3,49 €
Gibt es verschiedene Arten von Liebe? Clara lebt auf dem Weingut ihrer Pateneltern. Seit klein auf hat man ihr prophezeit, dass sie den Winzersohn Stephan heiraten und mit ihm glücklich sein wird. Doch das Auftauchen des attraktiven Franzosen Sebastian stellt ihre Gefühlswelt auf den Kopf. Ist ihre Liebe zu Stephan die wahre? Oder kann ihr Sebastian eine andere, bessere Zukunft bieten? Clara stellt ihre bisherige Welt infrage und muss sich entscheiden, welchen Weg sie gehen möchte.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2023
Die Liebe entscheidet-Clara
Über das Buch
Widmung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18 - Clara
Kapitel 19 - Stephan
Kapitel 20 - Clara
Kapitel 21 – Stephan
Kapitel 22 – Clara
Kapitel 23 – Stephan
Kapitel 24 – Clara
Kapitel 25 – Stephan
Kapitel 26 – Clara
Kapitel 27 – Stephan
Kapitel 28 – Clara
Kapitel 29 – Stephan
Kapitel 30 – Clara
Kapitel 31 – Stephan
Kapitel 32 – Clara
Kapitel 33 – Stephan
Kapitel 34 – Clara
Kapitel 35 – Stephan
Kapitel 36 – Clara
Kapitel 37 – Stephan
Kapitel 38 – Clara
Kapitel 39 – Stephan
Kapitel 40 – Clara
Kapitel 41 – Stephan
Kapitel 42 – Clara
Kapitel 43 – Stephan
Kapitel 44 – Clara
Kapitel 45 – Stephan
Kapitel 46 – Clara
Kapitel 47 – Stephan
Kapitel 48 – Clara
Kapitel 49 – Stephan
Kapitel 50 – Clara
Kapitel 51 – Stephan
Kapitel 52 – Clara
Kapitel 53 – Clara
Kapitel 54 – Stephan
Kapitel 55 – Clara
Danke
Über die Autorin
Impressum
SISSI STEUERWALD
Die Liebe entscheidet
Clara
Gibt es verschiedene Arten von Liebe?
Clara lebt auf dem Weingut ihrer Pateneltern. Seit klein auf hat man ihr prophezeit, dass sie den Winzersohn Stephan heiraten und mit ihm glücklich sein wird. Doch das Auftauchen des attraktiven Franzosen Sebastian stellt ihre Gefühlswelt auf den Kopf. Ist ihre Liebe zu Stephan die wahre? Oder kann ihr Sebastian eine andere, bessere Zukunft bieten?
Clara stellt ihre bisherige Welt infrage und muss sich entscheiden, welchen Weg sie gehen möchte.
Hör auf dein Herz und folge dem Weg,
der mit Freundschaft und Liebe gepflastert ist,
denn dieser führt dich zu deinem persönlichen Happyend.
Die Liebe entscheidet
Clara
von
Sissi Steuerwald
Mein Blick wanderte zum Kalender an der Wand. Es war nichts Besonderes von Stephan eingetragen. Es war unser Jahrestag, den wir mit einem Essen zu Hause feierten. Denn diese Momente waren kostbar. Wenn ich aus dem Fenster sah, war kein Unwetter zu erkennen, das rechtfertigte, dass ich seit eineinhalb Stunden alleine am Esstisch saß.
»Ach Stephan«, seufzte ich und setzte mich an den Tisch. Ich war nicht besorgt – noch nicht. Im Laufe der Jahre kam eher ein Gefühl der Resignation. Wir wohnten und arbeiteten auf dem Weingut seiner Eltern, so dass es selten ein Wochenende oder einen Abend ohne Störungen gab. Zudem waren Winzerfamilien ein eigener Kosmos. Es gab vierundzwanzig Stunden etwas zu tun. Alle packten mit an. Jeder hatte seinen Platz. Deshalb hatte Stephan schon früh gelernt, dass er der zukünftige Juniorchef sein würde. Das bedeutete Entscheidungen treffen, Angestellten Anweisungen zu geben, aber auch dem Weingut oberste Priorität einzuräumen. Das alles hatte ich gewusst, als ich nach dem Tod meiner Eltern vorübergehend hierher – und später mit Stephan zusammengezogen war. Trotzdem versetzte es mir immer wieder einen Stich, wenn er sich ohne Entschuldigung verspätete. Heutzutage stellte es doch kein Problem mehr dar, via Handy eine kurze Info zu schicken.
Stephan hatte sich Gulasch und Beilagen gewünscht. Es war im Büro viel los gewesen, so dass es nur fertige Knödel gab und ich für die Fleischzubereitung ein Fix verwendet hatte. Das Rotkraut stammte aus Gläsern. So, wie das Essen zwar gut schmecken würde, war es qualitativ Meilen von selbstgekochtem Gulasch aus einem Spitzenrestaurant entfernt. Es passte zu unserer Beziehung. Sie fühlte sich gut an, wenn wir unsere seltenen vertrauten Momente hatten. Wir waren aber auch Meilen von den Liebesgeschichten und Gefühlen entfernt, von denen ich las oder in den Serien sah. Natürlich durfte ich das reale Leben nicht mit der Fantasie der Autoren verwechseln, aber etwas in mir sehnte sich nach mehr.
Die Tür ging auf.
»Bin da!«
Ich hörte, wie er seine Jacke auf den Stuhl im Eingang warf. Langsam drehte ich mich zur Tür.
»Hi«, sagte ich kurz angebunden. Ob er an unseren Jahrestag durch die Kerzen auf dem Tisch erinnert werden würde? Er kam in die Küche, sah von mir zum Tisch und setzte sein schräges Grinsen auf. Ich kannte es zur Genüge. Schon als wir Kinder waren, hatte er diesen Gesichtsausdruck verwendet, wenn etwas schiefgelaufen war. Ein Augenaufschlag, der eher typisch für Mädchen war, und ein schuldbewusster Blick seiner blauen Augen und seine Mutter verzieh ihm sofort.
»Wartest du schon lange?«
Ich zuckte mit den Achseln. Kam noch mehr? Sollte ich sauer sein? Enttäuscht war ich auf jeden Fall. Er könnte doch zumindest um Verzeihung bitten.
»Die Jungs haben mich noch auf eine Doppelkopfrunde eingeladen.«
Aha, eine Erklärung, die implizierte, dass ich auf keine Entschuldigung zu warten brauchte.
»Ich gehe mir schnell die Hände waschen, dann können wir essen«, erklärte er in einem Ton, der nicht darauf schließen ließ, dass er im Kopf hatte, warum ich hier bei runtergebrannten Kerzen saß. Er verschwand.
Ob seine Mutter uns in weiser Voraussicht zum Einzug eine Mikrowelle geschenkt hatte? Sie war schon lange Frau eines Winzers. Normalerweise klappte es, dass zumindest zur Mittagszeit gemeinsam gegessen wurde, aber auch nicht immer. Je nach Witterung und Jahreszeit konnte es zudem sehr spät werden. Dann waren alle froh, noch etwas Warmes nach Feierabend in den Bauch zu bekommen. Schnell stellte ich eine Portion auf den Teller, um sie zu wärmen.
»Mhm, Gulasch«, holte mich Stephan aus den Gedanken. Die Mikrowelle signalisierte mir durch ein Ping, dass die eingestellte Zeit abgelaufen war. Ich servierte ihm seinen Teller in einer übertriebenen Langsamkeit. Die erhoffte Reaktion blieb aus. Also schob ich meinen in das Küchengerät.
»Du hattest es dir doch gewünscht«, sagte ich angelehnt an die Arbeitsplatte. Er schenkte uns vom Spätburgunder ein, den ich im Dekanter bereitgestellt hatte. Durch den schlanken Flaschenhals war der Wein beim Einfüllen mit Sauerstoff angereichert worden, aber das Bouquet konnte nicht entweichen. Eines, der vielen Dinge, die mir meine Schwiegermutter in spe in den letzten Jahren beigebracht hatte. Stephan schwenkte seinen Rotwein im Glas, um mit genießerischem Ausdruck den ersten Schluck zu nehmen.
