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»Wir helfen zurück ins Leben« ... lautet das Versprechen eines Heims für ehemalige Drogensüchtige im Schwarzwald. Lena jedoch glaubt nicht an die trügerische Idylle. Ihr Leben im Heim wird von Dunkelheit, Psychostress und Zwang beherrscht. Sie fühlt sich als Gefangene und ist überzeugt, dass ihr Freund Kevin von zwei dunklen Gestalten entführt und getötet wurde. Weil ihr sonst niemand glaubt, nimmt der Journalist Lukas Schwartz sich der Angelegenheit an. Doch während seiner verdeckten Ermittlungen im Heim stellt er bald fest, dass Lena an Schizophrenie leidet. Also alles nur Hirngespinste? Kevins Entführung nur Teil des normalen Programms und die letzte von drei Prüfungen? Könnte der tödliche Absturz eines anderen Heimbewohners doch nur ein bedauernswerter Unfall gewesen sein? Lukas zweifelt an Lenas Glaubwürdigkeit, doch dann macht er eine Entdeckung …
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Veröffentlichungsjahr: 2018
Die letzte Prüfung
von
B. M. Ackermann & Jay S.
Thriller
Es wurde still, trügerisch still.
Wo zuvor gedämpfte Schreie und Kampfgeräusche die Nacht erfüllt hatten, herrschte jetzt nur noch Stille. Bis das Quietschen schlecht geölter Scharniere sie wieder durchschnitt.
Lena erstarrte. Doch sie musste fliehen, und zwar schnell, aber ihre Füße schienen in dem vom Regen aufgeweichten Waldboden immer weiter zu versinken. Die zwei hell erleuchteten Fenster im oberen Stockwerk des Hauses starrten sie aus der Finsternis heraus an wie die Augen eines bösartigen Gespensts. In der Mitte darunter stand ein senkrechter Strahl Licht, zwei Gestalten traten hindurch.
Sie kommen!
Lena strich die nassen Haare aus ihrem Gesicht, spannte die Muskeln und schaffte es tatsächlich, sich in Bewegung zu setzen. Sie rannte los, weg von dem Haus, und kämpfte gegen die Versuchung an, zurückzublicken.
Nur weg!
Hinter ihr heulte ein Motor auf, gleich darauf erklang das platschende Geräusch von Reifen auf dem verregneten Asphalt. Panik ergriff sie, die sie dazu zwang, schneller zu rennen. Sie wusste, irgendwo da vorne war eine Art Treppe, die an den teils steilen Stufen eines Bergbachs entlangführte. Dieser Fluchtweg war ihre einzige Chance.
Sie riskierte einen kurzen Blick über die Schulter und sah, wie zwei Lichtkegel die Dunkelheit zerschnitten.
Schneller!
Sie rannte, als wäre der leibhaftige Teufel hinter ihr her, und verpasste prompt die rettende Treppe. Abrupt blieb sie stehen, drehte sich um und lief zurück. Jetzt kamen ihr die Scheinwerfer entgegen. Sie waren nicht allzu weit entfernt, aber nicht nahe genug, um Lena erfassen zu können. Sie bog ab und hastete die steilen Stufen hinunter. Beinahe euphorisch klammerte sie sich an den winzigen Funken Hoffnung, es tatsächlich zu schaffen und dieser Hölle zu entkommen.
Ihre Schritte wurden immer schneller und schneller. Zu schnell. Sie konnte ihre Beine nicht mehr kontrollieren, der Abstieg war viel zu steil und die Steinplatten von Regen und Schlamm überschwemmt. Lena geriet ins Rutschen und bekam gerade so das hölzerne Geländer am Wegesrand zu fassen, ehe sie endgültig den Halt verlor. Hastig rappelte sie sich auf und viele Stufen und Atemzüge später erreichte sie die halb zerfallene Mühle oberhalb des Dorfes. Hier könnte sie sich verstecken und abwarten, bis die Luft rein wäre. Oder, und der Gedanke gefiel ihr noch besser, sie könnte ins Dorf laufen und dort Hilfe suchen.
Der Ort lag nahezu im Dunkeln. Wenige Straßenlampen warfen helle Flecken auf den Asphalt. Die Häuser dahinter schienen sich zu ducken, als wollten sie verhindern, von Lena entdeckt zu werden. Nur hinter dem schmutzigen Fenster eines kleinen Hauses an der nächsten Straßenecke brannte Licht. Sie ging darauf zu und stellte fest, dass es sich um ein Gasthaus handelte. Oder eher um eine heruntergekommene Spelunke.
Die Bilder von vorhin kamen ihr wieder in den Sinn, und ein eiskalter Schauer rieselte über ihren Rücken. Zum Glück verblasste die Szene sofort, als die Tür der Kneipe aufging und zwei torkelnde Gestalten in die Nacht entließ. Sie lallten und lachten, verstummten jedoch sofort, sobald sie Lena bemerkt hatten. Einer der Männer grinste mit einem verklärten Blick, der andere legte die Stirn in tiefe Falten. Im Türrahmen der Kneipe stand ein dritter Mann, bärtig und sicherlich noch älter als die beiden Betrunkenen. Er warf Lena einen angewiderten Blick zu, zögerte einen Moment, doch dann zog er sich ins Innere des Wirtshauses zurück und schloss die Tür. Von ihm brauchte sie keine Hilfe zu erwarten. Auch nicht von den beiden anderen Männern, die bereits ihren Weg die Straße entlang fortgesetzt hatten, laut singend und lachend.
Lena hörte einen Motor, der lauter wurde, und setzte sich wieder in Bewegung. Mit heftig pochendem Herzen rannte sie ein Stück die Hauptstraße entlang und bog dann in eine schmale Gasse ein. Nachdem sie deren Ende erreicht hatte, entdeckte sie den Kirchturm mit dem Kreuz darauf, der keine dreißig Meter von ihr entfernt in den Himmel ragte.
Das konnte kein Zufall sein, dass sie ausgerechnet hier gelandet war. Warum war sie nicht gleich darauf gekommen? Der Pfarrer würde ihr möglicherweise helfen. Wenn nicht er, wer dann?
Sie lauschte in die Dunkelheit. Kein Motor zu hören. Stattdessen herrschte eine beinahe greifbare Stille. Die Luft war so feucht und kalt, dass Lena ihren eigenen Atem sehen konnte, der sich in der Kälte zu weißen Wölkchen materialisierte, um sich sofort wieder in Luft aufzulösen. Ihr Blick fiel wieder auf den Kirchturm, dann fasste sie sich ein Herz und marschierte zielstrebig auf das Pfarrhaus zu, das direkt neben der Kirche stand.
Obwohl im Haus kein einziges Licht brannte, betätigte sie die Klingel und wartete. Nichts. Sie läutete ein weiteres Mal, dann noch einmal, aber erst nach dem fünften Klingeln sah sie durch ein kleines Fenster neben dem Eingang, wie im Inneren des Hauses Licht anging. Kurz darauf wurde die Tür gerade soweit geöffnet, dass Lena die rechte Hälfte eines runden Gesichts sehen konnte. Trotzdem erkannte sie Pfarrer Warth sofort. Sie hatte schon öfter seine Gottesdienste besucht.
»Ja bitte?«, fragte er und musterte Lenas Gesicht ganz genau. Dann schien er beschlossen zu haben, dass von ihr keine Gefahr ausging, und machte die Tür ganz auf. »Junge Dame, was ist denn passiert? Kann ich Ihnen irgendwie helfen?« Er klang ernsthaft besorgt.
»Ja. Im Heim, diese Leute, sie ...«, stammelte sie herum und hasste sich dafür, dass sie es ausgerechnet jetzt nicht schaffte, einen ganzen Satz herauszubringen.
»Sie sind von dem Heim dort oben«?«, hakte der Pfarrer nach und runzelte die Stirn. »Ist dort etwas vorgefallen?«
Wieder sah sie die furchtbaren Bilder vor sich, riss sich dann aber zusammen und versuchte, ihre Gedanken in sinnvolle Worte zu packen. »Kevin ist ... weg. Er wurde verschleppt.«
Der Pfarrer sah sie zunächst etwas verstört an, doch dann schlich sich etwas wie Verständnis in seinen Blick. »Jemand wurde entführt und sein Name ist Kevin?«
Sie nickte. »Ja. Bitte ... Sie müssen mir helfen. Und ihm.«
Pfarrer Warth streckte die Hand nach Lena aus. »Soll ich die Polizei anrufen?«
Lena dachte darüber nach, war sich aber nicht sicher, ob das gut war. Und es war ohnehin zu spät, überhaupt irgendwas für sie zu tun. Das wurde ihr bewusst, als sie das Dröhnen eines Motors hörte. Entsetzt blickte sie über ihre Schulter und sah zwei Scheinwerfer, die um die Ecke bogen und sich dem Pfarrhaus näherten.
»Oh nein, sie haben mich gefunden«, sagte sie leise. »Sie kommen, um mich zu holen.«
»Wer?«, fragte der Pfarrer.
»Die vom Heim.«
»Und was haben die jetzt vor?«
»Die wollen mich zum Schweigen bringen. Bitte, helfen sie mir!«, flehte sie ihn an und glaubte, in seinem Blick von Herzen kommendes Mitgefühl zu erkennen. Doch wie sollte er ihr jetzt noch helfen?
