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Mordermittlung statt Meeresurlaub!
Kommissarin Thea Molt nimmt sich gerade eine berufliche Auszeit, als ihre Freundin sie um Hilfe bittet: Thea soll ihr in ihrem Feinkost-Laden auf Mallorca aushelfen. Die ersten Tage im malerischen Küstenort Paguera sind herrlich, doch dann wird ihr Nachbar ermordet! Thea ist schockiert und beginnt auf eigene Faust, Nachforschungen anzustellen. Dabei gerät sie mit dem spanischen Polizisten David Martinez aneinander. Doch Thea wird seine Hilfe noch brauchen. Denn sie ahnt nicht, was sie mit ihren Ermittlungen losgetreten hat...
Der erste Fall für Kommissarin Thea Molt und Sargento David Martinez auf Mallorca. Denn auch auf der Lieblingsinsel der Deutschen schläft das Verbrechen nie. Die perfekte Urlaubs- und Strandlektüre für alle Krimifans.
eBooks von beThrilled - mörderisch gute Unterhaltung!
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Seitenzahl: 307
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Über dieses Buch
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Über die Autorin
Impressum
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Einen Feinkost-Laden auf Mallorca führen und nebenher Urlaub machen – Thea sagt sofort ja, als ihre Freundin sie bittet, ihr für ein paar Wochen auszuhelfen. Die Kommissarin nimmt sich gerade eine Auszeit, da kommt das Angebot wie gerufen. Ihre ersten Tage im malerischen Küstenort Paguera sind herrlich, doch dann wird ihr Nachbar ermordet! Thea ist schockiert und fängt an, Nachforschungen anzustellen – sehr zum Leidwesen des spanischen Polizisten David Martinez, der den Fall aufklären soll. Aber Thea wird seine Hilfe noch brauchen, denn sie ahnt nicht, was sie mit ihren Ermittlungen losgetreten hat...
Cara Maria Cardenes
Die Mallorca-Kommissarin
Tödliche Siesta
Eine Wolke schob sich vor den Mond, und Finsternis legte sich über das alte Haus am Waldrand. Das war ihre Chance. Um das Gebäude zu erreichen, musste die Kommissarin den Schutz der Bäume verlassen und die offene Wiese überqueren. Sie fasste sich ein Herz und sprintete los. Geduckt und mit gezückter Waffe hielt sie auf ihr Ziel zu. Im selben Moment fielen Schüsse ...
Thea fuhr zusammen, als das Telefon läutete. Flüssigkeit ergoss sich kalt in ihren Schoß und spritzte auf das Sofa. Verdammt. Sie angelte nach der Fernbedienung und stellte den Ton leiser. Zum Glück hatte sie vorhin dem Wunsch nach einem Glas Wein widerstanden. Mineralwasser hinterließ keine fiesen Flecken. Während sie sich hochrappelte, um aus der Küche ein Tuch zu holen, ergriff sie im Vorbeigehen das Telefon auf der Anrichte.
»Molt.«
»Thea, warum so förmlich? Mal wieder nicht aufs Display geschaut?«
»Becca. Grüß dich.« Thea nahm das Geschirrtuch vom Haken. »Habe nicht drauf geachtet. Ich hatte es eilig, ein Tuch aus der Küche zu holen. Ich habe ein Glas Wasser verschüttet.« Weil ihre Nerven zum Zerreißen gespannt waren, wenn irgendwo Schüsse fielen – und sei es nur im Fernsehen. Sie klemmte sich das Telefon zwischen Ohr und Schulter und begann, den Fleck vom Rand her abzutupfen. »Wie geht's? Was gibt es Neues im Paradies? Erzähle mir bitte etwas von Sonne und Meer. Hier regnet es seit Tagen.«
»Wir haben es ein bisschen kühl und windig. Aber die Sonne scheint, fünfzehn Grad sind für Januar okay, und das Meer ist sowieso immer hier.«
»Ich beneide dich.« Eine ihrer blonden Locken rutschte nach vorne und kitzelte ihre Nasenspitze. Seit sie ihre rückenlange Mähne gegen einen schulterlangen Bob ausgetauscht hatte, entkam immer mal wieder eine Strähne aus dem Haargummi. Ungeduldig schob Thea sie hinter das Ohr. »An Tagen wie diesen frage ich mich ernsthaft, ob ich mein Glück nicht auch in Spanien hätte suchen sollen.«
»Ach, Liebes. Noch kein Stück weiter in der Sinnkrise?«, fragte Rebecca voller Mitgefühl. Sie gehörte zu den wenigen, die wussten, warum Thea diese Auszeit so dringend brauchte. Sie und ihr direkter Vorgesetzter, denn der hatte ihr Gesuch um ein freies Jahr unterstützen müssen. Natürlich hatte er eine Erklärung verlangt, aus welchem Grund jemand im Alter von gerade einmal achtundzwanzig Jahren schon ein Sabbatical einlegen wollte. Sie hatte lange mit sich gerungen, ihm dann aber reinen Wein eingeschenkt.
»Noch immer nicht.« Thea warf das Tuch auf den Couchtisch. Im Fernsehkrimi saß die junge Kommissarin mit einer Decke und einer Tasse eines dampfenden Getränks auf den Stufen eines Rettungswagens. Im Hintergrund wurde der Täter abgeführt. Mit ihrer kleinen, schlanken Statur sah ihr die TV-Ermittlerin sogar ein wenig ähnlich. Ihr hatte jedoch an jenem Tag niemand einen Kaffee gereicht. Sie schaltete den Fernseher aus und ließ sich neben der feuchten Stelle aufs Sofa fallen. »Wenn Todesermittlerin nicht eigentlich mein Traumjob wäre, würde ich einfach alles hinwerfen. Aber sollte ich das jetzt machen, würde ich es in einigen Jahren bereuen. Also warte ich weiter auf eine Erleuchtung, wie es ab Herbst weitergehen soll.«
»Du musst mal raus. Mit Chips, Wein und Netflix bekommst du den Kopf nie frei.«
»Flips, Mineralwasser und Prime«, versuchte Thea zu witzeln.
