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Mord unter Mallorcas Sonne
Kommissarin Thea Molt reist nach Mallorca, um mit ihrem Freund, Sargento David Martinez von der Guardia Civil, in einer einsamen Berghütte im Tramuntana-Gebirge ein paar erholsame Tage zu verbringen.
Doch mit der Idylle ist es schnell vorbei, als der romantische Rückzugsort zum Schauplatz eines Verbrechens wird. Zwei Leichen liegen inmitten eines Filmsets am Gorg-Blau-Stausee. Drapiert wie das Liebespaar aus der mallorquinischen Sage »Romeo und Julia von Almallutx« werfen die Toten Rätsel auf.
Und je tiefer Thea in die Ermittlungen eintaucht, desto dichter wird sie in ein Netz aus Geheimnissen hineingezogen, bis sie schließlich selbst in tödliche Gefahr gerät.
Der dritte Fall für Kommissarin Thea Molt und Sargento David Martinez auf Mallorca. Denn auch auf der Lieblingsinsel der Deutschen schläft das Verbrechen nie. Die perfekte Urlaubs- und Strandlektüre für alle Krimifans.
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Seitenzahl: 362
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Grußwort des Verlags
Über dieses Buch
Titel
Prolog
1.
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Über die Autorin
Weitere Titel der Autorin
Impressum
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Kommissarin Thea Molt reist nach Mallorca, um mit ihrem Freund, Sargento David Martinez von der Guardia Civil, in einer einsamen Berghütte im Tramuntana-Gebirge ein paar erholsame Tage zu verbringen. Doch mit der Idylle ist es schnell vorbei, als der romantische Rückzugsort zum Schauplatz eines Verbrechens wird.
Zwei Leichen liegen inmitten eines Filmsets am Gorg-Blau-Stausee. Drapiert wie das Liebespaar aus der mallorquinischen Sage »Romeo und Julia von Almallutx« werfen die Toten Rätsel auf. Und je tiefer Thea in die Ermittlungen eintaucht, desto dichter wird sie in ein Netz aus Geheimnissen hineingezogen, bis sie schließlich selbst in tödliche Gefahr gerät.
Cara Maria Cardenes
Die Mallorca-Kommissarin
Die düsteren Wasser von Almadrà
»Nein!« Teodoricos verzweifelter Schrei hallte über das tiefblaue Wasser des Sees. Irgendwo in der Ferne antwortete ein Vogel auf den gepeinigten Ruf. Der Mann fiel auf die Knie. Sein Gesicht war verzerrt von den Spuren seines Leids. »Tu das nicht!« Er streckte die Hände in die Richtung der Frau vor ihm aus.
Ihr zierlicher Körper bebte, der dünne Stoff ihres Kleides umspielte sanft ihre langen Beine. Tränen liefen über ihre Wangen. Die Waffe in der Hand widersprach diesem fragilen Bild.
»Ich muss!« Palomas Miene wurde hart. Wie ferngesteuert hob sie ihren Arm, zielte. Der Schmerz in ihrem Blick war einer Entschlossenheit gewichen, die an Besessenheit grenzte. »Es gibt keinen anderen Weg.«
Kniend riss Teodorico die Augen auf. Seine Minuten waren gezählt. Es gab kein Entrinnen. Er würde hier und jetzt am Ufer dieses Sees im Herzen der mallorquinischen Tramuntana sterben.
Die Frau schenkte ihm einen letzten innigen Blick. Eine kleine Bewegung ihres Zeigefingers und alles wäre vorbei ...
Aus dem Wald hinter ihnen erklang ein wütender Ruf. Ruckartig drehte Paloma ihren Kopf, doch die Bäume verbargen, was immer dort vor sich ging. Aber die Worte eines Mannes drangen deutlich aus dem Schatten. »Eine Schande! Wie kannst du nur?«
Eine andere Stimme, ebenfalls männlich, antwortete mit der gleichen Schärfe. Der zweite sprach leiser, sodass der Inhalt seiner Worte den See nicht erreichte. Ihre schöne Szene war jedenfalls dahin.
»Verdammt!« Der attraktive Spanier erhob sich und wischte den Staub von seiner dunklen Hose. »Ich war gerade so gut drin.«
Die Frau wandte sich ihm zu. »Vielleicht kann man schneiden und wir steigen hier wieder ein, sobald diese Idioten endlich die Klappe halten?« Der letzte Halbsatz war lauter gesprochen und galt offenbar den Streitenden.
Ihre Ansage hatte gewirkt. Schritte entfernten sich.
»Nein, Schluss für heute, das Licht verändert sich schon.« Der Regisseur machte aus seiner Verstimmung keinen Hehl. »Wir müssen bei denen da oben dringend noch einmal darauf hinweisen, dass während der Dreharbeiten absolute Ruhe einzuhalten ist.«
»Ich glaube, das kam nicht aus dem Camp«, warf ein Kameramann ein. »Das war näher, irgendwo dort drüben zwischen den Bäumen. Vielleicht neugierige Wanderer. Wir sollten besser die Zufahrt wieder abschließen.«
»Mir egal, wer das war. Diese ständigen Störungen müssen aufhören! Diese ewigen Verzögerungen gefährden am Ende die gesamte Produktion!« Jetzt wirkte der Regisseur richtig zornig. Er wandte sich an den Schauspieler. »Teodorico, du warst ganz gut, ein wenig outriert womöglich. Kein Overacting, bitte. Nutzt die gewonnene Zeit, um bis morgen die Sterbeszene noch einmal durchzugehen. Morgen früh möchte ich euch beide als wunderschöne Leichen hier liegen sehen.« Wieder etwas besser gelaunt, grinste er und sah in die Runde. »Feierabend, Leute. Morgen kommt dann der Tod an den See!«
Thea verrenkte sich fast den Hals, um einen Blick auf das unwirkliche Blaugrün des Sees zu werfen, der weit unter ihnen in der Talmulde lag.
»Nur Geduld.« David lächelte vom Fahrersitz zu ihr herüber. »Wir sind ja gleich da. Dann kannst du drei Tage lang auf den See schauen.«
»Unfassbar, diese Farben!« Ungeachtet seiner Worte starrte Thea weiterhin aus dem Fenster. Niemals hätte sie gedacht, dass es so etwas wie Bergseen auf Mallorca gab. Zwar war das Gewässer, an dem sie die kommenden Tage verbringen würden, künstlichen Ursprungs – ein Stausee, für eine Insel, die mit der steigenden Zahl der Touristen und Golfplätze unter allsommerlicher Wasserknappheit litt –, doch fügte er sich so malerisch in die Bergwelt der Tramuntana ein, als wäre er schon immer da gewesen. Das Wasser schimmerte, ein Schwarm Vögel hob vom Ufer ab und die Sonne tauchte die Natur in dieses besondere Licht Mallorcas. Über allem thronte, mit seiner Radarkuppel von Weitem erkennbar, majestätisch der Puig Mayor, der höchste Berg Mallorcas.
