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Stefan Wettke

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Beschreibung

Ein Hilferuf aus dem ecuadorianischen Dschungel erreicht Nathan Grant. Die Quelle: Ein Freund aus Studententagen. Er hat im undurchdringlichen Dickicht versehentlich etwas aufgespürt. Etwas, wodurch die ganze Welt in Gefahr gerät. Unterstützt durch die Wissenschaftlerin Nora Wallup beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, der vor hunderten von Jahren begann und der auch heute noch mit Leichen gepflastert ist. Auch in den Labors, die Grants Freund im Dschungel leitet, gehen mit den Versuchstieren plötzlich eigenartige Dinge vor. Der 4. Teil der Nathan-Grant-Reihe entführt den Leser zugleich in mythische Legenden und in die wissenschaftliche Erbarmungslosigkeit der Neuzeit. Der Autor schickt seinen Protagonisten auf eine tödliche Suche.

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Seitenzahl: 303

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Ähnliche


Inhaltsverzeichnis

Prolog

Lima, Peru

Ecuador, ein paar Tage früher

Ecuador

Ecuador

Ecuador

Ecuador

Ecuador

Ecuador

Ecuador

Ecuador

Ecuador

Ecuador

Ecuador

Ecuador

Ecuador

Ecuador

Lima, Peru

Lima, Peru

Lima, Peru

Lima, Peru, am nächsten Morgen

Lima, Peru

Ecuador

Süd-England

Ecuador

Süd-England

Ecuador

Süd-England

Ecuador

Cusco, Peru

Ecuador

Peru

Peru

Peru

Ecuador

Peru

Ecuador

Peru

Peru

Ecuador

Peru

Ecuador

Peru

Ecuador

Peru

Ecuador

Peru

Ecuador

Peru

Ecuador

Peru

Madeira, Portugal, zwei Tage später

Epilog, Ecuador ein paar Tage später

Prolog

Das Rascheln im Dschungel hinter ihm kam bedrohlich schnell näher.

Er keuchte.

Er musste schneller rennen. Er musste hier raus. Sonst würde er die Nacht nicht überleben.

Er hörte ein Schnauben hinter sich. Dann das Brechen von Ästen. Scheiße, sie kamen.

Mit einer beängstigenden Zielstrebigkeit.

Der Metallzaun tauchte vor ihm auf. Plötzlich. Er erschien wie ein Geschenk des Himmels. Er schluchzte vor Glück.

Er packte den Maschendraht und wuchtete sich darüber, leichtfüßig durch die Angst.

Im nächsten Moment erschütterte ein gewaltiger Schlag den Zaun. Es schepperte. Rasselnd rang er nach Atem.

Hinter ihm raschelte der Dschungel wieder, als sich das Schnauben und Stampfen wieder zurückzog.

Lima, Peru

Wieso hatte er sich nur darauf eingelassen?

Diese Frage war Ransom in den letzten Stunden bereits mehrmals durch den Kopf geschossen.

Er sah sich zuerst argwöhnisch um. Dann konsultierte er seine Armbanduhr. Es ging auf Mitternacht zu. Nur noch wenige Menschen waren zu dieser Uhrzeit auf den Straßen unterwegs.

Das Viertel, in dem er sich befand, lag nahe am Meer.

Miraflores.

Nur wenige Straßenzüge von ihm entfernt fiel die Steilküste fast senkrecht zum Meer hin ab.

Nach einem weiteren wachsamen Scan seiner Umgebung überquerte er die Straße. Eine Mauer aus Naturstein tauchte vor ihm auf, die an einigen Stellen mit Efeu überrankt war. Dahinter befand sich irgendwo das, was er suchte.

Beziehungsweise nicht er, sondern das, was sein Auftraggeber haben wollte.

Er vergewisserte sich noch einmal, dass er allein war. Dann packte er mit den Händen zwei Steinvorsprünge und begann zu klettern.

Die Mauer lag schnell hinter ihm und er landete behände auf der Rasenfläche dahinter. Ein kleiner Innenhof öffnete sich vor ihm.

Ein beeindruckend angelegter Garten, vereinzelt ein paar Sitzgelegenheiten und ein plätschernder Springbrunnen in der Mitte. Fast eine kleine Oase inmitten der Stadt, dachte er.

Im nächsten Moment registrierte er auf der gegenüberliegenden Seite über einer großen Glastür das rote Blinklicht einer Überwachungskamera.

Wenn seine Informationen stimmten, war es jedoch die einzige, die das kleine private Museum, das sich hier befand, schützte. Keine weitere Alarmanlage oder andere Sicherheitsvorkehrungen. Das Ganze war ein Witz und ging beinahe zu leicht, bedachte man, wie wertvoll die hier ausgestellten Stücke waren.

Er beobachtete einige Zeit die Schwenkbewegungen der Kamera. Welche Bereiche sie abdeckte, wie lange sie für einen Durchlauf benötigte.

Dann sprintete er in einem geeigneten Moment los. Auch das Schloss der großen Glastür stellte ein vergleichsweise geringes Hindernis dar und so fand er sich bereits ein paar Augenblicke später im ersten Ausstellungsraum des Museums wieder.

Er knipste eine winzige Taschenlampe an und begann die Regalreihen abzusuchen. Schon im nächsten Raum wurde er fündig. Es war alles genauso, wie sein Auftraggeber gesagt hatte.

Das Objekt, das er stehlen sollte, war ein kleiner Krug aus Ton.

Er runzelte skeptisch die Stirn.

Auf der Oberfläche befanden sich einige Figurendarstellungen, die ganz hübsch waren. Ansonsten war das Ding aber mehr als gewöhnlich. Es gab etliche Ausstellungsstücke, die weit mehr wert waren. Aber man hatte ihm eingeschärft, nur dieses Objekt mitzunehmen.

Es war Zeit, wieder zu verschwinden.

Und das alles ging immer noch viel zu leicht und gab ihm, wie so einiges an dieser Geschichte, Rätsel auf.