Der Pfarrer machte einen Schritt zurück ins Haus und Lena dachte schon, dass er ihr gleich die Tür vor der Nase zuknallen und sie ihrem Schicksal überlassen würde. Doch das tat er nicht. Stattdessen zog er die Tür ganz auf und sagte: »Schnell ins Haus mit Ihnen.«
Lena zögerte keinen Augenblick und trat an dem Pfarrer vorbei ins Hausinnere. Er führte sie durch einen langen, schmalen Flur in die Küche, wo es nach angebrannten Zwiebeln roch. An der Wand flackerte in einem Glas eine einsame Kerze, die ein Bild der heiligen Maria beleuchtete.
»Möchten Sie sich setzen?«, fragte der Pfarrer.
Lena schüttelte den Kopf.
»Wie wäre es, wenn Sie mir erst einmal Ihren Namen verraten?«
»Lena, mein Name ist Lena ... Lena Wieland. Bitte, Sie müssen mir helfen, Kevin zu finden, es könnte jeden Moment ...«, begann sie, doch ihre Stimme versagte, bevor sie den Satz beenden konnte.
»Ja, Lena, das versuche ich, aber ...«
Das laute Surren der Türklingel brachte ihn zum Schweigen. Jetzt war er es, der entsetzt dreinblickte, während er Lena zuflüsterte, sie solle sich ruhig verhalten, solange er nachsehe, wer da an der Tür sei.
Doch das wusste Lena bereits, brachte aber kein Wort mehr heraus. Sie setzte sich auf den Boden, kauerte sich zusammen und versuchte, so leise wie nur möglich zu atmen, damit sie hören konnte, was an der Haustür vor sich ging. Zunächst waren da nur die Schritte, dann das Öffnen der Tür und zuletzt die Stimme des Pfarrers.
»Herr von Hohberg, was für eine Überraschung«, sagte er. »Was führt Sie mitten in der Nacht zu mir?«
»Ich suche einen meiner Schützlinge, und ich glaube, dieser ist vor zwei Minuten in ihr Haus eingedrungen«, antwortete Christian von Hohberg, den Lena sofort an der eindringlichen Stimme erkannte. Er war der Leiter des Heims. »Eine junge Frau. Ich bin für sie verantwortlich und werde sie jetzt mitnehmen.«
»Sie wirkt ein wenig erschrocken«, sagte Pfarrer Warth. »Ist irgendetwas passiert dort oben?«
»Nein, Herr Pfarrer, es ist nichts passiert. Also?«
Schweigen breitete sich aus, und Lena wurde bewusst, dass der Pfarrer ihr letztendlich doch nicht helfen konnte, egal, ob er wollte oder nicht.
Sie hörte Schritte, die näher kamen und neben ihr verstummten. Ihr Herz begann zu rasen, sie schaffte es nicht mehr, ruhig zu atmen. Vielmehr fiel es ihr von Sekunde zu Sekunde schwerer, überhaupt noch Luft zu bekommen.
»Ich weiß nicht, ob ich das gut heißen kann. Sie wirkt sehr verstört«, setzte der Pfarrer zu einem letzten Hilfeversuch an.
»Machen Sie sich keine Gedanken, Herr Pfarrer, Lena ist immer verstört, aber sie ist bei uns in guten Händen. Nicht wahr, Lena?«
Lena resignierte, es war vorbei. Langsam stand sie auf, stolperte dem Heimleiter entgegen und ließ sich von ihm zur Tür führen. Dort nahm sie einer der Betreuer aus dem Heim in Empfang.
»Vielen Dank für Ihre Kooperation«, sagte Christian von Hohberg zum Pfarrer. »Ich wünsche Ihnen noch eine gute Nacht.«
Lena nahm auf der Rückbank des Wagens Platz und ihr wurde endgültig bewusst, dass sie ihrem Albtraum nicht entrinnen konnte.
Der Mercedes wendete am Pfarrhaus, und sie sah, dass Pfarrer Warth ihr zunickte. Und wenn sie sich nicht getäuscht hatte, war ein aufmunterndes Lächeln über seine Lippen gehuscht.
Tragisches Ende einer Abhängigkeit
Am vergangenen Samstagmorgen wurde in einem Hinterhof in der Nähe der Marienkirche der leblose Körper eines jungen Mannes entdeckt. Polizeiberichten zufolge wurden bei seiner Leiche keinerlei Ausweise oder sonstige Hinweise auf seine Identität gefunden. Zahlreiche äußerliche Merkmale deuten auf eine exzessive Drogenabhängigkeit hin. Bisher wurde keine Vermisstenanzeige erstattet, die auf sein Profil zutrifft. Die Kriminalpolizei geht aufgrund der bisherigen Erkenntnisse davon aus, dass der Tod auf eine Überdosis der verheerenden Kultdroge Crystal Meth zurückzuführen ist. Die Polizei Stuttgart ruft Zeugen oder Personen mit Hinweisen dazu auf, sich mit ihr in Verbindung zu setzen.
Lukas Schwartz wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel und blickte von dem eineinhalb Jahre alten Zeitungsartikel auf die beiden Kerzen, die vor seinem Wohnzimmerfenster heftig zu flackern begonnen hatten, sich aber kurz darauf wieder beruhigten. Er hatte diese Kerzen für seine verstorbenen Eltern angezündet und fragte sich jetzt, ob er nicht doch eine dritte Kerze dazustellen sollte. Für Valentin, seinen drogensüchtigen Bruder, der vielleicht, genau wie der unbekannte Junkie aus dem Zeitungsbericht, nicht mehr am Leben war.
Seit achtzehn Monaten hoffte Lukas auf ein Lebenszeichen seines kleinen Bruders, erhielt aber keins. Kein Wunder, ihre Wege hatten sich nach einem heftigen Streit getrennt. Seitdem sammelte er Zeitungsberichte über Drogentote, verfolgte jede Spur, die ihn zu Valentin führen könnte, und ständig rechnete er damit, seinen Bruder in einer Leichenhalle oder tot in der Gosse wiederzufinden. Todesursache: der goldene Schuss.
Mittlerweile zählte er über dreißig kürzere und längere Berichte, aber nicht jeder Todesfall, der auf Drogen zurückzuführen war, schaffte es in die Zeitung. Alleine in Baden-Württemberg waren im vergangenen Jahr über einhundertzwanzig Menschen wegen Drogenkonsums verstorben. Tendenz steigend. Von den dreißig, über die berichtet worden war, hatte Lukas die Namen herausfinden und den Artikeln zuordnen können.
Er ging davon aus, dass sein Bruder keinen Platz in der Statistik der über hundert Drogentoten gefunden hatte, aber mit Sicherheit sagen konnte er es nicht. Erneut dachte er darüber nach, eine Kerze für Valentin zu entzünden, ließ es dann aber sein, weil er die Flamme der Hoffnung, die er in sich trug, nicht erlöschen lassen wollte.
Er blätterte in seinem Ordner, in dem er wichtige oder selbst verfasste Artikel aufbewahrte, ein paar Seiten zurück und stieß auf eine weitere Schlagzeile, die ihn daran erinnerte, dass das Schicksal mitunter äußerst brutal zuschlagen kann.
Ehepaar schlittert in den Tod
Den Rest des Artikels brauchte Lukas nicht zu lesen, er kannte ihn auswendig.
Vor zwölf Jahren, in der Nacht des ersten Novembers, waren seine Eltern in ihrem Porsche tödlich verunglückt. Sie hinterließen zwei Söhne, der eine achtzehn, der andere vierzehn Jahre alt. Ihr Wagen hatte auf der regennassen Fahrbahn in einer Kurve die Bodenhaftung verloren, das Geländer einer Autobahnbrücke durchbrochen und war zwanzig Meter in die Tiefe gestürzt. Von seinen Eltern war nicht viel übrig geblieben, und die letzte Erinnerung, die Lukas an sie hatte, waren ihre toten, vom Unfall gezeichneten Gesichter, als er sie im Leichenschauhaus identifizierte.
Beim Gedanken daran begann Lukas zu frösteln. Aber vielleicht lag es auch nur an der kalten Luft, die durch das Kippfenster hinter ihm hereinströmte und ihm in den Nacken zog. Er stand auf und schloss das Fenster. Anschließend nahm er das leere Weinglas vom Wohnzimmertisch und ging leicht schwankend in die Küche, um es wieder aufzufüllen.
Doch bevor er dazu kam, die zweite Weinflasche dieses Abends zu öffnen, spürte er ein Vibrieren in seiner Hosentasche. Er zog sein Handy heraus und meldete sich.
»Lukas Schwartz.«
»Hallo, Lukas, hier spricht Pfarrer Hannes Warth. Weißt du noch, wer ich bin?«, kam eine Stimme aus dem Hörer, an die Lukas sich sehr wohl erinnerte. Allerdings war er derart überrascht, dass er vollkommen vergaß zu antworten.
»Hörst du mich, Lukas?«, fragte der Pfarrer.
»Ja, ich höre dich sehr gut, Hannes. Was willst du?« Er bemerkte, dass er ein wenig lallte. Vermutlich wäre es doch besser gewesen, die Flasche Rotwein nicht auf einmal leer zu trinken. Er schüttelte den Kopf, um ihn einigermaßen freizubekommen.
