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In Mannheim verschwinden immer mehr Menschen auf eigenartige Weise. Ohne Spuren, ohne Zeugen. Bis alle Vermissten plötzlich auf einer mysteriösen Website wieder auftauchen. Was zunächst wie eine Menschenrechtsaktion aussieht, entpuppt sich schnell als tödliches Spiel. Die Spuren führen zum Lehrstuhl für Psychologie an der Universität, aber Grant stößt auch auf eine örtliche Biotechnologiefirma, die ebenfalls mit der Sache zu tun zu haben scheint. Und welche Rolle spielt die Vergangenheit der verdächtigen Akteure, die alles auf bizarre Weise miteinander zu verketten scheint?
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Seitenzahl: 261
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Alpen, Bayern
Mannheim, Baden-Württemberg, 3 Wochen später
Mannheim, Quadrate
Mannheim, Neckarau
Mannheim
Mannheim, Augustaanlage
Mannheim
Mannheim, Kantstraße
Mannheim, Neckarau
Mannheim
Mannheim, Binnenhafenstraße
Mannheim, Polizeigebäude
Mannheim
Mannheim, Polizeigebäude
Mannheim, Polizeigebäude
Mannheim, Neckarau
Mannheim, Polizeigebäude
Mannheim, Luisenring
Mannheim, Neckarau
Mannheim, Oststadt, Kolpingstraße
Mannheim
Mannheim, Polizeigebäude
Mannheim, Neckarau
Mannheim, Neckarvorland
Mannheim, Polizeigebäude
Mannheim, Neckarvolandstraße
Mannheim, Neckarau
Mannheim, Quadrate
Mannheim, Neckarvorlandstraße
Mannheim
Mannheim, Neckarvolandstraße
Mannheim, Neckarau
Mannheim, Universitätsgelände
Zwei Tage später
Mannheim, Neckarstadt
Mannheim, Neckarau
Mannheim, Kolpingstraße
Mannheim, Neckarvorlandstraße
Mannheim, 36 Stunden später
Mannheim, Lindenhof
Mannheim, Käfertal
Mannheim, Waldhof
Mannheim, Lindenhof, 00:38 Uhr
Mannheim, Lindenhof
Mannheim, Polizeigebäude, 10:35 Uhr
Mannheim, Neckarstadt
Mannheim, Quadrate, 17:26 Uhr
Mannheim, Neckarvorlandstraße
Mannheim, Neckarvorlandstraße
Mannheim, Neuostheim
Epilog
Was für eine Atmosphäre, um sich auf den Tod vorzubereiten. Es war 19 Uhr als gerade die letzten Sonnenstrahlen über die Wipfel huschten und die Bäume noch einmal in warmes Licht tauchten. Der Anblick wurde untermalt von dem Gesang einiger Eichelhäher, die in den Ästen eine Kostprobe ihres Könnens zum Besten gaben.
Weiter unten, wo weniger Sonnenlicht durch das Unterholz drang, begann sich schon eine Ahnung von der Kälte der Nacht auszubreiten.
Die Brise, die über das Tal glitt, ließ die Bäume flüsternd zum Leben erwachen. Eine friedvolle Stimmung, die nur unterbrochen wurde durch das Schnaufen einer Gestalt, die sich die Hangflanke empor kämpfte.
Mit jedem Schritt kondensierten Atemwölkchen vor ihrem Gesicht und verwirbelten in der Abendbrise. Unter dem Gewicht von schweren Wanderschuhen war hin und wieder das Geräusch knackender Äste zu hören.
Plötzlich jedoch verstummten die Geräusche. Die Gestalt war stehen geblieben. Neben dem Stamm einer Fichte betupfte sie sich mit einem Taschentuch die schweißnassen Stellen an Stirn und Nacken. Dann drehte sie sich um und ließ ihren Blick über die Landschaft wandern.
Die Aussicht war fantastisch. Auch wenn ihn der Aufstieg bis auf diese Höhe viel Energie gekostet hatte. Der Anblick, der sich ihm bot, war die Strapazen wert. Er nickte zufrieden. Dann setzte er den Rucksack ab und zog die Karte zu Rate. Einen kurzen Moment verstummten die im Gras zirpenden Zikaden, setzten mit ihrem Gesang jedoch kurz darauf wieder ein. Vor sich konnte er den glutroten Himmel sehen, der sich über dem Gebirgsmassiv wie ein Teppich dahinzog.
Selbst der Schnee auf den höchsten Gipfeln hatte eine rötliche Färbung angenommen. Er seufzte zufrieden. Der Anblick war atemberaubend.
Schade nur, dass er ihn nicht mehr lange genießen konnte. In gerade einmal zwei Tagen musste er zurück sein.
Gedankenverloren warf er einen Blick auf das Ziffernblatt seiner Uhr. Als er die Zahlen sah, begann er zu lächeln. Genau um dieselbe Zeit in zwei Tagen ging sein Zug. Zwei Tage, in denen er noch gut 30 Kilometer zurücklegen musste.
In Gedanken überschlug er die Entfernung. Zwei oder drei Felsengrate würden noch zu überwinden sein, bevor er sich wieder den Annehmlichkeiten der Zivilisation widmen konnte. Er hob den Blick und sah gerade noch, wie der letzte Rest des glutroten Balles hinter den Bergen verschwand. Sofort wurde es dunkler.
