Die Naturgeschichte des Immunsystems - Clemens G. Arvay - E-Book
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Die Naturgeschichte des Immunsystems E-Book

Clemens G. Arvay

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  • Herausgeber: Quadriga
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Von Amöben und Algen über Korallen und urzeitliche Fische bis zu den ersten Wirbeltieren und Primaten: Clemens Arvay zeichnet die faszinierende Evolutionsgeschichte unseres Immunsystems nach. Und er macht dabei deutlich, wie sehr unsere Gesundheit von dem Zustand unserer Lebensräume abhängt. Seine Botschaft: Um langfristig gesund zu bleiben, brauchen wir einen Paradigmenwechsel hin zur Ökoimmunologie. Diese junge Wissenschaft untersucht, welchen Einfluss Umweltfaktoren, Ernährung und Lebensstil auf Krankheiten und deren Verläufe haben. So lernen wir etwa, warum wir in gewissen Lebenssituationen besonders anfällig für Infekte sind, warum Impfungen manchmal besser und manchmal schlechter anschlagen und warum winzige Lebewesen in unserem Darm eine wichtige Rolle für unsere Abwehrfunktionen spielen.

Nur wenn wir die Vergangenheit unseres Immunsystems kennen, verstehen wir, was es braucht, um auch in der Zukunft gesund zu bleiben.

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Seitenzahl: 229

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Inhalt

Cover

Über das Buch

Über den Autor

Titel

Impressum

Prolog

Einleitung

Teil 1: Pioniere des Immunsystems

Kapitel 1: Bakterien gegen Viren – Das Immunsystem der Mikroben

Kapitel 2: Immunfunktionen der Pflanzen – Die Bedeutung der grünen Lebensformen für Virologie und Immunologie

Kapitel 3: Meilensteine des tierischen Immunsystems – Vorboten der menschlichen Abwehrkräfte

Teil 2: Immunität bei Menschen und anderen Wirbeltieren

Kapitel 4: Innovationen bei Wirbeltieren – Von der Immunzelle zu den Antikörpern

Kapitel 5: Das Immunsystem der Säugetiere – Angeborene Hintergrundimmunität und erworbene Immunität

Kapitel 6: Das Prinzip Impfung – Wie wir die Lernfähigkeit des Immunsystems nutzen können

Teil 3: Ökoimmunologie

Kapitel 7: Das Immunsystem in freier Wildbahn – Lernen von Vögeln, Amphibien und Primaten

Kapitel 8: Ökosystem Mensch – Wie Umwelteinflüsse unser Immunsystem schwächen oder stärken

Kapitel 9: Ernährung, Psyche, Immunsystem – Die innere Ökoimmunologie des Menschen

Schlusswort

Danksagung

Anmerkungen

Über das Buch

Unser Immunsystem ist durch die Evolution mit der Umwelt und allen anderen Lebensformen verbunden und trägt die immunologische Entwicklung aller Lebewesen in sich. Wenn wir verstehen wollen, wie wir langfristig gesund bleiben, brauchen wir in der Medizin einen Paradigmenwechsel hin zur Ökoimmunologie. Diese junge Wissenschaft untersucht, welchen Einfluss Temperatur, Jahreszeit, Bodenmikroben, Atemluft und andere Umweltfaktoren auf Krankheiten und deren Verläufe haben. So lernen wir etwa, warum manche Menschen in gewissen Lebenssituationen besonders anfällig für Infekte sind oder warum Umweltfaktoren bei der Entstehung oder Abwehr von Krankheiten eine große Rolle spielen.

Über den Autor

Clemens G. Arvay ist Biologe (EurProBiol-Zertifikat), Autor mit dem Schwerpunkt Gesundheitsökologie und Doktorand am Institut für Biologie der Universität Graz. Mit seinem Bestseller »Der Biophilia-Effekt« hat er das erste deutschsprachige Buch über Waldmedizin verfasst. Er erforscht die Bedeutung kranker und gesunder Ökosysteme für den Menschen und untersucht, wie die Natur bei der Behandlung von Patienten helfen kann. Er ist außerdem im renommierten österreichischen Forum Wissenschaft & Umwelt (FWU) für den Bereich »Biodiversität und Gesundheit« zuständig.

CLEMENS G. ARVAY

Die Naturgeschichte des Immunsystems

Mit Illustrationen von Mira Schmidt

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Originalausgabe

Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln

Umschlaggestaltung: © Christl Glatz | Guter Punkt, MünchenUmschlagmotiv: © Dmytro Synelnychenko/iStock/Getty Images Plus; MorePics/iStock/Getty Images Plus (2); marinavorona/Adobe Stock (2); Val_Iva/iStock/Getty Images Plus; Jeanna Draw/iStock/Getty Images Plus; Pimpay/iStock/Getty Images Plus; Alhontess/iStock/Getty Images Plus; ArtyCool/iStock/Getty Images PluseBook-Erstellung: two-up, Düsseldorf

ISBN 978-3-7517-2403-6

luebbe.delesejury.de

PROLOG

Das Buch der Naturgeschichte

Die großen literarischen Werke der Menschheit – Bibel, Koran oder Charles Darwins gesammelte Standardwerke über die Entstehung der Arten und die Abstammung des Menschen – umfassen jeweils ungefähr eintausend Seiten.

