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Ragoo und ihre Freunde lösen ihr Versprechen ein: Die dunkle Stadt "Schasch-Garan" soll wieder Licht bekommen. Doch im Licht wird deutlich, dass sie den Ellujannuud helfen müssen, die Stadt wieder in Besitz zu nehmen. Dann werden sie plötzlich angegriffen und stellen fest, dass der Ursprung des Angriffs mit einem seltsamen Funkruf-Zeichen in Verbindung steht. Ihre Reise führt sie in die Hochalpen und dort stoßen sie auf eine Gruppe, die niemand dort erwartet hätte. Der Fokus in diesem Buch liegt auf Yara. Einerseits macht ihr das Funksignal zu schaffen - und andererseits liegt ihre Herkunft in gerader Linie hinter dem Ort, an dem Ragoo und ihre Freunde eine eigenartige Begegnung mit dieser Gruppe haben, die hier in den zentralen Alpen schon seit sehr langer Zeit im Verborgenen lebt. Und während Rofarlin und Gorusch sich dem Thema der Aufnahme der Menschen aus dem Habitat stellen müssen, trifft Yara eine einschneidende Entscheidung.
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Seitenzahl: 647
Veröffentlichungsjahr: 2025
www.tredition.de
Rainer Gellrich, Jahrgang 1964
Begeisterter Science-Fiction-Leser, geprägt durch Werke von Christopher Samuel Youd, Stanislaw Lem, Robert A. Heinlein, Isaac Asimov und Frank Herbert.
Unter dem Label „Syberian Cluster“ begann er ab 2018 damit, seine Gedanken in einer Reihe von Erzählungen niederzuschrei-ben.
Bisher erschienen:
-Kaotatu (2020)
-No GAra (2021)
-Schwestern der Ewigkeit (2022) -Die Tempel von Tululu (2023) -Die letzte Burg der Ketzer (2025)
Neben dieser Reihe veröffentlichte er auch ein Kinderbuch:
Als der Elefant den Weihnachtsbaum gefressen hat (2022)
2023 begann er zusätzlich mit der Serie „Birkenbock“
Daraus bisher erschienen:
Hafen ohne Wiederkehr / Wattengold (2024)
Sie kamen aus der Tiefe des Raums.
Aus den Wirren der Frühzeit erhoben sie sich,
ihren Horizont zu erweitern.
Sie lernten, die Große Leere zu durchqueren
und suchten nach neuem Lebensraum.
Mit der Vielzahl neu entdeckter Sternensysteme vergrößerte sich die Varianz und bald überließen
die Eltern ihre Kinder sich selbst.
Die Kinder blickten zu den Sternen hinauf.
Sie spürten die Verbindung und verarbeiteten sie
in Mythen und Monumenten.
Doch die Eltern erinnerten sich ihrer Kinder
und schickten Botschaften aus.
Von einem dieser Sternensysteme aus würde man
den Ursprung dieser Botschaften im Sternbild
„Perseus“ vermuten.
Rainer Gellrich
Die letzte
Burg der
Ketzer
Schwestern und Brüder
Syberian Cluster V
© 2025 Rainer Gellrich
Website: https://SyberianCluster.de
Coverdesign: Rainer Gellrich
Bilder: Rainer Gellrich
Satz Layout: Rainer Gellrich
ISBN
Softcover 978-3-384-50378-7 Hardcover 978-3-384-50379-4 E-Book 978-3-384-50380-0
Druck und Distribution im Auftrag des Autors:
tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustim-mung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Au-tors, zu erreichen unter:
Rainer Gellrich, Mannheimstraße 48, 38112 Braunschweig, Germany .
Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung:
Aktueller Info-Kanal:
Schwer zu sagen, wem ich alles danken sollte: Denjenigen, die mir die Ideen und Vorlagen für die Handlungen und Personen gegeben haben oder denjenigen, die mir die Zeit und den Raum gegeben haben, dieses Werk über die Zeit entstehen zu lassen?
Der größte Teil meines Dankes sollte wieder meiner Frau gelten, die mich während der Zeit des Entstehens ertragen hat. Trotz ihres grund-sätzlichen Desinteresses am Science-Fiction Genre hat sie sich immer wieder tapfer durch alle Kapitel gearbeitet und mich dabei unterstützt, aus verwirrenden Gedanken nachvollziehbare Inhalte zu formen und war wieder einmal traurig, als die letzte Seite der Geschichte erreicht war.
Auch danke ich erneut jenen, die mir wieder Rückmeldungen gegeben haben und allen, mit denen ich über den Inhalt diskutieren durfte. Ich habe auch ihre Gedanken als Unterstützung gern angenommen und freue mich darüber, dass ich wohl nicht nur den Geschmack einer spe-zifischen Leserschaft getroffen habe, sondern auch neue Leser für diese Art von Geschichten begeistern konnte.
Leider ist die Geschichte noch immer nicht zu Ende erzählt. Ob ich meine Zeit einer Fortsetzung oder einem weiteren Kriminalfall widmen werde, ist noch nicht entschieden.
Die Vorbereitungen für die Erstellung von Hörbüchern haben begon-nen, um auch diejenigen zu beglücken, die sich etwas vorlesen lassen möchten.
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Inhaltsverzeichnis
1 – Genesis ............................................................................. 9
2 – Erleuchtung ................................................................... 25
3 – Schasch-Garan .............................................................. 44
4 – Erkenntnisse .................................................................. 71
5 – Aufräumarbeiten .......................................................... 94
6 – Grundbausteine .......................................................... 119
7 – Mondblick ................................................................... 146
8 – Das Funksignal ........................................................... 172
9 – Die Höhenburg ........................................................... 191
10 – Gegenwehr ................................................................ 211
11 – klopf-klopf ................................................................ 235
12 – Die Torwächter ......................................................... 257
13 – Falken und Moor-Elfen ........................................... 280
14 – Ein unschöner Abgang ............................................ 302
15 – Der Rat........................................................................ 325
16 – Einmischung ............................................................. 349
17 – Über den Berg ........................................................... 367
18 – Mehr Licht ................................................................. 387
19 – Dem Ruf folgen ........................................................ 410
20 – Abschied .................................................................... 434
21 – La Defense ................................................................. 452
Hinweise ............................................................................ 479
1 – Genesis
H allo Manni. Eigentlich hätte ich es ja nicht geglaubt, aber Silvias Be-mühungen, mir die Stelle in Edinburgh auszureden, trägt wohl lang-sam Früchte. Aber schade ist es dennoch. Ich hatte mich doch schon darauf gefreut, in eines der Cottages zu ziehen, die von der Uni bereitgestellt werden und mal dort zu arbeiten, wo andere Leute Urlaub machen, aber seit diesem unsinnigen Brexit ist alles viel schwieriger geworden.
Ich hatte letzte Woche einen Termin bei der Institutsleitung und ich war nicht allein da. Es gab wohl viele Meldungen für diverse Auslandsoptionen und in diesem gemeinsamen Termin erfuhren wir, dass die Zusammenarbeit mit aus-ländischen Unis insgesamt gerade relativ schwierig ist.
Natürlich würden sie es mir nicht direkt verbieten können, aber ich wäre – in vielfältiger Hinsicht – auf mich allein gestellt und reihum zogen wir alle unsere Bewerbungen wieder zurück. Wen wundert’s?
Warum ich dir schreibe? Gestern kam eine Mail aus Wien. Du kannst dir meine Überraschung vorstellen, wenn ich dir mitteile, dass die mein Team und mich quasi „angefordert“ haben.
Ja, wirklich. Wir haben es unseren Familien noch nicht gesagt und ich möchte dich auch bitten, es noch für dich zu behalten, aber wir werden das Angebot wohl annehmen.
Du könntest mir allerdings einen Gefallen tun: Bitte frage doch mal unter dei-nen Kontakten herum. Mich interessiert, warum die in Wien derzeit so drin-gend nach Geologen suchen. Die müssten doch selbst ausreichend davon haben – oder?
Grüße, Bernhard
Aus der Loseblattsammlung
Ragoo zog die „Sternenwanderers Traum“ langsam in die Höhe und achtete darauf, keinen Schatten auf das Loch in der Bergflanke zu wer-fen. Das von ihrem Standort aus übertragene Bild sollte den nun folgen-den Vorgang allen Zuschauern ihrer Übertragung in allen Einzelheiten und in aller Deutlichkeit zeigen.
Malin hatte den Bohrer gestoppt und das Einziehen der Vorrichtung eingeleitet. Die in den Schacht gedrückte Hülse verhinderte, dass Mate-rial von den Seiten des Bohrlochs in dieses hineinsackte und im Gegen-satz zu Ragoo achtete sie sehr genau darauf, dass der von der „Traum-fänger“ erzeugte Schatten exakt auf dem Schacht mit der freigelegten Luke am unteren Ende lag.
Sie prüfte immer wieder ihre genaue Position und alle Einstellungen, während sie zunächst langsam und vorsichtig den Aufstieg einleitete. Davon überzeugt, dass der Schacht stabil war, zog sie den Gleiter immer schneller nach oben. Sie ließ sich von Kylie helfen, dabei weder die Rän-der des Schachtes zu berühren noch den direkten Schatten von der ganz unten nur noch schwach erkennbaren Luke zu nehmen.
Alles schien in Ordnung. Die Hülse hielt die Wände stabil. Die Luke ganz unten im Schacht war von ihrem Standort aus nicht mehr zu erken-nen, aber Kylie zeichnete die relative Position in eines der Displays ein. Sie atmete tief durch und sprach dann langsam: „Es werde Licht!“
Sie hatte diese Worte in einem von Rofarlins Büchern gelesen – vor langer Zeit. Sie schienen zu dieser Situation zu passen. Es lag zwar noch ein wenig Staub auf der Luke, aber sie hoffte, dass dennoch genügend Licht hindurchscheinen würde, um unten, in Schasch-Garan, den ge-wünschten Effekt zu bewirken.
Sie vergewisserte sich kurz, wo sich die „Sternenwanderers Traum“ gerade befand und beschleunigte dann in einer Kurvenbewegung nach oben, sodass jetzt das volle Sonnenlicht ungehindert in das Bohrloch fiel.