»Ist schon wieder ein Jahr rum?«, fragte er dann, bevor er sein Besteck nahm. Ohne auf mich zu warten, spießte er ein Stück Fleisch auf und aß es. Das kannte ich von ihm. Heute ärgerte es mich.
»Die Zeit fliegt«, kommentierte ich mit zusammengebissenen Zähnen. Er kaute ungerührt weiter. Endlich war auch meine Mahlzeit warm. Ich holte den Teller aus der Mikrowelle und setzte mich an den Tisch.
»Clara, ich finde es wirklich schön, dass du immer daran denkst. Aber ist es nicht allmählich gut?«
Mein Bissen blieb mir fast im Hals stecken, als er diese Frage stellte.
»Wie meinst du das mit gut sein?«, fragte ich deutlich gereizt nach. Bevor mir Stephan antwortete, steckte er sich noch ein Gulaschstück in den Mund, kaute in aller Seelenruhe und ließ mich warten.
»Zum einen zelebrierst du immer den Tag, an dem wir hier eingezogen sind, weil wir gar keinen richtigen Jahrestag haben. Das fühlt sich schon mal seltsam an. Irgendwie waren wir immer ein Paar, oder? Wir nutzen jeden Tag zum Reden, leben zusammen, lieben uns. Da muss man nicht einen Extratag feiern.«
Ich nahm einen großen Schluck Wein. Er meinte das vollkommen ernst. Dabei wusste er, wie wichtig es mir war, einen Jahrestag zu haben, eben weil es keinen Stichtag gab, wie bei anderen Pärchen, an dem wir zusammengekommen waren. Aus der aufsteigenden Wut entwickelte sich eine Traurigkeit, die mir Tränen in die Augen trieb und den Appetit raubte.
»Wäre es dir lieber, ich würde den Todestag meiner Eltern feiern, weil für deine da klar war, dass ich hierher ziehe und wir irgendwann heiraten werden?«, blaffte ich mit geballten Händen unter dem Tisch.
»Clara, du wirst laut. Bleib doch bitte sachlich.«
»Sachlich? Genau deshalb ist mir ein schöner Tag im Jahr so wichtig. Einmal im Jahr möchte ich mit dir feiern, dass wir uns lieben. Ich möchte sehen, dass meine Gefühle wichtig sind.«
Stephan aß gemächlich weiter. Ich hingegen legte Messer und Gabel langsam weg. Mir war der letzte Rest Appetit vergangen.
»Dazu braucht man keinen Jahrestag. Das zeigt man sich im Alltag. Sind wir nicht ein gutes Team?« Er wischte sich mit der Serviette über den Mund, bevor er Wein trank. Ich atmete tief ein und aus. Ich war auch im Büro ein gutes Team mit seiner Mutter.
»Möchtest du nicht mehr als das sein?«, fragte ich ihn bei diesem Gedanken.
Er sah mich überrascht an.
»Himmel, was willst du? Endlich heiraten? Bitte, wenn das dein Herzenswunsch ist. Lass uns morgen mit meinen Eltern reden, um einen Termin zu finden.« Stephan nahm einen großen Schluck Spätburgunder. Allmählich verlor er seine Gelassenheit. Eine Stirnfalte bildete sich und seine Lippen zuckten verräterisch. »Weißt du, wie viel Partnerschaften es gibt, die sich ständig streiten und dann trennen, weil sie sich auseinandergelebt haben, weil von Beginn an zwar Gefühle, aber keine richtigen Gemeinsamkeiten da waren? Das ist doch bei uns anders. Und genau das finde ich gut so.«
Gemeinsamkeiten. Aha. Das war seine Basis?
»Wie sieht es mit Liebe aus?«, wollte ich wissen und verschränkte die Arme.
»Was meinst du?« Seine Stirnfalte wurde deutlicher.
»Wie wichtig ist dir Liebe?«, formulierte ich mein Anliegen konkreter.
Stephan seufzte laut, bevor er antwortete: »Ich liebe dich. Wir gehören zusammen. Das wussten alle von Anfang an, auch wir. Deshalb müssen wir auch nicht wie die anderen von einer Party zur nächsten rennen. Oder noch schlimmer: Internetdates! Wir sind eben schon gefestigt. Keine Verliebtheit, sondern ...«
Die Pause irritierte mich. Nach welchem Wort suchte er gerade? Liebe, wollte ich ihm an den Kopf werfen, doch mir war es wichtig, dass er das Ende seiner Erklärung mit dem füllte, was er dachte.
»Loyalität.« Zufrieden mit seiner Ausführung, nickte er mir lächelnd zu. »Nun sei nicht mehr böse auf mich, weil ich mit den Jungs noch gespielt habe. Lass uns morgen mit meinen Eltern reden und dann gibt es in Zukunft einen Hochzeitstag zu feiern. Wenn dich das glücklich macht, dann bin ich dabei.«
Ich betrachtete ihn schweigend, wartete auf ein verschmitztes Grinsen, das anzeigte, dass er einen Witz machte. Nichts kam. Kein Zwinkern, kein Schmunzeln, kein Lachen, keine Auflösung. Ich war fassungslos.
»Irgendwann hätte ich schon gerne einen richtigen Antrag«, war das Einzige, was mir darauf einfiel. Dabei war dies nur ein Bruchteil dessen, was mich gerade an seiner Einstellung belastete. Er sah auf. Kurz überlegte er.
»Okay. Irgendwann. Gib mir einfach ein Zeichen.« Zumindest schenkte er mir hierzu ein Zwinkern. »Und nun lass uns essen, bevor es wieder kalt wird. Es schmeckt im Übrigen wirklich gut.«
Nur, um neuen Diskussionen aus dem Weg zu gehen, aß ich langsam weiter. Mein Essen war nur noch lauwarm. Außerdem waren die Knödel dank der Mikrowelle gummiartig. Doch ich aß still. Nichts, was ich hätte sagen können, würde jetzt etwas ändern. Die Miene und Haltung meines Freundes strahlten deutlich aus, dass das Thema für ihn erledigt war.
Neben mir schnarchte Stephan leise. Er gehörte zu den glücklichen Menschen, die sich hinlegten, die Augen schlossen und sofort einschliefen. Ich hingegen konnte stundenlang wach liegen, wenn mich ein Thema beschäftigte.
Es war nicht das erste Mal, dass ich wartete, bis sein Atem tief und gleichmäßig wurde und schließlich das leise Schnarchen dazu kam. Mein Zeichen, dass er nicht so schnell aufwachen würde. Ich schlüpfte aus dem Bett, zog meinen kuscheligen Morgenmantel an und verließ unsere Wohnung. Es war gut, dass diese in einem anderen Gebäude war und nicht im Wohnhaus von Stephans Eltern. So konnte ich nachts unbemerkt um das Haus in den kleinen Weinberg dahinter gehen. Dieser war mehr für Gäste und Kunden angelegt, weniger zum Ernten der Trauben. In der Mitte stand eine große, mit Wein bewachsene Laube, in der Platz für rund ein Dutzend Menschen war. Hier fanden Verkostungen und Ähnliches statt. Anstelle gerader Reihen waren hier die Weinreben kreisförmig um diesen Platz angelegt, unterbrochen von einem Mittelgang, der zur Laube führte. Aus einer Bank darin holte ich eine Decke. Obwohl der Tag sehr warm, fast schon heiß gewesen war, fröstelte mich die kühle Nachtluft.
Der private Weinberg war von einer Bruchsteinmauer umgeben, in der es am hinteren Teil einen Durchgang gab. Diesen steuerte ich an, denn auf der anderen Seite stand eine Bank, von der man aus über das Tal blicken konnte. Diese war mein Ziel.
