Die Mühlen des Todes - Andrea Gerecke - E-Book

Die Mühlen des Todes E-Book

Andrea Gerecke

4,9

Beschreibung

Mit ungewöhnlichen Knoten ist der Tote Waldemar Schulze am Flügel einer Mühle nur einen Steinwurf von der Porta Westfalica entfernt gefesselt worden. Der Wallholländer, sonst einer der bekannten Ausflugsorte, hat seine Idylle mit dem Schreien des Opfers eingebüßt und wird nun als Schauplatz einer brutalen Inszenierung in Erinnerung bleiben. Dafür sorgt allein schon die Boulevardpresse, die überraschend schnell vor Ort ist und den Fall entsprechend ausschlachtet. Der Tote war im Finanzgeschäft tätig und hat sich dort nicht nur Freunde gemacht. Etliche Menschen aus seinem Umfeld hätten sehr wohl ein Motiv gehabt, ihn umzubringen. Dies stellt sich im Laufe der Befragungen heraus. Doch während Kommissar Rosenbaum und seine Kollegen ermitteln, geschieht ein weiterer Mord an einer anderen Mühle im Weserbergland. Nachdem ein Bekennerschreiben des mutmaßlichen Mühlenmörders auftaucht, ist dessen Urheber rasch gefasst. Doch als dieser in Untersuchungshaft sitzt, gibt es einen dritten Toten, der mit Fischerknoten gefesselt an einer Mühle gefunden wird. Rosenbaum fragt sich, ob er es mit einem Serientäter zu tun hat.

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Inhalt

Titelseite

Impressum

Über die Autorin

Inschrift

Lügenmärchen

Albert

Büro

Gutenachtgeschichte

Flügellahm

Freundschaft

Medienschelte

Anlagen

Kompetenzen

Scheiden tut weh

Vereinsversammlung

Schneeschieben

Bekennend

Es war einmal

Dreierlei

Verliebt

Routiniert

Schriftverkehr

Nachbarschaft

Depressiv

Fraglich

Entwirrt

Bruderzwist

Aussprache

Getrennt?

Endgültig

Geständig

Danksagung

Andrea Gerecke

Die Mühlen des Todes

Im Verlag CW Niemeyer sind bereits folgende Bücher der Autorin erschienen:

Mörderischer Feldzug

Der Tote im Mittellandkanal

 

Der Roman spielt direkt am Treffpunkt von Weser- und Wiehengebirge im Nordrhein-Westfälischen. Malerisch liegt das mittelgroße Städtchen an der Weser, die beide Erhebungen teilt oder vereint. Je nachdem, aus welcher Perspektive man das betrachtet. Alle Handlungen und Charaktere sind natürlich frei erfunden. Eventuelle Ähnlichkeiten ergeben sich also rein zufällig. Regionale Wiedererkennungseffekte sind indes erwünscht . . .

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über http://dnb.ddb.de

 

© 2013 CW Niemeyer Buchverlage GmbH, Hameln

www.niemeyer-buch.de

Alle Rechte vorbehalten

Der Umschlag verwendet ein Motiv von shutterstock.com

Gloomy landscape Slava Gerj 2013

eISBN: 978-3-8271-9847-1

EPub Produktion durch ANSENSO Publishing www.ansensopublishing.de

Über die Autorin:

Gebürtige Berlinerin mit stetem Koffer in der Stadt. Studierte Diplom-Journalistin und Fachreferentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Kurz vor dem Jahrtausendwechsel Entdeckung der Liebe zum Landleben mit den dortigen kreativen Möglichkeiten. Umzug ins vorletzte Haus an einer Dorfstraße in NRW. Arbeit als freie Autorin und überregionale Journalistin. Literarische Spezialität sind mörderische Geschichten, in denen ganz alltägliche Situationen kippen. Nach den Gutenachtgeschichten für Erwachsene „Gelegentlich tödlich“ folgten „Warum nicht Mord?!“ und „Ruhe unsanft“. 2011 erschien der erste Fall von Kommissar Alexander Rosenbaum „Mörderischer Feldzug“ innerhalb der Weserbergland-Krimi-Reihe, der in Minden spielt. Dem schloss sich 2012 der zweite Fall an: „Der Tote im Mittellandkanal“. Dazu kommen humoristische und satirische Texte, Prosa und Lyrik. Veröffentlichungen in zahlreichen Anthologien, Zeitungen und Zeitschriften. Mitglied der Mörderischen Schwestern und des Syndikats sowie des Leitungsteams der Mindener Lesebühne.

