Die Legende von Arthilia - Jan Erik Moeller - E-Book

Die Legende von Arthilia E-Book

Jan Erik Moeller

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Beschreibung

Lemuria und Rhodrim, die Reiche der Menschen des wunderbaren Kontinents Arthilia, leben in Frieden mit Elben, Zwergen und anderen Völkern, bis sich eine gewaltige Bedrohung über sie erhebt. Die Orks aus Dantar Mar haben sich auf den Befehl des geheimnisvollen Schwarzen Gebieters zur Horde Durotars vereint und marschieren nach Norden, um die Welt mit Krieg und Untergang zu überziehen. Eine Gemeinschaft, die vom Fürstensohn Arnhelm und dem Zwergen Dwari angeführt wird, macht sich auf in die Wildnis des Ostens, um das legendäre Goldene Schwert aufzufinden und damit dem unheilvollen Schwarzen Schwert des Feindes zu widerstehen ... Der Auftakt der großen High-Fantasy-Pentalogie!

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Seitenzahl: 550

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Lemuria und Rhodrim, die Reiche der Menschen des wunderbaren Kontinents Arthilia, leben in Frieden mit Elben, Zwergen und anderen Völkern, bis sich eine gewaltige Bedrohung über sie erhebt. Die Orks aus Dantar‘Mar haben sich auf den Befehl des geheimnisvollen Schwarzen Gebieters zur Horde Durotars vereint und marschieren nach Norden, um die Welt mit Krieg und Untergang zu überziehen. Eine Gemeinschaft, die vom Fürstensohn Arnhelm und dem Zwerg Dwari angeführt wird, macht sich auf in die Wildnis des Ostens, um das legendäre Goldene Schwert aufzufinden und damit dem unheilvollen Schwarzen Schwert des Feindes zu widerstehen ...

Der Auftakt der großen High-Fantasy-Pentalogie!

Der europäische Schriftsteller Jan Erik Moeller ist Erfinder des Fantasy-Zyklus um Arthilia und Orgard. Seine Hauptwerke sind „Die Legende von Arthilia“, „Die Legende der Mucklins“ und „Die Legende der Paladine“ sowie dem Ratgeber „Fantasy-Schriftsteller werden!“.

Inhalt

Erstes Kapitel: Jagdglück

Zweites Kapitel: Der Tod des Häuptlings

Drittes Kapitel: Die Ashtrogs

Viertes Kapitel: Eine schwere Entscheidung

Fünftes Kapitel: Kherald der Strenge

Sechstes Kapitel: Die Tôl Womin

Siebtes Kapitel: Zum blauen Ochsen

Achtes Kapitel: Theaterluft

Neuntes Kapitel: Turnierkämpfe

Zehntes Kapitel: Die Ankunft Zarr Mudahs

Elftes Kapitel: Der Schwarze Gebieter

Zwölftes Kapitel: Pír Cirven

Dreizehntes Kapitel: Im Torindo Isa Nuafa

Vierzehntes Kapitel: Merian

Fünfzehntes Kapitel: Menoth und die Urobash

Sechzehntes Kapitel: Über den Norda‘Por

Siebzehntes Kapitel: Durotar

Achtzehntes Kapitel: Der Auszug aus Lemuria

Neunzehntes Kapitel: Die Blutwarge greifen an

Zwanzigstes Kapitel: Durch das Milmondo Mirnor

Einundzwanzigstes Kapitel: Die Zarg

Zweiundzwanzigstes Kapitel: Grauhöcker

Dreiundzwanzigstes Kapitel: Der Ansturm der Orks

Vierundzwanzigstes Kapitel: Die Schlacht um Arth Mila

Übersicht über die Legenden aus Munda

Erstes Kapitel: Jagdglück

Die mehr als ein Dutzend Orks waren damit beschäftigt, ihre Jagdbeute auszunehmen und für den Rücktransport zu verschnüren. Insgesamt hatte sich der Ausflug mehr als gelohnt – neben Rapit-Hirschen, Grau-Hasen und Großkopf-Fasanen hatten sie auch ein paar fette Wildschweine erlegt, welche die hungrigen Mäuler des Stammes für einige Tage zufrieden stellen sollten. Auch sonst hatte sich dieser Sommertag bislang gut angelassen: die Sonne, die den Horizont mit einem Geflecht heller Schlieren überzog, brannte nicht übertrieben heiß, und eine Meeresbrise sorgte für zusätzliche Abkühlung. Das Glück schien ihnen gerade wohlgesonnen zu sein. Allerdings hatte die Erfahrung die Orks gelehrt, dass man niemals darauf wetten sollte, dass dieser Zustand länger anhielt. Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben und so weiter.

„Panca, wir haben in einer Grube da hinten noch eine weitere Sau gefangen“, meinte einer der gemeinen Orks und wedelte mit dem schmutzigen Finger in Richtung Norden. „Willst du ihr den Rest geben? Meine Klinge ist schon ganz schartig, und du hast dein Schwert doch gestern erst scharf geschliffen…“

„Was ist denn das schon wieder für eine dämliche Ausrede? Muss man hier denn alles selber machen?“

Panca gehörte zu den vier Befehlsgebern des Ashtrog-Clans, welche die Stellvertreter des Häuptlings waren. Unter diesen war sie die einzige Orkin. Ein weiterer derselben war Ugluk, der zwar klein geraten, aber dafür umso gewitzter war und die Jagdgesellschaft gemeinsam mit ihr anführte.

Völlig unversehens erschien eine ganze Meute unbekannter Orks auf der steinigen Ebene. Offensichtlich hatten sie sich von jenseits der östlichen Anhöhe aus angenähert, und natürlich hatte keiner der Ashtrogs sie bemerkt.

Na bestens, dachte Panca. Anscheinend reichen ein paar Monde Frieden aus, damit unsere Wachsamkeit nachlässt. Auf jeden Fall war es mit der trügerischen Idylle schlagartig vorüber.

„Gord zum Gruß, meine orkischen Brüder“, bellte der vordere der Neuankömmlinge, ein großer, ungeschlachter, ausgesucht hässlicher Kerl. Sowohl er als auch seine etwa zwanzig Kumpane hatten bereits die Hand an die Hefte ihrer Schwerter und Äxte gelegt und machten keinen Hehl daraus, dass sie vor Gewalttätigkeiten nicht zurückschrecken würden. Anscheinend hatte ihnen keiner gesagt, dass man sich mit den Ashtrogs besser nicht anlegte. „Wir sind auf der Durchreise nach Norden und haben zufällig nicht genügend Proviant dabei. Also dachten wir uns, ihr könntet uns damit ein wenig aushelfen. Sagen wir, mit dem, was ihr gerade gefangen habt, das dürfte fürs erste genügen. Lasst einfach alles brav so liegen und geht zu euren Leuten zurück, dann kommt auch niemand von euch zu Schaden!“, fügte er hinzu und gluckste verächtlich.

Ugluk kratzte sich am Kopf und blickte nach Norden. An das karge Hochland, in dem sie sich befanden, schloss sich, eingefasst von kaum bewachsenen Felshängen, die tief eingeschnittene Gauragar-Schlucht an. Jenseits derselben war dann auch schon der Übergang auf den nördlichen Kontinent nicht mehr fern. Und da wollte normalerweise kein anständiger Ork hin. Diese Kerle waren demnach noch größere Idioten, als er zunächst angenommen hatte.

„Nun denn, dann fürchte ich, dass uns nichts anderes übrig bleibt, als die Angelegenheit auszutragen“, erwiderte Ugluk schließlich achselzuckend. „Selbst schuld, wenn man auch so blöd ist, eine so lange Reise anzutreten, ohne sich ausreichend vorzubereiten! Vielleicht bleibt ihr das nächste Mal besser brav zuhause und lasst euch von euren Frauen Knollensuppe kochen, dann kommt auch niemand von euch zu Schaden.“

„Das reicht, du vorlauter Witzbold!“, grollte der Anführer der fremden Orks und entblößte seine lange Schwertschneide. „Tot braucht ihr wenigstens nichts mehr zu essen!“

„Du bist nur mäßig witzig und auch nicht sonderlich einschüchternd. Aber wie ihr wollt.“ Ugluk zog ebenfalls blank. Nebenbei bemerkte er, dass die gegnerischen Orks keine Stammesabzeichen trugen. Ein zusammengewürfelter Haufen also, und uns nur in etwa zwei zu eins überlegen. Eine vernünftige Quote. Sollte also kein Problem sein.

Heulend fielen die beiden Ork-Trupps übereinander her. Solcherlei war fürwahr keine Seltenheit, denn angesichts der Nahrungsknappheit auf dem südlichen Kontinent und der sprichwörtlichen Kampfeslust der grünhäutigen Krieger gerieten die Angehörigen verschiedener Clans immer wieder aneinander. Obgleich dies hier, im hohen Norden, angeblich etwas weniger oft der Fall war als unten im Süden.

„Bei meinem Glück war ja klar, dass ein bislang so schöner Tag so ausgehen musste!“, seufzte Panca. Dann stellte sie sich den beiden Gegnern, die grunzend und höhnisch gackernd auf sie zukamen. „Möchte wissen, warum es immer alle so lustig finden, gegen eine Orkin zu kämpfen. Hinterher bleibt von dem Spott dann meistens nicht mehr allzu viel übrig.“

Der eine ihrer Kontrahenten schwang mit beachtlicher Körperkraft eine Axt, doch mehr wie ein Holzhacker und ohne viel Bravour. Sein voreiliger Hieb pfiff senkrecht ins Leere und hätte den Ork beinahe das Gleichgewicht gekostet, da Panca sein Vorhaben leicht vorhersah und zeitig zur Seite sprang. Sofort darauf stach sie ihm mit ihrer Schwertspitze in den Allerwertesten, nicht mit voller Kraft, doch ausreichend tief, dass der Getroffene wie ein geprügelter Hund laut aufheulte und sich winselnd zurückzog.