Ich liebte es, mich auf die Decke zu legen und in den Nachthimmel zu schauen. Die Grillen zirpten, irgendwo raschelte es – Rehe oder vielleicht ein Hase, der durch die Reihen sprang.
»Loyalität«, wiederholte ich leise, was Stephan beim Essen gesagt hatte. Er spürte keine Verliebtheit, sondern uns gegenüber Loyalität. Das war zumindest ehrlich. Dies war eine Charaktereigenschaft, die ich sehr an ihm schätzte. Egal, um welches Thema es ging – ich konnte mir sicher sein, dass er mich nicht belügen würde. Die Wahrheit tat manchmal weh, räumte aber oft Missverständnisse im Vorfeld aus. Bei ihm wusste ich, woran ich war. Gerade das gab mir im Alltag Sicherheit. Auf ihn und seine Familie konnte ich mich verlassen. Das war nie anders gewesen. Doch ich wünschte mir mehr Romantik, mehr Liebe und etwas Besonderes, das ich nicht in Worte fassen konnte.
»Ach Mama«, sagte ich mit Blick zu den Sternen im wolkenlosen Himmel, »du fehlst mir.« So nah ich meiner Ziehmutter stand, mit ihr konnte ich nicht über Beziehungsprobleme mit ihrem Sohn sprechen. »War das bei dir und Papa auch so?«
Mein Vater, ebenfalls Winzer, war ein sehr enger Freund von Klaus, Stephans Vater, gewesen. Deshalb verbrachten wir schon immer viel Zeit miteinander. Stephan war nur ein halbes Jahr älter als ich. Von Geburt an fanden es unsere Eltern als Vorsehung, dass ausgerechnet wir unterschiedlichen Geschlechts waren. Die Idee, dass wir heiraten und unsere Weinberge zusammenlegen würden, war allzeit gegenwärtig. Deshalb wurden Stephans Eltern auch meine Paten und meine Eltern seine. Das Zusammenbewirtschaften kam schneller als gedacht. Ich war acht, fast neun, als meine Eltern auf einer Weinmesse waren. Auf dem Rückweg wurden sie in einen schweren Autobahnunfall verwickelt. Sie kamen nie mehr nach Hause. Laut Testament wurde Klaus mein Vormund. Ich wohnte seitdem auf diesem Weingut, machte hier eine Ausbildung zur Bürokauffrau und war ein fester Teil der Familie. Als ich volljährig wurde, entschieden wir gemeinsam, mein Elternhaus und zwei Weinberge zu verkaufen. Die restlichen pachtete Klaus. Stephan war immer an meiner Seite. Es gab keinen Zeitpunkt, der uns als Paar fest machte. Wir waren schon unser ganzes Leben miteinander verbunden. Dass wir in die Wohnung zogen, als das neue Gebäude fertiggestellt war, war nur der nächste logische Schritt.
Ich sollte glücklich sein. Meine Traurigkeit, die zunahm, bereitete mir mittlerweile ein schlechtes Gewissen. Sie hatten mich wie eine Tochter aufgenommen und großgezogen. Stephan war mir gegenüber loyal, so, wie er das beim Abendessen festgestellt hatte. Daran hatte ich keine Zweifel. Ich erinnerte mich an unsere Teenagerzeit. Wir hatten eine kurze Phase, wo wir andere dateten, aber viele Mädchen hatten kein Verständnis für seine Arbeitszeiten. Ich ging nie eine Beziehung nach einem Treffen ein. Stephan war immer da. Es erschien mir nicht richtig. Die berühmten Schmetterlinge im Bauch hatte ich nie bei einem anderen gespürt. Ich redete mir ein, dass es wegen ihm sei. Wie hätte mich je ein anderer Mann interessieren können, wenn Stephan auf mich wartete?
Doch in jüngster Zeit fragte ich mich immer häufiger, ob ich je in ihn verliebt gewesen war. Ja, ich liebte ihn. Aber ich liebte auch Klaus und Martina.
»Loyalität«, flüsterte ich wieder in die Nacht. Wir vertrauten einander, waren füreinander da und jeder wusste mit dem anderen umzugehen. Daher konnte es zwar mal knallen, aber es gab auch immer eine Aussöhnung. Stephan hatte Recht. Das war weitaus mehr, als viele hatten. Warum nur wurde ich zunehmend unglücklich?
Ich setzte mich auf und zog die Beine hoch, um die Fersen auf die Kante der Sitzfläche zu stellen. Dann umschloss ich mit den Armen meine Knie. Was wollte ich?
»Liebe«, flüsterte ich. Es war das erste Wort, dass mir in den Sinn gekommen war. Ich spürte, wie sich Tränen in meinen Augen sammelten, die ich wegblinzelte. Es traf mich zutiefst. Mir war bewusst, dass ich hier mich liebende Menschen hatte. Das sollte mir genügen! Es war richtig gewesen, nicht nach dem Abitur fortzuziehen, sondern mich hier im Weingut weiter einzubringen. Mit Stephan zusammenzuziehen war sinnvoll gewesen.
Trotzdem sah ich bei meinen Freundinnen, wie es anders sein konnte. Die Spannung, ob man den Angebeteten wiedertreffen würde. Das Aufgeregtsein der ersten Dates. Das Kribbeln im Bauch bei jeder ersten Berührung. Ja, ich kannte auch die Tränen und den Schmerz bei ihnen, wenn eine Beziehung zerbrach. Mehrfach hatte ich Freundinnen getröstet, hatte miterlebt, wie sie in Selbstzweifel stürzten, wenn ihr Partner vor der Trennung fremd gegangen war.
»Du hast es gut. Ihr seid das Traumpaar durch und durch. Dir wird so was nie passieren!« Das hatte ich nicht nur einmal tränenreich gesagt bekommen. Jedes Mal spürte ich eine Dankbarkeit, dass ich das nicht erleben würde. Dass mich Stephan nie derart hintergehen würde. Aber ich kämpfte manchmal gegen etwas wie Neid, wenn sich einer meiner Freundinnen frisch verliebt hatte. Dieses Strahlen in ihren Gesichtern, diese Gefühle, die aus ihnen herausbrachen, wie Funken herumflogen und mich stachen. Ich wollte, dass sie aufloderten, wünschte mir, nur um einen Moment das zu fühlen, was sie in diesem Moment zum Strahlen brachte.
»Ich bin undankbar«, schimpfte ich mich selbst. Die eine Träne, die mir entglitten war, wischte ich rasch weg. Es war nur eine Phase. Manchmal schlitterte ich in eine solche. Wenn viel zu tun war, Stephan mehr Zeit draußen als Zuhause verbrachte und ich eine Zeitlang selbst zu müde war, um mich mit einer Freundin zu verabreden, dann war ich so missmutig. Ein, zwei Tage mehr und es würde wieder besser sein. Denn ich hatte keinen einzigen plausiblen Grund, um unglücklich zu sein. Oder?
Seit unserem Jahrestag war eine Woche vergangen. Nach einer für mich kurzen Nacht, hatten wir bei einem schnellen Frühstück geklärt, dass wir diesen nicht mehr feiern wollten, damit der Druck von mir fernblieb. Es war Stephans Vorschlag gewesen. Ich stimmte müde zu.
Der Alltag hatte mich fest im Griff. Ich war Teil einer Winzerfamilie. Es gab wichtigere Dinge. Heute stand der Verkaufsraum auf meiner To-do-Liste.
»Clara. Clara!«
Ich war gerade dabei eine Vitrine auszuwischen, um sie neu zu bestücken, als ich Martinas Stimme hörte. Sie klang aufgeregt. Deshalb ließ ich alles stehen und liegen, um auf den Hof zu laufen.
»Clara, gut, dass du da bist. Es tut mir so leid. Ich hatte das ganz vergessen. Irgendwie. Ach Clara!« Sie fasste mich bei den Oberarmen.
