Die letzten Tage von Pompeji - Edward Bulwer-Lytton - E-Book

Die letzten Tage von Pompeji E-Book

Edward Bulwer Lytton

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Beschreibung

1834 veröffentlicht Edward Bulwer-Lytton sein bekannteste Werk: Das Opus über den Untergang Pompejis Erzählt wird die Geschichte des jungen, reichen Griechen Glaukus und seiner Geliebten Ione, die um 79 n. Chr. in Pompeji leben. Glaukus führt das Leben eines verwöhnten Adligen, bis er Ione begegnet. Vor dem Hintergrund des ausbrechenden Vesuv besiegelt ihr Schicksal. Noch heute kann man die in Vulkanasche versteinerten Menschen sehen, wie sie vom Zorn der Götter überrascht wurden. Null Papier Verlag

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Edward Bulwer-Lytton

Die letzten Tage von Pompeji

Edward Bulwer-Lytton

Die letzten Tage von Pompeji

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019Übersetzung: Wilhelm Cremer 2. Auflage, ISBN 978-3-954184-04-0

www.null-papier.de/pompeji

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

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1834 ver­öf­fent­licht Ed­ward Bul­wer-Lyt­ton sein be­kann­tes­te Werk: Das Opus über den Un­ter­gang Pom­pe­jis.

Er­zählt wird die Ge­schich­te des jun­gen, rei­chen Grie­chen Glau­kus und sei­ner Ge­lieb­ten Ione, die um 79 n. Chr. in Pom­pe­ji le­ben. Glau­kus führt das Le­ben ei­nes ver­wöhn­ten Ad­li­gen, bis er Ione be­geg­net. Vor dem Hin­ter­grund des aus­bre­chen­den Ve­suv be­sie­gelt ihr Schick­sal.

Noch heu­te kann man die in Vul­ka­na­sche ver­stei­ner­ten Men­schen se­hen, wie sie vom Zorn der Göt­ter über­rascht wur­den.

1

Will­kom­men, Dio­me­des!« sag­te ein jun­ger Pom­pe­ja­ner. »Kommst du auch heu­te Abend zu Glau­kus?« Er war von klei­ner Sta­tur und trug sei­ne Tu­ni­ka in je­ner nach­läs­si­gen Wei­se, an der man die Mit­glie­der der vor­neh­men Le­be­welt er­kann­te.

»Lei­der, mein lie­ber Klo­di­us, bin ich nicht ein­ge­la­den«, ant­wor­te­te Dio­me­des, ein stark ge­bau­ter Mann von mitt­le­rem Al­ter. »Schön ist das nicht von Glau­kus, sei­ne Abendes­sen sol­len ja die bes­ten von Pom­pe­ji sein.«

»Al­ler­dings – ob­gleich für mich nie­mals Wein ge­nug da ist. Er be­haup­tet, nach dem Trin­ken be­fin­de er sich im­mer un­wohl am nächs­ten Tage.«

»Er mag wohl noch einen an­de­ren Grund da­für ha­ben«, sag­te Dio­me­des, in­dem er die Stirn run­zel­te. »Ich glau­be, dass er trotz sei­nes Über­muts und sei­ner Ver­schwen­dung nicht so reich ist, als er schei­nen möch­te, und er schont viel­leicht mehr sei­nen Wein als sei­ne Ge­sund­heit.«

»Die­ses ist ein Grund mehr, bei ihm zu spei­sen, so­lan­ge die Gel­der vor­hal­ten. Im nächs­ten Jahr, Dio­me­des, müs­sen wir uns einen an­de­ren Glau­kus su­chen.«

»Er liebt, wie ich höre, auch das Spiel.«

»Er liebt alle Ver­gnü­gun­gen, und so­lan­ge er uns Fes­te gibt, lie­ben wir ihn auch.«

»Da hast du recht, Klo­di­us. Bist du üb­ri­gens schon in mei­nem Wein­kel­ler ge­we­sen?«

»Dass ich nicht wüss­te, mein gu­ter Dio­me­des.«

»Nun, so musst du ein­mal bei mir zu Abend spei­sen: ich habe gute Murä­nen in mei­nem Was­ser­be­häl­ter, und wer­de auch Pan­sa, den Ädi­len, ein­la­den.«

»Oh, ma­che nur kei­ne Um­stän­de mit mir, ich bin leicht be­frie­digt. Doch die Son­ne wird bald un­ter­ge­hen; ich bin auf dem Wege nach den Bä­dern – und du?«

»Ich gehe zum Quä­stor – in Staats­an­ge­le­gen­hei­ten – und so­dann nach dem Tem­pel der Isis. Vale!«

»Das ist ein über­mü­ti­ger und un­ge­zo­ge­ner Bur­sche«, mur­mel­te Klo­di­us, als er lang­sam wei­ter­ging. »Er glaubt durch sei­ne Fes­te und Wein­kel­ler sei­ne Ab­stam­mung zu ver­ber­gen, denn er ist ja nur der Sohn ei­nes Frei­ge­las­se­nen. Aber ich will sei­ne Her­kunft ver­ges­sen und ihm die Ehre er­wei­sen, ihm sein Geld ab­zu­ge­win­nen.«

In­dem er sich so mit sich selbst un­ter­hielt, kam er in die Via Do­mi­tia­na, die mit Fuß­gän­gern und ele­gan­ten Wa­gen an­ge­füllt war. Klo­di­us be­grüß­te durch freund­li­ches Kopf­ni­cken vie­le Be­kann­te, denn es wa­ren nur we­ni­ge jun­ge Män­ner in Pom­pe­ji be­kann­ter als er.

»Nun, Klo­di­us, wie hast du nach dei­nem Glück im Spiel ge­schla­fen?« sag­te mit ge­fäl­li­ger und wohl­tö­nen­der Stim­me ein jun­ger Mann in ei­nem sehr pracht­vol­len und ele­gan­ten Wa­gen, der von zwei ed­len par­thi­schen1 Pfer­den ge­zo­gen wur­de. Der Be­sit­zer war so schön und re­gel­mä­ßig ge­bil­det, wie die Athe­ner Bild­hau­er sich ihre Mo­del­le wähl­ten, sei­nen grie­chi­schen Ur­sprung ver­rie­ten die krau­sen, dich­ten Lo­cken und das voll­kom­me­ne Eben­maß sei­ner Ge­sichts­bil­dung. Sei­ne Tu­ni­ka glänz­te in dem reichs­ten Schmuck ty­ri­scher Far­ben, und die Schnal­len, durch wel­che sie fest­ge­hal­ten wur­de, wa­ren mit Edel­stei­nen be­setzt. Um den Hals trug er eine gol­de­ne Ket­te, die mit­ten auf der Brust in der Form ei­nes Schlan­gen­kop­fes, aus des­sen Mun­de ein großer Sie­gel­ring von vollen­de­ter Ar­beit hing, sich schloss. Ein brei­ter, mit Ara­bes­ken ge­zier­ter und gold­ge­stick­ter Gür­tel diente zu­gleich als Be­hält­nis und Ta­sche für das Schnupf­tuch und die Bör­se, für den Schreib­grif­fel und die Schreib­ta­feln.

»Mein teu­rer Glau­kus«, sag­te Klo­di­us, »es freut mich, zu se­hen, dass dein Ver­lust im Spiel so we­nig Ein­druck auf dich ge­macht hat. Dein Ant­litz leuch­tet, wie be­geis­tert durch Apol­lo; wer es nicht wüss­te, wür­de glau­ben, dass nicht ich ge­won­nen hät­te, son­dern du.«

»Und wie ver­mag der Ver­lust oder Ge­winn je­ner to­ten Me­tall­stücke un­se­re Stim­mung zu ver­än­dern, mein Klo­di­us? Bei der Ve­nus, so­lan­ge wir noch jung sind und un­ser Haupt be­krän­zen dür­fen, so­lan­ge das süße Lä­cheln der Ly­dia oder Chloe un­ser Blut in Wal­lung setzt, so lan­ge müs­sen wir des hei­te­ren Le­bens ge­nie­ßen und die da­hinster­ben­de Zeit selbst zu dem Schatz­meis­ter un­se­rer Ver­gnü­gun­gen ma­chen. Du spei­sest doch heut abend bei mir?«

»Wer ver­gisst wohl je die Ein­la­dung des Glau­kus!«

»Doch wo­hin gehst du jetzt?«

»Ich be­ab­sich­ti­ge, die Bä­der zu be­su­chen, doch habe ich noch eine Stun­de Zeit.«

»Nun, so will ich mei­nen Wa­gen fah­ren las­sen und mit dir ge­hen.«

Lang­sam schlen­der­ten die bei­den jun­gen Män­ner durch die Stra­ßen. Sie be­fan­den sich jetzt in je­nem Teil der Stadt, wo die reichs­ten Kauf­lä­den wa­ren, de­ren Wän­de, mit den man­nig­fal­tigs­ten Fres­ko­ma­le­rei­en ge­ziert, in den leb­haf­tes­ten, doch stets har­mo­ni­schen Far­ben er­glänz­ten. Die spru­deln­den Spring­brun­nen, wel­che mit ih­rem küh­len Strahl sich in die hei­ße Som­mer­luft er­ho­ben, die Men­ge der meist in ty­ri­schen Pur­pur ge­klei­de­ten Spa­zier­gän­ger, die ab- und zu­ge­hen­den Skla­ven mit bron­ze­nen Ge­fäßen von ge­schmack­vol­ler Ar­beit, die Land­mäd­chen, die hier und da mit Kör­ben voll rei­fer Früch­te und Blu­men stan­den, die Lä­den, in de­nen auf mar­mor­nen Ti­schen Ge­fäße mit Wein und Öl stan­den, al­les die­ses mach­te einen so sehr zur Le­bens­lust auf­for­dern­den Ein­druck, dass die athe­ni­sche Emp­fäng­lich­keit des Glau­kus für Froh­sinn und Freu­de da­durch umso mehr auf­ge­regt wer­den muss­te. »Sprich mir nicht mehr von Rom«, sag­te er zu Klo­di­us. »Das Ver­gnü­gen ist in die­ser ge­wal­ti­gen Stadt zu ernst­haft und schwer­fäl­lig. Hier aber kön­nen wir un­be­fan­gen und be­hag­lich un­ser Le­ben ge­nie­ßen.« »Da­rum hast du wohl auch Pom­pe­ji zu dei­nem Som­mer­auf­ent­halt ge­wählt?« »Al­ler­dings. Ich gebe ihm den Vor­zug vor Bajä, des­sen Rei­ze ich kei­nes­wegs ver­ken­ne, doch ich lie­be nicht die Pe­dan­ten, wel­che sich dort auf­hal­ten und ihre Ver­gnü­gun­gen nach der Drach­me ab­zu­wie­gen schei­nen.«

»Und doch liebst auch du die Ge­lehr­sam­keit, und was die Dicht­kunst be­trifft, so sind Äschy­lus und Ho­mer, die epi­sche Dich­tung wie das Dra­ma, in dei­nem Hau­se ein­hei­misch.«

»Ja, aber die­se Rö­mer, wel­che mei­ne Athe­ner Vor­fah­ren nach­äf­fen, be­gin­nen al­les so schwer­fäl­lig. Selbst auf der Jagd las­sen sie sich durch ihre Skla­ven den Pla­to nach­tra­gen, und wenn das Wild er­legt ist, su­chen sie ihre Bü­cher und den Pa­py­rus her­vor, um ja kei­ne Zeit zu ver­lie­ren.«

In­dem sie sich so un­ter­hiel­ten, wur­den sie durch das auf ei­nem of­fe­nen Plat­ze, wo drei Stra­ßen zu­sam­mens­tie­ßen, ver­sam­mel­te Volk auf­ge­hal­ten. In dem Schat­ten ei­nes klei­nen, nied­li­chen Tem­pels stand ein jun­ges Mäd­chen, mit ei­nem Blu­men­korb am rech­ten und ei­nem drei­sai­ti­gen mu­si­ka­li­schen In­stru­ment im lin­ken Arm, zu des­sen sanf­ten Tö­nen sie eine wil­de und halb bar­ba­ri­sche Me­lo­die sang. Bei je­der Pau­se bot sie mit an­mu­ti­gen Be­we­gun­gen ih­ren Blu­men­korb dar, in­dem sie die um­ste­hen­den zum Kau­fen ein­lud, und man­che Ses­terz wur­de in das Körb­chen ge­wor­fen, teils für die Mu­sik, teils aus Mit­leid für die Sän­ge­rin – denn sie war blind.

»Es ist mei­ne arme Thes­sa­lie­rin«, sag­te Glau­kus, in­dem er ste­hen blieb, »seit mei­ner Rück­kunft nach Pom­pe­ji habe ich sie nicht ge­se­hen. Ihre Stim­me ist ent­zückend; wir wol­len ihr zu­hö­ren.«

Als die Blin­de ihr Lied be­en­det hat­te, dräng­te sich Glau­kus durch die Men­ge und warf ihr eine Hand­voll klei­ner Mün­zen in ih­ren Korb. »Ich muss die­sen Veil­chen­strauß ha­ben, süße Ny­dia«, sag­te er, »dei­ne Stim­me ist rei­zen­der als je.«

Das blin­de Mäd­chen trat über­rascht vor, als sie die Stim­me des Athe­ners hör­te – doch plötz­lich blieb sie ste­hen und er­rö­te­te.

