Die Nachtwachen des Bonaventura - August Klingemann - E-Book

Die Nachtwachen des Bonaventura E-Book

August Klingemann

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Beschreibung

Die Nachtwachen eines Außenseiters: Der Nachtwächter Kreuzgang wandert jede Nacht durch die Straßen einer Stadt und ruft den Bürgern die Stunde aus. Auf diesen nächtlichen Touren trifft er allerlei interessante und merkwürdige Gestalten. Die fragmentarischen Gedanken, die sich Kreuzgang dabei macht und die in 16 Episoden wiedergegeben sind, können als Kritik an der Gesellschaft verstanden werden – eine Gesellschaft, die ihn wiederum verstoßen hat.-

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Seitenzahl: 203

Veröffentlichungsjahr: 2020

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August Klingemann

Die Nachtwachen des Bonaventura

 

Saga

Die Nachtwachen des BonaventuraCoverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1804, 2020 August Klingemann und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726642841

 

1. Ebook-Auflage, 2020

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

 

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

– a part of Egmont www.egmont.com

ERSTE NACHTWACHE

Der sterbende Freigeist

Die Nachtstunde schlug; ich hüllte mich in meine abenteuerliche Vermummung, nahm die Pike und das Horn zur Hand, ging in die Finsternis hinaus und rief die Stunde ab, nachdem ich mich durch ein Kreuz gegen die bösen Geister geschützt hatte.

Es war eine von jenen unheimlichen Nächten, wo Licht und Finsternis schnell und seltsam miteinander abwechselten. Am Himmel flogen die Wolken, vom Winde getrieben, wie wunderliche Reisebilder vorüber, und der Mond erschien und verschwand in raschem Wechsel. Unten in den Straßen herrschte Totenstille, nur hoch oben in der Luft hauste der Sturm wie ein unsichtbarer Geist.

Es war mir schon recht, und ich freute mich über meinen einsam wiederhallenden Fußtritt, denn ich kam mir unter den vielen Schläfern vor wie der Prinz im Märchen in der bezauberten Stadt, wo eine böse Macht jedes lebende Wesen in Stein verwandelt hatte; oder wie ein einzig Übriggebliebener nach einer allgemeinen Pest oder Sündflut.

Der letzte Vergleich machte mich schaudern, und ich war froh ein einzelnes mattes Lämpchen noch hoch oben über der Stadt auf einem freien Daehkämmerchen brennen zu sehen.

Ich wußte wohl, wer da so hoch in den Lüften regierte, es war ein verunglückter Poet, der nur in der Nacht wachte, weil dann seine Gläubiger schliefen, und die Musen allein nicht zu den letztern gehörten.

Ich konnte mich nicht entbrechen folgende Standrede an ihn zu halten: „O du, der du da oben dich herumtreibst, ich verstehe dich wohl, denn ich war einst deinesgleichen! Aber ich habe diese Beschäftigung aufgegeben gegen ein ehrliches Handwerk, das seinen Mann ernährt, und das für denjenigen, der sie darin aufzufinden weiß, doch keineswegs ganz ohne Poesie ist. Ich bin dir gleichsam wie ein satirischer Stentor in den Weg gestellt, und unterbreche deine Träume von Unsterblichkeit, die du da oben in der Luft träumst, hier unten auf der Erde regelmäßig durch die Erinnerung an die Zeit und Vergänglichkeit. Nachtwächter sind wir zwar beide; schade nur daß dir deine Nachtwachen in dieser kalt prosaischen Zeit nichts einbringen, indeß die meinigen doch immer ein Übriges abwerfen. Als ich noch in der Nacht poesierte, wie du, mußte ich hungern, wie du, und sang tauben Ohren; das letzte tue ich zwar noch jetzt, aber man bezahlt mich dafür. O Freund Poet, wer jetzt leben will, der darf nicht dichten! Ist dir aber das Singen angeboren und kannst du es durchaus nicht unterlassen, nun so werde Nachtwächter, wie ich, das ist noch der einzige solide Posten wo es bezahlt wird, und man dich nicht dabei verhungern läßt. – Gute Nacht, Bruder Poet!“

Ich blickte noch einmal hinauf, und gewahrte seinen Schatten an der Wand, er war in einer tragischen Stellung begriffen, die eine Hand in den Haaren, die andre hielt das Blatt, von dem er wahrscheinlich seine Unsterblichkeit sich vorrezitierte.

