Love & Cache - Sissi Steuerwald - E-Book

Love & Cache E-Book

Sissi Steuerwald

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Beschreibung

Amelie genießt ihre Freiheiten. Dazu gehört es auch, ihre Freizeit in der Natur zu verbringen und mittels GPS-Gerät versteckte Dosen zu suchen. Als sie dabei einen großen Sack voller Knochen findet, wird ihr Leben auf den Kopf gestellt. Immer wieder trifft sie auf den attraktiven Polizisten Daniel Stark, der ihr Herz höher schlagen lässt. Einem heimlichen Verehrer missfällt diese Entwicklung sehr. Während Amelies und Daniels Gefühle auf der Überholspur rasen, wird der Fremde aufdringlicher. Wie weit wird er gehen, um sein Ziel Amelie, für sich zu haben, zu erreichen?

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Widmung

1

2

3

4

5

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38

Ich danke Dir

Über die Autorin

Impressum

 

SISSI STEUERWALD

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

LOVE

&

CACHE

 

Verfolgt von der Liebe

 

 

 

 

Sei die Heldin deines Lebens, nicht das Opfer.

Nora Ephron

 

 

 

 

 

 

 

 

1

 

Nur noch 20 Meter.

Ich schaute noch einmal auf mein GPS-Gerät und dann suchend vor mich. Wenn ich Glück hatte, war das ein FTF für mich. Das wäre richtig cool.

Als der Cache veröffentlicht wurde, hatte ich gerade Mittagspause, sprang schnell ins Auto und gab Gas. Nichts ging über die Freude, sich als Erste in ein jungfräuliches Logbuch einzutragen und damit FTF, also „First to find”, zu machen – einfach riesig!

Na ja, vielleicht dachte so nur ein Single. Aber aktuell gab mir das Geocaching die Highlights meines Lebens. Darum war es richtig gut, dass ich zu diesem Ort nur zwanzig Minuten fahren musste. Von der Stelle, wo ich mein Auto parkte, zu den Zielkoordinaten waren es nur wenige Minuten zu Fuß.

Meine Vorfreude stieg, als ich mich in die Hecken schlug. Nichts deutete darauf hin, dass jemand vor mir hier gewesen war. Mega!

Ich spürte das Kribbeln im Bauch, das ich immer hatte, wenn das FTF zum Greifen nah war.

Nur noch zehn Meter.

Gleich würde ich mich als Erste eintragen.

»Autsch«, entfuhr es mir. Ein Ast schlug mir ins Gesicht. Die Geländeschwierigkeit hätte ich höher als 1,5 gesetzt. Immerhin war 1,0 die einfachste und 5,0 die höchste Einordnung des Schwierigkeitslevel – sowohl beim Gelände, als auch beim Finden des Caches.

Schade, in ein paar Wochen würde hier wahrscheinlich eine deutliche Spur zu sehen sein. Je mehr Geocacher eine Dose angingen, desto deutlicher waren Pfade zu erkennen – Cacherautobahnen.

»Dann passt die Bewertung wieder«, murmelte ich ein wenig wehmütig. Deshalb bevorzugte ich neue und junge Dosen, wie Caches auch gerne genannt wurden.

Nur noch ein paar Schritte nach rechts. Wobei ich hier ziemlich gebückt gehen musste. Von normalen Schritten konnte hier kaum die Rede sein.

»Was ist denn das?« Mein Blick wurde von etwas großem Grauschwarzen angezogen, allerdings links von mir. Ich versicherte mich mit Blick auf mein GPS, dass mein eigentliches Ziel in der entgegengesetzten Richtung lag.

Mhm, sollte der Owner sich bei den Koordinaten vertan haben? Das würde ich gleich herausfinden.

Von meiner Neugierde befeuert, wechselte ich die Richtung und pirschte mich an den Sack heran. Dies erkannte ich nämlich beim Näherkommen.

Wie groß der Plastiksack war, erstaunte mich ein wenig, als ich daneben in die Hocke ging. Er musste schon länger hier liegen. Das Material sah verwittert und dreckig aus. Zudem war es aufgerissen.

Was wohl darin war? Langsam umrundete ich den Fund, um einen Blick in die Öffnung zu werfen. Wer das hier abgelegt hatte, wollte, dass es nicht gefunden wurde.

»Was …?« Ich sah Knochen – große Knochen. Auch als Laie konnte ich Rippen und eine Wirbelsäule identifizieren. Wirklich? »Das gibt es doch nicht!«

Meine Finger zitterten, als ich das Handy aus der Innenjackentasche zog.

Ich muss das melden, ging mir durch den Kopf. Hab‘ ich hier Empfang? Ja, gut.

»Hallo? Mein Name ist Amelie Kronauer. Wahrscheinlich klingt das jetzt komisch, aber ich habe einen großen Sack mit Knochen gefunden. Die sind ziemlich groß und ich erkenne eine Wirbelsäule und Rippen«, ratterte ich los.

»Ganz ruhig, Frau Kronauer. Könnte es ein Tier sein?«, fragte die Frauenstimme der Notrufnummer. Ich konnte hören, dass sie auf eine Tastatur hämmerte.

»Um ehrlich zu sein, sind die Knochen wirklich sehr groß. Viel größer als von einem Hund oder so.« Die Aufregung in mir wuchs mit jeder Sekunde. Diese Knochen vor mir, die konnten wirklich menschlich sein. Ein Schauer lief mir über den Rücken. »Können Sie schnell kommen?«

»Ich schicke Kollegen vorbei, Frau Kronauer. Wo genau befinden Sie sich?«

Wie ruhig diese Frau bleiben konnte. Was, wenn das hier menschliche Überreste waren? Daran wollte ich gar nicht denken, aber ich konnte den Blick nicht von der Wirbelsäule abwenden. Diese Größe erschreckte mich erneut.

»Ich bin an der Landstraße zwischen Tellsweiler und Braunwann am Mitfahrerparkplatz«, antwortete ich. »Ich könnte Ihnen die genauen GPS-Koordinaten schicken, wenn das hilft.« Es folgte ein kurzes Schweigen in der Leitung.