Noch zwei, drei Kurven, dann bog David von der Straße ab und hielt vor einem Tor. »Gleich sind wir da«, erklärte er zufrieden.
Thea wurde immer neugieriger auf ihr Quartier. Sie wusste, dass David und sie einige Tage in den Bergen verbringen würden. Das allein hatte er ihr verraten, bevor er sie bei ihrer Freundin Becca abgeholt hatte, und das auch nur, damit sie die richtigen Sachen einpacken konnte. Also hatte sie im Gästezimmer ihrer Freundin vor allem dicke Kleidung in den Weekender gestopft, denn so kurz vor Ostern wurde es in den Höhen der Tramuntana nachts noch empfindlich kalt. Was er genau plante, hatte David ihr nicht verraten. Sogar ihr Ziel, den Cúber Stausee, kannte sie erst seit wenigen Minuten.
Thea sog gierig die neuen Eindrücke auf. Die schroffen Berge, den blauen Himmel, den unwirklichen Schimmer des Wassers. An den schattigen Bergflanken machte sie sogar weiße Flächen aus. Sie wusste, dass schneebedeckte Gipfel im mallorquinischen Winter nicht so selten waren, wie manch ein Inselbesucher dachte. Es allerdings mit eigenen Augen zu sehen war trotzdem ungewöhnlich.
»Was fasziniert dich gerade so?« Nachdem sie das Tor passiert und hinter sich wieder geschlossen hatten, holperten sie über einen befestigten, aber dennoch ausgesprochen unebenen Weg am Ufer des Cúber Stausees entlang.
»Da liegt Schnee.« Es war Thea ein Rätsel, wie David auf dieser Straße neben dem Fahren noch mitbekam, dass ihre Blicke an dem Schneefeld auf der gegenüberliegenden Seite des Sees klebten. Ein weiterer Beweis dafür, dass David ein ausgezeichneter Ermittler war, dem so leicht nichts entging.
»Deshalb habe ich dir ja geraten, warme Kleidung einzupacken«, erwiderte er nüchtern. »Hier oben ist es unglaublich schön, aber eben auch deutlich kälter als an der Küste. Immerhin sind die Berge um uns herum rund tausend Meter hoch. Der da«, er zeigte auf den Puig Mayor, »sogar über vierzehnhundert Meter. Aber weißt du, was das Beste an dieser Gegend ist?«
»Die Ruhe?«, schlug Thea vor.
»So ungefähr.« David schmunzelte. »Es ist so einsam, dass wir hier garantiert keine einzige Leiche finden werden. Diesmal wird uns keine Mordermittlung in die Quere kommen!«
Thea lachte und wünschte sich, er behielte recht. Dies war ihr dritter Aufenthalt auf Mallorca. Trotz ihrer gerade einmal achtundzwanzig Jahre hatte sie ein Sabbatical nehmen müssen, nachdem ihr Kollege vor ihren Augen niedergeschossen worden war, und nun hoffte sie, auf der Insel Abstand von ihrem Job als Ermittlerin in Deutschland zu gewinnen. Stattdessen schien es jedoch, als würde sie jedes Mal aufs Neue mit menschlichen Abgründen konfrontiert. Genau das, was sie hinter sich lassen wollte, verfolgte sie bis nach Paguera. In diesem hübschen Küstenort betrieb ihre beste Freundin Rebecca einen Laden für mallorquinische Spezialitäten, weshalb es Thea bei jedem Aufenthalt dorthin und meist auch in Beccas Gästezimmer zog.
Hoffentlich hatten sie diesmal wirklich alles Böse an der Küste zurückgelassen. Sie freute sich unbändig auf die vor ihr liegenden Tage mit David. Er war das einzig Gute ihres ersten Falls auf der Insel gewesen, ohne den sie den Sargento der Guardia Civil wohl niemals getroffen hätte.
Ein rascher Blick auf sein verschmitztes Lächeln setzte das gewohnte leichte Kribbeln in ihrem Magen frei. Ja, es wäre durchaus schade gewesen, ihm nicht zu begegnen. Dennoch hätte sie David lieber auf einem anderen Weg kennengelernt als im Rahmen einer Mordermittlung. Beim Salsa tanzen zum Beispiel, das konnte er beneidenswert gut. Das wäre wohl auch ihm lieber gewesen, denn der Sargento in ihm schätzte es überhaupt nicht, wenn sie sich in seine Arbeit einmischte – um es vorsichtig zu formulieren.
David hatte den Wagen währenddessen um den halben See gelenkt und brachte ihn neben einem kleinen Häuschen zum Stehen. »Das Refugi de Cúber. Wir sind da.«
Thea bemerkte die abwartende Anspannung in seinem Blick, wie sie auf die winzige Unterkunft reagieren würde. Dabei sah die Hütte mit der hölzernen Verandaeinfassung und den dicken Natursteinmauern so einladend aus, dass man sie sofort lieben musste.
»Es ist großartig!« Sie sprang aus dem Auto, öffnete das kleine Tor und betrat, gefolgt von David, das Grundstück. Unweit der Veranda entdeckte Thea eine Sitzgruppe aus Holz, bestehend aus Tisch und fest verbundenen Bänken, die sie an Picknicktische in Wandergebieten erinnerte, die sie aus Deutschland kannte. Von hier würde man abends einen traumhaften Blick über das Wasser haben.
Rechts von ihr erhob sich ein gemauerter Grill. Ihre Outdoor-Küche für die nächsten Tage.
Neugierig sah sie sich weiter um. Ein Bad im engeren Sinne gab es nicht. Hinter dem Haus befand sich eine Art Plastikcontainer mit Chemietoilette, das hatte David ihr vor der Abfahrt verraten, vielleicht, um ihr Gelegenheit zu geben, die ganze Sache doch noch abzusagen. Nie im Leben hätte Thea das getan.
Drei ungestörte Tage mit David klangen himmlisch. Außerdem hatte sie als Kind das Zelten geliebt und auch als Erwachsene darüber nachgedacht, es noch einmal mit einem Campingurlaub zu versuchen. Aber ihr Ex-Freund Ben war ebenso wenig bereit gewesen, in einem Zelt oder Wohnwagen zu übernachten, wie er einen Fuß auf die Insel der Sauftouristen, wie er Mallorca nannte, setzen wollte. Was ihm durch diese Engstirnigkeit alles entging, dachte Thea mitleidig, atmete tief die klare Bergluft ein und ließ ihren Blick weiterwandern.
Die Hütte lag direkt am Ufer des Stausees. Wenn dieser voll war, würde das türkisfarbene Wasser bis fast an die Grundstücksgrenze heranreichen. Da ein trockener Winter hinter ihnen lag, waren die Seen allerdings nur zu rund fünfzig Prozent gefüllt. Das hatte sie vor einigen Tagen in der Zeitung gelesen, in einem Artikel über die Wasserknappheit, die immer mehr Inselbewohnern Sorgen bereitete. Die sandigen Uferstreifen, die sich vor ihr ausdehnten, erschienen Thea wie ein stummes Mahnmal.