»Was?«
»Es waren keine Chips. Ich saß heute mit Erdnussflips und Wasser auf dem Sofa und habe Amazon angehabt.«
»Haha. Selbst deine Witze sind lahm. Krieg endlich den Hintern hoch. Ein Jahr auf dem Sofa wird dir nicht weiterhelfen, du brauchst Abwechslung, um den Kopf freizubekommen.«
»Und was stellst du dir vor?« Langsam fand sie Beccas ständig gleiche Ratschläge nervtötend. Seit drei Monaten drehten sich ihre Gespräche im Kreis. Anfangs hatte Becca es noch für eine gute Idee gehalten, dass Thea sich für eine Weile aus dem Polizeibetrieb herausnahm, um in Ruhe zu überlegen, ob sie den Job weiterhin machen konnte. Inzwischen drängte ihre Freundin sie jedoch bei jedem Telefonat, aktiv zu werden.
»Komm nach Mallorca!« Becca klang triumphierend. »Du hast doch selbst gesagt, dass du mich um Sonne und Meer beneidest. Beides haben wir hier im Überfluss. Im Winter ist es auf der Insel so ruhig, dass du garantiert ausreichend Zeit zum Nachdenken hast – und mit Meerblick denkt es sich viel leichter.«
Das war verlockend. Wenn da nur nicht ein anderes Problem im Weg stünde. »Mallorca kostet auch im Winter Geld. Du weißt doch, dass die Sache mit dem Sabbatical zu plötzlich war, um darauf zu sparen. Ich muss mit meinem Geld echt haushalten, um über die Runden zu kommen.«
»Auch dafür habe ich eine Lösung.«
Thea konnte das Grinsen ihrer Freundin förmlich vor sich sehen. »Aha?«
»Es ist nämlich so – ich brauche jemanden für den Laden.«
»Was? Machst du mir ein Jobangebot? Oder willst du die Insel verlassen, und ich soll übernehmen?« Thea lachte auf. Wenn jemand eine sichere Fehlbesetzung für Beccas Geschäft war, dann sie. Im Cocinar con corazón, von Becca meist Coco abgekürzt, gab es alles, was der Liebhaber der mediterranen Küche begehrte. Und genau das war Theas neuralgischer Punkt. Ihre Kochkünste erstreckten sich weitestgehend auf das Aufwärmen einer Lasagne gemäß Packungsaufdruck. Die Kantine im Polizeipräsidium war ausgezeichnet, und so hatte Thea nie die Notwendigkeit gesehen, selbst zu kochen. Von Spezialitäten der mallorquinischen Küche brauchte sie gar nicht erst zu reden.
»Hör mir doch erst mal zu«, ertönte Beccas Stimme aus dem Hörer. »Ich habe mir alles genau überlegt.«
»Ich bin ganz Ohr.« Irgendetwas sagte Thea, dass nun doch der Moment für ein Glas Wein gekommen war. Im Kühlschrank stand ein angebrochener Rosé.
»Es ist so«, begann Rebecca, während Thea in der Küche hantierte, »meine Mutter hat eine Kreuzfahrt gewonnen. Vier Wochen Karibik. Sie wollte die Tour mit einer Freundin machen, aber die hat sich das Bein gebrochen, hat jetzt irgendwas aus Stahl im Knochen stecken und eine frische OP-Narbe. So kann sie nicht aufs Schiff. Und meine Mutter sitzt nun da mit einem freien Bett in einer schicken Außenkabine.«
»Mir schwant etwas.« Thea schnupperte am Wein. Roch nicht säuerlich. Ein Probierschluck bestätigte es. Der war definitiv noch trinkbar.
»Kluger Kopf.« Becca lachte. »Mein Problem ist nur: Ich kann hier nicht ohne Weiteres weg. Das Coco ist quasi eine One-Woman-Show.«
»Was ist mit deinem Geschäftspartner? Mit diesem Oliver?«
»Der macht mit Ángel die Wochenmärkte. Und hat daneben die Boots-Charter. Der Laden ist allein meine Sache. Ich brauche also jemanden, der einspringt. Jemand, der flexibel genug ist, um mal eben für vier Wochen von zu Hause wegzukönnen.«
In Thea wurde Sehnsucht wach. Sie hatte Rebecca nie auf Mallorca besucht, doch die Fotos, mit denen die Freundin regelmäßig ihr Fernweh anfütterte, waren neiderregend. So überfüllt die Küstenregion im Sommer war, so schön war es dort in den ruhigen Wintermonaten. »Du weißt aber schon, dass ich nie in einem Geschäft gearbeitet habe? Ich habe keine Ahnung, was ich tun muss.«
»Das ist nicht schwer. Im Winter sind kaum Touristen hier. Wer dann in den Laden kommt, ist meist Stammkunde und weiß genau, was er haben will.«
»Mein Spanisch ist auch eingerostet. Und Mallorquinisch kann ich schon gar nicht.«
»Chica, du sprichst besser Spanisch als der Großteil der hier lebenden Ausländer, und Mallorquí wird nur im Hinterland gesprochen, und selbst die verstehen das normale Spanisch. Mach dir darüber keine Gedanken.« Becca lachte auf. »Und bevor die Liste deiner Bedenken noch länger wird: Die Flugtickets bezahle ich dir, wohnen kannst du bei mir, und Lebensmittel müsstest du auch in Deutschland kaufen. Es geht also wirklich nur um die Frage: Hast du Lust, vier Wochen am Meer zu leben, oder nicht?«
»Oh ja, die habe ich!«, antwortete Thea, bevor sie es sich anders überlegen konnte. »Ich muss mir nur eine Nebentätigkeitserlaubnis von meinem Dienstherrn holen, dann packe ich die Koffer!« Sie hob ihr Glas. »Auf nach Paguera! Auf zu neuen Abenteuern!«
Im Winter waren die Flieger nach Mallorca nur spärlich besetzt. Thea hatte eine Reihe für sich allein, saß am Fenster und drückte sich an der Scheibe die Nase platt. Der Blick auf die schneebedeckten Alpen war spektakulär. Einen Vielflieger hätte es sicher amüsiert, doch Thea stand dazu, dass es sie faszinierte, die Welt aus zehn Kilometern Höhe zu betrachten.