»Danke, das brauche ich nicht. Ihr Standort ist bereits übermittelt. Bitte warten Sie auf dem Parkplatz. Es wird nicht länger als zehn Minuten dauern.«

Obwohl die Frau am anderen Ende der Leitung es nicht sehen konnte, nickte ich, bevor ich »Geht klar« antwortete. Schon war die Verbindung beendet. Mhm, zehn Minuten ungefähr. Zurück zum Parkplatz.

Ich sah auf den Sack vor mir. Kaum zu glauben, dass der Owner, der den Cache hier gelegt hatte, den Sack nicht entdeckt hatte. Oder hatte er es gesehen und ignoriert? Diese Frage konnte ich jetzt nicht beantworten. Aber ich konnte herausfinden, wer er oder sie war. Es gab nicht wenige, die ich in der Cacherszene kannte. Unter Umständen wollte die Polizei auch denjenigen befragen, der den Cache gelegt hat. Hierbei konnte ich helfen. Deshalb nahm ich nicht den direkten Rückweg zum Parkplatz. Mir tat es gerade gut, mich für einen kurzen Moment auf etwas anderes zu konzentrieren und mir keine Gedanken über den Inhalt des ungeplanten Fundes zu machen.

»Da bist du ja!« Vor mir stand hinter einem Baumstamm die Bierflasche, die ich als Logbuchbehälter vermutet hatte. Der Cachename lautete „Auf Pilssuche“. Ich ließ den Bügelverschluss ploppen, an dem die Logbuchkapsel befestigt war.

»FTF! Yes!« Ich jubelte leise und freute mich wie ein kleines Kind, das Geschenke bekommt, als ich mich als erster Finder in das Logbuch eintrug. Trotz der Situation konnte ich mich gegen diese Freude nicht wehren. Schnell machte ich ein Foto vom Logbuch, auf dem der Owner vermerkt war.

Schnell versetzte ich alles wieder in seinen Ursprungszustand. Das alles beruhigte meine Nerven. Jetzt aber schnell raus aus dem Gestrüpp.

Als ich wieder unter freien Himmel stand und mich ganz aufrichtete, klopfte ich Blätter und anderes ab. Ein kurzer Check folgte, ob ich irgendwo eine Zecke krabbeln sah. Das war ja ein Paradies für diese Blutsauger, in dem ich mich gerade rumgetrieben hatte. Doch erfreulicherweise war ich nicht angegriffen worden. Um die Wartezeit zu überbrücken, setzte ich mich bei offener Tür auf den Fahrersitz meines Wagens und loggte online mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht meinen Cachefund. Noch eine kurze Meldung an meine Kollegin, dass ich mich verspäten würde.

Während ich ihr kurz schilderte, dass ich auf die Polizei warten würde und ihr alles weitere später genau erzählen würde, verließ mich die selbst herbeigeführte Euphorie über den FTF. Ich war kein Mensch, der schnell hysterisch wurde. Daher probierte ich es mit Galgenhumor, um weiterhin ruhig zu bleiben und fragte mich, ob die Polizei eine Entschuldigung ausstellte? Sowas wie:

Wir entschuldigen Frau Kronauer für ihre überzogene

Mittagspause, da sie eine wichtige Zeugin in einem

Mordfall ist.

Brrr. Gänsehaut-Feeling.

 

Es dauerte zwölf Minuten, bis ein Polizeiwagen auf den Mitfahrerparkplatz fuhr. Die Nervosität, die ich bis dahin fast unter Kontrolle bekommen hatte, wuchs wieder. Polizisten machten mich oft unruhig. Dabei hatte ich bisher nicht wirklich das Gesetz gebrochen. Vielleicht und unter Umständen ein wenig Hausfriedensbruch oder ähnliches, wenn der Cache an einen Ort gelegt wurde, ohne den Besitzer des Grundstücks um Erlaubnis zu fragen. Es war ja nicht meine Sache, immer zu checken, wem das Grundstück gehörte. Natürlich betrat ich keine eingezäunten und abgesperrten Bereiche, sofern dies nicht ausdrücklich erlaubt war. Leider hatte ich schon die eine oder andere Erfahrung machen dürfen, dass durchaus manche Besitzer und deren Hunde lautstark drohend ihr Grundstück beschützten, ohne kenntlich zu machen, dass es überhaupt bewacht wurde.

Bevor ich mein Hobby Geocaching entdeckt hatte, war mir nicht bewusst gewesen, dass es offensichtlich kaum ein Fleckchen Erde gab, das nicht irgendwem gehörte. Deswegen beließ ich mein Hobby beim Suchen, nicht beim Verstecken.

Einmal tief durchatmen, Amelie, sagte ich zu mir selbst in Gedanken. Ich bin nicht der Mörder. Während ich die Tür schloss, kroch mir eine Gänsehaut über die Arme. Das Wetter war definitiv nicht daran schuld.

Die beiden jungen Polizeibeamten kamen auf mich zu. Sie hatte blonde Haare, einen Pferdeschwanz und ungefähr meine Größe. Also etwa 1,73m. Auf dem Namensschild stand „Brühl“. Ihr Kollege war fast zwei Köpfe größer als wir. Grinsegrübchen, blond, Strubbellook und genau die Art von sportlichem Typ, der mir gefiel. Kein Muckibuden-Stammkunde auf Proteinüberdosis, sondern schön definiert, ohne übertrieben zu wirken. Und diese blauen Augen! Hatte ich je so ein Blau gesehen?

»Frau Kronauer?«, fragte der gutaussehende Polizist. Oje, hoffentlich war mein Scan nicht zu deutlich gewesen. Sah ich da ein kleines Schmunzeln? Ich konnte mich täuschen.

»Ja, Herr Stark«, antwortete ich mit Blick auf sein Namensschild. Das war ja mal ein passender Name. Jetzt nur nicht dämlich grinsen, ermahnte ich mich im Stillen.

»Na, dann zeigen Sie uns mal Ihre Entdeckung«, bat er.

»Ja, natürlich.« Darum waren wir immerhin hier versammelt. »Es ist nicht weit. Wir müssen allerdings in die Hecken.«

Fragend folgte sein Blick in die Richtung, die ich zeigte. Dann sah er wieder zu mir. Nein, so ein wunderschönes, strahlendes Blau hatte ich wirklich noch in keinen Augen gesehen.