Stellen wir uns vor, die gesamte 4,6 Milliarden Jahre umspannende Naturgeschichte der Erde läge in einem Buch mit diesem Umfang vor uns. Dann fänden wir auf den ersten 240 Seiten nur Schilderungen über einen Planeten ohne Leben, auf dem sich über Äonen hinweg Ozeane, Berge und allmählich aus atmosphärischem Chaos ein stabiles Klima entwickelte.

Blättern wir dieses Buch weiter durch, dann kommen in unserer tausend Seiten umfassenden Erzählung ab Seite 241 die ersten lebendigen Protagonisten ins Spiel. Das waren frühe Bakterien, genannt »Urbakterien« oder »Archebakterien«. Die moderne Biologie nennt sie Archaeen. Mit ihnen begann vor 3,5 Milliarden Jahren auch die Naturgeschichte des Immunsystems, denn sie mussten sich vor schädlichen Umwelteinflüssen zu schützen lernen und dafür Abwehrmechanismen entwickeln.

Die ersten Landpflanzen, repräsentiert durch Moose, werden auf Seite 890 zu einem Teil unserer Erzählung. Kurz danach eröffnet ein urtümlicher Fisch in der Tiefe des Meeres auf Seite 900 das Kapitel der Antikörper und wird als Pionier des adaptiven Immunsystems zu einem epochalen Helden unserer naturgeschichtlichen Erzählung.

Auf Seite 950 erblüht die erste Pflanze, denn die Entwicklung der Blütenpflanzen begann vor ungefähr 200 Millionen Jahren. Die Erzählung über die Abenteuer der Dinosaurier beginnt ebenfalls an dieser Stelle, um auf Seite 985 mit feuerspeienden Vulkanen und einem donnernden Meteoriteneinschlag abrupt wieder zu enden.

Zuvor breitet ein Urvogel auf Seite 967 seine Schwingen aus, um sich in die Lüfte zu erheben, der Katastrophe zu entrinnen und seiner gefiederten Sippe eine Zukunft zu eröffnen. Wäre dieses Getier nicht aus der Asche der Dinosaurier gestiegen, gäbe es heute keine Vögel am Himmel und die B-Zellen unseres Immunsystems wären anders benannt worden. Denn diese wurden zum ersten Mal in Vögeln entdeckt – in einem Organ, das als Bursa bekannt und für die B-Zellen namensgebend ist.

Auf Seite 934 bevölkern Kreaturen unsere Geschichte, die den Säugetieren bereits sehr ähnlich sehen und sich bald unter Dinosaurier mischen. Die ersten echten Säuger, die vor ungefähr 200 Millionen Jahren auf der Erde lebten, betreten etwa 20 Buchseiten später die literarische Bühne. Der älteste durch Fossilfunde gut bekannte Säuger ähnelte den Beuteltieren. Sein Auftritt in unserem Buch mit tausend Seiten findet auf Seite 967 gemeinsam mit dem Flug des Urvogels statt.

Auf Seite 985 streifen die ersten Primaten durch die Urwälder unserer erzählten Welt. Nur zwei Seiten vor dem Ende des Buches, auf Seite 998, bewegen sich schließlich die Menschenaffen, teilweise aufrecht gehend, durch den Dschungel. Im letzten Absatz auf Seite 1000 des Buches blickt uns dann der erste Vertreter unserer eigenen Gattung, ein Angehöriger des Homo erectus, aufrecht in die Augen.

Erst die letzten Zeilen des Buches befassen sich mit der rund 300.000 Jahre alten, in Afrika geborenen Spezies Homo sapiens, die vor 250.000 Jahren den Süden Europas erreichte. Und ganz am Ende werden Sie, verehrte Leserin und verehrter Leser, Teil der Erzählung. Der allerletzte Satz unseres tausendseitigen Werks beschreibt, wie Sie das Buch aufschlagen, das sie gerade in den Händen halten, und mit der Lektüre beginnen.

Wenn auch unser Auftritt in einem solchen Buch der Naturgeschichte erst ganz am Ende dieser Erzählung stattfindet, so hat doch alles, was auf den mehr als 999 Seiten zuvor passiert ist, zu unserer Existenz in der Geschichte geführt. Wir sind nicht nur Kulturwesen, sondern auch Naturwesen. Und alles, was uns als Menschen ausmacht, eben auch unser Immunsystem, ist in die jahrmillionenlange Naturgeschichte unseres Planeten und des irdischen Lebens eingebunden und aus ihr hervorgegangen. Wir sind Teil der Gemeinschaft der Säugetiere, und deshalb ähneln auch unsere Abwehrfunktionen jenen der anderen Säugetiere. Aber wir werden sehen, dass uns auf der biologischen Ebene auch einiges mit Lebewesen wie den Quallen oder Manteltieren verbindet, die im Stammbaum des Lebens weit von uns entfernt eingetragen sind. Willkommen zu unseren Betrachtungen der faszinierenden Naturgeschichte des Immunsystems, die voller Überraschungen steckt.