Siehe auch: www.autorin-andrea-gerecke.de

„Hör ich das Mühlrad gehen:Ich weiß nicht, was ich will –Ich möchte am liebsten sterben,Da wär’s auf einmal still!“

(Josef von Eichendorf aus „Das zerbrochene Ringlein“)

Lügenmärchen

Marita blickte aus dem Küchenfenster. Schon von Weitem erkannte sie den blondgelockten Benjamin, der sich mit seiner Schultasche auf dem Rücken hüpfend dem Anwesen näherte. So ein Glück aber auch, dass die beiden Jungen sich gefunden hatten, dachte sie bei sich. Marita lächelte jetzt, schob die Brille mit dem linken Zeigefinger auf dem Nasenrücken hoch und legte noch eine Gurkenscheibe in das Pausenbrot für Laurenz. Dann blieb alles frisch und der Kleine mochte schließlich Gemüse leidenschaftlich gern. Diese Vorliebe musste er von ihr haben. Denn der Vater und der große Bruder Konstantin bevorzugten Fleisch in jeder Variation, Hauptsache deftig und herzhaft.

Jetzt schloss die Mutter sorgsam den Behälter, öffnete ihn dann doch noch einmal und legte einen kleinen Schokoriegel hinein. Nur gesunde Kost ging ja nun auch wieder nicht. Ein wenig Nervennahrung war schon wichtig. Der Jüngste würde sich bestimmt darüber freuen. Sie drehte sich Richtung Flur und rief energisch: „Renzi, dein Freund ist im Anmarsch. Du musst dich langsam sputen, wenn ihr pünktlich in der Schule sein wollt.“

Kein Echo kam. Es herrschte absolute Stille, so als wäre das Haus verlassen. Benjamin hatte sich bereits der Hofeinfahrt genähert.

„Laurenz! Bummel nicht wieder. Wenn ihr zu spätkommt, gibt es Ärger.“ Ihre Stimme wurde lauter.

Als sich auch daraufhin nichts rührte, lief sie in den Flur und stieg die Treppe nach oben ins Kinderzimmer, zwei Stufen auf einmal nehmend. Marita seufzte vor sich hin. Jeden Tag das gleiche Theater, immer mal etwas abgewandelt. Nur ja alles bis zur letzten Minute hinauszögern. Bloß nicht auf den ersten Ruf reagieren . . . Aber gut, dass sie selbstständig als Lektorin arbeitete, da konnte sie sich den Tag wenigstens einigermaßen einteilen. Wenngleich sich die Arbeit meist in die späten Abend- oder Nachtstunden verschob. Was nun wieder fürs Lesen nicht unbedingt förderlich war, denn Tageslicht bot da im Grunde die besseren Voraussetzungen.

Sie müsste mal wieder zum Augenarzt, fiel ihr in dem Moment ein. Die Brillenstärke schien nicht mehr auszureichen. Oder sollte sie doch lieber jenen Ratgeber bestellen, der ein Leben ohne dieses Hilfsmittel versprach und wofür vor Kurzem in einer Mail geworben worden war? Einfach nur Augentraining, entsprechende Ernährung und ein paar Tipps in den Alltag integrieren. Aber ja, auch dafür müsste sie doch wieder Zeit aufwenden, die an allen Ecken und Kanten fehlte. Marita atmete tief durch. Der Tag mit seinen vierundzwanzig Stunden war eben insgesamt zu eng bemessen.

Was mochte es bei Laurenz wohl heute sein? Sie drückte die Klinke herunter. An der Tür hing ein Schild mit der Aufschrift: Bitte nicht stören! Aus dem Zimmer von Konstantin, das gegenüber lag, drangen die Bässe einer Musikgruppe. Was ihm an der nur gefallen mochte, dachte Marita kurz bei sich, sie hatte doch in dem Alter ganz andere Leidenschaften gehabt, eher das Sanft-Melodische, wo man sich beim Tanzen aneinanderschmiegen konnte, so wie damals, als sie ihre erste und einzige große Liebe Richard kennenlernte. Plötzlich lachte sie kurz auf. Verdammt, ich werde wohl alt und sentimental, wenn ich jetzt solche Vergleiche anstelle.