Ich stieß ins Horn, rief ihm die Zeit zu und ging meiner Wege. –

Halt! dort wacht ein Kranker – auch in Träumen, wie der Poet, in wahren Fieberträumen!

Der Mann war ein Freigeist von jeher, und er hält sich stark in seiner letzten Stunde, wie Voltaire. Da sehe ich ihn durch den Einschnitt im Fensterladen; er schaut blaß und ruhig in das leere Nichts, wohin er nach einer Stunde einzugehen gedenkt, um den traumlosen Schlaf auf immer zu schlafen. Die Rosen des Lebens sind von seinen Wangen abgefallen, aber sie blühen rund um ihn auf den Gesichtern dreier holder Knaben. Der jüngste droht ihm kindlich unwissend in das blasse starre Antlitz, weil es nicht mehr lächeln will wie sonst. Die andern beiden stehen ernst betrachtend, sie können sich den Tod noch nicht denken in ihrem frischen Leben.

Das junge Weib dagegen mit aufgelöstem Haar und offner schöner Brust blickt verzweifelnd in die schwarze Gruft und wischt nur dann und wann den Schweiß, wie mechanisch, von der kalten Stirn des Sterbenden.

Neben ihm steht, glühend vor Zorn, der Pfaff mit aufgehobenem Kruzifixe, den Freigeist zu bekehren. Seine Rede schwillt mächtig an wie ein Strom, und er malt das Jenseits in kühnen Bildern; aber nicht das schöne Morgenrot des neuen Tages und die aufblühenden Lauben und Engel, sondern (wie ein wilder Höllenbreugel) die Flammen und Abgründe und die ganze schaudervolle Unterwelt des Dante.

Vergebens! der Kranke bleibt stumm und starr, er sieht mit einer fürchterlichen Ruhe ein Blatt nach dem andern abfallen und fühlt, wie sich die kalte Eisrinde des Todes höher und höher zum Herzen hinaufzieht.

Der Nacht wind pfiff mir durch die Haare und schüttelte die morschen Fensterladen wie ein unsichtbarer herannahender Todesgeist. Ich schauderte, der Kranke blickte plötzlich kräftig um sich, als gesundete er rasch durch ein Wunder und fühlte neues höheres Leben. Dieses schnelle leuchtende Auflodern der schon verlöschenden Flamme, der sichere Vorbote des nahen Todes, wirft zugleich ein glänzendes Licht in das vor dem Sterbenden aufgestellte Nachtstück und leuchtet rasch und auf einen Augenblick in die dichterische Frühlingswelt des Glaubens und der Poesie. Sie ist die doppelte Beleuchtung in der Correggionacht, und verschmilzt den irdischen und himmlischen Strahl zu einem wunderbaren Glanze.

Höllenbreugel (Pieter Bruegbel, † 1638): aus der flämischen Malerschule

Der Kranke wies die höhere Hoffnung fest und entschieden zurück und führte dadurch einen großen Moment herbei. Der Pfaff donnerte ihm zornig in die Seele und malte jetzt mit Flammenzügen wie ein Verzweifelnder, und bannte den ganzen Tartarus herauf in die letzte Stunde des Sterbenden. Dieser lächelte nur und schüttelte den Kopf.

Ich war in diesem Augenblicke seiner Fortdauer gewiß; denn nur das endliche Wesen kann den Gedanken der Vernichtung nicht denken, während der unsterbliche Geist nicht vor ihr zittert, der sich, ein freies Wesen, ihr frei opfern kann, wie sich die indischen Weiber kühn in die Flammen stürzen und der Vernichtung weihen.

Ein wilder Wahnsinn schien bei diesem Anblicke den Pfaffen zu ergreifen, und, getreu seinem Charakter, redete er jetzt, indem ihm das Beschreiben zu ohnmächtig erschien, in der Person des Teufels selbst, der ihm am nächsten lag. Er drückte sich wie ein Meister darin aus, echt teufelisch im kühnsten Stile und fern von der schwachen Manier des modernen Teufels.

Dem Kranken wurde es zu arg. Er wendete sich finster weg, und blickte die drei Frühlingsrosen an, die um sein Bette blüheten. Da loderte die ganze heiße Liebe zum letztenmale in seinem Herzen auf, und über das blasse Antlitz flog ein leichtes Rot wie eine Erinnerung. Er ließ sich die Knaben reichen und küßte sie mit Anstrengung, dann legte er das schwere Haupt an die wallende Brust des Weibes, stieß ein leises ach! aus, das mehr Wollust als Schmerz schien, und entschlief liebend im Arm der Liebe.