EINLEITUNG

Eine immunbiologische Spurensuche

Über das Immunsystem wurden bereits viele Bücher geschrieben. Die meisten von ihnen behandeln überwiegend Wie-Fragen, die zum Beispiel so klingen:Wie läuft die Bildung von Antikörpern gegen Viren, Bakterien und andere Pathogene ab? Wie spüren unsere Abwehrkräfte Krankheitserreger oder potenzielle Krebszellen auf und entfernen sie aus dem Körper? Wie kommuniziert unser Immunsystem mit dem Nervensystem? Wie beeinflusst die Psyche unsere Immunfunktionen und umgekehrt? Wie wirken sich die Mikroorganismen des Darms auf unsere Gesundheit aus?

All das sind Fragen, die auf die »einfachen Probleme« der Immunbiologie abzielen. Ich möchte damit nicht behaupten, dass es sich um banale Fragestellungen handelt, die leicht und mühelos zu beantworten seien. Alle diese klassischen Wie-Fragen sowie die Antworten, die man darauf geben kann, sind ohne Zweifel unerlässlich für die wissenschaftliche Erforschung von Krankheit und Gesundheit und erfordern ein fundiertes Fachwissen sowie hoch spezialisierte Forschungsmethoden und Experimente.

»Einfach« sind die Wie-Fragen lediglich im Vergleich zu den großen Warum-Fragen, die sich auf die »schwierigen Probleme« der Immunbiologie beziehen. Das sind jene, die uns zu einem umfassenden und tiefen Verständnis des komplexen Immunsystems führen. Hier eine Kostprobe davon, wie immunbiologische Warum-Fragen gestellt werden können: Warum besitzen wir die Fähigkeit, Antikörper gegen Viren oder Bakterien zu bilden? Warum ist unser Immunsystem in der Lage, Krankheitserreger aufzuspüren und zu eliminieren? Warum kommuniziert unser Immunsystem mit dem Nervensystem? Warum beeinflussen psychische Vorgänge unsere Immunfunktionen und umgekehrt? Warum spielt das Mikrobiom im Darm eine wesentliche Rolle bei der Abwehr von Infektionskrankheiten und der Gesunderhaltung des gesamten Organismus?

Wann immer wir eine Frage stellen, die mit dem Wort »Warum« beginnt, wollen wir den Dingen auf den Grund gehen. In der Biologie bedeutet das, dass wir uns der Evolution zuwenden müssen. Keine immunbiologische Warum-Frage lässt sich beantworten, ohne sich damit zu befassen, wie es im Laufe der Naturgeschichte des Lebens zu bestimmten Notwendigkeiten, Entwicklungen, Anpassungen und dadurch zu bahnbrechenden evolutionären Neuerungen gekommen ist, die sich bis heute gehalten haben und bei unterschiedlichen Familien, Gattungen und Arten von Lebewesen zu finden sind. Um die Warum-Fragen der Immunbiologie zu beleuchten, müssen wir bis in vergangene Erdzeitalter zurückblicken.

In diesem »Warum?« steckt also eine Reihe anderer Fragen der folgenden Art: Wodurch kam es im Laufe der Naturgeschichte zu bestimmten Anpassungen und evolutionären »Erfindungen«, zu Meilensteinen und Durchbrüchen in der Entwicklung der Immunsysteme verschiedener Lebensformen? Wie kam es zum ersten Mal in der Geschichte des Lebens zum Auftreten von Antikörpern? Welche Lebensformen waren die Pioniere dieser Neuerungen, die heute noch im menschlichen Immunsystem verwirklicht sind? Welche Konsequenzen hat die naturgeschichtliche Vergangenheit unserer Abwehrfunktionen für die Beziehung zu unserer Umwelt, den natürlichen Lebensräumen und der gesamten Biodiversität, also zur Arten- und Naturvielfalt, mit der wir durch unsere evolutionäre Vergangenheit biologisch verwoben sind? Diesen komplexen und vielschichtigen, eben »schwierigen Problemen« der Immunbiologie können wir uns nur nähern, indem wir den Dingen naturgeschichtlich auf den Grund gehen.

In den vor Ihnen liegenden Kapiteln dreht sich alles um das große »Warum« des Immunsystems. Eine Naturgeschichte des Immunsystems aber hat sich folglich nicht nur mit dem menschlichen Immunsystem, sondern auch mit jenem in fremdartigen Organismen von den Einzellern über die Pflanzen bis zu den Tieren zu befassen. Aus der Betrachtung der Entwicklungsgeschichte vielfältiger Lebensformen erwächst das tiefere Verständnis unserer eigenen Abwehrkräfte, denn wir befinden uns in einer evolutionären Entwicklungslinie mit anderen Gattungen und Arten.