»Ähm, ist alles in Ordnung mit dir? Störe ich gerade?«
»Nein, nein, alles bestens«, erwiderte Lukas. »Ich bin nur etwas, na ja, verwundert, dass du mich anrufst. Ich habe lange nichts von dir gehört.«
»Das stimmt, ungefähr eineinhalb Jahre?«
Seit ich ihm ein paar echt üble Dinge an den Kopf geworfen habe, dachte Lukas und sagte: »Ja, das könnte hinkommen. Um ehrlich zu sein, ich hätte nicht erwartet, jemals wieder von dir zu hören.«
»Ich habe es mir auch gut überlegt, ob ich dich anrufen soll, und bin zu dem Schluss gekommen, dass unsere Freundschaft nicht länger unter diesem überflüssigen Streit leiden sollte«, sagte Hannes. »Wollen wir Frieden schließen?«
Darüber brauchte Lukas nicht lange nachzudenken. Er hatte schon zu viele wertvolle Menschen verloren, dieses Friedensangebot konnte er unmöglich zurückweisen.
»Ja, das ist eine gute Idee, Hannes. Es tut mir leid, was ich alles zu dir gesagt habe. Du wolltest ja nur helfen, nachdem ich mich mit Valentin zerstritten hatte. Und ja, ich weiß mittlerweile auch, dass ich vieles falsch gemacht habe.«
Er fragte sich, warum er das plötzlich einfach so zugeben konnte, aber dann fiel sein Blick auf die leere Weinflasche. Die erklärte alles.
»Nur leider bringt mir das meinen Bruder nicht zurück«, fügte er hinzu.
»Dann hast du in letzter Zeit also nichts von Valentin gehört?«
»Nein, leider nicht. Du vielleicht?«
»Nein, aber wegen Valentin rufe ich auch gar nicht an.«
»Okay, worum geht es dann?«
»Na ja, wo soll ich anfangen. Die Sache ist in der Tat ein bisschen seltsam«, stammelte der Pfarrer herum.
Lukas bemerkte, wie ihm schwindelig wurde. Rasch setzte er sich auf die Couch im Wohnzimmer und wartete, ob Hannes noch etwas hinzufügen würde. Weil er das nicht tat, forderte er ihn dazu auf, deutlicher zu werden.
»Du hast mir mal gesagt, dass du an merkwürdigen Geschichten interessiert bist«, sagte Hannes.
Das stimmte. Er hatte in seiner Laufbahn als Journalist schon so manche Dinge ans Licht gebracht, die im Verborgenen hätten bleiben sollen. An so etwas hatte er immer Interesse, zumal er seit Monaten in seinem Job auf der Stelle trat.
»Und du hättest da so eine Geschichte für mich?«, fragte er.
»Ja, möglicherweise hätte ich da etwas. Es ist tatsächlich ein wenig seltsam und auch persönlich, weil es um dieses Reintegrationsheim geht, über das du dich vor zwei Jahren erkundigt hattest.«
Lukas erinnerte sich an das Heim für ehemalige Drogensüchtige, das im südlichen Schwarzwald oberhalb jenes Dorfes lag, in dem Hannes Warth sein Amt als katholischer Pfarrer ausübte. Eine sehr spärlich besiedelte Gegend, wo es kaum etwas gab, außer Bäumen, Hügel und überall verstreute Holzhütten. Vor zwei Jahren war Lukas dort gewesen, um sich dieses Heim genauer anzuschauen, weil er darüber nachgedacht hatte, seinen Bruder dort einweisen zu lassen. Bei der Gelegenheit hatte er Pfarrer Hannes Warth kennengelernt, der sich für diese Einrichtung positiv ausgesprochen hatte. Aus der Bekanntschaft war so etwas wie Freundschaft geworden.
»Und was ist mit dem Heim?«, fragte Lukas.
»Ich weiß nicht so recht, aber ich denke, irgendetwas stimmt da nicht. Letzte Nacht stand plötzlich eine junge Frau vor meiner Tür«, antwortete Hannes. »Zuerst dachte ich ja, das ist eben so eine, die leicht durcheinandergeraten ist. Du weißt schon, wegen der Drogen. Aber irgendwas war da in ihrem Blick, das mir zu denken gab. Na, wie auch immer. Sie stand im strömenden Regen, mitten in der Nacht vor meiner Tür und bat mich um Hilfe.« Er machte eine kurze Pause, vielleicht, um sich zu sammeln. Dann fuhr er fort. »Sie sagte, Kevin sei verschleppt worden. Wahrscheinlich ihr Freund oder so etwas. Ich wollte ihr helfen, aber dann haben die Leute vom Heim sie aufgegriffen und mitgenommen. Heute früh habe ich mich nach ihr erkundigt. Der Heimleiter persönlich hat mir versichert, dass so eine Ruhestörung in Zukunft nicht mehr vorkäme. Und der jungen Frau gehe es bestens. Sie sei jetzt wieder unter Kontrolle. Sie heißt übrigens Lena. Lena Wieland.«
»Okay. Lena hat also behauptet, ihr Freund sei entführt worden?«
»Ja genau.«
»Und warum hast du die Polizei nicht verständigt?«
»Habe ich mir auch überlegt«, sagte Hannes. »Aber was, wenn ich die junge Dame damit in noch größere Schwierigkeiten bringe? Sie hätte auch direkt zur Polizei laufen können. Aber nein, sie hat an meine Tür geklopft. Oder besser gesagt, sie hat mich aus dem Schlaf geklingelt. Außerdem ist da noch dieser Unfall, um den sich die Polizei nicht wirklich gekümmert hat. Im Grunde kümmert sich kein Mensch um dieses Heim.«
»Moment, mal. Du hast von einem Unfall geredet?« Lukas’ Neugier wuchs. »Was genau ist dort passiert?«
»Vor ungefähr vier Wochen wurde ein junger Mann aus einem Gebirgsbach gefischt. Er war tot.«
»Und er war aus dem Heim? Ein Junkie?«
»Wenn du ihn unbedingt so nennen musst.« Hannes seufzte tief. »Es hieß, er sei davongelaufen und in eine tiefe Schlucht gestürzt.«
Lukas schwankte zwischen Interesse und Ablehnung und dachte darüber nach. Ein Toter und eine Entführung. Nun, jedenfalls eine vermeintliche Entführung. Möglicherweise hatte diese Lena zuvor Drogen konsumiert. Doch kaum hatte er den Gedanken zu Ende gebracht, schämte er sich schon dafür. Genau wegen solcher Vorurteile war die Beziehung zu seinem Bruder zerbrochen.
»Lukas?«, fragte Hannes.
»Ja?«
»Was hältst du von der Sache?«
»Hört sich nicht uninteressant an. Aber wie stellst du dir das vor, wie ich in dieses Heim reinkomme, um mich dort ein wenig umsehen zu können?«
»Ich kenne einen Psychologen, er ist ein alter Freund von mir. Der könnte dich schnell dort unterbringen. Wenn ich ihm sage, dass du ganz dringend in dem Heim dort einen Platz brauchst, erledigt er das für mich. Du müsstest nur kurz mit ihm reden und ihm glaubhaft machen, dass du den Platz unbedingt brauchst.«
Lukas unterdrückte ein Seufzen. Wie sollte er einem Psychologen weiß machen, dass er ein Drogenproblem hatte. Ausgerechnet er, der nichts mehr verabscheute als Drogen.
»Also ich weiß nicht so recht«, sagte er unentschlossen.
»Du musst dich ja nicht sofort entscheiden«, erwiderte Hannes. »Du kannst gerne eine Nacht drüber schlafen und mir dann Bescheid geben. Aber mehr Zeit haben wir nicht, fürchte ich.«
Lukas dachte über den Vorschlag nach, was ihm mit dem Alkohol im Kopf schwerfiel. »Ja, ich melde mich morgen.«
»Gut. Bis dann.«
Hannes Warth legte auf und ließ Lukas mit einem Gefühl zurück, das er schon eine Weile nicht mehr verspürt hatte. Da war dieses Kribbeln in seinem Bauch, diese leichte Erregung, die ihn immer dann befiel, wenn er eine gute Story witterte. Allerdings wusste er noch nicht, ob er sich tatsächlich darauf einlassen sollte.
Sie saßen nebeneinander auf der Holzbank am Waldrand und lauschten dem Rauschen der Blätter in den Baumkronen über ihnen.
Seit Lena ihm nähergekommen war, hatte sie wieder so etwas wie Hoffnung verspürt. Eines Tages würden sie beide es geschafft haben und von hier verschwinden können. Vielleicht würden sie in ein paar Jahren sogar zusammen Kinder haben. Niemand müsste wissen, was für eine Vergangenheit sie beide hatten, doch sobald ihre Kinder alt genug wären, könnten sie sie davon abhalten, denselben Fehler zu begehen.
Die Strahlen der Herbstsonne erwärmten ihre Haut, Kevins Hand lag sanft auf ihrer Schulter, was ihr trotz der unmittelbaren Nähe zu diesem Ort, an dem sie nichts durfte, außer sich dieser militärhaften Struktur zu fügen, ein Gefühl der Geborgenheit schenkte.
»Komm, lass uns ein wenig spazieren gehen, in Ordnung?«, fragte Kevin.
Lena blickte in seine dunkelblauen Augen, die so sehr leuchteten, dass sie beinahe unecht wirkten. Einige Strähnen seiner lockigen, blonden Haare fielen ihm in die Stirn. Das Gefühl, das sie empfand, war tief, ja, es musste Liebe sein.
»Was ist? Wollen wir?«, hakte Kevin lächelnd nach.
Lena nickte, ließ sich von seiner Hand führen und folgte ihm über die grüne, verwilderte Wiese neben dem Wald. Sie lächelte. Sie war glücklich. Unendlich glücklich. Bis zu dem Moment, in dem sie plötzlich realisierte, dass er ihre Hand losgelassen hatte. Sie blickte um sich.
»Kevin? Kevin!«
Panik breitete sich in ihr aus.
