Die mutigen Frauen Irans -  - E-Book

Die mutigen Frauen Irans E-Book

0,0
21,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

»Regime profitieren immer von den Geschichten, die nicht erzählt werden«
Die Herausgeberinnen Natalie Amiri und Düzen Tekkal

15 Frauen im Iran und im Exil erzählen in diesem Buch ihre bewegenden Geschichten. Einige von ihnen haben Nachrichten aus Gefängnissen geschmuggelt. Sie sprechen über ein Leben ohne Rechte, aber mit Sittenwächtern, über patriarchale Strukturen und eine neue Generation von Männern, über Gewalt, Erniedrigung, Entmündigung und wirtschaftliche Not.

Ihre Botschaften sind erschütternd, zutiefst berührend und zugleich voller Mut und Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Es sind Geschichten, die gehört und verbreitet werden müssen. Lassen Sie uns alle Schallverstärker sein!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 180

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Natalie Amiri Düzen Tekkal

Die mutigen Frauen Irans

Wir haben keine Angst!

© 2023 Elisabeth Sandmann Verlag GmbH, München978-3-949582-21-9Alle Rechte vorbehalten.

Übersetzung aus dem Persischen: Mahmoud Hosseini Zad

Redaktion, Übersetzungen aus dem Englischen, Lektorat: Elisabeth Sandmann, Anne Stukenborg, Claudia Teibler, Antonia Meiners

Alle Fotografien im Buch wurden von den Frauen selbst zur Verfügung gestellt: 9 © Markus C. Hurek; 14 © Ghazal Abdollahi; 21 © Aliyeh Motallebzadeh; 22 © Sepehr Atefi; 32 © Lennart Ootes; 40 © Antonia Hrastar; 48 © Ani; 56 © Stadt Frankfurt am Main/Katharina Dubno; 62 © Fariba Balouch; 68 © Orit Pnini; 76 © Avelina Boateng; 86 © Shirin Ebadi; 92 © Kambiz Foroohar; 102 © Narges Mohammadi; 116 © Nazanin Boniadi; 124 © Nasrin Sotoudeh; 134 © Leily

Das Zitat von Forugh Farrochzād auf S. 61 stammt aus der Sendung »Iranische Ikone der Freiheit«, Deutschlandradio Kultur, 12.6.2011.

Umschlag, Gestaltung und Satz: Sofarobotnik, Augsburg & München

Lithografie und Herstellung: Jan Russok

Besuchen Sie uns im Internet unter www.esverlag.de

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

GHAZAL ABDOLLAHI

PARASTOU FOROUHAR

SHOHREH BAYAT

SHILA BEHJAT

ANI

NARGESS ESKANDARI-GRÜNBERG

FARIBA BALOUCH

RITA JAHANFORUZ

JASMIN SHAKERI

SHIRIN EBADI

MASIH ALINEJAD

NARGES MOHAMMADI

NAZANIN BONIADI

NASRIN SOTOUDEH

LEILY

 

Vorwort · Natalie Amiri

Vorwort · Düzen Tekkal

Verlagsnotiz

Impressum

WIR SOLLTEN WIEDER AN DIE KRAFT DER MENSCHEN GLAUBEN. AN DIE KRAFT DER WERTE, DIE UNS VEREINEN.

VORWORTNATALIE AMIRI

Die Bedeutung von Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Frieden war mir mit 19 Jahren, als ich ein Praktikum bei einer iranischen Zeitung in Teheran annahm, nicht bewusst. Ich hatte mich nie damit beschäftigt. Schließlich war ich in Deutschland geboren, einem Land, das mir diese Konzepte uneingeschränkt schenkte. Erst durch das Abhandenkommen dieser Umstände in der Islamischen Republik Iran und durch die permanente Demonstration dessen, mein Leben nicht selbstbestimmt leben zu können, durch das Fehlen von Faktoren wie Sicherheit, Ruhe, Verlässlichkeit, begann ich darüber nachzudenken und zu spüren, wie wichtig dieses Fundament von Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Frieden ist, für eine gerechte und friedliche Gesellschaft, in der jeder Mensch authentisch und frei ohne Diskriminierung und Unterdrückung leben kann. Über Nacht all der Privilegien eines demokratischen Staates beraubt, begann ich mich nach einer anfänglich erstarrten Regungslosigkeit an den iranischen Frauen zu orientieren, um wieder die Hoheit der Selbstbestimmung zu erreichen. Auch wenn mir diese nie durch den Staat garantiert wurde (als Doppelstaatlerin werde ich im Iran nur als Iranerin gesehen, die deutsche Staatsbürgerschaft ist im Iran nicht anerkannt). Ich besann mich darauf, von den iranischen Frauen zu lernen, um zu überleben: Emanzipation, Feminismus und – das Kämpfen.

