Die Nereide - Kathi Maihaus - E-Book

Die Nereide E-Book

Kathi Maihaus

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Beschreibung

Band 1: Ein Werwolf und eine Nymphe dürfen keine Beziehung miteinander haben. Daher sollte ich als Prinzessin auf den Rat meiner Familie hören und mich von dem Alpha der Werwölfe fern halten. Aber wie könnte ich das? Er ist stark, sexy und mein perfektes Gegenstück. Außerdem hat er, entgegen allen meinen Erwartungen, mein Herz im Sturm erobert. Aber bin ich wirklich dazu bereit, alles für ihn aufzugeben? Sie besitzt alles, was man sich nur wünschen kann. Gutes Aussehen, Reichtum, Macht und die schönsten High Heels weit und breit. Dazu entstammt sie der königlichen Familie der Nereide, ein Meervolk mit magischen Fähigkeiten, die selbstverständlich die natürliche Perfektion aller Lebewesen darstellen. Ihr Leben wäre also einfach wundervoll, wenn nicht diese fiesen Kleinigkeiten, wie der hohe Erwartungsdruck, enge Traditionen, heikle Intrigen, grausamer Verrat und ewige Heiratsanträge, das Leben am Hof der Nereide bestimmen würden. Und als wären die nervigen Annäherungsversuche der machthungrigen Meermänner nicht genug, taucht auf einmal dieser Werwolf vor ihr auf und will sie küssen. Dieses Buch enthält Szenen, die der gewaltbereiten Natur der Werwölfe geschuldet sind, und höchst erotische Beschreibungen zwischen den Hauptfiguren. Tipp: Jedes Buch dieser Serie kann für sich allein gelesen werden, allerdings empfiehlt es sich die Gesamtstory ab Band 1 zu verfolgen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 478

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Kathi Maihaus

Die Nereide

Über die Autorin:

Kathi Maihaus entdeckte bereits in ihrer Kindheit den Reiz der Poesie und des geschriebenen Wortes. Aber erst nach ihrem Studium, nach dem Büroalltag in unterschiedlichen Unternehmen und nach der Geburt ihres ersten Kindes wagte sie es, ihr Hobby zum Beruf zu machen und ihre schriftstellerische Seite auszuleben.

Mit ihrem Mann und ihren Kindern lebt sie heute in Süddeutschland, umgeben von viel Natur, die sie zum Träumen anregt.

Inhaltsverzeichnis

Der Club

Die Familie

Der König

Das Fest der Nymphen

Die Begegnung

Das Versprechen

Die Entscheidung

Die Rache

Das Licht

Danksagung

Nachwort der Autorin

Der Club

Die Frau hinter der Bar ließ die Cocktailkirsche in das kleine Schnapsglas fallen, dann goss sie im gleichen Atemzug den klaren Anislikör darüber, bis dieser die kleine Frucht vollkommen bedeckte. Danach öffneten ihre Finger geschickt den Verschluss der zweiten Flasche. Dabei wurden ihre Bewegungen beinahe liebevoll. Ganz vorsichtig schüttete sie den cremigen Sahnelikör in das durchsichtige Schnapsglas, wodurch zwei köstliche Schichten entstanden, die so furchtbar gut zusammenpassten.

Langsam leckte ich mir über die Lippen und verfolgte ihre stille Anmut mit meinen Augen. Schließlich reichte sie mir den Alkohol mit einem breiten Lächeln und ich erkannte, dass ihre langen roten Fingernägel die gleiche Farbe hatten wie die Kirsche im Glas.

„Ihr Orgasmus, Lady.“

„Danke schön“, flötete ich fröhlich und nahm das Schnapsglas entgegen.

Andächtig hob ich es an meine Lippen und konnte den süßen Feuerkuss schon fast auf meiner Zunge schmecken, als mich eine vertraute Frauenstimme rüde unterbrach.

„Bist du sicher, dass du den trinken willst?“

Aurelia saß ganz dicht neben mir und hatte gar keinen Grund, die große Schwester raushängen zu lassen. Immerhin hatte sie in den letzten Stunden genauso viele Drinks gehabt wie ich.

„Mach dir mal keine Sorgen um mich.“

„Um dich? Würde mir im Leben nicht einfallen, du armes, kleines, abstoßendes Prinzesschen.“

„Wie bitte?“

Durch den Club hämmerte laute Musik, die es eigentlich unmöglich machte, ein vernünftiges Gespräch zu führen. Und vielleicht hatte ich meine Schwester ja dadurch falsch verstanden, aber nein, nach ihrem verkniffenen Gesichtsausdruck zu schätzen, hatte ich mich nicht verhört.

„Wir waren uns doch gerade darüber einig, wie traurig dein Leben ist“, meinte Aurelia kopfschüttelnd und hielt mir einen tadelnden Finger unter die Nase. „Du bist zu groß, zu blond und jeder anständige Typ hat Angst vor deiner gesellschaftlichen Stellung und unserem rachsüchtigen Vater.“

„Das stimmt. Mein Leben ist furchtbar.“

Aurelia seufzte übertrieben und spitzte ihren hübschen roten Mund.

„Ich weiß, die teuren Autos, die ewigen Partys und das viele Geld sind auf Dauer wirklich schwer zu ertragen.“

„Du brauchst nicht gleich sarkastisch zu werden“, erwiderte ich getroffen. „Es sind doch nicht die Umstände oder die Verpflichtungen, die mich fertigmachen.“

„Sondern …“

Ich schaute auf das kleine Glas in meiner Hand und senkte meine Stimme.

„Es ist der ständige Druck, perfekt sein zu müssen, der mich kaputtmacht“, hauchte ich leise.

„Was?“

Meine Schwester hatte mich zum Glück nicht verstanden.

Wie traurig war das denn? Nicht einmal gegenüber meiner eigenen Schwester konnte ich meine Gefühle laut aussprechen.

„Sogar meine Haarspitzen sind echt trocken und empfindlich geworden“, rief ich in ihre Richtung.

Aurelia warf mir einen skeptischen Blick zu und hob ihre Hand, um mein Geplapper aufzuhalten.

„Ist das dein Ernst? Das Thema hatten wir doch schon. Wir halten fest: Du denkst, dein Leben sei oberflächlich und öde. Du möchtest am liebsten alles hinschmeißen und seit einer Stunde meckerst du über jede Stelle an deinem Körper.“

„Bis auf meine grünen Augen und meinen Busen, die mag ich.“

Aurelia rollte genervt mit ihren Augen.

„Ok, bis auf deine grasgrünen Glubscher und deine wohlgeformten Möpse ist einfach alles doof. Und trotzdem willst du dieses Stück Himmel einfach in deine trostlose Gestalt kippen? Schäm dich!“

Ihr Blick glitt zu meinem Drink und wurde gierig.

Ach, darum ging es ihr.

„Ha, du bekommst ihn nicht“, stellte ich klar und streckte mich, um sie von oben herab anzuschauen, was meine Schwester nicht im Mindesten beeindrucken konnte.