Alle, die die Bilder der Sonde und die Aufnahmen von der „Sternen-wanderers Traum“ beobachteten und insbesondere diejenigen, welche in Schasch-Garan selbst gespannt an die Hallendecke geblickt hatten, wurden nicht enttäuscht: Zwar war der Strahl, der durch die jetzt freige-legte Lichtluke auf den Marktplatz fiel, nicht ganz so hell und scharf um-rissen, wie die Lichtstrahlen, die in der Siedlung auf den Boden schie-nen, aber es würde gehen müssen. Die Reinigungsmechanik würde spä-ter dafür sorgen, den restlichen Staub beiseite zu wischen, sofern sie denn noch funktionierte.
Tommak ließ die Drohne unter der Kuppel etwas absinken und auf der „Sternenwanderers Traum“ betrachteten sie gespannt die Bilder aus Schasch-Garan, welches seit langer Zeit wieder einmal durch Lichtein-fall durch seine Kuppel erhellt wurde.
Der Lichtstrahl schien auf den Marktplatz und dieser Strahl war das erste Licht, welches nach einigen Jahrhunderten wieder die Gebäude von Schasch-Garan sichtbar werden ließ. Wenn man erst alle Lichtluken freigelegt und den Staub beseitigt hätte, wäre es auch hier wieder so hell wie in der Siedlung nebenan und Schasch-Garan könnte wieder be-wohnt werden. Im Gegensatz zu „Elavo Lootus“, wie die benachbarte Siedlung auf einigen Karten benannt war, bestand Schasch-Garan fast ausschließlich aus Wohngebäuden, denn hier sollten einst diejenigen wohnen, die in den Pflanzungen und Werkstätten arbeiteten. Nach der gewaltigen Explosion, durch die damals alle Lichtluken verschüttet wor-den waren, gab man diesen Plan auf und so entwickelte sich das benach-barte „Elavo Lootus“ zu einer kompletten Siedlung, während Schasch-Garan allmählich in Dunkelheit versank.
Tommaks Drohne ging weiter herunter und näherte sich den Dä-chern der Häuser, die um den Marktplatz herumstanden. Auf den Dis-plays der „Sternenwanderers Traum“ wurden die ersten Menschen er-kennbar, die durch den verbindenden Tunnel aufgestiegen waren und sich nun auf den Dachterrassen versammelten.
Sogar Malin, die Schasch-Garan zu kennen glaubte, schaute ganz ver-sunken auf die Darstellung, die sie im Cockpit der „Traumfänger“ emp-fing. Immer mehr Häuser wurden sichtbar. Häuser, von denen sie bisher noch nicht gewusst hattee, dass es sie dort gab. In ihrer Vorstellung, die durch das geringe Dämmerlicht gespeist wurde, sah Schasch-Garan ganz anders aus.
Direkt neben Tommaks Drohne leuchtete ein schwaches Licht auf. Er drehte die Drohne langsam, bis der Ursprung des Leuchtens erkennbar wurde: Es war ein schwaches Glühen, welches an einem kleinen Punkt an einer Dachkante begann und sich von dort aus langsam ausbreitete.
Dor’El hatte schnell eine Erklärung dafür: „Das ist die ‚Grundbe-leuchtung‘ von Schasch-Garan“, sprach sie langsam, als müsste sie ihre Gedanken noch sammeln. „An den Gebäuden leben immer noch diese Leuchtbänder, die ribavalgustid. Die grundlegenden Bedingungen für ihr Gedeihen müssen sich über die ganze Zeit kaum verändert haben. Jetzt werden sie wieder aktiv. Es ist erstaunlich.“
Sie ließ auf einem der Displays eine Erklärung für diese biolumines-zenten Installationen erscheinen, die Ragoo bei ihrer Ankunft in der Siedlung der Überlebenden so bewundert hatte. Anscheinend war es dieser Mischung aus Kletterpflanze und Pilz, mit denen auch alle Ge-bäude der Siedlung versehen waren, gelungen, an dieser Stelle die Jahr-hunderte der Dunkelheit gut zu überstehen und sie reagierte jetzt auf das einfallende Licht. Immer stärker wurde das sanfte Leuchten. Es sah ein wenig so aus, als ob in dieser verlassenen Stadt langsam wieder alle Lichter der Häuser angingen.
Malin fragte sich, wie es erst aussehen würde, wenn es ihnen gelänge, noch eine weitere Luke zu finden und freizulegen. Würde dann das große Schasch-Garan – oder das, was von ihm nach Jahrhunderten der Dunkelheit und Herrschaft der Koletis noch übrig war – wieder in seiner alten Pracht erstrahlen?
Sie konnte sich nur schwer vom Anblick der Drohnenbilder trennen. „Öffnet mir mal die Rampe – ich komme wieder rein“, bat sie.
„Das solltest du auch“, meldete sich Kylie. „Ich bekomme hier so eine seltsame Anzeige … Moment!“ Für die auf der „Sternenwanderers Traum“ Anwesenden zeigte Kylie auf dem Frontdisplay jetzt eine takti-sche Anzeige der Umgebung. Ihnen näherte sich ein Objekt. Und es nä-herte sich rasch.
„Es sieht so aus, als kommt da etwas genau auf uns zu!“, bestätigte Tommak und schaute auf seine eigenen Displays. Unbewusst hatte er die Stimme erhoben. Seine Finger flogen über die Kontrollen.
„Details?“ Ragoo vergrößerte die Ansicht auf dem Hauptdisplay, aber das Objekt wurde nur als taktische Markierung dargestellt. Für eine optische Analyse war es noch zu weit entfernt oder … zu schnell.
„Richtung und Entfernung?“
Kylie benötigte nur Bruchteile von Clicks, dann liefen die Daten auf dem Display auf.
Das Objekt näherte sich aus süd-westlicher Richtung. Kylie hatte die Orientierungsbenennung schon vor einiger Zeit an die magnetischen Ei-genschaften und logische Organisation der vorhandenen Karten dieses Planeten angepasst, damit sie sich auch anhand historischer Kartenda-ten orientieren konnten.
Die Geschwindigkeit des anfliegenden Objekts entlockte Tommak ei-nen leisen Pfiff, während auf dem Hauptdisplay bereits die Zahlen für die Entfernung herunterzählten.
„Egal, was das ist, es ist wirklich schnell!“
„Zweihundert und … vier Clicks.“ Kylies Stimme ließ keinerlei An-zeichen einer Bewunderung erkennen.
„Kylie, bitte unterstütze Malin und …“ Ragoo drehte ihren Kopf zu Tommak, aber der war bereits in seine Konsolen vertieft. Ein Blick auf die andere Seite bestätigte ihr, dass auch Dor’El vollends beschäftigt war.
Was auch immer hier auf sie zukam, es war besser, sie wären darauf gut vorbereitet. Durch ihre Ausbildung war Ragoo bewusst, dass ein ho-hes Energiepotential Grundlage einer guten Verteidigung war, denn sie sah derzeit in dem sich nähernden Objekt nichts anderes als einen An-griff. Tommak und Dor’El schienen gerade alle Vorbereitungen zu tref-fen. Es fehlte nur noch ihre Pilotin.
„Wir sollten aufsteigen, sobald wir Malin aufgenommen haben“, empfahl Kylie. „Wenn es sich um einen anfliegenden Sprengkörper han-delt – und alle Hinweise deuten derzeit daraufhin, könnte sich der Scha-den durch seine Druckwelle nachteilig auf die Kuppel unter uns auswir-ken.“
Ragoo nickte, da leuchtete ein zweites Objekt auf dem Display auf und auch für dieses zählten die Zahlen bereits herunter.
„Zweites Objekt erkannt. Weitaus höhere Geschwindigkeit. Beide Objekte treffen uns in … 172 Clicks.“ Es war nicht genau erkennbar, in welcher Weise Kylie sie genau unterstützte, aber Ragoo sah an den An-zeigen, dass der Antrieb hochfuhr und Tommak sich bereit machte, die Abwehrschilde aufzurichten. Die Hauptrampe war bereits geöffnet und bereit, den Gleiter aufzunehmen.
„Ist sie drin?“ Ragoo suchte nach der Statusanzeige für die „Traum-fänger“. Die Anzeige für die große Luke zeigte, dass sie immer noch ge-öffnet war. Wie lange dauerte der Andockvorgang?
„160 Clicks.“
Ragoo kniff die Lippen aufeinander. „Was sind schon 160 Clicks“, dachte sie bei sich. Nicht viel, normalerweise. Hier schienen sich die Clicks jedoch endlos zu dehnen, während die Zahlen auf dem Taktik-Display immer kleiner wurden.
„Zwei Raketen, nach erster Einschätzung“, berichtete Kylie. „10 Clicks, dann können wir die Rampe schließen und aufsteigen. Tommak kann in 5 Clicks die Schilde aufbauen.“
Trotz ihrer Fähigkeiten bewunderte Ragoo die KI, die alle Vorgänge gleichzeitig zu steuern schien, während die menschliche Besatzung von ihrer Übung im Umgang mit den Kontrollen abhängig war, um den Überblick zu behalten.
Hatten sie denn den Überblick?
Dor’El hob den Kopf. „Sie ist drin!“
„Und los!“
Sie wollte es sich nicht vollständig von Kylie abnehmen lassen und hatte nur darauf gewartet, dass Malin die Traumfänger auf den Boden der großen Hangar-Schleuse aufsetzte. Immerhin galten hier die Gesetze der Physik und hätte sich die Traumfänger noch im Flug befunden, wäre der Gleiter vermutlich recht unsanft auf dem Boden der Schleuse aufge-schlagen.
Malin hatte den Gleiter aber schnell gelandet und ihn in den entspre-chenden Vorrichtungen verankert. Sie musste damit nicht warten, bis die Rampe vollständig geschlossen war. Die Anzeigen für die Schildge-neratoren zeigten bereits den Aufbau der Schilde an, während Dor’El dem Reaktor die notwendige Energie für Antrieb und Waffensysteme abverlangte.