»Ganz ruhig. Was hast du denn so Wichtiges vergessen?«
»Den Praktikanten! Im vergangenen Jahr habe ich Charles Morel versprochen, dass sein Sohn diesen Sommer bei uns hospitieren darf, damit er Einblick in unsere Arbeit bekommt. Du weißt doch.«
Ich musste kurz nachdenken. Beim Namen Morel klingelte etwas bei mir.
»Ist das der Hotelier aus Frankreich?«
Marina nickte eifrig.
»Er besitzt zwei Hotels, ein Restaurant und eine Ferienanlage mit Häusern. Er bezieht schon lange Wein von uns. Vor vier Wochen hat er mich an unsere Absprache erinnert und ich habe vergessen, alles vorzubereiten. Da war die große Spendenaktion der Landfrauen und ...«
Ich hob die Hand und unterbrach sie. Ihr derzeit voller Terminkalender war mir bestens bekannt. »Dann machen wir das jetzt. Er bekommt das Gästezimmer in unserem Haus? Dann richte ich das gleich her. Wann trifft er ein?«
Stephans Mutter sah mich durchdringend an. Fast bekam ich bei diesem Blick auch Panik. »Heute. Er ist vor zehn Minuten am Bahnhof angekommen und hat mich angerufen. Du musst ihn schnell abholen. Dein Französisch ist viel besser als meines. Ich richte alles her. Die Männer sind draußen. Ich verstehe nicht, wie mir das entfallen konnte.«
Heute? Jetzt? Ich sah an mir runter. Okay, nicht mein schickes Bürooutfit, aber in Ordnung.
»Ich bin auf dem Weg. Verlieren wir keine Zeit mehr«, entschied ich, bevor weitere Informationen kamen, die nur Zeit kosteten.
»Du bist ein Schatz. Fahr vorsichtig, aber nicht zu langsam.«
Ich drückte sie kurz.
»Alles wird gut.«
Schon eilte ich zum Büro, um die Autoschlüssel zu holen, schnappte mir dabei mein Namensschild, das ich auf Messen und Veranstaltungen trug und sprang in den silbernen Mercedes.
Auf der Fahrt zum Hauptbahnhof machte ich mir Gedanken, wie ich ihn erkennen sollte. Im Notfall würde ich den Jungen ausrufen lassen. Wie alt er wohl war? Hoffentlich schon volljährig, dann konnte er in Weinverkostungen eingebunden werden und die Arbeitszeiten waren etwas flexibler zu handhaben. Außerdem war im Sommer genug Arbeit, so dass keiner vom Weingut Zeit hatte, einen pubertierenden Jugendlichen babyzusitten.
Wie ich das hasste! Immer, wenn ich es eilig hatte, zog ein Traktor vor mich oder es fuhren Schlaftabletten auf der Landstraße an Stellen, an denen man nicht gleich überholen konnte. Ich hoffte, dass unser Gast nicht auf dumme Ideen kam. Würde er den Bahnhof verlassen, hätte ich keine Möglichkeit, Kontakt mit ihm aufzunehmen.
Wo parke ich am besten? So nah wie möglich? Dann ist die Chance groß, dass ich keinen Parkplatz finde und dadurch Zeit verliere. Also lieber ein Stück laufen und das nahe Parkhaus nutzen. Ja, gute Idee.
»Musstest du jetzt überholen? Hast du mich nicht gesehen?« Mein Stresslevel stieg eindeutig, weshalb ich jeden Autofahrer, der mich aufhielt, lautstark beschimpfte. Es sah Martina gar nicht ähnlich, etwas so Wichtiges zu vergessen. Wie gut, dass es keine versprochene Veranstaltung, sondern nur ein Gast war. Es war nicht der erste Praktikant und zwei, drei Wochen gingen schnell vorbei. Es wäre allerdings angenehm, wenn er zumindest ein bisschen Deutsch konnte. Für Schulpraktika hatte ich einige der Frage- und Aufgabenbögen ausgearbeitet, die ich nutzen und ihm geben konnte. Außerdem musste ich so auch nicht ununterbrochen in seiner Nähe zum Dolmetschen sein.
Okay, freie Bahn. Endlich! Ich gab Gas.
Völlig abgehetzt und durchgeschwitzt betrat ich das Bahnhofsgebäude. In der Eile hatte ich mein Namensschild im Wagen liegen lassen. Prima. Ich hasste solches Chaos. Mein Weg führte mich direkt zum Service, der in einem kleinen, ruhigeren Raum im ersten Geschoss war. Mein Blick schweifte über die Sitzplätze an den Wänden. Kein Jugendlicher war zu sehen. Ich musste ihn wohl mit Nachnamen ausrufen lassen, denn Martina hatte auch vergessen, mir seinen Vornamen mitzuteilen. Prima.
»Excusez-moi.«
Ein attraktiver dunkelhäutiger Mann stellte sich mir in den Weg. Dafür hatte ich jetzt wirklich keine Zeit. Ich musste unseren Gast finden.
»Êtes-vous Madame Blum?«, fragte mich der Fremde.
»Was? Nein. Moment ...« Konnte es sein? War er der Sohn von Morel? »Vous êtes le fils de Monsieur Morel?«
»Oui. Ich bin Sebastian Morel.« Er reichte mir seine Hand.
»Je m'appelle Clara König. J'habite avec la famille Blum et vais peut-être les prendre«, stellte ich mich vor.
Er ließ meine Hand nicht los, sondern schenkte mir ein herzliches Lächeln.
»Très beau.« Er deutete zur Tür. »Wollen wir beim Gehen reden? Ich würde gerne raus hier.«
»Sie sprechen deutsch.« Und das auch noch sehr gut, fügte ich überrascht in Gedanken hinzu.
»Wir haben viele Deutsche als Gäste. Es war meinen Eltern sehr wichtig, dass ich Deutsch und Englisch lerne. Gehen wir?«
Sebastian legte seine Hand in meinen Rücken und schob mich sanft zur Tür. Das löste meine Erstarrung. Er war kein Junge, sondern ein Mann, der deutsch mit einem wahnsinnig tollen französischen Akzent sprach und wusste, was er wollte: aktuell den Bahnhof verlassen. Ich schätzte ihn auf Mitte zwanzig, etwas älter, als ich es war. Er hatte kurze, krause Haare, einen gepflegten Dreitagebart und tiefdunkelbraune Augen. An der Tür ließ er mich los, griff nach einem großen Reisetrolley und einem Rucksack, den er schulterte.
»Ich stehe im Parkhaus. Darf ich Ihnen etwas abnehmen?«
Sehr gut, sammel dich und werde wieder professionell, lobte ich mich im Stillen.
»Nein danke, Clara. Wir werden uns in den nächsten Monaten öfters sehen, oui? Wollen wir dann nicht gleich das Du verwenden?«
Es traf mich, wie mein Name aus seinem Mund klang. Es verschlug mir einen Moment die Sprache. Ich war verzaubert davon. Es blieb mir erst einmal nichts übrig, als stumm zu nicken. Mein Mund war plötzlich trocken, so dass ich kein Wort sprechen konnte. Dann kam der Rest der Botschaft an.
»Monate? Wie lange bleibst du?«, fragte ich irritiert.
»Hat Madame Blum nichts gesagt? Ich werde drei Monate auf dem Weingut mitarbeiten.«
Wir verließen das Gebäude. Drei Monate. Wie hatte Martina vergessen können, mit uns darüber zu sprechen? Die Fragebögen für Praktikanten konnte ich auch vergessen.
»Du wohnst also auch auf dem Weingut?«, fragte er. Dabei schaute er freundlich lächelnd zu mir. Weiße Zähne blitzten kurz auf.
Die Fußgängerampel war rot. Die ganzen Überraschungen des heutigen Vormittags hatten mich wortkarg werden lassen. Mein Kopf ratterte. So viel musste geplant werden.