Auch über seine Gedanken legte sich ein Schatten. Nur noch zwei Tage murmelte er leise. Er durfte nie vergessen, wieso er hierher gekommen war, in die Einsamkeit der Wälder.
Es war wie ein letztes Innehalten. Wie die letzte Ruhe vor dem Sturm, der zweifellos kommen würde.
»Noch zwei Tage«, murmelte er erneut. Dann würde es beginnen.
Ein eisiger Windhauch fuhr durch die Tannen und streifte über sein Gesicht. Die Nacht würde eisig und ungemütlich werden. Vielleicht war es das Beste, wenn er bereits jetzt begann, sich nach Holz für ein Feuer umzusehen. Zögerlich nahm er den Rucksack vom Boden und schulterte ihn.
»Noch zwei Tage.« Die Laute waren kaum hörbar und wurden rasch vom eisigen Wind in die Nachtluft hinaus getragen.
Im Grunde war der Abend viel zu schön, um ihn zwischen Plastikgefäßen und Probenröhrchen zu verbringen. Sarah Feiner sah sehnsüchtig durch die verspiegelten Fenster nach draußen, während sie die Pipetten aus der Zentrifuge nahm. Die Sonne war zwar bereits untergegangen, dennoch konnte man am Horizont noch eine quecksilbrige Linie ausmachen.
Kurz warf sie einen Blick auf die große Wanduhr.
21:35 Uhr.
Ihr einziger Trost war, dass sie am nächsten Tag mit Sicherheit früher zu Hause sein würde. Sie nahm die Pipetten und platzierte sie sorgfältig in einem Gestell aus Plastik.
Aber ihr heutiger Aufenthalt war unumgänglich.
Laut Computersystem würden 78 Prozent der Rechnerkapazität bis morgen früh um 6 Uhr frei sein. Das war genug Zeit, um das Programm einmal über ihre Proben laufen zu lassen.
Und schließlich musste sie auch daran denken, wieder rechtzeitig zu verschwinden, um nicht dem Leiter der Abteilung in die Arme zu laufen.
Sie verzog das Gesicht bei dem Gedanken. Prof. Krindler, seit Wochen machte der alte Mistkerl ihr schon Schwierigkeiten. Wenn der alte Kauz nicht jeden Teg einen Großteil der Hauptrechnerzeit für sich beanspruchen würde, sie hätte nicht mehr so spät hier sein müssen. Sie drehte eines der Röhrchen in der Hand. Dann lächelte sie. Aber nun war sie am Drücker.
Wenn nicht auf herkömmlichem Wege, dann musste man eben erfinderisch sein. Und sie war erfinderisch. Der Alte würde nichts davon erfahren. Vor 8 Uhr morgens erschien er ohnehin nie.
Mit ein paar Handgriffen beförderte sie die letzten Probenröhrchen in das Gestell, schaltete den Motor der Zentrifuge ab und trat auf den Gang hinaus.
Der Flur zu den Aufzügen war merkwürdig dunkel.
Nur wenige Lampen brannten noch. Sarah runzelte die Stirn.
Wurde ab einer gewissen Uhrzeit auf diesem Stockwerk nur noch eine Art Grundbeleuchtung eingeschaltet? Sie war noch nie so spät abends hier gewesen.
Ob sich außer dem Sicherheitsdienst überhaupt noch jemand im Gebäude befand?
Sie zögerte noch einen Augenblick, dann ging sie los. Mit dem Fahrstuhl fuhr sie drei Stockwerke bis auf die zweite Subebene herunter und betrat dann einen weiteren Gang mit spärlicher Beleuchtung.
Allerdings waren die Farben der Lichter hier in einem eigenartigen Grünton gehalten. Beinahe schien es, als dränge man in tiefen Dschungel ein. Sarah schüttelte den Kopf.
Die schwachen Lichter malten ihre Silhouette als dunklen Schatten auf die Wand des Ganges und das einzige Geräusch, das sie hörte, war das Klackern ihrer Absätze. Ein Staccato auf dem Betonboden.
Kurz blieb sie stehen.
Dort war der Interpolatorraum. Wie ein mattes, glänzendes Etwas schälte sich die große Stahltür aus der Dunkelheit.
Es war ein martialischer Anblick.
Sie trat auf die Tür zu und zerrte an dem Entriegelungsmechanismus. Die Probenröhrchen klirrten.
Dann war ein metallisches Klicken zu hören und die Tür schwang auf. Sarah atmete schwer und begann auf der Innenseite nach einem Lichtschalter zu tasten. Ihre Hände berührten nackten Beton.
Verflucht, sie wusste, dass sich der Schalter irgendwo dort befand. Mit der Schulter drückte sie die Tür weiter auf.
Im Inneren des Raumes konnte sie bereits das fahle Licht irgendwelcher Lämpchen und Anzeigen ausmachen.
Wo war der verdammte Schalter? Dann stutze sie mit einem Mal. Ein Kribbeln durchlief ihren Körper. Es war ihr, als habe sie aus dem Inneren des Raumes ein Geräusch gehört.