„Laurenz, wo bleibst du denn?“, fragte sie mit leicht ungeduldigem Unterton in den Raum hinein. Die Sonne ließ ein paar feine Staubpartikel tanzen. Der Junge saß an seinem Schreibtisch und hatte noch einen Stift in der Hand. Konzentriert blickte er auf ein Blatt Papier. Sein Handy lag auf dem Fensterbrett.

„Ja, gleich Mama. Ich muss das eben hier noch fertig machen!“, stöhnte Laurenz.

„Du musst jetzt überhaupt nichts fertig machen, sondern dich schleunigst auf den Weg in die Schule.“

In dem Moment klingelte es an der Tür und der Ton schallte durch das gesamte Haus.

„Siehst du, sag ich doch. Das ist dein bester Freund Benjamin. Der wenigstens ist immer pünktlich. Was ich von dir nicht behaupten kann. Du bist die größte Trödelnummer weit und breit.“

Laurenz zog jetzt einen Flunsch und blickte weinerlich.

„Ich bin doch keine Trödelnummer . . . Das ist hier nur ganz wichtig für Papa, damit er heute daran arbeiten kann. Sonst kommt er nicht voran.“

„Ach was, mein Junge. Das war jetzt nicht böse gemeint. Ich hab dich lieb und du kannst das für den Papa ja heute Abend beenden.“

„Na, wenn es dann mal nicht zu spät ist“, maulte Laurenz.

Marita strich ihrem Sohn über das kurzstoppelige Haar. „Keine Widerrede, mein Lieber.“

Und sie schob den Jungen mit leichter Gewalt aus seinem Zimmer in Richtung Flur.

„Dein Handy hast du eingesteckt?“, fragte sie noch auf dem Weg, woraufhin Laurenz nur zerstreut nickte.

In der Zwischenzeit hatte der Vater die Haustür geöffnet und Benjamin eingelassen. Beide blickten nach oben, als Marita und Laurenz die Treppe hinunterstiegen.

„Na, ihr beiden, habt ihr heute wieder Abenteuer zu bestehen?“, erkundigte sich Richard gut gelaunt.

Jetzt strahlten die beiden Kinder.

„Viel Zeit habt ihr dafür aber nicht“, ergänzte der Vater noch mit einem prüfenden Blick zur Wanduhr.

„Jetzt drängelst du auch noch Papa“, entgegnete Laurenz schlagartig missgestimmt.

„Ach was! Das schafft ihr schon. Aber nicht zu lange unterwegs aufhalten. Dann könnt ihr noch absolut pünktlich ankommen.“

„Und was ist mit unserer gemeinsamen Arbeit, Papa? Mit unserem großen, ganz besonderen Projekt?“, erkundigte sich Laurenz und zwinkerte seinem Vater überdeutlich zu.

„Das machen wir, wenn du aus der Schule zurück bist. Ich muss mich momentan um ein wichtiges Konzept kümmern. Aber bis nachher bin ich so weit fertig, dass wir zusammen loslegen können. Und nun: Ab durch die Mitte!“

Die beiden Jungen bewegten sich Richtung Haustür.

„Tschüss dann, Mama“, warf Laurenz noch in den Raum.

„Was, bekomme ich denn keinen Abschiedskuss?“, fragte Marita mit gespielter Entrüstung. Sie wusste, dass das ihrem Jüngsten in Gegenwart seines Freundes schon peinlich war. Aber trotzdem zog sie ihn gern damit auf.

„Oh, Mama. Ich bin doch kein Baby mehr“, kam auch die prompte Antwort. Auf dem Gesicht von Laurenz zeigte sich eine intensive rote Farbe und er ließ sich widerwillig einen Kuss geben, wobei er sich anschließend mit dem Handrücken über die Wange strich. Benjamin tat so, als habe er nichts bemerkt. Er verabschiedete sich formvollendet und wünschte den Eltern seines Freundes wohlerzogen noch einen guten Tag.