»Ja, ich wohne dort. Stephan ist mein Freund. Er ist ...«
»... der Sohn von Klaus und Martina Blum. Ich weiß. Das Weingut Blum bewirtschaftet ungefähr fünf Hektar Rebfläche und wird in dritter Generation geführt. Stephan Blum wäre die vierte, wenn ich mir das richtig gemerkt habe.«
Die Ampel wurde grün. Wir liefen los.
»Du hast deine Hausaufgaben gemacht«, lobte ich anerkennend.
Kaum hatten wir einen Fuß auf den Bürgersteig gesetzt, rasten hinter uns schon wieder die Fahrzeuge über die Straße. Ich fragte mich immer, wie alte Menschen diese kurzen Phasen schaffen sollten.
»Ich möchte kein Ballast sein, sondern unterstützen und lernen. Das klappt besser mit ein paar informations de base. Daher ist es mir sehr unangenehm, dass ich dich nicht erkannt habe.«
Wir waren im Parkhaus angekommen. Ich hatte gerade das Ticket in den Automaten gesteckt, um zu bezahlen.
»Woher hättest du mich auch kennen sollen?«
Als ich ihn fragend ansah, schenkte er mir ein umwerfendes Lächeln. Mir wurde heiß und kalt zugleich. Wann hatte mich Stephan das letzte Mal so intensiv angesehen? Dieser Gedanke erschrak mich, gleichzeitig spürte ich so etwas wie ein schlechtes Gewissen gepaart mit einem Magenflattern, das mich entfernt an Nervosität erinnerte.
»Ich erinnere mich jetzt an Fotos mit dir. Du strahlst immer in die Kamera. Nur nicht auf dem Bürofoto. Da siehst du geschäftsmäßig neutral aus.« Sebastian schüttelte den Kopf. »Ein sehr großer Fauxpas von mir. Ich hoffe, du kannst mir das verzeihen, Clara.«
Das war also der berühmte französische Charme. Ich kannte unseren Gast keine zwanzig Minuten und war bereits angetan von ihm. Es war ein Leichtes, ihn mir als Chef in einem Hotel vorzustellen, denn neben seinem guten Aussehen, seiner mehr als zuvorkommenden Art, wirkte er sehr selbstbewusst. Seine Körperhaltung, die Energie, die er ausstrahlte, das Ganze gepaart mit der dunklen, festen Stimme – alles suggerierte: Ich bin ein Leader. Mal sehen, ob er nach ein paar Tagen harter Arbeit in den Weinbergen immer noch so entspannt lächeln konnte. Hier waren andere Qualitäten gefordert.
»Nur, wenn du mir verzeihst, dass du warten musstest.«
Er zog eine Augenbraue hoch, bevor er schmunzelte.»Wenn diese Verzögerung zur Folge hatte, dass ich von dir abgeholt wurde, dann habe ich sehr gerne gewartet, Clara.«
Weil er mich mit diesem Satz völlig aus der Fassung brachte, und ich darüber vergaß Geld einzuwerfen, spuckte der Automat die Karte wieder aus. Dankbar, dass dieser Vorgang mich aus meiner erneuten Erstarrung holte, konzentrierte ich mich darauf, das Ticket zu bezahlen. Sebastian ist ein Franzose, ermahnte ich mich, der es im Blut hatte, mit Frauen zu flirten. Es hat keinerlei Bedeutung. Ich muss wieder in meinen professionellen Modus kommen. Jetzt! Himmel!
Er war doch nicht der erste Mann, der mich anflirtete. Wie oft kam das bei Veranstaltungen vor? Nun gut, gewiss war da oft schon Wein geflossen und deutsche Männer hatten nicht diese elegante Leichtigkeit beim Flirten. Aber der Hintergrund war doch derselbe – eine angenehme Atmosphäre schaffen, die ihre Grenzen hatte. Punkt. Ich würde mich in den kommenden Tagen oder Wochen schon daran gewöhnen.
Dankbarerweise fragte Sebastian auf der Rückfahrt Dinge über das Alltagsgeschäft im Weingut. Wir hatten kaum das Stadtschild hinter uns gelassen, als ich mich entspannte. Das war ein Terrain, in dem ich mich sicher bewegen konnte. Trotzdem vermied ich es, öfter als nötig zu ihm zu schauen. Mein Blick war auf die Straße gerichtet. Meine Gedanken fest im Weingut und den Aufgaben, die es dort zu erledigen gab.
»Dein Deutsch ist wirklich hervorragend. Du hattest gute Lehrer«, lobte ich nach einer kurzen Zeit.
»Ich musste in den Sommerferien immer in deutsche oder englische Sprachcamps. Dort habe ich mehr als in den Sprachschulen oder dem Fremdsprachenunterricht gelernt.«
»Und nun möchtest du bei uns den Einblick in ein Weingut bekommen? Ganze drei Monate? Darf ich fragen, warum?«
»Bien sûr. Mein Vater hat in der Provence ein Weingut gekauft, auf dessen Ländereien eine Ferienanlage entsteht. Séjours et vignoble, wie man diese Kombination bei uns nennt, sind sehr beliebt. Sein Wunsch ist es, dass ich dieses führen werde. Auch wenn professionelles Personal eingestellt wird, möchte ich doch bis dahin so viel wie möglich lernen. Als er das Madame Blum im vergangenen Jahr erzählt hat, hat sie mich über ihn sofort eingeladen, wie mein Vater berichtete. Dafür bin ich sehr dankbar.«
Ich konnte ihm stundenlang beim Reden zuhören, so schön klang alles aus seinem Mund. Seine Einstellung gefiel mir. Sicher war seine Familie reich genug, um sich nicht die Hände schmutzig zu machen. Aber er kam hierher, mit dem Wissen und dem Wunsch, mit anzupacken. Das verdiente Anerkennung und Respekt – sofern er nicht nach einer Woche alles hinwarf. Unter Umständen unterschätzte er die Arbeit. Ich war gespannt.
»Bedank dich erst, wenn du wieder abreist. Wer weiß, ob alles so ist, wie du es dir vorstellst.« Den Rat hatte ich nicht für mich behalten können.
»D'accord.«
Ich sah verstohlen zu ihm hin. Sebastian schaute lächelnd zu mir herüber. Seine Miene trug wegen meiner Worte keine Spur Zweifel oder Irritation. Er wirkte in sich ruhend und zufrieden. Mehr noch. Wenn ich ehrlich war, strahlte er eine Unerschütterlichkeit aus, so, als wusste er, dass, egal was käme, er es meistern würde. Das war eine Eigenschaft, die ich auch an Stephan mochte. Er war überzeugt, dass es für jedes Problem eine Lösung gab. Vielleicht war es nicht der erste Versuch, der dahin führte, aber aufgeben kam für ihn nie in Frage.
Stephan. Ob er schon über seine neue Unterstützung informiert war? Er neigte dazu, sein Handy zu ignorieren, wenn er in den Weinbergen arbeitete. Ich war gespannt, was er zu Sebastian sagen würde.
»Wenn die Ferienanlage fertig ist, werde ich mich mit einer Einladung revanchieren.«
Urlaub in der Provence? Wie schön wäre das? Meine letzte Woche außerhalb des Weinguts ohne Messe oder dergleichen war zu meiner Abiturabschlussfahrt nach Prag gewesen. Vielleicht waren ein, zwei Wochen Frankreich genau das, was Stephan und ich bräuchten, um uns wieder näher zu kommen. »Merci.«
»Ich habe für die Chance zu danken, so lange Gast sein zu dürfen. Meine Hoffnung ist es, dass ich mich gut einbringen kann. Sobald du Arbeit für mich hast, immer her damit!«
Das brachte mich zum Lachen. »Ich schätze, dass Stephan und Klaus genügend Aufgaben finden werden. Da brauchst du nicht noch Arbeitsaufträge von mir.«
»Da ich alles kennenlernen soll, bin ich mir sicher, dass ich auch mit dir im Büro zusammenarbeiten werde.«
Diese Information gefiel mir eine Spur zu gut. Doch ich bemühte mich um eine neutrale Miene, setzte den Blinker, gab Gas und konzentrierte mich wieder mehr auf den Verkehr.