„Dann bist du also nicht nur superoberhässlich, sondern auch noch ein supergeiziges Prinzesschen dazu, was?“

„Das sagt ja die Richtige“, grinste ich breit und fing leise an zu kichern.

Aber Aurelia hatte recht. Nein, ich betrachtete mich selbst nicht als geizig, aber ich war tatsächlich eine Prinzessin.

Doch, ehrlich!

Prinzessin Tanilomirasusa Neptoss, erste meines Namens, Meernymphe des Mittelmeers, verbunden mit den ewigen Fluten, Hüterin des Rings der Nymphen und die Tochter des rechtmäßigen Königs allen Wassers Baltaurinus Neptoss der Dritte.

Und genauso schrecklich, wie es klang, war es auch!

Das Meervolk war im Allgemeinen ein überhebliches und arrogantes Völkchen, das lieber unter sich blieb. Sich mit Menschen einzulassen, galt als echte Erniedrigung, weil diese in unseren Augen als primitive Schlächter galten, die es wagten, auf unserer heiligen Natur herumzutrampeln. Wie abscheulich!

Das Meervolk hingegen betrachtete sich selbst als natürliche Perfektion, die in verschiedenen wundervollen Königreichen die ganze Welt einnahm. Ich war eine Nereide. Eine Nymphe des Mittelmeers, die magisch damit verbunden war.

Nein, ich hatte mich noch nie in ein Wesen halb Mensch halb Fisch verwandelt und auch keiner meiner Verwandten hatte das je getan. Wir bezogen lediglich eine Art Urkraft aus dem Wasser, die es uns ermöglichte, ein wenig zu zaubern und uns vor der Welt der Menschen verborgen zu halten. Um es deutlicher zu sagen: Sollte das Mittelmeer irgendwann verschwinden, würde unsere Magie versiegen, und meine Familie würde sich höchstwahrscheinlich einfach mit dem Wasser auflösen.

Diese Art der natürlichen Verbindung war nichts Ungewöhnliches für das Meervolk, alle Meermenschen hatten Magie im Blut und bezogen jeder auf seine Weise diese Kraft aus ihrer Umwelt. Die einen mehr, die anderen weniger. Und deswegen heirateten die Meermenschen auch nur untereinander, weil niemand seinen Nachkommen die Schmach antun wollte, ohne Magie leben zu müssen. Über die Jahrhunderte wurde es schließlich irgendwann zu einem unumstößlichen Gesetz, dass das einzigartige reine Blut der Nereide nicht beschmutzt werden durfte. Es galt als oberstes Gebot, die Magie zu bewahren, denn nur die Wenigsten unter uns waren so stark, dass sie ihre Magie auch außerhalb ihres Körpers verwenden konnten.

Leider war ich eine von diesen Wenigen und war somit doppelt privilegiert, aufgrund meiner Position als Prinzessin und der Macht in meinem Blut.

Und damit war mein trauriges Leben auch doppelt so anstrengend.

Es war mehr als selten, dass die Höhergestellten oder der Adel (und dazu gehörten meine Halbschwester und ich) sich außerhalb der magischen Barrieren bewegten. Es bestand einfach keine Notwendigkeit dazu. Am königlichen Hof gab es alles, was das Herz begehrte und die strenge Etikette verhinderte sowieso einen Kontakt nach außen, weil das Meervolk sich nur um seine eigenen Belange kümmerte. Man könnte auch sagen, es schmorte in seinem eigenen Saft und betrachtete selbstgefällig alle anderen als unwürdig. Wir waren der Gipfel der Welt und mit diesem Wissen bin ich erzogen worden.

Und trotzdem war ich mit meiner älteren Halbschwester mitten in Berlin in einen Club voller grässlicher Menschen geflohen. Genau eine Nacht vor Silvester, dem Höhepunkt auf dem nymphischen Kalender.

Warum?

Weil mein Leben pompös, magisch und einfach furchtbar kompliziert war. Ich wollte mein königliches Leben nur für eine klitzekleine Weile vergessen und Aurelia ging es wohl ganz ähnlich.

Also winkte ich der Barfrau noch einmal lächelnd zu und hielt mein Glas ein wenig höher.

„Noch einen Orgasmus für meine Schwester, bitte.“

Dann hörte ich die ersten Klänge eines neuen Liedes und stürzte mein süßes Getränk in einem Zug herunter.

„Oh ja, das ist mein Song“, japste ich außer Atem, weil meine Kehle noch so herrlich brannte.

„Äh… nein, ohne mich. Geh und lass dich allein begrabschen“, meinte Aurelia.

„Spaßbremse.“

„Partymonster.“

Ich hatte wirklich keine andere Wahl, als meine Schwester sich selbst zu überlassen. Der fette Beat ging direkt in meine Beine und zog mich unwiderstehlich vom Stuhl. Also tänzelte ich auf meinen teuren High Heels davon und bahnte mir den Weg vom VIP-Bereich nach unten zur großen Tanzfläche, der lauten Musik und der aufgeputschten Menge entgegen.

Der Bass durchdrang mich bis auf die Knochen und pulsierte in mir wider. Meine Lungen sogen gierig die nebelige Luft ein, während mein Herzschlag, mein Atem und mein ganzes Sein im Takt der Musik dahinflossen. Ich war im Zentrum der zuckenden Menschenmasse und des flackernden Laserlichts. Weit weg vom langweiligen VIP-Bereich und meiner Schwester. Hier pulsierte das Leben. Hier konnte ich das Glück beinahe auf meiner Zunge schmecken. Ich leckte über meine roten Lippen und hob die Arme, um die flirrende Luft zu berühren. Mein Körper bewegte sich genau auf die richtige Weise. Vielleicht ließ ich meine Hüften ein wenig zu lasziv kreisen, aber wen störte das hier? Die Menschen um mich herum waren genauso tief versunken in ihrem Tanz wie ich. Fremde Gesichter wurden für ein Lied zu Bekannten, die sich gemeinsam zum fordernden Beat bewegten. Die ausgelassene Stimmung traf einfach jeden und zum ersten Mal, nach einer sehr langen Zeit, fühlte ich mich wieder leicht wie eine Feder und tanzte auch wie eine.

Mit dem hämmernden Bass verlagerte ich mein Gewicht immer wieder von einem auf das andere Bein. Ich bewegte die Schultern, atmete tief ein, hob meinen Brustkorb und schickte eine Welle durch meinen Körper, von oben bis zu meinen nackten Beinen. Ich spürte meine warmen Muskeln und meine klebrige Haut, aber ich wollte immer noch mehr. Mehr Tanzen. Mehr Ekstase. Und mehr von dem berauschenden Gefühl, frei zu sein.

In diesem Moment konnte ich sie spüren, die tiefe Zufriedenheit, die mit dem Bass durch mein Blut strömte und mich endlich wieder glücklich machte.

