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Eine verbotene Liebe in der Vergangenheit, deren Echo in unsere Zeit hallt. Eine Gassirunde mit ihrer Sheltiehündin Bella wird für Kendra zum Rettungseinsatz. Sie findet einen alten Mann, der bei Eiseskälte gestürzt ist. Kendra lernt dabei dessen attraktiven Enkel Jo kennen. Dieser ist mit der Influencerin Valentina zusammen, welche es, ebenso wie Kendras Ex, mit Treue nicht so genau nimmt. Beim Renovieren findet Kendra alte Fotos und einen Brief, der an den Vater von Jo adressiert ist. Während ihre Eltern und Valentina den Kontakt zwischen Jo und Kendra verhindern wollen, kommen diese sich immer näher. Welches Geheimnis verbindet ihrer beider Familien?
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Über das Buch
Sheltieküsse vor dem Kaminfeuer
GeDANKEn
Über die Autorin
Impressum
Liebe kann funkeln wie eine Schneeflocke, aber in den falschen Händen schnell schmelzen.
Kendra wohnt nach einer gescheiterten Beziehung mit ihrem Vorgesetzten wieder bei ihrer Mutter, die selbst in ihren ehemaligen Heimatort zurückgezogen ist. Das geerbte Haus muss renoviert werden und Kendra braucht einen neuen Job.
Eine Gassirunde mit ihrer Sheltiehündin Bella wird zum Rettungseinsatz. Sie findet einen alten Mann, der bei Eiseskälte gestürzt ist. Während sie auf den Rettungswagen wartet, lernt sie Jo, den charmanten Enkel des alten Winzers, kennen. Kendra findet heraus, dass Jo mit der Influencerin Valentina zusammen ist und diese, ebenso wie Kendras Ex, es mit Treue nicht so genau nimmt.
Beim Renovieren findet Kendra alte Fotos und einen Brief, der an den Vater von Jo adressiert ist. Während ihre Eltern und Valentina den Kontakt zwischen Jo und Kendra verhindern wollen, kommen diese sich immer näher. Welches Geheimnis verbindet ihrer beider Familien?
Kapitel 1
Die Kälte erfrischte und schmerzte zugleich. Vielleicht lag es an den Splittern der Trennung, die sich durch mein Herz kratzten. Obwohl der Himmel blau war und die Sonne schien, waren Gräser und Steine in den Schatten mit Reif überzogen. Ich zog den Schal enger. Bella schüttelte sich, wodurch sich ihr Winterfell aufplusterte.
»Beim Rennen wird dir noch wärmer.« Als ich mich hinkniete, um sie abzuleinen, zuckten ihre Stehöhrchen. Den Blick kannte ich. Irgendetwas Interessantes hatte ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ich stoppte in der Bewegung und sah mich um.
»Hilfe!«
Der Wind rauschte. Blätter raschelten, als sie aufgewirbelt wurden. Hatte ich das gerade wirklich gehört oder spielte mir mein Unterbewusstsein einen Streich?
»Hilfe!«
Da! Ich hörte es wieder. Oder doch nicht?
Bellas Nase zuckte, als sie eine Witterung aufnahm und schnupperte. Kaum meinte ich, das Wort vernommen zu haben, war es auch schon davon geweht. Wenn nur diese Windböen nicht wären. Den Plan, Bella von der Leine zu lassen, verwarf ich. Gemeinsam gingen wir langsam weiter. Wir folgten dem Schotterweg um eine Kurve. Vor uns war eine Kreuzung. Links ging es in das Dorf zurück. Geradeaus und rechts weiter in die Weinberge. Eine Schonung mit Bäumen und Hecken warf einen breiten Schatten auf den Weg, der vor uns anstieg und ausgewaschene Rinnen vom Regen aufwies. Genau dort lag ein älterer Mann auf dem Rücken. Neben ihm am Grasrand des Wingerts ein Rollator.
»Hilfe!« Er hob eine Hand.
»Um Himmels willen«, entfuhr es mir und ich rannte mit Bella los.
»Wir sind da. Alles gut. Was ist passiert?« Ich kniete mich neben dem Mann.
»Ich kumm nimmer uff«, jammerte er mir in breitem Rheinhessen-Dialekt.
»Dann helfe ich Ihnen. Tut Ihnen etwas weh?« Ich schob einen Arm unter seinen, um ihm durch Druck am Rücken aufzuhelfen. Sofort stöhnte er laut auf. »Entschuldigung.«
»Mei Hüft. Mein Seit.« Er bewegte sich in meine Richtung, jammerte erneut etwas Unverständliches.
Alleine konnte ich ihn nicht hochhieven. Dazu war er zu schwer und zu unbeweglich. Außerdem wollte ich ihm nicht wehtun oder etwas verschlimmern. Bella blieb hinter mir, seit er gestöhnt hatte.