»Ich schlage vor, Sie gehen voran«, sagte seine Kollegin.

»Klar.« Amelie, reiß dich zusammen!

Schon machten wir uns auf den Weg zu den Knochen. Wir kamen nur langsam voran, da ich darauf achten musste, keine Zweige ins Gesicht meiner Hinterfrau schlagen zu lassen. Offensichtlich war sie es nicht gewohnt, sich auf so einem Terrain fortzubewegen. Ihr Gesicht war verkniffen. Sie sah alles andere als glücklich aus.

An dem Plastiksack angelangt, mussten wir alle in die Hocke gehen. Plötzlich war die Ruhe der Beiden weg. Herr Stark und Frau Brühl wirkten beide mega aufgeregt. Die Polizeibeamtin zog blaue Gummihandschuhe aus ihrer Weste. Ich konnte deutlich sehen, wie ihre Hände zitterten. Der letzte Zug am zweiten Handschuh war so heftig, dass er einriss.

»So ein Mist«, fluchte die Polizistin, während ihr Partner sich vorbeugte und den Riss des Sacks auseinanderzog.

»Na, ein entsorgter Hund oder so ist das nicht. Da muss ein Fachmann her.« Schnell machte er ein paar Fotos mit dem Handy, schrieb etwas und steckte das Gerät wieder ein. »Dann gehen wir mal wieder auf den Parkplatz, bis Unterstützung eintrifft. Wir nehmen schon mal Ihre Personalien auf.«

 

Dieses Mal war die Polizistin die Erste. Scheinbar hatte sie es sehr eilig, wieder auf den Parkplatz zu kommen. Leider trampelte sie wie ein Wildschein vorneweg – ohne Rücksicht auf Verluste. Ich hatte alle Mühe, den Ranken und Ästen auszuweichen, die sie ungehindert nach hinten schnellen ließ. Warum hatte ich mir vorhin so die Mühe gemacht, dass sie nicht, wie ich, dauernd ausweichen musste?

»Shit«, fluchte ich, als es mich an den Haaren ziepte. Meine Haare hatten sich in einer Dornenranke verfangen. Das hatte ja so kommen müssen. Als ich nach hinten griff, um mich zu befreien, stießen meine Finger auf fremde.

»Nicht bewegen. Ich mach das«, raunte mir die dunkle Stimme meines Hintermannes zu. Genau das tat ich einen kurzen Moment. Ich ließ meine Finger auf seinen liegen, während seine dunkle Stimme vollends Schmetterlinge in meinem Bauch aufscheuchte. Ich wusste gar nicht, dass es sie noch gab.

Der Moment war leider nur sehr kurz, da er seine Hand sanft entzog, um die Haare aus den Dornen befreien zu können.

»Das war’s.« Er berührte mich fast, so nah stand er hinter mir. Himmel, seine Nähe machte mich ganz kribbelig. Die Schmetterlinge, die er aufgescheucht hatte, flatterten mit Vollspeed durch meinen Körper.

»Wollen wir heute noch einmal aus den Hecken raus kommen oder Wurzeln schlagen?«, schreckte uns die helle Stimme der Polizistin auf. Sie war stehengeblieben.

Ohne zu antworten, bewegte ich mich wieder vorwärts. Ich hörte ein Auto auf den Schotter des Wanderparkplatzes fahren. Eine Tür ging auf und zu. Die Unterstützung war wohl geflogen. Doch dann blickte ich beim Verlassen der Hecken in ein bekanntes Gesicht.

»Amy-Baby«, wurde ich freudig begrüßt. Tom, der sich TomTom21 nannte, nahm mich in die Arme, kaum, dass ich mich aufgerichtet hatte. »Hab’s gerade gesehen. Schon wieder warst du schneller als ich! Wie machst du das?« Dann flüsterte er mir ins Ohr: »Aber scheinbar hast du das Gesetz beim Cachen übertreten. Ich bin für dich da. Ein Wort und ich renne mit dir los.« Spinner! Trotz der ernsten Situation hinter mir, musste ich kichern.

»Sie haben unsere Kennzeichen«, flüsterte ich zurück.

»Und Sie sind?«

Tom zuckte und entließ mich wieder aus seinen Armen.

»Ich bin Thomas«, antwortete er knapp.

»Und weiter?« Der gutaussehende Polizist sah streng zu ihm. Meine Güte, selbst so dreinschauend, machte er mich angenehm nervös. Diese blauen Augen! Das würde noch zu meinem Mantra werden.

»Thomas Mauch.«

Seltsam. Wir liefen uns sooft über die Füße beim Cachen oder auf Events, aber bisher hatte ich noch nie seinen Nachnamen gehört.

»Und warum sind Sie hier?«

Tom sah von Stark zu mir, dann grinste er.

»Wettrennen mit der Dame hier. Aber sie war wieder mal schneller und hat sich den FTF geholt. Unverschämt ist das!«, erklärte er grinsend.

»Wettrennen? FTF? Wie bitte?« Die streng dreinblickende blonde Polizistin war zu uns getreten, nachdem sie irgendwas am Einsatzfahrzeug erledigt hatte.

»Wir sind Geocacher. Sie wissen schon: moderne Schatzsucher mit GPS-Geräten. Hinter Ihnen ist ein Cache, der erst vor knapp anderthalb Stunden veröffentlich wurde. Na ja, wer ihn zuerst findet und sich in das Logbuch einträgt, der hat das FTF. Das heißt übersetzt ‚First to find‘. Ich werde mich dann gleich als STF eintragen – ‚Second to find‘. Sie verstehen? Oder haben Sie das schon gemacht?« Tom lachte. Es fehlte nur noch, dass er einem der Beiden auf die Schulter schlug.

Und genau deswegen hatten wir nie ein Date, obwohl er mich schon das eine oder andere Mal gefragt hatte. Er konnte doch nicht seinen schrägen Humor Polizeibeamten überstülpen. Schon gar nicht diesen vor uns. Während Stark eine neutrale Miene beibehielt, war seine Kollegin ziemlich genervt.

»Hier werden Sie mal gar nichts machen. Ihre Spielwiese ist jetzt erst einmal gesperrt«, schimpfte sie energisch. »Ich werde gleich mal das Absperrband holen, bevor noch mehr Geocacher hier anrollen.«

Mir missfiel, wie sie die Worte Spielwiese und Geocacher verächtlich betonte. Zum Lachen ging die bestimmt in den Keller.