»Du bist also zu­rück­ge­kehrt«, sag­te sie mit lei­sem Tone und wie­der­hol­te dar­auf, mit sich selbst re­dend: »Glau­kus ist zu­rück­ge­kehrt!«

»Ja, mein Kind; ich bin kaum seit zwei Ta­gen in Pom­pe­ji. Mein Gar­ten be­darf, wie frü­her, dei­ner Pfle­ge, ich rech­ne dar­auf, dass du ihn mor­gen be­su­chen wirst. Auch sol­len in mei­nem Hau­se durch kei­ne an­de­ren Hän­de Krän­ze ge­floch­ten wer­den, als durch die der schö­nen Ny­dia.«

Ein freu­di­ges Lä­cheln über­zog Ny­di­as Ge­sicht, aber sie ant­wor­te­te nicht, und Glau­kus ver­ließ die Men­ge, in­dem er die Veil­chen, die er ge­wählt hat­te, an die Brust steck­te.

»Du hast also die­ses Kind un­ter dei­nen Schutz ge­nom­men?« sag­te Klo­di­us.

»Ja, singt sie nicht sehr hübsch? Sie in­ter­es­siert mich, die arme Skla­vin! – Über­dies ist sie aus Thes­sa­li­en, der Olymp schau­te auf ihre Wie­ge her­ab.«

»Also ist sie aus dem Lan­de der Zau­be­rin­nen.«

»Al­ler­dings, aber was mich be­trifft, so hal­te ich je­des weib­li­che Ge­schöpf für eine Zau­be­rin, be­son­ders hier in Pom­pe­ji, wo selbst die Luft mit ei­nem Lie­bes­trank er­füllt zu sein scheint.«

»Und sieh da! Eine der schöns­ten in Pom­pe­ji, die Toch­ter des al­ten Dio­me­des, die rei­che Ju­lia«, sag­te Klo­di­us, als ein jun­ges Mäd­chen, das Ant­litz mit ei­nem Schlei­er be­deckt und durch zwei Skla­vin­nen auf ih­rem Wege zum Bade be­glei­tet, sich ih­nen nä­her­te.

»Schö­ne Ju­lia, wir be­grü­ßen dich«, re­de­te Klo­di­us sie an. Ju­lia hob ih­ren Schlei­er et­was und zeig­te mit ei­ni­ger Ko­ket­te­rie ein küh­nes, rö­mi­sches Pro­fil, ein dunkles, feu­ri­ges Auge und Wan­gen, de­ren von Na­tur et­was gel­ben Teint die Kunst mit ei­ner blü­hen­den Ro­senglut ge­färbt hat­te.

»Und auch Glau­kus ist zu­rück­ge­kehrt!« sag­te sie, in­dem sie den Athe­ner mit ei­nem aus­drucks­vol­len Blick be­glück­te. »Hat er«, füg­te sie halb flüs­ternd hin­zu, »be­reits sei­ne Freun­de vom vo­ri­gen Jahr ver­ges­sen?«

»Schö­ne Ju­lia, wie könn­te ein Ver­ges­sen mög­lich sein, wenn der Ge­gen­stand der Erin­ne­rung so lieb­lich ist?«

Die Rö­me­rin lä­chel­te ge­schmei­chelt, dann wand­te sie sich zu Klo­di­us. »Wir wer­den euch bei­de bald in mei­nes Va­ters Vil­la se­hen«, sag­te sie.

Dann senk­te sie ih­ren Schlei­er, aber so lang­sam, dass ihr letz­ter Blick mit schein­ba­rer Schüch­tern­heit zwar, doch in der Tat mit ei­ni­ger Keck­heit auf dem Athe­ner haf­te­te. Die­ser Blick war zärt­lich und zu­gleich ein Vor­wurf.

Die Freun­de setz­ten ih­ren Weg fort.

»Ju­lia ist wirk­lich schön«, sag­te Glau­kus.

»Und im vo­ri­gen Jah­re wür­dest du je­nes Be­kennt­nis in ei­nem wär­me­ren Tone ge­macht ha­ben.«

»Al­ler­dings; ich wur­de durch den ers­ten Blick ver­blen­det, und hielt für einen Edel­stein, was spä­ter sich nur als künst­li­che Nach­ah­mung er­wies.«

»Ja­wohl«, er­wi­der­te Klo­di­us, »alle Mäd­chen sind sich ei­gent­lich ähn­lich. Glück­lich, wer ein schö­nes Ge­sicht und eine rei­che Aus­s­teu­er hei­ra­tet. Was kann er mehr wün­schen?«

Glau­kus seufz­te.

Sie be­fan­den sich jetzt in ei­ner we­ni­ger mit Men­schen an­ge­füll­ten Stra­ße, wel­che ih­nen die Aus­sicht auf je­nes ru­hi­ge Meer er­öff­ne­te, das an die­sen herr­li­chen Küs­ten so sel­ten ein Bild des Schre­ckens dar­bie­tet, denn sanft sind die Lüf­te, wel­che über sei­ne Ober­flä­che hau­chen, glü­hend und man­nig­fal­tig das Far­ben­spiel, das der Wi­der­schein ro­si­ger Wol­ken bil­det, köst­lich die Düf­te, wel­che durch die Land­win­de ihm zu­ge­führt wer­den. Wohl konn­te man glau­ben, Ana­dyo­me­ne habe aus ei­ner sol­chen See sich er­ho­ben, um der Herr­schaft über die Erde sich zu be­mäch­ti­gen.

»Es ist noch zu früh, um in das Bad zu ge­hen«, sag­te der Grie­che, der je­dem poe­ti­schen Ein­druck des Au­gen­blicks folg­te, »wir wol­len die ge­räusch­vol­le Stadt ver­las­sen und uns hier an der Küs­te er­göt­zen, so­lan­ge noch die Son­ne auf den Wo­gen ver­weilt.«

»Sehr gern«, er­wi­der­te Klo­di­us, »auch ist es an der Bai im­mer am leb­haf­tes­ten.«

In der spie­gel­glat­ten Flä­che der Bai ruh­ten die Han­dels­schif­fe und die ver­gol­de­ten Gon­deln für die Lust­fahr­ten rei­cher Bür­ger. Schnell glit­ten die Fi­scher­boo­te hin und her, und in der Fer­ne er­blick­te man die schlan­ken Mas­te der Flot­te un­ter dem Be­feh­le des Pli­ni­us. Am Ufer saß ein Si­zi­lia­ner, der mit hef­ti­gen Ges­ti­ku­la­tio­nen und leicht be­weg­li­chen Zü­gen ei­ner Grup­pe von Fi­schern und Land­leu­ten die Ge­schich­te Schiff­bruch er­lei­den­der See­leu­te und ret­ten­der Del­phi­ne er­zähl­te.

Der Grie­che zog sei­nen Beglei­ter von den Zu­hö­rern fort und wan­der­te mit ihm nach ei­nem ein­sa­men Tei­le des Ge­sta­des, wo die zwei Freun­de, auf eine un­ter den glat­ten Kie­seln sich er­he­ben­de klei­ne Klip­pe sich set­zend, die wol­lüs­tig-küh­len­den See­lüf­te ein­at­me­ten, wel­che, über den Wel­len schwe­bend, mit ih­ren un­sicht­ba­ren Fü­ßen eine Art von Na­tur­rhyth­mus hiel­ten. Es lag et­was zum Still­schwei­gen und zur ein­sa­men Be­trach­tung Ein­la­den­des in der gan­zen Sze­ne. Klo­di­us be­rech­ne­te, in­dem er sei­ne Au­gen vor der bren­nen­den Son­ne schütz­te, sei­ne Spiel­ver­lus­te der letz­ten Wo­che; und der Grie­che, sich auf die Hand stüt­zend, und jene Son­ne, die schüt­zen­de Gott­heit sei­ner Na­ti­on, nicht scheu­end, schwärm­te mit sei­nen Bli­cken über der wei­ten Flä­che mit je­nem leich­ten Sin­ne der Le­bens­lust, Freu­de und Lie­be, wel­che sein gan­zes We­sen er­füll­ten, und be­nei­de­te viel­leicht je­des Lüft­chen, das sei­ne Schwin­gen ge­gen die Ufer Grie­chen­lands er­hob.

»Sage mir«, sprach end­lich der Grie­che, »hast du je­mals ge­liebt?«

»Ja, sehr oft.«

»Wer oft ge­liebt hat«, ent­geg­ne­te Glau­kus, »lieb­te nie. Es gibt bloß einen Eros.«

»Liebst du denn wirk­lich und ernst­lich? Emp­fin­dest du je­nes Ge­fühl, wel­ches die Dich­ter be­schrei­ben – ein Ge­fühl, mit dem wir un­se­re Mahl­zei­ten ver­säu­men, das Thea­ter ver­nach­läs­si­gen und Ele­gi­en schrei­ben? Ich hät­te es nie ge­dacht.«

Glau­kus lä­chel­te. »So­weit bin ich al­ler­dings noch nicht. Aber ich könn­te so lie­ben, wenn ich nur Ge­le­gen­heit hät­te, den Ge­gen­stand mei­ner Ver­eh­rung wie­der­zu­se­hen.«

»Ist es denn nicht des Dio­me­des Toch­ter?« frag­te Klo­di­us. »Du wirst von ihr ge­liebt, und sie ver­birgt die­se Lei­den­schaft nicht; und beim Her­ku­les, ich muss es wie­der­ho­len: Sie ist schön und reich. Sie wird die Tür­pfos­ten ih­res Gat­ten mit gol­de­nen Net­zen ver­bin­den.«

»Nein, ich be­ab­sich­ti­ge kei­nes­wegs, mich selbst zu ver­kau­fen. Die Toch­ter des Dio­me­des ist schön, das muss ich zu­ge­ben, und wäre sie nicht die En­ke­lin ei­nes Frei­ge­las­se­nen, so hät­te ich einst – doch nein – sie trägt ihre Schön­heit nur im Ant­litz. Ihre Sit­ten sind nicht jung­fräu­lich, und ihr Ge­müt kennt kei­ne an­de­ren Be­stre­bun­gen als die des Ver­gnü­gens!«