Es war ein verstohlenes Rascheln. Fast wie der knisternde Stoff eines Mantels.
Wieder streckte sie vorsichtig die Hand aus. Dann zuckte sie plötzlich zurück. Sie wollte sie wieder aus dem Spalt ziehen, aber blitzschnell packte etwas ihren Oberarm.
Dann legte sich etwas rasch um ihren Nacken und zog sie mit einem brutalen Ruck nach vorne ins Dunkel. Sarah schrie auf.
Sie ließ das Gestell mit den Probenröhrchen fallen.
Die Gläser zerplatzten auf dem Boden.
Schmerzhaft wurde sie nach vorne gerissen. Der Druck in ihrem Nacken verstärkte sich. Im nächsten Moment knallte sie mit dem Kopf gegen die Betonwand. Lichter explodierten vor ihren Augen. Sie fühlte, wie sie zu Boden sackte. Dann wurde ihr schwarz vor Augen.
Die Tropfen klatschten in schneller Folge auf die Frontscheibe und liefen dann in Schlieren nach unten. Beinahe sah es aus wie Myriaden von winzigen Bächen, die sich im unteren Teil wieder zu größeren Flüssen zusammenschlossen.
Nathan Grant schloss die Augen und lehnte seinen Kopf nach hinten gegen das Polster des Autositzes.
Es war unmöglich, bei diesem Lärm an so etwas wie Schlaf zu denken. Er lauschte dem wütenden Trommeln der Regentropfen auf dem Dach. Die winzigen Aufschläge hörten sich in der Stille fast wie Hagelkörner an.
Entnervt schlug er die Augen wieder auf und betrachtete sich im Rückspiegel.
Seine Haare waren noch immer nass vom Regen und klebten in dunklen Strähnen an seinem Kopf.
Er kratzte sich am Kinn und begutachtete die tiefen Ringe unter seinen Augen. Es war 5:37 Uhr und es war zum Verrücktwerden.
Wenn er gewusst hätte, dass er die Frühschicht würde übernehmen müssen, hätte er sich wenigstens auf das frühe Aufstehen vorbereiten können. Aber so.
Mühsam richtete er sich aus seiner halb liegenden Position auf und öffnete der Fahrertür. Sofort wehte ihm ein kräftiger Windstoß entgegen.
Er schälte er sich aus dem Wagen und zerrte seine Sporttasche vom Beifahrersitz.
Die Welt war grau, neblig und nass an diesem Morgen. Hunderte von Pfützen hatten sich auf dem Asphalt gesammelt und der Wind trieb sein Spiel mit alten Zeitungsresten.
Seit über fünf Monaten war nun schon hier. Ein Austauschprogramm mit seiner Abteilung in Washington. Bisher alles andere als aufregend. Obwohl er dem deutschen Lebensstil mittlerweile das ein oder andere abgewinnen konnte. Vor allem das deutsche Bier hatte es ihm inzwischen angetan. Kaum ein Abend, an dem er sich nicht mit einer Flasche auf den Balkon setzte.
Dazu eine gute Zigarre. Was für eine entspannte Art den Feierabend zu verbringen. Dazu eine ruhige Nachbarschaft. Nette Leute, obwohl er versuchte, den meisten so gut es ging aus dem Weg zu gehen.
Auf der anderen Straßenseite erhob sich die Fassade des Polizeireviers. Das Gebäude war ein dunkler Betonklotz, grau und nichtssagend.
Aber nach dem kalten und nassen Wetter würde das temperierte Innere eine Wohltat sein.
Er hielt die Schlüsselkarte vor den Türsensor.
Dann ging er am Empfangstresen vorbei und fuhr mit dem Fahrstuhl nach oben.
Als er vor seinem Büro ankam, konnte er aus dem Inneren bereits Geräusche hören.
Zwei Gesichter wandten sich ihm zu, als er eintrat. Erkennende Blicke, ein kurzes Nicken. Keine ausladenden Gesten, mehr die Routine eines mittlerweile alltäglichen Rituals.
Kurz registrierte Grant im Vorbeigehen die Namen auf dem billigen Türschild. Nathan Grant, Tim Paulson, Georg Alfred Brenslin.
Paulson begann bei seinem Anblick zu kichern. Grant warf ihm einen Blick zu.
»Was ist denn?«, fragte er.
Paulson hob nur grinsend die Hände. »Nichts gar nichts«, sagte er. Die riesigen Hände des über zwei Meter großen Schwarzen sahen in dem diffusen Licht des Büros wie Baggerschaufeln aus. Grant wunderte sich immer wieder darüber, wie es Paulson damit überhaupt möglich war, die filigrane Tastatur seines Computers zu bedienen.
»Gut siehst du aus«, sagte Paulson und sein Grinsen wurde noch breiter.
Grant wandte sich ab und zog den Reißverschluss der Sporttasche auf. Er griff nach dem erstbesten Kleidungsstück und begann sich die Haare zu trocknen.
Er hatte die Prozedur kaum beendet, als er im Hintergrund das Läuten von Paulsons Telefon hörte.
Von draußen trommelten die Tropfen gegen die Fenster. Grant konnte sehen, wie die Zierpappel, die man im Innenhof gepflanzt hatte, heftig im Wind hin und her schwang.