Malin wusste, wann sie die gelandete „Traumfänger“ gefahrlos ver-lassen konnte, und stand schon startbereit neben der inneren Tür.
Bis sie ihren Platz an der Steuerung der „Sternenwanderers Traum“ eingenommen hätte, würde Kylie ihre Aufgaben übernehmen und ge-rade reckte sich der Bug der „Sternenwanderers Traum“ in die Höhe und schoss – zunächst noch unterhalb der Schallgrenze – schräg in den Himmel.
„Einhundert Clicks – wir schaffen es!“ Kylies sonore Stimme konnte sogar beruhigend wirken, stellte Ragoo belustigt fest.
Kylie ließ die Geschwindigkeits- und Höhenanzeige der „Sternen-wanderers Traum“ zusätzlich zu den Daten der anfliegenden Objekte auf dem Display erscheinen. Würden sie beim Start zu stark beschleuni-gen, könnte sich der entstehende Unterdruck ebenfalls nachteilig auf die Kuppel und das gerade noch so sorgfältig gebohrte und abgestützte Bohrloch auswirken, aber auch bei langsamerer Steiggeschwindigkeit befanden sie sich nach nur wenigen Clicks weit oben in der Atmosphäre, wo sie sich den beiden heraneilenden Objekten unter weitaus weniger Nebenwirkungen für die Kuppel entgegenstellen konnten.
Ragoo beobachtete die Leistungswerte des Antriebs und der Schilde und hoffte, Kylies Berechnungen das angemessene Vertrauen entgegen-bringen zu können, welches notwendig war, um die von einer Komman-dantin erwartete Ruhe auszustrahlen. Sie bemerkte, dass ihr dazu doch noch etwas die Routine fehlte. Die wenigen Tage der Vorbereitung wa-ren selbst für so eine relativ simple Situation kaum ausreichend.
„Siebzig Clicks.“
„Raketen?“
Auf dem Taktik-Display zeichneten sich die beiden anfliegenden Ob-jekte mittlerweile deutlicher ab. Sie schienen jetzt tatsächlich nebenei-nander zu fliegen und hielten weiterhin direkten Kurs auf die „Sternen-wanderers Traum“.
„Das ergibt die Fernanalyse“, bestätigte Kylie. „Ungewöhnlicher An-trieb für die Gegend hier, aber eindeutig ein Rückstoßverfahren expan-dierenden Materials.“
Ragoo verzog leicht die Mundwinkel. Eine einfache Antwort hätte es auch getan, bei den wenigen Informationen. Eine KI orientierte sich im-mer nur an Fakten. Kein Wunder, dass man in der Flotte weiterhin auf biologische Mannschaften setzte.
„Fünfzig Clicks.“
„Details zu Größe und Gewicht? Kinetische Wucht oder mögliche Art der Bewaffnung?“ Ragoo ging ihr Vokabular durch.
„Neun Ammaeh Länge und ein halbes Ammaeh im Durchmesser, Be-waffnung vermutlich jeweils ein Sprengkopf. Ich erkenne eine einfache Gliederung im Aufbau.“ Während dieser Erklärung erschien eine sche-matische Darstellung unter dem Bild, in welchem die beiden anfliegen-den Raketen zu sehen waren, doch Ragoo nahm ihren Blick nicht vom Hauptdisplay, auf der die Entfernungsangaben weiterhin herunterzähl-ten.
Noch dreißig Clicks.
„Sind wir hoch genug für eine thermonukleare Explosion?“
„Wir drehen uns gleich und nehmen die Nase etwas nach unten, da-mit sie uns nicht direkt von unten treffen können“, berichtete Kylie. Ra-goo seufzte. Das war nicht die erwartete Antwort. Sie sehnte sich Malin herbei. Sie traute der KI ein solches Manöver zwar grundsätzlich zu, aber aufgrund ihrer eigenen Erfahrung bevorzugte sie die Intuition eines menschlichen Piloten. Wo blieb Malin nur?
In diesem Augenblick zischte die Tür zum Gang auf und Malin stürmte atemlos auf die Brücke. Sie sprang nach vorn und schwang sich in ihren Sessel. Sie hatte kaum das Headset aktiviert und der Sessel war noch nicht in die richtige Position gefahren, da keuchte sie: „Bin da, bin da, kann losgehen!“
Ragoo musste trotz der allgemeinen Anspannung kurz lachen.
Das war Malin. So hatte sie sie kennengelernt und so liebte sie sie. Niemals würde sie das hier verpassen wollen.
„Zwanzig Clicks.“
„Wir müssen schnell noch etwas Höhe gewinnen.“ Ragoo suchte auf ihren Displays nach den passenden Werten. „Wissen wir jetzt schon mehr über das, was uns da genau entgegenkommt?“
„Ich kann die Technik nicht genau erfassen“, bedauerte Kylie. „Das ist keine bekannte Technik aus dem Katalog.“
„Dor’El – fahr den Reaktor hoch und gib Tommak alles, was er braucht!“, kommandierte Ragoo. Sie hoffte, dass die kurze Lern- und Trainingszeit für diese Situation ausreichte.
„Geht klar!“, bestätigte Dor’El und warf Tommak über ihre Schulter einen auffordernden Blick zu. Doch nur in den Spiegelungen seiner Dis-plays sah man ihn kurz nicken. Er war ganz auf seine Konsolen kon-zentriert.
Malin hatte inzwischen ihre Anweisungen umgesetzt. In einem ele-ganten Bogen stieg die „Sternenwanderers Traum“ in die oberen Schich-ten der Atmosphäre auf und nahm die Nase dann leicht wieder nach unten – den beiden heranfliegenden Objekten entgegen.
„Hoch genug?“ Malin drehte den Kopf ein wenig zur Seite.
„Passt, danke.“ Die Zeit schien sich zu dehnen. Ragoo hielt ihre Fin-ger ausgestreckt über die Konsolen in den Lehnen ihres Kommandoses-sels.
„Zehn.“
Was kam da nur auf sie zu – und warum?
※
Andrasch stand am Rand eines Balkons. Viele der zugänglichen Häu-ser in Schasch-Garan waren mit Balkonen oder Dachterrassen ausgestat-tet. Das wusste er aus Erzählungen und er hatte sich an einem der Wäch-ter orientiert, durch den er den Aufgang zu diesem Balkon gefunden hatte. Er fühlte sich ein wenig unwohl in der Dunkelheit, denn er war schon lange nicht mehr aus seiner Werkstatt herausgekommen. In die-sem Haus endete einer der Zugänge aus der Siedlung und unterhalb des Balkons müsste der alte Marktplatz von Schasch-Garan liegen. Die Drohne hier hereinzubringen und aufsteigen zu lassen, war einfach. Jetzt aber fühlte er sich unsicher und er tastete sich am Rand der Brüs-tung des Balkons entlang.
Als junger Mann war er nur selten mit den Patrouillen unterwegs ge-wesen. Seine Fähigkeiten waren zu wertvoll, als dass man ihm erlaubt hatte, sich oft den Gefahren der Tunnel auszusetzen. Schasch-Garan kannte er nur aus Darstellungen und Beschreibungen. Er selbst war bis-her noch nie hierhergekommen.
Sein Blick hielt er auf die kleine Drohne gerichtet, an deren Unterseite ein kleines Licht leuchtete. Es war anstrengend für ihn und er musste sich die Augen reiben. War es denn heller geworden? Konnte er jetzt die Umrisse der Drohne erkennen?
Er schaute sich um, aber die Gebäude in der Umgebung waren noch immer nur dunkle Schemen. Wieder suchte er nach der Drohne und als er seine Augen zur Kuppel hob, da erglühte dort oben ein schwaches Licht. Es war aber nicht die Drohne, die er dort sah. Das Glühen kam von noch weiter oben. Unbewusst hielt er den Atem an und klammerte sich an der Brüstung fest.
Ein glühender Fleck erschien oben an der Kuppel. Ein dunkles Glü-hen. Ein Glühen, welches sich langsam ausbreitete.
Mühsam schnappte er nach Luft. Er bemerkte jetzt, dass er den Atem angehalten hatte.
Das Glühen wurde zu einem schwachen Leuchten. Es erinnerte ihn an einen Schweißfleck. Genauso sah es aus: Etwas fraß sich dort oben durch die Dunkelheit.
Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals und er schluckte trocken.
Als er ein leises Rascheln hinter sich hörte, schreckte er auf und drehte sich herum. Doch er war von dem Anblick des Leuchtens noch so gefangen, dass er hilflos strauchelte und sich nur mit Mühe an der Brüs-tung festhalten konnte.
Eine stützende Hand ergriff ihn an der Schulter.
„Ganz ruhig“, knurrte jemand dicht neben ihm.
Andrasch versteifte sich. Doch er erkannte diese Stimme.
Sein Gegenüber war nicht allein, wie Andrasch jetzt erkennen konnte. Ja – er konnte sie erkennen. Er konnte sehen, wer ihn angespro-chen hatte: Neben ihm stand … Gorusch.
Auch der hatte den Blick zur Kuppel erhoben. „Meinst du, es ist schon …“ Gorusch beendete den Satz nicht.
Der leuchtende Fleck an der Kuppel wurde größer. Unten tauchten langsam immer mehr Dächer aus der Dunkelheit auf. Direkt vor ihnen zeichneten sich die Umrisse eines großen Platzes ab und auf der anderen Seite schien ein großes Gebäude alle anderen Bauwerke zu übertreffen.
„Die große Halle von Schasch-Garan“, flüsterte Gorusch heiser. „Es gibt sie wirklich.“
Andrasch blickte sich um. Der Balkon füllte sich zusehends. Waren diese Leute vorhin auch schon mit ihm hier oben gewesen? Er wusste, dass man Goruschs Leute in dunklen Tunneln weder hörte noch sah, aber gerade jetzt kam es ihm schon sehr gespenstisch vor.
Vielleicht lag das auch an der langsam einsetzenden Dämmerung. Ja, wirklich. Er kannte diesen Begriff aus einem der Videos, die er sich manchmal mit Tommak ansah.