In der Zwischenzeit machte sich der zweite Ork von rechts an sie heran und versuchte sein Glück mit einem weiten Schwertstich zu ihrer Brust. Sein Versuch war etwas besser als der seines Kameraden, aber nicht viel. Die Orkin konterte den Angriff mit einem seitlichen Ausfallschritt – bei Stichen sollte man immer besser auf Nummer sicher gehen – und indem sie mit ihrer das Sonnenlicht reflektierenden Klinge diejenige des anderen parierte. Ratzfatz führte sie anschließend eine elegante, schlangenlinienförmige Bewegung aus, und schon flog das Schwert des Angreifers in hohem Bogen durch die Lüfte und bohrte sich in sicherer Entfernung in die dürre Erde.

Mittlerweile hatte sich ihr erster Gegner – der ebenso kräftige wie ungeschickte Ork mit der Axt – wieder berappelt und stürmte neuerlich auf sie zu. Ein weiteres Mal konnte sie bei dem armen Kerl keine Milde walten lassen, dazu war ihr die Situation dann doch zu heikel. Und außerdem ging ihr der Bursche langsam auf die Nerven. So tauchte sie unter der Streitaxt, die dieses Mal wie beim Heumachen waagerecht geschwungen kam, hindurch und ließ ihre Klinge fast gleichzeitig nach oben zucken, sodass die geschliffene Seite des Krummschwertes von unten tief in den Bauch des Angreifers schnitt. Eine zähe, dunkelrote Masse quoll aus dem Schlitz nach draußen, als sie ihre Waffe wieder zu sich zog, und der schwere Klops fiel ohne Umschweife der Länge nach auf die Nase. Das war schon mal geklärt.

Im nächsten Moment schlangen sich zwei Hände von der Seite um ihren Nacken, griffen nach ihrer Kehle und drückten zu. Der Gestank hätte mich eigentlich warnen müssen, dachte sie, als ihr der strenge Geruch von Schweiß, Knoblauch und was-auch-immer in die Nase kroch. Außerdem hätte sich der ungewaschene Kerl wenigstens die Fingernägel feilen können!

Sie wandte sich, so gut es ging, zu ihrem Gegner hin und zog ihr Knie hoch, sodass der Ork daran erinnert wurde, welchem Geschlecht er angehörte. Mit hoher Stimme keuchend löste er seinen Griff, und es wäre Panca nun ein Leichtes gewesen, ihm ihr Schwert ebenfalls in den Magen zu rammen. Doch was war das plötzlich für ein grunzendes Geräusch hinter ihr?

Eilig wandte sie sich um und erblickte das größte Wildschwein, das sie je gesehen hatte, aus einer Grube steigen, die kaum einige Schritte von ihr entfernt war. Dann nahm es Fahrt auf und kam quiekend auf sie zugerast. Das musste das Tier sein, das man vorhin erst gefangen hatte, und wie sich nun zeigte, hatte man das Loch bei weitem nicht tief genug ausgehoben. Es wird da später einiges an Redebedarf geben!

Panca stieß sich ab und rollte sich im letzten Augenblick zur Seite, ehe die Sau über sie hinwegfegte. Das mehrere Zentner schwere Tier verfehlte sie knapp und trampelte stattdessen ihren entwaffneten Widersacher brutal über den Haufen. Das Knirschen von Knochen, das man selbst aus einiger Entfernung noch hören konnte, verhieß nicht Gutes.

„Wer von euch Schwachköpfen hat diese Grube ausgehoben? Soviel Blödheit und Faulheit sollte man bestrafen!“, rief sie entrüstet, nachdem sie wieder auf die Beine gekommen war. Gleich mehrere Ashtrogs schienen sich angesprochen zu fühlen und lugten schuldbewusst zu ihr rüber, ehe sie sich rasch wieder ihren jeweiligen Gefechten zuwandten.

Mittlerweile war auch Ugluk die Auseinandersetzung zu öde geworden. Anfangs hatte er mit dem Anführer der fremden Orks etwas gespielt und sich mit seinem überlegenen Maß an Flinkheit und Geschick schadlos gehalten. Schließlich handelte es sich hierbei um ein kostenloses Training, und das sollte man auskosten, dachte er sich.

Indessen versuchte sein Kontrahent eine weitere seiner zahlreichen, eher plumpen Attacken. „Bleib endlich stehen, du feiges, kleines Aas!“ In seiner Miene war zu lesen, dass der Zorn allmählich der Angst wich.

Ugluk unternahm ein Ausweichmanöver und zog dem anderen beinahe einen Scheitel, indem er sein Schwert gegen den Hinterkopf des Orks kreisen ließ. Dadurch flog dem Großmaul der Helm vom Kopf, und außerdem klaffte an der Stelle nun eine Schnittwunde, deren Ränder sich rasch rot färbten. Er sollte froh darüber sein, dass ich den Hieb absichtlich so hoch angesetzt habe, sonst wären Kopf und Schulter jetzt an zweierlei Orten.

Orks stritten sich heftig und viel. Gleichwohl waren sie zu dem Schluss gekommen, dass es manchmal klüger war, den Gegner am Leben zu lassen – erst recht wenn es sich um einen Artgenossen handelte. Denn erstens konnte einem das mögliche Racheakte ersparen, und zweitens wusste man nie, ob man bei anderer Gelegenheit nicht auf die Mithilfe des gleichen Stammes angewiesen sein würde. Der Feind von heute kann der Freund von morgen sein. Und auch wenn manche den südlichen Kontinent Das Orkland nannten, gab es letztendlich so wenige Orks, dass diese im Zweifel zusammenhalten mussten.

„Ok, letzte Chance, Dicker. Du nimmst das, was von deinem Trupp übrig ist, und suchst dir andere Opfer als Orks. Etwas weiter östlich von hier solltet ihr zumindest einige Früchte und Pilze finden, mit denen ihr es leichter haben werdet als mit uns.“

„Wir sind auf dem Weg nach Norden, wie ich schon sagte, in einer Mission, die alle Orks angeht. Und wenn du Verräter das nicht einsehen willst, dann wird einer von uns heute zu Gord zurückkehren!“

Somit blieb dem Befehlsgeber keine Wahl mehr. Der Angreifer war entweder zu stolz oder zu blöd, um seine Unterlegenheit einzusehen. Und was für einen Stuss erzählte er da über eine Mission und Verrat? So etwas passte überhaupt nicht zu Orks, die bekanntlich praktisch veranlagt waren und mehr an das Heute als an das Morgen dachten. Oder sollte das etwas mit dem Besuch dieses merkwürdigen Boten zu tun haben, der vor wenigen Tagen bei den Ashtrogs erschienen war?

Zum Fragen blieb keine Zeit, denn der Aggressor setzte seine gut gemeinten, aber chronisch erfolglosen Angriffsbemühungen unvermindert fort. Und je länger die Schlacht anhielt, desto mehr steigerte sich auch die Gefahr, dass andere der Ashtrogs Schaden nahmen.

Ugluk vollführte eine Finte links, gefolgt von einem gezielten Stich von rechts in die Herzgegend, und schloss mit einem Streich gegen die Waffenhand, die diese sauber durchtrennte. Zitternd, so als hätte ihn gerade der Blitz getroffen, ging der feindliche Anführer in die Knie, betrachtete noch einige Momente hilflos den blutverspritzenden Armstummel und presste seine verbliebene linke Pranke auf die Brustwunde. Nicht einmal ein Schamane, der sofort an Ort und Stelle gewesen wäre, hätte ihm jetzt noch helfen können. Und dann kippte er auch schon vornüber und krachte leblos auf die trockene Erde.

„Habt ihr die Ashtrogs jetzt endlich kennen gelernt oder wie viel Anschauungsunterricht ist noch nötig, bis ihr zur Vernunft kommt?“, fragte Ugluk mit seiner leicht quiekenden Stimme so laut, dass er den Kampflärm übertönte.

Augenblicklich sahen die gegnerischen Orks, die noch aufrecht standen, zu ihm hin. Entweder war es die Feststellung, dass ihr Hauptmann und einige weitere ihrer Kameraden mittlerweile tot oder beinahe tot waren, oder aber die Erwähnung des Namens Ashtrogs – auf jeden Fall wirkten sie mit einem Mal gar nicht mehr so verwegen und kampflustig. Ganz im Gegenteil schauten sie nun ziemlich blöd aus der Wäsche, ehe einer nach dem anderen die Beine unter die Arme nahm und offenbar ziel- und planlos davonrannte.

Vier oder fünf tote Feinde, dazu ein paar mehr oder minder schwer verletzte Angreifer, die sich so gut sie konnten davonschleppten - das war nicht gerade einer der zehn schlimmsten Tage, die Ugluk in seinem Leben gesehen hatte. Nicht einmal ansatzweise.

„Alle zu mir und Meldung machen!“, rief Panca ihren Stammesbrüdern zu. „Haben wir Tote oder ernsthaft Verletzte, die versorgt werden müssen?“

Das war glücklicherweise nicht der Fall. Es war allerdings auch kein Geheimnis, dass der Stolz der orkischen Rasse ihnen gebot, alles unterhalb von verlorenen Gliedmaßen und lebensbedrohlichen Wunden als Lappalien abzutun.

„Jetzt machen wir aber, dass wir nach Hause kommen“, sagte Ugluk und setzte ein Grinsen auf. „Mein guter Kumpel Uchnoth hat sicher schon Sodbrennen vor lauter Hunger. Außerdem wird er ganz blau vor Neid werden, wenn er von unserer kleinen Auseinandersetzung mit diesen Tagedieben hört.“

Panca schaute missbilligend. „Eure ewigen Streitereien hängen mir allmählich zum Hals raus!“

Zweites Kapitel: Der Tod des Häuptlings

„Wann kommen die Jäger endlich zurück? Diese Trödelheinis sind schon seit Stunden überfällig. Bis das Fleisch gar ist, sind wir alle längst verhungert!“, beschwerte sich Uchnoth zum wiederholten Male.