»Kevin!! Das ist nicht witzig!«
Lena blieb stehen, starrte auf die Holzbank, auf der sie eben noch gesessen hatten. Das Rascheln der Blätter war verstummt, das Licht der Herbstsonne verschwand, um sie herum wurde es mit jeder Sekunde dunkler.
Ein Vibrieren unter ihren Füßen ließ sie zusammenschrecken und kurz darauf losrennen. Die Wiese war bereits in Dunkelheit getaucht, sie erkannte nichts mehr um sich herum, rannte immer schneller, ihre Lunge begann zu schmerzen, das Atmen fiel ihr immer schwerer.
Plötzlich verwandelte sich die Vibration unter ihren Füßen zu einem lauten Beben, der Boden fiel auseinander, Stück für Stück. Lena ruderte mit den Armen, suchte verzweifelt nach Halt, nach irgendetwas, was sie vor dem Sturz retten konnte. Im nächsten Moment spürte sie etwas Hartes an ihrem Hinterkopf. Sie öffnete die Augen, doch noch immer war alles dunkel um sie herum. Bis auf eine kleine Stelle am anderen Ende des ... war es ein Zimmer? Ein Haus?
Es roch nach abgestandenem Schweiß, die Luft war warm und dick, sie musste durch den Mund atmen, um den Geruch zu ertragen. Mit letzter Kraft kämpfte sie sich auf die Beine.
Dieses Licht, oder eher dieses Flackern, wie von einer jeden Moment erlöschenden Kerze, zog sie magisch an, und sie ging hinüber zu der Ecke des Raumes, aus dem es kam. Sie kniete sich neben das, was von der einst riesigen, blutroten Kerze übrig geblieben war, und betrachtete die schwache Flamme, als wäre sie ein äußerst seltenes Tier, das sie so eben entdeckt hatte. Sie verstand nicht, weshalb dieses flackernde Licht sie derart in seinen Bann zog.
»Le ...«
Lena zuckte zusammen. Wessen Stimme war das? Und wieso klang sie so beängstigend nah?
»Lena ...«, hörte sie die Stimme nun deutlicher. Und erkannte sie.
»Kevin! Sag mir, wo du bist, ich hole dich da raus!«
In diesem Moment erlosch das Licht der Kerze endgültig, und Lena erkannte ihre eigene Hand vor dem Gesicht nicht mehr.
»Kevin! Sag doch etwas!«
Stille. Kein Ton, nichts. Als wäre die Stimme nie da gewesen.
Lena tastete sich auf allen vieren über den Holzboden, bis plötzlich etwas Spitziges sich in ihre Handfläche bohrte und sie aufschreien ließ. Mit der anderen Hand griff sie nach dem Gegenstand, von dem sie zunächst sicher gewesen war, dass es nur ein fieser, langer Holzsplitter gewesen sein konnte. Sie spürte, wie warmes Blut aus ihrer Handfläche floss, während sie den Splitter mit einem Ruck herauszog und begriff, was es wirklich war.
Eine Spritze.
Was machte eine verfluchte Spritze an diesem Ort, und wo war sie hier überhaupt? Und wo war Kevin? Verzweifelt schrie sie immer und immer wieder seinen Namen, spürte eine Träne der Verzweiflung über ihr Gesicht rollen.
Plötzlich ließ sie ein fester Druck um ihre Hand neue Hoffnung schöpfen.
»Kevin? Bist du es?«
Der Druck an ihrer Hand wurde fester. Lena öffnete die Augen und blickte in das Gesicht einer Frau. Dr. Schenker? Ja, es war Dr. Schenker. Sie lächelte sanft und tupfte mit einem kalten, feuchten Tuch über Lenas verschwitzte Stirn.
»Alles ist gut, Lena. Es war nur ein böser Traum.«
Lena blickte sich um. Sie lag im Büro des Heims auf dem Bett, das mehr einer Pritsche glich und nur für Notfälle gedacht war. Zum Beispiel, wenn jemand besondere Aufsicht benötigte. Warum war sie in diesem Zimmer? Und wann hatte der Albtraum überhaupt begonnen? Wo war Kevin?
»Wo ist Kevin?«, fragte Lena die Psychiaterin mit skeptischem Blick.
Wieder lächelte Dr. Schenker. »Wie wäre es, wenn du kurz duschen gehst und dann nach unten kommst? In fünfzehn Minuten treffen sich alle am großen Tisch. Es gibt tolle Neuigkeiten für die Gemeinschaft.«
Lena starrte Dr. Schenker an und grübelte. Das letzte Mal, als sie sich so verwirrt gefühlt hatte, war, als sie vor Jahren morgens an einen Geldautomaten gelehnt erwacht war. Sie hatte sich nicht mehr im Entferntesten an etwas erinnern können, was sie in jener Nacht erlebt hatte, doch irgendwann schien ihr Körper resigniert zu haben.
Resignation. Nichts anderes war es, das Lena schließlich dazu bewog, Dr. Schenker zu gehorchen und aufzustehen.
Ein böser Traum ...
So musste es sich anfühlen, wenn man neunzig Jahre alt war und nach einer Nacht im Krankenhaus oder Altersheim, in der man mit unzähligen Schlaf- und Schmerzmitteln vollgepumpt worden war, morgens aufstehen musste, dachte Lena bitter und verließ hinter der Ärztin das Büro.
***
Erst als es zum dritten Mal energisch an der Tür klopfte, zwang sich Lena, das warme Wasser auszuschalten, sich abzutrocknen und diese verwaschenen Kleider anzuziehen, zu denen sie absolut keinen Bezug hatte. Lena vermisste ihre alten, löchrigen Jeans, ihre viel zu großen Shirts, die alte schwarze Wolljacke ihrer Schwester.
Es sei nicht gut, die Kleider zu tragen, die einen mit der Vergangenheit verbanden, hatte man ihr erklärt, als sie ihr bei ihrer Ankunft alles genommen hatten, das ihr etwas bedeutete. Lena war sich sicher, diese Heimleute wollten nur eins; neue, ihren Vorstellungen entsprechende Mustermenschen erschaffen.
Sie hatte mindestens zwanzig Minuten im Bad verbracht, fünfzehn davon wie versteinert unter der Dusche, hatte es geschafft, alles Grauenhafte aus ihrem Kopf zu verbannen, doch jetzt plötzlich drangen die ganzen furchtbaren Bilder von vergangener Nacht zurück in ihr Bewusstsein. Kevin. Sie wollte sich nicht ausmalen, was diese Schweine ihm möglicherweise angetan hatten.
»Du weißt doch genau, wie sauer der Heimleiter wird, wenn wir zu spät kommen?!«, zischte Lenas Zimmergenossin Céline energisch, als Lena mit immer noch nassen Haaren aus dem Badezimmer kam.
»Und wenn schon«, erwiderte Lena. »Ist mir doch egal.«
Céline strich sich mit einer genervten Geste die dünnen, hellblonden Haare aus dem Gesicht und wandte sich von Lena ab. »Musst du wissen, ich lass mich heute nicht zwanzig Minuten über moralische Grundsätze zulabern«, sagte sie, während sie das Zimmer verließ, ohne sich dabei noch einmal umzudrehen.
***
»Lena, geht es dir gut?«, drang eine fürsorglich, fast mütterlich klingende Stimme zu ihr durch.
Lena zuckte zusammen und versuchte, sich auf einen bestimmten Punkt auf dem riesigen, in der Mitte der Wand hängenden Foto der Gemeinschaft zu konzentrieren, um die aufkeimende Panik zu unterdrücken. Panik, weil sie nicht wusste, wie sie in diesen Raum und an diesen Tisch gekommen war. Doch auch der Anblick dieser verlogenen, falschen Glückseligkeit, die dieses Foto ausstrahlte, half ihr nicht dabei, sich zu erinnern, sondern saugte auch noch den letzten Rest Farbe aus ihrem Gesicht. Sie fühlte, dass sie wieder mal leichenblass wurde.
Dr. Schenker schaute Lena einen Moment lang so besorgt an, dass Lena ihre Fürsorge beinahe für echt hielt.
»Lena? Lena? Hörst du mich? Bist du noch bei uns?«, fragte die Ärztin, die zwischen dem Heimleiter und Ben saß. Ben war Mitte zwanzig und schon seit einigen Jahren in diesem Heim. Er gehörte schon fast zum Inventar. Ihm machte das nichts aus, wie er immer wieder beteuerte, ihm schien es in diesem Heim zu gefallen, und Lena hasste es, wie er sich ständig als Chef aufspielte.
»Entschuldigung, ja, ich bin … bin … da«, stotterte Lena leise, um nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, doch dafür war es bereits zu spät. Alle Augen im Raum waren auf sie gerichtet. Sie wusste, was alle über sie dachten. Dass sie nicht ganz richtig im Kopf war. Nur einer hatte das nicht gedacht, nur er hatte sie so respektiert, wie sie eben war. Und da fiel ihr alles wieder ein.
»Wo ist er? Wo ist Kevin, was habt ihr mit ihm angestellt?«, platzte es aus ihr heraus.
»Aber Lena, das habe ich doch gerade eben verkündet«, sagte der Heimleiter und setzte ein Lächeln auf, das vermutlich Mitgefühl hätte ausdrücken sollen.