Und da war noch etwas anderes. Ich fühlte ein sanftes Prickeln, das über meine Schultern den Rücken hinab lief, als ob mich jemand intensiv beobachtete. Neugierig öffnete ich meine Augen und drehte mich um, aber die grellen Lichter und die tanzenden Menschen um mich herum machten es mir unmöglich, irgendetwas in dem dunklen Bereich am Rand zu erkennen. Hatte ich mir das nur eingebildet?

Vielleicht.

Egal wie weit ich davonlaufen würde, meiner eigenen Paranoia würde ich wohl nie entkommen können. Denn dazu war mein Leben als Prinzessin der Nereide einfach zu gefährlich. Aber so schnell dieses unangenehme Gefühl gekommen war, so schnell ging es auch wieder vorbei und ich versuchte, mich selbst zu beruhigen.

In dieser nebligen Dunkelheit mit den zuckenden bunten Lichtern war ich nur eine junge Frau von vielen. Das Gedränge auf der Tanzfläche war viel zu groß, als dass mich jemand absichtlich beobachten könnte. Also schob ich den Gedanken von mir und versuchte, mich wieder in der Musik zu verlieren.

Aber irgendetwas änderte sich auf einmal. Die Masse wurde unruhig. Am Rand gab es wohl eine kleine Rangelei, weshalb die Menschen instinktiv zurückwichen. Das Schubsen und Drängeln erreichte sogar mich und brachte uns alle aus dem Takt. Es wurde immer enger und eine verschwitzte männliche Hand legte sich ungefragt auf meine Hüfte.

Bäh, wie ich das hasste! Warum mussten sich Männer nur immer so widerlich benehmen?

Blitzschnell schlug ich die unbekannte Hand beiseite und floh durch einen engen Kreis von leichtbekleideten Mädchen. Es machte einfach keinen Sinn, mit einem angetrunkenen Mann über zivilisiertes Verhalten zu sprechen. Also floh ich lieber und bahnte mir langsam den Weg durch die Menschenmasse in Richtung VIP-Bereich. Mein perfekter Moment war leider vorbei.

Trotz der vielen Menschen kam ich gut voran und war ziemlich stolz darauf, so geschmeidig zu sein. Ich nutzte jede noch so kleine Lücke, um mich voranzuschieben. Fast hatte ich es geschafft, da war schon die Treppe zum Bereich der Schönen und Reichen, die ich nur noch erklimmen musste. Leider standen viel zu viele Leute davor und keiner wollte mir Platz machen.

Wie ungewöhnlich.

Normalerweise wichen die Leute hastig vor mir zurück, aber hier war das anders. In diesem Club wusste niemand, wer ich war oder mein Vater und niemand schenkte mir seine besondere Beachtung. Das war neu und fühlte sich herrlich verboten an.

Es war etwas sehr Besonderes gewesen, dass meine ältere Schwester und ich uns vom königlichen Hof fortschleichen konnten, um einen Abend für uns allein zu haben. Es waren kostbare Stunden gewesen, in denen ich für ein paar Augenblicke einfach ich selbst sein konnte. Nicht die dauerlächelnde und wohlerzogene Prinzessin, die im feinen Netz der höfischen Intrigen niemanden aus den Augen verlieren durfte, sondern einfach eine junge Frau, die das Leben auskosten wollte. Aber die Nacht neigte sich unvermeidlich dem Ende und ich wollte nur noch zu Aurelia und nach Hause in mein weiches Bett.

Meine wunden und schmerzenden Füße brachten mich gleich um. Eigentlich war ich an hohe Absätze gewöhnt, schließlich wurde ich die meiste Zeit gezwungen, in solchen Schuhen zu laufen, aber ich hatte schon lange nicht mehr die ganze Nacht durchgetanzt. Das würde sich morgen früh ganz sicher rächen. Oder auch früher, denn meine Füße wollten am liebsten sofort aus diesen teuren High Heels raus, egal, wie schick sie auch waren.

Ich überlegte nicht lange und versuchte, mich hinter einem schlaksigen jungen Mann durchzuquetschen. Er unterhielt sich mit einer hübschen Blondine und es war mir ganz recht, dass niemand von mir Notiz nahm. Da passierte das Undenkbare. Bevor ich die zweite Stufe nehmen konnte, rempelte mich dieser Kerl von hinten an und ich verlor mein Gleichgewicht. Durch den Alkohol in meinem Blut konnte ich mich nicht mehr halten und landete unsanft auf allen vieren, was höllisch wehtat.

„Aua!“

Und ich glaube, von da ab ging der Abend endgültig den Bach runter!

Auf die Stufe vor mir traten zwei schwarze Herrenschuhe und blieben ungefragt vor mir stehen. Ohne aufzuschauen, gab ich dem linken Hosenbein einen Klaps und versuchte, mir dadurch mehr Platz zu verschaffen.

„Weg da! Sie stehen mir im Weg!“

Die Schuhe rührten sich nicht.

Die Musik dröhnte in meinen Ohren, also hatte mich der Schuhträger wohl nicht gehört. Genervt schnaufte ich durch und blickte auf.

Ich sah lange Beine, die in einer schwarzen Jeans steckten. Einen flachen Bauch und breite Schultern, die sich unten einem dunkelblauen Shirt abzeichneten. Und ein feingeschnittenes Gesicht, das von dunklen Haaren umrahmt war. Vor mir stand ein unfassbar schöner Mann, der als Model auf jedes Cover gepasst hätte, aber ganz sicher nicht in diesen überfüllten Laden.

Seine Augen strahlten auf mich herab und hielten meinen Blick sofort gefangen. Selbst auf dieser halbdunklen Treppe erkannte ich, dass sie blau waren. Himmelblau. Das strahlendste Himmelblau, das ich je gesehen hatte.

Ich schluckte und erwachte gleichzeitig aus meiner Schockstarre, denn das schöne Gesicht schaute leider sehr mürrisch auf mich herab. War er etwa verärgert darüber, dass ich ihn berührt hatte?

Sofort hatte ich mich wieder im Griff und lächelte zu ihm hinauf. Von seinem herabsetzenden Blick ließ ich mich nicht beeindrucken. Ich war bereits eine wahre Meisterin im Ignorieren solcher Angriffe, denn am königlichen Hof hatte ich schon viel schlimmere Blicke erlebt. Nur mein Ehrgefühl litt plötzlich Höllenqualen, weil ich würdelos vor diesem Mann auf meinem Hintern saß.

Also streckte ich schnell meinen Rücken, zupfte an seinem Hosenbein und erklärte ihm noch einmal freundlich mein Dilemma.

„Ich möchte gern aufstehen. Hätten Sie wohl die Güte, mir ein wenig Platz zu machen?“

Mit der Frage schenkte ich ihm mein schönstes Lächeln und hoffte darauf, dass er mich trotz der lauten Musik verstehen würde.

Sein Gesicht wurde gleichgültig.

„Wenn du es wünschst.“

Seine tiefe Bassstimme fuhr in mich hinein, wie die Musik es vorher getan hatte. Mmh, es war ein warmes Gefühl wie heiße Schokolade trinken.