Als sie das Festland verließen und aufs offene Meer schwenkten, stieg ein unbändiges Glücksgefühl in ihr auf. Wellen waren von hier oben weiße Tupfen, Schiffe dunkle Striche in den Weiten der See. Sie konnte es kaum erwarten, endlich am Strand zu sein. Das Rauschen der Brandung, der Salzgeschmack in der Luft. Sie wollte den Sand unter den Füßen spüren, die Sonne auf der Haut, den Wind im Haar. Den typischen Geruch einer Meeresküste in sich aufsaugen. Warum war sie nicht eher auf die Idee gekommen, einfach ihre Koffer zu packen? Reif für die Insel war sie definitiv, und die Flüge nach Mallorca hatten sich außerhalb der Saison als durchaus bezahlbar entpuppt.
Becca hatte recht – sie hätte ihren Hintern früher hochbekommen sollen. Aber nun war es ja so weit. Fast fünf herrliche Wochen lagen vor ihr. Morgens würde sie den Laden für einige Stunden öffnen. Die Nachmittage gehörten ihr, dem Strand und einem guten Buch. Sie hatte neue Wanderschuhe im Gepäck und große Lust, die Insel zu erkunden, die im Winter ihre wildromantische Seite zeigte.
Zwei Stunden, nachdem sie Schmuddelwetter und Schneematsch verlassen hatten, setzte die Maschine in Palma de Mallorca auf, und wenig später kletterte Thea zu Becca in den kleinen Corsa.
***
Thea warf einen Blick zu Becca hinüber. Ihre Freundin hatte sich keinen Deut verändert. Nur die einst langen hellbraunen Haare trug sie inzwischen als trendig fransige Kurzhaarfrisur, die ihre dynamische Ausstrahlung unterstrich. Obwohl Thea alles andere als dick und phlegmatisch war, kam sie sich neben ihrer großgewachsenen, superschlanken Freundin immer ein wenig behäbig vor. Was wohl auch an deren energiegeladener Art lag: Wenn Thea noch das Für und Wider einer Sache abwog, machte ihre Freundin einfach. So hatte die sich inzwischen einen gutgehenden Laden auf dieser Insel aufgebaut, während Theas Leben in einer Sackgasse steckte und sie in drei Monaten Sabbatical nicht einmal den Rückwärtsgang gefunden hatte, um den Karren hinauszumanövrieren.
Beccas Augen strahlten vor Freude. »Es ist toll, dich mal wieder zu sehen.« Konzentriert steuerte sie durch den Verkehr der Umgehungsautobahn. Ein Transporter querte von links alle drei Fahrbahnen, um die nächste Abfahrt noch zu erwischen, doch Becca zuckte nicht einmal mit der Wimper. »Hier ist immer die Hölle los«, kommentierte sie trocken. »Die fahren alle wie die Irren.«
Thea entschied spontan, Beccas Angebot nicht wahrzunehmen, in ihrer Abwesenheit den Corsa zu benutzen.
»Im Hinterland ist es ruhiger«, erklärte Becca, die ihre Gedanken erraten zu haben schien. »Dafür sind die Straßen dort absurd schmal.«
Also auf jeden Fall Bus oder Fahrrad.
Über die Autobahn war die Fahrt von Palma nach Paguera der berühmte Katzensprung. Thea verrenkte sich den Hals, um ab und zu einen Blick aufs Meer zu erhaschen. Wie hatte sie nur so lange ohne auskommen können?
Ihr verschlug es schier den Atem, als sie kurz vor ihrer Ausfahrt einen Tunnel verließen und geradewegs auf die Berge zufuhren, die sich plötzlich zum Greifen nah vor ihnen in den tiefblauen Himmel reckten. So schön und ein bisschen unwirklich. Fast wie eine Fototapete. Unvorstellbar, dass in Deutschland noch trüber Winter herrschte. Die Natur war hier so viel weiter. Saftiges Grün, gespickt mit gelben Blüten, bildete einen Teppich für Bäume, an denen sich erste Knospen zeigten.
»Die Mandelblüte beginnt.« Becca war ihrem Blick gefolgt. »In zwei, drei Wochen wird hier alles in Rosa und Weiß erstrahlen. Du musst dann unbedingt nach Es Capdellà wandern. Der Weg dorthin führt an den Mandelhainen vorbei.«
Thea konnte sich nicht sattsehen. »Ich habe nicht geahnt, dass du so traumhaft wohnst«, sagte sie beinahe ehrfürchtig. Dann grinste sie. »Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich schon viel eher gekommen.«
Becca warf ihr lachend von der Seite einen Blick zu. »Du hättest wirklich längst einmal kommen sollen«, pflichtete sie bei. »Es ist schön, dich zu sehen«, fügte sie ernster hinzu. »Online oder per Telefon ist einfach nicht dasselbe.«
»Asche auf mein Haupt«, murmelte Thea zerknirscht. Sie kannte Becca seit dem Sommer nach ihrem Abitur. Beide hatten nach der Schule nicht sofort mit Studium oder Beruf beginnen wollen und waren auf den Kanaren gelandet. Gleich am ersten Abend hatte Thea die Hamburgerin kennengelernt. Eine Saison lang hatten sie zusammen gekellnert, gefeiert und eine Menge Spaß gehabt.
Danach hatte für Thea der Ernst des Lebens mit einer Ausbildungszusage von der Polizei begonnen, während Becca in Spanien geblieben war und nur die Inseln gelegentlich gewechselt hatte.