»Ist es heute wieder etwas schlimmer, Lena?«, mischte Dr. Schenker sich ein. »Wie wäre es, wenn wir nach der Verkündungsrunde unter vier Augen darüber reden, hm?«
Lena ignorierte die Worte der Ärztin und starrte in das Gesicht des Heimleiters, den sie bis heute nicht hatte durchschauen können. Normalerweise fiel es ihr leicht zu verstehen, wie die Menschen tickten. Doch er machte ihr in letzter Zeit nur noch Angst. Seine schwarzen, für ihren Geschmack viel zu glänzenden Haare reichten beinahe bis zu seinen Augen, die er hinter einer professorenhaften, leicht getönten, runden Brille versteckte. Er wirkte wie jemand, der um jeden Preis wie ein alter, weiser Mann und zugleich wie ein junger, cooler Sportlehrer wirken wollte. Lena fragte sich, wie viel er von dem wusste, was hier vor sich ging, oder ob er wirklich so ahnungslos war, wie er vorgab zu sein.
Während er sie mit seinen Blicken durchbohrte, fühlte sie, wie ihr Puls immer mehr beschleunigte. Am liebsten wäre sie in diesem Moment aufgesprungen, aus dem Haus und zurück zum Pfarrer gerannt. Sie war sich ziemlich sicher, dass er ihr geglaubt hatte. Da war etwas in seinen Augen gewesen, was sie schon lange nicht mehr bei einem Menschen gesehen hatte. Menschlichkeit, Offenheit, Hilfsbereitschaft. Und vielleicht ein klein wenig Mitleid.
Lena sah, wie Dr. Schenker sich an den Heimleiter wandte und ihm etwas zuflüsterte. Nicht leise genug, Lena verstand jedes Wort.
»Mach dir keine Sorgen, Christian, ich werde mich später um sie kümmern.«
Christian nickte und wandte sich wieder an den Rest der Gemeinschaft.
»Nun, habt ihr nicht etwas vergessen? Habe ich euch nicht gerade gesagt, dass Kevin aufgebrochen ist, um seine letzte Prüfung zu bestehen?«, fragte er in die Runde. »Seid ihr nicht auch so überzeugt wie ich, dass Kevin es schaffen wird? Es schaffen wird, ein neuer Mensch zu werden, seine Vergangenheit hinter sich zu lassen und ein neues Leben zu beginnen?«
Niemand schaute fragend, alle wussten, was sie zu tun hatten, und so stand einer nach dem anderen auf. Alle stellten sich um den riesigen, mit Zeichnungen und Mustern verzierten Massivholztisch, falteten ihre Hände vor dem Bauch und warteten auf die Gesangseinstimmung des Heimleiters. Alle außer Lena. Das Letzte, was sie tun wollte, war, diesen Leuten das Gefühl zu geben, dass sie ihnen ihre Geschichte glaubte. Eher würde sie sterben.
Der Heimleiter schloss die Augen, einige Bewohner taten es ihm gleich. Dann erklang ein gänsehauterregendes Summen. Eine von lateinischen Versen begleitete Melodie, die Lena immer an Friedhof und Tod erinnerte, erfüllte den Raum.
Als sie die Melodie nicht mehr ertragen konnte, hielt sie sich mit den Händen die Ohren zu, presste die Augen zusammen und wurde kurz darauf von Mikael, der dicht neben ihr stand, sanft wieder zurück in die Realität gerüttelt. Wäre es jemand anderes als er gewesen, wäre Lena jetzt vermutlich ausgerastet. Doch Mikael war anders als die anderen. Er schien sich seit seiner Ankunft vehement dagegen zu wehren, sich von diesen Leute das Gehirn waschen zu lassen und machte seit jeher gute Mine zum bösen Spiel. Vielleicht sollte sie ihm erzählen, was sie gesehen hatte. Vielleicht würde er ihr glauben.
Als das Lied endlich ein Ende nahm, brachte der Heimleiter den riesigen Krug, der schon die ganze Zeit über dem knisternden Feuer des Kamins gekocht hatte, und stellte ihn auf die handgewobene Unterlage, auf die ein zielsicherer, auf einem Hügel stehender Schütze genäht worden war.
Marita, die Assistentin des Heimleiters, nahm den Krug und füllte nacheinander die Tassen, die pingelig genau in der Mitte vor ihren Besitzern auf dem Tisch standen.
»Heute ist Allerheiligen, deswegen wollen wir noch der Toten gedenken, all jenen, die eine große Lücke in unserem Leben hinterlassen haben«, sagte Christian, warf einen bedeutungsvollen Blick in die Runde und hob seine Tasse. »Lasst uns noch einmal an Pascal denken, der auf tragische Weise von uns gegangen ist, kurz bevor er sein neues Leben beginnen konnte.«
Lena sah von Christians Worten ergriffen auf, fühlte, wie ihr Tränen in die Augen schossen, und musste wieder an Kevin denken. Ihre Sorge um ihn wurde immer größer.
»Und jetzt trinken wir auf Kevin,«, fuhr der Heimleiter fort, »einen Menschen, der uns den Weg weist. Ein Freund, einer von uns, der uns allen beweisen wird, dass sich der Kampf lohnt. Er war ein wichtiger Teil unserer Gemeinschaft.«
***
Er war ein wichtiger Teil unserer Gemeinschaft.
Immer wieder rezitierte Lena im Geiste diesen Satz. Kevin war ein wichtiger Teil, nicht: Kevin ist ein wichtiger Teil. Dabei war doch noch gar nicht klar, ob er die letzte Prüfung bestehen würde. Im Augenblick hielt er sich an irgendeinem Ort auf, ganz alleine, wo er etwas tun musste, über das nicht gesprochen wurde. Zumindest wurde das so behauptet, Lena jedoch glaubte ihnen kein Wort.
»Lena, ich weiß, es ist schwierig für dich, weil Kevin nicht mehr da ist. Aber er hätte dir den Erfolg doch genauso gegönnt, meinst du nicht auch?«, fragte Dr. Schenker, die Lena auf dem Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtischs im Büro gegenübersaß. »Aber dir müsste doch klar sein, dass dieser Weg, den Kevin gegangen ist, dir noch viel mehr Schwierigkeiten bereitet. Finde dich damit ab und versuche dein Bestes.«
Lena versuchte, dem Blick der Ärztin auszuweichen. Sie wollte nicht hier sein, wollte sich diesen Mist nicht schon wieder anhören und hatte vorhin noch versucht, Dr. Schenker zu entkommen. Ohne Erfolg.
Sie fragte sich, wieso diese Frau überhaupt hier arbeitete? Was hatte eine Psychiaterin an einem Ort wie diesem verloren? Hatte man sie etwa nur wegen der sogenannten Fälle, wie sie, Lena, angeblich einer war, hier eingestellt?
»Du solltest wenigstens genügend trinken«, fuhr Dr. Schenker fort und füllte Lenas Tasse mit Tee. »Nur zu, der Tee wird dir bestimmt zur Ruhe verhelfen.«
Lena trank die lauwarme Brühe fast in einem Schluck aus. Sie hasste diesen elenden Pfefferminztee, den sie hier jeden Tag tranken. Doch wenn sie sich dieses bittere Zeug antun musste, damit man sie in Ruhe ließ, machte sie das eben.
Sie fühlte, wie der Tee zu wirken begann, ihr Puls sich beruhigte, und ihre Augenlider immer schwerer wurden.
»Also, Lena, sind wir uns jetzt einig?«, hörte sie Dr. Schenkers Stimme wie aus weiter Ferne.
Worüber?, wollte Lena fragen, aber auch ihre Zunge war schwer. Und ihre Lippen schienen aneinanderzukleben.
»Du weißt jetzt, dass Kevin an einem Ort ist, wo es ihm sehr gut geht, ja? Er wollte die letzte Prüfung ablegen, das war ihm sehr wichtig, und ich denke, er wird sie bestehen. Und deswegen wirst du dir nicht noch länger den Kopf über ihn zerbrechen. Versuche, es ihm nachzumachen, Lena, versuche, dein inneres Gleichgewicht zu finden. Auch wenn es dir schwerfällt.«
Die Stimme entfernte sich immer weiter von Lena, und sie dachte ein letztes Mal an Kevin, ihren Kevin, mit dem sie so viele Pläne gemacht hatte. Kevin war fort, okay, aber er war an einem Ort, an dem es ihm gut ging. Dort wollte sie auch hin.
Mit diesem Vorsatz schloss sie die Augen und spürte, wie eine wohlige Wärme ihren Körper durchströmte. Ein Gefühl, das sie zuversichtlich machte. Zuversichtlich, dass auch sie es schaffen konnte, ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen und die nächste Stufe auf der Leiter in die Freiheit zu erklimmen, um bald ein neues Leben beginnen zu können.
»Bist du bereit, ein neues Leben zu beginnen?«
Wie oft hatte er diese Frage jetzt schon gehört, seitdem er in diesem Drecksloch eingesperrt war? Kevin wusste es nicht, aber er fragte sich, wie lange sie dieses Spiel noch mit ihm treiben wollten. Vielleicht so lange, bis er die Dunkelheit nicht mehr ertragen könnte und alles tun würde, um dieser vermeintlich ausweglosen Lage zu entkommen. Er war sich ziemlich sicher, dass das bei ihm nicht lange dauern würde, denn er hasste die Dunkelheit von ganzem Herzen. Nicht, weil sie ihm Angst machte, sondern weil sie ihn an etwas erinnerte, das er seit Langem zu verdrängen versuchte.
»Ja oder nein?«, fragte diese heiser flüsternde Stimme, die von der anderen Seite des Raumes zu ihm herüberdrang. Von dort, wo ab und zu eine Tür aufging und einen Streifen Licht hereinließ, der ihn daran erinnerte, dass es noch etwas anderes als dieses Dunkel gab. Ein Leben dort draußen. Ein neues Leben vielleicht?