Als Marita die Tür hinter den beiden geschlossen hatte, blickte Richard sie ein wenig vorwurfsvoll an.

„Sag mal, Liebes, kannst du das nicht sein lassen, mit dieser ewigen Küsserei. Nimm einfach mich dafür! Du weißt doch, dass Renzi das nicht mag. Du blamierst den Jungen vor seinem Freund. Bis auf die Knochen!“

„So dramatisch wird es schon nicht sein! Ach, Richard, ich will einfach irgendwie nicht wahrhaben, dass die Kinder erwachsener werden. Gerade eben noch habe ich doch den klitzekleinen Laurenz im Arm gehalten und gestillt . . .“

„Na ja, eben noch ist maßlos übertrieben. Das ist nun schon ein Weilchen her.“

„Und um was für ein spannendes Projekt geht es bei euch beiden?“, lenkte Marita jetzt ab. Diese Anspielungen auf ihr Alter konnte sie momentan überhaupt nicht vertragen.

„Laurenz soll da was für eine Theateraufführung basteln. Er ist quasi der Bühnenbildner. Und ich helfe ihm natürlich“, fiel es Richard spontan ein.

Die Wahrheit konnte er nicht sagen, denn es handelte sich in Wirklichkeit um das Geburtstagsgeschenk für Marita. In vierzehn Tagen beging sie ihren Vierzigsten. Und der sollte mit großem Brimborium gefeiert werden. Konstantin komponierte dafür gerade mit seiner Musikgruppe ein besonderes Lied, weshalb er entgegen seiner Gewohnheit auch schon in den Morgenstunden aktiv war. So wie heute. Und mit Laurenz bastelte der Vater eine Skulptur für den Garten, in der auch die Vögel Unterschlupf und Futter finden sollten. Dafür malte der Junge gerade seine Entwürfe, die der Vater dann auf ihre Umsetzbarkeit prüfen würde, ehe beide ans Werk gingen.

Die beiden Jungen liefen die ersten Meter schweigend nebeneinander her. Doch dann brach Benjamin das Eis.

„Meine Mama ist auch immer so daneben. Diese ewige Knutscherei kann ich nicht ausstehen.“

Laurenz fiel ein Stein vom Herzen. Wenn es seinem besten Freund ebenso erging, dann war das Ganze wohl doch kein so großes Problem.

„Ich habe ihr schon hunderttausend Mal gesagt, dass ich das nicht will. Aber sie behandelt mich immer wie ein Kleinkind. Dabei gehen wir schon ewig in die Schule und der Ernst des Lebens hat schon lange für uns begonnen.“

Laurenz war richtig stolz auf die letzte Formulierung. Das mit dem Ernst des Lebens hatte die Oma damals gesagt, als er in die Schule kam. Und das hatte er sich ganz genau gemerkt. Schließlich erschien ihm das sehr gewichtig und nun passte es prima, wie er fand.

Benjamin blickte seinen Freund anerkennend-bestätigend von der Seite an, um sofort nachzulegen: „Genau! Wir sind keine Säuglinge mehr und haben mal wieder einen verdammt harten Tag vor uns.“

Sie liefen einvernehmlich schweigend Richtung Grundschule, wobei sie an der Mühle, einem Wallholländer, vorbeimussten. Etliche Felder waren schon abgeerntet und erlaubten weite Blicke ins Land. Die Luft roch würzig. Eben blitzte es saphirblau auf.

„Schau mal, Laurenz, ein Eisvogel!“ Benjamin wies mit der Rechten zur Uferböschung. Und auch sein Freund hatte sowohl den pfeifenden Ton als auch das rasche Flugmanöver wahrgenommen.

„Lass uns das prüfen. Bestimmt hat er dort in der Nähe seine Brutröhre!“

Laurenz erinnerte sich genau an die Worte von Benjamins Opa, der ihnen gerade erst diesen Vogel mit seinem überaus prächtigen Gefieder gezeigt und erklärt hatte. Die beiden kletterten an der Uferböschung entlang, wurden aber nicht fündig.

„Ach, das können wir auch auf dem Heimweg noch einmal genauer untersuchen“, meinte jetzt Laurenz und stieg als Erster wieder auf den Feldweg zurück.