So ähnlich sah es hier jetzt auch aus. Schemenhaft zeichneten sich im-mer mehr Häuser und kleine Gassen vor ihnen ab. Auf dem Balkon wurde leise getuschelt. Gorusch zischte zwar ein paarmal, aber es blieb wirkungslos.
Und dann war da plötzlich ein dünner Lichtstrahl, der von der hohen Kuppel bis nach unten, auf den Marktplatz fiel.
Ein kollektives Aufstöhnen verwandelte sich in ein leises Gemurmel. Andrasch kam es wie ein Laserstrahl vor, mit dem er und Tommak manchmal Metall schnitten. Genauso schien sich jetzt ein dünner Licht-strahl vor ihnen in den Boden zu bohren. Natürlich drang er dort nicht wirklich ein, aber die Helligkeit, die von ihm ausging, schmerzte in sei-nen Augen. Er konnte nicht direkt hineinschauen.
Der Strahl wurde jetzt langsam dicker und alle Beobachter auf dem Balkon, die sich ebenfalls an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, nutz-ten jetzt auch die Gelegenheit, um sich umzuschauen. Das Gemurmel wurde lauter. Immer wieder wurden Arme erhoben und jemand deutete auf ein Gebäude, welches er gerade entdeckt hatte.
Gorusch ließ seine Leute gewähren. Nichts deutete auf eine drohende Gefahr hin.
Es wurde immer heller. Das lag nicht nur am Strahl, der weiterhin an Stärke gewann und für mehr Helligkeit sorgte, sondern an den vielen kleinen Lichtern, die jetzt an den umliegenden Häusern zu glühen be-gannen.
Das Licht des Strahls sorgte dafür, dass in Schasch-Garan die „Grundbeleuchtung“ wieder zum Leben erweckt wurde. Mit der Steige-rung der Helligkeit des mittlerweile schon weit mehr als armdicken Strahls wurde die bio-lumineszente Beleuchtung aktiviert, die an und in jedem Haus angebracht war und die sich normalerweise immer nur dann aktivierte, sobald die Lichtluken geschlossen wurden oder die Nacht anbrach.
Hier herrschte jedoch noch eine tiefe Dunkelheit, die nur von diesem einen Lichtstrahl erhellt wurde, aber dieser Lichtstrahl hatte die Ge-wächse an den ersten Gebäuden bereits mit der notwendigen Energie versorgt und die bio-lumineszenten Prozesse nahmen ihren Lauf. Die Beobachter in Schasch-Garan erlebten, wie sich ein sanftes Glühen vom Marktplatz her ausbreitete und immer mehr Gebäude preisgab.
„Und ich hab’s ihm nicht geglaubt“, krächzte Gorusch. Als Andrasch ihn verwundert anblickte, deutete Gorusch mit der freien Hand nach oben. „Rofarlin hat immer behauptet, Schasch-Garan wäre so groß, eine Kuppel allein …“ Er musste schlucken. „Sieh her – hier ist eine Kuppel und dort …“, er deutete ein Stück weiter nach Links. „Dort ist noch eine Kuppel. Man sieht sie kaum, aber da ist sie. Schasch-Garan ist so groß, es wird nicht von einer Kuppel überspannt, sondern von mehreren.“
Andrasch staunte nur.
Gorusch hatte recht: Mittlerweile waren vier Kuppeln zu erkennen. Dunkel aber doch schemenhaft erkennbar, zeichneten sie sich hoch oben in der Dämmerung ab.
Doch nur von der Kuppel über dem zentralen Platz zielte ein mittler-weile recht dicker Lichtstrahl auf den Boden und Andrasch erkannte die ersten Gestalten, die sich aus dem Schatten der umliegenden Gebäude lösten und zögernd auf den Markplatz hinaustraten.
Einer von ihnen schob vorsichtig eine Diffusorplatte in den leuchten-den Fleck am Boden. Schlagartig veränderte sich die Umgebung.
Im gestreuten Licht wurden immer mehr Details erkennbar. Die Menschen auf dem Balkon suchten nach den Abgängen und bald trat auch Andrasch hinter Gorusch auf den Markplatz von Schasch-Garan und blickte sich um. Eine dicke Staubschicht lag auf dem Boden und an vielen Stellen hatte das nachleuchtende Moosgewächs die Hauswände erobert.
Gorusch trat einige Schritte vor, hob seine Handflächen hoch und das allgemeine Gemurmel ebbte etwas ab. „Sie haben die Wahrheit gespro-chen!“ Gorusch hätte seine Stimme kaum erheben müssen. Seine Stimme klang fest und füllte den Platz.
„Ta rähkis toed. Me unumne“, antwortete die versammelte Menge. Sie glaubten seinen Worten und bestätigten damit die Erfüllung des Ver-sprechens, welches Ragoo ihnen gegeben hatte. Es gab wieder Licht in Schasch-Garan.
Sogar Andraschs Augen hatten sich mittlerweile an die dammrige Beleuchtung gewöhnt. Er betrachtete volles Staunen die Gebäude, die den Platz säumten und als Gorusch auf die gegenüberliegende Seite des Platzes deutete, wandte auch er seinen Blick dorthin. Durch die Dif-fusorplatte und den von den Leuten aufgewirbelten Staub färbte sich das Licht.
„Das, liebe Freunde …“, sprach Gorusch langsam und betont. „Das ist die Große Halle von Schasch-Garan. Hier befand sich einmal das Ver-waltungszentrum und hier …“ Er hob wieder beide Hände hoch und deutete mit ihnen auf das sich weit nach oben streckende Gebäude. „Hier wird bald wieder der Mittelpunkt unseres Lebens sein, wenn wir …“
Er brach unvermittelt ab und drehte sich zur Seite herum.
Zu seiner Rechten stoben die Menschen auseinander. Ein Gebäude mit einem Turm an der Seite erzitterte und der Turm sank in sich zu-sammen.
Eine Staubwolke stieg auf und verschlechterte die Sicht auf die Ge-bäude an dieser Seite des Platzes.
Die Leute suchten Deckung und auch Andrasch zog sich in einen schmalen Gang zwischen zwei Gebäuden zurück. Von dort aus ver-suchte er zu erkennen, was auf der anderen Seite geschah.
„Räumt den Platz!“ Gorusch kam auf ihn zu und Andrasch sah, wie er einen Nahkhiir aus einer Tasche seiner Jacke zog und aufsteigen ließ.
Gorusch rief nach Verstärkung? Anscheinend hatte er die Lage als Bedrohung eingeschätzt. Andrasch ging es hingegen wie vielen anderen auch: Wohin sollte er sich wenden? Er hörte laute Rufe. Man rief sich gegenseitig zu, Deckung zu suchen, doch … Deckung wovor? Waren etwa Teisett aufgetaucht?
Als er sah, wie Gorusch seinen Leuten Handzeichen gab, konnte er die Lage einigermaßen interpretieren: Koletis. Gorusch bereitete seine Leute darauf vor, einen Angriff dieser riesenhaften Kreaturen abzuweh-ren.
Hatten sie sich alle zu leichtfertig in Gefahr gebracht?
Es war doch bekannt, dass hier Koletis hausten, die jeden angriffen, der sich unbeschützt in der Dunkelheit aufhielt. Natürlich kannte auch Andrasch die Gefahr, die in Schasch-Garan lauerte. Jeder kannte sie, aber diese Gefahr lauerte doch immer nur in der Dunkelheit. Jetzt gab es hier doch wieder Licht. Vertrieb man Koletis denn nicht mit Licht?
Im heller werdenden Licht war nichts zu erkennen gewesen. Nicht nur Andrasch hatte sich daher völlig sicher gefühlt und da nichts zu se-hen war, angenommen, eine Gefahr bestünde nicht.
Was hatten Sie übersehen?
Ein weiterer Aufschrei ließ ihn die Trümmer des Hauses, die in der sich nur langsam legenden Staubwolke kaum erkennbar waren, genauer betrachten.
Dort schob sich etwas aus dem Boden empor und auch wenn die El-lujannuud schon aus ihrem Überlebensinstinkt heraus außerhalb von schützenden Gebäuden normalerweise niemals laut wurden, so hörte man jetzt deutliche Entsetzensschreie aus den Gassen zwischen den Ge-bäuden, die den Platz säumten, als sich etwas aus dem Trümmerhaufen herauszuheben schien. Etwas, was selbst ein unheimliches Leuchten ausströmte. Doch es war nicht dieses grünliche Leuchten der Bio-Lumi-neszenz – es war ein rötliches Glühen. Ein Glühen wie von Feuer.
Gorusch und seine Leute hatten ihre Ambikirev angelegt und Andrasch bemerkte mit einigem Stolz, dass viele Leuchtpunkte in der Staubwolke nach Zielen suchten. Er hoffte, dass sich Goruschs Leute nicht nur mit den neuen Zielsystemen ausgerüstet hatten, sondern auch die neuen Geschosse verwendeten, die er in den letzten Tagen in großer Stückzahl hergestellt hatte.
Was kam da nur auf sie zu?
2 – Erleuchtung
D anke Manni. Von mir und Silvia. Der Tipp mit der Vakanz war goldrichtig. Silvia musste nicht lange warten. Man hat ihr sogar empfohlen, ihre zwei noch fehlenden Se-mester quasi „dual“ fortzuführen und obwohl uns ein wenig Ferne manchmal ganz gutgetan hat, bin ich doch froh, dass wir uns während des Tages jetzt öfter über den Weg laufen.
In der nächsten Zeit bin ich wohl etwas „artfremd“ unterwegs, denn man hat mich gebeten, einige Vorlesungen am Lehrstuhl für Geografie zu geben. Da habe ich mir doch tatsächlich ein Fahrrad zugelegt, denn vom Geozentrum bis dahin zu laufen, ist mir zu langweilig. Die 10 Minuten mit dem Fahrrad – und zu Silvia – nehme ich so allerdings gern in Kauf.
Was ich dich aber fragen wollte: Du hattest letztens einen Kollegen aus Salz-burg erwähnt, der für die École nationale supérieure de géologie einige Ausar-beitungen angefertigt hat – wenn das ein gewisser „Sebastian Altenberger“, seines Zeichens Professor und Doppeldoktor ist, dann hat der hier wohl auch einige Anhänger.