Als Co-Autorin dieses Buches und als Journalistin, die lange für die ARD als Korrespondentin und Büroleiterin im Iran gearbeitet hat, kann ich sagen, dass mich die Geschichten der Frauen und ihr Kampf in der Islamischen Republik Iran immer tief bewegt haben. Ich habe mit ihnen gesprochen, ihre Tränen gesehen und ihre Leidenschaft für Freiheit und Gerechtigkeit erlebt. Ihren Stolz.

Sie haben mir nicht nur die schmerzhafte Realität von Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen aufgezeigt, sondern auch ihre unglaubliche Stärke und ihren Mut, trotz alledem Rechte einzufordern, die man ihnen genommen hatte. Die Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotoudeh sagte mir, als ich sie für dieses Buch fragte, wie sie mit der Bedrohung lebe, jeden Moment zurück ins Evin-Gefängnis gebracht werden zu können: »Alle, die den gewaltlosen Kampf betonten, betonten auch die Akzeptanz des Leidens.« Sie haben lange gelitten, die Frauen Irans. 44 Jahre lang wurden sie systematisch vom Regime diskriminiert. Aber gleichzeitig sind sie Heldinnen.

Die Revolution im Iran, die im September 2022 mit den Protesten nach dem Tod von Jina Mahsa Amini begann, empfinden viele Frauen als die Zielgerade eines langen Kampfes gegen das Regime. Die Töchter der Islamischen Revolution haben sich lange auf den Kampf gegen die Verschleierungspflicht konzentriert. Ideologisch zu starr, wollte ihnen das Regime nicht entgegengekommen. Jetzt ist es zu spät. Für das Regime. Die iranischen Frauen, und nun sind es vor allem die Enkeltöchter der Revolution, wollen keine Zugeständnisse mehr, sie wollen das, was jedem Menschen auf der Welt zustehen sollte: Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Frieden. Vorstellungen und Werte, die in der Islamischen Republik nicht vorgesehen sind.

Düzen Tekkal und ich, gemeinsam mit Elisabeth Sandmann und Anne Stukenborg vom Elisabeth Sandmann Verlag, haben uns im Oktober 2022 dazu entschlossen, dass die Geschichten dieser unglaublich mutigen iranischen Frauen, die in diesem Buch zu Wort kommen, gehört werden müssen. Wir wollen mit diesem Buch sicherstellen, dass niemand sagen kann: Das wusste ich nicht. Diese 15 Frauen sind repräsentativ für den Kampf aller Frauen im Iran. Ihr Kampf hat nicht erst im September begonnen. Er dauert seit vier Jahrzehnten an.

Es ist meine tiefe Überzeugung, dass wir alle eine Verantwortung haben, uns für die Rechte dieser Frauen einzusetzen. Wir können nicht zulassen, dass ihre Stimmen ungehört bleiben und dass Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen in der Islamischen Republik fortgesetzt werden.

Wir wollen mit diesem Buch mehr, als einzelne Geschichten starker Frauen veröffentlichen. Ihre Worte stehen auch für die von religiösen oder ethnischen Minderheiten wie den Kurden, Belutschen, Bahá’i und all denen, die auf die Straße gehen, um ihre Stimme zu erheben.

Es ist die Geschichte von Menschen, die tanzen wollen, ohne Angst vor Verhaftung. Es ist die Geschichte von Menschen, die sich küssen wollen, ohne dafür bestraft zu werden. Es ist die Geschichte von Schwestern und Brüdern, die für ihre Rechte und für ihre Freiheit kämpfen.