Ecuador, ein paar Tage früher

Nathan Grant bestieg die zweimotorige Maschine und landete keine zwei Stunden später auf einem kleinen unscheinbaren Flughafen in Ecuador. Nachdem er festgestellt hatte, dass sich die Schwüle kaum von der an seinem Abflugort unterschied, steuerte er auf den niedrigen Hangar am Ende des Rollfeldes zu.

Der Pilot der Privatmaschine winkte ihm zum Abschied zu und rückte die Sonnenbrille auf seiner Nase umständlich zurecht. Ein komischer Kauz fand Grant, als er sich wieder umwandte. Der vom Regen nasse Asphalt der Landebahn schimmerte vor ihm im Tageslicht.

Der Pilot war ein dünner, hoch gewachsener Kerl, der zwei Mal zu ihnen in die Passagierkabine gekommen war. Wohl nur, um sich vorzustellen und einen kleinen Plausch mit ihnen zu führen, aber der Mann war unsympathisch und beherrschte auch die Kunst des gepflegten Smalltalks nicht.

Idiot, dachte Grant bei sich, als er die Tür zum Hangar öffnete, in dem auch die Zollkontrolle stattfinden würde. Und damit meinte er weniger den Piloten als sich selbst. Was zur Hölle tat er hier? Als hätten ihm die Ereignisse, die ihn schon einmal vor ein paar Jahren nach Südamerika geführt hatten, nicht gereicht.

Er würde Milton gehörig den Kopf waschen, wenn er ihn in die Finger bekam. Er hatte nicht beabsichtigt, so schnell wieder einen Fuß auf diesen Teil des Kontinents zu setzen. Über dem Eingang zum Hangar rauschten die Kronen von zwei Palmen im Wind.

Wenn nicht dieser merkwürdige Unterton in Miltons Stimme gelegen hätte, als er ihn angerufen hatte. Er wäre gar nicht erst aus dem Haus gegangen. Aber irgendetwas hatte mit Milton nicht gestimmt.

Grant ließ die Zollprozedur über sich ergehen. Über die Schulter hielt er Ausschau nach dem anderen Fluggast, eine attraktive Frau mittleren Alters und aufwendig frisierten Haaren. Aber offenbar befand sie sich noch in der Maschine.

»Nora Wallup«, hatte sie sich ihm vorgestellt. Eine Stimme süß wie Honig, die nicht zu dem etwas plump klingenden Nachnamen passte. Sie waren während des kurzen Fluges ein paar Mal ins Gespräch gekommen. Eine Geschäftsfrau durch und durch, die während des Fluges mehrere Stapel Papiere durchgelesen hatte.

»Das sind Bodenproben und Daten von Versuchsbohrungen«, hatte sie lapidar gesagt. »Alles ziemlich uninteressant für einen Laien.« Dabei hatte sie ihm zugezwinkert.

»Ach ja?«

»Glauben Sie mir, so interessant sich meine Tätigkeit auch anhört. Es ist bei Weitem nicht so spannend, wie es klingt.«

Bei Weitem nicht so spannend wie es klingt. Grant ließ sich die Worte noch einmal durch den Kopf gehen.

Die Frau war Geologin, so viel wusste er, und hatte in Europa studiert. Sie hatte zwar etwas über ihre Arbeit erzählt, war aber, wie Grant gerade feststellte, sehr vage geblieben. Er zuckte mit den Achseln. Vielleicht musste sie das in diesem Geschäft. In jedem Fall war sie viel sympathischer als der Pilot. Sie hatten sich freundlich voneinander verabschiedet.

Wohin die Frau von hier aus wohl reisen mochte? Er verließ das Gebäude, nachdem die Zollkontrolle vorbei war.

»Taxi?«, fragte ihn jemand von rechts noch bevor die Tür hinter ihm zugefallen war und Grant wandte den Blick in die Richtung. Ein klein gewachsener Mann kam auf ihn zu. Im Hintergrund erblickte Grant eine Schlange wartender Fahrzeuge samt Fahrer. Er nickte.

»Wohin soll es gehen, Hombre?«, fragte der kleine Mann und zwinkerte ihm zu. Grant reichte ihm einen Zettel. Es war die Adresse, die Milton ihm gegeben hatte.

Der Mann sah sich das Stück Papier mit gerunzelter Stirn an. Dann hellten sich seine Züge auf.

»Ach ja, si si«, sagte er und griff enthusiastisch nach Grants Tasche.

»Sie wissen, wo das ist?«, fragte Grant, um sich zu vergewissern. Das Zögern hatte ihm ein wenig zu lange gedauert.

»Aber ja, si si. Nicht leicht zu finden, aber ich bringe Sie hin.«

»Was bedeutet nicht leicht zu finden?«, wollte Grant wissen, aber der Mann hörte ihm nicht zu.

»Sie zahlen in Dollar?«

Grant nickte.

»Wunderbar.« Mit diesen Worten ging er davon und warf Grants Tasche in den Kofferraum seines Taxis.

»Dann los, steigen Sie ein.« Grant gehorchte zögernd.

Der Fahrer war ein leicht übergewichtiger Typ mit speckiger Haut und zahllosen Falten im Gesicht. Sobald er eingestiegen war, setzte er sich eine verspiegelte Sonnenbrille auf und steckte sich eine Zigarre an.

»Dann mal los«, sagte er. »Wundern Sie sich nicht. Die Fahrt dauert etwas. Wir müssen zuerst einmal aus der Stadt hinaus.«

Grant hob überrascht die Brauen. Der Fahrer sah kurz in den Rückspiegel und startete dann den Wagen. Mit einem Quietschen fuhr er an und fädelte sich in den Verkehr ein. Es war noch nicht viel los auf den Straßen und Grant sah nach draußen, während er versuchte, es sich auf der durchgesessenen Rückbank bequem zu machen.