Nächste Woche will ich mich doch tatsächlich mal selbst in eine seiner Vorle-sungen setzen. Silvia meint, dafür würden sogar Reservierungen gehandelt – natürlich unter dem Tisch.
Ich lasse dich gern wissen, was den Typen so interessant macht, will aber erst hören, wie genau er zu seinem Ruhm gekommen ist.
Was macht ihr im Sommer? Wie geht es Nicole? Wann ist es so weit?
Ich kann dir noch nicht sagen, ob wir zur Geburt Zeit für einen Besuch haben werden, aber Silvia ist halt schon ganz aufgeregt. :-) Kennst sie ja: Selbst fragen mag sie nicht.
Grüße Nicole von uns, dein Bernhard.
Aus der Loseblattsammlung
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„Jetzt!“, dachte Ragoo. Laut aussprechen wollte oder konnte sie es nicht. Sie waren alle angespannt. Trotz des ganzen Trainings und ihrer Erfahrung war so eine Situation auch für sie selbst eine Herausforde-rung. Wie mochte es nur den anderen dabei gehen? Wie viele Tage kann-ten sie die Systeme bereits? Wenige.
Doch jetzt war keine Zeit mehr, um sich viele Sorgen zu machen oder sich nach ihnen umzuschauen.
Kylie hatte die zuvor von ihr angesagte Zählung eingestellt und nur die Zahlen auf dem zentralen Display, welches die taktische Situation als Übersicht anzeigte, liefen weiter herunter.
Dann war es so weit.
Beide Geschosse wurden nur wenige Clicks vor dem Einschlag als „Boden-Luft-Raketen mit Spreng-Wucht-Gefechtskopf“ angezeigt. Aus den Augenwinkeln meinte sie, an Tommaks und Dor’Els Stationen zu erkennen, wie sie alle ihre Anzeigen im Blick hatten, aber ihre Haupt-sorge galt Malin, die vor ihr, in einem der Pilotensessel lag.
Malin hatte sich sichtlich versteift, als die Geschosse nur noch wenige Längen vor der „Sternenwanderers Traum“ auf dem Zentraldisplay op-tisch erkennbar wurden. Zwar hatten sie innerhalb des Systems Flüge durch Ansammlungen von Asteroiden geübt und durch Tommaks Be-schuss auch Kollisionen mit Bruchstücken durch die Schilde abgewehrt, aber so ein Szenario hatte ihnen Kylie bisher noch nicht bieten können.
Ragoo hatte angewiesen, erst dann auf die beiden Raketen zu feuern, bis ein Höchstmaß an Daten über diese beiden Objekte gesammelt wer-den konnte. Das war geschehen. Jetzt galt es, Schaden abzuwenden.
„Feuer!“ Mehr brauchte sie nicht zu sagen.
Tommak hatte die Hand schon über den Kontrollen. Aus den vorde-ren Geschützen kam ein Pulserstoß und beide Raketen explodierten noch vor den Schilden.
Während Malin leicht den Kopf einzog, beobachtete Ragoo den Ein-schlag der restlichen Trümmer der beiden Geschosse in die aufgespann-ten Schilde sehr genau. Die taktischen Anzeigen für die Schildbelastung blieben in einem erstaunlich geringen Messbereich und als sie sich ge-rade zu entspannen versuchte, kam von Malin ein enttäuscht klingendes „War’s das schon?“
Sie konnte nicht anders und in ihr entspannendes Lachen fielen auch Tommak und Dor’El ein.
„Hey, was denn?“, beschwerte sich Malin. „Schönen Dank auch, dass ich ja hier nur für die Steuerung zuständig bin.“
Ragoo stand auf und trat neben ihren Sessel, den Malin gerade wie-der in eine sitzende Position aufrichtete. Sie quetschte sich leicht auf eine der Armlehnen und zog Malin zu sich heran. Eine Geste, die Malin sehr gern und dankbar annahm.
Auch Dor’El war zu Tommak getreten und diskutierte mit ihm leise die Auswertungen der Defensivsysteme.
„Ist kaum was gewesen“, meldete sich Tommak und deutete auf ei-nes der Displays. „Relativ harmlose Raketen, aber enorm schnell. Ohne Schilde hätten die vielleicht unsere Hülle durchstoßen und wären da-nach explodiert. Unsere Reste hätten sich dann über eine ziemlich große Fläche verteilt und …“
„Spinner!“ Dor’El knuffte ihn in die Seite.
„Aua!“, beschwerte sich Tommak, aber natürlich war das nur der bei den beiden übliche Umgang miteinander. „Nächstes Mal schieße ich sie ab, sobald wir sie aufklären. Dann kannst du sehen, was du aus den Trümmern noch auslesen kannst.“
Dor’El lachte und wuschelte ihm durch die Haare.
Malin mochte sich nicht aus Ragoos Umarmung lösen, aber Ragoo stand gerade nicht der Sinn nach Zärtlichkeit. Sie stand auf und trat an Tommaks Konsole heran.
„Ich bin immer noch dabei, zu begreifen, was Kylie alles angestellt hat.“ Dor’El deutete auf eine der Energieanzeigen. „Wo ist sie eigent-lich?“
„Ich bin immer hier gewesen“, meldete sich die Schiffs-KI. „Vielen Dank für Eure Nachfrage. Während Ihr euch hervorragend um die Sys-teme gekümmert habt, wollte ich Euch nicht ablenken und habe neben-bei noch einige Simulationen durchgespielt.“
„Simulationen ... nebenbei?“ Malin trat neben Ragoo. Kylies Gesicht lächelte sie von einem der Displays an Tommaks Konsole an. Sie drückte ihren Kopf an Ragoo und umklammerte ihre Taille.
„Ja, ich wollte die Gelegenheit nutzen, um das Zusammenspiel zwi-schen euch hinsichtlich einer möglichen Gefahrensituation einzuschät-zen, aber …“
„Wie viele Simulationen hast du angestellt und mit welchem Ergeb-nis?“, unterbrach Ragoo sie.
„Um die Systeme nicht zu sehr in Anspruch zu nehmen, habe ich nur ganz wenig Kapazität verwendet.“ Kylies Gesicht zeigte eine Spur von Verlegenheit. „Nur siebenhundertachtunddreißig. Als ich dann nur sie-benundzwanzig Möglichkeiten für Fehlschläge registrieren konnte, habe ich aufgehört.“
„Na, dann ist es ja gut gelaufen“, spottete Malin. „Und was sagt die Technik-Fraktion dazu?“
„Ich habe dem Reaktor kaum etwas abverlangt“, fasste Dor’El das zusammen, was Tommak auf einem der Displays aufrief. „Der Steigflug hat fast nichts benötigt und die Schüsse waren auch nicht gerade ernst zu nehmen. Die Schildgeneratoren haben die Einschläge kaum regis-triert. Wenn uns jemand ernsthaft Schaden zufügen will, muss er sich deutlich mehr Mühe geben.“
Ragoo schüttelte den Kopf.
Diese Menschen. Sie hatten viele Generationen an Forschung und Wissen übersprungen und dennoch fiel ihnen der Umgang mit dieser fortschrittlichen Technologie anscheinend spielend leicht. Hoffentlich hatte sich der Stand der Technik in den Jahren ihrer Abwesenheit nicht zu weit entwickelt, hoffte sie insgeheim. Nicht auszuschließen, dass sie – sollten sie denn jemals den Weg zurück ins Raheeli finden – mit unan-genehm hochaufgerüsteten Begegnungen zu rechnen hätten. Die „Ster-nenwanderers Traum“ war ja – nach menschlichem Maßstab – bereits als „antik“ anzusehen.
„Wo kamen die beiden Raketen her?“ Ragoo drückte Malin an sich. Während Tommak und Dor’El sich grundsätzlich gern neckten, jetzt aber mit den Konsolen beschäftigt waren, brauchte Malin anscheinend gerade ihre Nähe.
Tommak schmierte mit einem Finger über eines der Displays. „Der Anflugvektor ist ungefähr … naja … ganz geradlinig kamen die wohl nicht, aber … so.“
„Wir würden sagen, dass der Ursprung in west-süd-westlicher Rich-tung liegen müsste und mindestens 60 Iteria von unserer aktuellen Posi-tion entfernt.“ Während Dor’El sprach nickte Kylie bestätigend. Auf ei-nem der Displays erschienen Kartendarstellungen mit Richtungsvekto-ren.
„Wir schweben über einem Gebirge und diese beiden Raketen kamen aus einem der anderen Gebirge auf diesem Kontinent ... nur etwas wei-ter weg. Hier ungefähr.“ Tommak beschrieb mit den Fingern einen Kreis über einer Stelle, auf der die Darstellung hohe Berge durch weiße Flä-chen darstellte.
„Was liegt da?“ Malin beugte sich ein wenig vor?
„Das Gebirge wird … oder wurde ‚Alpen‘ genannt“, informierte Dor’El.
„Alpen?“ Malin sah Ragoo von der Seite her an. „So wie in ‚Alpe Veglia‘? Das ist doch dieser Ort, den Yara genannt hat – oder?“
„Das stimmt“, bestätigte Ragoo.
