Die Marquise - George Sand - E-Book

Die Marquise E-Book

George Sand

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Beschreibung

im Mittelpunkt der Erzählung "Die Marquise" steht die Lebensgeschichte einer Frau, der es durch ihre Liebe zum Theater gelingt, sich von den Erwartungen und Konventionen ihres sozialen Umfelds zu befreien und zu sich selbst zu finden.

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George Sand

Die Marquise

Impressum

Cover: Ausschnitt aus "Marquise de Pompadour" v. Francois Boucher, 1759

Covergestaltung: nexx verlag gmbh, 2014

ISBN/EAN: 9783958706125

Rechtschreibung und Schreibweise des Originaltextes wurden behutsam angepasst.

www.nexx-verlag.de

I

Die Marquise de R... war nicht sehr geistreich, obwohl es in der Literatur als ausgemacht gilt, dass alle alten Damen nur so sprühen müssen von Geist. Ihre Unerfahrenheit war entwaffnend in allen Dingen, die ihr die Berührung mit der Welt nicht irgendwie nahegebracht hatte. Noch weniger verfügte sie über jene bis zur Delikatesse getriebene Kunst des andeutenden Ausdrucks, jenen erlesenen Tiefsinn und wundervollen Herzenstakt, der, wie man sagt, die Frauen auszeichnet, die zu leben verstanden haben. Sie war ganz im Gegenteil recht frei heraus, unbesonnen, brüsk, manchmal sogar stark ironisch. Sie zerstörte absolut alle Illusionen, die ich mir von einer Marquise aus der guten alten Zeit gemacht hatte. Und dennoch war sie durch und durch Marquise, eine von denen, die den Hof Ludwigs des Fünfzehnten noch miterlebt hatten; aber da so etwas seit jenen Tagen sozusagen eine Ausnahmeerscheinung darstellte, wollen Sie, meine verehrten Zuhörerinnen, in ihrer Lebensgeschichte nicht zugleich eine ernsthafte Studie der Sitten eines Zeitalters suchen. In der Gesellschaft zu allen Zeiten sich auszukennen ist, scheint mir, zu schwierig, als dass ich mich hier in eine farbige, genaue Schilderung einlassen möchte. Ich will mich darauf beschränken, Ihnen von solch außergewöhnlichen Fällen zu erzählen, wie sie, zu allen Zeiten, zwischen Menschen aller Gesellschaftsschichten unverwerfliche Beziehungen der Sympathie stiften können. Irgendwelch besonderen Zauber hatte ich eigentlich nie in der Gesellschaft dieser Marquise empfunden. Fesselnd erschien sie mir wohl hauptsächlich nur durch ihre verschwenderische Lust, die Erinnerungen mitzuteilen, die sie sich aus der Zeit ihrer Jugend bewahrt hatte, und wegen der fast männlich nüchternen Klarheit, mit der sie ihre »Memoiren« zu erzählen wusste. Im Übrigen war sie, wie alle alten Leute, etwas vergesslich gegenüber den Dingen, die sich in der Weltgeschichte zugetragen hatten, und unbekümmert um die Ereignisse, die keinen direkten Einfluss auf ihr Schicksal ausübten.

Sie war keineswegs eine von jenen pikanten Schönheiten gewesen, die mangels des Glanzes an wohlgebildeten Körperformen nie auskommen können ohne Geist. Eine Frau, die so beschaffen ist, muss sich geradezu welchen zulegen, um dadurch so schön zu werden, wie ihre Geschlechtsgenossinnen es durch ihre natürlichen Reize schon sind. Die Marquise hatte im Gegenteil das Unglück, unbestreitbar schön zu sein. Ich habe ihr Porträt gesehen, das sie, wie alle alten Damen, die Koketterie hatte, in ihrem Boudoir vor allen Blicken auszustellen. Sie war darauf konterfeit als Nymphe auf der Jagd, in einer Korsage aus gestreifter Atlasseide, die das Tigerfell vortäuschte, mit Spitzenärmeln, einem Bogen aus Sandelholz und einer perlenbesäten Mondsichel, die auf ihrer gekräuselten Haarfrisur in allen Farben spielte. Trotz allem, ein bewundernswertes Bild war das – und, was noch mehr besagt, eine wundervolle Frau: groß, schlank, brünett, mit dunklen Augen, strengen, edlen Zügen, einem purpurnen Mund, der kaum lächelte, und Händen, die, wie man erzählt, die Prinzessin de Lamballe zum Verzweifeln gebracht hatten. Ohne die Spitzen, die Atlasseide, den Puder wäre das in der Tat eine jener stolzen, leichtfüßigen Nymphen gewesen, die, in Wäldergründen oder am Berghang erspäht, alle Sterblichen toll vor Liebe und Verlangen machen konnten.

Und dennoch hatte die Marquise wenig Abenteuer erlebt. Wie sie selbst gestand, sagte man ihr nach, es mangelte ihr an Geist. Die anspruchsvolle Männerwelt von damals liebte weniger die Schönheit um ihrer selbst willen als wegen ihrer kokettenhaften Reize. Frauen, die unendlich weniger bewundernswert waren, hatten ihr alle Anbeter weggezogen, und, was noch sonderbarer war, es schien, als könne ihr das nichts anhaben. Was sie mir, mit Unterbrechungen, von ihrem Leben erzählte, ließ mich vermeinen, dies Herz sei nie jung gewesen, und seine etwas egoistische Kühle habe jede andere Regung beherrscht. Und doch sah ich sie, höchst lebendig für ihre Jahre, rund um sich Freundschaft pflegen. Ihre Enkelkinder brachten ihr Zärtlichkeiten entgegen, und sie spendete Liebe und Güte, ohne dass es wie großes Gehabe wirkte. Aber da sie keinerlei besondere Grundsätze hervorkehrte und sogar gestand, sie hätte ihren Freund und alten Verehrer, den Vicomte de Larrieux, nie wirklich geliebt, konnte ich mir keine so rechte Erklärung über ihren Charakter machen.