Diese Abstammung reicht zurück bis zu urzeitlichen Einzellern als Vorfahren aller Lebewesen. Sogar Bakterien, von denen einige im menschlichen Organismus selbst zu Pathogenen werden können, verfügen häufig über ein einfaches Immunsystem. Mikroskopisch kleine Einzeller wie Amöben, die frei im Wasser leben oder Kolonien bilden, schützen sich durch effiziente Abwehrfunktionen vor äußeren Einflüssen. Beispielsweise bilden sie mikroskopisch kleine Netze, mit denen sie Bakterien und Viren abtöten. Dieselbe Strategie setzen unsere Immunzellen, etwa die natürlichen Killerzellen, im Kampf gegen Krankheitserreger ein.

Amöben sind in der Lage, sich die bakteriellen Erreger »einzuverleiben« und zu verdauen, ähnlich wie die Fresszellen der angeborenen Immunsysteme von Menschen und vielen Tieren. Amöben sind also evolutionäre Vorläufer unserer Fresszellen, und doch können sie auch selbst zu Krankheitserregern werden und Menschen sogar den Tod bringen. Sie sind in der Lage, Entzündungen des Gehirns und der Gehirnhäute auszulösen, die sogenannte Amöben-Enzephalitis. Eine Infektion des Magen-Darm-Trakts, genannt Amöben-Ruhr, geht ebenfalls auf diese naturgeschichtlich sehr alten einzelligen Lebensformen zurück.

Dieses Buch befasst sich nicht nur mit der Naturgeschichte des Immunsystems selbst, sondern auch mit dessen evolutionären Wechselbeziehungen zu anderen Organismen – Krankheitserregern, Parasiten oder Symbionten. Die letztgenannte Gruppe, die Symbionten, spielte während der gesamten Naturgeschichte des Immunsystems eine wichtige Rolle. Korallen, Quallen, Süßwasserpolypen und Seeanemonen – sie alle gehören zu den Nesseltieren – beherbergten in ihrem Organismus bereits vor mehr als 500 Millionen Jahren einzellige Algen, die sie zu ihrem gesundheitlichen Nutzen kultivierten. In ihrer Verdauungshöhle, einer naturgeschichtlich gesehen einfachen Frühform unserer Magen-Darm-Organe, siedelten sich Einzeller an und beteiligten sich an der Verdauung und Aufbereitung der Nahrung sowie an grundlegenden Funktionen der Gesunderhaltung. In dieser symbiotischen Tradition des Lebens steht auch unser Mikrobiom im Darm, das für die Funktion unseres Immunsystems eine wichtige Rolle spielt: Mikroorganismen werden hier zu einem funktionellen Teil unserer Abwehrkräfte. Mittlerweile erforscht die Wissenschaft neben Bakterien auch zahlreiche Viren als wichtige evolutionäre Symbionten, die unserem Wohlergehen dienen. In diesem Zusammenhang ist vom »Virobiom« oder »Virom« die Rede. Auch diese evolutionäre Tradition wurde vor Jahrmillionen von scheinbar primitiven Lebensformen begründet.

Der Zusammenhang zwischen Nerven- und Immunsystem ist, außer bei uns Menschen, auch bei vielen anderen Lebensformen zu finden und lässt sich entwicklungsgeschichtlich ebenfalls bis zu den bereits genannten Nesseltieren zurückverfolgen. Diese sind nämlich »Pioniere des Nervensystems«. Sie sind die ältesten mehrzelligen Lebensformen mit einem einfachen Nervennetzwerk. Schon bei diesem uralten Tierstamm beeinflusste das Nervensystem das Immunsystem und umgekehrt. Die biologischen Phänomene, welche die Psychoneuroimmunologie untersucht, also das gegenseitige Wechselspiel des Nervensystems und der Psyche mit dem Immunsystem, nahmen vor über 500 Jahrmillionen mit dem Auftreten der Nesseltiere auf der Weltbühne ihren Anfang.

Nesseltiere sind darüber hinaus auch Pioniere der Hintergrundimmunität. Das ist das angeborene Immunsystem, das auf der Aktivität evolutionär erprobter Abwehrzellen und Immunproteine beruht. Es kommt noch ohne die Bildung von Antikörpern und anderen erworbenen Immunfunktionen aus. Bei uns Menschen und anderen Säugetieren ebenfalls zu finden, blickt diese lebenswichtige Hintergrundimmunität auf eine lange Naturgeschichte zurück, die mehr als 500 Millionen Jahre andauert und nicht nur bei Nesseltieren, sondern quer durch das gesamte Tierreich zu finden ist – sogar bei Insekten. Die Erforschung wichtiger Funktionen der Hintergrundimmunität an Taufliegen und Zebrafischen hat beispielsweise auch zu bahnbrechenden neuen Erkenntnissen in der Humanmedizin geführt. Dazu gehören unter anderem Mechanismen, bei denen Zellen des Immunsystems krank machende Bakterien erkennen und die Erreger anschließend »auffressen«. Dieser Vorgang wird Phagozytose genannt.