Häuser, Kreuzungen und Vorgärten voller Palmen zogen an ihm vorbei, ehe sie in die Innenstadt kamen. Offenbar mussten sie die ganze City durchqueren.

»Woher kommen Sie?«, wollte der Mann vom Fahrersitz nach ein paar Minuten wissen.

»Kanada«, antwortete Grant.

»Oh«, machte der Fahrer.

»Sie sind das erste Mal in Ecuador?«

»Ja.«

»Geschäftlich?«

»Nein.«

»Besuchen Sie Freunde?«

»Ja.«

Der Mann lächelte. »Bueno.«

Grant dachte darüber nach, ob Milton den Titel »Freund« wirklich verdiente. Sicher, sie hatten zusammen studiert, bevor Milton das Studienfach gewechselt hatte und waren in dieser Zeit sehr vertraut gewesen. Aber im Laufe der Jahre hatten sie sich mehr und mehr aus den Augen verloren.

Grants Gedanken wanderten kurz zurück in die dunklen Räume der Bibliothek, in der Milton und er oft stumme Lernorgien gefeiert hatten. Unterstützt durch ungesunde Mengen an Kaffee und Erfrischungsgetränken. Er musste innerlich schmunzeln. Die Zeiten waren damals um einiges sorgloser gewesen. Belustigt dachte er daran, wie er Miltons oft wirren Theorien gelauscht hatte. Die eine verrückter als die andere. Aber nun waren sie beide erwachsen geworden. Was also steckte hinter Miltons merkwürdigem Telefonanruf vor ein paar Tagen?

Ein tiefes Schlagloch riss ihn aus seinen Gedanken. Der Fahrer entschuldigte sich sofort mit beschwichtigender Stimme.

»Die Straßen in diesem Viertel sind sehr schlecht. Es tut mir leid.«

Grant antwortete nicht.

Die Fahrt ging weiter durch enge Straßen, ehe die Bebauung weniger und das Grün des Dschungels dichter wurde. Vereinzelt folgten noch ein paar Farmen und dann nichts mehr. Die Straße verwandelte sich erst in eine Schotterpiste, dann in einen staubigen Pfad, während der Dschungel mit jedem Meter undurchdringlicher wurde.

»Sind wir hier auch richtig?«, fragte Grant nach ein paar Minuten.

Der Fahrer paffte eine große Rauchwolke.

»Si, Senor. Aber seien Sie unbesorgt. Wir haben die Hälfte des Weges schon hinter uns.«

Grant lehnte sich wieder zurück, als der Wagen erneut heftig durchgeschüttelt wurde. Worauf hatte er sich nur eingelassen?

Nach ein paar weiteren Kilometern rumpelte das Taxi über eine schmale Brücke. Grant sah aus dem Fenster und konnte das brausende Wasser eines reißenden Baches sehen. Dann umfing sie wieder der Urwald.

Kein Wunder, dachte Grant, dass der Fahrer beim Anblick der Adresse gezögert hatte. Das hier war eine Tortur für Mensch und Maschine.

Die Straße wurde nun, falls das überhaupt möglich war, noch schmaler und führte in engen Windungen einen Hügel hinauf. Der Fahrer sah konzentriert nach vorne und Grant fragte sich gerade, ob der Mann nicht mehr wusste, wo sie waren. Dann jedoch trat er abrupt auf die Bremse.

»Da sind wir Senor«, sagte er über die Schulter und deutete dann auf die Taxi-Uhr. »Ich runde es für Sie ab, da wir nicht ganz genau am Ziel sind.«

Grant griff zögerlich nach seiner Brieftasche.

»Wo zur Hölle sind wir?«

»Bei Ihrer Adresse, Senor«, antwortete der Kerl grinsend. Grant kramte den Zettel aus seiner Tasche.

»Das kann nicht sein«, sagte er mit einem Blick auf das verknitterte Stück Papier.

»Si«, sagte sein neuer Bekannter enthusiastisch und freute sich sichtlich über Grants Verwirrung.

»Die Station liegt weiter im Dschungel.« Er deutete schräg nach vorne aus dem Fenster. »Unmöglich mit dem Auto zu erreichen. Ab hier müssen Sie zu Fuß weiter.«

»Zu Fuß?«, fragte Grant.

Der Fahrer reckte einen Daumen in die Höhe.

»Und wie weit?«

»15 Minuten den Pfad entlang.«

Grant sah sich suchend um. Außer der grünen Wand des Dschungels war da nichts. Nicht einmal etwas, das entfernt an einen Pfad erinnerte.

»Dort vorne, Senor«, sagte der Fahrer. »Aber seien Sie vorsichtig, der Weg ist tückisch.«

Grant folgte dem ausgestreckten Arm des Mannes mit den Augen und entdeckte schließlich eine kleine Lücke im dichten Grün. Es war kaum mehr als ein schmaler Trampelpfad, der sich da vor ihm auftat.

»Das soll ein Witz sein, oder?«, fragte er.

Sein Gegenüber schüttelte den Kopf. »Nein, Senor.«

»Was denn für eine Station?«

»Forschung für irgendetwas. Keine Ahnung, was genau«, antwortete der kleine Mann hinter dem Steuer.

»Forschung?«

»Si.«

Grant zögerte noch und bemerkte, dass sein Gesprächspartner ungeduldig auf sein Lenkrad zu trommeln begann. Der Kerl hatte es offenbar eilig, wieder zu verschwinden.

»Hm.« Er seufzte. »Meinetwegen.«

Mit der Miene eines Mannes, der sich in sein Schicksal fügt, gab er dem Fahrer ein paar Dollarscheine.

»Gracias Senor«, bedankte sich der und stieg aus. Grant folgte seinem Beispiel. Er lud Grants Rucksacktasche aus. Dann kramte er in seiner Brusttasche und streckte ihm eine Visitenkarte zu.

»Rufen Sie mich an, wenn Sie wieder abgeholt werden möchten.«

»Abgeholt?«, wiederholte Grant fragend.