Bullwai hatte ihn die ganze Zeit über mit Mühe ignoriert, warf ihm nun jedoch einen verärgerten Blick zu. „Wenn du jetzt nicht endlich dein Maul hältst, schicke ich dich gleich alleine los!“

„Damit hätte ich kein Problem, Borg1. Hauptsache du hältst diese lahme Ente Ugluk von mir fern! Dann wirst du sehen, wie schnell wir das Lagerhaus voll haben und…“

„Ganz bestimmt sogar! Vor allem, weil du dich dann mit Dung einreiben und für die Wildeber den Köder spielen wirst!“, fügte der Häuptling mit grimmiger Entschlossenheit hinzu.

Uchnoth war der größte und grobschlächtigste aller Ashtrogs. Für einen Augenblick stand er allerdings mit geöffnetem Mund da wie ein Kind, das gerade ein paar Beeren geklaut und von den Erwachsenen erwischt und ausgeschimpft worden war. Dann erholte er sich und wollte seine Stimme zum Protest erheben, doch Bullwai hatte sich schon abgewandt und einige Schritte entfernt.

„Nimm's nicht so schwer, ich bin sicher, du gibst einen ausgezeichneten Schweineköder ab“, sagte eine Stimme, deren Ironie unverkennbar gutartig klang. Der Angesprochene wandte sich sofort in deren Richtung um.

„Pah! Was weiß ein altersschwacher Greis wie du schon, Ogrey? Und wann warst du das letzte Mal auf einer Jagd dabei? Damals war Dantar‘Mar wahrscheinlich noch durch und durch grün, und man konnte fette Tiere wie reife Früchte von den Bäumen pflücken oder so.“

„Ich hätte nicht gedacht, dass du zum Dichter und Geschichtenerzähler taugst, Uchnoth. Ich habe gehört, dass sie an den Höfen der Menschen Leute mit Fantasie und gutem Ausdrucksvermögen wie dich zu ihrer Belustigung suchen und gut bezahlen.“

Ogrey saß entspannt auf einem Stein und schmauchte an einer Pfeife aus dunklem Ton. Jedem anderen hätte Uchnoth gehörig die Meinung gegeigt, doch der ältere Ork hatte innerhalb des Clans so etwas wie eine Sonderstellung inne. Zum einen gab es kaum einen, dem er nicht schon mit Rat und Tat zur Seite gestanden hatte und der ihm keinen Gefallen schuldete. Er war ebenso klug wie hilfsbereit und hatte sich den Respekt, den ihm jedermann entgegenbrachte, folglich redlich verdient. Zum anderen war er der mit Abstand Betagteste unter den Kriegern, und ein orkisches Sprichwort sagte: Höre auf das, was die Überlebenden zu sagen haben. Denn sie haben bewiesen, dass sie Recht haben.

Uchnoth, der neben Panca, Ugluk und Ogrey der vierte Befehlsgeber der Ashtrogs war, begnügte sich daher damit, sich grummelnd in eine Schmollecke zurückzuziehen.

Diejenigen, die für die Verwaltung der Nahrungsmittel verantwortlich waren, hatten am Vortag widerwillig eingestehen müssen, dass sie die Vorräte etwas zu großzügig eingeschätzt hatten und somit eine Knappheit eingetreten war. Allerdings wäre ein Ork kein Ork, wenn er nicht versucht hätte, die Schuld stets auf andere zu schieben. Daher gaben die Lagermeister vor, dass die Rebhühner immer dürrer wurden, eine unbekannte Raupenart das gelagerte Getreide dezimierte und die Stammesmitglieder allgemein immer verfressener wurden.

Tatsache war, dass die Natur – oder besser gesagt Gord, der Eine, wie die Orks ihn nannten – es so gewollt hatte, dass die Angehörigen des grünhäutigen Volkes zwar hervorragende Jäger und Sammler, aber keinesfalls talentierte Bauern waren. Wobei Landwirtschaft angesichts der Kargheit des nördlichen Orklandes auch nicht gerade ein einfaches Unterfangen war, wie man zugeben musste. Zwar wachten sie über einige Bäume und Sträucher, die Nüsse und Früchte trugen, und hielten ein paar Hühner, doch letzten Endes musste sie beinahe tagtäglich auf die Suche nach Essbarem gehen, um die hungrigen Mäuler zu stopfen.

Am Nachmittag, als das Sonnenlicht den Westlichen Ozean bereits mit einem dunkleren Orange bestrich, kehrten die Langerwarteten endlich zurück.

„Ich weiß, wir sind ein wenig spät dran. Doch das Glück war uns hold, weshalb wir uns erlaubt haben, die Jagd etwas zu verlängern“, rief Ugluk, der an der Spitze der Jagdgesellschaft ritt. Er hielt sein Pferd an und wies nach hinten in Richtung der Lastesel. Die anderen sahen, dass diese mit reichlich frisch erlegten Tieren beladen waren.

Der Anblick der Ausbeute entschädigte augenblicklich für die Verspätung und ließ die Stammesmitglieder, die augenblicklich von überall herbeigeeilt kamen, in Verzückung geraten. Dies äußerte sich in lauten Freudenrufen sowie darin, dass einigen der Speichel zwischen den Zähnen hindurch über die Kinnränder lief. Nebenbei bemerkt hatten Orks durch ihren starken Vorbiss und die langen unteren Eckzähne nicht gerade einen angenehmen Atem.

„Ich dachte schon, du wärst endlich von einem Rapiten auf die Hörner genommen worden oder aber dass dich einer unserer Leute mit einer Sau verwechselt hätte. Das hätte man demjenigen auch kaum verübeln können. Auf jeden Fall wart ihr langsamer als eine Gruppe altersschwacher Schildkröten – eine Schande für einen Ork!“, schimpfte Uchnoth, der mittlerweile nahe an die Gruppe herangetreten war und absichtlich so laut sprach, dass es möglichst viele mitanhören mussten. Trotzdem nahm kaum einer davon Notiz, denn seine Neigung, sich ständig zu beschweren, und seine Vorliebe, mit Ugluk zu streiten, waren hinlänglich bekannt.

„So ungeschickt und tollpatschig wie du bist“, gab dieser zurück, während er von seinem Pferd heruntersprang, „hättest du dich wahrscheinlich bei der erstbesten Gelegenheit verlaufen, und unsere Männer hätten den ganzen Tag damit verbracht, dich zu suchen. Aber vielleicht hättest du einsam und allein auch dein Glück gefunden, wer weiß, und ein Eber hätte dich zu seiner Frau genommen, denn ein attraktiver Bursche warst du ja schon immer!“ Ugluk grinste seinen Kontrahenten, der ihn beinahe um einen Kopf überragte, breit an und genoss, wie zahlreiche der Umherstehenden lauthals loslachten.

„Du kleine Kröte! ...“, wollte Uchnoth den Zwist fortsetzen, doch schnitt ihm Panca gerade rechtzeitig das Wort ab.

„Wenn ihr beiden mal die Klappe haltet, kann ich davon erzählen, dass wir zwischendurch ein paar Unannehmlichkeiten mit anderen Orks hatten. Es waren keine Stammeskrieger, sondern irgendwelche Marodeure, die sich als Räuber aufspielen wollten und sich dafür die Falschen ausgesucht haben. Die meisten konnten wir verschonen, und die Toten haben wir mehr oder weniger sorgfältig verscharrt“, berichtete die Orkin.

„Was, ihr hattet eine richtige Keilerei und habt mich nicht irgendwie gerufen? Das ist… unfair!“, meckerte Uchnoth und wirkte ernsthaft empört.

Die anderen nahmen das zur Kenntnis, hatten aber vorerst Interesse daran, bald ihre Mägen zu füllen.

Dann wurde die Beute abgeladen, die Pferde und Maultiere – von denen der Clan nur über wenige verfügte – wurden versorgt, und alle eilten zum Hauptplatz der Siedlung, um bei den Vorbereitungen für das Abendmahl zu helfen. Zurück blieb Uchnoth, der gute Lust hatte, Ugluk noch ein paar freundliche Worte zu erzählen. Doch ohne Zuschauer machte der schönste Streit keinen Spaß, und da sein Widersacher sich ohnehin ebenfalls entfernte, blieb ihm nichts anderes übrig, als das Wortgefecht auf später zu verschieben.

Das Dorf der Ashtrogs lag im Nordwesten Dantar‘Mars2 – wie die Orks den südlichen Kontinent nannten – unweit der Meeresküste. Der Wind pfiff unentwegt ein raues Lied, die Erde war von sonnengebleichten Steinen durchdrungen, und die umliegende, von spärlich bewachsenen Hügeln beherrschte Landschaft wies Anzeichen von Kargheit auf. Immerhin war die Natur hier üppiger als in anderen Teilen des Kontinents, wo anhaltende Dürre das Land in Wüsten verwandelt hatte. Seit vielen Generationen unternahmen sie in diesem Landstrich ihre Jagdausflüge und konnten dadurch stets genügend Nahrung beschaffen.

Die Siedlung selbst bestand aus zwei großen Langhäusern, die aus dem Holz der wenigen Akazien, Palmen und Affenbrotbäume, die es in der Gegend gab, gefertigt waren, sowie aus zahlreichen weitaus kleineren Hütten. Die beiden hervorstechenden, hallenartigen Bauten waren Besitztum der Allgemeinheit und wurden unter anderem dazu genutzt, um Vorräte aufzubewahren, Mahlzeiten und Feierlichkeiten abzuhalten, wenn es draußen einmal zu ungemütlich war, sowie als Ställe und Krankenlager. Eine Einfriedung gab es nicht, denn Orks hatten gemeinhin keine Feinde, deren Angriff sie fürchten mussten.