Natürlich wollte er ein neues Leben beginnen, nur deswegen war er vor über einem Jahr in dieses Heim gekommen. Das war doch das Ziel, oder? Die anderen Prüfungen zu bestehen, war ja nicht allzu schwierig gewesen. Aber das hier? Eingesperrt in einem nach Moder und Schimmel müffelnden Raum mit einer Campingtoilette in der Ecke, die nicht nur nach Chemie stank.
Kevin wusste nicht genau, wie lange er schon hier war, ob es ein oder zwei Tage waren, er wusste nur eines, er wollte hier so schnell wie möglich wieder raus. Aber bisher hatte er keine Fluchtmöglichkeit gefunden, und ihm wurde schlagartig bewusst, dass er keine andere Wahl hatte, als mitzuspielen.
»Ja«, sprach er es deshalb endlich aus. »Ich bin bereit, ein neues Leben zu beginnen.«
Ein lautes, beinahe erleichtertes Seufzen erfüllte den Raum, das zugleich unheimlich und fremdartig klang. Jetzt begann Angst durch Kevins Glieder zu kriechen. Zuerst schwach, und beinahe unerträglich wurde es, als er Schritte hörte, dann ein Knarren, wie von schlecht geölten Scharnieren und zuletzt das Geräusch einer zufallenden Tür. Hatten sie ihn doch wieder alleine gelassen?
Es wurde still, zumindest für ein paar endlos erscheinende Sekunden. Dann hörte Kevin ein Zischen, gleichzeitig flammte ein Streichholz auf und eine Kerze wurde entzündet. Es war doch jemand im Raum geblieben, von dem aber nicht viel zu erkennen war. Nur eine Gestalt mit einer Kapuze auf dem Kopf hinter einer grellen Flamme, die Kevin dazu zwang, die Augen zusammenzukneifen. Erneut fragte er sich, was das alles sollte, aber er sprach seine Gedanken nicht aus, weil ihn die Furcht noch immer fest im Griff hatte.
Er erwartete, dass die Gestalt jeden Moment etwas zu ihm sagen würde, doch stattdessen blieb sie einfach reglos stehen. Die Zeit verging, ohne dass irgendetwas geschah, doch dann spürte er auf einmal eine unheimliche Müdigkeit, die ihn beinahe lähmte. Er machte ein paar Schritte zurück, ohne dabei die Gestalt aus den Augen zu lassen, ließ sich neben der kalten Steinmauer auf die mit Heu ausgelegte Fläche nieder und schloss die Augen.
Plötzlich erfüllte ein lautes Summen den Raum. Kevin riss die Augen auf und sah noch immer das gleiche Bild vor sich wie zuvor. Eine lodernde Flamme, dahinter die dunkel gekleidete, vermummte Gestalt. Im ersten Moment fragte er sich, ob er jetzt schon halluzinierte, doch dann erkannte er das Lied, das die Gestalt anzustimmen begann. Ave Maria! Das Lied war ihm im Heim bereits nach zwei Wochen auf den Wecker gegangen, doch jetzt löste es nur noch Panik in ihm aus. Wieso musste es ausgerechnet dieses seltsame Lied sein? Passierte das jetzt alles nur, weil er Ja gesagt hatte? Ja, zu einem neuen Leben?
Er presste die Hände auf seine Ohren, um den immer lauter werdenden Gesang ertragen zu können, und wünschte sich an einen anderen Ort. Sein Wunsch wurde ihm nicht erfüllt, aber zumindest verstummte der Singsang nach ein paar Minuten. Vorsichtig ließ er die Hände wieder herabsinken und wartete mit angehaltenem Atem darauf, was als Nächstes passierte.
»Ich und die gesamte Gemeinschaft heißen dich herzlich willkommen zu deiner letzten Prüfung«, begann eine Stimme zu sprechen.
Er konnte sie nicht wirklich einordnen, es klang wie eine Frau, die ihre Stimme verstellte, um wie ein Mann zu klingen. Konnte das vielleicht ...? Nein, unmöglich. Sie hatte doch überhaupt nichts mit den Prüfungen zu tun. Wobei er sich nie wirklich sicher gewesen war, ob die Gerüchte, die im Heim über die letzte Prüfung verbreitet wurden, überhaupt stimmten.
»Fürchte dich nicht vor dem, was dir in den kommenden Tagen auferlegt werden wird. Es ist Teil deines Weges. Ein Kapitel im Buch deines Lebens, welches unumgänglich und zugleich von großer Bedeutung ist. Du wirst in diesem Kapitel nicht viele Worte, doch dafür viele Antworten finden, wenn du sie zulässt. Die nächsten Tage sollen ein Spiegel deiner dunkelsten Zeiten sein, die bereits weit hinter dir liegen. Wir sind froh, dass du dich dazu entschlossen hast, auch jene Dunkelheit hinter dir zu lassen, für die du dich zunächst entschieden hattest. Jetzt bist du bereit, weiterzugehen.«
Mit diesen Worten beendete die dunkle Gestalt ihre Rede. Die Flamme erlosch, kurz darauf hörte er das Geräusch des Türschlosses, gefolgt von dem fast ohrenbetäubend lauten Knarren der alten Holztür. Er rechnete damit, dass grelles Licht den Raum erfüllte, sobald die Tür geöffnet wurde, doch auch außerhalb seines Gefängnisses war es jetzt dunkel. Die Tür fiel mit einem Klicken zurück ins Schloss.
Er setzte sich auf, lehnte sich gegen die Wand und starrte auf die Stelle, an der zuvor noch die Gestalt gestanden hatte. Auch wenn sie ihm ganz und gar nicht geheuer gewesen war, hatte er sich in ihrer Gegenwart wenigstens nicht so einsam gefühlt.
Die Dunkelheit, für die er sich zunächst entschieden hatte? Wann war das gewesen? Er konnte sich nicht daran erinnern, aber es war eindeutig zu lange her, sonst hätte sein Überlebensdrang sich niemals eingemischt und ihn dazu gebracht, nachzugeben. Eigentlich wollte er diese verdammte Prüfung gar nicht ablegen, doch jetzt blieb ihm wohl nichts anderes mehr übrig, als genau das zu tun. Er hätte nachfragen sollen, ob ihm die vergangenen Stunden oder Tage in der Dunkelheit auf die kommende dunkle Phase angerechnet wurden, oder wie lange sie noch dauerte, aber er hatte sich nicht getraut, und jetzt waren sie wieder fort. Ihm blieb also nichts anderes übrig, als die Zeit totzuschlagen.
Einfach um irgendetwas zu tun, tastete er nach der Flasche, die immer wieder aufgefüllt und neben seinen Schlafplatz gestellt wurde, während er schlief. Zumindest bekam er nie mit, wann sie das taten. Er nahm einen kräftigen Schluck des ungesüßten, kalten Tees, verzog angewidert das Gesicht, leerte aber dennoch die halbe Flasche. Danach holte ihn diese unerklärliche Erschöpfung wieder ein, seine Augen fielen zu, und er legte sich auf den Steinboden, dessen fast schmerzhafte Kälte sich durch das wenige Heu in seinen Körper bohrte.
Lukas saß an seinem Schreibtisch in der Redaktion der Süddeutschen Zeitung und starrte auf das leere Dokument auf seinem Bildschirm. Der Cursor blinkte beinahe hypnotisch vor sich hin, und Lukas wusste nicht, ob die sich plötzlich in ihm ausbreitende Müdigkeit daher rührte oder von der kurzen Nacht, die hinter ihm lag.
Er hatte nur schlecht in den Schlaf gefunden, immer wieder waren seine Gedanken zu Hannes Warth abgeschweift. Der Anruf des Pfarrers war nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Ganz im Gegenteil hatte er Erinnerungen und Sorgen heraufbeschworen, die Lukas lange Zeit erfolgreich verdrängt hatte. Doch jetzt wollte ihm das nicht mehr gelingen. Warum hatte Hannes ausgerechnet ihn angerufen und um Hilfe gebeten? Und warum hatte er das Gefühl, dass der Pfarrer ihm irgendetwas verschwiegen hatte.
Es war noch nicht einmal acht Uhr, behauptete die digitale Anzeige rechts unten am Monitor. Selten hatte es ihn so früh in die Redaktion gezogen, heute auch nur deshalb, weil er sich ablenken wollte. Nur dumm, dass der Artikel über Stuttgart 21 nicht vorankam, den er schreiben musste. Oder besser gesagt, dass ihm nichts dazu einfallen wollte. Alle Informationen über die Nachlässigkeit der Bahn zu dem Projekt waren schon längst zur Presse durchgesickert. Lukas war wieder einmal viel zu spät dran, und genau das hatte sein Redakteur ihm schon vergangenen Freitag unter die Nase gerieben. Er brauchte eine Story, eine wirklich gute Story, sonst könnte er seinen Beruf demnächst an den Nagel hängen.
Eine Story? War die nicht greifbar nah? Lukas öffnete den Internetbrowser, um zu sehen, ob es neue Informationen über das Reintegrationsheim im Schwarzwald gab. Zunächst fand er nichts Besonderes, doch dann stieß er auf einen kurzen, aber interessanten Bericht in einer vier Wochen alten Ausgabe der Badischen Zeitung.