Der Pfaff, seiner Teufelsrolle getreu, donnerte ihm, der Bemerkung gemäß, daß das Gehör bei Verstorbenen noch eine längere Zeit reizbar bleibt, in die Ohren und versprach ihm in seinem eigenen Namen fest und bündig, daß der Teufel nicht nur seine Seele, sondern auch seinen Leib abfordern würde. Somit stürzte er fort und hinaus auf die Gasse. Ich war verwirrt worden, hielt ihn in der Täuschung wahrhaft für den Teufel und setzte ihm, als er an mir vorüberfahren wollte, die Pike auf die Brust. „Geh zum Teufel!“ sagte er schnaubend, da besann ich mich und sagte: „Verzeiht, Hochwürdiger, ich hielt euch in einer Art Besessenheit für ihn selbst, und setzte euch deshalb die Pike als ein Gott sei bei uns! aufs Herz. Haltet mirs diesmal zu Gute!“

Correggio († 1534): ital. Maler, Meister des Helldunkel Tartarus: Unterwelt Er stürzte fort.

Ach! dort im Zimmer war die Szene lieblicher worden. Das schöne Weib hielt den blassen Geliebten still in ihren Armen wie einen Schlummernden; in schöner Unwissenheit ahnte sie den Tod noch nicht und glaubte, daß ihn der Schlaf zu neuem Leben stärken werde – ein holder Glaube, der im höhern Sinne sie nicht täuschte. Die Kinder knieten ernst am Bette, während die Mutter, ihm schweigend mit den Augen zuwinkend, die Hand auf sein umlocktes Haupt legte. Die Szene war zu schön; ich wandte mich weg, um den Augenblick nicht zu schauen, in dem die Täuschung schwände. Mit gedämpfter Stimme sang ich einen Sterbegesang unter dem Fenster, um in dem noch hörenden Ohre den Feuerruf des Mönchs durch leise Töne zu verdrängen. Den Sterbenden ist die Musik verschwistert, sie ist der erste süße Laut vom fernen Jenseits, und die Muse des Gesanges ist die mystische Schwester, die zum Himmel zeigt. So entschlummerte Jakob Böhme, indem er die ferne Musik vernahm, die niemand, außer dem Sterbenden hörte.

ZWEITE NACHTWACHE

Die Erscheinung des Teufels

Die Stunde rief mich wieder zu meiner nächtlichen Hantierung; da lagen die öden Straßen wie zugedeckt vor mir, und nur dann und wann flog ein Wetterleuchten lustig und rasch durch sie hin, und weit, weit in der Ferne murmelte es drein wie unverständlicher Zauberspruch.

Mein Poet hatte das Licht ausgelöscht, weil der Himmel leuchtete und er dies letztere für wohlfeiler und poetischer zugleich hielt. Er schauete hoch droben in die Blitze hinein, im Fenster liegend, das weiße Nachthemd offen auf der Brust, und das schwarze Haar struppig und unordentlich um den Kopf. Ich erinnerte mich an ähnliche überpoetische Stunden, wo das Innere Sturm ist, der Mund im Donner reden und die Hand statt der Feder den Blitz ergreifen möchte, um damit in feurigen Worten zu schreiben. Da fliegt der Geist von Pole zu Pole, glaubt das ganze Universum zu überflügeln, und wenn er zuletzt zur Sprache kommt – so ist es kindisch Wort, und die Hand zerreißt rasch das Papier.

J. Böhme († 1624): Schuster und schlesischer Mystiker

Ich bannte diesen poetischen Teufel in mir, der am Ende immer nur schadenfroh über meine Schwäche aufzulachen pflegte, gewöhnlich durch das Beschwörungsmittel der Musik. Jetzt pflege ich nur ein paarmal gellend ins Horn zu stoßen, und da gehts auch vorüber.

Überall kann ich allen denen, die sich vor ähnlichen poetischen Überraschungen wie vor einem Fieber scheuen, den Ton meines Nachtwächterhorns als ein echtes antipoeticum empfehlen. Das Mittel ist wohlfeil und von großer Wichtigkeit zugleich, da man in jetziger Zeit mit Plato die Poesie für eine Wut Zu halten pflegt, mit dem einzigen Unterschiede, daß jener diese Wut vom Himmel und nicht aus dem Narrenhause herleitete.