Orks waren nicht gerade als talentierte und sehr sorgfältige Baumeister bekannt, und die Ashtrogs stellten hier keine Ausnahme dar. Dies war unschwer daran zu erkennen, dass die Architektur nicht den geringsten Ansprüchen an Ästhetik genügte. Einfach und praktisch war das Motto. So waren die Hütten, die sich um den Dorfplatz gruppierten, aus den unterschiedlichsten Materialien zusammengeschustert worden: man konnte Stein, Lehmziegeln, Holz, Stroh, Tierfelle oder Mischungen daraus erkennen. Zu den Eigenschaften der Orks gehörte eben, dass sie nicht anspruchsvoll waren – manche würden sie vielleicht sogar als leidensfähig bezeichnen. Mehrstöckige Bauwerke waren den Angehörigen ihrer Art gar vollends fremd, sodass sie sich stets auf niedrige und bevorzugt flache Gebäude beschränkten. Und sollten Wind, Wetter oder ein Erdbeben ihre Arbeit zerstören, dann grämten sie sich nicht, sondern zuckten kurz mit den Schultern und errichteten einfach ein neues Werk. Wobei in der Regel alle Mitglieder des Stammes mitanpackten.

Ein orkischer Clan war eine eingespielte Gemeinschaft, sodass auch bei der Nahrungszubereitung jeder stets wusste, was seine Aufgabe war. Meistens machten die Orkinnen das Fleisch brat- und kochfertig, denn sie zogen die Felle ab, welche sie hernach für den nächsten Winter verwahrten, zerlegten die einzelnen Teile entsprechend der angedachten Verwendung und pökelten es mit dem frischen, grobkörnigen Salz, das man in den Salzminen von Dantar‘Mar finden oder aus dem Meer gewinnen konnte. Alle Handgriffe geschahen dabei blind und gingen äußerst rasch von der Hand. Das Kochen und Braten des Fleisches selbst oblag jedoch traditionell den männlichen Orks. Sie steckten das Fleisch auf riesige Drehspieße oder gaben es in Kochkessel und ließen es über dem Feuer gar werden. Für die Zubereitung der Beilagen waren hingegen wiederum die Orkinnen verantwortlich. Und selbst die Jungorks leisteten ihren Beitrag, denn sie sammelten Beeren, Pilze, essbare Wurzeln und Pflanzen, wuschen diese und schnippelten sie zurecht.

Den ausgiebigen Schlemmereien kam bei den Orks daher auch deshalb ein so hoher Stellenwert zu, da die Vorbereitungen ein gemeinsames Werk waren und den Stamm weiter zusammenschweißten. Hinzu kam, dass Orks stets hungrig und sogar dafür bekannt waren, sich zuweilen zu überfressen. Eine ähnliche Schwäche hatten sie für den aus der Traube des dornigen Horbuth-Busches gewonnenen roten Wein. Ihr Leibgetränk wäre jedem Volk Norda‘Mars – wie sie Arthilia, den nördlichen Kontinent, in ihrer Sprache hießen – wohl zu trocken und bitter im Geschmack gewesen, genügte ihren Ansprüchen jedoch vollkommen. Vor allem konnte er mit einem anständigen Gehalt an Alkohol aufwarten. Man wollte ja auch etwas davon haben.

Endlich konnte das Mahl beginnen. Die Orks hatten zahlreiche Tische zu mehreren langen Tafeln zusammengeschoben. Diese waren beinahe vollständig mit Töpfen und Schüsseln mit verschiedenen Speisen sowie Krügen und Bechern bedeckt. Die meisten Krüge waren mit Wasser gefüllt, während Behältnisse mit Wein nur in begrenztem Umfang dargeboten wurden. Dies lag an Bullwais unmissverständlichen Weisungen, denn der Häuptling wusste um die Wirkung des gegorenen Saftes und um die mangelnde Selbstzügelung seiner Stammesbrüder. Dies änderte freilich nichts daran, dass es ziemlich laut und zünftig her ging. Bei all dem durcheinander wogenden Gebrülle konnte kaum einer sein eigenes Wort verstehen.

Unweit entfernt der Sitzanordnung brannten mehrere Feuer, über denen sich gut gefüllte Suppenkessel und Spieße mit Bratfleisch befanden, und die außerdem eine angenehme Atmosphäre schufen. Allerdings wurde die sommerliche Temperatur dadurch noch weiter erhöht, und trotz des stetig vom Meer herüberwehenden, zuweilen schneidenden Windes war es im nördlichen Orkland zu dieser Jahreszeit ausgesprochen heiß. Gleichwohl waren die Orks hinsichtlich der teilweise extremen Witterungen, denen sie auf ihrem Kontinent ausgesetzt waren, wenig zimperlich, sondern seit ihrer Ankunft vor zweitausendzweihundertsiebzig Jahren hinreichend abgehärtet worden.

Es gab keine feste Sitzordnung, und so war es mehr aus Zufall, dass Bullwai ziemlich in der Mitte einer der Tafeln saß. Er war mittlerweile mit vierundzwanzig Jahren im besten Alter für einen Ork, denn diese wurden selten viel älter als vierzig. Diese Tatsache stand ganz im Gegensatz zur Lebenserwartung der Elben, mit denen sie einst zeitgleich die Gestade der beiden zusammenhängenden Kontinente erreichten. Diese waren nämlich weder Alterung noch natürlichem Tod unterworfen, was ansonsten einzig noch für Drachen, Greife und wenige andere Geschöpfe galt.

Orks waren etwas kleiner als Menschen und Elben, dafür jedoch im Allgemeinen breiter und stämmiger, wenn auch bei weitem nicht mit der Körperfülle etwa der riesenhaften Oger versehen. Bullwai war nach orkischen Maßstäben groß und muskulös, schnell und gewandt. Seine Haut war von vollem Grün, seine Nase platt und breit, und seine Augen saßen tief in den Höhlen und erschienen ein wenig zu klein angesichts der Proportionen seines Kopfes. All dies galt jedoch ebenso für fast alle Angehörigen seiner Art.

Orks besaßen im Gegensatz zu Ogern Haare – und zwar ausnahmslos schwarze –, wenn auch nicht so viele wie Elben, Menschen oder gar Zwerge. Manche Stämme machten bestimmte Frisuren zu ihrem Erkennungsmerkmal, doch den Ashtrogs war solcherlei ziemlich egal. Bullwai hatte eine kurze und dichte Kopfbehaarung, die angesichts seines mächtigen Schädels von dessen satter Farbe geradezu verschluckt wurde. Die Haut von Orks war im Übrigen straff, ledrig und rau, und ihre ausgeprägten Muskeln und Sehnen traten hervor und spielten unter den Wämsern und kurzen Hosen aus Leder und Fellen, die sie trugen.

Mimik und Gebaren Bullwais verrieten bereits vieles über seinen Charakter und seine Art, das Leben zu betrachten. Er schwatzte und lachte bei weitem nicht so viel wie die meisten seiner Artgenossen und riss nur selten derbe Witze und Späße. Sein Gesicht wirkte grimmig, zugleich jedoch auch in hohem Maße wach, aufmerksam und seine Umgebung jederzeit mit seinen Sinnen abschätzend. Zweifellos hatte er die Nachdenklichkeit seiner Vorfahren bereits in die Wiege gelegt bekommen. Darüber hinaus war er – wie alle, die ihm nahe standen, wussten – noch weitaus tiefer in sich gekehrt, seitdem sein Vater vor mittlerweile beinahe einem Jahr zu Tode gekommen war. Es war ein Tod, der Fragen über Fragen aufwarf, die bis heute noch keiner beantworten konnte.

Es war entweder während oder im Anschluss an eine Jagd geschehen. Loktai, das Oberhaupt des Clans, hatte zu dieser fünf weitere, allesamt erfahrene, männliche Ashtrogs mitgenommen. Das Unterfangen hatte mehr dem Zeitvertreib denn der Nahrungsbeschaffung gedient, da die Speicher zu diesem Zeitpunkt voll waren. Sie wollten nichts weiter, als sich in Form zu halten, etwas Spaß zu haben, sich gegenseitig zu messen und vielleicht einige Hasen, Wildhühner oder seltenere Tiere als Trophäen mitzubringen.

Als es an jenem unglückseligen Tag schon dunkel wurde und man noch immer auf ein Zeichen der Ausgezogenen wartete, war Bullwai zusehends unruhig geworden. Natürlich hatten ihm seine Freunde versichert, dass es nichts Ungewöhnliches sei, eine Jagd unvorhergesehen zu verlängern. Womöglich, so meinten sie, hatten sie sich auch zu weit vom Stammeslager entfernt oder eine besonders gute Stelle gefunden, sodass sie kurzerhand entschieden hatten, die Nacht außerhalb des Dorfes zu verbringen, um die Unternehmung am nächsten Morgen in aller Frühe fortzusetzen. Auf jeden Fall – so die einhellige Meinung – konnten der Häuptling und seine Begleiter sehr gut auf sich selbst aufpassen. Morgen sieht alles schon wieder ganz anders aus… blablabla.

Doch das ungute Gefühl in Bullwai hatte nicht verstummen wollen, sodass er noch am selben Abend Tendarr, den Zerk‘Gur3 des Clans aufsuchte. Dieser hatte neben seiner Funktion als Magiekundiger im Gegensatz zu den meisten Zauberern der Menschen zusätzlich die Aufgabe, als Heiler und Medizinmann zu wirken. In der Gemeinsamen Sprache hatte sich für solche Orks der Begriff Schamane durchgesetzt. In diesem Augenblick wollte der Häuptlingssohn nichts Geringeres von ihm, als mit Hilfe seiner Weitsicht zu erfahren, wie es um seinen Vater bestellt war.