»Ja, Si, abgeholt«, der Mann drehte sich um. »Sie glauben doch nicht, dass hierher ein Bus fährt.« Er lachte laut auf. »Sie sind wirklich komisch.«

Über den eigenen Witz lachend, stieg er wieder in das Taxi und knallte die Tür zu.

»Adios Senor und bis bald.« Mit diesen Worten fuhr er an und wendete auf der staubigen Piste. Grant wandte den Kopf von der aufgewirbelten Staubwolke ab. Nachdem sie sich verzogen hatte, sah er dem sich entfernenden Wagen hinterher. Bald wurde es um ihn herum still.

Ein paar Zikaden zirpten im Urwald. Ansonsten hörte er nichts.

Ecuador

Das also war das Ziel seiner Reise. Grant drehte sich noch einmal in alle Richtungen um. Eine Straße im Nirgendwo. Und um ihn herum nur dichter grüner Dschungel. Wieso nur hatte Milton ihn hierher gerufen?

Er warf einen Blick zu dem Pfad hinüber.

Ja, er würde Milton gehörig den Kopf waschen. Wenn er ihn denn fand. Das hier sah so gar nicht nach dem Mann aus, den er vor vielen Jahren zum letzten Mal gesehen hatte. Dem Mann, den er im Geiste immer mit den Herrenhäusern seiner Familie in England und schicken Räumen in Country Clubs verband.

Das Zirpen der Zikaden um ihn herum wurde ein wenig lauter. Offenbar hatten sich die Tiere von dem Lärm des Autos erholt. Er zögerte noch einen kurzen Moment, dann zuckte er mit den Achseln.

Er würde nie herausfinden, was los war, wenn er einfach nur hier stehen blieb. Er seufzte einmal leise, dann schulterte er seine Tasche und ging los.

Und der Pfad erwies sich genau als das, wonach er ausgesehen hatte. Der Weg war kaum mehr als ein ausgetretener Wildwechsel. Schon auf den ersten Metern musste er mehrere dichte Zweige beiseite drücken, um seine Route überhaupt fortsetzen zu können. Das hier konnte unmöglich der offizielle Zugang zu der Station sein, von der der Taxifahrer gesprochen hatte.

Außerdem schien der Weg zumindest in letzter Zeit wenig benutzt worden zu sein.

Nein, das Ganze hier war merkwürdig.

Die Strecke ging weiter die Anhöhe hinauf, wobei die schmale Piste immer wieder leichte Kurven beschrieb. Einmal blieb Grant stehen, weil er glaubte, aus dem dichten Grün irgendwelche Stimmen zu hören. Aber offenbar hatte ihm sein Verstand einen Streich gespielt.

Schließlich wurde der Dschungel nach ein paar hundert Metern etwas lichter. Die großen Urwaldbäume wichen zurück und machten dichtem Unterholz Platz, das aber mehr Sonne bis zum Boden durch ließ. Grant setzte seinen Weg fort und blieb nach einer weiteren Kurve plötzlich stehen.

Er traute seinen Augen nicht.

Der gerade noch dichte Dschungel ging in einiger Entfernung in perfekt gestutzte Rasenflächen über. Er konnte darüber hinaus etliche Blumenbeete und sogar zwei Männer in Gärtnerkleidung sehen, die sich an einem der Beete unter einem großen Baum zu schaffen machten.

Ungläubig starrte Grant auf die Szene vor sich.

Das hier war auch nicht ungewöhnlicher, als ein Schwimmbad mitten in der Sahara zu finden.

Er sah, dass die beiden Gärtner ihm den Blick zuwandten. Er setzte sich wieder in Bewegung und ging auf sie zu. Dort angekommen streckte er dem Kleineren der beiden die Hand hin.

»Guten Tag«, sagte er in schlechtem Spanisch, worauf ihm der Gärtner gleich auf Englisch antwortete.

»Ich glaube, ich weiß, wer Sie sind«, sagte er sofort und ergriff Grants Hand.

Der andere Mann sah ihn misstrauisch an.

»Sie heißen Nathan, nicht wahr?«

Grant nickte verblüfft.

»Ähm, ja, so ist es.«

Jetzt hellte sich auch die Miene des anderen Gärtners auf. Die wachen Augen unter den dichten Brauen musterten Grant aber weiterhin.

»Dann wollen Sie zu Senor Bingham«, sagte der erste Gärtner.

Wieder nickte Grant.

»Stimmt auch. Sie kennen mich?«, fragte er unsicher.

Der Gärtner lachte, wobei sein beeindruckender Bauch in Vibrationen geriet.

»Nein, nein«, sagte er. »Aber Senor Bingham hat Ihren Besuch angekündigt.« Er schwieg für einen Moment.

»Dabei fällt mir auf, dass er in letzter Zeit sehr oft von Ihnen spricht.« Er kratzte sich am Kinn und überlegte.

»Sie haben zusammen studiert«, sagte er.

»Richtig.«

»Na dann komme Sie. Er wird sich freuen, dass Sie schon da sind. Ich bin sicher, er hat noch nicht so schnell mit Ihnen gerechnet.« Er drehte sich um, aber dann fiel ihm noch etwas ein.

Zu seinem Partner sagte er: »Juan, wenn du hier fertig bist, bereite alles für die Fütterung in den Außengehegen vor. Aber sei vorsichtig. Du weißt, was letztes Mal passiert ist.«

Der andere Mann brummte etwas vor sich hin. Dann fuhr er fort, Grant zu mustern.

»Also kommen Sie«, sagte der Gärtner und setzte sich in Bewegung. »Wir müssen ein gutes Stück gehen. Der Haupttrakt liegt am anderen Ende des Geländes.«

»Der Haupttrakt?«, fragte Grant.

»Ich erkläre Ihnen alles auf dem Weg«, sagte der Gärtner gut gelaunt. Er gab seinem Partner ein Zeichen, dann ging er los und winkte Grant, ihm zu folgen.