Mag dem indeß sein, wie ihm wolle, so bleibt es doch heutzutage mit der Dichterei überall bedenklich, weil es so wenig Verrückte mehr gibt und ein solcher Überfluß an Vernünftigen vorhanden ist, daß sie aus ihren eigenen Mitteln alle Fächer und sogar die Poesie besetzen können. Ein rein Toller, wie ich, findet unter solchen Umständen kein Unterkommen. Ich gehe deshalb auch nur jetzt bloß noch um die Poesie herum, das heißt, ich bin ein Humorist worden, wozu ich als Nachtwächter die meiste Muße habe. –

Meinen Beruf zum Humoristen müßte ich hier freilich wohl zuvor erst dartun, allein ich lasse mich nicht darauf ein, weil man es überhaupt jetzt mit dem Berufe selbst so genau nicht nimmt, und sich dagegen mit dem Rufe allein begnügt. Gibt es doch auch Dichter ohne Beruf, durch den bloßen Ruf – und somit ziehe ich mich aus dem Handel.

Eben flammte ein Blitz durch die Luft, da schlichen drei an der Kirchhofsmauer hin wie Karnevalslarven. Ich rief sie an, doch wars schon wieder Nacht ringsum, und ich sah nichts, als einen glühenden Schweif und ein paar feurige Augen, und zu dem fernen Donner murmelte eine Stimme in der Nähe, wie zu einer Don-Juans-Begleitung: „Tu was deines Amtes ist, Nachtrabe; aber mische dich nicht ins Geisterwerk!“

Das war mir doch etwas zu arg, und ich warf meine Pike dahin wo die Stimme herkam; eben blitzte es wieder – da waren die drei in Luft zerronnen wie Macbeths Hexen.

„Erkennt ihr mich nicht für einen Geist an“; rief ich noch zornig hinterdrein, in der Hoffnung, daß sie’s vernähmen – „und doch war ich Poet, Bänkelsänger, Marionettendirekteur und alles dergleichen Geistreiches nacheinander. Ich möchte doch Eure Geister gekannt haben im Leben – wenn ihr anders wirklich bereits daraus seid! – ob sich der meinige mit ihnen nicht hätte messen können; oder habt ihr einen Zusatz von Geist erhalten nach eurem Tode, wie wir das Beispiel bei manchen großen Männern erfuhren, die erst nach ihrem Tode berühmt wurden und deren Schriften durch das lange Liegen an Geist gewannen; gleich dem Weine der mit dem zunehmenden Alter geistreicher wird.“ –

Jetzt war ich der Wohnung des exkommunizierten Freigeistes bis auf einige Schritte nahegekommen. Aus der offenen Tür legte sich ein matter Schein in die Nacht hinein und floß oft seltsam mit dem Wetterleuchten zusammen, auch murmelte es vernehmlicher von den fernen Bergen herüber, wie wenn das Geisterreich sich ernstlich ins Spiel zu mischen gedächte.

Auf dem Hausflur war der Tote der üblichen Sitte gemäß offen ausgestellt, um ihn her brannten wenige ungeweihte Kerzen, weil der Pfaff, teuflischen Andenkens, die Weihe verweigert hatte. Der Verstorbene lächelte in seinem festen Schlafe darüber, oder über seinen eignen törichten Wahn, den das Jenseits widerlegt hatte, und sein Lächeln glänzte wie ein ferner Widerschein vom Leben über die starren vom Tode verfestigten Züge.

Durch eine lange, wenig erleuchtete Halle, schaute man in eine schwarz behängte Nische; dort knieten unbeweglich die drei Knaben und die blasse Mutter vor einem Altare – die Gruppe der Niobe mit ihren Kindern – in stummes angstvolles Gebet versunken, um Leib und Seele des Verstorbenen dem Teufel, dem der Pfaff sie zugesprochen, zu entreißen.

Der Bruder des Abgeschiedenen allein, ein Soldat, hielt im festen sichern Glauben an den Himmel und an seinen eigenen Mut, der es mit dem Teufel selbst aufzunehmen wagte, Wache an dem Sarge. Sein Blick war ruhig und erwartend, und er schaute abwechselnd in das starre Antlitz des Toten und in das Wetterleuchten, das oft feindlich durch den matten Schein der Kerzen zuckte; sein Säbel lag gezogen auf der Leiche und glich mit seinem wie ein Kreuz gestalteten Griffe einer geistlichen und weltlichen Waffe zugleich.