»Du bist un­dank­bar. Doch sage mir, wel­che die glück­lichs­te Jung­frau ist?«

»So höre denn, mein Klo­di­us. Vor ei­ni­gen Mo­na­ten hielt ich mich in Nea­pel auf, ei­ner Stadt, die mir sehr ge­fällt, denn sie be­haup­tet die Sit­ten und das We­sen ih­res grie­chi­schen Ur­sprungs. Ei­nes Ta­ges trat ich in den Tem­pel der Mi­ner­va, um mei­ne Ge­be­te, mehr für die Stadt, über wel­cher Pal­las nicht mehr freund­lich lä­chelt, als für mich selbst dar­zu­brin­gen. Der Tem­pel war leer und ein­sam. Die Erin­ne­run­gen an Athen dräng­ten sich in mir. Ich glaub­te, in dem Tem­pel al­lein zu sein, und war ganz in mei­ne An­dacht ver­tieft, als ich plötz­lich einen tie­fen Seuf­zer ver­nahm und beim Um­schau­en ein jun­ges Mäd­chen sah. Auch sie be­te­te und hat­te ih­ren Schlei­er er­ho­ben, und als un­se­re Au­gen sich be­geg­ne­ten, schi­en ein himm­li­scher Strahl aus je­nen dunklen und leuch­ten­den Bli­cken in mei­ne See­le zu drin­gen. Nie, mein Klo­di­us, sah ich ein sterb­li­ches Ant­litz schö­ner ge­bil­det: eine ge­wis­se Me­lan­cho­lie mil­der­te und er­höh­te zu­gleich des­sen Aus­druck; je­nes un­aus­sprech­ba­re Et­was, wel­ches aus dem Her­zen in das Herz dringt, und das un­se­re Bild­hau­er in die Züge der Psy­che über­tru­gen, ver­brei­te­te über ihre Schön­heit et­was Gött­li­ches und Ed­les; aus ih­ren Au­gen flos­sen Trä­nen. Ich ver­mu­te­te so­gleich, dass auch sie athe­ni­schen Ur­sprungs sei. ›Bist du nicht auch aus Athen, schö­ne Jung­frau?‹ frag­te ich. Bei dem Tone mei­ner Stim­me er­rö­te­te sie und be­deck­te mit dem Schlei­er teil­wei­se ihr Ant­litz. – ›Die Asche mei­ner Vor­fah­ren‹, sag­te sie, ›ruht an den Ufern des Ilis­sus; ich bin ge­bür­tig aus Nea­pel; doch mein Herz ist athe­nisch wie mein Ur­sprung.‹ – ›So wol­len wir denn, sag­te ich, un­se­re Op­fer ge­mein­schaft­lich dar­brin­gen‹ und als der Pries­ter er­schi­en, stand ich ihr zur Sei­te, wäh­rend wir des­sen Ze­re­mo­ni­en folg­ten. Zu­gleich be­rühr­ten wir die Knie der Göt­tin, zu­gleich leg­ten wir un­se­re Oli­ven­krän­ze auf den Al­tar. Ich fühl­te in die­ser Ge­mein­schaft ein ei­gen­tüm­li­ches Ge­fühl fast hei­li­ger Zärt­lich­keit. Es schi­en, als sei ich schon seit Jah­ren mit ihr be­kannt, und je­ner ein­fa­che Got­tes­dienst wirk­te wie ein Wun­der, in­dem er die Ban­den der Sym­pa­thie umso fes­ter knüpf­te, je schnel­ler er die Schran­ken der Zeit ver­nich­te­te. Schwei­gend ver­lie­ßen wir den Tem­pel, und ich stand im Be­griff, sie zu fra­gen, wo sie woh­ne, und ob es mir ge­stat­tet sei, sie zu be­su­chen, als ein Jüng­ling, in des­sen Zü­gen eine ver­wandt­schaft­li­che Ähn­lich­keit mit den ih­ri­gen sich auf­drang, und der an dem Ein­gan­ge des Tem­pels stand, ihre Hand er­griff. Sie wen­de­te sich zu mir und sag­te mir Le­be­wohl. Sie ver­schwand im Ge­drän­ge; ich sah sie nicht wie­der. Zu Hau­se an­ge­langt, fand ich Brie­fe, wel­che mich zwan­gen, nach Athen ab­zu­rei­sen, denn mei­ne Ver­wand­ten droh­ten mit Pro­zes­sen we­gen mei­nes Erb­teils. Als die­se An­ge­le­gen­hei­ten glück­lich be­sei­tigt wa­ren, kehr­te ich nach Nea­pel zu­rück. Trotz al­ler Nach­for­schun­gen in der gan­zen Stadt konn­te ich je­doch die Spu­ren mei­ner ver­lo­re­nen Lands­män­nin nicht wie­der­fin­den, und in­dem ich hoff­te, die Erin­ne­rung an jene schö­ne Er­schei­nung im fro­hen Le­bens­ge­nus­se zu über­täu­ben, be­eil­te ich mich, den Ver­gnü­gun­gen, wel­che Pom­pe­ji dar­bie­tet, mich in die Arme zu stür­zen. Die­ses ist die gan­ze Ge­schich­te mei­ner Lei­den­schaft.«

Als Klo­di­us er­wi­dern woll­te, nä­her­te sich ih­nen lang­sa­men und statt­li­chen Schrit­tes ein Mann, und als sie das Geräusch sei­nes Gan­ges in den Kie­seln hör­ten, wen­de­ten sich bei­de um, und je­der er­kann­te den An­kom­men­den.

Es war ein Mann, der kaum das vier­zigs­te Jahr er­reicht hat­te, von schlan­ker, doch kräf­ti­ger Ge­stalt. Sei­ne dunkle, bron­ze­far­be­ne Haut ver­riet den mor­gen­län­di­schen Ur­sprung, und sei­ne Züge hat­ten et­was Grie­chi­sches in ih­ren Li­ni­en. Sei­ne großen Au­gen, dun­kel wie die fins­te­re Nacht, blick­ten fest und mit ru­hi­gem, wech­sel­lo­sem Aus­druck. Eine tie­fe, nach­den­ken­de und me­lan­cho­li­sche Ein­sam­keit schi­en dort ih­ren ma­je­stä­ti­schen und ge­bie­ten­den Sitz ge­wählt zu ha­ben. Sein Gang und sei­ne Be­we­gun­gen wa­ren leicht und ge­mes­sen, und et­was Aus­län­di­sches in der Ein­fach­heit und dem Schnit­te sei­nes Ge­wan­des er­höh­te den ehr­wür­di­gen Aus­druck sei­ner stil­len Wür­de und statt­li­chen Ge­stalt. Ein je­der der bei­den jun­gen Män­ner mach­te, als sie den An­kom­men­den be­grüß­ten, me­cha­nisch, aber ver­stoh­len und wie in der Ab­sicht, es vor ihm zu ver­ber­gen, eine klei­ne be­zeich­nen­de Be­we­gung mit den Fin­gern; denn man glaub­te von Ar­ba­ces, dem Ägyp­ter, dass er die un­heil­brin­gen­de Gabe des bö­sen Blickes be­sit­ze.

»Die­se Land­schaft muss wirk­lich schön sein«, sag­te Ar­ba­ces mit ei­nem kal­ten und ab­sto­ßen­den Lä­cheln, »da sie den mun­te­ren Klo­di­us und den be­wun­der­ten Glau­kus ver­an­lasst, die le­bens­fro­he Stadt zu ver­las­sen.«

»Ist denn Na­tur an sich nicht an­zie­hend?« frag­te der Grie­che.

»Für die Ge­nuss­süch­ti­gen – al­ler­dings nicht.«

»Das ist eine har­te Er­wi­de­rung, doch schwer­lich eine wei­se. Das Ver­gnü­gen er­freut sich der Ge­gen­sät­ze, durch zer­streu­en­de Genüs­se ler­nen wir die Ein­sam­keit und durch die­se jene schät­zen.«

»So den­ken die jun­gen Phi­lo­so­phen aus dem Gar­ten«, er­wi­der­te der Ägyp­ter, »sie hal­ten Er­schöp­fung für ein­sa­me Be­trach­tung und bil­den sich ein, die Ein­sam­keit zu ken­nen, wenn sie durch ge­räusch­vol­le Ver­gnü­gun­gen über­sät­tigt wur­den. Doch in so lee­ren Ge­mü­tern ver­mag die Na­tur jene Be­geis­te­rung nicht zu ent­zün­den, wel­che aus ih­rer ei­ge­nen keu­schen Zu­rück­ge­zo­gen­heit un­be­schreib­li­che Glück­se­lig­keit schöpft. Sie ver­langt von euch nicht die Er­mat­tung der Lei­den­schaft, son­dern jene gan­ze Glut, von der ihr bloß, in­dem ihr sie sucht, aus­ru­hen wollt. Bei al­le­dem habt ihr recht, die Zeit zu ge­nie­ßen, so­lan­ge sie freund­lich lä­chelt; schnell ver­welkt die Rose, bald ver­haucht ist ihr Duft, und was bleibt uns, o Glau­kus, den Fremd­lin­gen im Lan­de, ent­fernt von der Asche ih­rer Vä­ter, als der Ge­nuss des Ver­gnü­gens und das An­den­ken an die Ver­gan­gen­heit? Für dich das ers­te­re, für mich viel­leicht das letz­te­re.«

Er sah die bei­den noch ein­mal mit sei­nem kal­ten, durch­boh­ren­den Blick an. Dann schlug er den Zip­fel sei­nes Ge­wan­des über die Schul­ter und schritt lang­sam von dan­nen.

»Ich atme wie­der frei­er«, sag­te Klo­di­us. »Die Ägyp­ter nach­ah­mend, stel­len wir bei un­se­ren Gast­mah­len bis­wei­len ein Ske­lett auf. Der An­blick ei­nes sol­chen Ägyp­ters, wie je­ner schlei­chen­de Schat­ten, ist ge­spens­tisch ge­nug, um den köst­lichs­ten Fa­ler­ner zu ver­säu­ern.«

»Ein selt­sa­mer Mann«, sag­te Glau­kus nach­den­kend, »wenn er aber auch er­tö­tet scheint für das Ver­gnü­gen und kalt für die Rei­ze die­ser Welt, so lügt die Ver­leum­dung über ihn, und die Ge­schich­te sei­nes Her­kom­mens und sei­nes Her­zens ist si­cher eine an­de­re.«

»Ach, man spricht von ganz an­de­ren Or­gi­en als de­nen der Osi­ris, die in sei­nem ein­sa­men Hau­se ge­fei­ert wer­den sol­len. Auch ist er reich, wie man sagt. Kön­nen wir ihn nicht zu dem Uns­ri­gen ma­chen und ihn die Rei­ze des Spiels leh­ren? O die­ser herr­lichs­te von al­len Genüs­sen! Wie schön ist das Spiel, die­ses hei­ße Fie­ber der Hoff­nung und Furcht, die­se un­ver­gleich­li­che, un­über­trof­fe­ne Lei­den­schaft!«

»O die­se glü­hen­de Be­geis­te­rung!« rief lä­chelnd Glau­kus. »Ein Ora­kel der Poe­sie im Mun­de des Klo­di­us. Was wer­den wir da noch für Wun­der er­le­ben.«

Par­thi­en ist eine an­ti­ke Land­schaft im Nor­den des heu­ti­gen Iran.  <<<

2

Der Him­mel hat­te dem Glau­kus je­des Glück ge­währt, ei­nes aus­ge­nom­men; er war schön, kräf­tig, wohl­ha­bend, geist­reich, von be­rühm­ter Her­kunft, feu­ri­gen Tem­pe­ra­ments, poe­ti­schen Ge­mü­tes; aber es fehl­te ihm die Erb­schaft der Frei­heit.

Er war als rö­mi­scher Un­ter­tan in Athen ge­bo­ren. Schon früh­zei­tig zu ei­ner be­deu­ten­den Erb­schaft ge­langt, hat­te er der Nei­gung für das Rei­sen, die in der Ju­gend so na­tür­lich ist, sich hin­ge­ge­ben, und sich in den glän­zen­den Ver­gnü­gun­gen des kai­ser­li­chen Ho­fes be­rauscht.

Er war ein Al­ci­bia­des ohne Ehr­geiz. Er war, was ein jun­ger, rei­cher, ta­lent­vol­ler Mann bald wird, wenn die Be­geis­te­rung des Ruhms ihm fremd bleibt. Sein Haus in Rom war Ge­gen­stand der Un­ter­hal­tun­gen al­ler Ge­nuss­süch­ti­gen, aber auch al­ler Kunst­freun­de, sei­ne Woh­nung in Pom­pe­ji ent­zück­te mit ih­ren Ge­mäl­den und Mo­sa­ik­ar­bei­ten je­den Ken­ner. Glau­kus war ein lei­den­schaft­li­cher Ver­eh­rer der Poe­sie und be­son­ders der dra­ma­ti­schen, wel­che den Geist und Hel­den­mut sei­nes Ge­schlechts ver­ge­gen­wär­tigt, und sein schö­nes Haus war mit Dar­stel­lun­gen aus dem Äschy­lus und Ho­mer ge­ziert. Es ge­hör­te üb­ri­gens nicht zu den größ­ten, wohl aber zu den vollen­dets­ten und pracht­volls­ten Pri­vat­woh­nun­gen in Pom­pe­ji, und sein Be­sit­zer wur­de um sei­net­wil­len viel be­nei­det.

Man trat durch einen lan­gen, en­gen Gang in die Hal­le, auf de­ren Fuß­bo­den ein Hund in Mo­sa­ik ab­ge­bil­det war, mit dem wohl­be­kann­ten »Cave ca­nem« oder: »Nimm dich vor dem Hun­de in acht«. Zu je­der Sei­te be­fand sich eine ziem­lich ge­räu­mi­ge Kam­mer, denn da der in­ne­re Teil des Hau­ses nicht groß ge­nug war, um die bei­den Ab­tei­lun­gen der Zim­mer zum Pri­vat- und zum öf­fent­li­chen Ge­brauch zu ent­hal­ten, so wur­den die­se bei­den Kam­mern be­son­ders für den Empfang der­je­ni­gen Be­su­chen­den be­stimmt, die durch ih­ren Rang oder durch ge­naue­re Be­kannt­schaft nicht ge­eig­net wa­ren, in das In­ne­re ein­ge­las­sen zu wer­den.

Von der Hal­le kam man in das mit wun­der­vol­len Ge­mäl­den ge­schmück­te Atri­um. Die Bil­der stell­ten den Ab­schied des Achil­les von der Bri­seis dar.

An der einen Sei­te des Atri­ums führ­te eine schma­le Trep­pe zu den Kam­mern für die Skla­ven im obe­ren Stock. Auch be­fan­den sich dort zwei oder drei klei­ne Schlaf­zim­mer, auf de­ren Wän­den die Ent­füh­rung der Eu­ro­pa, die Schlacht der Ama­zo­nen usw. dar­ge­stellt wa­ren.