»Das ist dir doch recht?«
Kurz sah ich zu ihm. Hatte ich je so dunkle Augen gesehen? Ich glaubte nicht.»Natürlich. Ich freue mich schon darauf.« Bis dahin, so nahm ich mir vor, hatte ich mich so an ihn gewöhnt, dass ich nicht mehr irritiert von seiner Anwesenheit war. Meine Reaktionen beruhten hundert Prozent darauf, dass alles so überraschend kam. Ohne Vorbereitung und Informationen, die mir fehlten, hatte unser erstes Kennenlernen ja nur mit seltsamen Gefühlen ablaufen können. Immerhin war ich davon ausgegangen, einen Jugendlichen abzuholen, der nur zwei, höchstens drei Wochen bleiben würde.
Ich hatte das Auto kaum geparkt, da eilte Martina uns schon entgegen. Ihr Kopf war hochrot. Mit Sicherheit war sie bis eben herumgerannt.
»Monsieur Morel, c'est un honneur pour nous!«, überfiel sie ihn direkt. Sie schüttelte übertrieben lange seine Hand.
»Merci, ich freue mich auch, hier sein zu dürfen. Die Ehre ist ganz meinerseits.«
Martina sah von ihm zu mir, dann wurde aus ihrem Lächeln ein Strahlen.»Sie können ja perfekt deutsch! Das ist ja wunderbar!«
»Bitte nennen Sie mich Sebastian.«
Ich sah über den Hof. Von unseren Männern war weit und breit nichts zu sehen.
»Bestimmt möchte sich unser Gast frisch machen. Ich wette, er hat auch noch nichts Richtiges gegessen.«
Martina stimmte mir sofort zu.»Wie Recht du hast! Ich bin sogar schon dabei, etwas herzurichten, damit wir uns kennenlernen können, bis Klaus und Stephan eintreffen. Zeigst du Sebastian sein Zimmer?«
Schon eilte sie von uns fort. Wir wussten beide, dass ihre Frage nur rhetorischer Natur war. Ich öffnete den Kofferraum, griff nach Sebastians Rucksack, während er seinen Koffer heraus hievte. Er folgte mir an der Weinprobierstube vorbei zur Tür, die an der Hauswand am Weg zu unserem kleinen Weinberg war. Oben befanden sich sowohl unsere Wohnung, als auch der weiterführende Gang zu den beiden Zimmern für besondere Übernachtungsgäste. Wir boten keine Ferienwohnungen an, wie manch andere Winzer, da wir sonst weitere Gebäude hätten anbauen müssen. Das wollten Martina und Klaus nicht, sondern sich ganz auf den Weinanbau und –verkauf konzentrieren.
Ich schloss die Haustür auf und stieg die Treppenstufen hoch. An der ersten Wohnungstür blieb ich stehen.
»Hier wohnen Stephan und ich. Wenn du etwas brauchen solltest, scheu dich bitte nicht, jederzeit bei uns zu klingeln.«
Sebastian nickte.
Die nächste Tür führte in sein Zimmer. Das erkannte ich daran, dass Martina den Schlüssel außen hatte stecken lassen. Ich schloss auf. Eine Brise wehte uns durch das offene Fenster entgegen. Ich sah mich um, nachdem ich den Rucksack abgestellt hatte. Die beiden großzügigen Gästezimmer hatten je ein eigenes kleines Badezimmer mit Dusche, ein Multifunktionsschrank diente als Raumteiler. Auf der Wohnzimmerseite gab es eine ausziehbare und höhenverstellbare Tischplatte, genügend Schubladen und Regalböden, wovon zwei mit einer Auswahl an Büchern bestückt waren. Natürlich war auch eine Minibar vorhanden, um kühle Getränke und Snacks griffbereit zu haben. Im Bereich des Wohnzimmers stand eine kleine Couch mit Blickrichtung zum Schrank, in dem ein Fernseher befestigt war. Bei Bedarf konnte dieser mittels einer speziellen Vorrichtung zur Schlafzimmerseite gedreht werden. Ich hatte das in einem Inneneinrichtungsmagazin entdeckt. Beim Neubau hatte ich darauf bestanden, diese praktische Lösung herstellen zu lassen. Unser Schreiner aus dem Ort hatte richtig Freude daran, mal etwas Neues zimmern zu dürfen. Das Bett war hier 1,20 m breit. Im zweiten Gästezimmer stand ein Doppelbett. Die Seite des Raumteilers beinhaltete hier einen schmalen Schrankteil und einige Schubladen.
Jede Wohnung bot durch die Fenster ungehindert Blick zu den Weinbergen. Sie lagen nach hinten, so dass das frühe Arbeitsleben auf einem Weingut die Gäste und uns an den seltenen freien Tagen nicht sofort weckte.
»Es ist ein sehr schönes Zimmer. Der Innenarchitekt hat viel Geschmack.«
Verlegen senkte ich den Kopf. Ich war einiges, aber sicherlich keine Innenarchitektin. Trotzdem schmeichelte mir sein Kompliment.
»Oh, ich verstehe.« Sebastian trat einen Schritt näher zu mir. »Manifique.«
Ich erwiderte seinen Blick, der so intensiv auf mir lag, dass ich spürte, wie eine Nervosität in mir hochkroch. Hoffentlich wurde ich nicht obendrein noch rot. So, wie er mich ansah und das Manifique – wunderschön – aussprach, hätte ich fast meinen können, dass er dies nicht zu der Einrichtung, sondern ganz speziell über mich sagte.
»Mach dich doch frisch, pack in aller Ruhe aus und komm dann runter. Ich sehe den Hof vom Fenster aus.« Es erschien mir wichtig, etwas Abstand zu bekommen, um mich zu sammeln.
»Je te remercie, Clara.«
»Nichts zu danken. Bis gleich.«
Ich stürzte förmlich aus seinem Zimmer. Heute war ich nicht ich selbst. Daran war eindeutig Martina schuld. Hätte sie nicht vergessen, dass wir einen Besucher erwarteten, der drei Monate bleiben würde, wäre ich vorbereitet gewesen.
»Dankeschön. Jetzt mache ich den Eindruck eines unprofessionellen Lehrmädchens«, schimpfte ich leise auf dem Weg zu meiner Schwiegermutter in spe, damit es niemand hören konnte. Ich ärgerte mich gewaltig über mich selbst. Wenn ich mich so bescheuert beim Abendessen benehmen würde, würde Stephan mit mir noch eine Diskussion anfangen. Er konnte es nicht ausstehen, wenn irgendetwas unrund lief. Höchstwahrscheinlich würde er ohnehin mit seiner Mutter diesbezüglich ein Wörtchen reden. Da brauchte er nicht noch einen weiteren Anlass, um mit seiner Laune, die kommen würde, mit mir diskutieren zu wollen. Drei Monate!
Martina trug gerade ein Tablett mit Etagere und Gläser mit Dips in meine Richtung, als ich durch die Haustür trat.
»Ich dachte, wir essen in der Laube. Das ist doch als Willkommensgruß sehr nett«, erklärte sie gutgelaunt. Weg schien die Panik, die sie vor Sebastians Ankunft noch hatte. Sie drückte mir das Tablett in die Hände, bevor ich etwas erwidern konnte, und sagte schon im Gehen: »Ich hole noch das Telefon und Getränke. Bin gleich wieder da.«
Ein leises Seufzen entfuhr mir. Vielleicht konnten wir alles so drehen, dass Stephan nicht austickte. Als ich am Pavillon ankam, sah ich, dass Martina bereits gewerkelt hatte. Eine frische Tischdecke lag über der Platte, darauf eine Vase mit Blumen aus ihrem Garten. Es war schon eingedeckt. Sie hatte Winzertapas vorbereitet, die ich auf den Tisch stellte. Mir lief das Wasser im Mund zusammen. Ich liebte diese besondere Art von Fingerfood. Einige Rezepte hatten wir selbst kreiert.