Noch grundlegendere Funktionen der Hintergrundimmunität, die auch in uns Menschen am Werk sind, wurden sogar in Pflanzen nachgewiesen. Dazu zählt unter anderem der programmierte Zelltod. Das ist eine Art zellulärer »Reinigungsprozess«, bei dem alternde Zellen, deren Funktion sich verschlechtert und die zu einer potenziellen Krebsgefahr führen, aus eigener Motivation absterben, abgebaut werden und Platz für neue Zellen machen. Auch Viren wurden erstmals in Pflanzen entdeckt. Immunproteine, die Krankheitserreger erkennen und eine Immunreaktion auslösen können, sind bei den pflanzlichen Lebensformen ebenfalls gut erforscht. Das sind alles Vorgänge, die im menschlichen Organismus in vergleichbarer Form wie bei Pflanzen zu den grundlegenden, permanent ablaufenden gesundheitsschützenden Funktionen gehören.

Im Diskurs über Infektionskrankheiten, um ein Beispiel zu nennen, wird die Hintergrundimmunität unseres angeborenen Immunsystems, die schon beim ersten Erregerkontakt einen Schutzwall aufbaut, häufig vernachlässigt. Doch ist diese Hintergrundimmunität bei vielen ansteckenden Krankheiten ausschlaggebend dafür, ob eine Infektion abgewehrt werden kann oder nicht beziehungsweise ob sie einen milden oder schweren Verlauf nimmt. Auch bei der Abwehr von Krebserkrankungen spielt sie eine zentrale Rolle. Indem dieses Buch auf die lange Naturgeschichte der Hintergrundimmunität zurückblickt, wird deutlich, warum unsere Immunfunktionen und unser Gesundheitszustand signifikant von Umweltfaktoren und dem Zustand unserer Lebensräume abhängen – ebenso wie von unserer psychischen und neurologischen Verfassung, unserer Ernährung und vielen anderen Faktoren des Lebensstils.

Doch auch das erworbene oder adaptive Immunsystem mit seinen Antikörpern und den T-Zellen, die über ein immunbiologisches Gedächtnis verfügen, blickt auf eine beachtliche Entwicklungsgeschichte zurück. Es war vermutlich ein urzeitlicher Fisch mit mächtigen Kiefern, der die Tradition des erworbenen Immunsystems vor etwa 450 Millionen Jahren einläutete. Bis heute verfügen Lebensformen, deren Entwicklungslinien sich auf dieses Wesen zurückverfolgen lassen, über die Fähigkeit, spezifische Antikörper gegen Erreger zur bilden, wenn es zu einem Kontakt mit diesen kommt. Das heißt, alle Wirbeltiere mit Ausnahme der Schleimaale und Neunaugen verfügen über ein erworbenes Immunsystem und sind in der Lage, bei Kontakt zu Krankheitserregern Antikörper zu bilden. Die »Erfindung« des angeborenen Immunsystems wird als »Big Bang der Immunologie« bezeichnet. Doch man sollte nicht den Fehler machen zu glauben, dass die Abwehrsysteme von Lebensformen, die gänzlich auf die angeborene Hintergrundimmunität angewiesen sind und keine Antikörper bilden können, nicht ebenfalls lernfähig seien. Sogar Bakterien verfügen über eine einfache Anpassungsfähigkeit des Immunsystems, die als frühe Form oder Vorläufer einer erworbenen Immunantwort betrachtet werden kann, wenn auch ohne Bildung von Antikörpern.

Nicht nur die Entwicklungsgeschichte der Abwehrfunktionen, sondern auch das »Immunsystem in freier Wildbahn« ist Gegenstand dieses Buches. Dabei werde ich das menschliche Immunsystem ebenso wie das von Tieren und Pflanzen als Funktion eines Naturwesens beleuchten, das in einer evolutionären Beziehung mit seinen natürlichen Lebensräumen steht. Die feuchte Haut der Amphibien, die zahlreiche mikrobielle Symbionten beherbergt, wird uns dabei als eines der interessantesten immunbiologischen Modelle für den Zusammenhang zwischen Umwelt und Abwehrfunktionen dienen. Diese Grenzgänger zwischen Wasser und Land lehren uns, dass auch wir, so wie jede Lebensform, zusammen mit unseren Symbionten und unserem Mikrobiom selbst Ökosysteme in einem komplexen ökologischen Gefüge darstellen.

Auf der Suche nach Antworten auf die großen Warum-Fragen der Immunbiologie wird deutlich, dass die Entwicklung des Immunsystems über Hunderte Millionen Jahre hinweg mit Anpassungen an Umweltbedingungen verbunden war. Im Grunde ist das Immunsystem ein komplexes Unterscheidungssystem zwischen »Freund« und »Feind«, das in der Lage ist, »Freunde« willkommen zu heißen, wie man anhand der wichtigen mikrobiellen Besiedelung des gesunden menschlichen Organismus demonstrieren kann, und »Feinde« zu bekämpfen, wobei beispielsweise auch viele Umweltschadstoffe als Feinde erkannt und attackiert werden.

Umgekehrt unterstützen Substanzen, Reize und mikrobielle Symbionten aus intakten Ökosystemen unsere Immunfunktionen. Dazu werde ich zahlreiche wissenschaftlich gut erforschte Beispiele anführen: An Wasserfällen und Meeresküsten finden sich Elektroaerosole in der Atemluft. Das sind Luftteilchen, die sich durch die Reibung des Wassers beim Herabstürzen oder an der Brandung elektrisch negativ aufladen und dann mit Feuchtigkeitspartikeln verbinden. Diese besonderen Aerosole unterstützen die Funktion unserer Flimmerhärchen sowie die Hintergrundimmunität direkt an den Schleimhäuten der Atemwege, wo vor allem Atemwegserreger eindringen.