Es ist die Geschichte von Menschen, die sich gegen marode Denkweisen und Scham wenden. Es ist die Geschichte von Menschen, die sich nach einem normalen Leben sehnen, frei von Armut und Korruption. Es ist die Geschichte von Kindern, die Träume haben und sich eine Zukunft wünschen, frei von verschmutzter Luft und vertrockneten Bäumen.

Es ist die Geschichte von Menschen, die sich für den persischen Leoparden und für unschuldige Tiere einsetzen. Es ist die Geschichte von Menschen, die weinen, weil sie mehr wollen als nur ein weiteres Bild dieses Moments. Es ist die Geschichte von Menschen, die lächeln wollen, trotz aller Tränen.

Es ist die Geschichte von Studierenden, die für ihre Zukunft kämpfen. Es ist die Geschichte von Menschen, die gegen ein aufgezwungenes Paradies rebellieren. Es ist die Geschichte von Menschen, die für die Freiheit der inhaftierten Elite und für afghanische Kinder kämpfen.

Es ist die Geschichte von Menschen, die für den Seelenfrieden und für eine bessere Zukunft kämpfen. Es ist die Geschichte von Menschen, die für das Mädchen kämpfen, das sich wünschte, ein Junge zu sein, und für die Frauen, die ihr Leben und ihre Freiheit fordern. Danke Shervin Hajipour für dein Lied »Baraye«, das Vorlage für die letzten Zeilen war.

Zu Beginn der Revolution im Iran führte ich ein Gespräch mit einer Freundin aus Teheran, das ich niederschrieb:

Was, wenn wir es schaffen dieses Regime zu stürzen?

Dann würde es einen Iran geben, der mit Israel befreundet wäre.

Dann bräuchte Israel weniger Waffen, genauso wie Saudi-Arabien,

es gäbe keinen Krieg im Jemen.

Irak könnte seine eigene Politik bestimmen.

Die Hisbollah und die Hamas hätten keinen Finanzierer mehr.

Russland würde keine Drohnen mehr geliefert bekommen, die sie im Krieg gegen die Ukraine einsetzen.

Putin würde geschwächt werden, denn ihm würde ein mächtiger Verbündeter in der Region fehlen.

Die Gefängnisse, in denen unsere Intellektuellen, unsere Anwältinnen und politischen Gefangenen leiden, wären leer.

Man müsste sich nicht mehr fürchten vor einer Atombombe in den Händen der Mullahs.

Und eine Frau wäre Präsidentin, die als ersten Amtsakt die Gewaltenteilung herstellt und Menschenrechte verankert.

Utopie, nicht Dystopie! Wir sollten unser Mindset ändern. Die iranischen Frauen glauben daran. Ist es wirklich so weit gekommen, dass wir nicht mehr daran glauben, dass sich etwas hin zum Guten entwickeln kann. Rita, die israelische Pop Queen mit iranischen Wurzeln sagte mir im Interview für das Buch: »Viele israelische Freunde erzählen mir, dass die Menschen, denen sie sich am meisten verbunden fühlen, Iraner und Iranerinnen sind. Beide finden, außerhalb unserer Landesgrenzen, sehr schnell Anschluss, weil sie dasselbe fühlen.«

Wir sollten wieder an die Kraft der Menschen glauben. An die Kraft der Werte, die uns vereinen.

Die Menschen im Iran haben mich und meinen gesamten Werdegang geprägt. Ich habe immer wieder mit meinem iranischen Kameramann über unsere gemeinsamen Jahre im Iran gesprochen, in denen wir permanent bedroht wurden, verhaftet, rote Linien überschritten haben, das ARD-Büro geschlossen werden sollte, ich meine Pressekarte entzogen bekam. Ausreisegesperrt war. Und mehr als einmal habe ich durchgespielt, wie es ist, im Gefängnis zu sitzen.