Dann trat er zur Seite und stellte sich auf meine Stufe. Ich reichte ihm meine Hand, um ihm die Gelegenheit zu geben, mir aufzuhelfen, aber er zog nur eine dunkle Augenbraue hoch und sah weiter auf mich herab. Um mich allein aufzurappeln, musste ich mich auf dem schmuddeligen Boden abstützen. Wie eklig!

Damit hatte er bei mir verloren, egal wie schön sein Gesicht auch sein mochte.

„Danke schön“, entschlüpfte es mir sarkastisch, während ich mich erhob und verärgert mein Kinn reckte.

Sein Blick folgte meinen Bewegungen und nahm meinen Körper Maß. Das brachte meinen Puls zum Rasen. So hart wie die hämmernden Bässe fühlte ich mein Herz schlagen, während sein intensiver Blick langsam über mein Kleid glitt und mich zu verbrennen drohte. Ich zwang mich, möglichst elegant stehen zu bleiben, denn es machte mich ganz kribbelig, so von ihm begutachtet zu werden. Dabei kannte ich ihn ja gar nicht. Es sollte mich nicht so aufwühlen, in seiner Nähe zu stehen. Und es sollte mir auch egal sein, was er von mir hielt, schließlich war er ja nur ein Mensch. Aber ich konnte mich nicht selbst belügen, er sah zum Anbeißen gut aus, und in diesem Moment wollte ich ihm und seinen himmelblauen Augen gefallen.

Also riskierte ich einen zweiten Blick auf seinen Körper, der mich trotz meiner High Heels um gut einen Kopf überragte.

Was ich vor mir sah, gefiel mir sehr. Seine breiten Schultern strahlten eine anziehende Kraft aus, der sich jede Frau bereitwillig ergeben würde. Sein schwarzes Haar war dafür gemacht, um es mit meinen Fingern stundenlang sanft zu durchkämmen. Seine kantigen Gesichtszüge wollten von mir gestreichelt werden und sein sinnlicher Mund bettelte nach einem hingebungsvollen Kuss von mir.

Und als ich so vor mich hinträumte, bohrte sich sein intensiver Blick in meinen und entzündete unerlaubt kleine Flammen in meinem Innern.

Vielleicht lag es nur an der Musik und meiner guten Stimmung oder vielleicht doch am Alkohol, aber ich fühlte mich sofort von ihm angezogen. Von einem Moment zum anderen überkam mich das überwältigende Verlangen, ihm nahe zu sein. Es war wie eine innere Explosion, die meinen Puls zum Rasen brachte und mich mit einem süßen Schwindelgefühl ein wenig schweben ließ.

Dieser Mann machte mich überaus neugierig und für diese hinreißenden blauen Augen war ich wohl doch zu einem kleinen Flirt bereit.

Sein sinnlicher Mund bewegte sich und seine tiefe Stimme traf mich wie beim ersten Mal. Dadurch brauchte ich einen Moment länger, um den Inhalt seiner Worte zu begreifen. Aber dann holten sie mich ebenso unsanft wie unerwartet aus meinen Gedanken.

„Du bist verletzt“, knurrte er.

Fast hatte ich den Eindruck, dass er mir die Schuld dafür gab. Schnell blickte ich an mir herab und sah auf meinem rechten Knie eine kleine Schürfwunde. Nur ein paar Kratzer und ein wenig Blut.

„Oh“, sagte ich zu meinem Knie und schaute dann wieder zu ihm auf. „Das hatte ich gar nicht bemerkt.“

Sein Gesichtsausdruck war immer noch gleichgültig, aber seine Augen begannen zu glühen und ich spürte, wie mein kleines Herz ganz kurz aus dem Takt kam.

„Das sollte versorgt werden“, verkündete er entschlossen und zögerte nicht, handgreiflich zu werden. Mit einem Schritt war er an meiner Seite und legte seinen trainierten Arm um meine Schulter. Seine große Hand wärmte plötzlich meinen Oberarm und mit einem leichten Druck schob er mich die Treppe hinauf. Ich war viel zu verblüfft, um mich zu wehren.

„Äh …“

„In meinem Büro ist ein Erste-Hilfe-Kasten.“

„Ihrem Büro?“

„Ja.“

„Aber …“

„Kein Aber. Du blutest und ich werde dir helfen.“

Dieser Kerl war es wohl gewohnt, Befehle zu geben und dass diese auch befolgt wurden. An sich war das keine schlechte Eigenschaft, aber ich wurde in meinem Leben schon zu oft herumkommandiert, darum kühlte sich mein Verlangen ein wenig ab, während sich ein kleiner Widerstand in mir regte.

„Ich denke, ich kann ganz gut allein laufen. Danke.“

Ich legte meine Hand auf seine breite Brust und wollte mich von ihm befreien, da machte mir mein unzüchtiger Körper einen dicken Strich durch die Rechnung, denn unter meiner Hand begann es sofort zu brennen. Es war eine wohltuende Hitze, die langsam in mich hineinkroch, während sich seine harten Muskeln geschmeidig bewegten. Meine Fingerspitzen konnten gar nicht genug von ihm bekommen. Und genau in diesem Moment bemerkte ich seinen angenehmen Duft. Mein Körper reagierte sofort. Als wäre er darauf trainiert worden, schmiegte sich mein Leib an seine wohlige Wärme, um noch mehr von seinem erdigen Duft in die Nase zu bekommen.

Oh, nein, was tat ich denn da?

Mein zügelloses Verhalten war mehr als unangebracht, selbst wenn ich keine Prinzessin gewesen wäre.

Und was tat dieser Mann?

Über sein schönes Gesicht huschte ein zufriedenes Lächeln, während er mich noch ein wenig fester an sich drückte. Seine Berührung kam mir so seltsam vertraut vor und es überraschte mich, wie gut es sich an seiner Seite anfühlte. Irgendwie geborgen.

Aber das war doch total falsch!

Ein paar Stufen weiter setzte wieder mein Verstand ein und der sagte mir, dass ich diesen Kerl überhaupt nicht kannte und besser vorsichtig sein sollte. Es war viel zu gefährlich, mit einem unbekannten Mann allein im Hinterzimmer eines Clubs zu verschwinden, selbst wenn dieser Mann noch so gut aussah. Wer weiß, was er mit mir vorhatte? Also wand ich mich schweren Herzens aus seinen Armen und ballte meine Hände zu Fäusten, um sie davon abzuhalten, ihn weiter zu befummeln.

„Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe, aber es ist nicht nötig, mich zu stützen.“

Er nickte. „Hier entlang.“

„Nein.“

„Du blutest aber.“

„Ich spüre mein brennendes Knie recht deutlich, danke für den Hinweis. Aber das ist noch lange kein Grund, mich quer durch den Club zu schleifen.“

„Davon kann wohl keine Rede sein, denn wir sind gerade mal eine paar Stufen weit gekommen und ich habe bisher keine Gegenwehr von dir gesehen.“

„Ich stand unter Schock.“

„Wegen dem kleinen Kratzer?“

Nein, wegen dir. „Ganz genau, es ist nur ein kleiner Kratzer, also brauchen Sie sich nicht weiter zu bemühen.“

„Vielen Dank für deine Sorge um mich, aber ich habe bereits entschieden, dass es nötig ist, dir zu helfen.“

Er ließ nicht locker und irgendwie gefiel mir das.