Richtung Norden markierten im Hintergrund linkerhand das Kaiser-Wilhelm-Denkmal und rechterhand die Fernsehrelaisstation den Flusseinschnitt zwischen Wiehen- und Wesergebirge.

Irgendetwas war heute auffällig an einem der Mühlenflügel. Da hing etwas Unförmiges. Fast gleichzeitig entdeckten es die Jungen und schauten sich bedeutungsvoll an.

„Du, Renzi, da ist bestimmt etwas Furchtbares passiert“, kombinierte Benjamin spontan.

„Ja, das sehe ich auch so. Lass uns rasch zu unserer Mühle laufen.“

Und beide rannten plötzlich los, um gleichzeitig unterhalb des Walls anzukommen. Der Anblick stoppte ihren Lauf. Jetzt nahmen sie sich unwillkürlich an die Hand, was sonst unter ihrer Würde gewesen wäre.

„Don Quichotte!“, entfuhr es Laurenz.

„Oder Sancho Pansa?!“, warf Benjamin mit ernstem Gesicht ein.

Die Oma von Laurenz erzählte den beiden hin und wieder die alte Geschichte und flocht dabei immer Gegenwärtiges mit ein. Sie konnten nie genug davon bekommen.

„Komm, das müssen wir uns näher anschauen“, forderte Laurenz seinen Freund auf.

„Ich weiß nicht“, antwortete Benjamin unschlüssig und trat von einem Fuß auf den anderen. „Mir macht das Angst.“

Jetzt war es an Laurenz, Mut zu beweisen.

„Ach, sei kein Feigling, das müssen wir uns schon genau ansehen. Vielleicht können wir noch helfen? Dann sind wir echte Lebensretter und werden gefeiert und geehrt und kommen ganz bestimmt in die Zeitung!“

Die Jungen kletterten den Wall nach oben und standen jetzt direkt vor dem Mühlenflügel, der senkrecht nach unten hing und an dem ein Mann befestigt war, in kunstvollen Tauen gewunden.

„Don“, flüsterte Laurenz.

„Sancho“, legte Benjamin nach. Beide noch in gebührendem Abstand.

Aber es kam kein Echo. Der Mann rührte sich nicht. Laurenz setzte einen Fuß vor den anderen und Benjamin folgte ihm ganz dicht. Jetzt konnten sie Augenbrauen und Wimpern erkennen und einen unmenschlich verkrampften Zug um den Mund. Unterhalb der Nase klebte geronnenes Blut. Im Schritt und an den Oberschenkeln zeichnete sich auf den Jeans ein dunkles, feuchtes Feld ab. Laurenz rümpfte die Nase, nahm allen Mut zusammen und stupste mit einem Finger erst vorsichtig und dann etwas kräftiger in die rechte Seite des Mannes. Wieder nichts.

„Ich glaube, der ist tot“, konstatierte Laurenz und atmete tief durch. „Und in die Hose hat er sich auch gemacht. Wir müssen die Polizei alarmieren.“

Und nach einer winzigen Pause setzte er hinzu: „Das glaubt uns keiner.“

Benjamin sagte kein Wort und nickte nur.

„Hast du dein Handy dabei“, fragte Laurenz, als er sich daran erinnerte, es daheim auf dem Fensterbrett vergessen zu haben.

„Nein“, gestand Benjamin nach kurzem Überlegen. „Das steckt noch zu Hause in der Ladestation.“

„Dann müssen wir wohl schleunigst in die Schule“, erklärte Laurenz.

Beide machten auf dem Absatz kehrt und rannten davon.

In der Schule herrschte schon konzentrierte Stille. Alle Kinder befanden sich in ihren Klassen. Die erste Stunde hatte bereits begonnen. Laurenz riss die Tür zum Klassenzimmer auf, völlig außer Atem. Benjamin dicht an seiner Seite.

„Herr Wagenknecht, Herr Wagenknecht, es ist etwas passiert. Da gibt es einen Toten an der Mühle“, ergriff Laurenz aufgeregt das Wort und Benjamin nickte nur bestätigend.