Er fand den Schamanen in dessen Hütte, die mit Tränken, Salben, Talismanen und allerlei skurrilem Zeug vollgestopft war. Tendarr saß an einem Tisch, starrte wie gebannt auf einige Knochen, die in einer Metallschale vor ihm lagen, und murmelte unverständliches Zeug vor sich hin. Er machte einen so verstörten und abwesenden Eindruck, dass einem angst und bange werden konnte. So kannte man ihn ganz und gar nicht. Anschließend weigerte er sich, mit Bullwai zu sprechen, angeblich da er sich unwohl fühlte.

Augenblicklich hatte der Sohn Loktais, in dem nun sämtliche Alarmglocken schrillten, eine Gruppe von zwanzig Orks zusammengetrommelt. Unter ihnen befanden sich unter anderem Uchnoth, Ugluk und Panca. Sie nahmen sich alle guten Pferde, die sie finden konnten, und ritten Richtung Nordosten, wohin die Vermissten im Morgengrauen des verblassenden Tages guter Dinge aufgebrochen waren.

Das zerklüftete Land, das sich dort erstreckte, war bei Dunkelheit nicht ungefährlich zu durchqueren. Bullwai scherte sich jedoch wenig darum und ritt, als ob ein Rudel ausgehungerter Warge – riesige Wölfe, die es nur in Dantar’Mar gab – hinter ihnen her wäre. Aus irgendeinem Grund fürchtete er, dass sie keine Zeit verlieren durften. Glücklicherweise war jene Nacht sternenklar, sodass sie tatsächlich rasch vorankamen. Die Gruppe um Loktai war hingegen zu Fuß aufgebrochen, was darauf schließen ließ, dass deren Angehörigen nicht allzu weit gekommen sein konnten. Allerdings wusste er von seinem Vater auch, dass dieser immer für Überraschungen gut war und allzu gerne neue, ungewöhnliche Wege und Orte erkundete und auch Abenteuern, die damit verbunden sein konnten, nicht abgeneigt war. Dies hatte sich auch mit seinem vorgerückten Alter nicht geändert.

Kaum eine Stunde nach ihrem Aufbruch hatten die Ausgerittenen jedoch nicht sehr angestrengt suchen und keine ausgefallenen, unzugänglichen Pfade einschlagen müssen. Denn das, was sie zu finden suchten, offenbarte sich ihnen plötzlich und in erschreckender Weise geradewegs vor ihren Füßen.

Am Rande eines breiten Weges, eines der Hauptwege in Richtung Osten, der auch zum Norda‘Por4 und damit nach Norda‘Mar führte, saß, mit dem Rücken an einen großen Findling gelehnt, Loktai. Er war allein, sein Schwert ruhte auf seinen ausgestreckten Beinen, und sein Kopf war nach vorne gekippt.

Der Häuptling war tot.

Bullwai hatte sich als erster von seinem Pferd gestürzt und verzweifelt versucht, ihm durch andauerndes Zureden und heftiges Schütteln ein Lebenszeichen abzuringen. Gleichwohl waren alle Bemühungen vergebens geblieben.

Tatsächlich hatten die Orks bald erkannt, dass der Hinterkopf ihres Anführers eine großflächige, klaffende Wunde aufwies, die offenkundig die Todesursache darstellte. Sie war bereits soweit verkrustet gewesen, dass man annehmen konnte, dass der Zeitpunkt des Unglücks mehrere Stunden zurücklag. Aus irgendeinem Grund hatte es trotz der vielen Raubtiere und Aasfresser, die hier umherstreiften, niemand gewagt, den leblosen Körper anzurühren. Vielleicht hatte Gord seine schützende Hand über den verschiedenen Häuptling gehalten, wer konnte das schon sagen?

„Vord5, was ist mir dir geschehen?“, hatte der Sohn des Aufgefundenen immer wieder intoniert, während seine Begleiter mit gezückten Schwertern ausgeschwärmt waren und Ausschau nach Feinden hielten, die möglicherweise noch in der Nähe waren. Und natürlich suchten sie nach ihren fünf weiterhin vermissten Stammesbrüdern.

Doch es hatte sich als zu dunkel erwiesen, um etwas Verborgenes oder Fußspuren zu finden, und der steinerne Untergrund unweit der Gauragar-Schlucht, auf dem sie sich befanden, tat sein Übriges. Schließlich begann man, die Namen der Verschollenen laut in die von drückender Stille erfüllte Nacht hinauszurufen. Die einzigen Antworten aber, die daraufhin zurückschallten, waren das Rascheln von Tieren, die durch den ungewohnten Lärm aufgeschreckt wurden, sowie das sachte, sich an den nahegelegenen Felsen brechende Gurren des Windes.

„Es… tut mir unendlich leid, Bullwai“, hatte Panca gesagt. „Er war der beste Häuptling und der beste Mensch, den ich mir jemals vorstellen konnte.“ Sie hätte ihn gerne in den Arm genommen, ganz egal, wer dabei zuschaute und was die anderen dachten. Doch höchstwahrscheinlich wäre das ihrem Jugendfreund, der noch immer mit leerem Blick neben dem Leichnam seines Vaters wachte, nicht eben recht gewesen.

„Er wurde sicher von einer Bande von Feiglingen hinterrücks ermordet“, meinte Ugluk bitter. „In einem offenen Kampf wäre ihm niemand gewachsen gewesen.“

„Und diese Schweine werden wir finden! Wenn nicht heute, dann eines Tages. Es wird kein Ashtrog ruhen, bis Gerechtigkeit getan wurde und Loktai gerächt ist!“, bemerkte Uchnoth, dessen grobe Stimme vor Zorn bebte.

Zutiefst erschüttert und wie mit einer schweren Last gepeinigt hatten die Ashtrogs den toten Häuptling anschließend auf ein Pferd gehievt und den Trab zurück in die heimische Siedlung angetreten. Endlich im Dorf angelangt, hatte der Suchtrupp die gesamte Bevölkerung noch wachend, wartend und bangend vorgefunden, und entsprechend groß war die Bestürzung über das gewesen, was es zu berichten galt.

Über eins waren sich alle, die ihn gekannt hatten, einig: Loktai war ein ausgezeichneter Häuptling gewesen, der die Ashtrogs mit Entschlossenheit, Geschick und Weitsicht durch die Härten des Lebens, welchem die Bewohner Dantar‘Mars stetig ausgesetzt waren, geführt hatte. Sowohl unter seinen eigenen Leuten wie auch bei den Angehörigen anderer Stämme hatte er sich beachtlichen Respekt erworben. Mehr konnte man von einem Ork nicht erwarten.

Wie es orkischer Brauch war, wurde das Oberhaupt des Clans noch in derselben Nacht in einer Verbrennungszeremonie verabschiedet. Der Schamane Tendarr hatte einige uralte Beschwörungsformeln rezitiert, und alle der Versammelten brachten ihre große Anteilnahme zum Ausdruck. Orks weinen nicht – das war ein Sprichwort, das selbst die Menschen zur Erziehung ihrer Kinder gebrauchten. In jener unendlich lang erscheinenden Zeitspanne, als das Feuer das Fleisch des Häuptlings verzehrte, straften etliche feuchte Augenränder diese weit verbreitete Ansicht Lügen. Und auch die Herzen derjenigen, die ihre Trauer nicht offen zeigen wollten, waren von Schwermut verdunkelt.

Als das Feuer erloschen war, murmelte Ogrey, der alte Freund und Weggefährte des Toten, einige Worte vor sich hin, die nur wenige – unter denen sich Bullwai befand – vernahmen und die seither keiner zu wiederholen wagte.

„Gord mush an zarrth!6“, sprach er leise vor sich hin.

Jener ketzerische Satz war nach orkischer Anschauung geradezu ungeheuerlich, denn seit jeher waren die Orks in ihrer Achtung und ihrem Gehorsam gegenüber dem Einen unerschütterlich. Sie glaubten, dass der Schöpfer die Lebenden stets beobachtete, ohne sich in deren Belange einzumischen, weshalb sie sich nur selten mit Gebeten an ihn wandten. Vor allem aber waren sie der Überzeugung, dass das Los, das einem jeden Volk angedacht war, auf einem bestimmten Plan beruhte und es sinnlos war, sich dagegen zu wehren. Daher rührten auch ihre Leidensfähigkeit und die Tatsache, dass sie weniger wie Menschen oder Zwerge nach Macht und Reichtum strebten.

Viele Monde lang sinnierte Bullwai immer wieder über diesen Satz. Gord mush an zarrth – stimmt das etwa und Gord hat den Tod meines Vaters gebilligt? Vielleicht dient er ja einem höheren Zweck, den wir dumme Orks nicht verstehen? Oder hat er damit nichts zu schaffen und unser Schicksal ist ihm einfach völlig schnuppe? Auf jeden Fall ist er uns, die wir ihm immer treu ergeben waren, schuldig, dass wir die Täter früher oder später zur Rechenschaft ziehen!

In dem Augenblick von Loktais Tod war Bullwai zum neuen Häuptling der Ashtrogs geworden, ohne dass man sich hierzu, wie bei anderen Völkern üblich, langer Feierlichkeiten und Prozeduren bediente. Der Häuptling ist tot – lang lebe der Häuptling. Irgendwie musste es ja schließlich weitergehen. Es war eine Pflicht und Verantwortung, die ihn völlig unerwartet getroffen hatte und so schwer wie ein Berg aus Granit auf seinen Schultern lastete. Dennoch waren sich alle Stammesmitglieder sicher, dass niemand dieser Aufgabe besser gewachsen sein würde als er.

Die Umstände des Ablebens seines Vaters konnten derweil bis zum gegenwärtigen Tag nicht geklärt werden. Sie blieben mysteriös und hinter einem Schleier aus Halbwissen, Vermutungen und wilden Spekulationen verborgen. Auch eine weitere Absuche des Fundortes des Toten hatte keine neuen Erkenntnisse gebracht.