»Wie heißen Sie? Kann ich jemanden anrufen?« Er musste dringend hoch. Trotz der kurzen Zeit im Schatten fror ich, obwohl ich warm angezogen war. Er hingegen trug nur eine nicht sehr stark gefütterte Jacke und weder Mütze noch Handschuhe. Seine Lippen waren schon bläulich. Er sah mich mit wässrigen, grauen Augen an. Ich wünschte mir sehr, ich könnte ihm sofort helfen. Dieser flehende Blick traf mich.
»Könne Sie mir net helfe?«
»Ich habe ein Handy und ruf gerne jemanden für Sie an. Ihre Frau? Kinder? Sie müssen mir nur sagen, wen.« Ich zog mein Smartphone aus der Jackentasche und zeigte es ihm. Er sah darauf, dann wieder zu mir. Langsam schüttelte er den Kopf, presste die Lippen aufeinander, während sein stoppeliges Kinn zitterte. Er brauchte Hilfe. Alleinlassen konnte ich ihn definitiv nicht. Das erste Mal in meinem Leben rief ich die 112 an. Es klingelte einmal, zweimal. Warum ging denn nicht sofort jemand dran?
»Ich rufe einen Rettungswagen«, erklärte ich dem Herrn, der mich nicht aus den Augen ließ.
Es tutete und tutete, dann endlich eine Frauenstimme.
»Hallo, hier ist Kendra Brandt. Ich habe bei meinem Spaziergang hier in den Weinbergen einen älteren Mann gefunden, der mit seinem Rollator gestürzt ist. Er scheint desorientiert und kann mir leider nicht sagen, wie er heißt.« Ich lächelte ihm aufmunternd zu. Gleich würde richtige Hilfe unterwegs sein.
»Wo genau sind Sie? Ist er verletzt?«
Ich sah mich um. Wie erklärte ich das am besten? Denn vom Ort aus war es noch ein Stück bis hierher.
»Wir befinden uns hinter dem Sportplatz von Weinsweiler. Wenn man dort den ersten Wirtschaftsweg an den Glascontainer hinein und immer geradeaus fährt, kommt man zu uns.« Ich wartete ihr Tippen ab. »Er sagt, er habe Schmerzen an der Seite und der Hüfte. Ich schaffe es nicht, ihn aufzurichten. Außerdem ist er schon ziemlich durchgefroren.«
»In Ordnung. Sehen Sie irgendwo eine offene Wunde? Hat er eine Kopfverletzung?«
Ich betrachtete ihn genau, sah aber nichts dergleichen. »Sind Sie auf den Kopf gefallen?«
Er schüttelte mit zitternden Lippen den Kopf. »Mei Rücke und die Hüft«, erklärte er mit brüchiger Stimme.
»Ich sehe nichts«, gab ich die Infos weiter. »Er sagt, dass er nicht auf den Kopf gefallen ist, ihm aber der Rücken und die Hüfte schmerzt.«
»Können Sie bei ihm bleiben?«
»Selbstverständlich. Ich warte hier.«
»Dankeschön. Ein Rettungswagen ist informiert und auf dem Weg. Bitte lassen Sie das Handy an, so dass Sie erreichbar sind und einen Anruf auch hören.«
»Natürlich. Dankeschön.«
»Alles Gute. Es wird nicht lange dauern.« Schon war die Verbindung beendet.
»Die Frau sagt, dass bald jemand hier ist und uns hilft.« Ich steckte das Handy in die Jackentasche, um es vor der Kälte zu schützen.
»Mei Frau werd schelle.« Er schüttelte abermals den Kopf.
»Wie heißt denn Ihre Frau?« Ich klopfte an meine Seite, so dass Bella sich zu mir setzte. Hoffentlich war das Warten nicht auch für sie zu kalt.
»Mir han zwä Söhn un schun drei Enkel und än Urenkel.«
»Sie erinnern sich. Das ist toll. Wie heißen Sie denn? Ich bin Kendra. Und das ist meine Bella.«
Er streckte seine Hand in ihre Richtung und sie leckte ihm über die Finger – ein Sheltieküsschen für den armen Mann.
»Hubert.« Er schloss die Augen. Sein tiefer Atemzug entwich ihm durch die Lippen in einem Wölkchen. Es schien, als hätte ihn das viel Kraft gekostet.
»Hubert. Schön. Und Ihr Nachname?« Wenn ich diesen kannte, konnte ich ihn womöglich im Internet finden und bei ihm anrufen. Die alten Leute standen hier fast alle noch im Telefonbuch.
»Scheener Hund. Is des e Collie?«
Bella saß jetzt zwischen uns. Wir drei wärmten uns so zumindest ein klein wenig gegenseitig. Er strich ihr übers Fell. Mir war klar, dass hier Bellas geheime Kraft wirkte. Wenn es mir nicht gutging, dann war sie mir auch immer ganz nahe. Ich kraulte sie, spürte ihre Anwesenheit und entspannte mich. Kurz darauf sah die Welt schon weniger grau aus.
»Bella ist ein Sheltie. Die sehen so ähnlich aus. Sind aber kleiner, filigraner und quirliger.« Wie oft hatte ich diese Sätze schon gesagt?