„Und was genau qualifiziert Sie das zu tun?“

„Mir gehört der Club und ich möchte nicht, dass du meinen Teppich vollblutest.“

„Hier liegt doch gar kein Teppich.“

Er schnaufte sanft und beugte sich ein wenig näher zu mir. „Ich meinte das im übertragenen Sinne.“

Seine eindringliche Stimme traf mich erneut und machte mir wieder dieses unerwartete wohlige Gefühl im Bauch.

„Das habe ich auch so verstanden, aber ich werde nicht mit Ihnen gehen.“

„Hast du etwa Angst?“

Er baute sich vor mir auf und zog fragend seine dunkle Augenbraue nach oben. So schnell würde er mich wohl nicht entkommen lassen.

Schwer atmend stand ich am oberen Absatz der Treppe mit dem Rücken an der Wand und dieser unfassbar schöne Mann verdeckte mir mit seinem kräftigen Körper den Blick auf die übrigen Gäste. Oder wollte er die Blicke der anderen von mir abschirmen?

Quatsch, warum sollte er innerhalb dieser kurzen Zeit so besitzergreifend werden, dass er mich für sich allein haben wollte?

Aber so sehr mein Verstand dagegenredete, konnte ich diesen schmeichelnden Gedanken doch nicht mehr ganz abschütteln.

Nur gut, dass die Musik so laut war, denn ich wollte nicht, dass irgendjemand unseren Streit mitbekam. Wieso stritt ich mich eigentlich mit ihm? Ich hätte schon längst zu Aurelia gehen und diesen unverschämten Kerl stehen lassen sollen.

Da sah ich in sein Gesicht und wusste warum. Seine herrlichen himmelblauen Augen machten es mir einfach unmöglich, zu gehen. Und so ertappte ich mich, wie ich unerwartet schnell nachgab und mich innerlich bereits auf mehr von ihm freute. Trotz der lauten Musik senkte ich meine Stimme.

„Sie haben doch sicher wichtigere Dinge zu erledigen, als ein kleines Pflaster zu holen. Der Club scheint beliebt zu sein und heute sind eine Menge Menschen da. Sie sind gewiss ein Mann mit vielen Verpflichtungen. Ich meine, sie müssen nach dem Rechten schauen oder irgendwelchen Papierkram erledigen. Ich möchte Sie nicht davon abhalten.“ Ich merkte selbst, dass ich anfing, dummes Zeug zu reden und meine Worte wurden immer leiser. „Mein kleiner Kratzer ist wirklich nicht der Rede wert. Ich merke ihn ja kaum noch.“

Und das stimmte auch, denn mein Körper war voll und ganz damit beschäftigt, auf seine fesselnde Präsenz mit Hitze zu reagieren, und zwar an Stellen, die sich lang und ausdauernd an ihm reiben wollten.

„Mmh… ich denke, du scheinst das Wichtigste zu vergessen.“

„Und das wäre?“

„Als Gastgeber habe ich die Pflicht, mich um das Wohl aller meiner Gäste zu kümmern und das schließt dich mit ein.“

Er bot mir seine Hand.

„Komm mit mir.“

Seine sanften Worte lockten mich und bevor ich etwas erwidern konnte, lag meine Hand schon in seiner. War ich denn wirklich so beschwipst, einem Fremden zu vertrauen?

Die Antwort darauf war mir in dem Moment egal, als meine Haut seine berührte. Seine Wärme fühlte sich so gut an und das war alles, an was ich noch denken konnte. Mein Körper jubelte und brannte auf, wodurch mein brillanter Verstand einfach in den Hintergrund gedrängt wurde.

Wir gingen gemeinsam weiter und ich bemerkte nur noch am Rande, wie die Menschen Platz machten. Zuerst dachte ich, er würde mich in den VIP-Bereich bringen, aber er dirigierte mich zur Seite zu einer dezenten Tür und zog mich mit sich hindurch. Hinter der Tür war es etwas ruhiger und der kleine Flur wirkte nicht ganz so schick, wie der öffentliche Bereich des Clubs. Auch hier bestand die Farbe der Wände aus breiten Bahnen, die sich abwechselnd blau und silbern färbten. Aber es fehlten die hohen Spiegel, der Glitzer auf den silbernen Streifen und die bunten Scheinwerfer, die den Club mit der Musik zum Leben erweckten. Dieser Abschnitt dagegen war hell beleuchtet und wirkte absolut leer.

Auf der linken Seite stand die erste Tür offen. Dahinter lag der Raum für das Personal und ich konnte einen kurzen Blick auf eine Frau erhaschen, die in ihrer Tasche wühlte. Schnell zog er mich weiter und ich versuchte, mit ihm Schritt zu halten.

Viel mehr als die Wunde am Knie schmerzten mir meine Füße, die nach wie vor in ihren mörderischen High Heels steckten. Auf gar keinen Fall wollte ich noch einmal stolpern. Eine weitere Demütigung vor seinen himmelblauen Augen hätte ich mir niemals vergeben. Also lief ich tapfer weiter, während ich ihm verstohlene Blicke zuwarf und das Vergnügen genoss, seine Hand zu halten.

Ich war so mit meinen Beinen und seinem hübschen Gesicht beschäftigt, dass ich die schmucklose Stahltür erst bemerkte, als wir direkt davor zum Stehen kamen. Geübt tippte er einen Code auf dem kleinen Bedienfeld neben der Tür ein und stemmte sie dann mühelos auf. Und bevor ich protestieren konnte, schob er mich hindurch, und mein Herz fing noch heftiger an zu klopfen.

Dann fiel die schwere Stahltür ins Schloss und wir waren allein.

Abrupt ließ er meine Hand los und so stand ich einsam in einer unbekannten Dunkelheit und hörte nur das Blut in meinen Ohren rauschen. Die Stahltür schirmte jedes Geräusch von außen ab und nach dem lauten Club war es in diesem Raum einfach viel zu still. Ich verkrampfte mich und mein Herz schlug mir bis zum Hals.

Wie konnte ich nur so blöd sein, schimpfte ich mit mir selbst, du hast dich einfach in sein Reich ziehen lassen.

Die schlimmsten Gedanken schossen mir durch den Kopf und die Glut in meinem Körper verwandelte sich in Kälte. Trotzdem fing mein Nacken an zu schwitzen. Aber wenn er glaubte, ich wäre ein leichtes Opfer, würde er sich noch wundern. Ich holte tief Luft und konzentrierte mich auf die Magie unter meiner Haut.

Da knipste er eine kleine Lampe auf einem Beistelltisch an und tauchte damit das Zimmer in ein warmes Licht.