Zwei-, dreimal hatte sie Becca noch besucht, dann war Ben vor fünf Jahren in Theas Leben getreten. Ihren Jahresurlaub verbrauchte sie daraufhin für die Renovierung der ersten gemeinsamen Wohnung und drei Jahre später, um dort wieder auszuziehen. In der Zeit dazwischen konnte sie Ben nicht dazu bewegen, auf die »Insel der Sauftouristen« zu fliegen.
»Aber nun bin ich ja hier, und wir holen alles nach«, sagte Thea unternehmungslustig, und eine lange nicht mehr gespürte Freude stieg in ihr auf.
Beccas Bungalow lag in einer Seitenstraße oberhalb des Bulevar de Paguera, wie die weitgehend für den Verkehr gesperrte Hauptstraße hieß, die sich an der Küste entlangschlängelte und das Zentrum des touristischen Lebens bildete.
Die Straße, in der Becca wohnte, war ruhig und schmal. Ein- und zweigeschossige Häuser reihten sich rechts und links aneinander.
Vor einer Bungalowanlage in mallorquinischer Optik – ockerfarbener Anstrich und flache Pultdächer mit Terracotta-Ziegeln – manövrierte Becca den Corsa in eine winzige Parklücke. Ein kleiner Garten trennte fünf Wohneinheiten von der Straße, die man über einen Weg zwischen blühenden Hibiskussträuchern und Obstbäumen hindurch erreichte.
»Sind das echte Orangen?« Thea blieb staunend stehen. »Die hängen hier einfach so herum?«
»Ja, sind es. Orangen und Zitronen. Und ganz viel Unkraut«, kommentierte Becca den Zustand des Stückchens Grün. »Bedien dich an den Früchten, wenn dir danach ist. Die sind reif, aber außer mal eine Zitrone für einen Longdrink pflückt hier niemand etwas ab.«
Der Weg teilte sich T-förmig und führte vor den Terrassen entlang, über die man den jeweiligen Bungalow betrat.
Becca lenkte ihre Schritte nach links und stoppte vor dem vorletzten Gebäude. »Hier wären wir.« Sie schloss auf und stellte Theas Rucksack neben der Garderobe ab. Thea folgte ihr mit dem Koffer. Sie wollte sich umdrehen, um die Tür zu schließen, als es hinter ihr maunzte. Überrascht wanderte ihr Blick nach unten. Ein schwarzer Kater starrte neugierig zurück. »Na, hallo, wer bist du denn?«
Der Kater wertete das als Aufforderung, sich zu nähern. Nachdem er den Koffer ausgiebig beschnuppert hatte, strich er an Theas Beinen entlang, die sich bückte, um ihn zu streicheln.
»Das ist Fred«, erklärte Becca.
»Gehört er dir?« Thea musste sich verrenken, um gleichzeitig den jetzt schnurrenden Kater weiterzukraulen und Becca anzusehen.
»Manchmal denkt er das«, antwortete ihre Freundin lachend. »Du weißt ja, was man über Katzen sagt. Sie suchen sich ihre Dosenöffner selbst aus. Eigentlich gehört er meinen Nachbarn.« Sie ging zur Küchenzeile, die durch einen Tresen vom Wohnzimmer abgetrennt war. »Möchtest du einen Kaffee?«
»Liebend gerne.« Thea richtete sich auf und nahm das Zimmer in Augenschein, das sie bisher nur als Hintergrund von Videochats kannte.
Ein Flachbildfernseher, ein Laptop und ein Stapel Zeitschriften teilten sich die Oberfläche eines Sideboards. Gegenüber stand ein gemütlich wirkendes Sofa mit bunten Kissen und einer Kuscheldecke, davor ein Couchtisch, daneben eine Stehlampe. Das Fenster auf der rückwärtigen Seite bot leider nur die Sicht auf die Hinterhöfe des nächsten Straßenzugs.
»Meerblick wäre schöner, ist jedoch unbezahlbar«, sagte Rebecca, die neben Thea ans Fenster trat. »Zum Strand sind es aber nur zehn Minuten von hier. Der Kaffee ist gleich fertig. Soll ich dir schon mal dein Zimmer zeigen?«
Sie ging voraus und öffnete die Tür. »Dein Reich. Du kannst aber nächste Woche auch gerne ins Schlafzimmer umziehen.«
Das Gästezimmer diente sichtlich den Großteil des Jahres als Abstellraum, doch Becca hatte sich Mühe gegeben, alles einladend herzurichten. Ein Teil des Kleiderschranks war leergeräumt, Bügelbrett und Staubsauger hinter einem Paravent verschwunden. Auf dem ausziehbaren Sofa lag hübsche Bettwäsche, und der Blumenstrauß auf dem Beistelltisch hieß sie willkommen.
»Also mir gefällt es.« Thea schob den Koffer in eine Ecke. Die nächste Stunde verbrachte sie mit Kaffeetrinken, Kofferauspacken und dem Erkunden der restlichen Wohnung, was schnell erledigt war, weil es nur noch Beccas kleines Schlafzimmer und das Bad gab.
Zwischendurch versorgte Becca sie mit den wichtigsten Informationen über Paguera und die Nachbarschaft.