„Buloks hinterlassen mit ihren Krallen andere Spuren. Aber vielleicht sind Oger für die Tat verantwortlich. Die Riesen greifen jeden an, der ihnen auf ihren Streifzügen über den Weg läuft“, meinte Ugluk hierzu.

„Es gab seit mindestens hundert Jahren keine Oger in Dantar‘Mar. Sie leben auf dem nördlichen Kontinent, und was sollte sie hierher in diese Einöde verschlagen?“, gab Ogrey zu Bedenken.

„Ich habe von anderen Zerk‘Gur gehört, dass in Norda‘Mar grässliche Wesen, die Insekten ähneln, aus der Erde kriechen und sich wie eine Seuche verbreiten sollen. Die Zarg nennt man sie. Begleitet werden sie von geflügelten Wesen mit langen Hälsen, den Harpyien. Die Ungeheuer hassen uns Orks ebenso wie Menschen, Elben und Zwerge“, überlegte Tendarr.

„Das Herumrätseln bringt uns nur leider nicht weiter“, sagte Panca. „Tatsache ist, dass jemand unseren Häuptling getötet hat und dafür kaum ein wildes Tier in Frage kommt. Somit wissen wir nur, dass wir nichts wissen.“

„Warum hast du eigentlich, als ich am Tag des Unglücks zu dir kam, so merkwürdig reagiert, Tendarr? Gib zu, du wusstest bereits, was geschehen war und was wir finden würden!“, sagte Bullwai schroff.

„Ich habe es vermutet, aber nicht wahrhaben wollen. Ich habe seit dem Mittag dieses Tages eine ungute Aura gespürt, die sich zu immer dichteren Wolken zusammengezogen hat. Es hat mir geradezu die Kehle zugeschnürt und mich verrückt gemacht. Und als ich die Knochen der Weissagung warf, sah ich nichts anderes als den Sensenmann. Aber ich wusste nichts Genaues und wollte einfach nicht wahrhaben, dass Loktai etwas geschehen sein konnte. Es tut mir leid, Bullwai.“

„Knochen der Weissagung – daran hab ich noch nie geglaubt“, entgegnete Uchnoth. „Und was ist unseren fünf Stammesbrüdern geschehen, die Loktai begleitet haben? Haben sie die Angreifer verfolgt oder sind sie aus Scham, dass sie ihren Anführer nicht verteidigen konnten, geflohen?“

„Viel wahrscheinlicher ist leider, dass die Mörder ihre Leichen in die Gauragar-Schlucht geworfen haben und sie mittlerweile von Wargen oder anderen Viechern gefressen wurden“, sagte Panca.

„Aber wenn es so war und sie ausgerechnet die Leiche Loktais nicht geschändet haben…“, überlegte Ugluk.

„…dann wussten sie genau, dass er der Häuptling war! Das heißt sie kannten ihn und die Ashtrogs sehr genau“, brachte Bullwai den Gedanken zu Ende.

Von diesem Tag an trachtete Bullwai danach, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten und seinem Andenken Ehre zu machen. Und das fiel ihm nicht schwer. Er bewies fortwährend, dass er sich auf Jagd und Kriegshandwerk und alle anderen Geschäfte, mit denen das Schicksal der Orks verflochten war, bestens verstand und verdiente sich den Respekt seiner Gefolgsleute.

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, sagten die Leute gern. Manchmal stimmte das sogar zum Guten hin.

1 Orkisch, in der Gemeinsamen Sprache: „Anführer, Boss“

2 In der Gemeinsamen Sprache: orkisch dantar – „Heimat“, mar – „Erde, Boden“

3 In der Gemeinsamen Sprache: orkisch zerk – „Zauber, Magie“, gur – „Herr, Meister, Gebieter“

4 In der Gemeinsamen Sprache: orkisch por – „Brücke, Übergang, Pass“

5 Orkisch, in der Gemeinsamen Sprache: „Vater“

6 Orkisch, in der Gemeinsamen Sprache: „Der Eine (Gott) muss uns hassen!“

Drittes Kapitel: Die Ashtrogs

Das Schlemmen, Schmatzen und Rülpsen war in vollem Gange, und alle Ashtrogs waren ausgelassen und dachten für eine Weile nicht an die Anstrengungen, Sorgen und Nöte, die sonst ihren Alltag bestimmten.

Rechts neben dem jungen Häuptling saß Panca, die noch von seinem Vater in den Rang einer Befehlsgeberin erhoben worden war. Damals wurde gemutmaßt, dass es wohl einfach eine fixe Idee von Loktai war, eine weibliche Stammesangehörige mit jener wichtigen Position zu betrauen. Oder aber dass er auf diese Weise die Verbindung zwischen seinem Sohn und dessen Jugendfreundin in die Wege leiten wollte. Nach ihrer Berufung brauchte die Orkin jedoch nicht sehr lange, um alle, die an ihrer Eignung zweifelten, eines Besseren zu belehren. Ihre gegenüber ihren männlichen Artgenossen mangelnden Kräfte machte sie allzu leicht durch Gewandtheit, Schnelligkeit und Finesse wett. Und ihrer anfangs fehlenden Erfahrung setzte sie ein immenses Maß an Entschlossenheit, Fleiß und Mut entgegen.

Das Besondere an Orkinnen ist, sagte Ogrey einmal, als er mehr Wein als sonst getrunken hatte und seine Zunge besonders gelockert war, dass sie im Gegensatz zu uns Orks hin und wieder zuerst denken und dann handeln.

Vielleicht hatte Loktai dies ebenso erkannt.

Auf jeden Fall pflegten Panca und Bullwai eine zutiefst freundschaftliche Bande, was man daran sehen konnte, dass sie zuweilen lange und vertrauliche Gespräche führten. Die einzige Person, der der junge Häuptling ähnlich viel Aufmerksamkeit schenkte und die ihn sogar an manchen Tagen aufheitern konnte, war Ogrey. Mit diesem hatte er sich bereits blendend verstanden, als er noch ein Kind und der nun ältere Ork der beste Freund Loktais gewesen war. In Bullwais späteren Jahren hatte er ihn sogar bei Dingen ins Vertrauen gezogen, über die er nicht einmal mit seinem Vater reden wollte. Ungeteilte Aufmerksamkeit, Vertraulichkeit und bestgemeinter Rat waren ihm daraufhin stets sicher gewesen.

Mittlerweile traten die Sehnen an Ogreys noch immer kräftigen Armen allzu deutlich hervor, sein Gesicht war im Laufe der Zeit unübersehbar faltenreicher geworden, und auf seinem Schädel wuchsen kaum noch Haare, sodass sich seine wachsamen und scharfsinnigen Augen noch stechender als früher abzeichneten. Zu seinen wesentlichsten Eigenschaften zählten sein Gleichmut und seine bissige Ironie, von der niemand verschont blieb. Er schien es wahrlich zu lieben, anderen ihre kleinen Unzulänglichkeiten, von denen ihm keine einzige verborgen blieb, wie einen Spiegel vorzuhalten. Gleichwohl waren seine Reden niemals wirklich verletzend und stets mit einer Prise leicht verdaulichem Humor gewürzt, weshalb er weitgehend Narrenfreiheit in diesen Dingen genoss.

Uchnoth, der nächste Befehlsgeber des Stammes, war ein komplett anderer Charakter und wies in seinem Lebenslauf eine große Besonderheit auf: er war kein gebürtiger Ashtrog, sondern einst ein Angehöriger der Takskalls7 gewesen. Innerhalb jenes Stammes waren einige Jahre zuvor, in Anschluss an den Tod von dessen Häuptling Boroth, große Unruhen ausgebrochen, in deren Verlauf er sich weder für die eine noch für die andere der Streitparteien entscheiden konnte. Da er zudem, trotz seines aufbrausenden Wesens, von seinem Naturell her eine intakte Gemeinschaft, in der er sich geborgen und gut aufgehoben fühlte, mehr als alles andere ersehnte, hatte er sich schließlich dazu durchgerungen, sich von seinem Clan zu trennen.

Die Orks Dantar‘Mars empfanden trotz der vielen Fehden, die mitunter bis hin zu blutigen Kämpfen um Vorherrschaft und Nahrung führen konnten, stets Respekt und Wertschätzung gegenüber den zahlreichen anderen Stämmen, die auf ihrem Kontinent beheimatet waren. Dementsprechend hatten sie auch für deren Nöte immer ein offenes Ohr und boten die Möglichkeit, Angehörige anderer Clans in den eigenen aufzunehmen, wenn es denn gute Gründe dafür gab. Als nunmehr Uchnoth seinerzeit um Aufnahme bat, hatte er vor allem den Vorteil auf seiner Seite, dass er zuvor bereits die Position des Befehlsgebers innegehabt hatte. Da innerhalb eines namhaften, kriegerischen Clans wie den Takskalls eine solche Ehre nicht gerade jedermann zuteilwurde, war gewiss, dass man ihn zumindest zu kämpferischen Zwecken sehr gut gebrauchen konnte. Zudem war er Loktai kein Unbekannter gewesen, da er im Gefolge von Boroth und dessen Sohn und Nachfolger Glauroth – welcher der einzige war - der ihn an Masse und Kräften noch übertraf, die Siedlung der Ashtrogs bereits freundschaftlich besucht hatte.

Uchnoth war ständig ungeduldig, unbeherrscht und erpicht auf ein Kräftemessen und neue Herausforderungen. Darüber hinaus führte er ein großes Wort und aß und trank reichlich viel. Andererseits war er unbedingt aufrichtig, treu und sich für keine Arbeit zu schade.