„Aha“, sagte Helmfried Wagenknecht. „Guten Morgen erst einmal.“

Er unterrichtete Mathematik und hatte gerade die ersten Zahlen an die Tafel geschrieben. Dass Laurenz und Benjamin mit einer blühenden Fantasie gesegnet waren, war ihm nicht unbekannt. In seinem Unterricht bewegten sie sich eher im Mittelfeld, was die Leistungen anging. Insofern gehörten sie nicht zu seinen Lieblingsschülern.

„Jetzt setzt euch erst einmal hin und stört hier nicht den Unterricht“, sagte der Lehrer.

Und als das Getuschel im Raum größer wurde, fuhr er fort: „Ihr bringt nur die anderen aus dem Konzept. Ich will keine Lügenmärchen hören.“

„Aber“, warf Laurenz ein, „das ist nicht gelogen. Das ist die volle Wahrheit.“

„Jetzt reicht es aber.“ Helmfried Wagenknecht zog die Stirn kraus und hob die Stimme. „Das hat ein Nachspiel. Nicht genug, dass ihr zu spät kommt, dann auch noch solche Albernheiten. Ich rede nachher mit eurer Klassenlehrerin.“

Laurenz zog die Schultern hoch und ließ den Kopf sinken. So hatte er sich den Auftritt nicht vorgestellt. Er blickte seitlich zu Benjamin, der ihn nur verstohlen musterte. Sie wollten zu ihrer Bankgruppe laufen, als der Lehrer sie noch einmal ansprach.

„Ich werde euch jetzt mal für die Stunde auseinandersetzen. So geht das nicht. Sonst spinnt ihr eure Abenteuergeschichte noch weiter.“

Und er schob Laurenz neben Sina und Benjamin zu Corinna am anderen Ende des Raumes. Beide Mädchen schauten abfällig zu ihren neuen Nachbarn. Die Schulstunde nahm ihren gewohnten Lauf.

Als es klingelte, packte Helmfried Wagenknecht seine Sachen zusammen und verließ das Klassenzimmer. Das Geschehen mit den beiden Jungen vergaß er zunächst. Erst in der Mittagspause fiel es ihm wieder ein. Da sah er Maike Rau, die gerade fröhlich summend das Lehrerzimmer betrat. Er erhob sich und ging auf sie zu.

„Also, deine beiden, Benjamin und Laurenz, sind mal wieder heftig zu spät gekommen und dann haben sie mir eine derart abstruse Geschichte aufgetischt . . . Ich wusste ja immer, dass sie eine begnadete Fantasie haben. Aber das hat in meinem Unterricht nichts zu suchen.“

„Was haben sie dir denn erzählt?“, fragte Maike sachlich und biss in einen Apfel.

„Also, sie hätten da einen Toten an der Mühle gesehen, auf dem Weg zur Schule.“

„Hm“, gab Maike von sich, leckte sich etwas Fruchtsaft von den Fingern und kaute.

„Ja, hm, und? Was soll ich nun damit anfangen?“

„Ich weiß nicht. Die beiden sind sehr begabt und bestimmt einfallsreich, aber auf keinen Fall Aufschneider. Vielleicht sollte man dem doch nachgehen.“

„Also, wenn du für solchen Blödsinn Zeit hast! Ich jedenfalls nicht.“

In dem Moment ertönte auch schon wieder das Signal zum Unterricht und alle verließen das Lehrerzimmer. Maike Rau grübelte, während sie in ihre nächste Stunde ging. Dann fiel ihr ein, dass sie ja noch später in der Klasse von Benjamin und Laurenz zu unterrichten hatte. Da wollte sie die beiden mal behutsam ausfragen. So viel Zeit sollte sein.

In den Pausen hatten Laurenz und Benjamin im Mittelpunkt ihrer Klasse gestanden. Wieder und wieder hatten sie davon erzählt, wie da ein Mann mit mächtigen Tauen an die Flügel der Windmühle gefesselt worden sei und sie erst vermutet hätten, es wäre Don Quichotte oder vielleicht Sancho Pansa. Was ja eigentlich auch noch nicht ganz ausgeschlossen sei. Aber das könne schließlich erst die Polizei herausfinden!