»Hier in dieser Ecke leben hauptsächlich deutsche Residenten und Spanier. Die Hotels konzentrieren sich auf den Bereich entlang der Strände und in den Seitenstraßen vom Bulevar. Unsere Nachbarin zur Linken arbeitet im Winter immer in irgendeinem Skigebiet in Tirol, die wirst du also gar nicht kennenlernen, auf der Seite neben deinem Zimmer wohnen die Dosenöffner von Fred, Nils und Heiko. Beide gutaussehend, beide um die dreißig und leider nicht an Frauen interessiert, was vor allem in Heikos Fall aus meiner Sicht durchaus schade ist. Nils ist Küchenhilfe, Heiko repariert Fahrräder. Beide sind supernett, nur bekifft können sie schon mal nerven. In den anderen beiden Bungalows leben Spanier. Einmal Ana, eine alte Frau, schwerhörig und nicht mehr gut zu Fuß. Ich glaube, sie sitzt den ganzen Tag vor dem Fernseher, jedenfalls hört man den fast immer. Und ganz außen wohnen Pepe und Martina, die arbeiten beide in Palma und sind eigentlich nur zum Schlafen hier. So«, Becca rieb sich die Hände, »jetzt bist du im Bilde, und wir können los. Auf ins pulsierende Nachtleben.« Sie lachte auf, als sie Theas entsetztes Gesicht sah. »Keine Angst, das war ein Scherz. Im Winter klappen die um acht Uhr die Bürgersteige hoch. Ich dachte, ich lade dich auf ein paar Tapas zu Enrique ein. Ganz gemütlich und entspannt. Und morgen beginnt dann der Ernst des Arbeitslebens.«
Am nächsten Morgen schellte der Wecker viel zu früh. Thea hatte sich in den vergangenen drei Monaten ans süße Nichtstun – und Ausschlafen – gewöhnt. Nach einem Café solo, dem von ihr heißgeliebten spanischen Espresso, fühlte sie sich zum Glück beinahe munter. Die Strahlen der Morgensonne verscheuchten die letzte Restmüdigkeit, während sie in Richtung Bulevar durch das verschlafene Paguera schlenderten. Nur einige Lieferanten waren außer ihnen unterwegs.
»Da drüben ist es.« Becca blieb stehen und deutete auf die gegenüberliegende Straßenseite.
Inmitten einer Ladenzeile entdeckte Thea das Schild vom Coco. Cocinar con corazón stand in verschnörkelter Schrift und zarten Grün- und Rosatönen darauf. Kochen mit Herz. Letzteres rutschte Thea in die Hose. Jetzt wurde es ernst.
»Mach nicht so ein Gesicht.« Becca stieß sie in die Seite. »Du bekommst das schon hin.«
Sie überquerten den Bulevar und betraten die kleine Terrasse vor dem Geschäft. Becca zückte den Schlüssel, um das Rollgitter und die Tür zu öffnen. »Willkommen im Cocinar con corazón.« Sie machte eine ausholende Geste wie ein übereifriger Touristenführer vor einer Sehenswürdigkeit.
Neugierig trat Thea ein. Als Erstes stieg ihr ein wohliger Duft in die Nase. Eine würzige Note, gepaart mit einem Hauch Zitrusfruchtaroma. Sie schnupperte genießerisch.
Becca lachte. »Jetzt schaust du drein wie viele meiner Kunden. Irgendwann nimmt man das leider kaum noch wahr.« Sie schob Thea sanft weiter in den Laden und ging nach hinten durch, um die Alarmanlage zu deaktivieren.
Der Verkaufsraum war etwas länger als breit, ohne schlauchförmig zu wirken. An den fensterlosen Längsseiten befanden sich Regale, links mit Keramik und Tischwäsche, rechts mit allerhand Flaschen und Gefäßen. Vor dem Schaufenster stand ein Tisch, einladend gedeckt mit dem, was der Laden an Geschirr, Deckchen und Servietten hergab. Ein Drehständer mit Kochbüchern komplettierte den vorderen Bereich.
Mittig behinderte ein weiteres Regal den Durchgang.
»Das kommt nach vorne auf die Terrasse«, sagte Becca. »Deine erste Aufgabe morgens. Nach dem Anschalten des Lichts und der Kaffeemaschine.« Beides machte sie sogleich. Dann weihte sie Thea in die Bedienung der Alarmanlage ein und zeigte ihr dabei den Nebenraum mit der kleinen Küche, von der eine Tür in ein noch winzigeres Bad führte.
Eine Theke mit der Kasse trennte den hinteren Teil des Ladens ab, dahinter gab es eine weitere Tür. »Da geht es zum Lager, das kommt später dran. Jetzt erkläre ich dir erst einmal, was es hier vorne zu wissen gibt.«
In der folgenden Stunde flogen Thea Begriffe um die Ohren, von denen sie noch nie gehört hatte. Sie lernte, dass das Ikatmuster der angebotenen Tischdecken ursprünglich aus Asien stammte, die hiesige Abwandlung des Zungenmusters jedoch typisch für Mallorca war und hier in Handarbeit hergestellt wurde.
»Färben und Weben nach alter Tradition ist aufwändig, dauert mehrere Wochen, und der Stoff ist deshalb richtig teuer«, erklärte Becca. »Du wirst immer mal wieder Kunden haben, die darüber meckern, dass die Decken auf dem Markt viel weniger kosten. Je nach Zeit und Geduld kannst du ihnen erklären, dass die billige Ware weder durchgefärbt noch handgewebt ist. Oder du lässt sie gehen und das billige Zeug kaufen. Mit der Zeit lernt man, bei wem es Sinn macht, die Wertigkeit dieser Tischwäsche zu erläutern.«
Im Anschluss erfuhr Thea, was sich hinter den Brotspezialitäten Pa amb und Llonguets verbarg, und bekam prompt Hunger. Danach bedauerte sie, dass es für die Verkostung der Weine aus Binissalem und des Kräuterlikörs Hierbas de Mallorca noch zu früh am Tag war.
»So, wir öffnen jetzt, den Rest zeige ich dir im Laufe des Tages.« Becca schob das Rollregal auf die Terrasse. »Los geht's.«
Zu Theas Beruhigung gab es in den Wintermonaten so wenig zu tun, wie Becca versprochen hatte. Dennoch blieben Zweifel. Niemals würde sie so gut mit den Kunden fachsimpeln können, wie Becca es machte.
»Im Winter kommen überwiegend Stammkunden«, versicherte Becca mehrfach. »Die wissen genau, was sie wollen. Viele schauen nur aus Langeweile vorbei, um etwas zu plaudern. Bei denen drehst du den Spieß um und lässt dich von ihnen beraten.«
Gegen Mittag hatte Thea das Kassensystem verstanden, kannte die meisten Produkte und verkaufte selbstständig ihre erste mediterrane Kräutermischung. Während sie kassierte, erfuhr sie, dass der Kunde aus Heidelberg stammte, in Paguera überwinterte und dass Rosmarin und Thymian zu den Kräutern gehörten, die überall auf Mallorca wild wuchsen. Becca hatte recht – dem Mann war eindeutig mehr an einem Gespräch als an Beratung gelegen.