Am Ende waren wir immer ein bisschen mutiger, als wir dachten, es sein zu können. Und das habe ich nicht in Deutschland gelernt. Das lehrten mich die Menschen im Iran, immer ein bisschen mutiger sein zu können, als wir denken. Und insbesondere die mutigen Frauen haben mir dies vorgelebt. Sie haben diesen Weg nicht gewählt, weil sie ihn sich aussuchten, sie wählten diesen Weg, weil sie es mussten. Der bewegende Text von Jasmin Shakeri bringt es auf den Punkt: »Die Jugend im Iran, die Jugend in Afghanistan, Syrien, Eritrea, Irak, Myanmar, der Ukraine, Palästina, dem Jemen, die Geflüchteten an den EU-Außengrenzen, die Familien in undichten Schlauchbooten auf dem Mittelmeer – diese Menschen, die nicht unseren Jackpot gezogen haben, haben nur zwei Optionen und keine Wahl: Entweder jetzt riskieren zu sterben oder ein Leben lang sterben.«

Wir haben in Deutschland das wunderbare Recht, sprechen zu dürfen, unsere Meinung zu sagen, laut zu sein. Wenn also nicht wir, wer dann, sollte auf das menschenverachtende Unrecht in der Islamischen Republik aufmerksam machen und den mutigen Frauen Irans eine Möglichkeit geben, dass ihre Stimmen gehört werden.

Die HerausgeberinnenNatalie Amiri und Düzen Tekkal

DIE ZEIT DER ANGST IST VORBEI. WIE DIE FRAUEN IRANS GESCHICHTE SCHREIBEN.

VORWORTDÜZEN TEKKAL

Die Frauen, die in diesem Buch zu Wort kommen, sollten – wenn es nach dem Willen des Mullah-Regimes ginge – tot sein. Dass sie noch leben, ist ihrem Mut, ihrer Klugheit und einer Gemeinschaft zu verdanken, die sich über die Jahre hinweg im Iran gebildet hat. Die Menschen haben aus den Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre gelernt. Denn es ist nicht die erste Widerstandsbewegung im Iran, die das Regime mit brutaler Gewalt zu zerschlagen versucht. Aber der Zusammenhalt ist dieses Mal größer als in allen anderen vorherigen. Die Menschen lassen sich nicht länger gegeneinander ausspielen: Frauen gegen Männer, Perser gegen Kurden, Kurden gegen Belutschen. Das funktioniert nicht mehr.

Die Bewegung für »Frau, Leben, Freiheit« hat international hohe Wellen geschlagen – und selten war die iranischstämmige Diaspora mit den Menschen im Land selbst so hinter einer Sache vereint. Sie alle wollen den Sturz des Geschlechter-Apartheid-Regimes und der religiös legitimierten Diktatur im Iran, die seit nunmehr 44 Jahren an der Macht ist und die Zivilgesellschaft unterdrückt.

Der Kampfesruf der Revolution »Jin, Jiyan, Azadî«, der sich nach dem Mord an und dem Begräbnis von Jina Mahsa Amini in der Region Saqqez, ihrem Herkunftsort, erhob, wurde schnell in alle Teile des Landes getragen.