»Is e richtisch scheener Hund«, wiederholte er. Allerdings wäre mir sein vollständiger Name lieber gewesen. Die Kälte kroch mittlerweile unangenehm die Beine hoch.
»Wissen Sie, wie lange Sie schon hier liegen?«
Ich wünschte, dass ich ihm meine Jacke geben könnte, aber es war so furchtbar kalt. Die Sonne hatte es noch nicht geschafft, hier die Reifkristalle schmelzen zu lassen. Immer wieder pfiff ein Wind die Wegschneise herunter und ließ nicht nur mich zittern.
»Opa!«, tönte entfernt eine Stimme.
Bella sprang weg und reckte ihr Näschen in die Luft.
»Ich glaube, wir bekommen Gesellschaft«, sagte ich zu Hubert und stand auf. »Ich schau nur schnell nach und bin gleich wieder da.«
»Opa. Hörst du mich?«
»Hier!«, rief ich und eilte um die Hecken. Auf halben Weg zwischen Sportplatz und mir kam ein Mann in blauer Winterjacke angelaufen. Als er mich sah, beschleunigte er seine Schritte. Ich winkte ihm entgegen. Endlich Hilfe. Und der Rettungswagen würde auch gleich da sein.
»Er ist hier!«, rief ich wieder und Bella stimmte in mein Rufen mit Bellen ein. Instinktiv ging ich rasch vier Schritte nach vorne, besann mich aber dann auf Hubert. Deshalb gab ich seinem Enkel ein Zeichen, mir zu folgen und ging wieder zurück.
»Haben Sie gehört? Ihr Enkel ist gleich da.« Auch eine Sirene war jetzt, zwar noch entfernt, aber eindeutig zu vernehmen. »Und auch gleich Sanitäter.« Erleichterung gepaart mit einer nicht geringen Portion Stolz durchflutete mich.
Bella küsste auf Hundeart den alten Mann auf seine faltige Wange, der sofort lächelte.
Schritte knirschten auf Steinen, dann sah ich im Augenwinkel Blau. Ich schaute hoch. Huberts Enkel öffnete den Reißverschluss seiner Winterjacke, kniete sich hin und legte sie über seinen Großvater.
»Opa, was machst du denn allein hier? Was ist passiert?« Er sah sich um, hob seine Augenbrauen und schürzte dann seine Lippen. »Der nächste Weinberg oben war mal deiner«, stellte er fest. Bisher hatte er sich ganz auf seinen Großvater konzentriert, der verkniffen die Lippen zusammenpresste und offensichtlich nicht antworten wollte.
Die Sirenen kamen näher.
»Ich geh um die Ecke, damit sie wissen, wohin sie fahren sollen.«
Nur kurz sah der Jüngere zu mir hoch. Er hatte blaue Augen, die die Farbe des Winterhimmels hatten. Ein merkwürdiger Gedanken in dieser Situation.
»Danke.«
»Keine Sache«, gab ich zurück und ging wieder auf die Kreuzung und ein paar Meter Richtung Sportplatz. Ein Geländewagen rauschte den Wirtschaftsweg auf uns zu. Dahinter bog gerade der Rettungswagen auf selbigen. Ich winkte, um sie aufmerksam auf uns zu machen. Die Sirenen verstummten. Bella und ich machten den Fahrzeugen Platz, die kurz hintereinander eintrafen und parkten.
Eine ältere Frau stieg aus dem Geländewagen, funkelte mich kurz an. War sie sauer? Wahrscheinlich missverstand ich diesen Blick und es war Besorgnis. Da ich den Notruf abgesetzt hatte, ging ich zum Rettungswagen.
»Haben Sie angerufen?« Der Sanitäter, ganz in weiß gekleidet, überragte mich locker zwei Köpfe und war ein breiter-bulliger Typ. Sein Kollege war etwas kleiner, auch breit, aber eher mollig. Er deutete mit dem Kopf Richtung Dreiergruppe auf dem Weg, was der Bullige mit einem »Ich geh dann mal hin« kommentierte.
»Ja, ich habe ihn gefunden. Leider weiß ich nicht, wie lange er schon da lag. Kurz vor Ihnen traf der Enkel ein, der ihn suchte. Er sagt, er wäre nicht auf den Kopf gefallen, aber klagt über Schmerzen an der Seite und der Hüfte«, erzählte ich.
Statt mich anzusehen, sah er zu seinem Kollegen, der Hubert mit Hilfe dessen Enkel aufrichtete. Der alte Mann rutschte mit einem Fuß weg, packte den Sanitäter am Hemd und hinterließ dort einen dreckigen Handabdruck. Sie kämpften ein wenig, um zu dritt in Balance zu kommen, während die Frau unentwegt sprach. Es sah aus, als würde sie schimpfen.
»Na, dann gehen wir auch mal hin.«
Ich folgte dem bulligen Sanitäter, der alles andere als eine zufriedene Miene machte.