Toms Miene spiegelte meine Gedanken wider.

»Amelie, was ist denn überhaupt los?« Die Frage kam ja früh.

»Ich habe einen Sack mit Knochen gefunden.«

Er hob die Augenbrauen hoch.

»Echt jetzt? Und das Pils?«

Ich konnte nicht anders, als mit den Augen zu rollen.

»Das habe ich vorher gemacht«, schwindelte ich ein wenig. Irgendwie klang es selbst für mich im Nachhinein etwas merkwürdig, dass ich nach dem Fund den Cache geloggt hatte. Wobei Tom das durchaus verstanden hätte, aber Stark und seine Partnerin? Eher nicht.

»Also, Sie sind ins Gebüsch, um dort einen FTF zu machen und haben dabei den Sack mit den Knochen entdeckt?« Stark hatte ein Notizheft in den Händen. Oldschool, oder?

Ich nickte.

»Ich habe sofort den Notruf gewählt«, sagte ich noch schnell.

»Das war richtig. Können Sie mir bitte Ihren Personalausweis geben?«

Ich nickte wieder, um dann zum Auto zu gehen, um ihn zu holen.

Stark redete noch einmal kurz mit Tom, der nun weniger glücklich aussah. Scheinbar hatte er tatsächlich noch einmal versucht, zu klären, ob er nicht doch schnell loggen könnte. Denn ich sah, wie er in die Richtung deutete und der Polizist vehement den Kopf schüttelte. Man konnte es auch übertreiben. Trotzdem gestikulierte Tom. Doch sein Gesprächsgegner verschränkte die Arme vor seiner Brust. Mit strenger Miene blickte er stumm auf Tom herab, der fast einen Kopf kleiner als er war. Er hatte wohl alles gesagt, was zu sagen war.

Mit meinem Ausweis in der Hand stand ich an der geöffneten Autotür und beobachtete die Szene. Stark sah imponierend aus. Ich konnte mich gar nicht von seinem Anblick losreißen. Er drehte den Kopf und sah mich direkt an. Schnell senkte ich den Blick. Ups, hoffentlich hatte ich nicht gestarrt. Ich beeilte mich, um wieder zu ihm zu kommen.

»Ich geh dann jetzt, oder?«, sagte Tom gerade.

»Besser ist das«, war die Antwort des Uniformierten.

Tom drehte mit ziemlich genervter und sehr unzufriedener Miene ab. Neben mir hielt er noch einen Moment an, um sich zu mir zu beugen.

»Du hast aber auch immer so ein verdammtes Glück, Amy-Baby. Wir sehen uns bei der nächsten FTF-Jagd. Die gewinne dann ich.«

Ich musste grinsen.

»Da musst du früher aufstehen, TomTom.«

»Wenn ich den nächsten FTF mache und du in meiner Anwesenheit das STF loggst, bekomme ich ein Date mit dir als Siegesprämie.«

Würg. Gewiss nicht. Gerade wollte ich für eine passende Antwort ansetzen, da meldete sich mein Freund und Helfer zu Wort: »So etwas entscheidet dann wohl die Frau, nicht wahr? Und nun den Parkplatz räumen, sonst verbuche ich das unter Behinderung der Polizeiarbeit.«

Knurrte Tom da gerade neben mir? Egal, er ging ohne weitere Diskussion. Das war ja mal was.

»Ein Freund?«, wandte sich die Polizistin an mich, die zu uns gekommen war, nachdem sie ein rot-weißes Flatterband an einen Teil der Hecken gespannt hatte.

»Nerviger Hobbykollege passt besser«, antwortete ich.

»Ich melde schnell, dass es länger dauert. Du kommst sicherlich zurecht?« Frau Brühl schaute kurz von mir zu Stark, der nickte, worauf sie zum Einsatzfahrzeug lief.

»Darf ich?« Er streckte die Hand aus.

Ich gab ihm meinen Personalausweis, nicht ohne festzustellen, dass er für einen Mann schöne Hände mit langen Fingern hatte. Er schrieb meine Daten auf, ebenso vermerkte er den Cachernamen des Owners, den ich ihm nannte. Ob er eine passend-schöne Handschrift hatte? Was für ein seltsamer Gedanke.

»Danke schön. Wenn wir noch etwas brauchen, melden wir uns bei Ihnen, Frau Kronauer.«

Ich konnte nicht anders, als noch einmal tief in seine magischen blauen Augen zu schauen. Bedauern machte sich in mir breit, denn so schnell würden sich unsere Wege wohl nicht mehr kreuzen. Er reichte mir meinen Perso.

»Das war es?«, fragte ich knapp, während wir beide meinen Pass noch festhielten. Hoffentlich kam nun wider Erwarten eine Einladung aufs Revier zu einem weiteren Treffen. Hielt er nicht auch den Blickkontakt länger als nötig? Ohne diesen zu unterbrechen, nickte er.

»Daniel, könntest du bitte kommen?«, unterbrach das Rufen seiner Kollegin diesen Moment. Wirklich jetzt? Wir blinzelten beide, als hätte die Polizistin einen Bann gebrochen.

»Passen Sie auf sich auf«, verabschiedete sich Stark. Ich nickte. Mein Herz klopfte etwas schneller, als er mit mir zu meinem Auto ging. Okay, ich parkte neben dem Polizeiwagen, aber er lief genau neben mir. Gerade als ich die Tür öffnete, um noch etwas zum Abschied zu sagen, da er wirklich mit mir gegangen war, hustete es laut unweit von uns.

»Daniel!« Das klang nun ungeduldig.