Trotzdem war dieses Fleckchen Erde atemberaubend schön, und sie sah sich bereits am Abend mit einem Glas Wein in der Hand und an David gekuschelt den Blick auf das Wasser und die Berge genießen. Ihre Hütte war die einzige menschliche Behausung weit und breit und außer einigen Schafen, die sich auch jetzt schon lautstark unterhielten, würde kein Geräusch die Stille stören, wenn die Wanderer abends erst das Gelände verlassen hätten. Hoffentlich würde es später nicht zu kalt werden. Sie spürte die kühle Brise, die über den See strich, während zwei, drei durchziehende Wolken ein spektakuläres Licht- und Schattenspiel auf dem Wasser erzeugten.
David trat hinter sie. »Gefällt es dir?«
»Ich liebe es!« Sie drehte sich strahlend zu ihm um. »Es ist wundervoll!«
»Ich sehe schon: Will ich in den nächsten Tagen deine Aufmerksamkeit haben, muss ich dir die Augen verbinden.« Er meinte es keineswegs vorwurfsvoll, sondern wirkte im Gegenteil ausgesprochen zufrieden. Sie wusste, wie stolz er auf seine Heimat war.
»Damit könntest du recht haben.« Sie seufzte glücklich. »Ich könnte ewig hier stehen. Die Berge sind so rau und wild und gleichzeitig so friedlich.« Es gab nur David und sie und diese spektakuläre Umgebung. Sie hätte sich gern an ihn geschmiegt und diesen Moment in Zweisamkeit ausgekostet, doch David bremste ihre romantischen Pläne unbeabsichtigt aus, indem er auf seinen Wagen deutete.
»Bevor du dich diesem Genuss hingibst, sollten wir trotzdem das Auto ausräumen und uns einrichten. Die Beleuchtung drinnen ist mit ›spärlich‹ noch optimistisch beschrieben, sobald das Tageslicht weg ist.«
Wie das Äußere der Hütte Thea hatte vermuten lassen, erinnerte der einzige Raum im Innern tatsächlich an Campingurlaub. Ein Tisch mit zwei Bänken aus rustikalem Holz auf gefliestem Boden, eine steinerne Bank vor einem Kamin, ein weiterer kleiner Tisch, dazu ein Besen und ein Feuerlöscher stellten die komplette Einrichtung dar.
Thea warf einen skeptischen Blick auf die schmale und ausgesprochen unbequem wirkende Bank. »Da sollen wir schlafen? Zu zweit?« Sie hatte nichts gegen körperliche Nähe einzuwenden, doch falls sie nicht die gesamte Nacht wie Sandwichscheiben übereinander liegen wollten, würden sie beide dort unmöglich übernachten können.
»Zu eng?« David grinste. »Du bist wohl nicht in anschmiegsamer Stimmung.« Bevor Thea etwas erwidern konnte, deutete er auf eine schmale Treppe, die ihr bisher im Halbdunkel entgangen war. Zwar gab es zwei Fenster, doch wegen des überhängenden Daches fiel wenig Tageslicht hinein. »Dort werden wir schlafen.«
Neugierig erklomm Thea die Stufen und entdeckte eine hölzerne Plattform, die oberhalb der Essecke in den Raum ragte. Ein niedriges Geländer umgab die Konstruktion. Thea starrte ernüchtert auf die leeren Planken. Kein Bett, keine Matratze. Hoffentlich hatte David Luftmatratzen dabei und würde nicht erwarten, dass sie auf dem nackten Holz schlief. Von dem Gedanken an kuschelige Stunden musste sie sich wohl verabschieden.
Thea eilte hinunter, als David eine große Tasche durch die Tür wuchtete. Sie wollte das Thema gerade vorsichtig auf ihr Nachtlager lenken, da entdeckte sie, dass es sich bei dem Ungetüm von Packstück um eine aufblasbare Matratze handelte. Nicht nur das: Laut Abbildung auf der Außenseite sah die mit Kissen und Decke einem normalen Bett sogar beruhigend ähnlich. Thea seufzte erleichtert auf und erntete prompt ein wissendes Lachen von David.
Zusammen räumten sie die Vorräte aus dem Auto und richteten sich in der Hütte ein. Sofort sah es weniger spartanisch aus, und spätestens, als David das Feuer im Kamin entzündete, wusste Thea, dass wundervolle Tage vor ihnen lagen.
Kurz darauf machten sich beide auf den Weg um den See. Eine Strecke, die man in rund einer Stunde schaffte. Da sie wegen Davids Dienstzeit erst am frühen Nachmittag losgefahren waren, mussten sie die längere Wanderung auf den nächsten Tag verschieben. Morgen würden sie ein Stück auf dem GR221 laufen, besser bekannt als Ruta de pedra en sec, der Trockensteinweg.
Der Uferweg führte linkerseits von Steineichen gesäumt an zerklüfteten Hängen vorbei, auf denen sich in aberwitzigen Posen Schafe bewegten. Rechts kräuselten sich lautlose Wellen im sachten Wind auf dem See. Die meisten Wanderer hatten sich bereits auf den Heimweg gemacht, und ein tiefer Frieden senkte sich über das Tal. Sie hatten beinahe den gesamten See umrundet, als Thea zwischen einigen Büschen eine Bewegung wahrnahm. Nein, mehrere, korrigierte sie sich, als es immer deutlicher und an verschiedenen Stellen in der Nähe raschelte. Abrupt blieb sie stehen. Eine Gruppe später Wanderer abseits des Weges? Ob sie sich verirrt hatten? Dann steckte der erste »Wanderer« den Kopf durch das Gebüsch und sie lachte leise auf.
»Esel!«, flüsterte sie hingerissen und beobachtete fasziniert, wie sich nach und nach eine ganze Herde aus der Vegetation schälte, den Weg betrat und wie selbstverständlich auf David und sie zuschritt. »Wo kommen die denn her?«
»Sie leben hier halbwild«, erklärte David mit ebenfalls gesenkter Stimme.
»So wild wirken sie gar nicht«, murmelte Thea, als das erste Tier sie erreichte und ihre Jackentaschen abschnupperte, bevor es sich enttäuscht abwandte und weitertrottete. Diese Inspektion wiederholte sich noch einige Male bei David und ihr. Einige der Esel verharrten sogar länger und ließen sich genüsslich kraulen. Thea tat ihnen den Gefallen mit verzückter Miene. Sie sah kurz zu David. Ihre Blicke trafen sich und er lächelte entspannt zu ihr herüber. Nebenbei kraulte er ein hübsches Langohr, das sich an ihn drückte. Thea verstand das Tier. Wie David verträumt im Sonnenuntergang stand und den Esel streichelte, hatte er etwas ausgesprochen Anziehendes an sich. Irgendwann hatte die Herde genug vom menschlichen Kontakt, zog weiter und hinterließ einen strengen Geruch – und eine Erinnerung an einen Moment, den sie nie wieder vergessen würde.