Seit dem Frühstück hatte ich nichts mehr gegessen, dabei war immer eine zweite kleine Kaffeepause mit Martina eingeplant. Mein Magen knurrte leise.
»Ja, gleich«, flüsterte ich meinem Bauch zu.
Ein Marienkäfer fiel aus dem Blumenstrauß auf die Tischdecke. Ein Zeichen dafür, dass die Blumen frisch geschnitten worden waren. Ich streckte einen Finger aus, damit das zauberhafte Insekt darauf klettern konnte. Anscheinend hatte der Käfer andere Pläne. Ich brauchte einen Moment und beide Hände, bis das Angebot angenommen wurde. Dann endlich kletterte das gepunktete Käferchen über meinen Handrücken.
»Une bete a bon Dieu.«
Ich zuckte erschrocken zusammen. Wegen des Käferfangens hatte ich gar nicht bemerkt, dass unser Gast zu mir getreten war. Er sah über meinen Rücken auf meine Hand. Seine Stimme war kaum lauter als ein Flüstern.
»Gottes Tierchen«, übersetzte er den französischen Namen für Marienkäfer. Er trat näher, so dass ich ihn deutlich spürte. Mein Herz schlug sofort schneller. »Sie sind unsere Helfer, von ihm geschaffen, um Schädlinge zu verspeisen«, redete Sebastian leise weiter. Er streckte seine Hand aus, bis sie meine berührte und der Marienkäfer auf seine kletterte. Fasziniert beobachtete ich, wie er die Hand hob, den Finger ausstreckte und das Käferchen emporkletterte, um dann die Flügel auszustrecken und fortzufliegen.
Einen Moment sah ich dem roten Punkt nach. Dann drehte ich mich zu Sebastian um. Wir standen so dicht, dass ich befürchtete, er würde mein Herz schlagen hören, das fest gegen meine Rippen pochte. Ich sah sein Lächeln und fühlte mich vom Augenblick gefangen. Ich konnte an nichts denken, nichts sagen – nur ihn ansehen und sein Lächeln erwidern.
»Entschuldigt bitte. Ich hatte noch zwei Anrufe. Aber jetzt!«
Martina rief schon, als sie auf dem Weg zu uns war. Sie war gerade erst auf den Mittelgang des kleinen Wingerts getreten. Ich strich mir verlegen Haare aus dem Gesicht und machte einen Schritt zur Seite, weg aus dem magischen Radius unseres Gastes. Zwei Atemzüge später fühlte ich mich nicht mehr in seinem Bann.
»Setz dich doch bitte.« Dankbarerweise klang meine Stimme fest.
Ich nahm Martina die Wasser- und Weinflaschen ab, während sie sich neben Sebastian setzte. Ein wenig Abstand würde mir guttun. Was ich nicht bedacht hatte, war, dass ich mich dadurch ihm direkt gegenübersetzen musste.
»Ich hoffe, Ihnen gefällt das Zimmer.«
Martina übernahm die Gesprächsführung. Sehr gut.
»Wir arbeiten in den nächsten Monaten zusammen. Nennen Sie mich Sebastian, s'il vous plaît«, bat unser Gast zuvorkommend.
»Das ist mir so auch viel lieber. Also, ich bin die Martina und unsere Clara kennst du ja bereits. Sie ist die Verlobte von unserem Stephan.«
Sebastian sah mich an. Wortlos zog er eine Augenbraue nach oben.
»Noch kam kein Heiratsantrag«, fügte ich schnell hinzu. Es war mir unangenehm, dass sie mich so vorgestellt hatte. Erst recht, wenn ich an den Jahrestag-Abend und das Gespräch dabei dachte.
»Papperlapapp, das sind doch reine Formalien. Jeder weiß, dass ihr füreinander bestimmt seid. Da kannst du fragen, wen du willst.« Sie wendete sich ihrem Sitznachbarn vertraut zu. »Wenn es nach mir ginge, würde das nicht mehr so lange dauern, damit ich bald Oma werden kann.«
Musste sie ihn gleich mit Privatem überfallen? Ich bemühte mich, nicht mit den Augen zu rollen.
»Wasser? Wein?«, fragte ich, um vom Thema abzulenken.
»Wir stoßen mit Wein an. Ich habe einen Rivaner mitgebracht, den dein Vater immer ordert. Ich liebe das fruchtige Bouquet.« Schon schenkte sie uns ein. Widerrede wurde nicht geduldet. »Melone, Ananas, Zitrone – herrlich für den Sommer!«
Wir schwenkten unseren Wein und stießen an. Sebastian roch besonders lange an seinem Glas.
»Excellent«, sagte er nach einem Schluck. Er nickte Martina zu, die sich über sein Lob sichtlich freute. Ihre Augen strahlten. »Was haben wir denn hier? Es sieht délicieux aus.«
»Das? Es ist nur eine Kleinigkeit. Winzertapas.« Sie deutete auf die verschiedenen Sorten. »Das sind Schinken-Blätterteigrosen, Leberwurstpäckchen, Spundekäs-Brezelscheiben, eine kleine Auswahl an süßsauer eingelegten Köstlichkeiten aus unserem Garten und natürlich Trauben-Käse-Spießchen. Bitte greif zu.«
Mit Gabel und Löffel füllte sich Sebastian die ersten Tapas auf seinen Teller. Wir taten es ihm gleich. Dabei musste ich mich beherrschen, um nicht sofort ein ganzes Teilchen auf einmal in den Mund zu stecken. Mein Magen bedankte sich grummelnd für das Essen. Hoffentlich hörte das niemand außer mir.
Je länger wir zusammensaßen, desto entspannter wurde ich. Auch Martina verlor ihre Hektik. Dankbar nahm ich zur Kenntnis, dass heute weniger Anrufe als üblich reinkamen. Wir mussten nur selten innehalten, um Fragen zu beantworten oder Bestellungen aufzunehmen. Das tat ich. Dadurch hatte ich das Gefühl, meine Souveränität zurückzugewinnen.
Sebastian war ein angenehmer Gesprächspartner. Er berichtete von seinem Vater und dem neuen Projekt. Martina war sichtlich beeindruckt.
»So jung und schon so große Verantwortung? Mein Sohn ist gewiss froh, dass er das Meiste noch in unseren Händen weiß.« Sie hielt inne. »Spricht man von unseren Männern ...«
Jetzt hörte ich auch den Traktor in den Hof poltern. Ein Blick auf die Uhr verriet, dass es früher Nachmittag war. Heute waren sie wirklich zeitig zurück. Ich hätte später mit ihnen gerechnet. Die letzten Abende sah ich Stephan nicht vor, eher erst nach dem Abendessen.
»Aber hallo, was ist denn hier los?«, fragte dieser, als er auf uns zukam. Als seine Mutter aufstand und den Blick auf unseren Gast freigab, blieb er stehen. Seine Stirn legte sich für einen Moment in Falten. Er sah seine Mutter fragend an.
»Sebastian, das ist unser Sohn Stephan. Stephan, das ist Sebastian Morel. Du erinnerst dich? Ich hatte seinem Vater im vergangenen Jahr zugesagt, dass er uns in dieser Saison unterstützen kann. Er wird ein Weingut mit Ferienhäusern übernehmen.«
Als Sebastian Anstalten machte, aufzustehen, hob Stephan die Hände. Unwillkürlich musste ich beide vergleichen. Sie waren wie Tag und Nacht. Beide stark, durchtrainiert, aber Stephan war mit seiner hellen Haut, obwohl durch die Arbeit in den Weinbergen gebräunt, seinen blauen Augen und den blonden Haaren das genaue Gegenteil. Auch charakterlich, soweit ich das bisher beurteilen konnte, waren sie sehr unterschiedlich. Jeder auf seine Art attraktiv.