»Warum han Se denn de Notruf gewählt? So unnetig!«, schimpfte die Frau, kaum, dass ich bei ihr war.
»Weil ich ihn so hier fand. Er konnte mir nicht mal seinen Namen am Anfang sagen«, stotterte ich völlig überrascht von ihrer aggressiven Art.
»Jeder kennt ihn. Statt diese Mensche vun wichtige Dinge abzuhalte, hätten Se irgendwen aus Weinsweiler anrufen kenne, der Ihne hilft, mein Mann hämzubringe. Stattdesse musst er hier in de Kält liege.«
»Aber ...«, setzte ich zu meiner Verteidigung an.
Da fiel mir schon der bullige Typ in Weiß ins Wort. »Es gibt richtige Notfälle. In Zukunft tasten Sie die Person ab und wenn nichts raussteht und keine offene Wunde da ist, können Sie das Problem mit Hilfe anderer aus dem Ort lösen.«
War ich hier gerade im falschen Film? Ich hatte dem alten Mann doch nur helfen wollen. »Ich bin doch kein Arzt«, dachte ich laut.
»Richtig unnetig die Aktion«, wiederholte die Frau ihre Meinung wie eine Lehrerin zu einem begriffsstutzigen Kind.
Völlig fassungslos stand ich am Wegesrand und sah zu, wie ihr Enkel und der mollige Sanitäter Hubert in den Geländewagen hievten. Sie selbst brachte den Rollator hin. Weder wurde Hubert abgetastet, noch in irgendeiner anderen Weise untersucht. Dem Dreckfleck am Hemd wurde mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Das natürlich nicht, ohne weitere Worte zu verlieren, die ich dank dem Wind nicht hören konnte, und einem genervten Blick zu mir. Ich verstand das Ganze überhaupt nicht.
Die missgestimmte Gesellschaft verabschiedete sich voneinander. Dann fuhr erst der Rettungswagen weg, gefolgt vom Geländewagen. Nur der Enkel war zurückgeblieben und kam auf mich zu. Na prima, noch eine verbale Keule zum Abschluss des Ganzen war genau das, was das i-Tüpfelchen wäre. Er trug wieder seine Jacke und zog sich die Handschuhe im Gehen an.
Ich ging ihm entgegen, bereit, mit einer kurzen Entschuldigung ganz schnell mit Bella weiterzugehen.
Wieder wurde ich überrascht, da er mir nicht nur die Hand entgegenstreckte, als wir voreinander standen, sondern auch ein leichtes Lächeln und eine entspannt-freundliche Miene mich begrüßten.
Noch etwas in Habachtstellung, griff ich nach seiner Hand, mit der er meine sanft drückte.
»Bitte verzeih. Meine Oma war wirklich sehr in Sorge. Danke, dass du dich gekümmert hast.« Erst jetzt ließ er meine Hand wieder los.
»Ich kenne hier niemanden, sonst hätte ich jemanden um Hilfe gerufen«, entschuldigte ich mich immer noch völlig überfahren vom Verlauf dieser Rettungsaktion.
»Schon in Ordnung. Sie hat es nicht so gemeint. Ich geh jetzt mal zu ihnen. Danke nochmals.« Er wandte sich ab.
»Entschuldigung?«
Er blieb stehen und drehte sich noch einmal zu mir um. »Ja?«
»Wie heißt denn dein Opa mit Nachnamen? Nur, damit ich ihn bei Gelegenheit ansprechen kann.«
Der Mann kam wieder zurück. »Wie unhöflich. Mein Opa ist Hubert Wirrig vom Weingut Wirrig. Das ist nur unweit vom Sportplatz. Und du bist?«
»Kendra. Kendra Brandt. Meine Mutter ist hier aufgewachsen und hat das Haus meiner Großmutter geerbt.« Ich streckte ihm unsinnigerweise die Hand beim Vorstellen hin. Trotzdem schüttelte er sie schmunzelnd noch einmal. »Ich heiße Johannes Becker. Freunde nennen mich Jo. Jetzt kennst du schon mal drei Leute mehr im Ort. Wir sehen uns.«
Ich schaute ihm einen Moment nach und schlug dann die entgegengesetzte Richtung an. Bella hatte sich noch eine kleine Toberunde verdient.
Kapitel 2
Meine Mutter sah erschöpft aus. Ich hatte einen Linseneintopf aus der Dose aufgewärmt, was mich wieder daran erinnert hatte, dass ich kochen lernen sollte. Gesunde Ernährung war sicherlich etwas anderes. Doch ich hatte die Kälte den ganzen Tag fröstelnd gespürt und ein Eintopf war genau das Richtige, um sich von innen zu wärmen.
»Die neue Arbeit ist anstrengend?«, fragte ich, um ein Gespräch in Gang zu bringen. Nach ihrem Umzug hatte sie einen Job bei einem Heizungsbauer mit Kaminstudio gefunden, weshalb sie ab und an auch Wochenenden dort war. Sie arbeitete sowohl im Büro als auch im Studio.
