäldern, Seen und Flüssen.

Die Häuser waren für Schottland typische, wunderschöne Steinhäusern mit bunten Fensterläden und Türen.

Überall waren sorgsam angelegte Gärten und ordentlich gestutzte Rasenflächen in einem leuchtenden Grün.

Alle Farben leuchteten hier viel mehr als sie es gewohnt war.

Die Luft war klar und roch nach verschiedenen Blumen und Kräutern.

Vor lauter Staunen vergaß sie beinahe ihre Nervosität.

Sie bemerkte auch nicht, dass Anthony am Parkplatz vorbeiging und auf eine altmodische Pferdekutsche zusteuerte.

Erst als sie direkt davor standen fiel ihr Blick auf die zwei braunen, in der Sonne glänzenden Pferde und die alte dunkelbraune Kutsche.

>>Fahren wir damit? << Reena zog staunend die Augenbrauen hoch.

>>Ja Miss! << Antwortete Anthony mit einem verschmitzten Lächeln.

>> Die Gräfin mag die modernen Transportmittel nicht besonders gerne und ich, ehrlich gesagt, auch nicht. <<

>>Na dann. << Antwortete Reena mit einem Schulterzucken.

Ich muss mich hier wohl noch auf so manche Überraschung einstellen! Dachte sie insgeheim.

Anthony half ihr auf den Kutschbock und schon ging die Reise los.

Eigentlich gefiel es ihr ganz gut mit der Kutsche zu fahren.

So hatte sie mehr Zeit sich die schöne Landschaft anzusehen.

Vielleicht ist es hier ja doch nicht so schlecht!

Dachte sie und das Ruckeln der Kutsche machte sie müde.

Kurze Zeit später schlief sie, an Anthonys Schulter gelehnt, ein.

Wer die beiden nicht kannte, und so zusammen sah, dachte sicherlich, es seien Großvater und Enkelin die einen Ausflug unternahmen.

Der Wagen holperte über einen Stein und Reena erwachte.

Es war ihr etwas peinlich Anthony als Kopfkissen missbraucht zu haben und sie wollte sich schon entschuldigen, als der Anblick, der sich vor ihr auftat, ihr die Sprache verschlug.

Vor ihnen lag, von vielen Bäumen und Blumen umgeben, ein riesiges hellgraues Haus mit vielen kleinen Erkern und einem kleinen, runden Turm.

Vor dem Haus lagen ein perfekt gepflegter Rosengarten und ein kleiner Teich mit goldgelben und orangenen Fischen darin.

Der Teich war gesäumt von Schilf und Pampasgras.

Außerdem wuchsen dunkelblaue Wasserlilien und Sumpfdotterblumen am Ufer.

Hinter dem Haus sah Reena einen kleinen Birkenwald.

Der Wind fuhr durch die Blätter und sie schimmerten wie Silber.

>> Meine Güte! << Flüsterte sie.

>>Ja nicht wahr! << Strahlte Anthony.

>> Darf ich Ihnen Eagles Castle vorstellen Miss! <<

Er deutete mit der Hand über den Platz und der Stolz über das Anwesen war ihm deutlich anzumerken.

>>Es ist einfach traumhaft! << Staunte Reena.

>>Damit hätte ich nie gerechnet! <<

Anthony half Reena aus der Kutsche und hob ihren Koffer von der Ablage.

>>Kommen Sie Miss, ich bringe Sie hinein und zeige Ihnen Ihre Räumlichkeiten! <<

Damit stapfte er voraus und öffnete ihr die riesige Türe.

Von innen war es nicht weniger beeindruckend als von außen!

In der großen Halle standen viele antike Möbel.

Alte Kommoden mit schnörkeligen Verzierungen, eine Garderobe und ein paar Sessel, die mit dunkelblauem Samt verkleidet waren. Sie hatten braune Füße, die die Form von Löwentatzen hatten.

Auf dem Fußboden war ein blau-rot karierter Läufer, der bis über die hohe Treppe in den zweiten Stock führte.

Er war ganz dick und weich.

Drei Türen führten aus der Halle. Aus einer kamen klappernde Geräusche und ein unwiderstehlicher Duft nach frischem Braten.

Jetzt erst bemerkte Reena, wie hungrig sie war und ihr Magen gab ein lautes Knurren von sich.

Anthony hatte es natürlich gehört.

>> Kommen Sie, ich zeige Ihnen ihr Zimmer und dann können Sie in Ruhe zu Abend essen, Miss! <<

Reena humpelte ihm hinterher und machte sich daran die Treppenstufen hochzuhinken.

>>Wo ist meine Großmutter? << Fragte sie schnaufend, denn sie hatte erwartete, dass sie sie begrüßen würde und war dementsprechend etwas enttäuscht.

>>Sie kommt gleich und wird Sie begrüßen, Miss! <<

Antwortete Anthony entschuldigend.

>>Sie musste noch etwas Dringendes erledigen, aber sie wird gleich hier sein! <<