Und manchmal stürzen sie dann doch wieder ab
Vergangenes Wochenende fanden zwei Wanderer eine Leiche in einer Schlucht im Schwarzwald. Wie die Polizei mitteilt, handelt es sich dabei um einen jungen Mann, der im Haus Sonnenschein, einem Reintegrationsheim für Ex-Drogensüchtige, untergebracht gewesen war. Man geht von einem tragischen Unfall aus, die polizeiliche Untersuchung ist aber noch nicht abgeschlossen. Der Leiter des Heims gab keinen Kommentar zu der Tragödie ab. Mögliche Zeugen werden gebeten, sich bei der Polizei in Freiburg zu melden.
Lukas sah von dem Text auf und schüttelte den Kopf. Seine Einstellung gegenüber Drogensüchtigen war wahrlich nicht die Beste, aber die Überschrift des Artikels fand er einfach nur geschmacklos. Er musste an Valentin denken, der mehr als einmal abgestürzt war. Immer und immer wieder war er trotz mehrmaligem Entzug rückfällig geworden. Daher auch Lukas’ damaliges Interesse an diesem Heim, das mit dem Versprechen lockte, ehemaligen Drogensüchtigen zu einem neuen, drogenfreien Leben zu verhelfen.
An einem stürmischen Herbsttag war Lukas in dieses Dorf im Schwarzwald gefahren, um sich die Einrichtung anzuschauen, obwohl er zuvor am Telefon abgewiesen worden war. Der Alltag der Heimbewohner dürfe auf keinen Fall gestört werden, teilte ihm seine Gesprächspartnerin telefonisch mit, was ihn allerdings nicht davon abgehalten hätte, von außen einen Blick auf das Heim zu werfen. Doch leider machte ihm das Wetter einen Strich durch die Rechnung. Die Zufahrtsstraße zum Heim war wegen mehrerer umgestürzter Bäume gesperrt.
Das Heim bekam er also nicht zu sehen, dafür lernte er Hannes Warth kennen, als er in der Kirche Schutz vor dem Regen suchte, während er das Dorf besichtigte. Der Pfarrer konnte einiges über die Einrichtung erzählen und berichtete nur Gutes. Deswegen und auch wegen der hohen Erfolgsrate schlug Lukas seinem Bruder vor, sich in dieses Heim einweisen zu lassen. Doch leider entschied Valentin sich nach anfänglichem Interesse schließlich doch dagegen.
Lukas überflog die Berichte, die im Internet über das Reintegrationsheim zu finden waren, neue Informationen erhielt er aber kaum. Dass dieses Heim seit über einem Jahrzehnt existierte, wusste er bereits. Auch, dass außer diesem noch zwei weitere Heime dieser Art existierten. Eines im Bayerischen Wald und eines in den deutschen Alpen nahe der österreichischen Grenze. Alle drei wurden durch eine Stiftung finanziert, die vor allem Projekte unterstützte, die der Drogensucht den Kampf angesagt hatten. Alle Einrichtungen konnten Erfolge vorweisen. Viele Drogenabhängige schafften nach dem Programm, das sie dort zu absolvieren hatten, zurück in ein geregeltes Leben. Manche auch nicht, aber das schien ganz normal zu sein. Ebenso normal war es, dass ab und zu der ein oder andere Exjunkie sich aus dem Staub machte.
Lukas öffnete Google Earth und gab die Adresse des Heims ein, um sich die Lage noch einmal vor Augen zu führen. Das Satellitenbild zeigte ein größeres Gebäude. Das Haupthaus. Dahinter zog sich eine Wiese bis zum Waldrand hinauf. Kleinere Gebäude, vermutlich Ställe und Scheunen waren auf dem Gelände verteilt. Eine Straße zog sich wie eine Schlange den Berg hinauf, am Heimgebäude vorbei auf ein weiteres Haus zu. Aus der Vogelperspektive war nicht ersichtlich, um was für ein Gebäude es sich handelte. Es konnte ein Wohnhaus sein oder eine größere Scheune. Dort jedenfalls endete die Straße und Lukas’ Eifer, sich noch länger mit dem Satellitenbild zu beschäftigen.
Er klickte den Browser weg und betrachtete wieder das leere Dokument auf seinem Bildschirm, aber trotz redlichem Bemühen gelang es ihm nicht, auch nur einen einzigen Satz zu formulieren. Dann, vollkommen unerwartet, traf ihn etwas Hartes am Hinterkopf, und er fuhr auf seinem Drehstuhl herum. Zuerst sah er eine riesige Umhängetasche, das Objekt, das ihn getroffen hatte. Die anfängliche Wut verflog und machte Verlegenheit und Frustration Platz. Er kannte diese Tasche. Das war die Lieblingstasche seiner Freundin, oder besser gesagt Ex-Freundin.
»War das Absicht?«, fragte Lukas und erhob sich von seinem Stuhl. So konnte er auf seine Ex herunterschauen, weil er gut einen halben Kopf größer war als sie.
»Was meinst du?«, erwiderte Nicole angriffslustig. Aus ihren Augen schossen kleine Pfeile mitten in Lukas’ Herz. Sie hatten sich nach einer zweijährigen Beziehung erst vor gut drei Wochen getrennt. Na ja, eigentlich hatte sie ihn verlassen, weil er mit einer anderen Frau geflirtet hatte. Zumindest hatte sie sein Gespräch mit der neuen Sekretärin des Redakteurs so interpretiert.
»Du hast deine Tasche gegen meinen Kopf gehauen«, sagte er. »War das nötig?«
Sie breitete die Hände aus und grinste hinterlistig. »Ach, habe ich dich erwischt? Tut mir leid, das war selbstverständlich keine Absicht.«
Lukas runzelte die Stirn und blickte ihr in die Augen. »Warum bist du immer noch wütend. Ich habe nichts getan.«
»Stimmt, du bist das Unschuldslamm schlechthin. Das war ja schon immer so. Aber im Grunde ist es zwischen uns ja schon länger nicht mehr so gut gelaufen.«
»Aha. Und warum bist du dann hier? Um mir das zu sagen?«
Sie lachte. »Sehr witzig. Nein, ich fange heute hier in der Redaktion an. Hat man dir das nicht gesagt?«
Ihr Grinsen wurde immer breiter, und Lukas fragte sich, warum sie ihm das antat. Ihm jedenfalls war nicht nach Lachen zumute. Er vermisste ihre Nähe, die tiefgründigen Gespräche, den hemmungslosen Sex.
»Gratuliere, dann bist du ja glatt aufgestiegen«, brachte er trotz zusammengebissener Zähne heraus. Bisher hatte sie nur Polizeiberichte verfasst, in Lukas’ Abteilung wurden richtige Artikel geschrieben. Artikel, die Recherchearbeit brauchten, und für die man tagelang, manchmal wochenlang unterwegs war.
Sie kniff die Augen zusammen, das Grinsen wich aus ihrem Gesicht. »Genau, und pass bloß auf, dass ich dir deinen Job nicht wegnehme, das habe ich mir nämlich fest vorgenommen. Die brauchen dringend etwas frischen Wind hier.«
Jetzt wandelte sich seine Frustration wieder in Wut. Blanke Wut darauf, dass sie ihn grundlos verlassen hatte, weil er niemals fremdgegangen wäre. Er hatte sich doch nur mit einer neuen Kollegin unterhalten. Aber Nicole war von Anfang an krankhaft eifersüchtig gewesen. Möglich, dass er sie mit seiner Aktion provoziert hatte. Jetzt erzählte sie überall herum, er hätte mit einer anderen Frau geschlafen, was überhaupt nicht stimmte.
»Verdammte Scheiße noch mal«, fluchte er. »Was ist nur in dich gefahren? Willst du mich fertigmachen oder was? Das kannst du vergessen, meine Liebe. Bevor das passiert, wirst du heulend von dannen ziehen.«
Sie sog die Luft geräuschvoll durch die Nase ein. »Du wirst schon sehen.«
Mittlerweile hatte sich ein siebenköpfiger Halbkreis um sie gebildet. Sechs Kolleginnen und Kollegen, die siebte Person in der Runde war Lukas’ Redakteur. Er räusperte sich, Lukas blickte ihn wütend an.
»Und was wollen Sie jetzt?«, fragte er und bereute sofort seinen viel zu scharfen Tonfall.
»Ich warte seit Freitagabend auf Ihren Artikel. Haben Sie ihn endlich fertig?«, antwortete der Redakteur erstaunlich gelassen.
Lukas fühlte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss. Alle um ihn herum schauten ihn erwartungsvoll an, in Nicoles Augen sah er Genugtuung und Triumph. Er war kurz vor dem Explodieren, riss sich aber zusammen. Anstatt irgendetwas zu sagen, schaltete er seinen PC aus, nahm seine Jacke und verließ schnellen Schrittes das Büro. Sein Chef rief ihm noch nach, er habe noch keine Pause, doch das war Lukas egal. Er brauchte jetzt ganz dringend frische Luft.
Den Kopf voller Gedanken und mit jeder Menge Wut im Bauch marschierte er die Calwer Straße hinunter, vorbei an den Restaurants, Cafés und Kneipen. Die meisten hatten um diese Uhrzeit noch geschlossen. Ein frischer Wind pfiff um die Häuser, der Himmel war wolkenverhangen und erste Regentropfen fielen herab. Lukas beschloss, etwas Warmes trinken zu gehen und steuerte das nächste Starbucks an.