Sie fühlte sich gewappnet für den zweiten Teil ihrer Kurzausbildung. »Willst du mich jetzt in die Geheimnisse des Lagers einweihen?«, wandte sie sich deshalb an Becca, nachdem der Heidelberger Kräuterliebhaber das Coco verlassen hatte.
»Das möchte Oliver selbst machen«, antwortete ihre Freundin.
»Ich dachte, der sei nur für die Wochenmärkte zuständig?«, erwiderte Thea erstaunt. Sie hatte bisher nicht den Eindruck gewonnen, Beccas Geschäftspartner kümmere sich besonders intensiv um die Vorgänge im Laden.
»Was das Lager angeht, ist er etwas eigen.« Becca zuckte mit den Schultern. »Eigentlich ist er ein lockerer Typ, aber er meint, im Lager dürfe nur einer das Sagen haben, sonst gibt es Chaos bei den Bestellungen. Soll mir recht sein, denn so kümmert er sich auch um die komplette Buchführung.«
Becca und Thea machten sich daran, den Tisch am Schaufenster neu zu dekorieren. Thea bewunderte eine bauchige Olivenölkanne, die in einer Glasbläserei auf Mallorca in Handarbeit gefertigt worden war. Am Ende ihres Aufenthalts wäre die ein perfektes Mitbringsel für ihre kochbegeisterte Nachbarin, die in Deutschland ihre Wohnung hütete.
In diesem Moment wurde die Tür mit Schwung geöffnet, und ein Mann trat ein. Als Erstes fielen Thea die unglaublich blauen Augen mit den leichten Lachfältchen auf. Die Sonnenbrille hatte er ins blonde Haar geschoben. Gekleidet war er lässig mit T-Shirt und auf Kniehöhe abgeschnittenen Jeans. Die nackten Füße steckten in Seglerschuhen. Wenn seine Haare nicht zu ordentlich kurz geschnitten und sein Gesicht zu sorgfältig rasiert gewesen wäre, hätte Thea sich ihn mit dieser sportlichen Figur gut auf einem Surfboard vorstellen können. Sein Blick glitt durch den Laden, kreuzte Theas, und ein umwerfendes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.
»Hallo, Oliver«, grüßte Becca.
Thea traute ihren Ohren nicht. Das war Oliver? Dieser Mann war Beccas Geschäftspartner? Rebecca hatte ihn selten erwähnt, und Thea hatte ihn höchstens auf den Fotos gesehen, die ihre Freundin ihr von der Ladeneröffnung geschickt hatte. Das war fünf Jahre her, und Thea konnte sich nicht an einen dermaßen attraktiven Mann erinnern. Den hätte sie bestimmt nicht vergessen.
»Hola, Becca«, entgegnete Oliver, wandte seinen Blick aber nicht von Thea. »Und du musst Thea sein.« Er kam näher und gab ihr dann nach typisch spanischer Art je einen Kuss links und rechts auf die Wangen. »Schön, dich kennenzulernen, und willkommen im Coco.«
»Hallo, ja äh ... richtig, ich bin Thea, danke für die nette Begrüßung.« Seit er ihr so nah gewesen war, schlug ihr Herz noch schneller. Ein angenehm frischer Geruch umgab ihn, als wäre er geradewegs von einem Schiff gekommen.
Sein Lächeln vertiefte sich. »Wollen wir?« Er deutete in den hinteren Bereich des Ladens.
»Wollen wir was?« Thea musste sich erst einmal sammeln.
»Ins Lager. Becca hat dir doch sicherlich gesagt, dass ich es dir heute Mittag erklären will.«
»Ja, hat sie.« Thea konzentrierte sich auf einen sachlichen Tonfall. Wie nützlich ihre im Beruf antrainierte Fähigkeit doch gelegentlich auch im Privatleben war, in jeder Situation äußerlich ruhig zu wirken. Sie folgte Oliver am Kassentresen vorbei in den hinteren Teil des Coco, den sie bisher nicht betreten hatte.
Das Lager präsentierte sich überraschend groß, aber ansonsten so unspektakulär, wie Thea es erwartet hatte. Regalreihen an den Wänden, dazu ein frei stehendes Regal fast mittig, in und vor dem einige Kisten und Kartons standen. Auf der freien Fläche daneben parkte nachts vermutlich der Marktwagen.
Der Tür gegenüber befand sich ein Rolltor für die Warenanlieferung über den Hof. Seitlich davon war noch ein Ausgang, neben dem ein Fluchtwegschild schwach leuchtete.
In den Gestellen an den Wänden stapelten sich mit Deckeln verschlossene Kunststoffwannen in Blau oder Orange.
»Das hier ist dein Bereich.« Oliver zeigte auf die Regalreihe mit den blauen Wannen. »Für die Märkte sind die orangefarbenen Kunststoffboxen. Neue Ware kommt dorthin.« Oliver deutete auf das Regal mit den Kisten und Kartons. »Vieles hole ich direkt beim Produzenten vor Ort ab. Lieferungen per Post oder Spedition sind selten. Die kommen dann da zu den anderen Kisten. Geh bitte nicht ohne Ángel oder mich an die Marktwannen oder die verschlossenen Kartons. Das gibt sonst ein Durcheinander in der Buchhaltung.«
»Alles klar.« Thea nickte. »Was immer du an Geheimnissen im orangefarbenen Bereich hütest, wird weiter im Verborgenen bleiben«, erklärte sie lachend.