Übrigens herrschte Totenstille ringsum, und außer dem fernen Murren des Gewitters und dem Knistern der Kerzen vernahm man nichts.

So bliebs, bis in einzelnen ernsten Schlägen die Glocke Mitternacht ankündigte – da führte plötzlich der Sturmwind hoch oben in den Lüften die Gewitterwolke wie ein nächtliches Schreckbild herüber, und bald hatte sie ihr Grabtuch am ganzen Himmel ausgebreitet. Die Kerzen um den Sarg verlöschten, der Donner brüllte zürnend wie eine aufrührerische Macht herunter und rief die festen Schläfer auf, und die Wolke spie Flamme auf Flamme aus, wodurch das starre blasse Antlitz des Toten allein grell und periodisch beleuchtet wurde.

Ich sah jetzt, daß der Säbel des Soldaten durch die Nacht blitzte, und dieser sich mutig zum Kampfe rüstete.

Es währte auch nicht lange – die Luft warf Blasen auf, und die drei Macbethgeister waren plötzlich wieder sichtbar, wie wenn der Sturmwind sie beim Scheitel herangewirbelt hätte. Der Blitz beleuchtete verzogene Teufelslarven und Schlangenhaar und den ganzen höllischen Apparat.

Mich faßte in dem Augenblicke der Teufel bei einem Haare, und als sie die Gasse herauffuhren, mischte ich mich rasch unter sie. Sie stutzten, wie wenn sie auf bösen Wegen gingen, über den vierten ungebetenen, der zu ihnen stieß. „Nun zum Teufel! Kann der Teufel auch auf guten Wegen gehen?“ rief ich wildlachend aus: „Drum laßt euch nicht irren, daß ich euch auf bösen antreffe. Ich bin eures Gleichen, Brüder, ich mache mit euch Gemeinschaft!“–

Das brachte sie wahrhaftig in Verlegenheit. Der Eine stieß ein „Gott sei bei uns!“ aus und kreuzte sich, was mich Wunder nahm, weshalb ich ausrief: „Bruder Teufel, fall nicht so hart aus dem Charakter, ich möchte sonst beinahe an dir selbst verzweifeln und dich für einen Heiligen halten, zum mindesten für einen Geweihten. – Überlege ichs indeß reiflicher, so muß ich dir wohl eher Glück wünschen, daß du endlich auch das Kreuz verdauet hast und, von Haus aus ein eingefleischter Teufel, dich dem Scheine nach zu einem Heiligen ausbildetest!“

An der Sprache mochten sie es endlich weg haben, daß ich nicht einer ihres Gleichen wäre, und sie fuhren alle drei auf mich ein, und sprachen nun gar in einem echt klerischen Tone von Exkommunizieren u. dgl., wenn ich sie in ihrer Hantierung stören würde.

„Sorgt nicht“, erwiderte ich, „ich habe bisher wahrlich an den Teufel nicht geglaubt, doch seit ich euch gesehen, ist es mir klar worden, und ich bin gewiß, daß ihr zunftfähig seid. Macht eure Sachen ab, denn mit der Hölle und der Kirche kanns kein armer Nachtwächter aufnehmen.“

Dahin fuhren sie, ins Haus hinein. Ich folgte bedenklich nach.

Es war ein furchtbares Schauspiel. Blitz und Nacht wechselten Schlag auf Schlag, Jetzt war es hell und man sah das Handgemenge der drei um den Sarg und das Blitzen des Säbels in der Hand des eisenfesten Kriegsmannes, dazwischen schauete der Tote mit seinem blassen starren Gesichte unbeweglich wie eine Larve. Dann war es wieder tiefe Nacht, und nur fern, im Hintergrunde der Nische ein matter Schimmer und die knieende Mutter mit den drei Kindern rang im verzweifelten Gebet.

Es ging alles still und ohne Worte zu; aber jetzt krachte es auf einmal zusammen, wie wenn der Teufel die Oberhand erhielte. Die Blitze wurden sparsamer und es blieb längere Zeit Nacht. Nach einem Weilchen indeß fuhren zwei rasch zur Tür heraus, und ich sah es durch die Finsternis bei dem Leuchten ihrer Augen ‒ sie trugen wirklich einen Toten mit sich fort.