Es sah gar nicht aus wie ein Büro. Der großzügige Raum glich eher einem gemütlichen Wohnzimmer. Es gab eine kleine Bar, schwere dunkle Teppiche und ein großes schwarzes Ledersofa in der Mitte. An der Wand gegenüber hing ein riesiger Bildschirm, der beinahe die gesamte Fläche einnahm.

„Bitte, setz dich.“

Seine Stimme war jetzt leiser, aber nicht weniger intensiv. Er deutete auf das schwarze Sofa und schaltete ganz selbstverständlich den Bildschirm an. Die Leinwand flackerte auf und zeigte den Club aus verschiedenen Blickwinkeln. Ich sah das Treiben der anderen Gäste und irgendwie beruhigte mich ihre stumme Anwesenheit.

„Von hier aus überwachen Sie also alles.“

„Wenn ich es will, ja.“

Er zuckte mit den breiten Schultern und verschwand mit einem letzten Blick auf mich in dem angrenzenden Badezimmer.

Das war die Gelegenheit für mich, aus seinem Büro zu stürzen und nach Hause zu laufen. Es lagen nur zwei Türen zwischen mir und dem Schutz der Öffentlichkeit, aber meine Beine wollten sich einfach nicht rühren.

Zu Hause erwarteten mich nur die ewigen Pflichten einer Prinzessin und die Intrigen der Hochwohlgeborenen und jener, die dazu zählen wollten. Hier war ich einfach nur ein Mädchen, das einen Jungen getroffen hatte. Ich wollte nur einmal an mich denken und eine kurze, aber schöne Zeit mit jemand Nettes teilen, ohne weitreichende Konsequenzen. Außerdem hatte ich das komische Gefühl, ihm vertrauen zu können, also beschloss ich, mutig zu sein, und umrundete das Sofa, um mich zu setzen. Ich versank fast in dem butterweichen schwarzen Leder und fühlte mich augenblicklich wohler.

Im Bad wurde eine kleine Tür zugeschlagen, wahrscheinlich das Medizinschränkchen. Dann trat mein persönliches Model auch schon wieder ins Zimmer, mit einem grünen Erste-Hilfe-Kasten in seiner rechten Hand und einem kleinen Funkeln in den Augen.

„Gemütlich?“

Er blickte auf meine nackten Füße und kam zu mir.

„Äh…“

Bevor ich antworten konnte, war er bei mir, schwang meine Beine auf den Sitz und kniete sich vor das Sofa. In seiner Nähe fühlte ich mich gleich viel besser, was komplett verrückt war, denn er war doch nur ein Mensch und ich kannte ihn ja gar nicht. Nicht mal seinen Namen.

„Thomes“, antwortete er leise auf meine Gedanken und öffnete das Erste-Hilfe-Set.

„Oh“, brachte ich überrascht heraus und baute sofort eine Barriere um meinen Geist. In meiner Welt gab es einige Gedankenleser, deshalb war es reine Gewohnheit, mich zu schützen. Ich brauchte dafür nur wenige Sekunden und dennoch schaute er mich ungeduldig an.

Hatte er es gemerkt?

Sein Gesicht wurde ausdruckslos. Nur seine herrlich blauen Augen funkelten im schwachen Licht und verzauberten mich mit ihrem tiefen Blau. Wie gern hätte ich ihn wieder berührt.

„Thomes klingt toll.“

Etwas Besseres fiel mir leider nicht ein. Warum brachte ich denn keinen vernünftigen Satz heraus? Dieses Gespräch würde offenbar genauso peinlich verlaufen, wie unsere Begegnung auf der Treppe. Dabei war Thomes so freundlich und selbstsicher. Nur ich plapperte dummes Zeug und saß dabei mit meinem Hintern im Dreck.

Oh Mann, den ersten Eindruck hatte ich schon mal gründlich vermasselt. Wie kam ich da nur wieder raus?

„Du könntest mir deinen Namen verraten“, brummelte er vor sich hin.

Ich starrte ihn an, denn es war so merkwürdig, nicht sofort erkannt zu werden. Die Welt meines Vaters war in diesem Augenblick wahrhaftig sehr weit weg.

Ich war mit Thomes allein in seinem Büro. Das weiche Leder wärmte meine Haut und es fühlte sich gut an, in seiner Nähe zu sein. Niemand wusste, dass ich hier war. Niemand konnte uns belauschen, wenn die Stahltür sogar die laute Musik aussperren konnte. Und das Beste war, dass dieser Mann mich nicht kannte. Er sah mich nicht als Tochter des Königs oder strebte nach der Aufmerksamkeit meines Vaters. Thomes wollte mich kennenlernen und die Frau in mir fühlte sich unglaublich geschmeichelt. Außerdem war es jetzt zu spät, um einen Rückzieher zu machen. Und da ich ihn nach dieser Nacht wohl nie wieder sehen würde, konnte ich ihm auch die Wahrheit sagen.

„Du machst mich ganz schwindelig“, gestand ich atemlos und tauchte wieder in die Tiefen seines unergründlichen Blickes ein.

Sein sinnlicher Mund verzog sich zu einem kleinen Lächeln. „Willst du mir sagen, dass ich dich krank mache?“

„Nein, so war das nicht gemeint.“

Er kam näher. „Wie meinst du es dann?“

Ich lag halb auf dem weichen Sofa, während er sich über mich beugte. Sein intensiver Blick hielt mich gefangen und traf mich tief im Innern. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Über meinen Rücken rannen kleine Schauer, während meine Körpertemperatur immer weiter anstieg. Unbewusst atmete ich tief ein und nahm seinen herrlichen männlichen Duft in mich auf, der mich ganz benommen machte und den heftigen Wunsch in mir auslöste, von seinem Gewicht auf das Sofa gepresst zu werden.

Aber ich wagte es nicht, mich zu rühren. Denn in diesem Augenblick konnte ich meinen eigenen Händen nicht trauen. Viel zu heftig brannte bereits die Vorstellung in mir, ihm meine Arme um den Hals zu schlingen und ihn zu mir herabzuziehen.

Ich wagte kaum, zu atmen, als sich die Zeit scheinbar endlos dehnte und wir verharrten, nur durch unsere Blicke verbunden.

So nah.

Bis meine Haut zu glühen begann und anfing zu schwitzen.

Seine Nasenflügel bebten leicht, während sich mein Magen genüsslich verknotete. Ob er mich küssen wollte?

Vielleicht.

Hoffentlich.

Verdammt.

Er schloss seine herrlichen Augen und zog sich ein Stück zurück.

„Wir sollten jetzt deine Wunde versorgen“, sagte er schleppend und ich meinte, dass sich seine Stimme ein wenig rauer anhörte als zuvor.

„Aua“, sagte ich mechanisch und brauchte einen Moment, um mein aufgeregtes Herz zu beruhigen.

Mein Kleid war kurz und ich musste mein Bein nur ein wenig aufstellen, damit ich die Wunde am Knie besser sehen konnte. Sofort spürte ich seinen Blick auf mir und es wurde mir schrecklich bewusst, dass nun auch Thomes seine ganze Aufmerksamkeit meinen nackten Beinen zuwandte. Der Knoten in meinem Magen bekam Flügel und flatterte aufgeregt hin und her.