Auch als sie die Hütte längst wieder erreicht hatten, strahlte das Glücksgefühl dieses besonderen Augenblicks weiterhin in ihrer Brust. Hätte sie einen Preis für einen perfekten Tag verleihen können, wäre der heutige ein Titelanwärter. Und der Abend lag noch vor ihnen.
Während sie auf den See blickte, hantierte David gerade hinter ihr verheißungsvoll am Grill herum, und da sie wusste, dass er am Herd nicht nur begabter war als sie – das war so ziemlich jeder –, sondern richtig talentiert, überließ sie ihm diese Arbeit nur allzu gern. Er würde sich melden, falls er Hilfe brauchte – die er in der Küche nie benötigte. Die absolut köstlichen Düfte, die zu ihr herüberwehten, bewiesen es.
Es würde Lammkoteletts geben, das hatte sie schon herausgefunden. Dazu Gazpacho, die spanische Suppe, die kalt gegessen wurde und das Zusammensein im weiteren Tagesverlauf nur dann erlaubte, sofern beide davon aßen – bestand sie doch aus reichlich Knoblauch. Außerdem hatte sie in der Kiste mit den Vorräten Pan de Cristal entdeckt, das luftige Brot, das sie so gern mochte. Ein paar Tomaten dazu und ... ein Weinglas schob sich von hinten in ihr Sichtfeld.
»Der perfekte Begleiter zum Sonnenuntergang.« Davids Stimme klang warm.
»Sprichst du von dir oder dem Wein?« Lächelnd nahm Thea das Glas, drehte sich halb zu ihm um und stieß mit ihm an. Dann schmiegte sie sich mit dem Rücken an ihn und genoss in seiner Umarmung die Aussicht.
»Ich denke, von beidem.« Er lachte leise und zupfte mit den Lippen an ihrem Ohrläppchen. Thea erschauerte wohlig.
Das Licht der untergehenden Sonne warf einen lilafarbenen Schleier über die gesamte Szenerie. Die Schneereste wirkten wie durch den Pinsel eines surrealistischen Malers mit der falschen Farbe auf die Berghänge geworfen, und die Wolken schienen von innen heraus zu glühen. Der Wind trug den Geruch nach Gräsern und Wald mit sich.
»Ein perfekter Moment.« Sie wandte sich lächelnd zu ihm um.
»Fast perfekt. Eine Kleinigkeit fehlt noch ...« Damit beugte er sich vor und einen Augenblick später berührten sich ihre Lippen.
Am nächsten Morgen wachte Thea in Davids Armen auf. Ihre Schlafstätte hatte sich als unerwartet bequem erwiesen und sie hatte sich lange nicht mehr so fit und erholt gefühlt.
David neben ihr strahlte sie unternehmungslustig an. »Bereit für die große Wanderung?«
»Und wie!« Sie richtete sich auf. »Ich kenne diesen Wanderweg nur aus Fernsehberichten und möchte ihn nun unbedingt selbst laufen.«
Nach einem raschen Frühstück gingen sie los. David hatte einen Rundweg ausgesucht, der sie zunächst in Richtung des zweiten mallorquinischen Stausees, des Gorg Blau, führen würde.
Nachdem sie das Gelände des Cúber hinter sich gelassen hatten, gelangte Thea recht schnell zu der Überzeugung, dass sich der Name Ruta de pedra en sec – Weg der trockenen Steine – keinesfalls auf die Bodenbeschaffenheit beziehen konnte. Überall plätscherte Wasser. Mal auf, mal neben dem Pfad, mal als dünnes Rinnsal, mal als kleiner Bach, der so breit war, dass sie durchwaten mussten. Zum Glück waren diese Stellen nie so tief, dass sie nasse Füße bekamen.
Statt an den Trockensteinmauern, denen der Weg tatsächlich seinen Namen verdankte, führte der erste Abschnitt an einer mannshohen betonierten Wasserrinne vorbei. Dafür entschädigte der Blick zur anderen Seite. Die Natur wurde mit jedem Meter atemberaubender. Erinnerte der Weg zunächst mit dem Saum aus hohen Gräsern, Sträuchern und Nadelbäumen an deutsche Mittelgebirge, lichtete sich der Wald im weiteren, stetig ansteigenden Verlauf und bot eine Sicht auf zahlreiche Gipfel. Schneidgras, fast so groß wie Thea selbst, säumte den Weg. Aus diesem Càrritx wurden unter anderem die Sonnenschirme an den Stränden gefertigt, aber auch Matten, Körbe und Taschen. Das wusste sie von Becca, die einige dieser hübschen Accessoires in ihrem Geschäft im Angebot hatte.
Die Sonne kletterte höher, dennoch strich die frische Bergluft kühl über Theas Gesicht. Die Sonnenstrahlen kitzelten ihre Nase, doch die Wärme in über eintausend Metern Höhe reichte gerade so aus, um die Kälte nicht unangenehm zu machen. Rasch stellte sich ein Gefühl tiefen Friedens ein. Auch aus Davids Miene war jegliche Anspannung verschwunden. Diese Auszeit in den Bergen war wirklich eine gute Idee.
Nach einer Weile leuchtete in einiger Entfernung und weit unter ihnen ein intensives Blau, die namensgebende Farbe des tieferen der beiden Stauseen.
»Wow!«, entfuhr es Thea unwillkürlich. Sie blieb stehen und sog das Bild des Gorg Blau in sich auf. Auch er verfügte über einen breiten trockenen Uferstreifen, auf dem es im Gegensatz zum Cúber jedoch von Menschen wimmelte. Zahlreiche Aufbauten und Installationen erhoben sich am Rand des Sees, die Thea aber von ihrem Standort aus nicht richtig erkennen konnte, dazu Container und Trailer. »Ist an diesem See immer so viel los?«
»Eigentlich nicht.« David runzelte die Stirn, nahm seinen Rucksack ab und wühlte darin herum. Als er sich aufrichtete, hatte er ein Fernglas in der Hand, mit dem er das Ufer inspizierte. »Aber klar, langsam dämmert es mir«, sagte er dann. »Ich habe etwas von Filmaufnahmen bei Almallutx gelesen. Das müssen sie sein.«
»Almallutx?«
»Das Tal da unten.« David zeigte auf den See. »Dort gab es schon Jahrhunderte vor Beginn unserer christlichen Zeitrechnung eine talayotische Siedlung. Später errichteten die von König Jaume aus Palma vertriebenen Mauren hier ihre letzte Stätte des Widerstands, bevor die Insel endgültig zurückerobert wurde. Du siehst einen historisch äußerst bedeutsamen Ort vor dir – der nur leider größtenteils von den Wassermassen verschluckt wurde, weil in den 1960er-Jahren die Wasserversorgung wichtiger war als mallorquinische Geschichte und Kultur.«
Thea glaubte, bei den letzten Worten eine Spur Verbitterung herauszuhören. Auch gut fünfzig Jahre nach dem Ende der Diktatur Francos schien der Stachel noch tief zu sitzen und die Erinnerung an eine Zeit, in der die mallorquinische Identität unterdrückt worden war, zu schmerzen.