Nein, der Tag würde alles andere als angenehm werden. Er gab sein Passwort in ein Fenster auf dem Bildschirm ein und startete einen Internetbrowser, als er hörte, dass Paulson das Telefon wieder zurück in die Ladestation knallte.
Das klang überhaupt nicht gut. Wie zur Bestätigung sah er aus den Augenwinkeln, wie sein Kollege fluchend aufstand und seine Jacke von der Lehne des Bürostuhls zerrte.
»Wir müssen los«, sagte er missmutig.
»Und wohin?«, wollte Brenslin aus dem hinteren Teil des Büros wissen. Der Tag begann.
Der BMW preschte die Uferstraße entlang.
Grant saß auf der Rückbank und beobachtete durch das Seitenfenster das Wasser des Sees, das von Millionen von Regentropfen aufgewühlt wurde. Am Himmel schienen sich die ohnehin dunklen Wolken von Minute zu Minute immer dichter zu ballen.
Beinahe erwartete man in den nächsten Augenblicken die Wolkensäule eines Tornados zu sehen, der sich vom Himmel herabsenkte.
Er wandte den Blick ab.
Vom Fahrersitz vernahm der Paulsons Stimme.
»Nun sieh dir das an«, sagte er zu Brenslin, der auf dem Beifahrersitz in eine ähnliche Position wie Grant gesunken war. Durch die Frontscheibe konnte Grant einen roten Schlagbaum ausmachen, neben dem am Straßenrand ein kleines, graues Gebäude zu sehen war.
Rechts und links erstreckte sich, halb zwischen den Tannen des beginnenden Waldes verborgen, ein mehrere Meter hoher Metallzaun.
Am oberen Ende konnte Grant Stacheldraht erkennen.
Er pfiff leise durch die Zähne.
»Was haben die hier draußen zu bewachen? King Kong?«, gluckste Paulson und knuffte Brenslin in die Seite.
»Nicht schlecht.«
»Sieht mehr nach einer Bewachung für ein Atomraketensilo als für irgendein Labor aus, wenn du mich fragst«, erwiderte Paulson.
Grant konnte sehen, dass an einer der Seiten des Bunkers jetzt eine Tür geöffnet wurde.
Ein in Schwarz gekleideter Mann trat heraus, gefolgt von einem zweiten in derselben Uniform. Paulson bremsten den BMW vor der Schranke ab und ließ das Fenster herunter.
»Was für ein Zirkus«, sagte er.
Sie mussten ihre Ausweise vorzeigen und wurden dann von der zweiten Person durch den Zaun gewinkt. Grant warf einen Blick durch die Rückscheibe, während sich die Schranke wieder hinter ihnen schloss.
Die Umgebung begann sich rasch zu verändern. Nach wenigen Metern hüllte sie Tannenwald ein und die Scheinwerfer des Autos schraubten sich in das Dämmerdunkel.
Hier und da sah Grant die Wurzeln von umgestürzten Bäumen und das saftige Grün von Farnen, die den Waldboden bedeckten.
Der Wald wirkte beinahe urzeitlich.
Er versuchte durch die Baumreihen einen Blick auf das Gelände dahinter zu erhaschen. Wenn er sich richtig an die Lage erinnerte, mussten bald die ersten Labors auftauchen.
Paulson brabbelte auf dem Fahrersitz ein paar unverständliche Worte vor sich hin und nahm die nächste Kurve mit hohem Tempo. Die Straße führte nun in Kurven bergan.
»Vermutlich haben wir uns schon verfahren«, knurrte er, aber plötzlich konnte Grant die ersten Gebäude durch die Phalanx von Tannen ausmachen.
Als sie den Wald hinter sich ließen und auf freies Gelände einbogen, wurde die Steigung des Terrains flacher. Paulson drosselte die Geschwindigkeit.
»Das ist ja nicht zu fassen«, sagte er, »das sieht aus wie braune Schuhkartons.«
Er hatte recht. Die großen Bauten schienen allesamt den gleichen Grundriss aufzuweisen und sahen aus wie langgezogene Bauklötze. Grant beschlich ein seltsames Gefühl.
Die Gebilde wirkten wie Fremdkörper im Grün.
Paulson parkte den BMW auf einem schmalen Schotterband vor einem der Gebäude. Als Grant ausstieg, spürte er sofort den Nieselregen, der noch immer in der Luft lag.
Er ließ seinen Blick in Richtung See wandern. Das matte Grau der Wasseroberfläche war nur schwer vom Dunkel des Himmels zu unterscheiden.
Ob man die Anlage vom Seeufer überhaupt sehen konnte? Grant drehte sich um. Das Gelände vor ihm war weitläufig und fiel im hinteren Teil immer weiter zu einer Senke hin ab. Schmale Schotter- und Pflasterwege verbanden die einzelnen Gebäudeabschnitte und Grant konnte ein paar vereinzelte Teerstraßen ausmachen, die im hinteren Teil der Anlage wieder im Dunkel des Waldes verschwanden.