Oliver stimmte mit ein. »Wie beruhigend. Der Gewürzhandel ist nämlich ein hart umkämpfter Markt«, erwiderte er grinsend, »und unsere Konkurrenz würde vermutlich Höchstpreise zahlen für das Rezept unserer Paella-Mischung.«
»Du hast mir nie etwas von Oliver erzählt.« Thea sah ihre Freundin vorwurfsvoll an. Nach dem Ende von Olivers Führung hatten sie das Coco geschlossen und auf dem Heimweg aus der kleinen Bäckerei an der Ecke eine tellergroße Ensaimada mitgenommen. Nun saßen sie mit diesem typisch mallorquinischen Gebäck und einem Kaffee auf Beccas Terrasse.
»Was gibt es denn da groß zu erzählen?« Becca biss herzhaft in die mit Puderzucker bestäubte Hefeteigschnecke. »Er ist mein Geschäftspartner. Wir verstehen uns gut, haben aber wenig miteinander zu tun. Er macht sein Ding, ich meins.«
»Das Wichtigste hast du mir verschwiegen.« Thea grinste verschmitzt und leckte die Puderzuckerreste von ihren Fingerspitzen.
»Habe ich?« Becca legte die Stirn in Falten. Dann ging ihr sichtlich ein Licht auf. »Ach, du meinst sein Aussehen?« Sie winkte ab. »Meine Oma hat immer gesagt, von einem schönen Teller allein kann man nicht essen. Ich schätze, dabei hat sie an Typen wie Oliver gedacht.«
»So schlimm? Man muss ihn ja nicht gleich heiraten.« Thea lachte. »Aber gib ruhig zu, dass du zumindest mal daran gedacht hast, ihm die Kleider vom Leib zu reißen.«
Becca verschluckte sich fast an ihrem Kaffee. »No way! Sex ist Sex, und Business ist Business. Das sollte man aus gutem Grund nicht vermischen.«
»Also wart ihr nie zusammen?« Thea konnte es kaum glauben. Sie kannte Beccas Männergeschmack, und da traf Oliver ins Schwarze.
»Niemals.« Becca machte eine Pause. »Und, Thea?«
»Ja?«
»Ich gebe dir einen guten Rat: Oliver sieht verdammt gut aus, aber er weiß das auch. Der wechselt seine Gespielinnen nach Lust und Laune. Mach dich nicht unglücklich.« Ein eindringlicher Blick folgte.
»Ich bin gerade erst über Ben hinweg«, erwiderte Thea schulterzuckend. »Ich glaube nicht, dass ich mich so bald wieder auf einen Typen einlasse.« Selbst wenn Oliver wirklich verteufelt attraktiv war. Aber sie neigte leider dazu, ihr Herz schnell an jemanden zu verlieren, um danach lange Wochen – und in Bens Fall sogar Monate – zu leiden, wenn es mit der Beziehung nicht klappte.
»Dann sollten wir jetzt das Thema wechseln und zu angenehmeren Dingen kommen. Ich dachte dabei an den Strand. Wie wär's? Hast du Lust, den großen Zeh ins Mittelmeer zu tauchen?«
Paguera zog sich an drei sandigen Buchten entlang. Die Playa Palmira war der schmalste, aber längste Strand dieser drei und im Januar nahezu menschenleer. Nicht einmal zehn Menschen verteilten sich dort, wo im Sommer die Sonnenhungrigen Handtuch an Handtuch lagen. Einige Hunde tobten in der auslaufenden Brandung, ihre Besitzer schlenderten gemächlich neben ihnen her. Von den Außenterrassen der Restaurants an der Strandpromenade erklang leises Stimmengewirr. Ein Gitarrist saß auf der Strandmauer und intonierte in der Hoffnung auf Trinkgeld Eviva España.
»So stelle ich mir Urlaub vor!« Thea ließ ihre Tasche fallen und breitete ein Badelaken aus. Sekunden später landeten ihre Jeans und das Shirt darauf.
»Nur im Bikini?« Becca zog ein skeptisches Gesicht. »Nicht, dass er dir nicht ausgezeichnet stünde. Aber findest du es nicht ein bisschen kalt?«
»Ich brauche Sonne! Die letzten Wochen in Deutschland waren deprimierend grau.« Thea ignorierte den Windhauch, der kühl über ihre nackte Haut strich. Auf Beccas geschützter Terrasse hatte die Sonne mehr Kraft.
»Wie du meinst.« Becca ließ sich in Jeans und T-Shirt auf dem Strandtuch neben Thea nieder und zog ein Buch aus der Tasche.
»Ich teste mal die Temperatur des Wassers.« Ein frischer Luftzug würde sie doch nicht davon abhalten, den Urlaubstag mit einem Sprung ins Meer abzurunden! Entschlossen legte Thea die fehlenden Meter zu den heranrollenden Wellen zurück. Als die erste ihre Waden umspülte, schnappte sie nach Luft. Verflixt, das war lausig kalt. Weiter als bis zu den Knien würde sie keinesfalls hineinwaten. Um nicht den Spott ihrer Freundin zu riskieren, hielt sie es einige Minuten im Wasser aus, bevor sie zu ihrem Platz zurückschlenderte.
»Na, könnte wärmer sein, oder?« Becca hob den Blick von ihrem Buch und grinste zu ihr herauf.
»Hm. Hatte ein bisschen was von einer Kneippkur«, musste Thea zugeben. Sie rieb kräftig über ihre eisigen Beine. »Schade, ich wäre gerne geschwommen.«
»Tu dir keinen Zwang an«, kommentierte Becca trocken. »Dank der Bäume im Garten kannst du dir problemlos eine heiße Zitrone gegen die Erkältung machen.«
Thea verzog das Gesicht und klappte unauffällig den unteren Teil ihres Strandtuchs über die eiskalten Füße.
»Was hältst du davon, wenn ich dich auf einen Kaffee einlade?«, fragte Becca. »Zum Aufwärmen. Und danach gibt's zum Sonnenuntergang einen Rosé.«
»Das klingt großartig.« Das nächste Mal würde sie es wie Becca halten und sich einfach mit einem guten Buch in die Sonne legen.