Sie nickte, unsicher, wie sie auf seine Worte angemessen reagieren sollte. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie es sich anfühlte, wenn die eigene Kultur über Dutzende von Jahren hinweg so klein gehalten wurde. »Und über dieses Almallutx wird nun ein Film gedreht?«, erwiderte sie deshalb nur. »Ein Dokumentarfilm?«
»Ich meine, in dem Artikel wäre von einem Spielfilm die Rede gewesen. Eine Adaption einer alten Sage, projiziert auf den Riss innerhalb der Gesellschaft während der Franco-Zeit.« David rieb sich über den Nacken. »Offen gesagt war mir das zu intellektuell, da habe ich nicht mehr so genau gelesen. Wäre nicht ein Foto des Gorg Blau daneben abgedruckt gewesen, hätte ich vermutlich gar nicht auf den Bericht geachtet.«
»Okay, ich sehe schon – auf diesen Kinobesuch werden wir wohl verzichten.« Thea lachte und David stimmte mit ein.
»Falls es der Streifen jemals in ein normales Kino schafft«, erwiderte er. »Das ist irgendeins dieser kulturell hochtrabenden Projekte, in die Gelder der Filmförderung gepumpt werden, ohne dass man den Grund dafür versteht.« David steckte das Fernglas wieder ein. »Na komm, gehen wir weiter. Ein bisschen ärgerlich ist jetzt, dass unser Picknickplatz nicht so einsam und still sein wird, wie ich gehofft habe. Hungrig genug für eine Rast bin ich trotzdem. Vámonos!«
Thea schmunzelte. Essen konnte David eigentlich immer. Das galt allerdings für sie selbst ebenso, und nach dem nicht sehr reichhaltigen Frühstück meldete sich ihr Magen schon seit einiger Zeit. Außerdem war sie neugierig. David hatte ein Geheimnis daraus gemacht, wohin er sie führen würde, und nur verraten, dass es ein absolut abgelegener Fleck und wunderschön sein würde.
Sie folgten dem Weg noch eine Weile, dann verlangsamte David seine Schritte und spähte aufmerksam zwischen die Bäume, die wieder zahlreicher geworden waren. Hatten in den tieferen Lagen Nadelbäume dominiert, so erstreckte sich seit einiger Zeit ein Wald aus Steineichen neben ihnen. »Den Weg kennen nicht viele«, erklärte er. »Und wenn man nicht aufpasst, übersieht man den Abzweig.«
»Aber es ist schon ein Weg, den wir suchen?« Thea beäugte skeptisch den dichten Baumbestand zu ihrer Linken.
»Es gibt sogar Farbmarkierungen und Steinmännchen.« Er schmunzelte. »Misstraust du etwa meiner Ortskenntnis?«
»Der nicht, aber deiner Abenteuerlust!«
Nachdem David etwas entdeckt hatte, das Thea bestenfalls als Spur von Bergziegen identifiziert hätte, zeigte sich nach und nach, dass es sich tatsächlich um einen Weg handelte, zumindest wenn man keine hohen Ansprüche stellte. Deshalb war Thea nicht überrascht, als sie nach einer Passage des bequemen Wanderns eine karstige Fläche erreichten, die das Laufen wegen der vielen losen Steine schon wieder beschwerlich machte. Trotzdem erlag sie dem Zauber dieser verträumten Gegend. Knorrige Steineichen säumten den Weg, an mancher Stelle hatte sich auch hier das scharfkantige Dißgras einen Platz gesichert und vereinzelt zwängten sich Blüten durch die Risse des Karstgesteins.
Sie wanderten bergab in Richtung See, den sie noch immer aus der Vogelperspektive sahen. Rechts und ziemlich weit unter ihnen schoss tosend ein Wasserfall in mehreren Kaskaden zum Gorg Blau hinab.
»Beliebtes Ziel einer anspruchsvollen Canyoning-Tour«, erklärte David, der neben sie getreten war, um das Schauspiel zu ihren Füßen zu bewundern. »Für normale Wanderer nicht unbedingt zu empfehlen.«
»Schade eigentlich. Von hier oben sieht der enge Torrent geheimnisvoll aus.« Thea warf einen letzten bedauernden Blick hinunter, bevor sie weiterliefen. »Obwohl ich nicht sicher bin, wie spaßig es tatsächlich ist, sich im Neoprenanzug an glitschigen Felsen abzuseilen.«
»Außerdem wollen wir nur einige ruhige Tage verbringen, schon vergessen?« David zwinkerte ihr zu.
»Keineswegs. Und bisher stehen die Chancen dafür in dieser Stille und Einsamkeit ziemlich gut, finde ich.«
Sie folgten dem Weg, der kaum mehr als solcher zu erkennen war, aber David schien genau zu wissen, wohin sie mussten. Sie befanden sich immer noch oberhalb des Sees, doch inzwischen so nah, dass die Geräusche von dort zu ihnen heraufschallten.
»Ohne die Massen da unten ist der Ort mystischer«, sagte David entschuldigend. »Aber die Aussicht bleibt uns ja.« Er deutete auf eine Felsformation, die umgeben von Eichen wie ein Balkon über der Landschaft thronte. »Bitte sehr: unser Picknickplatz.«
»Es ist wundervoll hier.« Thea wählte einen flachen Felsen, auf dem sie bequem sitzen konnte, ließ die Beine baumeln und blickte über die Baumwipfel hinweg. Halbrechts unter ihr erhob sich ein Gebäude, wohl eine kleine Finca, gleich dahinter erstreckte sich das intensive blaue Wasser des Sees. Vor ihr – und deutlich tiefer – folgte auf den Waldstreifen eine große Freifläche, auf der sich das Filmteam ausgebreitet hatte. Sie waren nun nah genug, um ohne Fernglas die Trailer, Container und übrigen Aufbauten sehen zu können. Es gab hölzerne Konstruktionen und Podeste, vermutlich für die Kameras. Zumindest war eine auf einem dieser Sockel postiert und jemand hantierte daran herum. Kabel wanden sich hier und dort und immer mehr Menschen erschienen. Es sah so aus, als ob gleich gedreht werden sollte. Und sie hatten hier oben einen Logenplatz!
Während Thea noch alles bestaunte, angelte David einige Frischhaltedosen aus seinem Rucksack und baute sie zwischen ihnen auf. Sobald er Thea ein Sandwich anreichte, wurde das Treiben am Filmset zur Nebensache, denn erfahrungsgemäß zauberte David immer die leckersten Dinge an Proviant hervor. Sie wurde nicht enttäuscht. Begeistert naschte sie gefüllte Oliven, Käse, Serranoschinken, gegrillte Paprika, dünne Scheiben Fuet-Wurst und die moderat pikanten Guindilla-Chilischoten.