Misstrauisch kratzte er sich an der Stirn. Es waren kaum Personen zu sehen. Noch nicht einmal Fahrzeuge waren vorhanden und alle Fenster an den Gebäudewänden waren verspiegelt, sodass es unmöglich war zu sehen, was sich dahinter abspielte. Außerdem erkannte Grant an mehreren Stellen Kameras, die an den Außenwänden oder an Masten angebracht waren. Unweigerlich stieg ein Gefühl der Beklemmung in ihm auf.
Hinter sich vernahm er Brenslins raue Stimme
»Lasst uns keine Zeit verlieren.«
Sie betraten das Gebäude und wurden von einer Rezeptionistin empfangen, die sie weiter durch ein paar gewundene Gänge und zwei Stockwerke nach oben führte. Vor einem Büro mit schweren Kirschholztüren hielt sie an und bedeutete ihnen zu warten, während sie selbst im Inneren verschwand.
Paulson grunzte.
»Habe ich es nicht gesagt? Was für ein Affentheater.«
Nach einigen Sekunden erschien die Frau wieder in Begleitung eines großen Mannes mit Hakennase, Brille und straff nach hinten gekämmten, stahlgrauen Haaren.
Grant musterte den Mann. Der Kerl trug einen blütenweißen Anzug und ebenso weiße Lederschuhe. Das Einzige, was ein wenig herausstach, war eine bunt gemusterte Krawatte.
Beinahe sofort knipste der Mann ein einstudiert wirkendes Lächeln an und streckte ihnen die Hand entgegen.
»James Talbot Jr.«, sagte er in säuselndem Tonfall und entblößte dabei zwei von perfekter Orthodontrie zeugende Zahnreihen.
Aus den Augenwinkeln sah Grant, dass Paulson das Gesicht verzog. »Ich bin der CEO dieser Entwicklungsabteilung.«
Paulson machte noch immer ein verdrießliches Gesicht. Für einen Sekundenbruchteil herrschte Schweigen.
»Es ist gut, dass Sie jetzt da sind.« Er nickte kaum merklich und fügte dann an: »Folgen Sie mir bitte.«
Grant beobachtete, wie der Mann ohne ein weiteres Wort strammen Schrittes den Gang hinunter marschierte. Er wechselte einen kurzen Blick mit Paulson. Eine eigenartige Begrüßung.
Er war offenbar nicht der Einzige, der sich eher wie ein Geschäftspartner auf einem Businessmeeting als bei einer polizeilichen Ermittlung vorkam. Insgeheim fragte er sich, ob der Mann sie überhaupt ernst nahm.
Gemeinsam mit den anderen trottete er dem Kerl hinterher, der sie über mehrere Etagen wieder nach unten führte. Als sie durch eine Stahltür im Untergeschoss auf einen Gang hinaustraten, meinte Grant beinahe, sich in einer Art Comic zu befinden. Sämtliche Lampen an der Decke verströmten ein flimmerndes Licht.
»Was ist das für eine Beleuchtung?«, wollte Brenslin wissen.
»Das, was Sie hier sehen sind Energieeffizienslampen der neuesten Generation. Unsere eigene Erfindung.«
Talbot deutete stolz umher.
»Mehr als doppelt so effizient wie vergleichbare Produkte auf dem Markt.«
Sie gingen weiter und bogen zwei Mal rechts ab, ehe Talbot mit seiner Chipkarte eine weitere große Tür öffnete und sie in den Raum dahinter führte.
»Da wären wir«, sagte er.
Sie waren in einer fensterlosen Kammer angekommen, in der eine große blinkende Maschine herumstand.
»Wo sind wir hier?«, fragte Brenslin.
»Das ist der Interpolatorraum.«
»Der was?«
»Der Interpolatorraum«, wiederholte Talbot nur, ohne sich jedoch dazu bemüßigt zu sehen, ihnen mehr zu erklären. Stattdessen fuhr er fort:
»Direkt vor dieser Tür gibt es keine Kameras, aber die Frau, die verschwunden ist, war auf dem Weg hierher. Etwas anderes gibt es hier unten nicht.« Er überlegte kurz.
»Außer vielleicht ein paar Wirtschaftsräume. Die Klimaanlage ist ein paar Räume weiter, aber die dürfte für Sie wohl kaum von Belang sein.«
Er zeigte auf die Maschine.
»Kurz vor diesem Raum taucht sie das letzte Mal auf den Überwachungsbändern auf. Wir haben das mehrfach überprüft.«
Paulson trat einen Schritt vor.
»Wie ist der Name der verschwundenen Person. Am Telefon war nur von einer Wissenschaftlerin die Rede.« Talbot konsultierte seine Armbanduhr.
»Sarah Feiner. Eine unserer Mitarbeiterinnen aus der Produktentwicklung. Sie ist seit drei Tagen unentschuldigt nicht zur Arbeit erschienen.« Er verzog das Gesicht.
»Wir haben über sämtliche Wege versucht mit ihr Kontakt aufzunehmen. Nichts. Ich habe außerdem die Kameras der Außengelände überprüft und dabei festgestellt«, er deutete mit einer Handbewegung an, dass sie den Raum wieder verlassen sollten, »dass sich ihr Auto auf unserem Firmenparkplatz seit vorgestern um keinen Zentimeter bewegt hat. Irgendetwas stimmt da nicht und deswegen haben wir Sie angerufen. Auch ihre Handtasche haben wir unberührt an ihrem Arbeitsplatz gefunden. Wir machen uns hier alle ziemliche Sorgen.«
Er sah betrübt drein.