Mikroben aus dem Erdboden trainieren unser Immunsystem und verbessern die Zusammensetzung des Mikrobioms, das unseren Organismus besiedelt, sodass wir gegenüber Infektionen weniger anfällig werden. Sekundäre Pflanzenstoffe aus Wäldern und anderen Gehölzbeständen fördern nachweislich unser zelluläres Immunsystem, also ebenfalls unsere Hintergrundimmunität, die unter anderem gegen Erreger und potenzielle Krebszellen anrückt. Diese Zusammenhänge zwischen Umwelteinflüssen und Immunsystem erforscht die Ökoimmunologie – mein eigenes Spezialgebiet, dem ich mich als Doktorand am Institut für Biologie der Universität Graz im Fachbereich Ökologie und Evolutionsbiologie widme.

Doch beginnen wir mit dem ersten Schritt. Ich lade Sie auf eine Reise weit zurück in die Naturgeschichte des Lebens ein, um die Entwicklung des Immunsystems nachzuzeichnen und dadurch auch unsere eigenen, hoch komplexen Abwehrkräfte zu analysieren. Mit der Lektüre dieses Buches begeben Sie sich auf die Suche nach Antworten auf die großen Warum-Fragen rund um unser Immunsystem, um einer Lösung der »schwierigen Probleme« der Immunbiologie auf allgemeinverständliche Weise näherzukommen und auch ihre eigenen Abwehrkräfte besser zu verstehen und mit dem neu gewonnenen Wissen effizient unterstützen zu können.

TEIL 1

Pioniere des Immunsystems

KAPITEL 1

Bakterien gegen Viren – Das Immunsystem der Mikroben

Wenn wir an das Immunsystem denken, dann kommt den meisten von uns ein Abwehrsystem gegen Krankheitserreger wie beispielsweise Bakterien, Viren oder Pilze in den Sinn. Doch diese Mikroben verfügen selbst über eigene Immunfunktionen, denn auch sie sind nicht davor gefeit, durch einen Krankheitserreger oder Parasiten Schaden zu nehmen oder getötet zu werden. Begeben wir uns auf eine Reise in den Mikrokosmos, in dem »Bakterienfresser« Jagd auf Bakterien machen und Letztere sich mit allen Mitteln gegen diese Attacken wehren. Diese erbitterten Kämpfe der Mikroben finden in Gewässern, im Boden, auf Pflanzen, in Tieren und sogar in unserem eigenen Darm statt. Blicken wir außerdem in eine Welt kriechender Immunsysteme, die sich über den Waldboden, über vermoderndes Holz oder durch das Wasser bewegen. Dieses Kapitel dreht sich um die ältesten und archaischsten Formen der Immunität, ohne die es auch uns und unser Immunsystem nicht gäbe. Viele evolutionär alte Organismen, denen wir auf den folgenden Seiten begegnen, werden auch in unseren späteren Betrachtungen des menschlichen Immunsystems eine Rolle spielen. Bakterien etwa sind nicht nur Krankheitserreger, sondern auch Teil unserer eigenen Abwehrkräfte, beispielsweise wenn sie aus dem Mikrobiom des Darms ausrücken, um unsere Immunzellen sogar bei der Abwehr von Lungeninfektionen zu unterstützen.

Urbakterien, Blaugrünbakterien und »moderne« Bakterien

Schon die archaischen Cyanobakterien, die zu den ältesten Lebensformen der Erde gehören, dürften zu einfachen Abwehrstrategien gegen schädigende Einflüsse von außen fähig gewesen sein. Sie tauchten in ihrer frühesten Form gemäß Fossilfunden vor etwa 3,5 Milliarden Jahren im Paläoarchaikum auf. Als sogenannte »Blaugrünbakterien«, früher auch »Blaualgen« genannt, besiedeln sie noch heute die Gewässer und den Erdboden unseres Planeten. Im Zeitraum von vor 2,2 bis 2,7 Milliarden Jahren spielten Cyanobakterien durch die massenhafte Bildung von Sauerstoff eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung einer stabilen und lebensfreundlichen Erdatmosphäre. Diese Einzeller beherrschen eine Form der Photosynthese, bei der sie ein größeres Spektrum des Sonnenlichts nutzen als die meisten grünen Pflanzen. Wie die Pflanzen sind auch Cyanobakterien dazu in der Lage, Sauerstoff zu produzieren. Sie stellen die Vorfahren späterer Bakterien dar, von denen die meisten keine Photosynthese mehr betreiben.