In Isfahan, Masshad, in Rascht, in Teheran fand er seine Übersetzung ins Persische: »Zan, Zendegi, Azadi«. Zeitgleich erhoben sich die Belutschen in der Region Sistan-Belutschistan, im Südosten des Landes. Die Belutschen sind sunnitische Muslime hanafitischer Prägung – und werden, wie die Kurden und andere Minderheiten, in der Islamischen Republik Iran unterdrückt. Die kurdischen und belutschischen Gebiete werden nicht umsonst von den Dissidenten die »blutigen Flügel der Revolution« genannt. Gegen die Demonstrierenden in diesen Landesteilen ging und geht das Regime mit besonderer Härte vor. Ani, eine Musikerin und Künstlerin, die ebenfalls aus Saqqez stammt, berichtete mir davon, welche Todesängste sie ausstand, als sie am Grab Aminis stand, während der Friedhof von Repressionskräften des Regimes umstellt war. Wie tief der Schmerz sitzt, konnte ich im Interview für dieses Buch mit Fariba erleben, einer belutschischen Menschenrechtsaktivistin. Sie bricht in Tränen aus, als wir über die langanhaltende Unterdrückung ihrer Gemeinschaft sprechen, die keinerlei Daseinsberechtigung in der Islamischen Republik Iran hat. Den Menschen wurde von den Machthabern sehr viel Leid angetan. Sie haben wenig zu verlieren und eine neue Welt zu gewinnen. Eine Stimmung, die in der gesamten iranischen Zivilgesellschaft präsent ist, und die sich im Slogan »Jin, Jiyan, Azadî« transportiert. Mir begegnete er zum ersten Mal im Genozid an den Jesiden. Die kurdischen Soldatinnen führten ihn auf den Lippen, als sie gegen Daesch, den sogenannten »Islamischen Staat«, zu Felde zogen – und ihn besiegten. Meine Schwestern und ich realisierten, dass »Jin, Jiyan, Azadî« fest zur Kernidentität unserer Arbeit gehört, die wir mit unserer Menschenrechtsorganisation HÁWAR.help machen. 2016 gründeten wir sie auf der Asche des Völkermords an unserer eigenen Religionsgemeinschaft, den Jesiden, verübt von eben jenem »Islamischen Staat«. »Frau, Leben, Freiheit«, in diesem feministischen Freiheitsgeist wurden wir Tekkal-Schwestern und ich von klein auf erzogen und mit ihm im Herzen waren wir angetreten, um Menschen aus dem langen Schatten des Genozids herauszuhelfen. Die Fahnen der Unterdrücker mögen andere Farben tragen, doch der Schrecken, der von ihnen ausgeht, ist derselbe. Die Menschen in Belutschistan skandieren regelmäßig bei Protesten: »Basiji, Sepahi, ihr seid unser Daesch«. Basiji sind die gefürchteten Paramilitärs, die auf Motorrädern Jagd auf die Demonstrierenden machen. Sepahis sind die Revolutionsgardisten, die Elite-Kämpfer des Regimes.

Die Aktivistin Masih Alinejad, die meine Kollegin Natalie Amiri für dieses Buch interviewt hat, sagte kürzlich »Die Islamische Republik ist wie der IS, nur mit Öl.« Kaum etwas ist treffender! Was Daesch anstrebte zu schaffen, gab es im Prinzip schon. Einen Islamischen Staat, der auf Misogynie, auf Frauenverachtung und religiösen Fanatismus begründet ist, der sein Modell am liebsten in die ganze Welt tragen möchte – und für den Religionsfreiheit und Vielfalt Fremdworte sind. Deswegen war für uns ganz klar: Der Kampf der mutigen Frauen – aber auch der Männer im Iran, die sich hinter und, wenn es sein muss, auch vor sie stellen, wenn die Repressionskräfte des Regimes mit Knüppeln und Gewehren heranrücken –, das ist auch unser Kampf! Deswegen haben wir von Tag 1 an, nach dem Mord an Jina Mahsa Amini und den Protesten, die dieser Mord auslöste, auch gesagt: Das ist eine Revolution! Schaut genau hin! Die Menschen im Iran und die Menschen, die sich im Ausland an ihre Seite stellen, schreiben gerade Geschichte. Wie immer gilt: »The future is unwritten« – Die Zukunft ist ungeschrieben. Man weiß nicht, was aus dieser Revolution wird. Ich hoffe jeden Tag, dass sie Erfolg hat, dass eines der mörderischsten Regime überhaupt zu Fall gebracht werden kann. Aber feststeht: Der Effekt von »Jin, Jiyan, Azadî« ist in der Welt und er geht über die Landesgrenzen Irans hinaus. Im Nachbarland Afghanistan führen ihn Frauen jeden Alters auf den Lippen, um gegen das Regime der Taliban zu protestieren, die ebenfalls eine religiös begründete Männerherrschaft installieren. Gegen die rigorosen Kleidervorschriften und die Verbannung aus dem öffentlichen Leben rührt sich auch hier Widerstand. So findet sich der Slogan als Graffito schon auf der ein oder anderen Mauer in Afghanistan. Es ist dieser Ruf der (und nach) Freiheit, der instinktiv verstanden wird und Frauen zu einer machtvollen, furchtlosen Stimme verhilft. Davon kann sich der Leser, die Leserin, auf den folgenden Seiten überzeugen.