Da stand ich, in mich hineinfluchend vor der Tür; auf dem Flur war es ganz finster, keine Seele regte sich, und ich glaubte auch dem wackeren Kriegsmann den Hals gebrochen.

In diesem Augenblicke flammte ein heftiger Blitz, mit dem sich die Gewitterwolke völlig entlud, und blieb, gleichsam wie eine aufgepflanzte Fackel, eine Zeitlang in der Luft ohne zu verlöschen. Da sah ich den Soldaten wieder ruhig und kalt am Sarge stehen, und die Leiche lächelte wie zuvor – aber, o Wunder! Dicht neben dem lächelnden Totenantlitze grinsete eine Teufelslarve, und der Rumpf fehlte zum Ganzen, und ein purpurroter Blutstrom färbte das weiße Sterbegewand des schlafenden Freigeistes. –

Schaudernd wickelte ich mich in meinen Mantel, vergaß es, zu blasen und die Stunde abzusingen und floh meiner Hütte zu.

DRITTE NACHTWACHE

Rede des steinernen Crispinus über das Kapitel De adulteriis

Wir Nachtwächter und Poeten kümmern uns um das Treiben der Menschen am Tage in der Tat wenig; denn es gehört zur Zeit zu den ausgemachten Wahrheiten: Die Menschen sind wenn sie handeln höchst alltäglich und man mag ihnen höchstens wenn sie träumen einiges Interesse abgewinnen.

Aus diesem Grunde erfuhr ich denn auch von dem Ausgange jener Begebenheit nur Unzusammenhängendes, das ich ebenso unzusammenhängend mitteilen will.

De adulteriis: Vom Ehebruch

Über den Kopf zerbrach man sich am meisten die Köpfe, war es doch kein gewöhnlicher, sondern ein wahrhaftes Teufelshaupt. Die Justiz, der es vorgelegt wurde, wies die Sache von sich, indem sie äußerte, daß die Köpfe eben nicht in ihr Fach schlügen. Es war in der Tat ein böser Handel und man geriet sogar in Streit darüber, ob man gegen den Soldaten criminaliter verfahren, indem er einen Totschlag begangen, oder vielmehr kanonisieren müsse, weil der Erschlagene der Teufel. Aus dem letzteren entsprang wieder ein neues Übel; es wurde nämlich in mehreren Monaten keine Absolution mehr begehrt, weil man den Teufel jetzt geradezu leugnete und sich auf den in Verwahrung genommenen Kopf berief. Die Pfaffen schrien sich von den Kanzeln heiser und behaupteten ohne weiteres, daß ein Teufel auch ohne Kopf bestehen könne, wovon sie Beweisgründe aus ihren eigenen Mitteln anzuführen erbötig wären.

Aus dem Kopfe selbst konnte man in der Tat nicht ganz klug werden. Die Physiognomie war von Eisen; doch ein Schloß, das sich an der Seite befand, führte fast auf die Vermutung, daß der Teufel noch ein zweites Gesicht unter dem ersten verborgen hätte, welches er vielleicht nur für besondere Festtage aufsparte. Das Schlimmste war, daß zu dem Schlosse, und also auch zu diesem zweiten Gesichte, der Schlüssel fehlte. Wer weiß was sonst für furchtbare Bemerkungen über Teufelsphysiognomien hätten gemacht werden können, dahingegen das erste nur ein bloßes Alltagsgesicht war, das der Teufel auf jedem Holzschnitte führt.

In dieser allgemeinen Verwirrung und bei der Ungewißheit, ob man ein echtes Teufelshaupt vor sich habe, wurde beschlossen, daß der Kopf dem Doktor Gall in Wien zugesandt würde, damit er die untrüglichen satanischen Protuberanzen an ihm aufsuchen möchte; jetzt mischte sich plötzlich die Kirche ins Spiel und erklärte, daß sie bei solchen Entscheidungen als die erste und letzte Instanz anzusehen sei. Sie ließ sich den Schädel ausliefern, und wie es bald darauf hieß, war er verschwunden, und mehrere der geistlichen Herren wollten in der Nachtstunde den Teufel selbst gesehen haben, wie er den ihm fehlenden Kopf wieder mit sich nahm.