Die Cyanobakterien selbst sind niemals Auslöser von Infektionskrankheiten, wenngleich sie Gifte produzieren, die menschliche oder tierische Organe schädigen können – beispielsweise bei der Aufnahme von Wasser, das durch Ausscheidungen von Cyanobakterien belastet wurde. Diese sogenannten Cyanotoxine können Menschen oder Tieren aber nur dann zur Gefahr werden, wenn ihre Konzentration in ökologisch gestörten Gewässern stark zunimmt. Das ist zum Beispiel bei der Gewässerbelastung durch zu viel Düngemittel aus der Agrarindustrie und nach Einleitung von verschmutztem Industrie- und Abwasser der Fall, wenn ein Überschuss an Stickstoff die mikrobielle Lebenswelt des Gewässers durcheinander und zum »Kippen« bringt, sodass die Population der Cyanobakterien und Algen überhandnimmt. Dieser Vorgang wird auch als »Algenblüte« bezeichnet. Der Stickstoffüberschuss führt dazu, dass wenige, besonders konkurrenzstarke Arten plötzlich die anderen Spezies, mit denen sie zuvor in einem stabilen Gleichgewicht standen, verdrängen, überwachsen und vernichten. Im Resultat wird dabei auch ihr eigener Lebensraum zerstört. Die reinigenden Funktionen der vielfältigen Mikroorganismen fallen weg. Das Ökosystem bleibt vergiftet und »tot« zurück. Nur unter den Bedingungen der ökologischen Degradierung, wenn Cyanobakterien überhandnehmen und ihr Lebensraum »kippt«, werden sie durch ihre Toxine also für uns zur Gefahr. Ansonsten leben Cyanobakterien als Teil des Mikrobioms sogar im menschlichen Darm.1

Sowohl Cyanobakterien als auch »moderne« Bakterien verfügen über eine DNA, aber über keinen Zellkern. Die DNA (Desoxyribonukleinsäure, Träger des genetischen Codes) befindet sich bei ihnen frei im Inneren der Bakterienzelle. Daher werden sie Prokaryoten genannt, abgeleitet aus den altgriechischen Wörtern pro für »vor« und karyon für »Kern«. In anderen Worten: Sie entstammen, naturgeschichtlich betrachtet, einer Ära des Lebens, in der es auf der Erde noch keine Zellkerne in Lebewesen gab. Daneben zählen zu dieser Gruppe noch die Archaeen, die Biologinnen und Biologen früher als »Urbakterien« oder »Archebakterien« bezeichneten. Sie werden als vollkommen eigenständige Domäne der Lebensformen betrachtet und nicht zu den üblichen Bakterien gerechnet. Nach dem heutigen Wissensstand sind sie weder mit Cyanobakterien noch mit modernen Bakterien verwandt, wenngleich ihr naturgeschichtliches Alter jenem der Cyanobakterien mit 3,5 Milliarden Jahren annähernd gleichen dürfte.

Archaeen bewohnen vor allem extreme Lebensräume wie zum Beispiel Geysire und vulkanische Gebiete mit hoher Temperatur, extrem salzhaltige Gewässer wie das Tote Meer oder sehr saure Habitate wie vulkanische Erden oder saure Moore. Bisher ist unter diesen Überlebenden der Urzeit kein einziger Krankheitserreger entdeckt worden, der Menschen oder Tieren gefährlich werden könnte. Ihre Bedeutung ist vorwiegend von ökologischem Interesse – und damit meine ich nicht nur ihre Besiedelung von Extremstandorten auf der Erde.

Jüngeren biologischen Erkenntnissen zufolge kommt den Archaeen auch eine wichtige Bedeutung als Symbionten im »Ökosystem Mensch« zu. Durch ihre Fähigkeit, extreme Lebensräume zu besiedeln, sind sie dazu prädestiniert, im sauerstoffarmen menschlichen Darm zu leben. Und dort wurden sie auch bereits nachgewiesen. Sie unterstützen unsere Darmbakterien bei ihrer Stoffwechselaktivität und bauen außerdem deren Giftstoffe ab, die bei der bakteriellen Tätigkeit sozusagen als »Nebenprodukte« auftreten.2 Beispielsweise eliminieren sie Trimethylamin aus unserem Darm und Organismus. Diese Substanz entsteht durch die Aktivität unserer bakteriellen Symbionten insbesondere nach dem Konsum tierischer Produkte. Der bakterielle Giftstoff vermag das Risiko zu steigern, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Arteriosklerose, einen Herzinfarkt oder Schlaganfälle zu entwickeln.

Archaeen übernehmen also bedeutsame gesundheitsfördernde Dienste in unserem Darmmikrobiom, sofern dieses in seiner mikrobiellen Zusammensetzung intakt und gut ausbalanciert ist. Ihren Anteil an unserem körpereigenen Mikrobiom nennt man auch Archaeom. Wir leben also in Symbiose mit Überlebenden aus der Urzeit, deren Verwandte in Geysiren, am Rand von Vulkanen oder im Toten Meer anzutreffen sind.