Die Sonne wärmte ihren Picknickplatz, der See glitzerte in diesem atemberaubenden Blau und auf der Zunge tummelten sich die angenehmsten Aromen. Und neben ihr saß David und betrachtete sie mit einem Blick, der ihr sagte, dass er ebenso zufrieden war wie sie. So schön konnte das Leben sein. Thea reckte ihr Gesicht der Sonne entgegen. »Ist es nicht –?«
Das Wort »herrlich« blieb ihr im Hals stecken, als in diesem Moment ein Schrei durch das Tal gellte und die Wohlfühlatmosphäre jäh zerschnitt.
Thea stockte der Atem. Auch David wirkte alarmiert. Ein Blick genügte und sie sprangen gleichzeitig auf und starrten hinunter auf das Seeufer. Das da unten war kein harmloses Erschrecken gewesen. Die Härchen auf Theas Armen richteten sich auf. Bitte nicht, flehte sie innerlich. Dieser Tag sollte so friedlich weitergehen.
Unter ihnen schien sich die allgemeine Aufmerksamkeit auf ein Waldstück zu richten, das wie eine Landzunge in den ansonsten kahlen Uferbereich ragte.
»Kannst du etwas erkennen?« Thea streckte sich. In Momenten wie diesen wünschte sie sich, größer zu sein. Doch auch David schüttelte den Kopf. Die gut fünfzehn Zentimeter, die er sie überragte, halfen ihm hier nicht.
»Irgendetwas scheint zwischen den Bäumen los zu sein. Mehr sehe ich nicht.«
In diesem Augenblick schallten weitere Rufe zu ihnen hinauf. Alles kam nicht bei ihr an, aber »muerto«, tot, hörte Thea mehrfach deutlich heraus. Sie tauschte einen erneuten Blick mit David. »Sag mir, dass das nicht wahr ist.«
»Du hast es also auch verstanden?« David war bereits dabei, die Frischhaltedosen zu verschließen und einzupacken. Er brauchte nichts zu erklären. Wenn dort unten eine Leiche lag, musste er dorthin. Bis die Kollegen aus Palma oder Sóller vor Ort wären, könnten wertvolle Spuren vernichtet worden sein.
»Mach schon, ich komme hinterher.« Thea begann, die verbleibenden Frischhaltedosen zu schließen und in ihren Rucksack zu räumen. David sah sie unschlüssig an, aber sie merkte, dass er nur allzu gerne losgelaufen wäre. »Wirklich, David. Es ist wichtig, dass du schnell unten bist.«
Sein erleichterter Blick sagte mehr als tausend Dankesworte. Er drehte sich um und joggte los.
Als Thea ihm kurz darauf deutlich langsamer folgte, fragte sie sich, wie man auf diesem Untergrund so rennen konnte, ohne sich sämtliche Knochen zu brechen. David hatte ihr erzählt, dass er früher regelmäßig Trailrunning betrieben hatte – offenbar schulte das den Tritt über Jahre hinaus. Sie war jedenfalls dankbar für ihren festen Wanderschuh und wäre im Leben nicht auf die Idee gekommen, Davids aberwitziges Tempo anzuschlagen.
Deshalb, und weil sie zu allem Überfluss zum Ende hin den ohnehin nur angedeuteten Pfad verlor und sich quer durch den Wald arbeiten musste, kam sie um einiges später als David am Seeufer an. Dort standen die Menschen in dichten Gruppen beieinander. Ihre betroffenen Mienen verrieten, dass David und sie sich oben auf ihrem Picknickplatz nicht verhört hatten.
Sie sah sich nach David um, doch der war verschwunden. Am Waldrand entdeckte sie Beamte der Lokalpolizei. Ein Absperrband und ein streng blickender Uniformierter sorgten dafür, dass niemand es wagte, dem Bereich dahinter zu nah zu kommen.
Sie ahnte, dass sich David irgendwo auf der anderen Seite des Flatterbands befand, und sie wusste, dass sie erst gar nicht versuchen musste, zu ihm zu gelangen. Also zückte sie ihr Handy, schrieb ihm kurz eine Nachricht, dass sie im Uferbereich auf ihn warten würde und blieb unschlüssig stehen.
»Thea?«
Die Stimme rechts neben ihr kam Thea vage bekannt vor. Erstaunt, hier jemanden zu kennen, drehte sich Thea in die Richtung. Eine etwa vierzigjährige langhaarige Frau in einem wallenden Kleid kam zu ihr.
»Simona!«, sagte Thea überrascht, als die Mallorquinerin sie erreicht hatte. Simona Roig belieferte Beccas Cocinar con corazón mit Olivenprodukten. In der Zeit, als Thea in dem Geschäft für mallorquinische Spezialitäten ausgeholfen hatte, war sie ein paarmal mit Simona ins Gespräch gekommen. Sie wirkte immer freundlich und gelöst. Nicht so in diesem Moment.
»Bist du als Ermittlerin hier?« Ihr angespannter Blick fiel auf den Rucksack. »Oder ist das Zufall?« Sie wusste aus ihren Gesprächen, dass Thea in Deutschland als Kriminalkommissarin tätig war.
»Zufall. Wir waren gerade wandern, als wir einen Schrei gehört haben.«
»Das war wohl ich.« Simona verzog verlegen das Gesicht. »Ich habe mich so erschrocken, als ich die beiden da liegen sah. Irgendwie wusste ich sofort, dass sie nicht nur schliefen.«
»Die beiden?« Thea war überzeugt, sich verhört zu haben. Wenn Spanier schnell sprachen, fiel es ihr gelegentlich schwer, zu folgen. Und Simonas rasanter Sprechweise war deutlich anzumerken, wie aufgewühlt sie war.
»Ja, zwei. Céfiro und Alegría. Sie waren ein Paar.« Simonas Augen füllten sich mit Tränen. »Es ist so tragisch. Nachdem sie ihren Ex losgeworden ist, schien sie endlich mal Glück mit einem Mann zu haben. Und nun das.«
Thea horchte auf. Zwei Leichen beieinander – dazu noch ein Paar – gab es selten. Vielleicht sollte sie Simonas offensichtliches Redebedürfnis ein wenig ausnutzen. »Du Arme hast die beiden gefunden? Das muss ein ziemlicher Schock gewesen sein. Kanntest du sie gut?« Vor knapp drei Monaten hatte David ihre Vernehmung am Tag ihres Kennenlernens mit ganz ähnlichen Worten eingeleitet, fiel Thea auf.
»Alegría kannte ich recht gut aus dem Verein.« Simona machte eine vage Geste hinter sich, die einen Teil des Ufers umfasste. »Céfiro habe ich eigentlich erst besser kennengelernt, seitdem er mit Alegría zusammen ist.«
»Hatten die beiden etwas mit den Filmaufnahmen zu tun?« Mit Blick auf Simonas weites, mit leise klackernden Holzperlen besticktes Kleid war Thea klar, dass Simona nicht zum Wandern hier oben war. Keiner der Umstehenden sah so aus, als sollte er sich so ins Hochgebirge wagen.