»Kommen Sie, hier müssen wir lang.«

Grant wollte sich von dem zweiten Mann verabschieden, aber der drehte sich wortlos um und widmete sich wieder dem Blumenbeet.

»Na dann«, sagte er zu sich selbst und setzte sich in Bewegung. Der kleine Gärtner war schon ein gutes Stück vor ihm. Er schloss mit ein paar schnellen Schritten zu ihm auf.

Gemeinsam gingen sie über die große Rasenfläche. Grant erblickte noch mehr Blumenbeete und am Rand des Waldes eine Hütte aus dunklem Holz. Vermutlich eine Art Geräteschuppen. Das ganze Areal war eingerahmt von dichtem Dschungel und wirkte wie eine Paradiesinsel in einem grünen Ozean.

Sie kamen an einem Springbrunnen vorbei, ehe die Rasenfläche sich zu einem schmalen Durchgang zwischen einigen Büschen verengte. Dahinter konnte Grant die Mauern eines Gebäudes sehen. Sie passierten die Engstelle und Grant erkannte, dass es sich nicht nur um ein Gebäude, sondern gleich um mehrere handelte.

Die Bauten, die er erblickte, waren gedrungene, weiße Würfel mit beeindruckend großen Fenstern und sahen abweisend und nichtssagend aus. Er zählte rasch. Insgesamt sieben Würfel, die fast gleich groß waren, reihten sich auf einem weiteren riesigen Rasen aneinander. Alle waren verbunden durch ein Spinnennetz an Laufwegen. Dazwischen konnte man ein paar Büsche und noch mehr Blumenbeete vor einem kleinen Teich ausmachen. Grant war verwirrt. Mit den Bänken und Stühlen, die an mehreren Orten herumstanden, machte das Ganze den Eindruck eines Sanatoriums.

Vielleicht so etwas wie eine Kur-Klinik für Superreiche, dachte er bei sich, ehe er wieder die Stimme des Gärtners neben sich wahrnahm. Der Mann deutete über die Fläche, die die Ausmaße von zwei Fußballfeldern hatte.

»Alles Laborgebäude«, sagte er. »Der Haupttrakt liegt weiter hinten. Wir müssen noch ein Stück gehen.«

»Wie viele Menschen arbeiten hier?«, fragte Grant. Er war beeindruckt von der Größe der Anlage. Niemals konnte der Weg, den er genommen hatte, der einzige Zugang sein. Der Taxifahrer musste sich irren.

Der Gärtner wog abschätzend den Kopf hin und her.

»Ganz genau weiß ich es nicht«, antwortete er. »Vielleicht 100, vielleicht 200. Ihr Freund wird es wissen.« Er zwinkerte Grant zu. »Ich bin nur ein kleines Licht hier, verstehen Sie? Ich tue, was man mir sagt und stelle keine Fragen.«

Grant sah sich suchend um.

»Was für Tiere halten Sie hier?« Er beobachtete die Miene des kleinen Mannes neben ihm, die sich kaum merklich verdüsterte.

»Wie kommen Sie darauf?«

»Sie haben vorhin etwas von Außengehegen gesagt.«

»Habe ich das?« Grant schwieg.

»Vielleicht ist es besser, Sie fragen auch das Ihren Freund. Wie gesagt, ich bin nur ein kleines Licht. Vielleicht ist es nicht gut, wenn ich mit Ihnen über so etwas rede.« Er machte eine kurze Pause.

»Aber sehen Sie, wir sind schon fast da.«

Sie ließen die weißen Würfel hinter sich und gingen durch ein kleines Waldstück. Die Temperatur sank in dem Schatten der Bäume sofort. Grant genoss die erdig riechende Luft und sah auf der anderen Seite des Waldstücks die nächste große Rasenfläche auftauchen.

Es gab wieder ein paar schmale Fußwege, aber Straßen für Fahrzeuge waren nicht vorhanden. Auch Autos hatte er bisher nirgendwo gesehen.

»Wie kommen die Leute, die hier arbeiten hierher?«, wollte er wissen. »Es scheint keine Straßen oder Fahrzeuge zu geben.«

»Auf der anderen Seite der Anlage gibt es ein paar Wege«, antwortete der Gärtner knapp. »Aber die meisten Leute kommen und gehen mit dem Helikopter.«

Grant runzelte verwirrt die Stirn. Sie kamen an einem weiteren Gebäude vorbei, das von einem großen Baum überschattet wurde.

»Das ist der Wohntrakt«, erklärte der kleine Mann neben ihm.

»Und dort vorne ist das Hauptgebäude. Wir gehen am besten durch den Vordereingang. Dann sehen Sie ein wenig mehr davon.«

Hinter dem Wohntrakt tauchte nun ein weiteres Bauwerk auf, das um einiges größer als die übrigen war. Außerdem war es nicht weiß, sondern in einem unauffälligen Grauton gestrichen.

»Da sind wir«, sagte der Gärtner und machte eine ausladende Armbewegung. Sie gingen an der linken Gebäudeseite entlang. Die Fenster des Baus waren verspiegelt und Grant registrierte, dass er bis auf die zwei Gärtner bisher keinen einzigen Menschen gesehen hatte. Er blickte sich noch einmal nach allen Seiten um. Dann betraten sie das Gebäude.

Der Eingang bestand aus einer Drehtür aus Glas. Dahinter schloss sich eine große, helle Eingangshalle mit bunten Bildern an allen Wänden an. Vor der rechten erblickte Grant einen Empfangstresen, hinter dem ein Typ in schwarzem Anzug saß.

Der Gärtner ging ohne ein weiteres Wort auf den Mann zu und wechselte ein paar kaum hörbare Sätze auf Spanisch mit ihm. Der Kerl in Schwarz schaute verdrießlich drein. Dann drehte er sich um und verschwand in einem der Gänge, die von der Eingangshalle abzweigten. Grant lauschte dem Geräusch seiner leiser werdenden Schritte. Anschließend wandte er sich wieder dem Gärtner zu.