Da­rauf trat man in das Ta­b­li­ni­um, an des­sen bei­den En­den rei­che Tep­pi­che, mit ty­ri­schem Pur­pur ge­färbt, hin­gen, die halb zu­rück­ge­zo­gen wa­ren. An der Wand war ein Dich­ter dar­ge­stellt, wie er ei­nem Freun­de Ver­se vor­las, und in den Fuß­bo­den eine klei­ne, aber herr­li­che Mo­sa­ik ein­ge­fügt, wel­che Be­zie­hung auf den Un­ter­richt hat­te, den ein Schau­spiel­di­rek­tor sei­nem Per­so­nal gab. Durch die­sen Saal ge­lang­te man in das Pe­ri­stil, das den Ab­schluss des Hau­ses bil­de­te. Von je­der der sie­ben Säu­len, die die­sen Hof zier­ten, hin­gen Blu­men­ge­win­de her­ab. Das In­ne­re, wel­ches die Stel­le ei­nes Gar­tens ver­trat, war mit den sel­tens­ten blü­hen­den Blu­men in weiß­mar­mor­nen Va­sen be­setzt, die auf Pie­des­ta­len stan­den. An der lin­ken Sei­te die­ses klei­nen Gärt­chens be­fand sich eine klei­ne Ni­sche. Sie war den Pe­na­ten ge­hei­ligt; vor ihr stand ein bron­ze­ner Drei­fuß. An der lin­ken Sei­te des Säu­len­gan­ges wa­ren noch zwei klei­ne Schlaf­zim­mer; an der rech­ten das Tri­kli­ni­um, in wel­chem die Gäs­te jetzt ver­sam­melt wa­ren.

Um den Tisch von Zitro­nen­holz, der glatt po­liert und mit Ara­bes­ken in Sil­ber aus­ge­legt war, stan­den die drei Ru­he­bet­ten, die da­mals in Pom­pe­ji noch ge­bräuch­li­cher wa­ren als der halb­run­de Sitz, der seit kur­z­em in Rom Mode ge­wor­den; und auf die­sen Ru­he­bet­ten von Bron­ze, die noch mit Ar­bei­ten von kost­ba­ren Me­tal­len ge­ziert wa­ren, la­gen di­cke Ma­trat­zen mit fei­ner Sti­cke­rei, die elas­tisch dem Druck nach­ga­ben.

»Ich muss wirk­lich ge­ste­hen«, sag­te der Ädil Pan­sa, »dass dein Haus, wenn es auch klein ist, doch in sei­ner Art ei­nem kost­ba­ren Edel­stein gleicht. Wie schön ist der Ab­schied des Achil­les von der Bri­seis dar­ge­stellt! – Wel­cher Stil – wel­che Köp­fe – wel­che, hm!«

»Ein Lob des Pan­sa über sol­che Ge­gen­stän­de ist wirk­lich schätz­bar«, sag­te mit ernst­haf­ter Mie­ne Klo­di­us. »Auch sind die Ge­mäl­de an sei­nen Wän­den – wahr­lich, sie sind der Hand ei­nes Zeu­xis nicht un­wür­dig!«

»Du schmei­chelst mir, mein Klo­di­us; du schmei­chelst in der Tat«, er­wi­der­te der Ädil, der in ganz Pom­pe­ji be­kannt da­für war, dass er die schlech­tes­ten Ge­mäl­de hat­te, denn er war ein Pa­tri­ot und be­schäf­tig­te nur die pom­pe­ja­ni­schen Künst­ler. »Du schmei­chelst mir; aber die Ge­mäl­de sind recht hübsch in den Far­ben wie in der Zeich­nung – und die in der Kü­che sind ganz von mei­ner Er­fin­dung.«

»Was stel­len sie dar?« frag­te Glau­kus. »Ich habe dei­ne Kü­che noch nicht ge­se­hen, wenn ich auch oft Ge­le­gen­heit hat­te, die Vor­treff­lich­keit der Spei­sen zu be­wun­dern.« »Es ist ein Koch, mein Athe­ner, wel­cher die Be­wei­se sei­ner Ge­schick­lich­keit auf dem Al­tar der Ves­ta dar­bringt, näm­lich eine schö­ne Murä­ne (nach dem Le­ben ge­malt), es ist doch wohl ge­nug Er­fin­dung dar­in!«

In die­sem Au­gen­blick tra­ten die Skla­ven ein und brach­ten die ers­ten Ein­lei­tungs­pfei­fen zum Mahl. Zwi­schen köst­li­chen Fei­gen, fri­schen, mit Schnee be­streu­ten Kräu­tern und Ei­ern wur­den klei­ne Be­cher ei­nes herr­li­chen, mit et­was Ho­nig ver­misch­ten Wei­nes auf­ge­stellt. Da­rauf über­reich­ten jun­ge Skla­ven je­dem der fünf Gäs­te (denn grö­ßer war ihre An­zahl nicht) ein sil­ber­nes Be­cken mit wohl­rie­chen­dem Was­ser und Hand­tü­cher mit ei­ner pur­pur­nen Ein­fas­sung. Doch der Ädil zog sein ei­ge­nes Tuch her­vor, wel­ches zwar nicht von so fei­ner Lein­wand, aber des­sen Rand sehr breit war, und trock­ne­te sei­ne Hän­de auf eine Wei­se, wel­che die Be­wun­de­rung in An­spruch zu neh­men be­rech­net war.

»Du hast da ein schö­nes Tuch«, sag­te Klo­di­us, »die Bor­te ist so breit wie ein Gür­tel.«

»Oh, es ist nichts Be­son­de­res, mein Klo­di­us! Man sagt mir, dass die­ses die neues­te Mode zu Rom ist, doch Glau­kus ver­steht mehr von die­sen Sa­chen als ich.«

»Sei uns güns­tig, o Bac­chus!« sag­te Glau­kus, in­dem er sich ehr­er­bie­tig ge­gen ein schö­nes Bild des Got­tes neig­te, das mit­ten auf dem Ti­sche stand, an des­sen En­den die La­ren und die Salz­fäs­ser auf­ge­stellt wa­ren. Die Gäs­te stimm­ten in die­se An­ru­fung mit ein, und in­dem sie Wein auf den Tisch spreng­ten, voll­brach­ten sie die ge­wöhn­li­che Li­ba­ti­on.

Nach­dem dies ge­sche­hen war, nah­men die Gäs­te ihre Plät­ze auf den Ru­he­bet­ten ein, und das Mahl be­gann.

»Möge die­ser Be­cher mein letz­ter sein«, sag­te der jun­ge Sal­lust, als die zu Er­re­gung des Ap­pe­tits zu­erst auf­ge­tra­ge­nen Spei­sen ab­ge­nom­men wa­ren, die ei­gent­li­chen Ge­rich­te folg­ten und ein Skla­ve ihm ein bis an den Rand ge­füll­tes Trink­ge­fäß über­reich­te, »möge die­ser Be­cher mein letz­ter sein, wenn die­ses nicht der bes­te Wein ist, den ich je zu Pom­pe­ji ge­trun­ken habe!«

»Brin­ge die Am­pho­ra her«, sag­te Glau­kus, »und lies den Jahr­gang des Wei­nes.«

Der Skla­ve be­eil­te sich, der Ge­sell­schaft mit­zu­tei­len, dass das Al­ter von vier­zig Jah­ren und der Ge­burts­ort Chi­os an­ge­ge­ben sei.

»Wie köst­lich der Schnee ihn ge­kühlt hat«, sag­te Pan­sa.

»Er ist wie die Er­fah­rung ei­nes Man­nes«, be­merk­te Sal­lust, »der sei­ne Lei­den­schaf­ten hin­läng­lich ab­ge­kühlt hat, um ih­nen de­sto mehr Ge­nuss ge­wäh­ren zu kön­nen.«

»Er ist wie das Nein! ei­nes Wei­bes«, füg­te Glau­kus hin­zu, »es kühlt ab, um nur noch mehr das Feu­er an­zu­fa­chen.«

»Wann fin­det wie­der ein Kampf wil­der Tie­re statt?« frag­te Klo­di­us den Pan­sa.

»Er wur­de für den 9. Idus des Au­gust fest­ge­setzt«, er­wi­der­te Pan­sa. »Wir ha­ben einen herr­li­chen jun­gen Lö­wen für die­ses Fest.«

»Wer soll ihm vor­ge­wor­fen wer­den?« frag­te Klo­di­us. »Ach, es ist ein großer Man­gel an Ver­bre­chern. Du musst auf je­den Fall ir­gend­ei­nen Un­schul­di­gen oder sonst je­mand für den Lö­wen ver­ur­tei­len, Pan­sa!«

»Al­ler­dings habe ich seit kur­z­em ernst­lich dar­über nach­ge­dacht«, er­wi­der­te der Ädil gra­vi­tä­tisch. »Es ist ein schänd­li­ches Ge­setz, wel­ches uns un­ter­sagt, un­se­re ei­ge­nen Skla­ven den wil­den Tie­ren vor­zu­wer­fen. Ich kann es nicht an­ders nen­nen als eine Ver­let­zung des Be­sit­zes selbst, wenn wir über un­ser Ei­gen­tum nicht mehr nach frei­em Wil­len schal­ten dür­fen.«

»In den gu­ten, al­ten Zei­ten der Re­pu­blik war es an­ders«, seufz­te Sal­lust.

»Über­dem ent­behrt durch die­se ver­meint­li­che Mil­de ge­gen die Skla­ven das arme Volk so viel. Wie gern sieht es einen tüch­ti­gen Kampf zwi­schen ei­nem Men­schen und ei­nem Lö­wen. Und die­ses un­schul­di­gen Ver­gnü­gens darf es nicht mehr ge­nie­ßen, so­lan­ge die­ses ver­wünsch­te Ge­setz be­steht, wenn die Göt­ter uns nicht einen tüch­ti­gen Ver­bre­cher schi­cken.«

»Wel­che Staats­kunst kann schlech­ter sein«, sag­te Klo­di­us, »als jene, die die mann­haf­ten Ver­gnü­gun­gen des Volks un­ter­sagt?« Hier wur­de die Un­ter­hal­tung für einen Au­gen­blick durch einen Tusch von mu­si­ka­li­schen In­stru­men­ten un­ter­bro­chen, und zwei Skla­ven tra­ten mit ei­nem ein­zel­nen Ge­richt ein.

»Ach, wel­chen Lecker­bis­sen hast du noch für uns auf­ge­ho­ben?« frag­te der jun­ge Sal­lust mit fun­keln­den Au­gen.

Sal­lust war nur vier­und­zwan­zig Jah­re alt, doch kein Le­bens­ge­nuss ging ihm über das Es­sen – viel­leicht hat­te er alle an­de­ren er­schöpft; doch war er nicht ohne Ta­len­te und hat­te ein vor­treff­li­ches Herz, so­weit es ihm treu blieb.

»Ich ken­ne, beim Pol­lux, die­ses Ge­richt!« rief Pan­sa. »Es ist Lamm­fleisch von Am­bra­cia. Ha! Wir müs­sen für den neu­en An­kömm­ling noch eine Li­ba­ti­on dar­brin­gen.«

»Ich hat­te ge­hofft«, sag­te Glau­kus mit ei­nem lei­sen Be­dau­ern in sei­ner Stim­me, »auch ei­ni­ge Aus­tern aus Bri­tan­ni­en vor­set­zen zu kön­nen, aber die un­güns­ti­ge Wit­te­rung hat die recht­zei­ti­ge An­kunft des Schif­fes ver­hin­dert.«

»Sind sie wirk­lich so köst­lich?« frag­te Le­pi­dus, in­dem er den Gür­tel sei­ner Tu­ni­ka noch wei­ter lös­te.

»Ich ver­mu­te, dass bloß die Ent­fer­nung ih­ren großen Wert be­stimmt; sie ha­ben nicht den wür­zi­gen Ge­schmack der brun­di­si­schen Aus­ter. Zu Rom je­doch hält man ohne sie kein Abend­mahl für voll­stän­dig.«

»Die ar­men Bri­ten!« sag­te Sal­lust. »Sie ha­ben doch we­nigs­tens et­was Gu­tes; sie lie­fern uns Aus­tern!«

»Ich woll­te, sie lie­fer­ten uns einen Gla­dia­tor«, sag­te der Ädil, der im­mer noch mit den Be­dürf­nis­sen des Am­phi­thea­ters be­schäf­tigt war.

»Bei der Pal­las!« rief Glau­kus, als sein Lieb­lings­skla­ve einen neu­en Kranz um sein Haupt wand. »Mir ge­fal­len die­se wil­den Schau­spie­le wohl, so­lan­ge die Bes­tie mit der Bes­tie kämpft, aber wenn ein Mensch, ein Mann mit Fleisch und Blut wie wir, gleich­gül­tig in die Are­na ge­trie­ben und ihm Glied für Glied ab­ge­ris­sen wird, so ist die­ser An­blick mir zu schreck­lich; mir fängt an zu schwin­deln, der Atem stockt mir und es treibt mich, hin­ab­zu­ei­len und ihn zu ver­tei­di­gen. Das Freu­den­ge­schrei des Vol­kes er­scheint mir fürch­ter­li­cher als die Stim­men der Ores­tes ver­fol­gen­den Fu­ri­en. Ich freue mich, dass in dem nächs­ten Kampf­spiel so we­nig Aus­sicht für jene blu­ti­ge Dar­stel­lung vor­han­den ist!«

Der Ädil zuck­te ver­ständ­nis­los die Schul­ter, und alle An­we­sen­den starr­ten Glau­kus ver­wun­dert oder be­frem­det an. Die­ser ließ sich aber nicht be­ir­ren.