»Eine Sache ist allerdings ziemlich merkwürdig. Sie wurde auf keiner weiteren Kamera mehr erfasst, nachdem sie sich auf den Weg zu diesem Raum gemacht hat. Ich weiß nicht, wie ich es anders ausdrücken soll, aber es scheint fast so«, er suchte zerknirscht nach den richtigen Worten. Die Muskeln seines Unterkiefers malten. »Es ist fast so, als habe sie sich in Luft aufgelöst.«
»In Luft aufgelöst?«, fragte Paulson.
»Oder jemand hat unsere Aufnahmen manipuliert. Allerdings ist das ziemlich unwahrscheinlich. Zur Sicherheit haben wir mit ein paar Männern einige der Räume auf der Subebene abgesucht.« Er zuckte mit den Achseln. »Aber ohne Erfolg.«
Brenslin räusperte sich. »Was sind das für Räume auf der Subebene?«
»Hauptsächlich Lagerräume oder Räume der Gebäudetechnik.«
»Ich würde mir gerne das Auto der Frau ansehen«, mischte sich Grant wieder in das Gespräch ein.
»Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann steht es immer noch hier irgendwo herum.«
Talbot nickte.
»Ja, auf dem Parkplatz hinter Abschnitt B. Ich bringe Sie hin.«
Sie verließen den Raum wieder und Talbot führte sie über verschlungene Geheimwege aus dem Gebäude. Sie umrundeten ein weiteres und fanden sich dann auf dem Parkplatz wieder.
»Dort hinten«, sagte der CEO und deutete auf einen kleinen weißen Toyota am hinteren Ende der betonierten Fläche.
Grant registrierte die Umgebung. Etliche andere Fahrzeuge parkten in unmittelbarer Gebäudenähe.
Viele der Flächen waren jedoch noch frei. Er fragte sich, ob es etwas zu bedeuten hatte, dass das Auto der Frau an der hintersten Ecke des Parkplatzes abgestellt war.
Sie spähten in das Fahrzeuginnere. Einen Charakterzug, den der Wagen bereits über seine Besitzerin verriet, war eindeutig. Sarah Feiner war nicht die ordentlichste Person.
Zahllose CDs und Bücher waren auf den Sitzen des Toyota verteilt. Es war ein heilloses Durcheinander.
Grant sah wissenschaftliche Sachbücher, abgewechselt mit Kriminalromanen und sogar einigen Comics. Eine eindeutige Präferenz schien die Frau nicht zu haben.
Des Weiteren waren die Fußräume und Ablagen ziemlich verschmutzt. Überall konnte man getrockneten Matsch und Krümel verschiedenster Herkunft sehen. Auch Lack und Scheiben waren alles andere als sauber.
»Ein eindeutiges Bild«, bemerkte auch Brenslin neben ihm. Sie machten sich ein paar Notizen und stellten Talbot noch ein paar allgemeine Fragen. Der CEO gab bereitwillig, wenn auch etwas knapp Antworten, bis Paulson fragte:
»Was ist das eigentlich für eine Anlage? Was produzierten Sie hier oder woran forschen Sie?«
Der Mann presste die Lippen aufeinander. Dann sagte er: »Es tut mir leid, aber darüber darf ich nicht sprechen.«
Paulson sah ihn überrascht an.
»Wie meinen Sie das?«
»Geheimhaltungsklausel, müssen wir alle unterschreiben. Sogar ich. Das Einzige, was ich Ihnen erzählen kann ist, dass wir für die Industrie und die unterschiedlichsten Privatfirmen auf individuelle Bedürfnisse abgestimmte Substanzen herstellen. Wir sind also sowohl auf Forschung wie auch auf Produktion spezialisiert. Wenn auch in niedriger Stückzahl.«
»Soso«, machte Paulson. Grant konnte deutlich sehen, dass ihn die Antwort alles andere als zufrieden stellte.
Sie ließen sich von Talbot wieder zu ihrem Wagen bringen.
Der CEO sah ihnen noch lange nach. Selbst als der Wagen in den Tannen außer Sicht geriet stand er noch im Nieselregen. Sein Blick wanderte auf den See hinaus.
Das war schon einmal erledigt.
Der Bach plätscherte dahin und man konnte aus dem Wald den Gesang von Vögeln hören.
In der Luft trieben Schwärme von Mücken und hier und da waren Zitronenfalter auf den Spitzen von roten Wildblumen zu sehen.
Sarah richtete ihren Blick nach oben und konnte weit über den Wipfeln der Bäume die Silhouette eines Bussards ausmachen, der einsam seine Kreise zog. Die Sonne blendete sie und sie musste für einen Moment die Augen schließen, ehe sie wieder hinsehen konnte. Der Tag war wunderbar.
Direkt nach dem Frühstück war sie hierher aufgebrochen und hatte zu ihrem Entzücken bemerkt, dass sie sich einen Tag mit einem strahlend blauen Himmel für ihr Abenteuer ausgesucht hatte. Das satte Kobaltblau über ihr wurde durch keine einzige Wolke getrübt und schon in den Morgenstunden waren die Temperaturen angenehm warm gewesen.