Nachdem er sich einen großen Kaffee gekauft hatte, nahm er an einem der Tische am Fenster Platz. Die ledernen Sessel waren gemütlich, und es wäre ihm beinahe gelungen sich zu entspannen, aber eben nur beinahe. Immer wieder kreisten seine Gedanken um die Szene in der Redaktion, die ihm jetzt nur noch peinlich war. Wie ein kleiner Junge hatte er sich benommen, trotzig und beleidigt. Dann war da noch der Anruf von Hannes Warth, der ihm auch im Kopf umherschwirrte. Dieses Heim im Schwarzwald beschäftigte ihn doch mehr, als ihm lieb war. Er dachte an die Schlagzeile des kurzen Artikels in der Zeitung über den Tod eines ehemals drogensüchtigen jungen Mannes. Lukas wusste nicht warum, aber plötzlich sah er das Gesicht seines Bruders vor sich und den tiefen Schmerz in dessen Augen, bevor er sich nach ihrem letzten Streit abwandte und fortging.
Lukas zog sein Handy aus der Hosentasche und betrachtete das schwarze Display, als könnte ihm das eine Antwort darauf geben, was er jetzt tun sollte, was jetzt das Beste für ihn wäre. Ein bisschen Abstand. Genau, Abstand zu seiner Ex-Freundin und Abstand zur Redaktion. Außerdem brauchte er endlich mal wieder eine ordentliche Story. Nicht nur für die Zeitung, auch für sich selbst.
Lukas öffnete die Kontakte in seinem Smartphone und wählte die Nummer von Hannes Warth.
Eigentlich hätte Lena panische Angst haben, aufstehen und nach Hilfe schreien müssen. Doch stattdessen breitete sich ein warmes, wohliges Kribbeln in ihrem ganzen Körper aus. Sie fühlte sich zufrieden, unbesorgt, geborgen. Nicht einmal die Tatsache, dass sie nicht in der Lage war, Arme und Beine zu bewegen, konnte ihr diese befremdende, doch zugleich unheimlich beruhigende Gewissheit, dass alles in Ordnung war, nehmen.
Das Geräusch eines klickenden Türschlosses hallte durch den Raum. Lena nahm es nur wie aus weiter Ferne wahr, und auch als jemand einen Stuhl zu ihrem Bett zog und sich neben sie setzte, hielt sie ihre Augen geschlossen. Sie wollte diese innere Ruhe, das Gefühl des Seelenfriedens festhalten und nie wieder loslassen.
»Wie fühlst du dich?«, erklang die ruhige Stimme einer Frau neben Lena. »Geht es dir besser?«
Lena nickte und spürte, wie die Frau ihren Arm anhob und etwas Weiches, Kühles um ihn herumwickelte.
»Das ist nur ein Blutdruckmessgerät, also lass dich davon nicht erschrecken, ja?«, sagte die Frau, doch Lena bekam davon kaum etwas mit. Auch nicht von den weiteren Untersuchungen, welche die Frau immer wieder kommentierte.
Zuletzt setzte sich die Frau wieder neben Lena. »Was kannst du mir über die letzten paar Tage erzählen, Lena? Ist irgendetwas passiert, das dich beschäftigt?«
Lena versuchte nachzudenken, sich an irgendetwas zu erinnern. Doch da war nichts. Vermutlich hatte man sie in ihr Zimmer gebracht und sich um sie gekümmert. War sie krank gewesen? Hatte sie Fieber gehabt? Oder war sie umgekippt? Fühlte sich ihr Körper deswegen so schwer an?
»Ich ... warum? Was soll passiert sein?«, fragte Lena schließlich irritiert. »Bin ich krank? Wie lange bin ich schon in diesem Raum?«
»Mach dir keine Sorgen Lena. Du hattest einen kleinen Nervenzusammenbruch. Aber jetzt geht es dir sehr viel besser. Alles ist gut.«
In diesem Moment verkrampfte sich ihr Körper. Diese Worte.
Alles ist gut.
Sie lösten etwas in ihr aus, das Gefühl der Sorglosigkeit und Entspannung verschwand schlagartig. Es fiel ihr schwer, aber sie schaffte es, sich ein wenig aufrichten, doch die Frau, die noch immer an ihrem Bett saß, drückte ihren Oberkörper sanft aber bestimmt zurück auf das Bett. Lena öffnete ihre Augen, blinzelte, sah aber nur einen dunklen Raum und die verschwommene Silhouette einer Person dicht vor ihr. Wer das war, konnte sie nicht erkennen.
Plötzlich spürte Lena etwas Spitziges, das ganz langsam, mit einem unterschwelligen Schmerz in ihren Unterarm glitt. Ihre Glieder wurden wieder schwer, sie atmete tief ein und wieder aus und ließ sich ohne Gegenwehr zurück in diesen tranceartigen Zustand fallen.
***
»Hört auf! Hört auf! Bitte! Bitte hört auf!«, schrie Lena verzweifelt.
Sie stand an derselben Stelle wie damals, in dieser schwülwarmen Sommernacht vor sechs Jahren in der Mannheimer Innenstadt. Sie wollte ihrem Freund helfen, diese elenden Arschlöcher vertreiben, schaffte es aber nicht. Wie festgewachsen stand sie neben dem Eingang der längst geschlossenen Bar und musste mit ansehen, wie sie zu dritt auf Steffen losgingen. Er lag schon am Boden, war ohnmächtig, reglos. Und doch ließen sie nicht von ihm ab, traktierten ihn mit Fußtritten. In den Bauch, in die Brust, auf seinen Kopf, keine Stelle ließen sie aus.
Lena hasste sich, sie hasste sich so sehr dafür, dass sie nicht in der Lage war, ihm zu helfen, und dabei zusehen musste, wie sie seinem Leben innerhalb weniger Minuten ein Ende setzten.
Hätte sie es nur irgendwie geschafft, sich aus ihrer Starre zu lösen und die Polizei zu rufen. Immer wieder versuchte sie, sich selbst glauben zu lassen, dass es nichts geändert hätte, dass sie viel zu spät gekommen wären, um es zu verhindern. Doch vielleicht hätte es diese elenden, seelenlosen Monster eingeschüchtert und sie hätten doch von ihm abgelassen.
»Bitte! Ich flehe euch an!«, war das Letzte, was sie zu ihnen sagte, bevor sie selbst realisierten, dass da nichts mehr war, was sie noch aus ihm hätten herausprügeln können. Danach verschwanden sie einfach so in der Dunkelheit.
Das Einzige, was in ihr zurückblieb, waren Verzweiflung, Machtlosigkeit und die bittere Endgültigkeit dessen, was passiert war.
»Nein! Das darf nicht sein! Nein!«, schrie sie aus tiefstem Herzen. Und erwachte in diesem Moment von ihrer eigenen Stimme.
***
Ruckartig richtete Lena sich auf und mit einem Schlag wurde ihr bewusst, wo sie sich befand. Dieser Raum, sie kannte ihn. Hier war sie schon oft gewesen, öfter als alle anderen. Der Spezialbehandlungsraum, wie Kevin einmal zu ihr gesagt hatte.
Sie versuchte ihre Arme anzuheben. Es funktionierte. Auch ihre Beine konnte sie wieder bewegen. Dabei spürte sie, dass kalter Schweiß ihren Körper überzog, und sie begann zu zittern. Dann hörte sie wieder das Klicken des Türschlosses. Instinktiv sank Lena zurück auf die Liege, schloss die Augen und stellte sich schlafend. Jemand betrat den Raum, setzte sich neben sie ans Bett und legte etwas an ihren Unterarm. Es fühlte sich kalt und spitzig an.
»Alles ist gut«, hörte sie eine vertraute Stimme flüstern.
Als Lukas aus dem Taxi stieg, waren seit dem Anruf bei Hannes Warth noch keine acht Stunden vergangen. Vor ihm lag ein langes Stück Schotterweg, an dessen anderem Ende dieses Reintegrationsheim stand, in das er seinen Bruder hatte stecken wollen. Jetzt war er selbst hier und das fühlte sich irgendwie seltsam an. Außerdem kroch ein Anflug von Nervosität durch seine Glieder.
Am Telefon hatte Hannes gesagt, dass es wirklich kein Problem darstelle, falls er einen Platz in dem Heim haben wolle. Ein mit ihm befreundeter Psychologe könne sofort alles mit der Heimleitung klar machen.
»Du wärst nicht der erste dringliche Fall«, hatte Hannes gesagt. »Für Härtefälle haben die immer einen Platz frei, so etwas planen die ein. Sag mir nur, ob du das wirklich tun willst, und mein Bekannter kümmert sich um alles andere. Du müsstest ihn nur anrufen und selbst mit ihm sprechen. Das ist alles, du musst nicht mal in seine Praxis.«
»Okay, ich ruf ihn an, erzähl ihm meine Lebensgeschichte, jammer ein bisschen rum und so. Und dann wird der alles klar machen?«
»Ja, genau, wie gesagt, wir sind schon lange befreundet.«
»Na schön, ich versuche es. Aber er muss mich unter meinem Decknamen ins Heim einweisen. Ich hoffe, das macht keine Probleme. Kannst du ihm Bescheid geben, dass ich das so haben möchte?«
»Ich sage ihm, dass du eine Person des öffentlichen Lebens bist und deswegen nicht deinen richtigen Namen benutzen kannst, okay?«, hatte Hannes vorgeschlagen und Lukas hatte nichts dagegen einzuwenden. »Und wie willst du dann heißen?«
»Lukas Schmidt.«
»Okay, Lukas Schmidt, dann machen wir das so.«
Lukas hatte das Gespräch beendet, wenig später mit dem Psychologen telefoniert, und bereits um vierzehn Uhr war er in den Zug in Richtung Freiburg gestiegen.