»Ihr Ita­lie­ner seid al­ler­dings an die­se Schau­spie­le ge­wöhnt, wir Grie­chen sind mil­der. Oh, Schat­ten des Pin­dar! – Das Ent­zücken­de ei­nes wahr­haft grie­chi­schen Spiels – das Auf­bie­ten al­ler Kräf­te des Man­nes ge­gen den Mann – der edel­mü­ti­ge Kampf – der halb trau­ri­ge Tri­umph – der Stolz, ei­nem wür­di­gen Fein­de zu be­geg­nen, der Miss­mut, ihn über­wun­den zu ha­ben! Doch ihr ver­steht mich nicht!«

»Das Lamm­fleisch ist vor­treff­lich«, sag­te Sal­lust.

Der Skla­ve, der das Vor­schnei­de­r­amt hat­te und sich nicht we­nig auf sei­ne Ge­schick­lich­keit zu­gu­te tat, hat­te bei dem Klan­ge der Mu­sik eben die­ses Ge­schäft be­en­digt, in­dem sein Mes­ser den Takt hielt, lang­sam und be­däch­tig be­gin­nend und im leb­haf­ten Ei­fer nach den Tö­nen ei­nes herr­li­chen Dia­pa­sons sein schwie­ri­ges Kunst­werk vollen­dend.

»Dein Koch ist ge­wiss aus Si­zi­li­en?« sag­te Pan­sa.

»Ja, von Sy­ra­kus.«

»Ich will auf ihn wet­ten«, sag­te Klo­di­us, »wir wol­len ein­mal einen Wett­kampf mit Ge­rich­ten ver­an­stal­ten.«

»Ein sol­ches Spiel wäre al­ler­dings ei­nem Tier­ge­fecht vor­zu­zie­hen, aber ich kann die Wet­te auf mei­nen Si­zi­lia­ner nicht ein­ge­hen – du hast nicht so Kost­ba­res da­ge­gen zu set­zen!«

»Mei­ne Phil­li­da, mei­ne schö­ne Tän­ze­rin!«

»Ich kau­fe nie­mals Frau­en«, sag­te der Grie­che, in­dem er sich sei­nen Kranz zu­recht­schob.

Die Mu­si­kan­ten, wel­che drau­ßen in dem Säu­len­gang auf­ge­stellt wa­ren, hat­ten ihr Kon­zert mit dem Lamm­fleisch be­gon­nen. Sie gin­gen jetzt in eine sanf­te­re, fröh­li­che­re, man konn­te fast sa­gen geist­rei­che­re Me­lo­die über und san­gen ein Lied von Horaz.

»Ach, der alte, gute Horaz«, sag­te Sal­lust teil­neh­mend, »er wuss­te wohl Fes­te und Mäd­chen zu be­sin­gen, aber nicht so gut als un­se­re neue­ren Dich­ter.«

»Als der un­s­terb­li­che Ful­vi­us zum Bei­spiel«, be­merk­te Klo­di­us.

»Und Spurä­na, und Ca­jus Mu­ti­us, der in ei­nem Jah­re drei epi­sche Ge­dich­te schrieb – konn­te das Horaz oder Vir­gil?« sag­te Le­pi­dus. »Die­se al­ten Dich­ter be­gin­gen alle den Feh­ler, die Bild­haue­rei nach­zuah­men, statt die Ma­le­rei. Ein­fach­heit und Ruhe – das mach­ten sie sich zur Auf­ga­be; doch wir Neu­ern ha­ben Feu­er und Kraft und Lei­den­schaft – wir schla­fen nie­mals ein, wir ah­men die Far­ben der Ma­le­rei nach, ihr Le­ben und ihre Hand­lung. Uns­terb­li­cher Ful­vi­us!«

»Habt ihr«, frag­te Sal­lust, »die neue Ode des Spurä­na zu Ehren der ägyp­ti­schen Isis schon ge­hört? – Sie ist herr­lich – es herrscht in ihr eine wahr­haft re­li­gi­öse Be­geis­te­rung.«

»Isis scheint eine Lieb­lings­gott­heit in Pom­pe­ji zu sein«, sag­te Glau­kus.

»Ja«, er­wi­der­te Pan­sa, »sie steht be­son­ders jetzt sehr in Gunst; ihre Sta­tue hat die merk­wür­digs­ten Ora­kel aus­ge­spro­chen. Ich bin nicht aber­gläu­bisch, doch muss ich be­ken­nen, dass sie schon mehr als ein­mal in mei­nem städ­ti­schen Amte mir nütz­lich ge­we­sen ist. Auch sind ihre Pries­ter so fromm! Kei­ne je­ner lus­ti­gen Die­ner des Ju­pi­ter oder der For­tu­na; sie ge­hen bar­fuß, es­sen kein Fleisch und sind den größ­ten Teil der Nacht mit An­dachts­übun­gen be­schäf­tigt!«

»Das ist in der Tat ein Bei­spiel für un­se­re an­de­ren Pries­ter! Ju­pi­ters Tem­pel ist der Re­form sehr be­dürf­tig«, sag­te Le­pi­dus, der gern al­les re­for­miert hät­te, au­ßer sich selbst.

»Man sagt, Ar­ba­ces, der Ägyp­ter, habe den Pries­tern der Isis ei­ni­ge fei­er­li­che Mys­te­ri­en mit­ge­teilt«, be­merk­te Sal­lust. »Er rühmt sich der Ab­stam­mung von dem Ge­schlecht des Ram­ses und be­haup­tet, in sei­ner Fa­mi­lie sei­en die Ge­heim­nis­se des ferns­ten Al­ter­tums auf­be­wahrt.«

»Auf je­den Fall be­sitzt er die Gabe des bö­sen Au­ges«, sag­te Klo­di­us; »je­des Mal, wenn mir die­se Me­du­senstirn ohne das ent­zau­bern­de Zei­chen be­geg­net, kann ich si­cher sein, ein Lieb­lings­pferd zu ver­lie­ren, oder neun­mal hin­ter­ein­an­der den nied­rigs­ten Wurf im Wür­fel­spiel zu wer­fen.«

»Das letz­te­re wür­de al­ler­dings ein Wun­der sein!« sag­te Sal­lust.

»Wie meinst du das?« er­wi­der­te der Spie­ler mit trot­zi­gem Blick.

»Ich mei­ne nichts, denn das ist das, was du mir üb­rig ließest, wenn ich oft mit dir spiel­te.«

Klo­di­us ant­wor­te­te nur durch ein ver­ächt­li­ches Lä­cheln.

»Wäre Ar­ba­ces nicht so reich«, sag­te Pan­sa, in­dem er sich ein wich­ti­ges An­se­hen gab, »so wür­de ich ihn mei­ne Wür­de et­was füh­len las­sen und die Wahr­heit des Gerüchts un­ter­su­chen, wel­ches ihn einen Stern­deu­ter und Zau­be­rer nennt. Als Agrip­pa Ädil zu Rom war, ver­bann­te er alle die­se ge­fähr­li­chen Bür­ger. Aber ein rei­cher Mann – es ist die Pf­licht ei­nes Ädils, die Rei­chen zu be­schüt­zen!«

»Was denkt ihr von je­ner neu­en Sek­te, wel­che, wie man mir er­zählt, selbst in Pom­pe­ji ei­ni­ge An­hän­ger zählt, von je­nen Jün­gern des he­bräi­schen Got­tes – Chris­tus?«

»Oh, das sind nur eit­le Träu­mer«, sag­te Klo­di­us. »Es ist kein ein­zi­ger vor­neh­mer Mann un­ter ih­nen. Ihre Pro­se­ly­ten sind arme, un­be­deu­ten­de, un­wis­sen­de Men­schen!«

»Die je­doch für ihre Got­tes­läs­te­run­gen ge­kreu­zigt zu wer­den ver­dien­ten«, sag­te Pan­sa mit hef­ti­gem Ton. »Sie ver­leug­nen die Ve­nus und den Ju­pi­ter! Ein Na­za­re­ner ist gleich­be­deu­tend mit ei­nem Got­tes­leug­ner. Wenn ich sie nur fan­ge!«

Der zwei­te Gang war vor­bei, die Gäs­te dehn­ten sich auf ih­ren Ru­he­bet­ten. Es ent­stand eine Pau­se, wäh­rend wel­cher sie auf die sanf­ten Töne des Sü­dens und der ar­ka­di­schen Flö­te hör­ten. Glau­kus schi­en am we­nigs­ten ge­neigt, das Still­schwei­gen zu bre­chen, doch Klo­di­us glaub­te, dass man die Zeit bes­ser be­nut­zen kön­ne.

»Dei­ne Ge­sund­heit, mein Glau­kus«, sag­te er, in­dem er je­dem Buch­sta­ben in dem Na­men des Grie­chen einen vol­len Be­cher mit der Ge­müt­lich­keit ei­nes al­ten Trin­kers weih­te. »Willst du dein gest­ri­ges Un­glück nicht wie­der gut­ma­chen? Sieh, die Wür­fel lä­cheln uns an!«

»Wie du willst«, er­wi­der­te Glau­kus.

»Wür­feln im Au­gust und in Ge­gen­wart des Ädils!« sag­te Pan­sa, in­dem er sich in die Brust warf, »das ist ge­gen alle Ge­set­ze.«

»Nicht in dei­ner Ge­gen­wart, ehr­wür­di­ger Pan­sa«, er­wi­der­te Klo­di­us, in­dem er die Wür­fel in ei­ner lan­gen Büch­se schüt­tel­te. »Dei­ne Ge­gen­wart un­ter­sagt jede Über­tre­tung des Ge­set­zes. Doch nicht die Sa­che selbst ver­letzt, son­dern nur de­ren Über­trei­bung.«

»Wie wei­se!« flüs­ter­te ei­ner der Gäs­te.

»Nun, so will ich denn nach ei­ner an­de­ren Sei­te se­hen«, sag­te der Ädil.

»Jetzt noch nicht, teu­rer Pan­sa. Lasst uns bis nach dem Es­sen war­ten«, er­wi­der­te Glau­kus.

Klo­di­us gab halb un­wil­lig nach, in­dem er sein Miss­ver­gnü­gen un­ter ei­nem Gäh­nen ver­barg.

»Er kann es nicht er­war­ten, bis er das Geld ver­schlingt«, flüs­ter­te Le­pi­dus dem Sal­lust, auf eine Stel­le in der Au­lu­la­ria des Plau­tus an­spie­lend, zu.

»Oh, wie gut ken­ne ich die­se Po­ly­pen, die nicht los­las­sen, was sie ein­mal be­rühr­ten«, ant­wor­te­te Sal­lust, noch­mals eine Stel­le aus dem­sel­ben Lust­spiel zi­tie­rend.

Der zwei­te Gang, aus Früch­ten, Pi­sta­zi­en­nüs­sen, Tor­ten und Kon­fekt, die zu tau­send fan­tas­ti­schen For­men ver­ar­bei­tet wa­ren, be­ste­hend, wur­de nun auf­ge­tra­gen, und die Auf­wär­ter stell­ten auch den Wein (der bis­her den Gäs­ten ein­zeln in Be­chern ge­reicht wor­den war) in großen, glä­ser­nen Ge­fäßen auf den Tisch, de­ren je­des auf ei­nem Zet­tel an­zeig­te, wie alt und wo­her der Wein sei.

»Kos­te ein­mal die­sen Les­bier, mein Pan­sa«, sag­te Sal­lust, »er ist vor­treff­lich.«

»Er ist nicht sehr alt«, sag­te Glau­kus, »aber er wur­de, wie wir selbst, durch das Feu­er früh ge­zei­tigt – der Wein durch die Flam­men des Vul­kans – wir durch die sei­nes Wei­bes – der ich die­sen vol­len Be­cher dar­brin­ge.«

»Er ist köst­lich«, sag­te Pan­sa, »doch ist viel­leicht ein klein we­nig Ro­si­nen­duft in sei­ner Blü­te.«

»Welch schö­ner Be­cher!« be­merk­te Klo­di­us, in­dem er ein Trink­ge­fäß von durch­sich­ti­gem Kris­tall em­por­hob, des­sen Hand­griff mit Edel­stei­nen be­setzt und in der Form sich durch­sch­lin­gen­der Schlan­gen, ei­ner Lieb­lings­dar­stel­lung in Pom­pe­ji, ge­ar­bei­tet war.