Eines Abends fand ich sie noch mitteilsamer als gewöhnlich. Etwas wie Betrübtheit sprach aus ihren Gedanken. »Mein liebes Kind«, wandte sie sich mir zu, »der Vicomte de Larrieux ist nun doch seiner Gicht erlegen. Ein großer Schmerz ist das für mich, die ich, sechzig Jahre hindurch, ihm Freundin war. Und erschreckend zu sehen, wie man so abstirbt! Und trotzdem nicht weiter erstaunlich: Er war ja so alt!«

»Wie alt war er?« fragte ich.

»Vierundachtzig! Ja, und ich, ich bin achtzig; aber so hinfällig, wie er war, bin ich noch nicht; ich darf hoffen, länger zu leben als er. Was tut es! Wenn man sieht, wie sich diese und jene von den alten Freunden dies Jahr wieder still davongemacht haben, und man sich noch so schön einredet, man sei schließlich jünger und robuster – hindern kann das nicht, etwas bänglich zu werden, schaut man so zu, wie die Altersgenossen die letzte Reise antreten...«

»Daher also«, bestätigte ich ihr, »all das Bedauern, das Sie ihm nachschicken, dem armen Larrieux, der Sie sechzig Jahre hindurch anbetete, der nicht abließ, sich über Ihre unerbittliche Strenge zu beklagen, und sich doch nicht dadurch hat zurückschrecken lassen? Das Musterbild von einem Liebhaber, nicht wahr, das war er! Dergleichen Männer, die kann' man heutzutage mit der Laterne suchen!«

»Lassen Sie!« winkte die Marquise mit ihrem kühlen Lächeln ab, »dieser Mann machte es sich geradezu zur zweiten Natur, zu lamentieren und sich unglückselig zu nennen. Und er war es ganz und gar nicht, wie jeder weiß...«

Als ich sah, wie meine Marquise wieder im besten Zug war, in ihr Plaudern zu kommen, bedrängte ich sie mit Fragen über diesen Vicomte de Larrieux und über sie selbst; und so lautete die sonderbare Auskunft, die ich aus ihrem Mund zu hören bekam:

»Mein liebes Kind, ich sehe wohl, dass Sie mich als eine Person von recht hässlichem und sehr unausgeglichenem Charakter betrachten. Möglich, dass es an dem ist. Urteilen Sie von sich aus darüber: Ich will Ihnen meine ganze Geschichte erzählen, Ihnen all die Verkehrtheiten darin aufdecken, die ich noch nie jemandem enthüllt habe. Sie, der Sie aus einem vorurteilslosen Zeitalter sind, werden mich vielleicht weniger schuldhaft finden, als ich mir selbst erscheine; aber wie auch die Meinung ausfallen mag, die Sie sich über mich machen werden, sterben kann ich nicht, ohne dass ich mich vorher jemandem ganz aufgeschlossen habe. Vielleicht werden Sie mir ein Zeichen des Mitgefühls bekunden können, das mir die Wehmut der Erinnerung versüßen wird. In Saint-Cyr bin ich erzogen worden. Die glänzende gesellschaftliche Ausbildung, die man dort erhielt, zeitigte allerdings bei mir wenig Sinn für die Wirklichkeiten des Lebens. Ich kam mit sechzehn wieder heraus, um dem Marquis de R... zur Frau gegeben zu werden, einem Mann von fünfzig Jahren; und ich wagte nicht, darüber in Klagen aufzubrechen, denn alle Welt beglückwünschte mich zu dieser guten Partie, und alle heiratsfähigen Mädchen ohne Vermögen beneideten mich um mein Los.

Ich hatte stets wenig Geist gehabt; in jener Zeit war ich ein ganz und gar törichtes Geschöpf. Jene klösterliche Erziehung hatte das Ihre getan, meine schon immer sehr langsamen Denkfähigkeiten vollends einzuschläfern. Ich kam aus dem Kloster mit einer Unschuld, einer Ahnungslosigkeit, die geradezu albern war und die man uns sehr zu Unrecht als Vorzug und als Tugend zugute hält, mit solchen Eigenschaften, die oft dem Glück unseres ganzen Lebens schaden.

Und in der Tat: für die Erfahrung, die ich in den sechs Monaten meiner Ehe machen sollte, fand sich mein Geist zu eng, um sie zu fassen, und sie diente mir zu nichts. Ich lernte, nicht etwa das Leben kennen, sondern an mir selber zweifeln. Ich trat in die Welt ein mit Vorstellungen, die ganz und gar falsch waren, mit Vorurteilen, die mein ganzes Leben nicht hat in ihr Gegenteil umkehren können.

Mit sechzehneinhalb Jahren war ich Witwe; und meine Schwiegermutter, die mich, gerade wohl wegen meines gänzlichen Mangels an Geist und Energie, in ihr Herz geschlossen hatte, setzte mir mit Ratschlägen zu, mich wieder zu verheiraten. Nun ja, ich war schwanger, und das schmale Wittum, das man mir eingeräumt hatte, musste an die Familie meines Gatten heimfallen, gesetzt, ich wollte seinem Kind und Erben einen Stiefvater geben. Kaum dass meine Trauerzeit um war, führte man mich also wieder ein in die Welt. Ich sah mich bald umgeben von Bewerbern. Ich stand damals im Glanz meiner Schönheit, und nach Meinung aller meiner Artgenossinnen gab es kein Gesicht und keine Taille, die sich mit meinen Frauenreizen hätten messen können.