»Alles in Ordnung«, sagte der Mann.

»Man sagt Ihrem Freund Bescheid.« Er streckte sich selbstzufrieden. »Und ich verschwinde wieder, die Arbeit erledigt sich schließlich nicht von selbst.«

Mit diesen Worten drehte er sich um und verschwand durch die Eingangstür.

»Vielen Dank«, sagte Grant noch zum Abschied, aber er wandte sich nicht mehr um. Die Eingangstür quietschte leise, als der Gärtner das Gebäude verließ. Dann senkte sich wieder Stille über den Raum.

Grant schlenderte hinüber zur linken Wand. Eine Miniaturausgabe des Komplexes war hier unter einer Glasscheibe zu sehen. Er studierte ein paar Augenblicke konzentriert die kleine Version der Anlage, ehe er näher kommende Schritte hörte.

Der missmutige Kerl vom Empfang kam zurück. Suchend sah er sich in der Halle um. »Bitte kommen Sie.«

Grant warf noch einen Blick auf die Miniaturausgabe der Anlage und bemerkte hinter den Gebäuden eine schraffierte Fläche mit der Aufschrift »Sektion B«. Mehr war dort nicht zu lesen.

Möglicherweise ein geplanter Anbau des Komplexes. Er riss sich von dem Anblick los und ging zu dem Mann hinüber, der ihn abschätzend ansah.

»Ich habe Senor Bingham Bescheid gesagt, dass Sie eingetroffen sind«, sagte er.

»Bitte folgen Sie mir, ich bringe Sie zu ihm.« Mit diesen Worten drehte er sich um. Grant rückte die Reisetasche auf seinen Schultern zurecht und folgte dem Mann den Gang hinunter, aus dem er gekommen war. Auch hier hingen überall bunte Bilder an den schneeweißen Wänden.

Er kam sich beinahe wie in einer Galerie vor.

Sie folgten dem Flur ein gutes Stück und Grant bemerkte in regelmäßigen Abständen angebrachte Überwachungskameras. Hier und da zweigten ebenfalls in weiß gestrichene Türen ab, die alle mit Zahlenschlössern gesichert waren.

Einen Moment lang überlegte er, den Kerl im schwarzen Anzug danach zu fragen, entschied sich dann aber dagegen. Typen wie dieser beantworteten seiner Erfahrung nach keine neugierigen Fragen.

Der Mann hatte die Figur eines Schwergewichtsboxers und einen unruhigen, nervösen Gesichtsausdruck. Grant legte keinen gesteigerten Wert darauf, mit dem Mann ins Gespräch zu kommen.

Offenbar beruhte das auf Gegenseitigkeit und so legten sie fast die ganze Strecke schweigend zurück. Das Geräusch ihrer Schuhe auf dem glänzenden Boden war der einzige Laut, der sie begleitete.

Es ging durch ein paar Türen mit Sicherheitscodes und einen weiteren Flur entlang, ehe der Mann Grant einen großen Raum öffnete.

»Bitte warten Sie hier«, sagte der Kerl in Schwarz. »Senor Bingham kommt gleich.«

Grant sah ihn einen Moment lang an. Dann betrat er den Raum und beobachtete, wie der Mann die Tür sorgfältig hinter ihm schloss. Ein ploppendes Geräusch war zu hören, als sie zu fiel.

»Ihnen auch noch einen schönen Tag«, murmelte er sarkastisch, während er sich in dem lichtdurchfluteten Zimmer umsah. Einige Ledersofas und Pflanzen standen herum, daneben ein Kühlschrank mit Erfrischungsgetränken.

Das Gefühl von Befremdung wuchs angesichts des sterilen Zimmers noch in ihm. Ja, er würde Milton einige Fragen stellen müssen.

Ecuador

Nach gut einer Viertelstunde erschien endlich die Person, wegen der er hier war.

Eine der Türen schwang auf und ein groß gewachsener Mann mit Hakennase und Brille trat ein. Um seine Hüften wehte wie ein Segel ein weißer Laborkittel und die schwarzen, teilweise bereits grauen Haare waren akkurat gescheitelt.

»Nathan du alter Taugenichts«, polterte er los, als er ihn erspähte und ein breites Grinsen breitete sich in seinem Gesicht aus. Grant trat mit einem Lachen auf ihn zu und die beiden Männer umarmten sich vor einem der riesigen Fenster.

»Ach herrje, wie lange ist das her?«, versuchte sich Grants Gegenüber zu erinnern. Bingham legte die Stirn in Falten und dachte angestrengt nach.

»Über 15 Jahre«, half ihm Grant auf die Sprünge.

Der Mann packte ihn bei den Schultern und schüttelte ihn voll ehrlicher Freude.

»Wahnsinn. Ich glaube nicht, dass du hier bist.« Er machte eine kurze Pause.

»Du hier bei mir im Dschungel. Wer hätte sich das damals zu Studiumszeiten träumen lassen?« Er schüttelte lachend den Kopf.

»Hattest du eine angenehme Reise? Ich weiß, ich habe dir einiges zugemutet. Danke, dass du überhaupt gekommen bist. Ich muss sagen, ich war mir nicht ganz sicher.«

»Wenn ich zusage, dann komme ich auch«, antwortete Grant.

»Sicher, sicher«, beschwichtigte Bingham schnell. »Ich dachte nur, dass …«, er überlegte einen Moment.

»Aber dafür ist später ja noch genug Zeit.« Er deutete auf Grants Tasche.

»Soll ich dir dein Zimmer zeigen? Dann kannst du dich nach der anstrengenden Reise erst einmal erholen. Wie lange warst du unterwegs?«

Grant überlegte.

»Mit Zwischenaufenthalten etwa 14 Stunden.«

»Oh Mann«, Bingham schaute betrübt drein.