»Die­ser Ring«, sag­te Glau­kus, in­dem er einen kost­ba­ren Ju­wel vom Fin­ger zog und an den Griff hing, »gibt ihm ein noch rei­che­res Aus­se­hen und macht ihn, mein Klo­di­us, dem die Göt­ter Ge­sund­heit und das Glück ge­wäh­ren mö­gen, ihn oft bis an den Rand zu fül­len und zu lee­ren, ei­nes Ge­schenks für dich we­ni­ger un­wür­dig.«

»Du bist zu gü­tig, Glau­kus«, sag­te der Spie­ler, in­dem er den Be­cher sei­nem Skla­ven übergab, »doch dein Lob macht mir ihn dop­pelt wert.«

»Die­sen Be­cher den Gra­zi­en«, sag­te Pan­sa, und er leer­te ihn drei­mal. Die Gäs­te folg­ten sei­nem Bei­spiel.

Die Mu­sik ging jetzt in eine wil­de jo­ni­sche Ton­art über, wäh­rend von jun­gen, lieb­li­chen Stim­men in grie­chi­scher Spra­che und in grie­chi­schem Rhyth­mus ein Lied ge­sun­gen wur­de.

Die Gäs­te klatsch­ten laut Bei­fall. »Freun­de«, sag­te Klo­di­us, »die­se jo­ni­sche Me­lo­die er­in­nert mich an einen Trink­spruch. Freun­de, es lebe die schö­ne Ione!«

»Ione – der Name ist ein grie­chi­scher«, sag­te Glau­kus mit sanf­ter Stim­me, »ich trin­ke mit Ver­gnü­gen die­se Ge­sund­heit. Aber wer ist Ione?«

»Ach, du bist erst vor kur­z­em wie­der in Pom­pe­ji an­ge­kom­men, sonst ver­dien­test du für dei­ne Un­wis­sen­heit ver­bannt zu wer­den«, sag­te Le­pi­dus scher­zend. »Ione nicht zu ken­nen, heißt mit der ers­ten Schön­heit der Stadt un­be­kannt sein.«

»Es ist eine sel­te­ne Schön­heit«, be­merk­te Pan­sa, »und wel­che Stim­me sie hat!«

»Sie muss sich von Nach­ti­gal­len­zun­gen er­näh­ren«, sag­te Sal­lust.

»Wis­se denn, mein Glau­kus«, sag­te Klo­di­us, »dass Ione eine Frem­de ist, die erst seit kur­z­em nach Pom­pe­ji kam. Sie singt wie Sapp­ho, und dich­tet ihre Lie­der selbst, und ich weiß nicht, ob sie die Mu­sen mehr in der Ti­bia oder Zither oder der Lei­er über­trifft. Ihre Schön­heit ist blen­dend. Ihr Haus ist voll­kom­men ein­ge­rich­tet; so viel Ge­schmack – so viel Edel­stei­ne – so herr­li­che Ar­bei­ten in Bron­ze! Sie ist reich, und eben­so frei­ge­big als reich.«

»Wahr­schein­lich wer­den ihre Lieb­ha­ber«, sag­te Glau­kus, »da­für sor­gen, dass sie nicht ver­hun­gert; und leicht ge­won­ne­nes Geld wird eben­so leicht wie­der aus­ge­ge­ben.«

»Ihre Lieb­ha­ber! – Das ist eben das Rät­sel! Ione hat nur einen Feh­ler – sie ist keusch. Ganz Pom­pe­ji liegt zu ih­ren Fü­ßen, und sie hat kei­nen Ge­lieb­ten. Sie will so­gar nicht hei­ra­ten.«

»Kei­nen Ge­lieb­ten!« wie­der­hol­te Glau­kus.

»Nein, sie hat zwar den Gür­tel der Ve­nus, aber auch den jung­fräu­li­chen Sinn der Ves­ta.«

»Das ist ja ein Wun­der!« rief Glau­kus. »Kann man sie nicht se­hen?«

»Ich will dich die­sen Abend dort ein­füh­ren«, er­wi­der­te Klo­di­us. »Bis da­hin«, füg­te er hin­zu, »dürf­ten die Wür­fel–« »Ich bin da­bei!« sag­te der ge­fäl­li­ge Glau­kus. »Pan­sa, sieh nach ei­ner an­de­ren Sei­te!«

Le­pi­dus und Sal­lust spiel­ten ge­ra­de und un­ge­ra­de, wäh­rend Glau­kus und Klo­di­us die Wech­sel­fäl­le der Wür­fel ver­such­ten. »Beim Ju­pi­ter«, sprach Glau­kus; »schon zum zwei­ten Mal wer­fe ich den nied­rigs­ten Wurf.«

»Jetzt sei mir Ve­nus güns­tig«, sag­te Klo­di­us, in­dem er die Büch­se lan­ge schüt­tel­te. »Oh, alma Ve­nus – es ist Ve­nus selbst!« – in­dem ihm der höchs­te Wurf, nach dem Na­men je­ner Göt­tin be­nannt, ge­lang, »die al­ler­dings meist de­nen güns­tig ist, die Geld ge­win­nen«.

»Ve­nus ist un­dank­bar ge­gen mich«, sprach Glau­kus scher­zend, »ich habe im­mer auf ih­rem Al­tar ge­op­fert.«

»Wer mit dem Klo­di­us spielt«, flüs­ter­te Le­pi­dus, »muss bald, wie der Cur­cu­lio des Plau­tus, sein Pal­li­um ein­set­zen.«

»Der arme Glau­kus!« er­wi­der­te Sal­lust lei­se. »Er ist so blind als For­tu­na selbst.«

»Ich spie­le nicht mehr«, sag­te Glau­kus, »ich habe drei­ßig Ses­ter­zi­en ver­lo­ren.«

»Es tut mir leid«, be­gann Klo­di­us.

»Küm­me­re dich nicht«, sprach Glau­kus, »der Schmerz mei­nes Ver­lus­tes wird durch das Ver­gnü­gen über­wo­gen, dich ge­win­nen zu se­hen.«

Die Un­ter­hal­tung wur­de hier­auf all­ge­mei­ner und leb­haf­ter. Der Wein floss reich­li­cher, und Ione wur­de noch­mals von den Gäs­ten des Glau­kus bis in den Him­mel er­ho­ben.

»Statt mit den Ster­nen um die Wet­te zu wa­chen«, sag­te Le­pi­dus, »wol­len wir lie­ber Ione be­su­chen, bei de­ren An­blick die Ster­ne selbst er­blei­chen müs­sen.«

Klo­di­us, der ein­sah, dass, man sei­nen Gast­ge­ber an die­sem Abend wohl nicht wie­der zum Wür­fel­spiel be­we­gen wür­de, trat dem Vor­schlag bei. Auch Glau­kus konn­te nicht ver­ber­gen, ob­gleich er sei­ne Gäs­te höf­lich nö­tig­te, län­ger bei ihm zu blei­ben, dass sei­ne Neu­gier­de durch das Lob der Ione er­regt wor­den sei. So be­schlos­sen end­lich alle au­ßer Pan­sa, nach dem Hau­se der schö­nen Grie­chin zu wan­dern. Es wur­de noch auf die Ge­sund­heit des Glau­kus und des Ti­tus ge­trun­ken – sie brach­ten ihre letz­te Li­ba­ti­on dar – stie­gen die Trep­pe hin­un­ter, gin­gen durch das er­leuch­te­te Atri­um – und in­dem sie un­ge­bis­sen über den wil­den Hund schrit­ten, der an der Schwel­le auf dem Bo­den dar­ge­stellt war, be­fan­den sie sich in den noch leb­haf­ten Stra­ßen Pom­pe­jis, als der Mond eben auf­ge­gan­gen war.

Sie ka­men durch den Teil der Stadt, wo die Ju­we­lier­lä­den sich be­fan­den und in de­nen die Edel­stei­ne den Glanz der vie­len Lich­ter zu­rück­war­fen, und ge­lang­ten end­lich zu dem Hau­se der Ione. Die Hal­le war glän­zend er­leuch­tet, an je­der Sei­te des Ta­b­li­ni­ums hin­gen ge­stick­te pur­pur­ne Vor­hän­ge, die Wän­de, so­wie der Fuß­bo­den von Mo­sa­ik, glüh­ten von den leb­haf­tes­ten Far­ben der Künst­ler; und un­ter dem Säu­len­gang, der das duf­ti­ge Vi­ri­da­ri­um um­gab, fan­den sie Ione, wel­che be­reits von vie­len An­be­tern und Ver­eh­rern um­ge­ben war.

»Sag­test du nicht, sie sei eine Athe­ne­rin?« flüs­ter­te Glau­kus, be­vor er in das Pe­ri­stil trat.

»Nein, sie ist aus Nea­pel.«

»Nea­pel!« wie­der­hol­te Glau­kus, und in die­sem Au­gen­blick sah er, als jene die Ione um­ge­ben­de Grup­pe aus­ein­an­der­trat, die schö­ne Ge­stalt und die rei­zen­den Züge wie­der, wel­che vor ei­ni­gen Mo­na­ten einen so großen Ein­druck auf ihn ge­macht hat­ten.

3

Ar­ba­ces, der Ägyp­ter, war, als er Glau­kus und sei­nen Ge­fähr­ten am Mee­res­s­trand ver­las­sen hat­te, nach dem be­leb­te­ren Teil der Bucht ge­gan­gen. Dort blieb er ste­hen und blick­te mit über­ein­an­der­ge­schla­ge­nen Ar­men und fins­te­rem Blick auf das be­weg­te Trei­ben.

»To­ren, Kurz­sich­ti­ge, Nar­ren, die ihr seid!« mur­mel­te er bei sich selbst. »Mögt ihr Ge­schäf­te oder Ver­gnü­gen, Han­del oder Re­li­gi­on be­trei­ben, im­mer seid ihr Skla­ven der Lei­den­schaf­ten, die ihr be­herr­schen soll­tet! Wie könn­te ich euch ver­ach­ten, wenn ich euch nicht hass­te – ja, hass­te! Grie­chen oder Rö­mer, gleich­viel – von uns, den ge­hei­men Schät­zen der Weis­heit Ägyp­tens, habt ihr das Feu­er ent­wen­det, wel­ches euch See­len ver­leiht – euer Wis­sen – eure Dicht­kunst – eure Ge­set­ze – eure Küns­te – eure bar­ba­ri­sche Über­le­gen­heit im Krie­ge – ihr habt sie uns ge­stoh­len, wie ein Skla­ve die Über­bleib­sel ei­nes Gast­mahls! Und jetzt, ihr Räu­ber, seid ihr un­se­re Her­ren, und die Py­ra­mi­den schau­en nicht mehr her­ab auf das Ge­schlecht des Ram­ses. Aber mein Geist be­zwingt euch doch durch die Macht sei­ner Weis­heit, wenn auch die Fes­seln un­sicht­bar sind. So­lan­ge List die Ge­walt zu be­sie­gen ver­mag, so­lan­ge der Re­li­gi­on eine Höh­le bleibt, aus der Ora­kel die Men­schen täu­schen kön­nen, so lan­ge be­herr­schen Wei­se die Welt. Selbst eure Las­ter be­nutzt Ar­ba­ces für sei­ne Genüs­se – Genüs­se, die un­ein­ge­weih­ten Au­gen ver­bor­gen blei­ben – rei­che, un­er­schöpf­li­che Genüs­se, wel­che euer ent­nerv­ter Geist in dump­fer Sinn­lich­keit we­der be­grei­fen kann noch sich träu­men lässt! Mei­ne Macht geht so weit, als die Men­schen glau­ben. Ich be­herr­sche selbst Män­ner, die sich in Pur­pur klei­den. The­ben möge ge­fal­len, Ägyp­ten nur ein Name sein; in der gan­zen Welt fin­det Ar­ba­ces sei­ne Un­ter­ta­nen!«

In­dem er so sprach, schritt der Ägyp­ter lang­sam wei­ter, und als er in die Stadt trat, rag­te sei­ne schlan­ke Fi­gur über der auf dem Forum ver­sam­mel­ten Men­ge her­vor, und er wand­te sich nach dem klei­nen, doch an­mu­ti­gen, der Isis ge­weih­ten Tem­pel.

Die­ses Ge­bäu­de war erst vor kur­z­em an Stel­le ei­nes an­de­ren, durch ein Erd­be­ben vor sech­zehn Jah­ren zer­stör­ten Tem­pels er­rich­tet wor­den und er­freu­te sich bei den Pom­pe­ja­nern ei­ner großen Be­liebt­heit. Die Ora­kel der Isis wur­den in ei­ner ge­heim­nis­vol­len Spra­che er­teilt, wa­ren aber das Er­geb­nis tiefer Men­schen­kennt­nis. Sie ent­spra­chen voll­kom­men den je­des­ma­li­gen per­sön­li­chen Ver­hält­nis­sen und bil­de­ten einen ent­schie­de­nen Ge­gen­satz zu der lee­ren All­ge­mein­heit, die in den Sprü­chen an­de­rer Gott­hei­ten ob­wal­te­te.