Der Angesprochene nickte entschuldigend. Kurz sah ich dem breiten Rücken nach, der sich von mir entfernte. Bringt ja alles nichts. Schade, dass wir uns nicht zu einer anderen Zeit bei einer anderen Gelegenheit hatten kennenlernen dürfen. Zu gerne hätte ich ihn näher kennengelernt. Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal einen Mann getroffen hatte, der mich derart ansprach. Noch immer spürte ich ein leichtes Flattern in meinem Bauch. Ich stieg seufzend ein und fuhr langsam vom Mitfahrerparkplatz. Was für eine Mittagspause.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2

 

Mara schenkte mir und sich vom leckeren Spätburgunder nach. Wir saßen auf der kleinen Terrasse in meinem geliebten Gärtchen. Es gab für mich nichts Entspannenderes, als hier zu arbeiten. Auf Dosenfischen gehen, wie manche das Geocachen nannten, war Spannung und Abenteuer. Gärtnern das genaue Gegenteil. Außerdem brauchte ich Natur um mich herum. Mein kleiner, feiner Garten war hinter dem Haus versteckt. Rundherum waren die Häuserwände der Nachbarn. Das Schöne war, dass diese keine Fenster zu meinem kleinen Paradies hatten. Als ich das kleine Haus von meiner Oma geerbt hatte, war hier nur ein verwilderter Gras- und Himbeerdschungel gewesen. Ich hatte ewig gebraucht, um auch die letzten Wurzelwerke dieser Ranken herauszubekommen. Vor den Hauswänden legte ich mit Bruchsteinen eine Art umlaufendes, asymmetrisches Hochbeet an. Darin blühte und grünte es prächtig. Vor allem verschiedene Hortensien und Strauchrosen lockten Insekten an. An meiner eigenen Hauswand wuchs eine Kletterhortensie hoch. Leider durfte ich an den fremden Häusern nichts hochklettern lassen. Wenn ich gedurft hätte, wäre es rundherum grün.

»Vielleicht musst du ja noch einmal zur Vernehmung oder so«, dachte meine beste Freundin laut nach.

»Irgendwie glaube ich das nicht. Mehr, als dass ich das Skelett gefunden habe, kann ich nicht erzählen«, vermutete ich. »Ach, du hättest ihn echt sehen müssen.«

»Bitte, nicht noch einmal. Ich habe durchaus verstanden, dass er wahnsinnig attraktiv ist und seine blauen Augen dich anscheinend mit einem Zauber belegt haben. Vier Tage ist euer Aufeinandertreffen schon her? Ich glaube, du hast mir jeden Tag mindestens einmal davon erzählt.«

Ich nahm einen Schluck Rotwein.

»So oft nicht.«

Mara lachte mich aus.

»Oh doch. So oft.«

Ich konnte als Antwort nur mit den Augen rollen. Wahrscheinlich hatte ich Daniel hin und wieder erwähnt. Er ging mir einfach nicht aus dem Kopf. Natürlich interessierte es mich auch, was mit den Knochen war. Jeden Tag hatte ich nach meinem Fund die Zeitungen durchsucht, aber erfolglos. Noch am gleichen Tag hatte Tom das STF geloggt. Mittlerweile waren über zwanzig Einträge zu lesen. Scheinbar war der Ort wieder freigegeben.

»Du kannst ja auf dem Polizeirevier anrufen und dich mit ihm verbinden lassen«, schlug Mara vor. Als hätte ich nicht schon selbst daran gedacht.

»Und dann? Soll ich einfach fragen, ob ich noch einmal vorbeikommen darf, um meine Aussage noch einmal zu machen? Wirklich?« Darauf noch ein großer Schluck Wein. Denn das war kein guter Plan.

»Du fragst natürlich nach deinem Fund, Dummerchen«, antwortete Mara. »Oder ich helfe dir dabei, etwas Gesetzwidriges zu machen. Wenn alles umstellt ist, dann verlangst du, von Tony Stark verhaftet zu werden.«

»Daniel«, erinnerte ich sie. »Er heißt nicht Tony, sondern Daniel. Tony ist doch Ironman.«

Wir sahen uns kurz fest in die Augen. Ich, weil ich etwas genervt war, meine Freundin, weil sie ein Lachen unterdrückte. Konnte sie nicht ein wenig Mitleid heucheln? Wie erwartet dauerte es nur ein, zwei Sekunden, bis sie ihr Lachen nicht mehr zurückhalten konnte. Wie ich diesen Lachflash von ihr immer wieder hasste und zugleich liebte. Er war ansteckend. Oftmals reinigte er aber auch eine komische Stimmung wie ein Gewitter die schwüle, drückende Sommerluft.

»So, wie du ihn beschrieben hast, könnten sie aber verwandt sein«, schob Mara hinterher, kaum, dass sie sich beruhigt hatten.

»Themenwechsel. Ist jetzt gut.«

Obwohl die Gläser noch nicht leer waren, schenkte ich uns nach.

»Kommst du morgen mit?« Etwas Ablenkung war jetzt definitiv angebracht.

»Puh, ich weiß nicht. Das letzte Cacherevent war total nervig. Dein Freund baggert so viel.«

»Tom ist nicht mein Freund. Aber ich weiß, was du meinst. Manchmal ist er wie ein schlechter Schatten. Der kann nicht weit weg wohnen, sooft, wie wir uns bei der FTF-Jagd treffen.«

Mir ging der Kerl auch gehörig auf die Nerven. Denn es verging nicht ein Aufeinandertreffen, ohne dass er unangenehm flirten musste. Er gehörte zu der hartnäckigen Kategorie Männer, die dachten, dass ein „Nein” der Frau nur eine Art Vorspiel sei.

»Gib dir einen Ruck. Bitte komm mit«, flehte ich.

Mara dachte nach. Das erkannte ich daran, wie sie ihren Wein schwenkte und ihn dabei ansah, als wäre er ein Orakel. Es war das dritte Glas. Vielleicht sprach der Alkohol ja tatsächlich zu ihr. Ich grinste, während ich auf ihre Antwort wartete.

»Okay. Ich geh mit. Wenn du ihn mir vom Hals hältst«, sagte sie dann.

»Ich tu mein Bestes«, versprach ich schnell. »Wenn nicht, rufen wir einfach die Polizei wegen Belästigung.«

Mara lachte wieder. So viel dazu, das Thema wechseln zu wollen. Es gelang mir einfach nicht. Der Mann hatte einen sehr bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Ich konnte es nicht leugnen. Jetzt kam auch noch Maras Verwechslung mit dem Marvelhelden dazu. Bravo, das hätte meine Fantasie nicht noch zusätzlich gebraucht.