»Tut mir wirklich leid, dass du das mitmachen musst.«

»Schon okay«, antwortete Grant. »Es war ja schließlich meine Entscheidung.«

Bingham nickte langsam.

»Aber es lohnt sich, das verspreche ich dir.« Er sah ihn forschend an.

»Aber nun genug, ich bringe dich zu deinem Zimmer. Du kannst duschen und ein bisschen schlafen und später zeige ich dir dann alles.«

Er wollte sich umdrehen.

»Ich glaube vieles kenne ich schon«, sagte Grant und hob seine Tasche vom Boden auf.

»Einer der Gärtner hat mich fast über die gesamte Anlage geführt.« Bingham hielt in der Bewegung inne.

»Hast du den alten Trampelpfad von der Straße aus genommen?«

»Ja.«

Bingham winkte ab.

»Dann gibt es noch viel für dich zu sehen, glaube mir alter Freund.« Und kurz darauf ergänzte er: »Aber nun komm, verschaffen wir dir erst einmal ein bisschen Erholung. Alles andere können wir später besprechen. Ich glaube es immer noch nicht, dass du hier bei mir im Urwald bist.« Er lachte vergnügt.

Bevor Grant noch etwas sagen konnte, drehte sich Bingham um und marschierte los.

Sie verließen das Gebäude, ohne dass Grant noch weitere Personen zu Gesicht bekam.

»Wo sind denn die ganzen Mitarbeiter?«, wollte er schließlich wissen, als sie in die Sonne des Nachmittags hinaus traten.

»Was meinst du?«

Grant blickte sich um.

»Nun ja, bisher habe ich auf dem ganzen Areal nur vier Menschen gesehen. Dich eingeschlossen.«

Bingham zögerte, bevor er antwortete.

»Weißt du die ganzen Laboreinheiten sind untereinander ziemlich abgeschottet. Du kannst es dir ein bisschen wie Inseln vorstellen.« Er überlegte, aber dann sagte er: »Ja, ich glaube das trifft es am besten.«

»Aber Kontakt untereinander haben die Leute schon?«

Sein alter Freund sah ihn ein bisschen gekränkt an.

»Natürlich. Obwohl die einzelnen Teams meistens unter sich bleiben.

Das ergibt sich wahrscheinlich automatisch so.«

»Und was ist deine Aufgabe hier?«, fragte Grant. Sie bogen um eine Ecke und steuerten auf den Wohntrakt zu.

»Nur Geduld mein Freund«, sagte Bingham mit beruhigender Stimme. »Das erzähle ich dir alles später. Jetzt zeige ich dir erst einmal dein Quartier für heute Nacht.« Er deutete nach oben. »Ich habe dafür gesorgt, dass du das Beste von allem bekommst. Dachterrasse, Whirlpool. Diesen Luxus genießen sonst nur die ganz hohen Tiere, wenn sie zu Besuch kommen. Du darfst dich also geschmeichelt fühlen.«

»Aha«, erwiderte Grant.

Bingham machte ein von Vorfreude gezeichnetes Gesicht.

»Komm, hier lang.«

Sie betraten den länglichen Bau, den Grant schon auf dem Weg gesehen hatte. Der große Baum neben dem Gebäude spendete für alle Wohneinheiten angenehmen Schatten.

Im Inneren nahmen sie einen Aufzug und fuhren in die dritte Etage. Am Ende eines kurzen Flures befand sich eine einzige Tür.

»Da wären wir«, sagte Bingham. Er reichte Grant den Schlüssel.

»Ich hole dich um 18 Uhr ab und führe dich über die Anlage. Dann können wir alles Weitere besprechen.«

Grant sah den großen Mann an. Milton hatte immer noch mit keiner Silbe erwähnt, warum er so dringend hatte herkommen sollen. Auch von der nervösen Stimmung während ihres Telefonats war nichts zu spüren. Die Situation war eigenartig. Aber Grant entschloss sich, erst einmal mitzuspielen. So wie er seinen alten Kameraden kannte, würde er schon noch mit der Sprache herausrücken. Aber es war nicht Miltons Art mit der Tür ins Haus zu fallen. Grant sah nach oben. Im Gang und über der Tür sah er wieder zwei Überwachungskameras.

Man kam sich hier wie in einem Hochsicherheitstrakt vor.

»Na gut, dann also bis nachher«, sagte Bingham noch einmal. »Richte dich ein und hau dich eine Runde aufs Ohr. Wir sehen uns dann später.«

Er wandte sich zum Gehen.

»Richte dich ein?«, wiederholte Grant fragend. »Soll ich etwa länger hier bleiben?«

Bingham sah ihn irritiert an.

»Ach, das sagt man doch nur so«, antwortete er und drehte sich um.

»Erhol dich gut.«

Mit diesen Worten schritt er den Gang hinunter und stieg in den Fahrstuhl.

Grant sah ihm noch einen Augenblick nach, ehe er die Tür aufschloss und das Zimmer betrat. Bingham hatte nicht übertrieben. Der Raum, oder besser gesagt die Wohnung war vom Feinsten. Es gab gleich mehrere Zimmer.

Die Einrichtung war geschmackvoll gehalten. Überall dunkles Holz und teure Möbel. Über eine kleine Treppe gelangte man auf die Terrasse, wo auch der großzügige Whirlpool stand. Grant stellte seine Tasche auf das Bett und ging sofort hinaus.

Ein Großteil der Anlage breitete sich vor ihm aus. Er sah die würfelartigen Laborgebäude und weiter hinten die Rasenfläche, wo er die beiden Gärtner getroffen hatte. Auf der anderen Seite erblickte er den Haupttrakt und weiter hinten, von Bäumen verdeckt, weitere graue Gebäude, die er bisher noch nicht gesehen hatte. Das Gelände war wahrhaft riesig. Grant fuhr sich mit der Hand über den Mund. Die Ausdehnung war noch weit größer, als er erwartet hatte.