Moderne Bakterien finden wir heute in Böden und Gewässern, auf und in Pflanzen, Tieren und Menschen sowie in allen Ökosystemen und Lebensräumen. Viele erfüllen wichtige ökologische Funktionen für den Naturhaushalt, fungieren so wie unsere Darm- und Hautbakterien als Symbionten oder stellen als Krankheitserreger eine potenzielle Gefahr für andere Lebensformen dar. Die älteste noch lebende Bakterienzelle, die Wissenschaftler je gefunden haben, ist bereits 250 Millionen Jahre alt. Dieser Methusalem aus dem Mikrokosmos verbrachte die Zeit seit dem frühen Mesozoikum in einem Salzkristall, das ihn in über 600 Metern unter der Erdoberfläche vor schädigenden Umwelteinflüssen und Pathogenen schützte und ihm ein ungewöhnlich langes, individuelles Leben ermöglichte.3 Jedoch haben selbst Bakterien, die kleinsten Lebewesen der Erde, grundsätzlich auch noch andere Möglichkeiten, sich vor Gefahren aus der Umwelt zu schützen, und sind nicht auf Salzkristalle oder andere Verstecke angewiesen.

Bakterienfresser

Bakterien können Opfer eines Virenbefalls werden. Es sind skurrile Formen, die diese sogenannten Bakteriophagen, übersetzt als »Bakterienfresser«, aufweisen. Ihr Kopf, das sogenannte Kapsid, enthält die Erbinformation des Virus und sieht aus wie eine Raumfahrtkapsel. Er sitzt auf einer scheibenförmigen Struktur, dem sogenannten Kragen, an dem sich ein Schwanz befindet, der sich, ähnlich wie eine Ziehharmonika, zusammenziehen und ausdehnen kann. Am Ende des Schwanzes ist eine weitere Scheibe angebracht, die sogenannte Basalplatte mit nach unten gerichteten »Spikes«, also Stachelproteinen. Von den Außenrändern dieser Scheibe hängen Fasern, die Spinnenbeinen gleichen. Wenn man die Illustration eines Bakteriophagen betrachtet, wird regelrecht spürbar, dass Viren keine Lebewesen sind.

Bakteriophagen, kurz auch »Phagen« genannt, gleichen »DNA-Robotern« oder »DNA-Sonden«. Sie bestehen aus nichts weiter als der genetischen Information für ihren Bauplan in Form der DNA, umgeben von einer einfachen Kapsel oder Hülle. Zudem verfügen sie über technische Werkzeuge, um diese DNA in die Zelle eines Wirtsorganismus – im Falle der Bakteriophagen sind das Bakterien – zu injizieren, sodass in der Wirtszelle auf der Basis des viralen Bauplans ihre eigene Vervielfältigung stattfindet. Sie sind wie Computerhacker, die genetische Abläufe in anderen Lebewesen umprogrammieren, um dort unzählige Kopien von sich selbst und dadurch weitere virale DNA-Roboter anfertigen zu lassen. Deswegen benötigen sie keinen eigenen Stoffwechsel. Sie müssen keine Nahrung aufnehmen und verdauen, keine Stoffwechselprodukte ausscheiden und sich nicht aus eigener Kraft vermehren. Im Gegensatz zu Bakterien wären sie auch gar nicht dazu fähig, sich zu teilen oder mit anderen Viren zu verschmelzen, um sich auf diese Weise fortzupflanzen. Sowohl die Fähigkeit zur Fortpflanzung als auch ein Stoffwechsel sind nach der biologischen Definition aber Voraussetzungen, um eine Struktur oder Zelle als Lebewesen zu betrachten. Manche Biologinnen oder Biologen bezeichnen Viren allerdings als »dem Leben nahestehend«.

Viren sind also nichts weiter als Kapseln, die ihre Baupläne in andere Organismen bringen wie in eine Kopiermaschine. Gerade die skurril aussehenden Bakteriophagen, die mikroskopisch kleinen Robotern mit Spinnenbeinen ähneln, verdeutlichen diesen Unterschied zu anderen Lebewesen optisch anschaulich. Bei einigen Viren liegt der genetische Bauplan nicht in der DNA, sondern ausschließlich in der RNA (Ribonukleinsäure) vor. Auch unter den Bakteriophagen existieren Vertreter, die zu diesen RNA-Viren gehören.

Die meisten Bakterien sind etwa 2000 bis 6000 Nanometer lang, das entspricht 0,002 bis 0,006 Millimetern. Demgegenüber erreichen Bakteriophagen, so wie auch andere Viren, nur Größen zwischen 30 und 200 Nanometern. Das entspricht 0,00003 bis 0,0002 Millimetern. Im Mikrokosmos sind Bakterien gegenüber Bakteriophagen daher regelrechte »Riesen«, denn sie sind 30- bis 70-mal größer. An der Zelloberfläche der Bakterien befinden sich, ähnlich wie bei Viren, Proteine. An diesen docken die Bakteriophagen bei der Infektion eines Bakteriums mit den Enden ihrer Schwanzfasern an. Der Schwanz eines Bakteriophagen kann sich zusammenziehen, sodass sich die Kapsel mit dem Erbgut dem Bakterium annähert. Dabei wird die DNA beziehungsweise RNA mithilfe der Stachelproteine in das befallene Bakterium injiziert: Der Geist verlässt die »Flasche«. Funktionslos bleibt die gesamte Hülle des Bakteriophagen mit allen seinen Werkzeugen außen zurück und fällt in sich zusammen.