Als Ar­ba­ces an die Schran­ken ge­lang­te, wel­che den pro­fa­nen Teil des Tem­pels von dem ge­hei­lig­ten trenn­ten, fand er eine Men­ge Men­schen aus al­len Klas­sen, be­son­ders aber vom Kauf­manns­stan­de, vor den Al­tä­ren in dem of­fe­nen Hofe in stil­ler An­dacht und Ehr­furcht ver­sam­melt. In den Wän­den der Cel­la, zu wel­cher sie­ben Stu­fen von pa­ri­schem Mar­mor führ­ten, stan­den meh­re­re Sta­tu­en in Ni­schen, und die­se Wän­de wa­ren mit dem der Isis ge­hei­lig­ten Gra­nat­ap­fel ge­ziert. Auf ei­nem Pie­de­stal1 in dem In­nern des Ge­bäu­des stan­den zwei Sta­tu­en, näm­lich die der Isis und ih­res Ge­fähr­ten, des schweig­sa­men und ge­heim­nis­vol­len Orus. Noch vie­le an­de­re Sta­tu­en bil­de­ten den Hof­staat der ägyp­ti­schen Gott­heit; der ihr ver­wand­te und viel­na­mi­ge Bac­chus und die zy­pri­sche Ve­nus, wie sie aus dem Bade stieg, eine grie­chi­sche Nach­ah­mung ih­rer selbst, und Anu­bis mit dem Hun­de­kopf, der Stier Apis und meh­re­re ägyp­ti­sche Göt­zen­bil­der von selt­sa­mer Form und un­be­kann­ter Be­nen­nung.

Na­tür­lich wur­de in den südita­lie­ni­schen Städ­ten Isis nicht mit den Ze­re­mo­ni­en und For­men ver­ehrt wie in Ägyp­ten. Die ein­ge­bo­re­nen wie die ver­misch­ten Na­tio­nen des Sü­dens ver­wech­sel­ten mit eben­so viel Über­mut als Un­wis­sen­heit den Kul­tus al­ler Zei­ten und Län­der. Auch die düs­te­ren Ge­heim­nis­se des Nils wur­den durch viel­fa­che leicht­sin­ni­ge Bei­mi­schun­gen aus den Glau­bens­be­kennt­nis­sen an dem Ce­phi­sus und der Ti­ber ver­un­stal­tet und ent­wür­digt. Den Tem­pel der Isis zu Pom­pe­ji be­dien­ten rö­mi­sche und grie­chi­sche Pries­ter, die so­wohl der Spra­che als der Ge­bräu­che ih­rer frü­he­ren Ver­eh­rer un­kun­dig wa­ren, und der Ab­kömm­ling je­ner ehr­wür­di­gen ägyp­ti­schen Kö­ni­ge muss­te, trotz des Scheins tiefer Ehr­furcht, den er be­ob­ach­te­te, oft im ge­hei­men über die klein­li­chen Spie­le­rei­en la­chen, wel­che die fei­er­li­che und erns­te Göt­ter­ver­eh­rung je­nes glü­hen­den Kli­mas dar­stel­len soll­ten.

In zwei Rei­hen stan­den auf den Stu­fen die Op­fer­pries­ter, ge­klei­det in wei­ße Ge­wän­der, und oben zwei un­ter­ge­ord­ne­te Pries­ter, von de­nen der eine einen Palm­zweig, der an­de­re ein klei­nes, mit Ge­trei­de ge­füll­tes Ge­fäß in der Hand hielt. Auf dem klei­nen Rau­me im Vor­der­grun­de dräng­ten sich die Ver­eh­rer der Isis.

»Was führt euch zu den Al­tä­ren der hei­li­gen Isis?« frag­te Ar­ba­ces lei­se einen die­ser Ver­eh­rer, der of­fen­bar ein Kauf­mann war. »Nach den wei­ßen Ge­wän­dern der Pries­ter scheint ein Op­fer ge­hal­ten wer­den zu sol­len, und nach der be­deu­ten­den Ver­samm­lung er­war­tet ihr wohl ein Ora­kel? Wel­che Fra­ge wollt ihr be­ant­wor­tet ha­ben?«

»Wir sind Kauf­leu­te«, er­wi­der­te der Ge­frag­te (der nie­mand an­ders als Dio­me­des war) mit lei­ser Stim­me, »wel­che das Schick­sal ih­rer Schif­fe, die mor­gen nach Alex­an­dri­en ab­se­geln, wis­sen möch­ten. Wir wol­len der Göt­tin ein Op­fer dar­brin­gen und ihre Ant­wort er­fle­hen. Ich ge­hö­re nicht zu de­nen, wie du an mei­ner Klei­dung siehst, die das Op­fer ver­an­stal­tet ha­ben, doch ist auch mir, beim Ju­pi­ter!, an der glück­li­chen Fahrt der Schif­fe viel ge­le­gen. Ich habe einen klei­nen Han­del, wie könn­te ich sonst in die­sen schlech­ten Zei­ten be­ste­hen?«

Der Ägyp­ter er­wi­der­te mit Wür­de: »Zwar ist Isis ei­gent­lich die Be­schüt­ze­rin des Acker­bau­es, doch nicht we­ni­ger die des Han­dels.« In­dem Ar­ba­ces hier­auf sein Haupt ge­gen Os­ten wen­de­te, schi­en er sich in eif­ri­ges Ge­bet zu ver­tie­fen.

Jetzt trat ein von Kopf bis zu Fuß weiß­ge­klei­de­ter Pries­ter auf die Mit­te der Trep­pe; zwei an­de­re Pries­ter lös­ten die, wel­che bis­her oben ge­stan­den hat­ten, ab. Sie wa­ren bis un­ter die Brust nackt und der üb­ri­ge Teil des Kör­pers in wei­ße, wei­te Ge­wän­der gehüllt. Zu­gleich trug ein am Fuße der Trep­pe sit­zen­der Pries­ter eine fei­er­li­che Me­lo­die auf ei­nem lan­gen Blas­in­stru­ment vor. Auf der hal­b­en Höhe der Trep­pe stand ein an­de­rer, der in ei­ner Hand einen Vo­tiv­kranz, in der an­de­ren einen wei­ßen Stab trug, wäh­rend vor je­dem Al­tar ge­op­fert wur­de.

Die Ge­sichts­zü­ge des Ar­ba­ces schie­nen, wäh­rend die Aru­spi­ces die Ein­ge­wei­de un­ter­such­ten, von ih­rer stren­gen Ruhe und Käl­te nach­zu­las­sen und ganz from­mer An­dacht sich hin­zu­ge­ben – sie nah­men einen freu­di­ge­ren Aus­druck an, als die Zei­chen für güns­tig er­klärt wur­den und das Feu­er hell und leuch­tend den ge­hei­lig­ten Teil des Op­fers un­ter Wohl­ge­rü­chen von Myr­ten und Weih­rauch ver­zehr­te. Gra­bes­s­til­le herrsch­te in der Ver­samm­lung, und als die Pries­ter sich um die Cel­la ver­sam­mel­ten, trat ein an­de­rer Pries­ter, ganz nackt bis auf einen Gür­tel um den Leib, vor und er­fleh­te, mit wil­den Ge­bär­den um­her­sprin­gend, eine Ant­wort von der Göt­tin. Zu­letzt hör­te er er­schöpft auf und man ver­nahm im In­nern der Sta­tue ein lei­ses Geräusch. Drei­mal nick­te sie mit dem Kop­fe, die Lip­pen öff­ne­ten sich, und eine hoh­le Stim­me sprach in ge­heim­nis­vol­lem Ton die Wor­te:

Wie wil­de Ros­se schäu­men die Wo­gen, Schon man­cher ward in den Ab­grund ge­zo­gen, Es dräu­et das Schick­sal mit fins­te­rem Blick, Doch eue­ren Schif­fen wird gnä­dig Ge­schick.

Die Stim­me schwieg – die ver­sam­mel­te Men­ge at­me­te frei­er – die Kauf­leu­te wa­ren be­ru­higt. – »Nichts kann deut­li­cher sein«, flüs­ter­te Dio­med; »die See wird stür­misch sein, wie es oft beim An­fan­ge des Herbs­tes der Fall ist, doch un­se­ren Schif­fen wird kein Un­glück wi­der­fah­ren. O gna­den­rei­che Isis!«

»Ge­lobt sei ewig die Göt­tin!« sag­ten die Kauf­leu­te. »Was kann un­ver­fäng­li­cher sein als die­se Pro­phe­zei­ung?«

Der Ober­pries­ter er­hob eine Hand zum Zei­chen, dass das Volk schwei­gen sol­le, denn der Kul­tus der Isis ge­bot eine den leb­haf­ten Pom­pe­ja­nern fast un­mög­li­che Ent­halt­sam­keit in dem Ge­brau­che der Spra­ch­or­ga­ne, und nach ei­nem klei­nen Schluss­ge­be­te war die Ze­re­mo­nie be­en­det, und die Ver­samm­lung wur­de ent­las­sen. Der Ägyp­ter blieb je­doch, und als der Tem­pel schon ziem­lich leer war, nä­her­te sich ihm ei­ner der Pries­ter und grüß­te ihn mit großer Ver­trau­lich­keit.

Das Äu­ße­re die­ses Pries­ters war we­nig ein­neh­mend, sein kah­ler Schä­del war über der Stirn so platt und schmal, dass er fast dem ei­nes afri­ka­ni­schen Wil­den glich. Um die Stirn bil­de­te die Haut ein Ge­we­be tiefer und ver­wi­ckel­ter Run­zeln, die dunklen und klei­nen Au­gen roll­ten in gelb­schmut­zi­gen Höh­len, die kur­ze, doch di­cke Nase war ab­ge­stumpft wie die ei­nes Sa­tyrs, und die auf­ge­wor­fe­nen, blas­sen Lip­pen, die her­vor­ste­hen­den Ba­cken­kno­chen, die gelb­li­che Far­be der le­der­ar­ti­gen Ge­sichts­haut tru­gen noch mehr dazu bei, den An­blick die­ses Kop­fes ab­schre­ckend und Miss­trau­en er­we­ckend zu ma­chen.

»Ka­le­nus«, sag­te der Ägyp­ter zu die­sem Pries­ter, »du hast, in­dem du mei­nen An­wei­sun­gen folg­test, die Stim­me der Sta­tue sehr ver­bes­sert, und dei­ne Ver­se sind vor­treff­lich. Pro­phe­zeie nur im­mer güns­ti­ge Er­fol­ge, au­ßer, wenn de­ren Er­fül­lung durch­aus un­mög­lich er­scheint.«

»Wenn auch«, sag­te Ka­le­nus, »der Sturm ein­trifft und die ver­damm­ten Schif­fe un­ter­ge­hen, ha­ben wir es dann nicht vor­her­ge­sagt? Ist es nicht ein gnä­di­ges Ge­schick, wenn sie zur Ruhe kom­men? – Ruhe er­fleht der Schif­fer in der Ägäi­schen See, we­nigs­tens sagt Horaz so – kann der Schif­fer auf der See mehr in Ruhe sein, als wenn er auf de­ren Grun­de liegt?«

»Rich­tig, mein Ka­le­nus, ich wünsch­te nur, dass Apä­ci­des an dei­ner Weis­heit sich ein Bei­spiel näh­me. Doch ich wün­sche mit dir über ihn und ei­ni­ge an­de­re Ge­gen­stän­de mich zu un­ter­hal­ten. Kannst du mich in ei­nes eu­rer Sprech­zim­mer füh­ren?« »Ge­wiss«, er­wi­der­te der Pries­ter, in­dem er den Ar­ba­ces in eine der klei­ne­ren Kam­mern an dem of­fe­nen Tore führ­te. Hier setz­ten sie sich an einen mit Früch­ten, Ei­ern, kal­ten Spei­sen und Ge­fäßen voll herr­li­chen Weins be­setz­ten Tisch. Ein Vor­hang vor dem nach dem Hofe ge­hen­den Ein­gang er­in­ner­te sie dar­an, lei­se zu spre­chen oder sich kei­ne Ge­heim­nis­se mit­zu­tei­len; sie wähl­ten das ers­te­re.

»Du weißt«, sag­te der Ägyp­ter in ei­nem Tone, der kaum hör­bar wur­de, »dass es im­mer mein Grund­satz war, die Ju­gend an mich zu zie­hen. Ihr be­weg­li­ches und noch bild­sa­mes Ge­müt macht es mir mög­lich, mir in ihr die ge­eig­nets­ten Ge­hil­fen zu er­zie­hen. Ich for­me und lei­te sie nach mei­nem Wil­len. Die Män­ner ma­che ich zu mei­nen An­hän­gern oder Die­nern; die Mäd­chen –«

»Zu Ge­lieb­ten«, fiel Ka­le­nus ein, und ein grin­sen­des Lä­cheln ent­stell­te noch mehr sei­ne häss­li­chen Züge.