»Puh, das ist mein letztes Glas. Mein Fahrrad lasse ich stehen. Oder soll ich Schlangenlinien fahren und du holst mich bei der Polizei ab?«

Sie konnte es nicht lassen. Ohne mich! Ich ging gar nicht darauf ein. Daniel Stark. Diesen Namen würde ich nun wohl längere Zeit vor meinem geistigen Auge lesen, wenn ich ein Einsatzfahrzeug sehen würde. Ich nahm noch einen Schluck und entschied, dass es auch für mich das letzte Glas war.

»Magst du hier übernachten?«, bot ich an. Wobei Mara wusste, dass sie das jederzeit konnte.

»Heute nicht. Sonst verpenne ich. Ich habe meinen Eltern versprochen, sie morgen früh auf den Wochenmarkt zu fahren. Das Auto von Papa ist immer noch in der Werkstatt.«

 

Ich hatte ihr beim Abschied angeboten, sie nach Hause zu begleiten. Doch Mara hatte abgelehnt. Stattdessen telefonierten wir auf ihrem Heimweg miteinander. Zweimal ärgerte sie mich.

»Ich glaube, ich könnte überfallen werden. Rufst du bitte Ironman an?« Dann hörte ich ihr Kichern.

»Sei du mal froh, dass ich zu müde und zu betrunken bin, um dich einzuholen!«, schimpfte ich laut. »Ironman! Du spinnst doch!«

»Das ist sein neuer Deckname.« Wieder kicherte sie. Beim nächsten Besuch würde sie zur Strafe nur Leitungswasser und keinen Wein von mir bekommen.

»Sollte er sich den nicht aussuchen? Abgesehen davon: Läufst du auch? Ich könnte dich ansonsten ja doch noch einholen.«

Stille. Ich lauschte. Lief sie? Nein, ich hörte keine Schritte. Doch. Jetzt. Sie wurden schneller.

»Mara?« Mir war etwas mulmig zumute. »Alles okay?«

Keine Antwort. Rannte sie? Warum antwortete sie nicht? Mir wurde ein wenig übel.

»Mara?« Ich sprang aus meinem Sessel, indem ich es mir bequem gemacht hatte. Das war jetzt genug.

»Amelie?« Endlich sagte sie was.

»Ich bin hier. Was ist los?«

»Da ist wer.«

»Wo genau bist du?« Ich eilte zur Haustür. Schnell in die Schuhe. »Mara, wo bist du?«

»Komm schnell!«

»Ja! Wohin?«

»Und bring Ironman mit!« Jetzt steckte sie mich mit ihrem Lachflash nicht an.

»Du blöde Kuh! Ich hätte mir fast in die Hosen gemacht, so Angst habe ich um dich bekommen. Mit sowas macht man keine Scherze!«, brüllte ich ins Handy. Ob sie das überhaupt vor lauter Lachen hören konnte? »Du bekommst keinen Tropfen Alkohol mehr in diesem Haus! Verstanden?«

Am liebsten hätte ich aufgelegt, aber wir hatten uns das Versprechen gegeben, die andere immer mittels Telefonat nach Hause zu begleiten.

»Entschuldige.« Warum nur klang das nicht so richtig ernst? Nun war es an mir, zu schweigen. Ich hörte, wie sie weiterging. Gut so.

»Bin fast da.« Mhm, das klang jetzt etwas mehr nach schlechtem Gewissen. Für meinen Geschmack sollte sie schuldbewusster klingen. Ich hörte ihren Schlüsselbund und wie sie aufschloss.

»Gute Nacht, Amelie. Hab‘ dich lieb.«

Ich sollte das Gespräch, ohne etwas zu sagen, beenden. Vielleicht wäre sie das nächste Mal vorsichtiger mit ihren Späßen.

»Ich dich auch, du dumme Nuss«, sagte ich dann aber doch, weil es der Wahrheit entsprach und weil man sich nicht im Streit trennte.

 

In dieser Nacht träumte ich intensiv. Irgendwie war ich auf FTF-Jagd gewesen. Ich rannte vor Tom, doch er verwandelte sich in ein klapperndes, bedrohliches Skelett, sodass aus dem Wettrennen ein Davonlaufen wurde.

Ich stolperte. Verzweifelt blickte ich hinter mich. Das Gerippe kam näher und näher. Meine Stimme versagte, als ich schreien wollte.

Dann flog Ironman durch das Blätterdach über mir herunter und rettete mich. Auf einer Bergwiese landete er und ließ mich von seinen Armen herunter. Er öffnete das Visier. Ein blaufunkelndes Augenpaar strahlte mich an. Da standen wir, konnten unsere Berührung nicht lösen. Ich konnte kaum atmen. Alles um mich herum wurde blau.

Und dann waren wir normal gekleidet in einem blauen Märchenwald. Die Farbe spiegelte sich in seinen Augen wider oder ging das Blau von ihm aus? Ich konnte in der Ferne ein Gebirge erkennen. Unter uns war ein dickes, weiches Moospolster, das einlud, sich draufzulegen, um … Gerade, als er nach mir griff, einen Schritt auf mich zumachte, wurde es dunkler und dunkler. Dann erwachte ich.

»Verrückt«, murmelte ich nur, als ich mich sortierte. Mara hatte mir mit ihrer Ironman-Idee Flausen in den Kopf gesetzt. Während sie wahrscheinlich zufrieden mit sich schlief, musste ich das ausbaden.

Murrend nahm ich eine bequemere Position ein. Ich schloss die Augen, kurz bevor ich wieder einschlief, begrüßten mich zwei strahlend blaue Augen in meinem Unterbewusstsein. Nur der Traum, der blieb dieses Mal nicht dort abgespeichert.

 

 

 

 

 

 

 

 

3

 

Das Event fand auf der Burgruine Falkenstein statt. Viele bekannte Gesichter und einige neue feierten gemeinsam. Eine solche Veranstaltung gab einen weiteren Punkt in der eigenen Liste, die anzeigte wie viele Caches man bereits geloggt hatte. Man konnte dort auch Trackables, kurz TBs genannt, tauschen. Diese hatten ein ID-Nummer, mit der sie nach dem Fund geloggt werden konnten, um dann wieder bei der nächsten Möglichkeit in einen nächsten Cache zu wandern. Viele hatten Missionen, die man online nachlesen konnte. Gezieltes Aussetzen sollte bei der Erreichung der Ziele helfen. Es gab aber auch immer mehr, die nur geloggt werden konnten, beim Besitzer blieben und nicht reisten. Mittlerweile gab es Autoaufkleber, T-Shirts, Aufnäher und andere Späße. Meinen Autofensteraufkleber hätte ich mir selbst nie gekauft, aber Mara hatte ihn mir zu meinem letzten Geburtstag geschenkt.

