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Theo Glass hat sich als einer der Ersten einen Kwant besorgt. Also einen dieser unauffällig dienstbeflissenen Herren, die jederzeit mit Rat und Tat zur Stelle sind und bald von immer mehr Menschen genutzt werden. Theo ist Feuer und Flamme für seinen neuen Freund. Der smarte Herr K. erleichtert ihm zum Beispiel seine Arbeit als Enzyklopädist ungemein, denn er weiß einfach alles. Theos Freundin Anna ist da viel skeptischer. Für ihren Geschmack mischt sich Kwant viel zu sehr in persönliche Dinge ein. Immer sitzt er freundlich dabei und hört alles mit. Erzählt er das irgendwem weiter? Theos Chef stellt eine ganz andere Frage: Wenn Herr Kwant das ganze Wissen bereitstellt, wozu braucht man dann noch Theo? Philipp Löhle versetzt in seiner hellsichtigen Komödie die Digitalisierung in ein analoges Paralleluniversum und lässt uns in einer vollkommen "kwantifizierten" Welt landen, in der unsere dunklen Ahnungen über Big Data und Co. mehr als erfüllt wurden.
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Seitenzahl: 90
Veröffentlichungsjahr: 2020
Philipp Löhle
Die Mitwisser
Eine Idiotie
FELIX BLOCH ERBEN
Verlag für Bühne, Film und Funk
Inhaltsverzeichnis
Title Page
Zitat
Personenverzeichnis
Vorrede
Erster Teil: Als analog
I. Der Herr Kwant
II. Klein Pi macht auch Mist
III. Auf Arbeit mit dem Herrn Kwant
IV. Herr Kwant, du Tube!
V. Autofahrt I
VI. Beim Fürst
VII. Sexte Szene
VIII. Nackte Tatsachen
IX. Survival of the fittest
X. Mehr
XI. Noch mehr
XII. Gehe nicht zu deinem Fürst, wenn du nicht gerufen wirst!
XIII. No match found
Zweiter Teil: Inder klaut
Epilog
Über den Autor
Über das Stück
Impressum
„Wenn es etwas gibt, von dem Sie nicht wollen, dass es jemand erfährt, dann sollten Sie es vielleicht ohnehin nicht tun.“
Eric Schmidt, Executive Chairman von Google (jetzt Alphabet)
„Es ist so bequem, unmündig zu sein.“
Immanuel Kant (Was ist Aufklärung?)
Theo Glass, Enzyklopädist
Anna Glass, seine Frau, Blumenhändlerin
Sabrina David, Kollegin von Theo
Fred Jäger, Nachbar der Glass’
Herr Fürst, Theos Chef
Herr Kwant
ORTEDavor und Dahinter
ZEIT
Dieses Stück Science Fiction spielt in der Vergangenheit.
ANMERKUNG
Herr Kwant ist ein Mensch. Durch und durch. Er ist eben genau nicht künstlich.
LITERATUR
Yvonne Hofstetter – Sie wissen alles
Hofstetter – Das Ende der Demokratie
Markus Morgenroth – Sie kennen dich! Sie haben dich! Sie steuern dich!
Max Schrems – Kämpf um deine Daten
Thomas Schulz – Was Google wirklich will
Christoph Kucklick – Die granulare Gesellschaft
Jan Kalbitzer – Digitale Paranoia
Dave Eggers – The Circle
Martin Ford – Aufstieg der Roboter
Stefan Aust/Thomas Amman – Digitale Diktatur
Harald Welzer – Die smarte Diktatur
Jarett Kobeck – I hate the Internet
Immanuel Kant – Was ist Aufklärung?