»Ich spring erst schnell unter die Dusche. Clara, kommst du bitte kurz mit hoch?«, sagte Stephan in seiner Chefstimme. Hatte ich zu offensichtlich gestarrt? Ein schlechtes Gewissen machte sich in mir breit, weshalb ich sofort aufsprang. Ich nickte Martina und Sebastian kurz zu, um meinem Freund zu folgen.
Er drehte sich erst zu mir um, nachdem wir in der Wohnung waren und die Tür geschlossen war.»Kannst du mir erklären, warum da unten ein fremder Kerl sitzt und ich davon nichts weiß?«, fragte er nicht sonderlich begeistert, worauf ich beschwichtigend die Hände hob.
»Deine Mutter hat mich auch überrascht. Sie sagt, sie hätte es vergessen und bat mich, ihn abzuholen. Natürlich hätte ich dich informiert, wenn ich das vorher gewusst hätte.«
Stephans Miene ließ nichts Gutes erahnen. Seine blauen Augen blitzten in diesem kalten Graublau, das sie annahmen, wenn es ihm nicht gut ging oder er, wie jetzt, schlecht gelaunt war.»Wie lange soll der Kerl mich unterstützen?« Das letzte Wort betonte er sarkastisch. »Ausgerechnet jetzt habe ich für so etwas gar keine Zeit. Das weiß Mama.«
»Sein Vater und deine Mutter haben wohl drei Monate verabredet.«
Ich ging zum Fenster, um etwas Abstand zwischen uns zu bringen. Was jetzt kam, war vorhersehbar.
»Drei Monate? Das kann er gleich vergessen. Ich habe keine Zeit, mich um einen reichen Schnösel zu kümmern, der mit dem Finger schnippt, ein Weingut kauft und meint, er wäre jetzt ein Winzer«, polterte Stephan laut los.
Okay, damit hatte er ein also zusätzliches Problem.
»Meine Mutter hat vielleicht Nerven. Ich erinnere mich sehr gut, dass sie im Nebensatz ein Angebot erwähnt hat, dass der Franzose seinen Sohn zu Besuch schicken will. Nennst du drei Monate einen Besuch? Ich nenne es Nötigung!« Stephan redete sich, wie erwartet, in Rage.
»Vielleicht bleibt er gar nicht so lange, wenn er merkt, wie anstrengend die Arbeit ist. Wir können doch weder deinen Eltern noch seinem Vater gegen den Kopf stoßen. Dusch doch erst einmal und wir lassen die nächsten Tage auf uns zukommen«, versuchte ich zu beschwichtigen.
Stephan kam auf mich zu. Wie es die ganze Familie gerne tat, fasste er mich an den Oberarmen und sah zu mir runter. Dann gab er mir einen Kuss auf die Stirn.»Du hast alles im Blick. Was wäre ich nur ohne dich?«, sagte er mit sanfterer Stimme. Ein Lächeln folgte und nahm den letzten Rest des unangenehmen Gefühls in meiner Magengegend, das ich beim Hinausgehen gehabt hatte. Er beugte sich zu mir und küsste mich. Erst jetzt, da die Spannung von mir abfiel, bemerkte ich, dass ich welche aufgebaut hatte. »Ich werde den Kerl einfach mitnehmen und arbeiten lassen. Mehr als eine Woche gebe ich ihm nicht. Dein Plan ist perfekt.« Noch ein schneller Kuss, dann drehte er sich um und ging ins Bad.
Was? Wo hatte ich einen Plan erwähnt, Sebastian mittels schwerer Arbeit loswerden zu wollen? Zwar war ich mir relativ sicher, dass er den harten Job in den Weinbergen nicht lange machen würde. Aber mit Stephans Ziel, ihn dort fertig zu machen, würde das Ganze sicherlich noch unangenehmer für unseren Gast werden. Das gefiel mir überhaupt nicht. Ich musste mich unbedingt mit Martina allein zusammensetzen, um einen sinnvollen Aufgabenkatalog für unseren Praktikanten zu erstellen. Ja, das war eine gute Idee: Sebastian sollte erst einmal ankommen und etwas Büroluft schnuppern, bevor der Junior des Hauses ihn in seine Finger bekam.
Es war Zeit, wieder hinunterzugehen. Gastfreundschaft wurde auf dem Weingut Blum großgeschrieben. Ich hoffte, dass Martina und Klaus ihren Sohn beizeiten daran erinnern würden.
Nachdem Stephan geduscht hatte, kam er mit viel besserer Laune zu uns zurück. Auch Klaus hatte sich dazugesellt. Er war mitten in einer Lobeshymne auf die Region, den Wein und die Menschen hier. Wir waren alle entspannt, hatten mittlerweile die dritte Flasche angebrochen und es waren nur noch wenige Tapas übrig.
»Du bist genau richtig gekommen, um auch noch das eine oder andere Weinfest erleben zu können. Dann kannst du alles, was ich über uns erzählt habe, selbst erleben«, begrüßte Klaus den Gast.
Sebastian schenkte sich Wasser ein. Er sah zu mir und lächelte. Dann antwortete er: »Merci, ich habe schon jetzt einen sehr guten Eindruck gewonnen.«
»Papa, darf ich neben meine Freundin?«
Nicht nur ich, sondern auch Klaus schauten überrascht zu Stephan. Es war selten, dass er mich nicht bei meinem Namen ansprach. Hier kannten uns alle. Es gab nie einen Grund, mich als seine Partnerin zu benennen.
»Selbstverständlich.«
Mir entging nicht, dass Stephan, als er sich zu mir auf die Bank setzte, dabei Sebastian nicht aus den Augen ließ. Sollte er etwa eifersüchtig sein? Das wäre eine Premiere.
»Du bist hier, um Winzer zu werden?«, stieg mein Freund ohne Umschweife ins Gespräch ein. Es war deutlich zu hören, dass er provozieren wollte. Sein Ton war hart. Keine Spur von Freundlichkeit. Sein Körper angespannt, als wäre er auf dem Sprung. Irgendetwas an Sebastian schien ihn offensichtlich zu triggern, dass er entgegen seiner Art so unfreundlich zu einem Gast war. Nervös sah ich zu seinen Eltern. Klaus kaute seelenruhig. Martina fixierte hingegen ihren Sohn.
»Non, wo denkst du hin? Mir ist bewusst, dass dies ein Beruf ist, für den man Jahre braucht. Die besten Winzer, die wir kennen, sind hineingeboren. Ich möchte nur ein wenig die Arbeit und das Leben auf einem Weingut kennenlernen. Es ist mir wichtig, die Zusammenhänge zu verstehen.«
Stephan lehnte sich mit verschränkten Armen zurück. Ich schaute von ihm zu Sebastian. Die Antwort hatte mir imponiert. Er hatte ein Kompliment mit einer Beschwichtigung verbunden. Martina atmete beruhigt aus, wie ich sah. Scheinbar hatte sie die Lage wie ich eingeschätzt.
»Aber du hast ein Weingut gekauft«, betonte Stephan sarkastisch und hob dabei seine Augenbrauen.
»Mein Vater hat es gekauft. Ich werde es vorerst verwalten«, erwiderte Sebastian ganz entspannt.
»Ach, und wer kümmert sich um den Wein?«, schoss Stephan direkt nach.
Sebastian lächelte mild. Seine Reaktionen und Antworten waren äußerst professionell. So stellte ich ihn mir vor, wenn ein Gast zu ihm kam und sich beschwerte. Er strahlte eine große Ruhe aus. Das Lächeln sagte: Ich nehme dich ernst und wir werden eine Lösung finden.
»Mein Vater hat exquisite Winzer angestellt, die sich schon seit einem Jahr um alles kümmern. Ich würde mich sehr freuen, euch als Gäste begrüßen zu dürfen, um mir eure Expertise anzuhören. Ihr habt eine überaus große Reputation.