Ungläubig und zugleich furchtsam hatten die anderen gelauscht, Fragen gestellt und weiter aufmerksam zugehört. Die beiden Jungen übertrafen sich im Ausschmücken des Ortes und seiner Gegebenheiten, auch fiel der Begriff Marterpfahl.

Aber eigentlich sagten sie doch nur die Wahrheit.

Keiner in der Klasse konnte sich wirklich auf den folgenden Unterricht konzentrieren. Einer um den anderen handelte sich eine schlechte Note ein.

„Was ist denn heute nur mit euch los“, fragte die Musiklehrerin, als sie zum fünften Mal mit dem Lied ansetzte und immer wieder ein Teil der Kinder nachhinkte oder sich im Ton vergriff.

Laurenz sah gebannt auf die Wanduhr. Die Zeit wollte aber partout nicht vergehen. Schließlich war auch die Stunde mit Maike Rau zu Ende und die beiden Freunde wollten sich schon auf den Weg nach Hause machen, um schnellstens zu ihrer Mühle zu laufen. Vielleicht war dort schon die Polizei im Einsatz. Sie durften nichts von den weiteren Geschehnissen verpassen! Aber als sie in der Tür standen, hörten sie hinter sich ihre Lehrerin.

„Kommt mal kurz zu mir“, bat sie.

Benjamin und Laurenz sahen sich an. Was war denn nun noch?

„Ihr seid heute zu spät gekommen und habt Herrn Wagenknecht davon erzählt, dass euch die Begegnung mit einem Toten an der Windmühle aufgehalten hätte. Nun erzählt mir mal die ganze Geschichte. Es passiert euch auch nichts. Ihr müsst nur bei der Wahrheit bleiben und dürft nicht flunkern.“

In dem Moment fing Benjamin an zu schluchzen und auch Laurenz schossen die Tränen in die Augen. So lange hatten sie ihre Gefühle noch bändigen können. Aber die einfühlsamen Worte ihrer Klassenlehrerin öffneten jetzt ihr Inneres. Immerhin hatten beide noch nie in ihrem Leben zuvor eine Leiche gesehen. Und so erzählten sie Stück um Stück den ganzen Ablauf vom Morgen, inklusive der Begegnung mit dem Eisvogel, bis sie in der Schule eingetroffen waren.

Maike Rau unterbrach die Kinder nur kurz, als sie sich in Details verlieren wollten. Aber schließlich gewann sie den Eindruck, dass an allem wirklich etwas dran war.

„Schaut mir mal in die Augen“, forderte sie die beiden auf. Laurenz und Benjamin blickten sie offen an. „Ihr schwört mir, dass das auch alles wirklich so ist? Ich will dann nämlich jetzt die Polizei anrufen. Undwenn ihr gelogen habt, gibt es ganz viel Ärger.“

„Es ist alles wahr“, schluckte Laurenz. Benjamin nickte und drängte sich dicht an seinen Freund.

„Gut. Dann setze ich mich jetzt mit der Polizei in Verbindung.“

Und Maike Rau wählte die drei Zahlen.

Albert

Es war Sonntagabend. Alexander hatte eben noch an der Tankstelle in Rothenuffeln angehalten. In den Abendstunden seien die Preise meist etwas günstiger, hatte ihm der nette Tankwart einmal verraten. Also legte er fortan die nötige Spritbefüllung in diese Zeiten. Aber Alexander war mit seinen Gedanken nicht bei der Sache. Er hielt die Zapfpistole vom Diesel in der Hand und setzte schon an, als ihm die Verwechslung ein wenig zu spät auffiel. Erschrocken riss er sie zurück und eine Tropfenspur legte sich auf den Boden.

Er biss sich auf die Lippen und griff zur richtigen Seite. So ein wenig Diesel würde wohl nichts ausmachen, überlegte er.

Erst als Benzin aus dem Tank herauslief, stoppte er. Himmelarschundzwirn, konzentrier dich endlich, fluchte Alexander innerlich. Er zog etwas Papier von der Rolle an der Säule und wischte die übergelaufene Feuchtigkeit an seinem Fahrzeug weg. Jetzt nur noch die paar Meter nach Hause zu Albert und dann abschalten von dieser irren Familienaktion,versuchte er sich zu beruhigen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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