„Es blutet kaum noch“, stellte ich erleichtert fest und versuchte, mich auf mein Bein zu konzentrieren.

Er legte seine große Hand sanft neben die Kratzer und ich zuckte sofort zurück, als hätte er mich verbrannt. Seine warmen Finger hinterließen eine heiße Spur auf meiner Haut, die sich überraschend gut anfühlte. Viel zu gut. Thomes ignorierte mein Zucken.

„Ich werde die Wunde zuerst säubern“, sagte er ruhig und holte ein steriles Tuch aus seiner Verpackung.

Ich entspannte mich ein wenig. Er wollte mir helfen und es tat so gut, von ihm umsorgt zu werden.

Behutsam schob er seine Hand unter mein Knie, umfasste es und rieb dann vorsichtig mit dem Tuch über den Kratzer. Dort, wo er mich berührte, fing meine Haut an zu prickeln und ich fühlte nur noch seine sanften Finger. Seine Wärme drang in mich ein und verteilte sich weiter bis zu meinem Unterleib. Das war neu. So leicht hatte mich noch kein Mann erregt. Aber er tat es.

Plötzlich war es mir furchtbar peinlich, so leicht bekleidet vor ihm zu liegen.

„Ich denke, das reicht“, sagte ich leise.

Er legte das Tuch zur Seite und kramte nach einem Pflaster. Ich sah sein Gesicht nur von der Seite, aber es wirkte angestrengt. Sein Kiefermuskel zuckte und spannte sich immer wieder an.

„Wieso bist du sauer?“

Ich wollte nicht, dass mein heißer Flirt das Gesicht verzog. Ich wollte die Zeit mit ihm genießen, so kurz sie auch sein mochte.

Er hörte auf, nach einem Pflaster zu suchen und mit einer Schnelligkeit, die ich ihm gar nicht zugetraut hätte, legte er seine Hand wieder auf mein Bein, diesmal etwas höher auf meinen Oberschenkel und brachte sein schönes Gesicht ganz nah an meines.

„Sag mir deinen Namen“, forderte er mit einem feurigen Blick.

Hörte ich da ein leises Knurren? Oder war es nur seine tiefe Stimme, die in mir widerhallte? Mühsam versuchte ich zu schlucken.

„Ich … heiße Tani“, kam es heiser aus mir heraus.

„Hi, Tani.“

Seine Stimme war reiner Samt und brachte meinen Körper zum Schmelzen. Kaum, dass ich seine Worte gehört hatte, schnellte er nach vorn und brachte seine Lippen ganz nah an meine heran. Ich konnte seinen warmen Atem spüren, der unerträglich sanft meine Haut liebkoste. Aber er zögerte und gab mir die Gelegenheit, nein zu sagen, während seine himmelblauen Augen mich bereits verschlangen.

Mein Verstand war komplett überrumpelt und völlig überfordert. Sollte ich das wirklich tun? Immerhin war er ein Mensch.

Meine innere Stimme wurde zornig. Weshalb bist du denn sonst mit ihm mitgegangen? Ist das nicht genau das, was du wolltest? Ich meine, der Kuchen steht vor dir, jetzt kannst du auch einen Bissen probieren.

Innerhalb einer Millisekunde war ich überzeugt und sehr froh darüber, dass mein Körper ganz genau wusste, was zu tun war. Also schloss ich meine Augen und war bereit, meine Lippen auf seine zu drücken. Wie sich sein Kuss wohl anfühlen würde?

Ich nahm all meinen Mut zusammen und beugte mich ihm entgegen.

Doch meine gespitzten Lippen trafen ins Leere.

Nanu?

Thomes war nach oben geschnellt und beäugte mich aufmerksam. Erstaunt riss ich meine Augen auf und sah in sein ernstes Gesicht. Er lag zwar noch halb auf mir, aber ich konnte ihm deutlich ansehen, dass seine Leidenschaft für mich erloschen war.

„Steh auf“, befahl er hart und sprang geschmeidig hoch, während ich wie ein Käfer auf dem Rücken liegen blieb. Ohne von ihm berührt zu werden, fühlte ich mich kalt und leer. Und gleichzeitig bohrte sich ein scharfer Dorn der Enttäuschung in mein armes kleines Herz.

Ich gebe ja gern zu, dass meine Erfahrung auf dem Gebiet der körperlichen Dinge mit Männern gegen null tendierte. Und ich war mir bewusst, dass andere Frauen unter diesem Adonis vielleicht nicht erstarrt wären oder so lange darüber nachgedacht hätten, ob sie ihn küssen wollten. Aber so ein ruppiges Verhalten hatte ich ganz sicher nicht verdient. Es war respektlos und er war ein echter Idiot!

Natürlich hatte ich als Prinzessin gelernt, meine wahren Gefühle zu verbergen, weshalb ich es schaffte, ihn nur fragend anzusehen, aber er achtete schon nicht mehr auf mich. Thomes starrte zur Tür, als ob ihn jemand gerufen hätte, und sein schönes Gesicht wirkte wieder völlig gleichgültig.

„Was ist los?“

„Ich bekomme Besuch, du musst gehen“, antwortete er mir knapp und bewegte sich um das Sofa herum zur Tür.

Ich kam auf die Füße und zog hastig mein Kleid herunter. Was für eine Frechheit! Ich hörte gar nichts und dachte, dass Thomes mir vielleicht nur eine Ausrede auftischte, damit ich möglichst schnell verschwinde. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, aber diesmal vor Zorn, weil ich auf diesen Mann hereingefallen war. Wer weiß, wie oft er diese Nummer schon mit anderen Frauen abgezogen hatte. Wahrscheinlich hatten die ihm mehr zu bieten gehabt als ich.

Ohne weiter auf mich zu achten, entfernte er sich und ging zur Tür. Da platzte mir der Kragen. Niemand wagte es, mir einfach den Rücken zuzukehren. Erbost reckte ich mein königliches Kinn und folgte ihm steifbeinig, während ich einen Finger erhob und beleidigt losmotzte.

„Hiergeblieben! Wie kannst du es wagen? Du bist unfassbar …“

Aber in dem Moment riss Thomes die Tür in einer geschmeidigen Bewegung auf und meine persönliche Hölle kannte in dieser Nacht echt kein Ende.

Mit einem wilden Knurren stolperten zwei Männer herein und rollten sich prügelnd auf dem Boden. Thomes zerrte mich hastig hinter sich und nahm sofort eine beschützende Haltung ein. Ich musste an seiner Schulter vorbeilinsen, um den Kampf zu verfolgen.

„Da bist du ja“, brüllte Brik mir entgegen und ich krallte mich vor Schreck in Thomes Rücken.

Oh nein, war ich tatsächlich so dumm gewesen, zu glauben, dass meine Leibwache mich nicht finden würde? Der harte Arm meines Vaters reichte weit und würde mich nie so einfach loslassen.