»Ich muss mich nur daran gewöhnen. Die Kollegen sind nett und helfen gerne, aber ich will ja zeigen, dass ich den Job kann.« Sie strich mir über den Handrücken. »Wie war dein Tag?«
»Stell dir vor, ich habe einen alten Mann in den Weinbergen gefunden. Er war mit seinem Rollator unterwegs und gestürzt.« Ich legte den Löffel ab.
»Wie furchtbar. Hat er sich etwas getan?« Meine Mutter drückte meine Hand und sah mich erschrocken an.
»Ich glaube nicht. Der Rettungswagen hat ihn nicht mitgenommen, sondern seine Frau. Die war ziemlich sauer, dass ich den Notruf gewählt hatte.« Mich schüttelte es bei dem Gedanken an die unerwarteten Reaktionen der Beteiligten. »Er heißt Hubert Wirrig.«
Sie erstarrte für eine Millisekunde, entzog mir die Hand und verschränkte die Arme. »Manche ändern sich nie. Da will man Gutes tun und der Dank sind schlechte Worte und Gerede. Unfassbar.« Mit ihrer heftigen Reaktion hatte ich nicht gerechnet. Ihr Hals rötete sich und ihr Gesicht verzog sich verärgert. »Wenn du einem dieser Wirrigs oder Beckers wieder über den Weg laufen solltest, dann dreh dich am besten um und gehe.«
»Das klingt so, als hättet ihr eine gemeinsame, unschöne Vergangenheit.« Was mich neugierig machte.
»Schatz, ich bin hier aufgewachsen. In so einem kleinen Ort hat fast jeder mit jedem irgendeine Vergangenheit. Es gibt viele schöne Erinnerungen, sonst hätte ich Omas Haus einfach verkauft. Aber eben auch andere.« Sie blickte einen Moment starr aus dem Küchenfenster. Draußen war es dunkel. Durch die Mauer unseres Hofes warf die Straßenlaterne nur spärliches Licht hinein. Doch ich konnte erkennen, dass Schneeflocken fielen. Meine Mutter seufzte. Dann entspannte sich ihre Miene. Sie blickte wieder zu mir, lächelte und nahm ihren Löffel. »Lass uns die Linsensuppe essen, bevor sie kalt wird und über etwas Angenehmeres sprechen.« Sie aß langsam weiter.
In meinem Gehirn ratterte es. Mir wurde das erste Mal bewusst, dass ich über ihre Kindheit und vor allem Jugend in Weinsweiler gar nicht viel wusste.
»Gibt es eigentlich Fotos aus deiner Zeit hier?«
Sie schaute hoch und deutete zur Decke. »In Omas Zimmer sind Alben. Du kannst gerne reingehen und schon sortieren, was wir behalten wollen und was auf jeden Fall weg kann. Ich schiebe das schon eine ganze Weile vor mir her.«
»Sag mir, wo ich dir helfen kann. Solange ich hier bin, packe ich an, wo ich kann. Wir sollten eh mal über deinen Renovierungsplan sprechen.« Bisher waren nur ihr Schlafzimmer und das Gästezimmer, das ich derzeit mit Bella bewohnte, komplett renoviert. Die Möbel stammten aus der alten Wohnung. Im zweiten früheren Kinderzimmer war mein ganzes Zeug, so weit ich es aktuell nicht brauchte, eingelagert.
»Du solltest dich nicht als Handwerker betätigen, sondern dich auf deine Bewerbungen und die Wohnungssuche konzentrieren. Eine Schande, dass du nicht einmal eine Kündigungszeit hattest.«
Nicht schon wieder.
»Mama, weißt du, wie schrecklich das gewesen wäre, noch Monate mit Jens zusammenzuarbeiten? Allein der Gedanke, ihn mit ihr im Büro zu sehen ...« Ich schob den fast leeren Suppenteller von mir. »Der Aufhebungsvertrag war das einzig Richtige. Außerdem genieße ich jetzt erst einmal Weihnachten und Silvester hier bei dir. In dieser Zeit werden eh keine Vorstellungsgespräche geführt.« Ich verengte die Augen und verschränkte als übertriebene Geste die Arme vor der Brust. »Oder willst du uns loswerden?«
»Euch? Bella darf so lange bleiben, wie sie möchte«, konterte meine Mutter prompt. Dann lachten wir beide.
»Ich freue mich, dass du da bist. Es ist doch manchmal recht einsam«, sagte sie mit gedämpfter Stimme.
»Es ist vier Jahre her.« Ich stoppte, weil sie aufstand.
»Ich sagte vorhin, dass wir über schöne Dinge reden wollen.« Sie schenkte mir ihren intensiven Blick mit hochgezogener Augenbraue.
»Dates sind schöne Dinge«, gab ich direkt zurück.
»Lass das mal meine Sorge sein. Ich spüle schnell unser Geschirr. Danach können wir gerne den Ordner holen und über die Renovierung sprechen.« Das klang wie eine Drohung. Abgesehen davon sah sie müde aus.