Hannes Grassegger/Mikael Krogerus - Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt
FILME / MEDIEN
Spike Jonze – Her
Bent Hamer – Kitchen Stories
What if google was a guy (youtube)
Poppy (youtube-chanel)
Anthony van der Meer – Find my phone (youtube)
Daniel Jütte – Das Geheimnis ums Geheimnis (im Deutschlandfunk Nova Podcast)
Dirk Helbing – Manipulation der Massen (im Deutschlandfunk Nova Podcast)
Google I/O Keynote 2017 (youtube)
Erstes Interview mit Edward Snowden – https://www.youtube.com/watch?v=ZWVKo_1N9mA
Sehr geehrte Damen und Herren,
Herzlich willkommen im Schauspielhaus Düsseldorf1. Wir möchten Sie bitten, Ihre Mobiltelefone nicht auszuschalten. Nur so ist es uns möglich, Daten über Ihr Zuschauerverhalten zu erfassen. Das Fotografieren und Filmen sowie der Gebrauch sozialer Medien während der Vorstellung sind ausdrücklich erlaubt. Wir wünschen Ihnen eine schöne Vorstellung.
Määh … Määh …
1 Der Name des Theaters kann dem jeweiligen Spielort angepasst werden.
„Welcome to my life“
Sobotka (Born in the NSA)
THEOGuck. Das ist er.
Da sind Anna und Theo Glass. Und da ist der Herr Kwant. Der Herr Kwant hat ein paar Dinge dabei. Ein Klemmbrett mit Stift (an einer Schnur). Eine Sofortbildkamera. Ein paar Aktenordner. Ein Stapel Zettel und ein paar Landkarten. Außerdem unbedingt eine Lupe. Der Herr Kwant ist gerade dabei sich einzurichten.
THEOUnd? Was sagst du?
ANNAJoa.
THEOJoa?
ANNAHabe ihn mir jünger vorgestellt.
THEOJünger …
ANNAHat er auch einen Namen?
THEOHat er. (grinst)
ANNAUnd der wäre? Wieso grinst du so?
THEOJosef K. Steht auf seinem Namensschild. Verstehste? Wie bei Kafka. Aber das K. steht für Kwant. Herr Kwant.
ANNAHerr Kwant. Dann siezt du ihn?
THEOAch so. Weiß nicht.
ANNASiezt er dich?
THEOKeine Ahnung. Das kann ich wahrscheinlich selber festlegen.
–
ANNAUnd was macht er da?
THEOIch … Er … Er schraubt was zusammen.
ANNADas sehe ich auch.
THEOMensch, Anna.
ANNADu hast ihn angeschleppt.
THEODas ist total aufregend, oder? Findest du es nicht total aufregend? Also ich finde es total aufregend.
–
ANNADas wird ein Stuhl.
THEOBitte?
ANNAWas er da zusammenbaut. Das ist ein Stuhl. Wieso einen Stuhl?
THEOStimmt.
ANNAWir haben Stühle.
THEOKlar haben wir Stühle.
–
THEODann ist es vielleicht gar kein Stuhl.
ANNANatürlich ist das ein Stuhl. Das ist so einer mit einem Ablagebrett als Lehne.
THEOJetzt, wo du es sagst.
ANNASo einen haben wir natürlich nicht.
THEODeshalb.
ANNADeshalb was?
THEODeshalb bringt er seinen eigenen Stuhl mit. Und schraubt ihn hier zusammen. Ist das nicht irre?
ANNAHättest du ihm doch besorgen können.
THEOWenn er ihn selber mitbringt.
–
ANNAUnd was macht er jetzt?
THEOIch glaube … er setzt sich.
ANNAJa. Er setzt sich. Auf seinen Stuhl.
THEOAuf seinen Stuhl. Wahnsinn.
Der Herr Kwant sitzt auf seinem Stuhl. Theo und Anna gucken ihn an. Der Herr Kwant lächelt. Theo und Anna lächeln zurück. Der Herr Kwant nimmt einige Papiere aus seiner Aktentasche …
THEOAchtung! Er kommt.
… und kommt zu Theo und Anna.
HERR KWANTSo. Herr Theo Glass?
Theo nickt.
THEOHier. Das ist Anna.
HERR KWANTGuten Tag, Anna. Herr Glass, nachdem ich mich jetzt bei Ihnen installiert habe, sind hier noch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen, kurz AGB, für Sie. (Er gibt Theo ein paar Papiere.) Wenn Sie die bitte gründlich durchlesen und dann qua Unterschrift zustimmen würden.