Sie packten ihre Sachen zusammen und machten sich auf den Weg zur Nachbarbucht. An der Playa Tora reihten sich drei Restaurants an der Promenade auf. Die Terrassen waren gut besucht, noch größerer Beliebtheit erfreuten sich jedoch die Sitzgelegenheiten direkt im Sand, die im maritimen Stil schon fast karibisch anmuteten und Urlaubslaune verbreiteten.
»Ganz so leer ist Paguera ja doch nicht«, kommentierte Thea, als sie den letzten der niedrigen Tische erobert hatten und in die Polster der weiß lackierten Holzsesselchen sanken. »Es ist aber auch wirklich hübsch hier.« Nur ein breiter Weg trennte sie vom Strand, im Hintergrund glitzerten die Wellen, und am Horizont erstreckten sich die Ausläufer von Santa Ponça.
Im Anschluss an den Kaffee bestellten sie einen fruchtigen Rosé und sahen dabei zu, wie die Sonne immer tiefer über den wolkenlosen Himmel wanderte und sich anschickte, an der Nase des Cap Andritxol glutrot ins Meer zu tauchen.
»Wir sollten langsam los.« Becca winkte der Bedienung. »Nach Sonnenuntergang wird es richtig kalt.«
Sie zahlten und machten sich auf den Heimweg. »Lass uns hinten herum zum Bulevar gehen«, schlug Becca vor. »Dann siehst du noch etwas Neues.«
Auf der Rückseite der Restaurants befand sich ein piniengesäumter Parkplatz. »Ach, schau mal, Nils macht gerade Feierabend.« Sie deutete auf einen hoch aufgeschossenen rotblonden Mann in Jeans und T-Shirt, der mit dem Rücken zu ihnen zwischen den Bäumen stand. »Er arbeitet hier als Küchenhilfe.« Sie hob den Arm zum Winken. »Hola, Nils!«
Der Gegrüßte zuckte merklich zusammen und wandte sich mit erschrockener Miene zu ihnen um. Während er mit der rechten Hand zurückwinkte, ließ er blitzschnell mit der linken etwas in seiner Hosentasche verschwinden. Jetzt sah Thea auch, dass er nicht allein dort stand. Halb verborgen von den geparkten Fahrzeugen drehte sich ein Spanier weg und verschwand hastig zwischen den Pinien in Richtung Strand.
Sie sah ihm mit gerunzelter Stirn nach, rief sich dann aber zur Räson. Was immer die beiden da gemacht hatten – und das war relativ eindeutig gewesen: Sie war nicht im Dienst und außerdem anderthalbtausend Kilometer von ihrem Zuständigkeitsbereich entfernt.
Nils hatte sich inzwischen wieder entspannt und kam auf sie zugeschlendert. »Grüß dich, Becca.« Küsschen links, Küsschen rechts. »Und du bist Thea, nehme ich an? Becca hat dich schon angekündigt.«
Thea nickte und wurde ebenfalls auf die spanische Art begrüßt.
»Nils ist unser Nachbar«, erklärte Becca. »Du weißt – die Dosenöffner von Fred.«
»Genauso ist es«, bestätigte Nils. »Freut mich, dich kennenzulernen. Komm rüber, wann immer du magst. Heiko und ich beißen nicht, und auch Fred nur gelegentlich.« Er lachte herzlich. Wie Ed Sheeran in schlaksig, dachte Thea. Er war ihr trotz der Szene auf dem Parkplatz sofort sympathisch.
»Ich muss jetzt los. Hasta luego, Señoritas!« Mit einem letzten Winken setzte er sich ebenfalls in Richtung Strand in Bewegung.
»Er scheint nett zu sein, aber das mit dem Typen gerade war seltsam.« Thea blickte zu der Stelle, wo die beiden gestanden hatten.
»Wenn du mit unseren Nachbarn zu tun hast, lass die Kommissarin besser in Deutschland«, riet Becca. »Nils zieht gerne mal an einem Porro. Falls das die Polizistin in dir nicht erträgt, solltest du ihm aus dem Weg gehen.«
»Unsinn. Sofern er tatsächlich nur einen Joint raucht, kann ich damit leben. Marihuana schockt nun wirklich keinen Ordnungshüter dieser Welt mehr. Die taten aber so heimlich, dass ich wer weiß was vermutet habe.«
»Na ja, legal ist es auch hier nicht, deshalb haben sie sich wohl vorgesehen.«
Am folgenden Montag konnte Thea es kaum glauben, dass sie schon eine Woche in Paguera war. Becca war seit zwei Tagen auf dem Schiff, und hätte Mallorca sie nicht selbst mit türkisfarbenem Meer und Sonne verwöhnt, so wäre Thea auf die Karibikfotos neidisch geworden.
Inzwischen hatte sich eine gewisse Routine eingestellt. Auch im Coco waren ihr keine größeren Pannen passiert. Becca hatte recht: Die meisten ihrer Kunden lebten seit Jahren auf der Insel und kannten den Laden besser als Thea, sodass sie weder beraten noch lange herumsuchen musste.
Bange wurde ihr allerdings, wenn sie an den nächsten Tag dachte. Dienstags war Markttag in Paguera, und sie hatte schon vergangene Woche gemerkt, dass dann ungleich mehr Kunden ins Coco kamen.
Letzten Dienstag hatte Becca den Großteil des Ansturms erledigt. Thea hatte sich aufs Zusehen beschränken dürfen und ein gewisses Unbehagen bei dem Gedanken an die kommende Woche verspürt.
Seufzend schloss sie die Augen, legte den Kopf in den Nacken und genoss auf Beccas Terrasse die letzten Sonnenstrahlen des Tages.
Ein herzzerreißendes »Miau« lenkte ihre Aufmerksamkeit nach unten. Fred kam heranspaziert und blickte Thea auffordernd an. »Miau«, wiederholte der Kater.
Er warf Thea einen hoheitsvollen Blick zu und stolzierte an ihr vorbei in die Wohnung.