Sein liebster Kontrahent war Ugluk, und man konnte meinen, dass die beiden eigens füreinander geschaffen waren. Der vierte im Bunde der Befehlsgeber wirkte auf den ersten Blick wenig respekteinflößend, denn er war kleiner als die meisten anderen, kämpfte stets mit leichtem Übergewicht und hatte rundliche, für einen Ork weiche und freundliche Gesichtszüge. Ugluks Äußeres täuschte jedoch darüber hinweg, dass er äußerst klug, mutig und flink war. Überdies besaß er eine geradezu sprichwörtliche Schlagfertigkeit, denn er wusste auf jede Frage und jedes Problem eine überzeugende, gewitzte Antwort und parierte sogar die Provokationen und Beleidigungen Uchnoths mühelos mit geschliffenen Worten.

Und natürlich saßen sich die beiden Streithähne bei Tisch stets genau gegenüber. Und auch dieses Mal konnte man die Sanduhr danach stellen, wie lange es dauern würde, bis sie sich in die Wolle kriegen und die anderen damit erheitern würden.

Zuletzt gilt es, unter den wichtigsten Ashtrogs Tendarr zu nennen. Dieser hatte ein Erscheinungsbild, wie es sich für einen Zerk‘Gur gehörte, denn sein schlaksiger Leib war übermäßig mit Ringen, Reifen und Ketten bedacht, in sein langes, schütteres Haar waren mehrere kleine Zöpfe eingeflochten, wodurch er wilder wirkte als er tatsächlich war, und immer trug er einen kleinen Stab aus Knochen und einige Beutel mit seltsam riechenden Substanzen mit sich. Wie alle Schamanen hatte er die Eigenart, ein Leben als Einzelgänger am Rande des Stammeslebens zu führen. Jene Zurückgezogenheit war unbedingt notwendig, um ungestört Studien zu betreiben, in Kontakt mit geheimnisvollen, unsichtbaren Mächten zu treten und die geistigen Kräfte aufzusparen für die Augenblicke, da sie dringend benötigt wurden. Besonders seine Heilkräfte wurden rege in Anspruch genommen, denn gerade sehr junge und sehr alte Orks waren anfällig für Krankheiten, und Wunden und Blessuren waren ohnehin an der Tagesordnung. Neben dem Verwenden von allerlei Tränken und Salben sagten die Zerk‘Gur das Wetter voraus – wobei sie, zurückhaltend formuliert, nicht immer richtig lagen – und trafen Prognosen darüber, zu welcher Zeit die Sterne für bestimmte Unternehmungen am günstigsten standen. Weiterhin waren sie zuständig für jedwede Art von Zeremonie und Ritus, deren Bedeutung für die Clan-Gemeinschaften keineswegs zu unterschätzen war.

Das war der feine Unterschied zwischen den meisten Zauberern der Menschen und den orkischen Schamanen: während die einen sich häufig auf beeindruckende Experimente und große Werke konzentrierten, die nicht zuletzt ihnen selbst die größten Vorteile versprachen, waren die Leistungen letzterer eher praktischer, manchmal unscheinbarer Natur.

„Du bist wirklich selbst zum Fressen zu blöd, die Hälfte hast du entweder auf dem Tisch verteilt oder an dir hängen! Man sollte dir solange nur noch Kinderportionen geben, bis du gelernt hast, wie ein erwachsener Ork mit Messer und Gabel umzugehen!“ Dieses Mal war es Ugluk, der damit begonnen hatte, seinen Lieblingsgegner zu reizen.

Längst waren die üblicherweise nach einem Mahl einsetzenden verbalen Ausschweifungen in vollem Gange. Zu denselben gehörten neben derben Späßen, zweideutigen Sprüchen und schmutzigen Witzen auch üble Beleidigungen, die nicht selten zu körperlichen Auseinandersetzungen führten. Für Orks war solch ein Verhalten völlig normal. Manche vermuteten, dass sie solcherlei für ihren Seelenfrieden sogar brauchten.

Uchnoth stutzte und schaute sich um, um sicherzugehen, dass auch tatsächlich er gemeint war. Er war immer noch damit beschäftigt, große Stücke Brotfladen in eine dunkle Soße zu tunken. Ebenso gut hätte er damit sein Kinn abwischen können, denn dieses war über und über mit einer Mischung aus Essensresten, Bratenfett und Soße beschmiert. Dazu passend war sein gesamter Tischbereich auf das Feinste besudelt und mit Knochen und anderen Abfällen übersät. Ugluk hatte diesen Anblick sogleich genutzt, um der gewohnten Herausforderung seines Gegenübers mit einer eigenen Attacke zuvorzukommen. Zufrieden darüber setzte er ein breites, abwartendes Grinsen auf. Da alle, welche die Worte des kleineren Orks gehört hatten, sogleich zu lachen anfingen, verging auch Uchnoth endlich der Appetit. Mit einiger Verzögerung hatte nun auch er keinen Zweifel mehr daran, dass man sich über ihn amüsierte.

„Du fette Made, deinen Wanst sollte man auf Hungerkost setzen! Außerdem bin ich ein Ork, falls du weißt, was das ist! Und Orks, die was auf sich halten, fressen sich anständig satt, wann immer sie können!“

In der Phase nach dem Essen ziehen sich Uchnoths Denkvorgänge noch länger hin als sonst und man kann ihn herrlich leicht überrumpeln, dachte Ugluk

„Und was gafft ihr mich alle so an, ihr Weicheier? Kümmert euch um euren eigenen Kram!“, schrie der große Ork danach mit seiner dunklen, barschen Stimme. Dabei ließ er seine Blicke drohend umherwandern und hieb mit der rechten Pranke fest auf den Tisch, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Allmählich schien er Fahrt aufzunehmen.

Die Erschütterung hatte zur Folge, dass sich allerlei Geschirr- und Besteckteile geräuschvoll in die Luft erhoben. Eine größere, schlecht abgenagte Hasenkeule, die fett mit einer scharfen Würzpaste eingerieben war, flog einem Ork im hohen Bogen genau ins Gesicht. Vor einem anderen kippte ein Krug Horbuth-Wein um und leerte seinen Inhalt genau auf seine Hose. Zum Glück war es nicht Winter, wo man das Getränk manchmal heiß trank. Ein lautes Fluchen der Betroffenen war daraufhin zu vernehmen.

„Das habt ihr davon, wenn ihr eure blöde Fresse nicht halten könnt!“, blaffte der Befehlsgeber unter dem Gejohle der unbeteiligten Zuschauer. Ugluk, der den Tumult angezettelt hatte, fiel freudig in das Gelächter seiner Tischnachbarn ein.

Der nächste Schritt folgte prompt. Kein Ork würde es auf sich sitzen lassen, dass er vor allen bloßgestellt worden war, und dazu die Gelegenheit auslassen, eine gepflegte Schlägerei anzufangen. Somit nahm einer derjenigen, der von dem Wutausbruch des Befehlsgebers Schaden genommen hatte, einen umherstehenden Becher mit Wein und kippte den flüssigen Inhalt einem anderen Ork, der ihn gerade aus voller Kehle auslachte, in die Visage. Der beleibte Kerl mit der breiten Nase, der auf diese Weise gepeinigt worden war, bekam erst einmal einen ordentlichen Hustenanfall. Man konnte sagen, dass ihm das Lachen förmlich im Halse stecken blieb. Grunzend leckte er noch ein paar Tropfen von dem roten Saft auf, der ihm aus Mund und Nase lief. Dann stieß er seine rechte Faust nach vorne und schlug seinem Gegenüber aufs rechte Auge. Der Getroffene kippte grunzend nach hinten und stieß hart gegen seinen Nachbarn, worauf dieser ebenfalls in Rage geriet.

Wer orkische Gesellschaften im Allgemeinen und die Ashtrogs im Speziellen kannte, der wusste, dass die nun folgende Kettenreaktion unvermeidlich war. So als hätten beinahe alle Teilnehmer an dem Bankett nur darauf gewartet, flogen urplötzlich an allen Ecken die Fäuste, Teller und Schüsseln gingen zu Bruch, Tische und Stühle wurden umgestoßen und zweckentfremdet, und die dröhnenden Stimmen der Orks erhoben sich zu den übelsten Beschimpfungen, die man sich nur denken konnte (wenn man von den Zwergen, denen in dieser Hinsicht keiner etwas vormachte, einmal absah). Dabei war völlig unklar, wer hier gegen wen kämpfte, denn es gab keine erkennbaren Parteien, Seilschaften und Grüppchen. Völlig wahllos knöpfte sich jeder der Streithähne denjenigen vor, der ihm zufällig am nächsten stand, und traktierte ihn mit satten Schellen, Fausthieben, Klammergriffen und was ihm sonst noch einfiel.

Insbesondere Uchnoth schien bei der ausgelassenen Prügelei den allerschönsten Spaß zu haben. Nachdem er einen seiner Kontrahenten mit einem senkrechten Faustschlag von oben auf den Hirnkasten in einen wohlverdienten Schlummer verabschiedet hatte, trommelte er sich wie ein wildgewordener Bulok – eine riesige Bärenart – auf die Brust.

„Wer will sich noch mit mir anlegen, ihr Memmen?“, rief er laut aus.

Ein drahtiger Ork sprang daraufhin gelenk auf den Tisch vor ihn und brüllte wie bekloppt, was wohl so etwas wie eine Annahme der Herausforderung ausdrücken sollte. Kurzerhand packte der ehemalige Takskall die Kante der Tischplatte und kippte die gesamte Tafel mittels einer rohen Kraftanstrengung nach hinten um. Der andere Ork bedauerte seine akrobatische Einlage danach sogleich, denn er verlor das Gleichgewicht, wurde kreischend zu Boden geschleudert und unter einem ganzen Berg von Speiseutensilien begraben. Uchnoth amüsierte sich darüber köstlich und klopfte sich mit seinen prankenhaften Händen auf die Schenkel.