THEOOkay. (liest) „Vielen Dank, dass Sie sich für unsere Dienste entschlossen haben. Die Nutzung der Dienste setzt voraus, dass Sie den Nutzungsbedingungen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) zustimmen. Bitte lesen Sie diese sorgfältig durch.“
Mache ich ja gerade. (lacht)
(liest) „Wir bieten eine Vielzahl von verschiedenen Diensten an. Aus diesem Grund gelten unter Umständen zusätzliche Bedingungen oder Voraussetzungen (z.B. ein Mindestalter).“ Ach. (liest) „Solche zusätzlichen Bedingungen werden im Zusammenhang mit den entsprechenden Diensten zur Verfügung gestellt und werden Teil Ihres Nutzungsverhältnisses mit uns, sobald Sie diese Dienste nutzen.“ Das habe ich jetzt nicht ganz verstanden.
Anna nimmt ihm die Papiere aus der Hand.
ANNADas ist aber sehr klein geschrieben. Wenn Sie mir mal Ihre Lupe …
Theo nimmt Anna die Papiere aus der Hand.
THEOOder können Sie es uns nicht vorlesen?
HERR KWANTIch kann Ihnen erst vorlesen, wenn Sie den Allgemeinen Geschäftsbedingungen zugestimmt haben, deshalb kann ich Ihnen gerade diese nicht vorlesen. Noch nicht.
THEOAch so … (flüstert) Und wenn wir einfach? (Er unterschreibt mit dem Finger in der Luft.)
HERR KWANTEhrlich gesagt machen das die meisten so.
THEOOder?
ANNAIch lese das bestimmt nicht durch.
Theo unterschreibt. Dann gibt er die Papiere Herrn Kwant zurück. Herr Kwant steckt die Papiere in seine Aktentasche.
HERR KWANTIch darf Sie zu Ihrer Entscheidung beglückwünschen. Ab jetzt bin ich jederzeit für Sie da. (Herr Kwant dreht sich um, geht zu seinem Stuhl und setzt sich. Mit Stift und Klemmbrett sieht er die beiden an.)
THEODas ist doch irre. Findest du das denn nicht irre? Jetzt hockt da der Typ und … hockt da. Ich schmeiß mich weg.
ANNAUnd was macht er jetzt?
THEOWas macht er jetzt? Na alles, was wir wollen. Herr Kwant … Uhrzeit, jetzt!
Herr Kwant schaut auf seine Uhr.
HERR KWANTEs ist jetzt 17 Uhr und 21 Minuten.
Theo schaut auf seine Uhr.
THEOStimmt. Siehste.
ANNAEine sprechende Uhr. Toll.
THEOAnna. Herr Kwant … Wetter, morgen?
Herr Kwant holt einen Zettel aus seinen Unterlagen.
HERR KWANTAm Morgen lockere Bewölkung bei Temperaturen von 18°C. Im weiteren Tagesverlauf sind Teile des Himmels mit Wolken bedeckt, die Sonne ist zwischendurch sichtbar bei Höchsttemperaturen bis zu 26°C. Am Abend kann es vereinzelt zu Regen kommen bei Temperaturen von 20 bis 24°C. In der Nacht bilden sich vereinzelt Wolken bei Tiefsttemperaturen von 18°C. Der Wind weht aus östlicher Richtung mit Geschwindigkeiten von 8 bis 15 km/h. Böen können Geschwindigkeiten zwischen 19 und 42 km/h erreichen.
THEOGuck mal, Anna, das ist doch Wahnsinn!
ANNAJedenfalls ist es recht ausführlich.
THEOToll, oder? Und jetzt pass mal auf. Herr Kwant.
HERR KWANTJa?
THEOHeute. Vor hundert Jahren. Also, was war da?
Herr Kwant öffnet einen Ordner, blättert.