Einen Moment dachte er zurück an das Miniaturmodell und versuchte, sich zu orientieren.

Wenn er sich richtig erinnerte, musste die Fläche der Sektion B auf der linken Seite irgendwo im Dschungel liegen. Er starrte konzentriert in die Richtung, konnte aber nichts erkennen. Nur das im leichten Wind wogende Blätterdach. Möglicherweise handelte es sich um einen Bauabschnitt, der noch in Planung war. Er erinnerte sich an die Worte des Gärtners. Oder die Gehege befanden sich dort. Noch einmal sah er zu der Stelle hinüber. Dann wandte er sich ab. Und wenn schon. Falls es etwas zu sehen gab, würde Milton ihn schon ins Bild setzen. Er ging ins Schlafzimmer und legte sich angezogen auf die weiche Matratze. Der Jetlag tat sein Übriges dazu und bald war er fest eingeschlafen.

Ecuador

Bingham erschien wie verabredet um 18 Uhr.

»Du alter Streber«, begrüßte ihn Grant mit einer Überprüfung seiner Armbanduhr. »Es hat sich nichts geändert.«

Bingham hob in entschuldigender Geste die Hände.

»Du weißt, ich stehe zu meinem Wort«, lachte er. »Und die Pünktlichkeit liegt meiner Familie schließlich im Blut. Das kennst du ja.«

Grant verzog belustigt die Mundwinkel.

Und wie er das kannte. Binghams Schwester und auch seine Eltern waren ein wahres Muster an Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. Er hatte sie nur bei wenigen Gelegenheiten gesehen, aber das hatte gereicht, um den gemeinsamen Charakterzug der Familie kennen zu lernen. Er hatte immer gescherzt, dass sie ein bisschen wie Roboter waren.

»Wie geht es deiner Schwester übrigens?«, fragte er. »Wenn wir schon von deiner Familie sprechen.«

»Gut, gut«, sagte Bingham und zog die Zimmertür hinter ihnen zu. Die offizielle Führung begann.

»Ich erzähle dir alles auf dem Weg. Aber sie arbeitet momentan auf einer Farm in Kolumbien. Die forschen da irgendetwas am Saatgut von Maispflanzen oder so was.« Er dachte kurz nach. »Oder war es Weizen?« Die Lösung fiel ihm nicht ein. »Keine Ahnung. Ich habe nicht so genau zugehört. Jedenfalls wird die Forschung von einem großen Privatunternehmen bezahlt. Frag mich aber bitte nicht nach dem Namen. Das Einzige, was ich dir sagen kann ist, dass sie damit einen Haufen Geld verdient.« Er seufzte in gespielter Enttäuschung.

»Weit mehr als ich jedenfalls. Und das will schon was heißen. Schließlich kann ich mich nicht beschweren.« Grant dachte über die Worte nach, während sie mit dem Fahrstuhl nach unten fuhren und den Wohntrakt verließen.

»Und wer bezahlt in deinem Fall diese ganze Sache hier?«, fragte er.

Sein alter Freund machte ein bekümmertes Gesicht.

»Das kann ich dir leider auch nicht sagen. Streng vertraulich.« Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Wie so einiges hier.«

Grant runzelte die Stirn.

»Was kannst du mir denn sagen?«

Binghams Miene hellte sich auf.

»Oh auch so einiges, du wirst schon sehen.«

Nachdem sie das Gebäude verlassen hatten, führte Bingham Grant zunächst über den Teil der Anlage, den er bereits kannte.

»Das da vorne sind die…«

»Die Laborgebäude, ich weiß«, sagte Grant, als sie an den weißen Würfeln vorbei kamen. Bingham stutzte einen Moment.

»Über 250 Menschen arbeiten in dem ganzen Komplex, natürlich inklusive Verwaltung, Techniker, Gärtner usw.« Grant musterte sein Gegenüber aus den Augenwinkeln. Bingham klang wie ein Fremdenführer. Er fragte sich, ob der große Mann immer die Aufgabe hatte, Neuankömmlinge die Anlage zu zeigen. Die Begeisterung in seiner Stimme verriet Stolz und Zufriedenheit.

»Und welche Aufgabe hast du in dem ganzen Laden?«, fragte er, als sie an dem kleinen Teich vorbeikamen.

Bingham breitete die Arme aus.

»Ich leite die gesamte Einrichtung. Vom Personal bis zum Kontakt mit den Behörden. Letzten Endes obliegt immer mir die finale Entscheidung.« Er kniff die Augen zusammen. »Nach Abstimmung mit den Bossen natürlich.«

»Und wer sind die Bosse?«

»Wie gesagt, streng vertraulich. Tut mir leid alter Junge.«

»Schon gut.«

Sie gingen weiter. Bingham führte sie von den Laborgebäuden weg auf den Dschungel zu. Sie überquerten einen abschüssigen Rasen und nahmen einen Pfad in den Wald hinein. Grant versuchte, sich zu orientieren. Wenn er es richtig sah, dann bewegten sie sich nun wieder Richtung Wohnkomplex, allerdings in einem weiten Bogen um die Anlage herum. Er warf einen Blick zurück. Die Sonne stand schon ziemlich tief und das Tageslicht ging hier unter dem Blätterdach in ein schummriges Zwielicht über. Auch die Luft wurde merklich kühler. Der Pfad wurde so eng, dass sie nicht mehr nebeneinander gehen konnten. Nach ein paar Minuten kamen sie an einen hohen Draht-Zaun.

»Wo sind wir denn jetzt gelandet?«, fragte Grant erstaunt, als er ein Warnschild mit der Aufschrift »Vorsicht Hochspannung« an dem Zaun las und bemerkte, dass die Barriere weit über zwei Meter hoch war.

»Das hier sind die Außengehege«, sagte Bingham und tippte einen Zugangscode in das Tastenfeld neben der Tür aus Maschendraht ein. Grant versuchte, ihm über die Schulter zu sehen.