Unser Buch ist eine Momentaufnahme in diesem anhaltenden Prozess der Revolution und ich bin dankbar, mit dem Handwerk der Journalistin, das ich gelernt habe, daran teilzuhaben. Damit eines Tages »Frau, Leben, Freiheit« zur DNA einer demokratischen Verfassung einer neuen Iranischen Republik und – wer weiß – vielleicht weiterer Länder im Nahen Osten wird. Nicht zuletzt können wir sehr viel von den mutigen Frauen Irans – unter ihnen die Kurdinnen und Belutschinnen, Frauen wie Ani und Fariba – und Afghanistans lernen: Denn auch in unserem vermeintlich aufgeklärten Westen wird die Selbstbestimmung von Frauen und der Status gesellschaftlicher Minderheiten von fanatischen und patriarchal-nationalistischen Kräften zunehmend in Frage gestellt.

GHAZAL ABDOLLAHI

Die iranische Fotografin Ghazal wurde 1994 als Tochter der Journalistin, Fotografin, Menschen- und Frauenrechtsaktivistin Aliyeh Motallebzadeh und des Filmregisseurs und Drehbuchautors Sahi Abdollahi in Teheran geboren. Sie studierte am College of Dramatic Arts der Teheraner Kunstuniversität, konnte ihr Studium aber nicht abschließen, weil sie mit nicht korrekt sitzendem Hijab vor der Universität aufgegriffen wurde. Ab September 2022 beteiligte sie sich an den Massenprotesten in Teheran und floh im November des gleichen Jahres nach Deutschland. Ihre Mutter war 2016 verhaftet und zu drei Jahren Haft verurteilt worden, seit Oktober 2020 ist sie im Evin-Gefängnis.

Bevor meine Mutter verhaftet wurde, hatte ich nicht viele Sorgen

Da ich mein Studium an der Universität nicht abschließen konnte, begann ich als Fotografin, Bühnenbildnerin und Schauspielerin im Theater zu arbeiten. Als 18-jähriges Mädchen, das davon träumt, Schauspielerin zu werden, hatte ich nicht viele Sorgen. Doch dann wurde meine Mutter 2016 verhaftet und alles aus unserem Haus mitgenommen – Telefone, Computer und Festplatten, die unter anderem auch die persönlichen Archive meiner Mutter enthielten. Einen Monat lang wurde sie im berüchtigten, dem Geheimdienst unterstehenden Trakt 209 des Evin-Gefängnisses verhört. Dabei haben sie ihr auch gedroht, dass sie gegen mich ebenfalls ein Verfahren eröffnen würden, weil sie verräterische Daten auf meinem persönlichen Laptop gefunden hätten; das passiert vielen Gefangenen. Von da an wusste ich, dass sie meine Schritte verfolgten, sobald ich ausging, oder meine Telefonate belauschten. Inzwischen ist das fast schon normal: Wir wissen, dass sie uns zuhören, und wir müssen vorsichtig sein, worüber wir reden.

Nach einem Monat kam meine Mutter zwar frei, musste aber auf die Entscheidung des Gerichts warten. Das verurteilte sie wegen Propaganda gegen das System, der Teilnahme an Versammlungen und der Anstiftung zu Handlungen gegen die nationale Sicherheit zu drei Jahren Haft. Am 13. Oktober 2020 kam sie wieder ins Evin-Gefängnis.

Die Regierung schloss auch die Filmproduktionsfirma meines Vaters und erlaubte ihm nicht mehr, in seinem eigenen Land zu arbeiten. Ich war schon vorher politisch aktiv gewesen; nach diesen Vorkommnissen aber wurde ich noch viel aktiver. Als Tochter einer Mutter in Haft ging ich jede Woche ins Gefängnis, um sie in diesen kalten, dunklen Zellen zu besuchen. Dabei sah ich all die anderen, die ebenfalls inhaftiert waren, es zum Großteil immer noch sind … Vorher waren das für mich nur Namen, nun aber wurden diese Menschen für mich real.