Doch Tommak schüttelte den Kopf. „Das klingt vielleicht ähnlich, aber dieses ‚Alpe Veglia‘ liegt zwar beinahe auf dem Kurs und selbst wenn wir annehmen, dass die beiden Raketen keinen direkten Weg ge-nommen haben, so hätten wir sie in diesem Fall doch viel eher orten müssen.“ Er hob den Kopf und suchte in einem der oberen Displays nach Kylie. „Korrekt?“
Doch sie meldete sich nur akustisch. Die oberen Displays zeigten tak-tische Daten und Vektoranzeigen, die über Kartenbilder projiziert wur-den. „Davon können wir ausgehen. Meine Sensoren orten jedes künstli-che Objekt in unserer Umgebung – oberhalb und unterhalb des Schiffs-horizonts – und dieser Planet ist ja nicht sehr groß.“
Malin verdrehte die Augen. „Wie bescheiden.“
Doch wie oft erkannte Kylie die Ironie als solche nicht. „Danke, aber ich bestätige lediglich die Annahme, ‚Alpe Veglia‘ als Startpunkt auszu-schließen. Dieser Ort ist mir bekannt und da die beiden Flugkörper wäh-rend der Annäherung ihre Anflugrichtung und Geschwindigkeit nicht wesentlich verändert haben, kann ich ausschließen, dass sie von dort ka-men. Ganz im Gegenteil: Ihr Startpunkt muss sich … annähernd auf der Hälfte der Strecke befunden haben und …“
„Ich denke, das reicht für den Moment“, unterbrach Ragoo die Flut an Informationen. „Offenbar können wir noch nicht alle Daten exakt be-rechnen. Vermutungen sind eine spannende Sache, aber das klären wir bitte später.“
Sie schnappte nach Malin und zog sie wieder ein wenig an sich heran. „Hör bitte auf, sie ständig zu provozieren“, flüsterte sie ihr zu.
Doch Malin gluckste nur und wand sich aus ihrem Griff heraus.
„Die Kuppel hat keinen Schaden genommen?“, erkundigte sich Ra-goo und schaute sich auf den Displays um.
Kylies Gesicht war kurz erschienen und verschwand wieder. Auf ei-nem der Displays erschien die sich vergrößernde Ansicht eines Gebirges von oben. „Es sind keine Schäden zu erkennen“, berichtete sie. „Wir ste-hen immer noch fast direkt über dem Bohrloch und ich kann über meine Sensoren ein klares Bild erzeugen.“
Während die Gipfel dem Betrachter langsam immer näher kamen, fragte Ragoo: „Wie hoch sind wir aufgestiegen?“
„Ich habe uns bei dreikommasechs Iteria abgefangen“, berichtete Ma-lin. „Kylie hat mir signalisiert, dass eine mögliche Druckwelle bei einer Explosion in dieser Höhe kaum noch Auswirkungen auf den Luftdruck unterhalb von uns hätte.“
„Jedenfalls sollte die Kuppel intakt bleiben, wobei ich natürlich die mögliche Zerstörungskraft lediglich aus der Bemaßung der beiden Flug-körper hochrechnen konnte. Und ich bin davon ausgegangen, dass sie nicht mit thermo-nuklearen Sprengköpfen bestückt sind, die damals das hier herrschende Chaos angerichtet haben.“
Ragoo schürzte die Lippen. Die KI verwendete Annahmen?
„Müssen wir damit rechnen, dass das kein Zufall war?“
„Mit Sicherheit. Ich bemühe mich gerade um eine Aufstellung der Wahrscheinlichkeiten, dass wir diesen Angriff durch irgendeine Aktion selbst ausgelöst haben, und bin mir schon ziemlich sicher, dass das so ist.“
In der Art, wie Dor’El den Kopf neigte, erkannte Ragoo, dass sie die Daten von Kylie direkt übertragen bekam, aber Kylie war noch nicht fer-tig: „Die Frage ist nur, ob sich das in dieser Form wiederholt – und da bin ich mir noch nicht so sicher, denn wo eine Rakete ist, da finden sich meist noch mehrere.“
„Das waren schon mal zwei“, bemerkte Malin.
„Präventiv sollten wir vielleicht versuchen, nach dem genauen Start-platz zu suchen“, schlug Tommak vor. „Wir können ja nicht immer hier oben bleiben.“
Das stimmte natürlich. So abwegig war seine Idee nicht.
„Kylie?“
„Das ist Teil meiner Berechnungen, die ich gerade mit Dor’El teile. Bis wir genau herausgefunden haben, durch was der Angriff ausgelöst wurde, gefährden wir die Menschen unter den Kuppeln. Um uns mache ich mir weniger Sorgen. Selbst wenn unser Angreifer seinen Misserfolg analysiert und zu stärkeren Mitteln greift, so bin ich doch recht zuver-sichtlich, dass wir noch lange mithalten können.“
Selbst Dor’El, die bei Datenübertragungen immer etwas abwesend wirkte, musste bei dieser Äußerung der KI schmunzeln. Aber Kylie hatte natürlich recht. Die Zeit hatte für das Einleiten von Gegenmaßnahmen ausgereicht und die erforderliche Energie für ihren Schutz war nur ein Bruchteil von dem, was sie sich dem Reaktor zu entlocken zutraute.
Obwohl Tommak am Datenaustausch nicht direkt teilnahm, drehte er seinen Kopf zu ihr hin und nickte. „Ich denke es auch. Unsere Mittel mögen noch längst nicht ausgeschöpft sein, aber es erscheint mir den-noch notwendig, die Quelle des Angriffs ausfindig zu machen und … gegebenenfalls auszuschalten.“
Pragmatisch, diese Menschen.
Doch das stimmte natürlich. Viele Jahrhunderte waren seit dem letz-ten größeren Waffeneinsatz auf diesem Planeten vergangen und offen-bar gab es immer noch Reste davon, die eine Gefahr für die letzten über-lebenden Menschen darstellten. Als wären die immer noch sicht- und spürbaren Auswirkungen der letzten Zerstörungen nicht bedrohlich ge-nug. Nein, es war unbedingt notwendig, jeden weiteren Waffeneinsatz zu verhindern.
„Was ist denn nun mit Schasch-Garan?“, meldete sich Malin. „Haben wir es geschafft?“
Auf dem Display, welches eben noch die schneebedeckten Gipfel und das Bohrloch gezeigt hatten, erschien jetzt das Bild der Drohne, die über dem Marktplatz von Schasch-Garan schwebte.
„Tommak!“ Dor’El reagierte als erste. Sie empfing die Bilder über ihr Implantat, während die anderen erst noch das interpretieren mussten, was auf dem Display zu erkennen war.
Sie drängte sich an seine Konsole vor und zog sich einen der Notsitze heraus. Noch ehe Tommak begriff, was sie von ihm wollte, übernahm Dor’El die Drohnensteuerung und wo eben noch der Lichtstrahl im Fo-kus der Drohnenoptik gewesen war, schwenkte die Darstellung jetzt zu einem Gebäude am Rand des Marktplatzes.
Das Gebäude wirkte stark beschädigt und auf mehreren Displays er-schienen jetzt unterschiedliche Darstellungen des gleichen Bildes. Mar-kierungen am oberen Rand wiesen sie als Wärmebild, Hochfrequenz- und Schallabtastung aus, während das Display in der Mitte das zeigte, was auch die Menschen unterhalb der Kuppel sahen – nur technisch et-was aufgehellter.
Aus den Trümmern des eingestürzten Gebäudes erhob sich eine rie-sige Kreatur. Vom Sichtwinkel der Drohne aus sah man einen stachelbe-wehrten Kopf und eine Klaue, die sich in den Boden krallte.
Die Kreatur glühte im Wärmebild. Kaum erkennbar hingegen waren die Menschen, die sich rasch davon entfernten. Der Verteilung ihrer Sig-naturen nach suchten sie zwischen den noch stehenden Gebäuden Schutz.
Die Schallabtastung zitterte. Auf dem zentralen Display war zu er-kennen, dass die Kreatur ihr Maul geöffnet hatte. Vermutlich brüllte sie. Deutlich waren lange, gebogene Zähne zu erkennen.
„Was ist das denn?“ Malin sah zu Dor’El.
„Ist so nicht aufgezeichnet“, schüttelte die den Kopf. „Man erkennt einige typische Merkmale von einem Hammusatvvad, aber auch ich habe bisher immer nur Stücke von denen gesehen.“
Malin schüttelte den Kopf. „Das kann kein Hammusatvvad sein. Wo sind denn die Flügel?“
„Ich sage ja: Merkmale sind vorhanden. So eine Klaue habe ich mal … warte … nein.“
Sie alle warteten notgedrungen und voller Anspannung, obwohl das Bild auf den Displays nicht zum Warten einlud.
„Ich habe einen Verweis auf alte Sagen der Menschheit gefunden, aber da möchte ich Kylie bitten, das mal zu recherchieren. Das ist mir ein wenig zu fremd.“
Auf dem zentralen Bildschirm tauchte ein grüner Haken auf. Ver-mutlich war Kylie schon mit den Recherchen beschäftigt. Durch die enge Verbindung zwischen Kylie und Dor’El waren gesprochene Worte manchmal zu langsam.
„Wir müssen da runter!“ Malin sah zu Ragoo auf.
Die kniff die Lippen aufeinander und nickte.
„Tommak, ich glaube nicht, dass du hierbleiben willst. Ich gehe da-von aus, dass Kylie alle Informationen über den Ablauf des Angriffs aus-werten kann. Sie soll uns sofort rufen, falls sich wieder etwas zeigt.“
Sie drehte sich zu Malin um und strich ihr über den Kopf.
„Natürlich helfen wir deinen Leuten. Bring uns wieder über das Loch im Habitat und dann schnappen wir uns die ‚Traumfänger‘ und schauen mal, was wir machen können, obwohl ich noch nicht weiß, wie … aber wir werden ja sehen, was uns spontan noch so einfällt.“
Sie gingen alle wieder auf ihre Plätze.
„Kylie, wir brauchen eine stabile Position über dem Sprengloch im Habitat und einen Weg, der uns schnell und nahe genug an Schasch-Garan heranführt.“
„Verstanden Hoheit.“ Ragoo ignorierte die Formalität in Kylies Ant-wort. Malin hatte bereits den Sinkflug eingeleitet.
※
„Nehmt endlich die Sprengbolzen!“ Gorusch schrie gegen das Ge-brüll der Kreatur an. Er selbst hatte versäumt, sich damit auszustatten und obwohl viele seiner Leute schon die neuen Zieloptiken einsetzten, wurde bald klar, dass sie im Gebrauch der neuen Munition noch nicht so gut geübt waren.
Mehrere Geschosse prallten am Schädel der Kreatur ab und schlugen in das Gebäude daneben ein. Dadurch wurde dieses stark beschädigt und begann ebenfalls einzustürzen.