HERR KWANTHeute vor hundert Jahren wurde der dänische Maler, Komponist und Physiker Ragen Jödesund in der französischen Stadt Reims geboren … Das indische Kindermädchen Anik Singh Devi erfindet in British Columbia zufällig das Mobile … Auf einer Hacienda in Venezuela wird der Guerilla-Kämpfer Zapato de Nuestra Pie durch einen Speer ermordet und das letzte lebende Exemplar der Wandertaube stirbt im Genfer Zoo.
THEOHa! (klatscht) Bravo! Herr Kwant! Bravo!
ANNAEr ist wirklich gut organisiert.
THEOAber jetzt kommt das Beste. Willst du einen Kaffee?
ANNAEigentlich/
THEOPass mal auf: Äh … Herr Kwant. Kaffee. Jetzt. Ich. Cappuccino. Anna. Latte.
HERR KWANTSie meinen Latte Macchiato?
ANNAJa. Gerne.
HERR KWANTSie entschuldigen die Nachfrage. Am Anfang müssen wir uns noch aneinander gewöhnen. Jede Stimme und Sprechweise hat ihre ganz eigenen charakteristischen Nuancen, die ich erst begreifen muss. Das legt sich nach ein paar Tagen.
THEOKein Problem, Herr Kwant.
HERR KWANTEs wäre zudem hilfreich, wenn Sie ganz normal mit mir reden.
THEOWie? Sie meinen? … Okay, wie Sie meinen.(Herr Kwant macht Kaffee.)Das ist so irre! Jetzt macht der uns Kaffee.
ANNAWie will der überhaupt Milch schäumen?
THEOKeine Ahnung.
ANNATheo, sag mal, können wir uns den überhaupt leisten? Ich meine, das ist ja praktisch ein Dienst… dings, ein Diener.
THEOAnna! Das ist es ja. Der ist umsonst.
ANNAWas?
THEOJa! Der macht das umsonst!
ANNADer macht das umsonst?
THEOJa. Es ist fantastisch.
ANNAWieso sollte er das tun?
THEOKeine Ahnung.
ANNANiemand macht irgendwas umsonst.
THEODoch …
Der Herr Kwant guckt.
THEOÄh … Haben Sie alles gefunden?
HERR KWANTDarf ich, während der Kaffee kocht, eine Empfehlung aussprechen?
THEOJa. Klar, oder?
ANNAWenn du meinst.
Herr Kwant holt zwei Produktbeschreibungen hervor.
HERR KWANTDerzeit kochen Sie Ihren Kaffee in einer sogenannten Macchinetta Napoletana.
THEONa, dieses Schraubdings halt.
HERR KWANTMacchinetta Napoletana. Für einen noch originaleren Kaffeegenuss italienischer Art, würde ich Ihnen eine Siebträgermaschine empfehlen. Entweder einkreisig oder zweikreisig. Das heißt mit separatem Milchschaumerhitzersystem. Gerade wenn Sie viel Cappuccino und Latte Macchiato trinken, eine echte Hilfe. Es gibt da zum Beispiel das Modell von Il Buono für 1283 Euro oder einkreisig von Il Duce für 812 Euro inklusive Versand. Beide Maschinen haben hervorragende Kundenbewertungen. (Herr Kwant gibt Theo einen Prospekt.)Ich hole den Kaffee. (Herr Kwant geht wieder zum Kaffee.)
ANNAWir sollen uns ne Kaffeemaschine kaufen?
THEOIst das zu fassen?!
ANNAWir trinken doch gar nicht so viel Kaffee.
THEOVielleicht trinken wir dann ja mehr?
ANNASchön aussehen tut sie ja.
THEODie da?
ANNANee, die andere.
Herr Kwant bringt die Kaffees.
HERR KWANTSo. Eine Latte Macchiato … ein Cappuccino … so gut es eben ging. Zucker?
THEOGerne.
ANNAIch nicht.
HERR KWANTWie viel?
THEOEtwa zweieinhalb Löffel. Nehme ich immer.
Herr Kwant macht Theo zweieinhalb Löffel Zucker in den Kaffee. Anna und Theo trinken von ihren Kaffees.
HERR KWANTAlso?
THEOJa, das geht doch schon ganz gut.