»Wir alle ein bisschen.« Jetzt leuchteten Simonas Augen. »Wir gehören alle zu einem Historienverein und sind Statisten und Komparsen in dem Film. Wir haben ... hatten bis vorhin ... eine großartige Zeit. Dort drüben ist unser Lager.« Wieder deutete sie hinter sich, und nun verstand Thea auch ihre Geste. Bei genauem Hinsehen konnte man sogar einige Zelte zwischen den Bäumen erkennen.
»Céfiro ist wissenschaftlicher Berater«, fuhr Simona fort. »Er ist Historiker mit Schwerpunkt auf der arabischen Besatzungszeit. Wir sind sehr stolz, ihn in unserem Verein zu hab–« Sie brach ab. Das Strahlen, das ihre Miene bei der Erwähnung des Filmdrehs kurz erhellt hatte, erlosch. »Ach, Thea, was kann nur passiert sein?« Sie ließ den Kopf hängen, und Thea strich ihr tröstend über den Arm.
»Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass sich ein verdammt guter Sargento der Guardia Civil gerade darum kümmert.« Wärme erfüllte sie bei dem Gedanken an David und dem Wissen, dass er alles daransetzen würde, Antworten zu liefern. »Was immer passiert ist – er wird es herausfinden.«
»Er muss darauf achten, dass die Leichen wie Romeu und Julieta lagen«, sagte Simona plötzlich sehr bestimmt. »Ich glaube, das ist wichtig.« Sie sah Thea eindringlich an.
»Der Sargento ist erfahren«, versicherte sie erneut, überrascht von der Intensität in Simonas Stimme.
»Wie Romeu und Julieta«, wiederholte Simona, diesmal gemurmelt und eher an sich selbst gerichtet. Sie seufzte. »Die Armen. Alegría hatte wirklich kein Glück, dabei war sie eine tolle Frau.«
»Was meinst du damit?«
Simona antwortete nicht sofort. In dem Maß, in dem sich ihre anfängliche Aufregung gelegt hatte, war auch ihr Redebedürfnis abgeflaut. Dann jedoch nickte sie. »Komm, lass uns ins Lager gehen. Auf den Schreck brauche ich einen Kaffee. Dann erzähle ich dir alles.«
Thea schrieb David eine Nachricht, wo er sie finden würde und ging neben Simona am Ufer entlang. Inzwischen waren mehr und mehr Uniformierte zu sehen, und obwohl Thea keinen Blick auf das Geschehen hatte und die Einsatzfahrzeuge aus einer anderen Richtung kamen, wusste sie, dass gerade die Maschinerie aus Todesfeststellung, Spurensicherung und erster Zeugenbefragung anlief. Apropos. »Musst du für die Befragung nicht noch zur Verfügung stehen?«
»Später, haben die Beamten gesagt. Sie haben meine Personalien aufgenommen und wissen ja, wo sie mich in den nächsten Tagen finden.« Simona runzelte die Stirn. »Falls jetzt nicht das komplette Projekt gestoppt wird.«
»Wegen der Ermittlungen?« Thea lächelte beruhigend. »Ich glaube nicht. Natürlich ist es möglich, dass die Arbeit der Polizei den gewohnten Ablauf etwas stört, aber solange die beiden Toten nicht gerade die Hauptdarsteller waren, dürfte es schon weitergehen. Oder war Céfiros wissenschaftliche Mitarbeit von so immenser Bedeutung? Offen gesagt habe ich keine genaue Vorstellung von seiner Aufgabe. Ich hätte gedacht, dass eine solche Beratertätigkeit eher im Vorfeld wichtig ist, damit sich keine historischen Fehler ins Drehbuch schleichen.«
»So wirklich weiß ich das auch nicht«, gab Simona zu. »Ich glaube, er berät für die Dauer des gesamten Projekts. Er achtet zum Beispiel auch auf die richtigen Kostüme. Neulich habe ich noch mitbekommen, wie er Teodoro und Roderick auf einen Fehler der Hauptfigur hingewiesen hat.« Ein zartes Lächeln schlich sich in ihr Gesicht.
»Teodoro? Roderick?«
»Teo ist der Hauptdarsteller und Roderick der Regisseur.« Wieder lächelte sie auf eine Weise, die Thea vermuten ließ, dass sie ein großer Fan des wahrscheinlich gut aussehenden Schauspielers war. »Da drüben, das ist Teo. Daneben steht Roderick.«
Simona deutete auf eine Stelle zwischen Wasserlinie und Wald. Gut zehn Meter vor ihnen redete ein Spanier auf einen Mann ein, den Thea vom Äußeren her für einen Deutschen oder Österreicher hielt.
Hätte es noch letzte Zweifel gegeben, wäre Thea spätestens nach dem Blick in Simonas Gesicht klargeworden, dass diese wirklich für den Spanier schwärmte. Wie erwartet, sah er tatsächlich gut aus. Sein kantiges Kinn und die hohen Wangenknochen verliehen ihm klassische Züge. So hatten alte Filmhelden ausgesehen.
Auch der Regisseur war attraktiv, doch beruhte das bei ihm eher auf seiner charismatischen Ausstrahlung. Sie schätzte ihn auf Anfang oder Mitte fünfzig. Er trug sein für einen Mann seines Alters ausgesprochen volles Haar etwas länger, sodass es gewollt verwegen, aber nicht ungepflegt wirkte. Die zahlreichen grauen Strähnen, die ins Haar geschobene Brille und ein Schal um den Hals verliehen ihm ein zugleich weltmännisches wie intellektuelles Aussehen.
Die Mienen der Männer waren ernst. Als Simona und Thea an ihnen vorbeiliefen – nicht, ohne dass Simona scheu zu Boden blickte –, schnappte Thea auf, dass der Regisseur etwas von »dass er so weit gehen würde, hätte ich nie gedacht« sagte.
Sofort hielt sie Simona am Arm fest. »Was meint er damit?«, tuschelte sie ihr zu.
»Was meint wer?« Simona schien mit ihren Gedanken weit weg zu sein.
»Dieser Roderick. Der Regisseur. Er hat doch gerade gesagt: ›Dass er so weit gehen würde, hätte ich nie gedacht.‹«
»Hat er?« Simona zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. So gut kenne ich ihn auch gar nicht.« Sie beschleunigte ihre Schritte. »Komm, lass uns rasch zum Verpflegungszelt gehen. Wenn wir Glück haben, ist noch Kaffee da, weil alle zum Ufer gestürzt sind.«
Ein wenig überrascht von der plötzlichen Eile folgte Thea der Spanierin in Richtung Lager, das getrennt durch einen flachen Wasserlauf vor ihnen lag. Einige Bretter gestatteten eine Überquerung trockenen Fußes und durch ein Tor gelangten sie in das umzäunte Campinggelände. Eine Handvoll große und ein paar kleinere Zelte standen hier umgeben von Bäumen, Picknicktischen und gemauerten Grillplätzen. So stellte sich Thea ein Pfadfinderlager vor.