Es bedurfte keiner weiteren Anweisung. Die Schützen erkannten selbst, dass sie damit der Kreatur nicht schaden konnten, den sich in die Gassen zwischen den Gebäuden drückenden Menschen hingegen schon.
Doch Gorusch beobachtete, dass die Kreatur nicht weiter auf sie ein-drang. Es hatte den Anschein, als säße sie unter den Trümmern fest. Je-denfalls wand sie sich heftig und schlug mit ihren Krallen in den Boden, kam aber nicht weiter voran.
„Das ist blöd“, stellte er fest. „Wenn es Abend wird, dann reicht die Grundbeleuchtung nicht mehr aus, um uns vor den Koletis zu schützen. Die werden aus allen Löchern gekrochen kommen und uns überrennen.
Auch Andrasch, der sich mittlerweile etwas entspannt hatte, sah es ähnlich: „Das ist ja wirklich prima. Da haben wir es geschafft und in Schasch-Garan ist wieder Licht und dann das hier!“, schimpfte er.
„Na, du hast doch wohl nicht gedacht, dass es so einfach wird“, brummte Gorusch. „Jeder von uns kennt Schasch-Garan nur als ‚Die dunkle Stadt‘ voller Gefahren und Koletis, die jeden deiner unvorsichti-gen Schritte sofort bestrafen.“
„Mag sein, aber ich hatte tatsächlich Hoffnung.“
„Die hatte ich auch. Wirklich. Die hatte ich auch.“ Gorusch strich sich über seinen Bart. „Doch wir dürfen sie nicht so leichtfertig aufgeben. Meine Malin hat fest daran geglaubt und du siehst doch …“ Er zeigte nach oben. „Du siehst, sie hatte recht.“
„Und vor allem ihre neue Freundin“, bestätigte Ivvan, einer von Goruschs Leuten. Er machte ein Handzeichen. „Ich habe Trandor und Gawanal angewiesen, die Leute sicher hier herauszuführen. Wir sind davon überzeugt, dass das Versprechen eingehalten wurde, aber jetzt ist es unsere Aufgabe, die Sicherheit wieder herzustellen.“
Gorusch nickte. „Ich danke dir. Das ist genau richtig.“
Andrasch suchte nach der Drohne. Als er sie gefunden hatte, blickte er Gorusch skeptisch an. „Wir leben in einer neuen Zeit, Gorusch. Von nun an wird uns Technik wieder begleiten. Wird das ein Problem?“
„Für mich nicht. Ivvan?
Ivvan blickte irritiert von Andrasch zu Gorusch. „Äh, nein. Es wird unter unseren Leuten natürlich einige geben, die dem gewiss so nicht zustimmen, aber wir sind freie Menschen. Wir haben das Recht, uns eine eigene Meinung zu bilden und …“ Er suchte nach den richtigen Worten.
„Wahr gesprochen.“ Gorusch deutete eine Verbeugung vor Ivvan an, der diese erwiderte. „Wir werden entscheiden, welche Technik wir in unser Leben lassen und eines Tages …“ Er drehte seinen Kopf in Rich-tung auf den Platz. „Eines Tages werden wir das vor den Rat bringen. In einer großen Versammlung.“
Gorusch legte eine Hand auf Andraschs Schulter. „Eines Tages ver-sammeln wir uns in der Großen Halle von Schasch-Garan und werden über das Schicksal unseres Volkes entscheiden.“
Er ließ seine Worte auf Ivvan und Andrasch wirken.
Andrasch reagierte als erster. „Bis dahin habe ich noch viel vorzube-reiten.“ Er sah Ivvan an. Welchen Weg sollen wir nehmen?“
„Hier raus?“ Ivvan war immer noch vom Anblick des großen Gebäu-des auf der anderen Seite des Platzes fasziniert. Noch nie hatte er ein so gewaltiges Bauwerk gesehen. Goruschs Worte wirkten in ihm nach.
Doch rasch überwand er seine Starre. „Trandor hat seinen Trupp auf die rechte Seite geführt – Gawanal zur linken. Sujii und meine Gruppe stehen von der nächsten Gebäudereihe bis zu einem der nächsten Zu-gänge zum Tunnel. Sie weisen dich ein. Sie weisen jeden ein, der sich in Sicherheit bringen will.“
Die Kreatur hatte aufgehört, wild zu brüllen und um sich zu schla-gen. Auch schien sie nicht weiter zu versuchen, sich aus den Trümmern zu befreien. Doch niemals würde sich einer der Ellujannuud einem Koleti unvorsichtig nähern, welches nicht eindeutig erlegt worden war. Im Zwielicht des sich nur langsam legenden Staubes warfen einige der Leute noch einen letzten Blick auf die Kreatur und zogen sich rasch wie-der in die Sicherheit der Siedlung zurück.
Auch Gorusch warf einen letzten Blick zurück. Doch sein Blick galt nicht der Kreatur, sondern der Lichtluke, die jetzt freigelegt worden war. Seine Gedanken durchdrangen die Kuppel und stiegen darüber hinaus. Er wusste nicht, wie genau Ragoo und die anderen es geschafft hatten, aber er wünschte sich, seine Malin hätte dabei eine wichtige Rolle ge-spielt.
Er stellte fest, dass er jetzt viel weniger Angst um sie hatte als früher, wenn sie in den Tunneln auf Patrouille gegangen war. Oder wenn er sie bei der Rückkehr aus der Verbotenen Zone erwischt hatte. Ja, Malin war schon immer gern ein Risiko eingegangen, aber jetzt war da ja diese Ra-goo. Rofarlin hatte versucht, ihm zu erklären, über welche Mittel Ragoo verfügte. Ganz verstanden hatte er es noch nicht. Nur mochte er sie nicht mit Fragen belästigen. Das gehörte sich nicht und so musste er warten, bis es sich ergab oder jemand es ihm genauer erklärte.
Doch die Demonstration dieser neuen Möglichkeiten in der Großen Versammlung war für ihn mehr als nur eine Nebensächlichkeit. Rofarlin hatte ihm schon zuvor Zugang zu Wissen ermöglicht, durch das er ein gutes Verständnis für die Technik der früheren Zeiten erlangt hatte. Das immer vor den Schwestern zu verheimlichen, war weitaus schwerer, als diese neuen Dinge zu lernen und zu akzeptieren.
Und dann war Ragoo erschienen. Sie beherrschte viele dieser wun-dersamen Dinge. Dinge, die sogar Rofarlins Vorstellungen weit übertra-fen. Jetzt war es notwendig, auch das Volk davon zu überzeugen, einige der Lehren der Schwestern infrage zu stellen.
Ivvan hatte es wirklich gut organisiert. Seine Unterführer selbstver-ständlich auch. An jeder Kreuzung war einer der Wächter postiert und geleitete die Rückkehrer zu den Durchgängen.
Die Menschen hatten in den nächsten Tagen viel zu besprechen, dachte er bei sich. Der provisorische Rat müsste zusammentreten, bevor diejenigen die für diese neue Entwicklung nicht bereit waren, Miss-trauen und Zwietracht sähen konnten. Gorusch war sich sehr sicher, dass es sie gab. Waren diese Angriffe, von denen Ragoo und Malin be-richteten, ebenfalls auf diese Weise zu erklären?
Er musste sich ganz dringend mit Rofarlin besprechen. Hier konnten sie derzeit nicht viel ausrichten und es erschien ihm wichtiger, sich zu-nächst zu beraten, bevor noch mehr Schaden entstand.
Es kostete ihn Mühe, den Drang zu unterdrücken, im „Zwei Krüge“ mit einem oder mehreren Krügen Olu seinen trockenen Hals zu befeuch-ten. Das Schicksal der Menschen entschied sich in diesen Stunden. Seine eigenen Bedürfnisse durften ihm dabei nicht im Weg stehen.
Der Weg zurück fiel ihm erstaunlich schwer. Es war nicht allzu weit und der Weg stieg nicht sehr an, aber sein Hals war wirklich trocken und er bereute es bitter, nicht doch bei Lubbolik kurz angehalten zu haben.
Noch bevor er bei Rofarlin an die Tür schlagen konnte, öffnete ihm Duranaja und hielt ihm einen Krug entgegen.
„Rofarlin schickt dir diese Stärkung. Er hat dich bereits erwartet.“
Wortlos nahm Gorusch den Krug entgegen und schaute Duranaja verwundert an. Doch sie nickte nur und verschwand im Inneren des Ge-bäudes.
Gorusch atmete einmal tief durch und hob dann den Krug an.
Yara nahm ihn am Ende der Treppe in Empfang. „Noch einen?“, flüs-terte sie ihm zu und zwinkerte mit einem Auge.
Goruschs Stimmung stieg bereits wieder. „Sehr gern Mädchen. Wo ist er?“
„In der Bibliothek, wie immer“, rief sie ihm nach, als Gorusch sich auf den Weg machte, eine weitere Treppe hinaufzusteigen. Den leeren Krug nahm sie ihm ab.
Gorusch fragte sich, wie Rofarlin und Duranaja, die ja auch schon nicht mehr so jung waren, es schafften, diese vielen Treppen zu bewälti-gen, aber vielleicht hielt sie gerade das ja jung und beweglich.
Er jedenfalls kam sich heute alt vor. Alt und müde.
※
Tommak drehte sich mit seinem Sessel zu Ragoo um. „Wir sollten nicht zu tief sinken.“
„Wie meinst du das?“
„Ich habe mir die taktischen Analysen angeschaut.“ Tommak deutete mit dem Daumen seiner rechten Hand hinter sich, auf die Displays. „Der Angriff begann, als wir auf die Luke gefeuert haben.“
Auch Dor’El drehte sich zu Ragoo um. „Hätten wir die Flugkörper dann nicht schon eher hier haben müssen? Bei deren Geschwindigkeit?“
Tommak schüttelte den Kopf. „Kylie und ich sind der Meinung, das auslösende Moment könnte durchaus unser erster Schuss gewesen sein, aber die Abschuss-Systeme haben wohl ‚ein wenig‘ Zeit benötigt, bis sie feuerbereit waren.“
Ragoo schürzte die Lippen. Der Angriff erfolgte durch relativ primi-tiv wirkende Raketen.