»Ich geh mit Bella die letzte Runde und dann wollte ich noch an einem Auftrag arbeiten. Wäre das okay für dich?« Sollte sie ruhig glauben, dass ich bereits als Freelancerin tätig war. So würde sie eher nach dem Spülen eine Pause machen, vielleicht ein Buch lesen oder etwas fernsehen, statt mich mit Renovierungsplänen bespaßen zu wollen, die morgen auch noch da waren.
»Du willst jetzt noch arbeiten? Du brauchst auch Feierabend, Schatz.«
Ich winkte ab. »Ich hatte den ganzen Nachmittag frei. Aber mir ist gerade eine Idee eingefallen, die ich ausprobieren möchte.«
»Übertreib es nicht. Ist auch nicht gut bei diesem Licht für deine Augen. Licht! Nimm die Taschenlampe mit.« Sie nahm mir mein Geschirr ab, das ich zur Spüle tragen wollte.
»Ich habe doch die neue coole Mütze mit LED-Licht. Damit habe ich die Hände frei.«
Ein Wuff aus dem Flur rief mich. Noch ein Küsschen auf die Wange meiner Mutter und ich ging zu Bella, die bereits schwanzwedelnd neben meinen Winterstiefeln saß.
»Na, Süße, noch eine schöne Runde im Schnee?«
Sofort sprang Bella auf. Ich zog mich schnell warm an und zog ihr das Halsband über den Kopf. Die Dame trug zuhause nie eines, um ihr wunderschönes Fell zu schützen. Stattdessen nutzte ich ein schönes Zugstopp-Halsband.
Kalter Wind schlug uns beim Öffnen der Haustür entgegen. Aber das, was ich sah, ließ mich das Frösteln vergessen. Es hatte nicht viel geschneit, doch alles war von einer Puderzuckerschneeschicht bedeckt und glitzerte im Mondlicht und dem Schein der Straßenlaterne. Es erschien mir sträflich, diese unberührte Kristalldecke mit Fußspuren zu verschandeln. Doch Bella war das einerlei. Schon schlüpfte sie an meinen Beinen vorbei und nutzte die komplette Länge der Leine. Welchen Hund interessierte schon der Schnee, wenn die Natur auf andere Art und Weise rief? Ihr vorwurfsvoller Blick folgte auf der Pfote, weil ich immer noch an der Türschwelle stand. Es sah aber auch alles so faszinierend und irgendwie magisch aus.
»Du hast recht. Los geht’s«, antwortete ich auf ein halb geschnieftes Wuff. Ich folgte Bella zum Hoftor, wo sie brav wartete, bis ich es geöffnet und rausgeschaut hatte.
Der Winterzaubermoment war vorbei. Reifenspuren hatten den Schnee von der Straße fast gänzlich weggespritzt. Das, was noch da war, war schmutzig und matschig.
»Okay«, gab ich Bella das Kommando auch rauszugehen.
Das Haus meiner Großmutter lag in der Nähe des Marktplatzes. Daher war hier wegen der Parkplätze etwas mehr Verkehr. Nur fünf Minuten Fußmarsch und wir passierten das letzte Haus am ersten Weinberg. Ich knipste meine Mützenlampe an und freute mich, der erste Mensch zu sein, der seit dem Schneefall hier seine Spuren hinterließ. Es knirschte leise unter meinen Stiefeln.
Bella schnüffelte begeistert. Ob der Schnee den Geruch veränderte? Immerhin waren wir heute Mittag diesen Weg gegangen.
Ob es Hubert gut ging? Je näher ich der Stelle kam, die zur Wegkreuzung führte, desto präsenter wurde mir die Situation und ich regte mich auf. Die Medien propagierten Zivilcourage und wenn man dann mal half, war es falsch. Das konnte es doch nicht sein. Hatte ich einen Röntgenblick, um zu sehen, was hätte gebrochen sein können? Klar, weil abtasten vollkommen genügt.
Deswegen wird im Krankenhaus auch nie geröntgt, wenn jemand stürzt, dachte ich sarkastisch. Hoffentlich kommen die zwei Typen nicht dann, wenn ich sie im Notfall mal brauche.
Ein Lichtstrahl kam um die Kurve. Bella blieb starr stehen und reckte ihre Schnauze in die Richtung.
»Brav. Ich sehe es. Mal sehen, wer da kommt«, sagte ich zu ihr. »Fuß.« Schon rückte mein Liebling brav an mein linkes Bein und setzte sich, sobald ich am Rand des Weges stand.
Der Lichtschein wurde größer und eine große Gestalt kam um die Kurve. Zuerst erkannte ich gar nichts.
Bella wuffte.
»Scht«, zischte ich, um sie direkt zur Ruhe zu bringen.
»Ach, damit hätte ich aber nicht gerechnet.« Die Lampe wurde tiefer gerichtet, so dass ich nicht mehr angestrahlt wurde. Zuerst erkannte ich eine blaue Jacke und dann auch den Menschen darin.