Schon spannend, wie viele ungesehen in der gleichen Ecke unterwegs waren, aber mittels ihres Logs liebe Grüße daließen. Würde ich eine Strichliste führen, so hätte Tom mit Abstand die meisten Einträge auf meiner Cachemobil-Seite. Irgendwann würden er und ich ein ernstes Gespräch führen müssen. Scheinbar früher als geplant, denn er kam breit grinsend auf uns zu.

»Der Kerl nervt sowas von«, flüsterte Mara mir zu.

»Amy-Baby und Sunshine«, begrüßte er uns.

Maras Account auf dem Geocachingportal lautete Sunshine4Amy. Sie ging nämlich ausschließlich mit mir cachen, um Zeit mit mir in der Natur zu verbringen. Deshalb hatte sie den Namen auch witzig gefunden. Es war ihr sehr recht, dass Tom nicht ihren echten Namen kannte.

»TomTom«, erwiderte sie knapp.

»Ihr seid spät«, fuhr er fort, als hätte sie nichts gesagt und hatte mich ganz in seinem Visier.

»Wir sind nie zu spät. Da verwechselst du dich und mich, Mister STF.« Treffer! Ich konnte es in seiner Miene sehen, wie ihm dieser Spruch missfiel. Doch er fing sich schnell wieder. Sein blödes Grinsen passte nicht so wirklich zu meiner Erwiderung.

»Sagst du das immer noch, wenn ich dir erzähle, dass der Bulle hier war?«

Ich verstand nicht ganz, was er meinte. Kannte ich einen Cacher, der sich so nannte?

»Der Polizist vom Pils-Cache«, schob Tom betonend nach, als hätte er eine Schwerhörige vor sich. Treffer! Jetzt hatte er mich erwischt. Mit blieb der Mund offenstehen.

»Wie hier?«, fragte Mara neben mir nach, weil ich keinen Ton rausbrachte.

»Na in zivil. Er hat sich umgesehen, aber ich habe ihn sofort erkannt. Ob das etwas mit den Knochen zu tun hatte? Vielleicht doch ein Mordfall, in dem undercover ermittelt wird.« Tom war Feuer und Flamme bei seiner Spekulation. War das möglich? Warum sollte Stark auf ein solches Event gehen?

»Und wo ist er jetzt?«, brachte ich nun doch heraus. Sofort ließ ich meinen Blick über die Anwesenden wandern. Er war groß und sollte auffallen.

Einige bekannte Gesichter lächelten mir zu. Johannes, ein ehemaliger Angestellter des Weinguts, auf dem ich arbeitete, war auch da. Er winkte mir zu, was ich kurz erwiderte. Ich freute mich, dass er guter Laune war. Seine Kündigung hatte ihn schwer mitgenommen. Wenn wir uns später über den Weg liefen, würde ich ihn fragen, ob er einen neuen Job hatte. Doch jetzt wollte ich den Polizisten finden. Mein Herz schlug Purzelbäume. Hier war die Chance ihn näher kennenzulernen. Das war mein Terrain. Jede Menge Möglichkeiten ergaben sich, um ein Gespräch anzufangen und vor allem auch in Gang zu halten.

»Du brauchst ihn gar nicht zu suchen. Der ist vor zehn Minuten wieder verschwunden, nachdem er sich ins Logbuch eingetragen hat.«

»Hat er nicht!« Das konnte ich nicht glauben. Er hatte doch gar keine Ahnung, was Geocaching ist und warum ich in Hecken rumkroch, um zufällig einen Sack mit Überresten zu finden. War Toms Vermutung richtig, dass er hier wegen meines Fundes ermittelte? Das konnte nicht sein. In den vergangenen Tagen hatte ich aufmerksam die Zeitung gelesen. Es gab nicht einen winzigen Artikel, der von einem Leichenfund handelte. Konnte es sein, dass er wegen mir hier aufgetaucht war? Quatsch! Dann wäre er noch hier?

»Ich kann‘s dir zeigen, wenn du mir nicht glaubst.«

Ehe ich meine Gedanken sortieren konnte, schnappte Tom meine Hand. Verzweifelt schaute ich zu Mara, die uns folgte. Er zog mich durch die Menge zum Logbuch, das heute wie ein Tortenstück aussah, aber ein handgebundenes und verziertes Buch war. Kaum hatte sich die junge Frau vor uns eingetragen, griff Tom zu.

Ich wischte meine Hand an meinem Shirt ab. Eine zweite Chance mich ungefragt zu packen, würde ich ihm nicht geben. Er blätterte, suchte, runzelte die Stirn und dann strahlte er.

Mittlerweile hatte Mara uns eingeholt.

Tom hielt mir das Logbuch unter die Nase und deutete auf einen Eintrag, der eindeutig von einem Neuling war:

 

Danke für die Veranstaltung. Fühle mich

hier sehr wohl. Kann nur leider nicht so

lange bleiben. Die Pflicht ruft.

German_Ironman

 

Ich konnte es nicht fassen.

»Mara! Schau doch nur!« Wie eine Bekloppte, tippte ich wieder und wieder auf den auffälligen Eintrag, bis sie mir das Tortenstück abnahm. Unfassbar!

»So kann ich nix lesen«, schimpfe sie dabei. Ich beobachtete, wie sie kurz suchte, den Log las und ebenso erstaunt dreinschaute, wie ich es auch tat. Dann lachte sie schallend los. Dieses Mal tat ich es ihr gleich. Drumherum stimmten auch einige in ihr ansteckendes Lachen ein. Es ging fast nicht anders.