Gemessen an der Anzahl der Unterkünfte trafen sie nur auf wenige Menschen, dennoch streifte manch ein neugieriger Blick die Fremde neben Simona.
»So wie es aussieht, sind wirklich alle noch am Ufer.« Simona führte Thea zu einem der großen Zelte. »Unser Verpflegungszelt.«
Wärme schlug ihnen entgegen, gemischt mit dem Duft nach Kaffee. An einer der langen Seiten waren Tische aufgebaut, und zurückgelassene Brotkrumen auf leeren Servierplatten zeugten davon, dass hier das Frühstück serviert worden war. An den Bierzeltgarnituren hätten rund dreißig Leute Platz gefunden, doch jetzt waren Thea und Simona die Einzigen, die sich aus einer riesigen Thermoskanne Kaffee in bereitstehende Tassen füllten und sich hinsetzten.
Simona starrte gedankenverloren auf die gegenüberliegende Zeltwand.
»Dann erzähl mal«, forderte Thea sie mit sanfter Stimme auf und nippte an ihrem Kaffee. Schwach und nur noch lauwarm. Fast hätte Thea das Gesicht verzogen. Aber einen gemütlichen Kaffeeklatsch versprach das vor ihr liegende Gespräch ohnehin nicht.
»Wo soll ich anfangen?« Simona runzelte die Stirn, als gälte es, eine schwierige Prüfungsfrage zu beantworten.
»Erzähl mir vielleicht erst mal etwas über das Lager. Was macht ihr hier? Wie ist eure Beziehung zu dem Film?« Erfahrungsgemäß brachte man Menschen am entspanntesten zum Reden, wenn sie über geliebte Freizeitaktivitäten sprechen konnten, und dieser Verein schien Simonas Hobby zu sein. Hoffentlich kamen sie zu den wichtigen Punkten, bevor David sie störte – und ehe er herausfand, dass sie schon wieder ein klitzekleines bisschen ermittelte.
»Unser Verein nennt sich S’Herència viva de Mallorca«, entgegnete Simona und wurde tatsächlich sofort lebhafter. »Kurz HVM. Fünfunddreißig Jahre Franco-Diktatur haben gereicht, um unsere mallorquinische Kultur bei vielen in Vergessenheit geraten zu lassen. Das wollen wir ändern.« Nun wirkten ihre Stimme und Haltung kämpferisch. »Wir kümmern uns zum Beispiel darum, den ball de bot, unseren typischen Volkstanz, wieder in die Dörfer zu tragen. Inzwischen gibt es wieder überall Gruppen, die den Fandango mallorquin, den Jota oder den Mateixa regelmäßig tanzen. Wir nähen gemeinsam unsere Trachten, wir helfen in kleineren Museen, und vor allem haben wir eine super Gemeinschaft und eine Menge Spaß.« Ein kurzes Lächeln erhellte ihr Gesicht, bevor sie erneut ernst wurde. Vielleicht dachte sie an die beiden Mitglieder, die der Verein verloren hatte.
»S’Herència viva de Mallorca«, wiederholte Thea und übersetzte den Namen für sich ins Deutsche. Das lebendige Vermächtnis Mallorcas. »Ein passender Name und eine schöne Aufgabe. Und Alegría und Céfiro machten bei euch mit?«
»Ja, die beiden gehörten zu uns. Alegría war ein hübsches Mädchen. Inzwischen natürlich schon eine Frau, aber ich kenne sie schon seit vielen Jahren und sie hat immer noch etwas so jugendlich Unbeschwertes und Fröhliches ... ich meine hatte immer so etwas Unbeschwertes an sich, das sie noch immer wie ein Mädchen wirken ließ. Allerdings eins, auf das die Männer flogen.« Sie lächelte traurig. »Was ihr aber leider nicht unbedingt Glück in der Liebe gebracht hat.«
»War sie mit Céfiro nicht glücklich?«
»Doch! Mit ihm schon.« Simona trank einen Schluck Kaffee. Ihr schien der leicht abgestandene Geschmack nichts auszumachen. »Aber du siehst ja, dass ihr dieses Glück nicht lange vergönnt war. Céfiro kannte sie erst seit wenigen Monaten. Sie haben sich durch irgendein gemeinsames Projekt näher kennengelernt. Er war es, der uns vorgeschlagen hat, als dieser Regisseur Statisten und Komparsen für seine Produktion suchte. So ist die Idee zu diesem Lager entstanden. Wir haben uns alle so darauf gefreut. Es hätte so schön werden sollen.« Sie seufzte traurig. »Unvorstellbar, dass die beiden nicht mehr da sind.«
»Sie waren also erst seit wenigen Monaten zusammen?«
»Sogar noch kürzer.« Simona verzog das Gesicht. »Alegría hatte viel zu viel Angst vor ihrem Ex. Der hat ihr nämlich wirklich kein Glück gebracht.«
Thea wurde hellhörig. Tötungsdelikte hatten oft ihren Ursprung in Beziehungsdramen. »Was meinst du damit?«
»Breno ist ein Mistkerl. Aufbrausend, hat Alegría wie sein Eigentum behandelt, aber keins, das für ihn wertvoll ist. Ich habe mich gefreut, als sie ihn endlich los war.«
Das klang wahrhaftig nicht nach einem Sympathieträger. »Du kennst den Ex-Freund?«
»Ja, leider.« Simona seufzte erneut. »Er ist auch bei uns im Verein, aber ich frage mich immer, warum eigentlich.« Sie sah zum Eingang, als jemand den Kopf ins Zelt steckte.
»Ach, Simona, hier bist du«, sagte eine dunkelhaarige Frau, die auch Thea kurz zunickte. »Ein Polizist hat nach dir gefragt.«
Simona stürzte den Rest Kaffee herunter. »Ich komme schon.« Sie lächelte Thea entschuldigend zu. »Tut mir leid, du hast es ja gehört. Ich muss dich allein lassen.«
»Ich komme mit raus.« Sie trugen die Tassen zur Geschirrrückgabe und Thea bemühte sich, Simona nicht sehen zu lassen, dass sie ihren Kaffee nicht ganz ausgetrunken hatte. Dann trat sie neben Simona ins Freie. Wieder draußen an der Luft bemerkte sie erst, wie stickig es in dem Zelt gewesen war. Die tagsüber schon recht kräftige Sonne hatte das Innere aufgeheizt. Im Schatten einer Kiefer blieb Thea stehen und genoss einige Atemzüge lang den würzigen Duft des Waldes.
»Da ist er übrigens«, sagte Simona in diesem Moment.
»Da ist wer?« Thea folgte Simonas Blick.
»Breno Guzmán. Alegrías Ex. Der da drüben im Fußballtrikot von Real Mallorca.«