Fröhlich und unbeschwert begann sie ein Lied, das sie aus der Schule kannte, vor sich hin zu pfeifen. Sie war eindeutig auf dem richtigen Weg und heute würde sie es mit Sicherheit so weit den Bach hinunterschaffen, dass sie die ersten Ausläufer des Dorfes schon sehen konnte.
Sie würde weiter kommen als jemals zuvor. Und wer wusste es schon, möglicherweise würden sie ihre Beine sogar bis zur Stadtgrenze tragen.
Dann jedoch überlegte sie. Sie musste auch an den Rückweg denken.
Plötzlich drang ein lautes Scheppern an ihr Ohr, das so gar nicht zu dem sie umgebenden friedlichen Idyll passte. Das Geräusch war unangenehm und dröhnend und hallte schmerzhaft in ihren Ohren wider.
Erschrocken sah sie sich um. Wo war der Laut hergekommen? Suchend ließ sie ihren Blick hinunter zum Bach gleiten. Aber dort war nichts zu sehen.
Plötzlich zuckte sie zusammen. Da war das Geräusch wieder.
Dumpf und dröhnend, wie als schüttle jemand einen überdimensionierten Käfig aus Metall. Sarah versuchte das Geräusch zu lokalisieren. Aber es schien von überall gleichzeitig zu kommen. Wie das Donnern eines nahenden Gewitters erfüllte es die ganze Luft.
Sie sah reflexartig nach oben. Auch hier war nichts zu entdecken. Aber mit einem Mal zögerte sie.
Der Himmel, das tiefe Blau, irgendetwas stimmte damit nicht.
Direkt über ihr war alles unverändert. Aber über den Hügeln, die die westliche Grenze des Tals markierten, war etwas am wolkenlosen Firmament zu erkennen.
Angestrengt kniff sie die Augen zusammen und versuchte, dem dunklen Etwas mehr Kontur zu geben.
Sie konnte etwas sehen, das wie ein riesiges, schwarzes Viereck aussah. Ein Kribbeln durchlief ihren Körper. Das Ding, die Luftspiegelung oder was auch immer es sein mochte, war bis vor ein paar Sekunden noch nicht da gewesen, da war sie sich sicher.
Mit den Händen schirmte sie ihre Augen gegen das Sonnenlicht ab.
Sie sah die Bäume, die sich direkt unter dem merkwürdigen schwarzen Ding befanden. Das Gebilde musste gigantische Ausmaße haben. Was aber merkwürdig war, war die Tatsache, dass es sich überhaupt nicht von der Stelle bewegte.
Wie ein Falke, der mit schnellem Flügelschlag über seiner Beute in der Luft verharrte, schwebte das Ding einfach so in der Luft.
Sarah musste mehrmals blinzeln.
Sie versuchte die Stelle über dem Hügel wieder zu finden, aber irgendwie war das schwarze Gebilde plötzlich verschwunden.
Dort war es. Es hing wieder wie ein Falke in der Luft. Nur dass es ihr diesmal noch schwerer fiel, das Objekt zu fokussieren.
Die Sonne schien immer stärker zu brennen.
Und noch etwas hatte sich verändert. Hatte sich eben über dem Hügelkamm nur ein einziges Rechteck befunden, so meinte Sarah nun zweifellos ein zweites auszumachen, das direkt neben dem ersten ebenso unbeweglich am Himmel verharrte.
Oder waren es sogar drei? Diese Dinger hatten alle die gleiche Form. Es ließ sich unmöglich sagen.
Wieder musste sie blinzelnd und es schien ihr mit einem Mal, als würden die schwarzen Formen direkt vor ihren Augen immer mehr werden. Erst waren es fünf, dann zehn, dann eine regelrechte Fläche.
Fast schien sich vor ihren Augen ein zweiter, schwarzer Himmel zu formen. Langsam sah sie nach unten und folgte mit den Augen den Windungen des Baches stromaufwärts. Sie sollte vielleicht besser zurück.
Sie konnte sich nicht weiter mit etwas aufhalten, dass zweifellos ein Produkt ihrer Fantasie war.
Die Farm ihrer Großmutter lag mehrere Kilometer entfernt an einer Biegung des Baches. Schon jetzt war sie viel zu lange fort. Sie hob wieder den Blick.
Fast der gesamte Himmel war nun von schwarzen Platten verdeckt. Allein die Sonne schien noch durch das gepflasterte Meer hindurch. Langsam bekam sie Angst.
Und dann war wieder das Scheppern zu hören. Dieses Mal noch lauter.
Ein eisiger Lufthauch strich um ihre Beine und dann um ihren gesamten Körper. Es war kalt. Plötzlich war ihr unglaublich kalt und ein stechender Schmerz begann sich in ihren Schläfen auszubreiten. Mit einem Mal. Sie stöhnte auf. Sie presste die Lider fest zusammen. Ein neuerlicher Schmerz hinter ihrer Stirnhöhle ließ sie aufstöhnen und sie warf den Kopf herum.
Dann öffnete sie die Augen wieder.