Nicht nur mein Verstand, auch mein Körper lehnte das Kopftuch ab

Als ich ein Teenager war, etwa mit 15 oder noch jünger – dem Alter jedenfalls, in dem jedes Mädchen anfangen muss, auf der Straße den Hijab zu tragen – lehnte nicht nur mein Verstand, sondern auch mein Körper dieses Kopftuch ab. Ich schämte mich, in der Öffentlichkeit auf der Straße damit zu erscheinen, und es dauerte lange, bis ich die Pflicht, es zu tragen, für mich akzeptieren konnte – oder zumindest so tun, als ob ich mich fügte. Ich kann mich gut erinnern, wie meine Mutter in dieser Zeit meinetwegen einmal in einen Streit mit der Führungspatrouille geriet.

Ab diesem Zeitpunkt lebte ich anders. Ich lernte, anders zu denken, zu reden, mich zu öffnen, eine Diskussion zu führen, zu wissen, dass es mein Recht ist, mir mein Recht zu nehmen … Eigentlich war ich von klein auf so, und wo immer ich hinging, ob in die Schule, zur Universität, in Cafés, U-Bahn-Stationen und Taxis – alles war eine Herausforderung für mich.

2015 wurde ich ganz in der Nähe meiner Universität auf der Straße verhaftet, weil ich den Hijab nicht richtig trug. Meine Mutter hatte mir immer gesagt, nur weil du einmal Glück hattest, heißt das nicht, dass es immer so bleiben wird. Sie schlagen dich, beschimpfen dich und nehmen dich schließlich mit Gewalt mit. Also sei die ganze Zeit vorsichtig. Wir alle wussten, was geschehen kann, wir hatten auch in Videos gesehen, wie sie die Leute behandeln. Die wirklich schlimmen Dinge sind mir nicht passiert. Zwei Frauen – weibliche Offiziere – kamen auf mich zu und sagten, ich solle mit zum Van kommen und dort etwas unterschreiben, dann könne ich wieder gehen. Ich weigerte mich, sagte, ich könne nicht mitkommen, hätte gleich Unterricht, sei schon spät dran … (es kursierten damals diverse Geschichten über Autos, die wie Streifenwägen aussahen und als Mittel genutzt wurden, um Mädchen zu entführen.) Auch ein Mann kam nun aus dem Van und forderte mich auf, einzusteigen. Ich sagte: »Ich werde nicht einsteigen, ich weiß ja nicht einmal ob Sie die echte Polizei sind.« Er entgegnete: »Ihr Mädels steigt in so viele Autos von so vielen Leuten, die ihr nicht kennt – was macht das jetzt für einen Unterschied?« Inzwischen füllte sich die Straße um uns herum mit Leuten, die weiblichen Offiziere sagten: »Schau, du hältst den ganzen Verkehr auf. Zwing uns nicht, dich mit Gewalt mitzunehmen.« Ich stand still und war darauf gefasst, mit Gewalt ins Auto gezerrt zu werden, da sagte die Frau: »Gib uns deinen Ausweis.« Ich gab ihr meinen Studentenausweis; die Offiziere nahmen ihn und drohten, dass ich der Universität verwiesen würde. Ich bin nach außen hin gelassen geblieben und lächelte: »Das ist mir egal, ihr könnt mir keine Angst machen«, sagte ich. Doch als sie weggingen, war ich wütend und verängstigt. Solche Erinnerungen hat so gut wie jedes Mädchen im Iran. Was sie in uns hinterlassen, wenn wir die Konfrontation mit der Polizei überleben, sind Demütigung, Angst und Hass.

Ich habe begriffen, dass man die wahre Natur dieses Regimes nicht ändern kann

Mit der Korruption, Manipulation, Lüge und Gewalt, die im Iran herrschen, kann sich niemand in seinem Inneren arrangieren. Würde man einen Weg finden, dass diese Dinge einem nicht mehr schaden, verlöre man sich, sein Selbst und seine Seele.