»Herr Becker. Was ein Zufall.«
»Jo. Herr Becker fühlt sich furchtbar alt an.« Er grinste mich an. »Außerdem glaube ich, dass wir ungefähr im selben Alter sind. Da duzt man sich doch. Oder müssen wir erst auf das Du was trinken?«
»Was? Aber nein.« Ich winkte ab. »Du machst auch einen letzten Spaziergang für heute?«
»Nicht wirklich. Mein Opa war der festen Überzeugung, dass er bei seinem Sturz seine Schlüssel verloren hat. Er ist erst ins Auto mit meinem Vater, als ich losgestapft bin.«
Das klang doch gut.
»Dann ist alles in Ordnung, wenn er schon wieder on Tour ist?«
»Sie fahren in die Notaufnahme. Er hat immer noch Schmerzen und der Hausarzt hat empfohlen, dass er dort noch einmal durchgecheckt wird.«
Ich biss mir auf die Unterlippe, um nicht meinem ersten Impuls zu folgen. Dafür dachte ich es: Hätten die zwei Sanitäter mal ihren Job ordentlich gemacht.
»Hätten die Knalltüten in Weiß mal ihren Job ordentlich erledigt«, kam es stattdessen laut von Jo. »Ich hab‘ das gleich meiner Oma gesagt. Die alten Leute wollen immer nur kein ‚Aufhebens‘ machen, wie sie das nennt.«
»Das tut mir echt leid. Vielleicht hätte ich mehr bohren sollen, damit er sich früher erinnert, wer er ist und wen ich anrufen kann.«
»Du hast ja wohl alles richtig gemacht. Mir tut es leid, dass du so angefahren wurdest.« Er trat noch ein Stückchen näher und sah mich nachdenklich an. Dann entspannte sich sein Gesicht und er schürzte kurz seine Lippen. »Wir sollten auf das Du anstoßen. Das gehört sich doch so. Außerdem könnte zumindest ich mein Dankeschön bei einem Glas Wein zum Ausdruck bringen. Morgen Abend?«
Was? Ausgehen? Hatte ich mich gerade verhört?
»Oder hast du etwas vor?« Er legte den Kopf schief. Fast wie Bella, fuhr es mir sofort in den Sinn. Damit hatte er mich. Auch ohne diesen bittenden Blick, den er aufgesetzt hatte.
»Nein.«
»Gut, dann um acht in der Pizzeria? Ich lade dich ein.« Jo rieb sich mit dem behandschuhten Handrücken über die rote Nasenspitze. »Dann bis morgen.« Er ging neben uns in die Weinbergsreihe und folgte dieser. Es war eine beliebte Abkürzung, durch die Reihen zu gehen, allerdings im Dunkeln auch mit jeder Menge Stolperfallen versehen.
Ich sah ihm kurz nach. War das ein Date?
Kapitel 3
Unweit des Marktplatzes war die Pizzeria des Ortes. Eigentlich eine Dorfkneipe, die irgendwann von einem Italiener gekauft und renoviert worden war. Ich war schon ein paar Mal daran vorbeigelaufen, allerdings war ich noch nicht drinnen gewesen.
»Bella, du bist brav, bis Mama heimkommt«, verabschiedete ich mich von ihr. Ich ließ sie das erste Mal seit unserem Umzug allein. Um es ihr zu versüßen, gab es einen großen Kauzopf. Sie sah mich mit ihren blauen Augen kurz an, zog die Leckerei zu sich in ihr Kuschelbett und fing an zu knabbern. Ich zog den Reißverschluss komplett hoch und schlüpfte im Flur rasch in meine Wintersneakers.
Es hatte den Tag über immer wieder leicht geschneit, allerdings war nichts liegengeblieben. Eigentlich war ich kein Wintermensch. Es war mir zu kalt. Aber ich konnte mich der Faszination weißbepuderter Landschaften und vor allem dem Glitzern nicht entziehen. Dafür musste das Licht im richtigen Winkel auf die Kristalle treffen und wenn das geschah, war der Moment für mich magisch. Zumindest hier konnte ich mich nicht gegen meine kleine romantische Ader wehren.
Ich verließ den Hof und bog nach rechts. Es lagen nur vier Häuser zwischen uns und dem Ende der Straße.
»Hey!«
Ich blieb stehen. Der Ausruf war kaum zu hören gewesen und das darauffolgende Kichern war gedämpft. Dann eine Bewegung im Schatten vor mir. Es war ein Pärchen, das im Hauseingang des leerstehenden Eckhauses die Finger nicht von sich lassen konnte. Ich hörte leises Schmatzen.
»Nicht ... wir ...«
Um auf mich aufmerksam zu machen, hustete ich. Leider hatte ich keine Option, einen anderen Weg zu nehmen und musste an ihnen vorbei.
Die Gestalten fuhren auseinander. Er drehte den Kopf weg. Sie schürzte mit genervtem Gesichtsausdruck ihre Lippen und strich sich eine lilafarbene Strähne unter die Kapuze ihrer Jacke.