Somit blieb die ganze Sache so gut, wie unaufgeklärt, um so mehr, da der einzige, der allenfalls noch einiges Licht hätte geben können, jener Pflaff nämlich, der das Anathema über den Freigeist aussprach, an einem Schlagflusse plötzlich Todes verfahren war. So sagte es wenigstens das Gerücht und die Klosterherren; denn den Leichnam selbst hatte kein Profaner gesehen, weil er, der warmen Jahreszeit wegen, schnell beigesetzt werden mußte.

Frz. Jos. Gall († 1828): Scbädellebre; er glaubte, aus den Auswölbungen (Protuberanzen) am Schädel auf die Veranlagung schließen zu können / Anathema: Bannfluch

Die Geschichte ging mir während meiner Nachtwache sehr im Kopfe herum, denn ich hatte bis jetzt nur an einen poetischen Teufel geglaubt, keineswegs aber an den wirklichen. Was den poetischen anbetrifft, so ist es gewiß sehr schade, daß man ihn jetzt so äußerst vernachlässiget, und statt eines absolut bösen Prinzips lieber die tugendhaften Bösewichter (in Iffland- und Kotzebuescher Manier) vorzieht, in denen der Teufel vermenschlicht und der Mensch verteufelt erscheint. In einem schwankenden Zeitalter scheut man alles Absolute und Selbständige; deshalb mögen wir denn auch weder echten Spaß, noch echten Ernst, weder echte Tugend noch echte Bosheit mehr leiden. Der Zeitcharakter ist zusammengeflickt und gestoppelt wie eine Narrenjacke, und was das Ärgste dabei ist ‒ der Narr, der darin steckt, möchte ernsthaft scheinen. –

Als ich diese Betrachtungen anstellte, hatte ich mich in eine Nische vor einen steinernen Crispinus gestellt, der eben einen solchen grauen Mantel trug, als ich. Da bewegten sich plötzlich eine weibliche und eine männliche Gestalt dicht vor mir und lehnten sich fast an mich, weil sie mich für den Blind- und Taubstummen von Stein hielten.

Der Mann ließ es sich recht angelegen sein im rhetorischen Bombast und sprach in einem Atem von Liebe und Treue; das Frauenbild dagegen zweifelte gläubig und machte viel künstlichen Händeringens. Jetzt berief sich der Mann kecklich auf mich und schwur, er stehe unwandelbar und unbeweglich wie das Standbild. Da wachte der Satyr in mir auf, und als jener die Hand gleichsam zur Beteuerung auf meinen Mantel legte, schüttelte ich mich boshaft ein wenig, worüber beide erstaunten; doch der Liebhaber nahms auf die leichte Achsel, und meinte der Quader unter dem Standbilde habe sich gesenkt, wodurch es das Gleichgewicht in etwas verloren.

Er verschwur jetzt nacheinander in zehn Charaktern aus den neuesten Dramen und Tragödien seine Seele, wenn er jemals treulos; zuletzt redete er gar noch in der Manier des Don Juan, dem er diesen Abend beigewohnt hatte, und schloß mit den bedeutenden Worten: „Dieser Stein soll als furchtbarer Geist erscheinen bei unserm nächtlichen Mahle, meine ichs nicht redlich!“

Iffland(† 1814): Schauspieler / Kotzebue († 1819): Lustspieldichter

Ich merkte mirs und hörte nun noch, wie sie ihm das Haus beschrieb, und eine geheime Feder an der Tür, wodurch er sie öffnen könne, zugleich auch die Mitternachtsstunde zum Gastmahle festsetzte.

Ich war eine halbe Stunde früher auf dem Platze, fand das Haus, die Tür nebst der geheimen Feder, und schlich leise mehrere Hintertreppen hinauf bis zu einem Saale, auf dem es dämmerte. Das Licht fiel durch zwei Glastüren; ich nahete mich der einen, und erblickte ein Wesen in einem Schlafrocke am Arbeitstische, von dem ich anfangs zweifelhaft blieb, ob es ein Mensch oder eine mechanische Figur sei, so sehr war alles Menschliche an ihm verwischt, und nur bloß der Ausdruck von Arbeit geblieben. Das Wesen schrieb, in Aktenstöße vergraben, wie ein lebendig eingescharrter Lappländer. Es kam mir vor, als wollte es das Treiben und Hausen unter der Erde schon im Voraus über ihr