Sarah Feiner kehrte in die Gegenwart zurück. Und sie spürte plötzlich alles, nahm die Kälte um sich herum wahr und registrierte noch etwas anderes. Sie bewegte sich fort.
Die Reihen von schwarzen Rechtecken, die sie eben noch in ihrem Traum als bedrohliche Erscheinung wahrgenommen hatte, zogen als nackte, schmucklose Backsteinwände an ihr vorüber und die ehemals strahlende Sonne hatte sich in kaltes Licht verströmende, nackte Glühbirnen verwandelt, die in regelmäßigen Abständen von der ebenfalls aus schwarzen Backsteinen bestehenden Decke baumelten.
Die Kälte war noch schneidender und sie fühlte den eisigen Lufthauch auf ihrem Gesicht und den Unterarmen.
Verflucht war das kalt.
Und wo zur Hölle war sie? Noch immer wühlte der Schmerz dumpf hinter ihren Schläfen. Sie keuchte.
Irgendetwas stimmte mit ihr nicht, eindeutig.
Der Schmerz in ihrem Kopf war zwar unangenehm und stechend, erklärte aber nicht, dass ihre Gedanken und Erinnerungen wie von einer dichten Nebelwand verhangen waren. Sie konnte sich an rein gar nichts erinnern.
Übelkeit stieg in ihr auf, während wieder ein lautes Rattern und metallisches Klappern zu hören war und sie heftig durchgeschüttelt wurde.
Wenn sie ihre Augen nicht trogen, so bewegte sie sich auf irgendeinem fahrbaren Untersatz durch eine Art unterirdisches Gewölbe.
Mehr eine Art schmaler Gang oder Tunnel mit feuchten Wänden und fauliger Luft. Sie drehte den Kopf. Immer noch kam sie sich benommen vor.
Ganz so als ob … Angst wallte plötzlich in ihr auf. Hatte man sie vielleicht unter Drogen gesetzt?
Sie versuchte krampfhaft, sich zu konzentrieren. Wieder wurde sie durchgeschüttelt, als ihr Gefährt über eine Unebenheit im Boden holperte.
Das Letzte, woran sie sich erinnern konnte, war, dass sie hinunter in den Interpolatorraum hatte gehen wollen. Aber was war danach passiert?
War es möglich, dass sie …, vielleicht war sie ja gestürzt und hatte sich bei dem Sturz den Kopf verletzt.
Der Sicherheitsdienst musste sie gefunden und ins Krankenhaus gebracht haben.
Wieder grübelte sie nach. Das Krankenhaus. Dann musste das hier das Universitätsklinikum sein. Aber es sah hier ganz und gar nicht wie in einem Krankenhaus aus.
Feuchte Backsteinwände, schummrige Gänge. Nein, das hier erinnerte viel eher an ein Verlies aus dem ausgehenden 18. Jahrhundert.
Ihre Angst wuchs.
»Nun hört euch das an«, sagte Paulson und stopfte sich die letzten Bissen des Donuts in den Mund. Während er geräuschvoll darauf herumzukauen begann, fuhr er fort:
»Nach dem Abitur Diplom in amerikanischer Geschichte. Dann drei Jahre bei irgendeinem Institut im Ausland, genauer gesagt in Costa Rica. Darüber, was sie dort gemacht hat, steht hier nichts. Nur, wo sie gewohnt hat.«
Er machte wieder eine Pause um die letzten Bissen zu schlucken und mit Kaffee hinunterzuspülen.
»Eine Stadt namens San Jose«, er kratzte sich geräuschvoll am Kinn. Dann widmete er sich wieder der Akte aus braunem Papier, die sie von dem CEO erhalten hatten.
»Noch nie etwas davon gehört. Muss irgendsoein gottverlassenes Nest sein.«
»Es ist die Hauptstadt«, murmelte Brenslin abfällig wie als wäre das ein Wissen, über das jeder einigermaßen normale Mensch automatisch verfügen müsste. Er nippte ebenfalls an seinem Kaffee.
»Was hast du gesagt?«, wollte Paulson mit krächzender Stimme wissen.
»Es ist die Hauptstadt«, wiederholte Brenslin etwas lauter aber Paulson schien schon wieder das Interesse verloren zu haben.
»Jaja, meinetwegen«, sagte er gleichgültig und schlug dann die nächste Seite des Dossiers auf.
Grant bemerkte, wie Brenslin seufzend die Augen verdrehte.
Dann sah er sich nach der Kellnerin um.
Das Diner, in dem sie sich befanden, war klein, aber gemütlich. Die Wände bestanden zum größten Teil aus dicken Holzplanken und die niedrige Decke und der warme Duft nach Essen sorgten für eine anheimelnde Atmosphäre.
»2009 dann Rückkehr nach Deutschland«, fuhr Paulson fort. »Wohl erst ein paar Monate in Cuxhaven, dann ein halbes Jahr in München. Tätigkeiten genauso wie die Wohnorte ziemlich unstet, mal dieser, mal jener Job.«
Er räusperte sich.
»Als nächstes Studium der Biologie. Abschluss mit Auszeichnung«, er pfiff leise durch die Zähne.
»Eine echte Tausendsasserin, oder? Was wollte die denn mal werden, wenn sie erwachsen ist?« Er nahm einen weiteren Schluck.