„Du meinst, wir sollten deshalb besser nicht landen?“ Malin drehte sich jetzt auch zu ihm herum.
„Doch.“ Tommak hob beide Hände. „Aber wir sollten die „Sternen-wanderers Traum“ in einem höheren Orbit halten und uns beeilen, sonst besteht die Gefahr, dass wir noch so einen Angriff auslösen, bis wir die Quelle nicht ermittelt und ausgeschaltet haben.“
„Kling gut.“
„Das Problem ist nicht, dass wir uns nicht verteidigen können. Ich habe nur Angst, wir gefährden die Menschen unter den Kuppeln.“
„Wenn wir sie nicht durch die Abwehr eines Raketentreffers gefähr-den, dann sollten wir ihnen unbedingt gegen dieses riesenhafte … was es auch sein mag, helfen“, fasste Ragoo zusammen. „Das haben wir ja quasi auch ausgelöst, richtig?“
„Ein Koleti.“ Malin nahm Tommak in den Blick. „Was hätten wir da-gegenzusetzen?“
„Ich konnte nicht sehen, was die da unten ausrichten konnten, aber ich befürchte …“
„Fast nichts“, mischte sich Dor’El ein. „Ich habe mir die Daten der Drohne angeschaut. Selbst die Sprenggeschosse aus den Ambis konnten dem nichts anhaben. Zum Glück scheint es in den Trümmern stecken geblieben zu sein. Aber wir sollten nicht zu lange warten, sonst …“
„Wäre schade um Schasch-Garan.“ Malin drehte sich wieder zurück und hielt den eingeleiteten Sinkflug auf.
Kylie erschien wieder vor dem zentralen Display und schlug vor: „Nehmt den Gleiter und landet damit. Ich kann die ‚Sternenwanderers Traum‘ so lange etwas weiter zurückziehen, bis ihr das Problem gelöst habt.“
Ragoo nickte. „Ja, das dachte ich auch. Malin, bringe uns so tief, dass wir die ‚Traumfänger‘ schnell absetzen können und wir versuchen mal, unsere Möglichkeiten einzusetzen. Ich kann mir vorstellen, dass wir mit raheelianischer Technik wesentlich mehr Erfolg haben werden.“
„Das werden wir“, bestätigte Kylie. „Daran gibt es keine Zweifel. Wo diese …“ Das Holobild der KI schielte kurz zu Malin hinüber. „… diese primitiven Waffen kaum Wirkung zeigen, werden raheelianische Pulser ganz anders wirken.“
Malins Schnaufen konnte man als deutliche Zustimmung gelten las-sen.
„Ich bereite da mal was vor!“ Tommak schwang zu seiner Konsole herum und man sah, wie die Anzeigen über die Displays huschten.
„Ich mache die ‚Traumfänger‘ klar“, kam von Dor’El. „Kylie, bitte gib mir alle Umgebungsdaten – vom Einstieg über das große Sprengloch bis zum Übergang nach Schasch-Garan.“
Während Ragoo die Angaben für die Ausrüstung des Einsatzes zu-sammenstellte, entwickelte sich an den beiden technischen Konsolen ein reges Treiben, bis Tommak und Dor’El fast gleichzeitig „fertig!“ riefen.
Vor Malin erschien eine Schematik für den Sinkflug und die „Ster-nenwanderers Traum“ begann wieder, sich den fernen Bergen zu nä-hern.
Nach kurzer Zeit schwenkte Malin ihre Konsole weg und sprang aus ihrem Sessel auf. „Kann losgehen. Kylie macht den Rest.“
Ragoo hatte nichts dagegen.
Sie warf noch einen letzten Blick auf die sich nähernden Berge und folgte dann den anderen den Gang entlang, um im Haupthangar den Gleiter zu besteigen.
Dort zogen sich gerade die letzten „Helferlein“, wie Malin sie immer nannte, zurück und die Ladeluken wurden geschlossen. Malin hatte den Antrieb schon aktiviert, als Ragoo gerade durch die Seitenluke stieg und die Tür schloss.
„Am Bohren und der Höhe hat es nicht gelegen!“, rief Malin. „Kylie meldet gerade den Anflug von zwei weiteren Objekten. Gleiche Rich-tung und gleiche Geschwindigkeit. Wir sind gleich so weit, dass wir rauskönnen, dann zieht sie sich zurück.“
„Wenn es nicht der Beschuss war, wodurch ziehen wir denn dann deren Aufmerksamkeit auf uns?“
„Nur eine Vermutung, Ragoo, aber unser Antrieb unterscheidet sich nur unwesentlich von der energetischen Grundstruktur eines Pulser-schusses. Malin … nur ein kurzer Impuls, dann erst einmal treiben las-sen!“ Dor’Els Kopfhaltung deutete darauf hin, dass sie wieder direkt mit Kylie verbunden war.
Die Hauptrampe war noch nicht ganz ausgefahren, aber die Öffnung bereits groß genug für den Gleiter. Malin gab nur einen kurzen Impuls auf den Antrieb und die „Traumfänger“ schoss aus dem Hangar hinaus.
Auf seinen Displays konnte Tommak bereits die beiden anfliegenden Objekte erkennen. „Kylie meint, die sind nicht völlig identisch. Vermut-lich eine Nummer größer“, informierte er.
Deutlich war zu sehen, wie die anfliegenden Objekte die „Traumfän-ger“ ignorierten und ihren Kurs auf die sich bereits entfernende „Ster-nenwanderers Traum“ anpassten.
Es schien zu funktionieren: Sogar als Kylie weiter beschleunigte, folg-ten ihr die beiden Objekte und als Malin ihrerseits den Antrieb der „Traumfänger“ aktivierte, machte es keinen Unterschied. Die beiden Objekte versuchten eindeutig, die „Sternenwanderers Traum“ einzuho-len, während die „Traumfänger“ unbehelligt in den kontrollierten Sink-flug in Richtung auf das aus dieser Höhe ohne Hilfsmittel noch nicht erkennbare Einschlagsloch ging.
„Kylie meldet, dass die Verfolger aufgegeben haben“, meldete Tom-mak. „Vermutlich reichte deren Brennstoff nicht für eine so große Ent-fernung. Sie fragt, ob wir daran interessiert sind, die treibenden Über-reste zu untersuchen?“
„Auf keinen Fall!“, entschied Dor’El. „Wenn es sich um primitive ‚Bo-den-Luft-Raketen‘ handelt, dann könnte sich der Sprengkopf beim Ver-such einer Bergung aktivieren. Was wir an Daten haben, muss vorerst reichen.“ Sie sah zu Ragoo, die bestätigend nickte.
„Zerstören.“
„Wird gemacht“, bestätigte Kylies Gesicht auf einem der Displays.
„War das wirklich immer so?“, fragte sich Ragoo. Sie war quasi je-derzeit überall und nirgends so richtig. Diese Idee, ihr einen Körper zu geben und damit einen Fixpunkt für die menschliche Wahrnehmung schien tatsächlich zu einer Notwendigkeit zu werden.
„Ziele zerstört“, meldete Dor’El. „Unsere Vorsicht war berechtigt: Die ‚Sternenwanderers Traum‘ meldet zwei thermonukleare Explosio-nen an den oberen Grenzen der Atmosphäre und in ausreichender Ent-fernung zu den Schilden.“
„Verpufft!“, knurrte Malin, die ihre Aufmerksamkeit nicht von ihrer Konsole ließ, während Tommaks Blick über alle seine Displays wan-derte. Doch bisher zeigte sich keine weitere Reaktion auf ihren jetzt ak-tivierten Antrieb.
Das Einschlagsloch war mittlerweile auch ohne Vergrößerung klar durch die vorderen Displays des Gleiters zu erkennen und Malin ließ die „Traumfänger“ langsam trudeln, wobei sie die Geschwindigkeit am Ende so weit reduzierte, dass sie sicher durch das Loch in die Halle sin-ken konnten, die ihnen schon einmal als Landeplatz gedient hatte.
Ragoo kam der Gedanke, dass es jemandem auffallen könnte, wenn sie immer wieder diesen Weg nähmen. Sie blickte sich um, aber auf kei-nem der Displays und Anzeigen waren Anzeichen zu erkennen, die auf eine Beobachtung oder eine drohende Gefahr hindeuteten.
Immerhin waren sie schon mehrfach angegriffen worden, als sie sich in den Tunnelsystemen aufhielten. Wer auch immer dafür verantwort-lich war, verfügte vermutlich nicht über einen definierten Standort, son-dern schien sich wahllos und zufällig an ihre Position heranzuschlei-chen. Deutete das nicht auf eine gute Organisation hin?
3 – Schasch-Garan
A lter Schwede, Manni. Das glaubst du nicht. Ich habe ihn tatsächlich gefragt und er hat alles bestätigt, was du mir letzte Woche geschrieben hast. Es ist kein Irrtum möglich. Als ich ihn mit den Namen konfrontiert habe, hat er nur mit den Schultern gezuckt und mich dann in eines der Büros im Ostflügel begleitet.
Die Welt wird immer verrückter und dabei meine ich nicht nur die politische Situation. Da braut sich was zusammen, was ich mir so kaum ausdenken kann. Ich dachte erst, es wäre Zufall, als hier so viele Uniformierte aufliefen, aber du findest sie jetzt schon in fast jeder Vorlesung.
Aber neben allen düsteren Gedanken muss ich dir auch noch etwas Schönes mitteilen. Ja, Silvia hat darauf bestanden, dass ihr es jetzt wissen sollt.
Nicht nur, dass sie mit ihrem dualen Studiengang sehr gut vorankommt – auch privat sind wir auf einem neuen Weg. Ich muss dir sogar ein Foto von ihr sen-den, hat sie mir aufgetragen und sie hat es dann gemeinsam mit mir zusammen ausgesucht.
Wir haben hier ein nettes Häuschen finden können. Etwas außerhalb von Wien gelegen, aber mittlerweile kann Silvia viel Zeit im HomeOffice verbringen und dadurch sehe ich sie dann zwar nicht mehr so häufig, aber insgesamt ist es für sie schon eine große Erleichterung.