»Ja, ich leug­ne es nicht, das weib­li­che Ge­schlecht ist der Haupt­ge­gen­stand mei­ner Nei­gun­gen und Lei­den­schaf­ten. Wie ihr das Op­fer­tier erst er­nährt, so lie­be ich es, den Ge­nuss mir durch ei­ge­ne Aus­bil­dung vor­zu­be­rei­ten. Ich fin­de den wah­ren Reiz der Lie­be in dem sanf­ten und un­be­wuss­ten Fort­schritt von der Un­schuld zur Sehn­sucht nach dem Ge­nus­se. Auf die­se Wei­se darf ich auch die Über­sät­ti­gung nicht fürch­ten, und ich er­hal­te mir die Ju­gend­fri­sche mei­ner ei­ge­nen Ge­füh­le, in­dem ich sie an an­de­ren be­ob­ach­te. Doch ge­nug da­von. So wis­se denn, dass ich vor ei­ni­ger Zeit in Nea­pel die Jone und den Apä­ci­des an­traf, die Toch­ter und den Sohn ei­ner Athe­ner Fa­mi­lie, wel­che sich zu Nea­pel nie­der­ge­las­sen hat­ten. Der Tod ih­rer El­tern, wel­che mich kann­ten und hoch­schätz­ten, be­rief mich zu ih­rem Be­schüt­zer. Der Jüng­ling, ge­leh­rig und sanft, füg­te sich wil­lig der Rich­tung, die ich ihm zu ge­ben mich be­streb­te. Nach den Wei­bern lie­be ich am meis­ten die Erin­ne­run­gen aus dem Lan­de mei­ner Vor­fah­ren, gern be­för­de­re und ver­brei­te ich in ent­fern­ten Län­dern ih­ren ge­heim­nis­vol­len Kul­tus. In­dem ich so den Göt­tern die­ne, ge­fällt es mir viel­leicht, die Men­schen zu täu­schen. Den Apä­ci­des habe ich in dem hei­li­gen Got­tes­dienst der Isis un­ter­rich­tet. Ich er­klär­te ihm ei­ni­ge der er­ha­be­nen Ge­heim­nis­se, die da­mit ver­knüpft sind und ent­zün­de­te in sei­nem für re­li­gi­öse Er­he­bung be­son­ders emp­fäng­li­chen Ge­mü­te jene Be­geis­te­rung, die der Glau­be in der Ein­bil­dungs­kraft auf­regt. Ich habe ihn zu euch ge­sellt; er ist ei­ner der eu­ri­gen!«

»Er ist es«, sag­te Ka­le­nus, »aber die­se Auf­klä­run­gen ha­ben nicht güns­tig auf ihn ge­wirkt. Un­se­re Täu­schun­gen der großen Men­ge, un­se­re re­den­den Sta­tu­en und ge­hei­men Trep­pen sind ihm wi­der­wär­tig. Er be­reut, dass er bei uns ein­ge­tre­ten ist, er schleicht um­her, spricht mit sich selbst und wei­gert sich, fer­ner teil an un­se­ren Ze­re­mo­ni­en zu neh­men. Man weiß, dass er häu­fig die Ver­samm­lung von Män­nern be­sucht, die im Ver­dacht ste­hen, je­ner neu­en atheis­ti­schen Sek­te an­zu­ge­hö­ren, wel­che alle un­se­re Göt­ter ver­leug­net und un­se­re Ora­kel für die Ein­ge­bun­gen je­nes bö­sen Geis­tes hält, des­sen die mor­gen­län­di­schen Sa­gen er­wäh­nen.«

»Die­ses muss­te ich«, sag­te Ar­ba­ces nach­den­kend, »schon nach den Vor­wür­fen be­sor­gen, die er mir mach­te, als ich ihn das letz­te Mal sah. Schon seit län­ge­rer Zeit flieht er mich – ich will ihn auf­su­chen. Ich muss mei­nen Un­ter­richt fort­set­zen, ich will ihn in das in­ne­re Hei­lig­tum der Weis­heit ein­füh­ren. Ich muss ihn leh­ren, dass es zwei Stu­fen der Hei­lig­keit gibt – die ers­te: der Glau­be – die zwei­te: die Ent­täu­schung; ers­te­re für die Men­ge, letz­te­re für die Au­ser­wähl­ten.«

»Ich habe die ers­te Stu­fe über­schla­gen«, sag­te Ka­le­nus, »und ich glau­be auch du, mein Ar­ba­ces.«

»Du irrst«, er­wi­der­te der Ägyp­ter ernst­haft, »ich glau­be noch jetzt – wenn auch nicht das, was ich leh­re, doch das, was ich nicht leh­re –. Die Na­tur hat eine Hei­lig­keit, der ich mei­ne Aner­ken­nung we­der ver­wei­gern kann noch will. Ich glau­be an mein ei­ge­nes Wis­sen, und das hat mir ent­deckt – doch ge­nug da­von. Keh­ren wir zu un­se­ren ir­di­schen An­ge­le­gen­hei­ten zu­rück. Wenn ich mei­nen Plan mit Apä­ci­des aus­führ­te, was wa­ren dann mei­ne Ab­sich­ten mit Jone? Du weißt be­reits, dass ich sie zu mei­ner Kö­ni­gin – mei­ner Braut – der Isis mei­nes Her­zens be­stimm­te. Erst als ich sie ge­se­hen, emp­fand ich ganz die Lie­be, de­ren mei­ne Na­tur fä­hig ist.«

»Ich höre von al­len Sei­ten, dass sie eine zwei­te He­le­na ist«, sag­te Ka­le­nus, und er schmatz­te da­bei mit den Lip­pen, doch war es schwer zu un­ter­schei­den, ob die­ses Schmat­zen auf die Rech­nung des Weins oder sei­ner Be­mer­kung zu set­zen war.

»Ja, ihre Schön­heit wur­de selbst in Grie­chen­land nie über­trof­fen«, sag­te Ar­ba­ces. »Aber das ist noch nicht al­les; auch ihr Geist ist des mei­ni­gen wür­dig. Sie hat einen für ein Weib un­ge­wöhn­li­chen Ge­ni­us, sie ist kühn und be­geis­te­rungs­fä­hig für Kunst und Poe­sie. Man braucht nur eine Wahr­heit aus­zu­spre­chen, sie er­fasst sie so­fort mit ih­rem un­ge­wöhn­li­chen Ver­stand. Jone muss die Mei­ni­ge wer­den! Zu ihr zieht mich dop­pel­te Lei­den­schaft; ich wün­sche ihre geis­ti­ge wie ihre kör­per­li­che Schön­heit zu ge­nie­ßen.«

»Also ist sie noch nicht die Dei­ni­ge?« frag­te der Pries­ter.

»Nein, sie liebt mich – doch nur wie einen Freund; sie liebt mich bloß mit ih­rem Geis­te. Sie setzt in mir die ge­ring­fü­gi­gen Tu­gen­den vor­aus, wel­che ich nur zu ver­ach­ten die hö­he­re Tu­gend habe. Doch ich muss dir noch mehr über sie mit­tei­len. Der Bru­der und die Schwes­ter wa­ren jung und reich. Jone ist stolz und ehr­gei­zig – stolz auf ihre geis­ti­gen Fä­hig­kei­ten – auf ihr poe­ti­sches Ta­lent, auf die Rei­ze ih­rer Un­ter­hal­tung. Als ihr Bru­der mich ver­ließ und in eu­ren Tem­pel trat, ging sie eben­falls nach Pom­pe­ji, um in sei­ner Nähe zu blei­ben. Ihre Ta­len­te sind hier be­reits be­kannt. Sie gibt glän­zen­de Fes­te; ihre Schön­heit, ihre Stim­me, ihre Poe­sie ha­ben eine Schar von Ver­eh­rern um sie ge­sam­melt. Es schmei­chelt ih­rem Ehr­geiz, wenn sie die Nach­fol­ge­rin der Erin­na ge­nannt wird.«

»Oder der Sapp­ho?«

»Aber eine Sapp­ho ohne Lie­be! Ich er­mu­ti­ge sie, in die­ser küh­nen Lauf­bahn zu ver­har­ren, dem Ver­gnü­gen und der Ei­tel­keit zu hul­di­gen; ich lieb­te es, sie durch die Zer­streu­un­gen und den Lu­xus Pom­pe­jis fort­ge­ris­sen zu se­hen. Ich wünsch­te, sie von eit­len, lee­ren Ge­cken, von An­be­tern um­ge­ben zu se­hen, die sie ver­ach­ten muss­te, da­mit sie de­sto mehr den Man­gel wah­rer Lie­be füh­len möge. Dann, in je­nem Zu­stan­de der Er­schöp­fung, wel­cher der Auf­re­gung fol­gen muss­te, konn­te ich mei­ne Net­ze stel­len – ihre Teil­nah­me er­re­gen – ihre Lei­den­schaf­ten we­cken und lei­ten – um mich ih­res Her­zens zu be­mäch­ti­gen.«

»Bist du aber nicht be­sorgt we­gen dei­ner Ne­ben­buh­ler? Die Ver­eh­rer des weib­li­chen Ge­schlechts in Ita­li­en sind ge­wandt in der Kunst, zu ge­fal­len.«

»Das fürch­te ich nicht! – Ihr grie­chi­sches Ge­müt ver­ach­tet die bar­ba­ri­schen Rö­mer, und wür­de sich selbst ver­ach­ten, wenn es Lie­be für einen Ab­kömm­ling die­ses Ge­schlechts fühl­te.«

»Aber du bist ein Ägyp­ter und kein Grie­che!«

»Ägyp­ten«, er­wi­der­te Ar­ba­ces, »ist die Mut­ter Athens. Die Schutz­göt­tin die­ser Stadt, Mi­ner­va, ist un­se­re Gott­heit, und der Be­grün­der Athens, Ke­krops, war ein Flücht­ling aus un­se­rem ägyp­ti­schen Sais. Ich habe ihr das al­les schon er­zählt, und in mei­nem Blu­te ver­ehrt sie die äl­tes­te Dy­nas­tie der Erde. Doch ich muss ge­ste­hen, dass seit kur­z­em ei­ni­ges Miss­trau­en in mir er­wacht ist. Sie ist schweig­sa­mer, als sie zu sein pfleg­te, sie liebt me­lan­cho­li­sche und trau­ri­ge Mu­sik, sie seufzt ohne einen äu­ße­ren Grund. Die­ses kann den Man­gel der Lie­be – aber auch de­ren Ent­ste­hung an­deu­ten. In bei­den Fäl­len ist es Zeit, mei­ne Plä­ne auf ih­ren Geist und ihr Herz aus­zu­füh­ren; in dem einen Fall, um die Quel­le der Lie­be ge­gen mich zu lei­ten, in dem an­de­ren, um sie für mich zu er­we­cken. Aus die­sem Grun­de habe ich dich auf­ge­sucht.«

»Und wie kann ich dir be­hilf­lich sein?«

»Ich be­ab­sich­ti­ge, sie zu ei­nem Fest in mei­nem Hau­se ein­zu­la­den; ich wün­sche, ihre Sin­ne zu ver­blen­den, auf­zu­re­gen und zu ent­flam­men. Un­se­re Küns­te – jene Küns­te, durch wel­che in Ägyp­ten die No­vi­zen ge­bil­det wur­den, müs­sen an­ge­wen­det wer­den; und ich will ihr un­ter dem Schlei­er der Mys­te­ri­en der Re­li­gi­on die Ge­heim­nis­se der Lie­be mit­tei­len.«

»Ah, jetzt ver­ste­he ich – ei­nes je­ner üp­pi­gen Fes­te, an wel­chen wir – trotz un­se­rer Ge­lüb­de der Ent­halt­sam­keit, wir, die Pries­ter der Isis, in dei­nem Hau­se teil­ge­nom­men ha­ben.«

»Nein, nein! Glaubst du, dass ihre keu­schen Au­gen für sol­che Sze­nen schon ge­eig­net sind? – Nein – zu­erst müs­sen wir den Bru­der wie­der in un­se­re Net­ze zie­hen – die­ses ist eine leich­te­re Auf­ga­be. Ich will dir jetzt mei­nen Plan mit­tei­len.«

4

Leuch­tend schi­en die Son­ne in das üp­pi­ge Zim­mer im Hau­se des Glau­kus, und durch die Fens­ter dran­gen die wohl­rie­chen­den Düf­te aus dem Gar­ten her­ein. Die Bil­der an den Wän­den leuch­te­ten in den leb­haf­tes­ten Far­ben. Au­ßer dem Haupt­ge­mäl­de, die Leda und den Tyn­da­rus dar­stel­lend, wur­de das Auge noch durch ei­ni­ge an­de­re Ge­mäl­de von aus­ge­zeich­ne­ter Schön­heit ent­zückt. In dem einen sah man Ku­pi­do, wie er sich an die Ve­nus schmieg­te, in ei­nem an­de­ren Ari­ad­ne, am Ufer schla­fend, noch un­be­kannt mit der Treu­lo­sig­keit des The­seus. Die Son­nen­strah­len spiel­ten lus­tig auf dem mit Mo­sa­ik aus­ge­leg­ten Fuß­bo­den und an den glän­zen­den Wän­den – und zu­gleich durch­dran­gen die Strah­len der Freu­de das Herz des jun­gen Glau­kus.