Und so ging es weiter. Wie durch ein Wunder endete diese Art von orkischem Meinungsaustausch jedoch stets ohne schwerwiegende Verletzungen. Da sollte noch einmal jemand sagen, dass Gord nicht seine schützende Hand über seine Zöglinge hielt!

7 In der Gemeinsamen Sprache: orkisch tak – „groß, riesig“, skall – „Kopf, Schädel“

Viertes Kapitel: Eine schwere Entscheidung

Inmitten des ausgebrochenen Tumults gab es drei Ashtrogs, von denen sich alle anderen fern hielten, so als wären sie Geister, die man besser ignorieren sollte, oder ganz einfach unsichtbar.

„Kommt, lassen wir die Kinder spielen und gehen in meine Hütte. Wir haben etwas zu bereden“, sagte Bullwai zu Ogrey und Panca. Dabei musste er seine Stimme heben, um einigermaßen verstanden zu werden.

Die Angelegenheit, in welcher sich der Häuptling mit seinen engsten Vertrauten nun schon seit Tagen immer wieder beriet, betraf die Kunde eines Boten, der vor drei Tagen in der Siedlung erschienen war. Bei demselben hatte es sich um einen Ork gehandelt, der nach seinem Eintreffen angab, in dringendem Auftrag aus Norda‘Mar zu kommen. Dabei wirkte er ziemlich aufgeregt. Die Ashtrogs hatten zuerst gedacht, dass der Ärmste den Verstand verloren hätte, denn es gab bekanntlich keine Orks auf dem nördlichen Kontinent. Das dachten sie zumindest. Allerdings hatte der Bote darauf bestanden, dass vor bald einem Jahr einige ihrer Art den Norda‘Por überquert und eine Siedlung gegründet hatten. Dieser hatten sie den Namen Durotar8 gegeben. Der Name sollte wohl so etwas wie eine Warnung an alle darstellen, die den Orks gegenüber feindlich gesonnen waren. Was wohl so ziemlich alle Wesen betraf, die es in Norda‘Mar gab.

„Ich habe vor einer Weile bei einer Jagd einige Orks getroffen“, hatte Ugluk im Beisein des Boten angemerkt, „die mir von dem Gerücht erzählt haben, dass mehrere Clans gemeinsam den Norda‘Por überquert hätten. Natürlich habe ich dem Gerede keine große Beachtung geschenkt, denn wir alle wissen, wie es Menoth seinerzeit ergangen ist.“

„Hättest Du mal besser dein Maul aufgemacht und uns vorgewarnt“, war Uchnoths Kommentar dazu gewesen.

„Die Urobash9 und ihre Verbündeten waren als Eroberer nach Norden gegangen. Sie waren ausschließlich Krieger, die die erstbesten Siedlungen der Menschen angriffen. Und dafür haben sie die Quittung bekommen“, hatte Panca bemerkt.

„Und das ist immerhin mehr als vierhundert Jahre her“, hatte Ogrey hinzugefügt. „Zeiten ändern sich.“

Der fremde Ork hatte weiter berichtet, dass man im Gegensatz zu Menoth eben nicht als aggressive Besatzer, sondern als friedliche Siedler nach Norda‘Mar gekommen sei. Rund tausend Orks habe der Zug zunächst gezählt, und später seien noch weitere hinzugekommen. Orks und Orkinnen mit Kind und Kegel aus allen Teilen Dantar‘Mars, die das einzige Ziel besaßen, sich auf dem nördlichen Kontinent eine neue Heimat zu erschließen. Und tatsächlich habe es anfangs so ausgesehen, dass sich die Hoffnungen auf ein besseres Leben erfüllen würden, denn das Land war fruchtbar und gut, und von den Menschen hielt man sich erfolgreich fern.

„Aber wie seid ihr überhaupt auf die Idee gekommen, solch ein waghalsiges Unterfangen auf euch zu nehmen? Ich meine, wer ist euer Anführer und hat das Ganze geplant?“, hatte Bullwai den Boten gefragt. Und die Antwort auf diese spannende Frage war das eigentliche Mysterium an der Geschichte.

„Es gibt da einen Zerk‘Gur“, hatte der Ork geantwortet, „den man Zarr Mudah nennt.“

Ogrey hatte erwidert, dass er diesen Namen schon einmal gehört habe. Allerdings handle es sich dabei um eine sagenhafte Gestalt, um einen Schamanen, der vor langer Zeit gelebt haben und sich mit verruchten Bereichen der Zauberei befasst haben sollte. Dämonologie, Nekromantie, Blutopfer und so weiter.

Den Schilderungen des Boten zufolge sei Zarr Mudah wie aus dem Nichts bei verschiedenen Clans erschienen und habe sie davon überzeugt, die Wanderung nach Norden anzutreten. Seine Geschichte besagte, dass er im Auftrag des Herrn Durotars unterwegs sei. Dieser habe den Grundstein zu einer orkischen Stadt in Norda‘Mar gelegt – zu einer Stadt für alle Orks. Die Aussicht darauf war fürwahr verlockend.

„Der Herr Durotars? Wer soll das sein?“, hatte Ugluk gefragt.

„Ist er ein Ork?“, hatte Uchnoth wissen wollen.

„Das ist schwer zu sagen“, hatte der Bote geantwortet. „Man hat ihn noch niemals ohne seine schwarze Rüstung gesehen, zu der auch ein Helm gehört, dessen Visier er niemals öffnet. Er spricht wenig, und wenn, dann klingt seine Stimme blechern und tief. Meistens benutzt er die Gemeinsame Sprache, aber manchmal spricht er auch fließend Orkisch. Auf jeden Fall hat er eine höchst beeindruckende Ausstrahlung, ganz zu schweigen von seinen Fähigkeiten im Kampf. Ich habe noch niemanden gesehen, der sich so schnell bewegen kann wie er!“

Der Schwarze Gebieter – so nannten ihn die Bewohner Durotars.

Der Bote hatte artig die Grüße seines Herrn ausgerichtet und alsdann sein Anliegen vorgebracht: die Orks Norda‘Mars würden dringend die Hilfe ihrer Brüder und Schwestern benötigen, denn man habe gute Gründe anzunehmen, dass ein Angriff der Menschen auf ihre Siedlung bald bevorstand. Sollte es gemeinsam gelingen, die Angreifer zurückzuschlagen, dann gäbe es anschließend für alle Orks, die bleiben wollten, genügend Platz und Nahrung. Zu den Clans, die mittlerweile den Weg nach Norden gefunden hatten, würden übrigens auch die Takskalls gehören, was selbstverständlich Uchnoth interessiert die Augen hatte rollen lassen.

Vorsorglich hatte der Ankömmling eine Karte übergeben, die man auf eine Rolle Kuhleder gezeichnet hatte und die den ungefähren Weg nach Durotar aufzeigte.

Mit diesen Worten hatte er sich auch schon wieder verabschiedet. Rastlos und flink hatte er sich auf das braune Pferd, mit dem er gekommen war, geschwungen und war davongebraust. Schließlich gäbe es noch einige weitere Stämme, die man aufsuchen musste.

„Habt ihr das Pferd gesehen?“, hatte Panca gefragt. „So eine Rasse ist mir in Dantar‘Mar noch nie untergekommen. Groß und stolz und gut genährt.“

„Hmm. Wie es scheint, leben sie in Norda‘Mar wie die Maden im Speck“, war Bullwais lakonischer Kommentar gewesen.

Die Hütte des Häuptlings unterschied sich nicht wesentlich von denen der gemeinen Stammesmitglieder. Sie hatte ein steinernes Fundament, bestand größtenteils aus Holz und reichlich Stroh zur Dämmung und bot ausreichend Platz für eine mittlere Familie. Bemerkenswert war ihre Form, denn sie war beinahe rund, was eine Idee von Bullwais Großvater gewesen war, den er nie kennengelernt hatte. In dem Wohnraum stand ein großer Tisch aus knorrigem Holz, und darüber hingen an der Wand ein leicht schartiges Schwert und ein Bogen, der auch schon bessere Tage gesehen hatte. Dies waren die Waffen Loktais gewesen. Bullwai hatte sie in der Nähe des Leichnams seines Vaters gefunden, aufgehängt und danach nie wieder angerührt. Dafür erstrahlte die Hütte in einer Sauberkeit, die für Orks ungewöhnlich war. Erst recht für einen männlichen.

„Wir müssen bald eine Entscheidung treffen“, schickte Ogrey vorab. Dabei befleißigte er sich, den leicht spöttischen Ton, der er sonst an den Tag legte, beiseite zu lassen und seine Worte bedeutsam klingen zu lassen. „Entweder wir sagen den Durotarern, wie sie sich nennen, unsere Unterstützung zu oder wir entschließen uns dazu, uns weiterhin allein um unsere eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Für beides gibt es gute Gründe, doch eine Antwort sind wir schuldig. Außerdem lastet die Ungewissheit auch auf unseren Leuten, da sie nicht wissen, was sie von dieser Sache halten sollen und was dies für sie bedeutet.“

„Dasselbe sagst du nun schon seit drei Tagen“, raunte Bullwai missmutig. „Sag einfach ja oder nein und die Dinge sind geklärt. Aber so einfach läuft es nicht. Es geht hier immerhin um Krieg. Und um eine Wanderung in die Ferne, eine Wanderung ohne Wiederkehr womöglich. Und es gibt zu viele offene Fragen, die uns niemand beantworten kann. Wichtige Entscheidungen sollte man am besten dann treffen, wenn man alle Hintergründe kennt. Und davon kann hier keine Rede sein.“ Der junge Häuptling rutschte mit seinem Hocker näher an die Tischplatte heran, stützte sich mit den Ellbogen darauf ab und legte den Kopf auf die Fäuste. Was man getrost als Zeichen dafür werten konnte, wie schwer die Verantwortung auf ihm lastete.