„German_Ironman”, das konnte doch nicht wahr sein! Mara lachte, nun tippte sie auf seinen Namen und stieß mich mit dem Ellenbogen an. Ja, wir verstanden uns. Scheinbar teilte unser Mister Stark mit uns denselben Humor. Ein Mann des Gesetzes, der so gut aussah und auch noch den Namen Stark trug – die Herleitung war simpel, doch hatte es etwas von Schicksal, dass er sich just diesen Cachernamen ausgewählt hatte. Wie sollte ich den Kerl jetzt noch aus dem Kopf bekommen? Und warum um alles in der Welt war er hier gewesen?

»Mara, denkst du, er ist wirklich auch im Portal registriert?«, fragte ich sie, als ich mir die Tränen weggewischt und mich wieder beruhigt hatte.

»Na, das ist einfach herauszufinden«, antwortete sie und wackelte grinsend mit den Augenbrauen.

Wir trugen uns selbst in das Logbuch ein. Obwohl auf der Seite mit Starks Text nur wenig Platz war, quetschten wir uns beide noch dazu. In meinem Bauch kribbelte es so, als hätte ich mich gerade als FTF eingetragen. Er war hier gewesen. Dann die Ernüchterung: Und wir hatten uns verpasst. Mara legte das kunstvolle Logbuch wieder auf die hübsche Tortenplatte mit Fuß. Einige warteten bereits hinter uns.

»Mädels, klärt ihr mich mal auf, warum ihr gerade durchdreht? Etwa wegen des Bullens?«

Tom ärgerte sich bestimmt, dass er dieses Verhalten bei uns ausgelöst und nun den winzigen Hauch von Chance vertan hatte, mit uns länger zu sprechen. Wir ignorierten ihn, zückten immer noch grinsend unsere Handys und suchten uns ein freies Eckchen, wo wir einen Moment ungestört recherchieren konnten.

Unsere Finger flogen über das Display. Dann zeigten wir uns gegenseitig das Ergebnis.

»Seit gestern dabei«, sagten wir im Chor.

»Jetzt kannst du ihn anschreiben. Ist das nicht cool?«

Ja. Nein. Ich war völlig überfordert. Warum?

»Verstehst du das?«, fragte ich irritiert.

»Amelie, das hat er doch hundert Prozent wegen dir gemacht! Denk doch mal nach!«, vermutete Mara. »Schau doch nicht so skeptisch! Ja, ich weiß. Du hasst es, emotional Risiken einzugehen. Dafür tobst du dich diesbezüglich in deinem Hobby aus. Mensch, freu dich doch ein wenig. Sieht ja keiner.«

Sie hatte recht. In Sachen Gefühlen wollte ich nichts übereilen. Hier wollte ich Risiken minimieren und Fehlinterpretationen möglichst vermeiden, um nicht enttäuscht zu werden.

»Womöglich ist er nur neugierig auf das Hobby geworden. Wir wohnen in der gleichen Region. Da ist es doch logisch, das erste Event, das angeboten wird, aufzusuchen. Wo sonst kann man sich mit anderen über das Hobby ungezwungen austauschen?«

Meine beste Freundin rollte mit den Augen. Sie kannte mich in- und auswendig. Deswegen genügte diese Geste auch.

»Dann wäre er noch da, oder?« Bevor sie weiter spekulierte, entschied ich, dass es Zeit für einen Themenwechsel wäre.

»Wir werden es heute leider nicht herausfinden. Lass uns doch einfach feiern und sehen, ob wir noch die eine oder andere Dose finden. Ich habe gehört, dass es extra zum Event zwei neue Mysterys gibt.« Das war jetzt genau das Richtig.

Mara stöhnte. Sie mochte diese Cacheart nicht. Statt direkt Koordinaten zu haben, musste bei diesen zuerst ein Rätsel gelöst werden. Erst dann konnte man die Koordinaten vom Cache, dem sogenannten Final, berechnen. Selbst die einfachsten bereiteten ihr Kopfzerbrechen. Ich hingegen liebte das Knobeln.

Heute würde es mich wieder erden.

 

Auch wenn mein Freund und Helfer nicht mehr anwesend war, brachte er mich viel zu sehr aus der Fassung.

»Ich glaube, ich brauche erst eine kleine Stärkung. Magst du auch eine Bratwurst?« Sie sprang schon vor meiner Antwort auf. Lächelnd nickte ich.

Diese Galgenfrist sei ihr gegönnt, dachte ich. Gleichzeitig nutzte ich ihre Abwesenheit, unheimlich German_Ironman zu schreiben. Davon musste sie nichts wissen, denn sollte er nicht antworten, würde sie es mir immer wieder unter die Nase reiben.

 

Schade, dass wir uns beim Falkenstein-Event verpasst

haben. Vielleicht demnächst auf der FTF-Jagd?

 

Klang das zu vertraut? Wie sollte ich unterschreiben? Gar nicht? Mit Amelie? Überhaupt klang das nach stalken. Ich löschte den Text wieder.

 

Herzlich willkommen bei den Dosenjägern. Amelie

 

Zu kurz? Zu persönlich? Wieder löschte ich den Text. Ein Blick verriet mir, dass Mara gerade an der Reihe war. Jetzt aber schnell.

 

Viel Spaß beim Cachen. Amy_Baby

 

Mhm, nein, mein Cachername klang in dem Zusammenhang nicht passend. Ich löschte meinen Namen bis auf das A. Schnell senden und …

»Bitte, deine Bestellung.«

Hoffentlich schaute ich nicht gerade schuldig. Denn so fühlte es sich an. Ich griff nach der Wurst im Brötchen und biss direkt rein.

»Du scheinst ja ausgehungert zu sein. Guten Appetit!«

»Danke«, murmelte ich mit halbvollem Mund.

 

Mit einer Taschenlampe bewaffnet, erkundeten wir die Burgruine. An den Infotafeln im Inneren fanden sich Hinweise, um die beiden Mysterys zu lösen. In diesem Fall mussten alle nötigen Zahlen in der Ruine gefunden werden, die erst im Anschluss zur Dose führten. Ich wette darauf, dass sie irgendwo im angrenzenden Wald versteckt war. Gleichzeitig ergab eine weitere Rechnung eine Zahlenfolge, um diese vor Ort zu benutzen.

Mara blieb dicht an mich gedrängt. Das erinnerte mich daran, dass ich mich unbedingt bei ihr revanchieren musste.

---ENDE DER LESEPROBE---