»Hier gibt es nichts zu sehen«, zischte sie mir zu, wobei sie ebenfalls versuchte, ihr Gesicht von mir wegzudrehen.
Als ob ich wissen wollte, wer sich wie in dunklen Ecken herumtrieb! Geht doch nach Hause, wenn ihr ungestört rumknutschen wollt! So einiges ging mir durch den Sinn, doch ich zog nur den Kopf ein und schwieg. Es war nicht meine Baustelle, wie man so schön sagte. Meine Mutter hatte viel Wert daraufgelegt, mir beizubringen, dass Tratsch und Intrigen, die es zumaß auf dem Land gab, schlecht waren.
Mit schnellen Schritten ging ich an den beiden vorbei und überquerte die Marktstraße. Die Pizzeria war in einer kleinen Sackgasse hinter dem Marktplatz. An der Außenfassade hing noch das alte geschmiedete Schild mit einem runden Rahmen aus Weinlaub, in dessen Mitte auf einem Brett ein Römerglas und ein Weinkrug standen. Über dem Eingang hingegen flackerte etwas uncharmanter eine Neonschrift, die ins ‚Trullo d’Oro‘ einlud. Es passte so gar nicht zu dem schönen Fachwerkhaus.
Puh, jetzt war ich doch etwas nervös. Es war schon einige Zeit her, dass ich ein Date gehabt hatte. Wollte ich überhaupt eines? Was wusste ich denn von Johannes Beckers Absichten? Hier draußen würde ich es nicht erfahren. Also, Schultern straffen, reingehen und den Abend genießen.
Ich ging drei Stufen bis zur Eingangstür hoch und öffnete die schwere Eichentür. Helles Licht blendete mich und ein appetitlicher Geruch nach Oregano, Knoblauch und Basilikum stieg mir augenblicklich in die Nase.
War Jo schon da? Ich sah mich in dem großen Raum um. Links war eine mächtige Theke, hinter der es in die Küche ging. Holzbalken und -stützen dominierten den Raum. Sie waren, wie die alten, aufbereiteten Möbel, dunkelbraun gestrichen. Es sah gemütlich aus. Um die Deckenbalken waren künstliche Weinranken mit Blättern und Trauben gewickelt, in denen kleine Lichter wie Glühwürmchen leuchteten. Die Tische hatten weiße halblange Tischdecken und darüber quadratische grüne, deren Ecken über die Seitenkanten hingen. Natürlich flackerte auf jedem besetzten Tisch eine Kerze.
Jo saß in der Ecke und winkte mir zu. Wieder zog mich das Blau seiner Augen an. Er gefiel mir. Deshalb war ich hier. Nicht nur sein attraktives Äußeres sprach mich an. Ich mochte auch die Art und Weise, wie er mit mir gesprochen hatte, wie wichtig ihm sein Großvater war und die Tatsache, dass ich mich mehrfach ertappt hatte, wie ich an ihn gedacht habe. Mal sehen, was der Abend uns bescheren würde. Ich winkte kurz zurück und hängte meine Jacke an die Garderobe an der Tür.
Jo stand auf. Würden wir uns besser kennen, hätte ich mich über eine Umarmung zur Begrüßung gefreut. Sollte ich ihm die Hand geben? War das zu formell?
Er hob kurz die Hand, machte dann aber einen Schritt zur Seite und zog mir ganz galant den Stuhl unter dem Tisch vor. »Schön, dass du gekommen bist.«
Ich musste grinsen, setzte mich aber direkt und rückte den Stuhl zurecht, während Jo wieder auf seinem Platz nahm.
»Nach dieser Einladung? Wer hätte da schon ablehnen können?«, scherzte ich und nahm die Speisekarte entgegen, die mir Jo reichte.
»Ich freue mich, dass ich mich auf diese Art bedanken kann. Und weil du hier noch niemanden kennst, dachte ich, das sollte man ändern.«
Meine kurze Verwirrung wurde von der laut knarrenden Eingangstür unterbrochen.
»Da sind sie ja«, verkündete er.
Ein Pärchen kam herein. Sie schob die Kapuze von ihrem Kopf. Das Erste, was ich sah, war ihre lila Strähne im Pony des sonst blonden Haares. Warum wunderte mich das bei der Winzigkeit des Ortes überhaupt? Hinter ihr folgte ein großer Typ, der von der Statur und der Silhouette der Kerl aus dem Hauseingang sein musste. Er zog seine Wollmütze ab. Sie kamen zu uns.
»Das sind Valentina und Frederik«, sagte Jo knapp, bevor sie an unserem Tisch waren. Ehe ich erwidern konnte, dass ich ihnen bereits begegnet war, stand er auf und küsste die Blondine – auf den Mund. War ich vorher schon baff gewesen, raubte mir das Bild sämtliche Worte.
Sie schmiegte sich kurz an ihn, bevor dieser innige Moment von Frederiks lautem »Ihr seid nicht allein« beendet wurde.