Briks Gesicht war wutverzerrt und über seinem linken Auge klaffte eine blutende Wunde. Er hatte einige Mühe, den größeren Mann durch einen gezielten Schulterwurf gegen die Wand zu donnern, aber er schaffte es. Da stürmte ein weiterer Kerl durch die Tür und warf sich angriffslustig auf den vermeintlichen Eindringling.

Nun musste sich Brik gegen zwei Securitymänner behaupten und ich meinte ein kleines Lächeln auf Briks Lippen zu sehen. Ein sehr gefährliches Lächeln.

Brik nutzte seinen Schwung, ließ sich fallen und trat dem heranbrausenden Mann in den Bauch. Das stoppte den zweiten Mann aber nur für Sekunden. Mit einem grausamen Knurren schwang er einen gewaltigen rechten Haken gegen Briks Schädel und schleuderte Brik damit nach hinten. Genau in die Arme des ersten Mannes, der ihn sofort an den Armen packte. Nun war Brik gefangen und der zweite Mann wollte ihn unschädlich machen. Langsam trat er auf Brik zu und hob seine schwere Faust.

Ich sah das Funkeln in Briks Augen und sprang hinter Thomes hervor.

„Brik, hör sofort auf damit!“

Er schaute nicht zu mir, aber er nickte ganz leicht und machte dann alles nur noch schlimmer.

Brik war wesentlich kleiner als seine beiden Gegner und das nutzte er aus. Er trat nach hinten, um dem ersten die Kniescheibe zu zertrümmern und wand sich gleichzeitig wie ein Aal aus dem festen Griff. Dann rollte er sich durch die Beine des anderen, sprang auf seinen Rücken und schnappte sich den erhobenen Arm. Mit einem lauten Krachen brach der Knochen und aus meiner Kehle schlüpfte ein entsetzter Laut.

Leichtfüßig landete Brik auf dem Boden und hatte sich schon halb zu mir umgedreht. Er wirkte siegessicher, aber er erkannte viel zu spät, dass plötzlich Thomes hinter ihm stand. Mit einem metallischen Plong traf ihn der schwere Feuerlöscher direkt auf den Kopf und hinterließ eine blutende Wunde. Brik hatte keine Chance und sackte bewusstlos zu Boden.

„Nein, aufhören! Was hast du getan?“

Ich starrte schockiert auf den armen Brik und fühlte, wie kaltes Adrenalin durch meine Adern schoss. Es ließ mich zittern.

„Ist er tot?“

Die Worte kamen mir nur als Hauch über die Lippen und ich hörte, wie Thomes verächtlich schnaufte.

„Nein, der schläft nur eine Weile.“

Dieses Mal beruhigte mich seine Stimme nicht. Er klang kalt und abweisend und ich fühlte mich in seiner Nähe plötzlich sehr fremd.

Seine beiden Männer stellten sich neben ihn und ich bemerkte, wie ähnlich sie sich sahen. Es mussten Zwillinge sein. Nicht nur ihre Gesichter waren gleich, sogar ihre Art, sich zu bewegen, ähnelte sich zu sehr und sie hatten Brik überlebt.

Erstaunlich, denn Brik war nicht gerade für seine Gnade bekannt. Er war ein Steinbrecher aus Grönland, den mein Vater extra zu meinem Schutz angeheuert hatte. Brik war seinem Ruf nach ein zuverlässiger Zerstörer, der bisher jeden Angreifer abgeschlachtet hatte. Selbst unter seinen Leuten galt er als Legende. Nur diese drei hatten kaum einen Kratzer abbekommen.

Wie war das möglich?

Da sah ich es.

Einer der Zwillinge hielt sich seinen völlig verdrehten Arm. Ich konnte den gebrochenen Knochen unter der Haut sehen. Trotzdem stand er völlig gelassen neben Thomes. In dieser Zeit drehte sich der Arm zurück, streckte sich und der Knochen sprang wieder an seinen Platz. Der Arm heilte vor meinen Augen. Einfach so. Der Mann zuckte nicht einmal mit der Wimper und ich war mehr als schockiert.

„Thomes.“ Der andere Zwilling ergriff das Wort. „Ist bei dir alles klar? Der Typ hat uns einfach überrannt.“

Seine Worte klangen überrascht, aber sein Gesichtsausdruck zeigte den Ärger über seinen verletzten Stolz als Wache. Thomes nickte ihm zu.

„Mir geht es gut. Das Blut stammt von seinem Dickschädel. Und was ist mit euch?“

Sie nickten grimmig zurück und blickten dann stumm auf Brik herab.

Im Flur erteilte eine Frauenstimme einige Befehle. Ein Mädchen sollte irgendetwas wegwischen und weitere Männer der Security wurden auf ihre Plätze geschickt.

Dann erschien eine wunderschöne Frau in der Tür. Ihre langen schwarzen Haare waren zu einem hohen Zopf gebunden, wodurch ihre Wangenknochen noch mehr zur Geltung kamen. Ihr roter Lippenstift passte perfekt zu ihrem tief ausgeschnittenen roten Kleid und ihr russischer Akzent war schwer zu überhören.

„Thomes“, flötete sie und schlich zu ihm.

Bei jedem Schritt wippte ihre Hüfte auf und ab und ließ ihr Kleid zur Seite schwingen. Sie legte ihre manikürten Hände um sein Gesicht und schaute ihm dann tief in die Augen. Fast wirkte sie besorgt.

„Ist alles in Ordnung mit dir?“, wisperte sie sanft.

Thomes nickte und nahm steif ihre Hände fort.

„Wer ist das“, fragte die Frau nun laut und voller Abscheu.

„Das kann ich dir noch nicht sagen“, erklärte Thomes mit ernstem Blick auf Brik. „Es scheint aber, dass er nicht mensch…“

„Nein, nicht der. Ich meine sie“, schnitt sie ihm das Wort ab.

Alle schauten zu mir und ihre Blicke brannten wie Säure auf meinem Gesicht. Hilflos stand ich neben dem schwarzen Sofa und wollte mich am liebsten dahinter verstecken.

Thomes schritt durch den Raum und zog mich mit sich in das kleine Badezimmer. Ich blieb wie angewurzelt an der Tür stehen. Der Schock breitete sich in mir aus und lähmte meine Muskeln. Stumm sah ich dabei zu, wie Thomes das blutige Shirt auszog und es achtlos in die Ecke warf. Er drehte das Wasser voll auf und wusch sich fahrig das Gesicht und die kräftigen Hände.

Ich fühlte mich wie betäubt und konnte ihn nur noch anstarren. Mit freiem Oberkörper sah er erst recht wie ein oberheißes Unterwäschemodel aus. Mein Blick glitt langsam über seine breiten Schultern hinab über seinen muskulösen Rücken. Seine Haut war leicht gebräunt und seine Muskeln spannten sich bei jedem Atemzug. Er war unfassbar schön. Einzelne Wassertröpfchen schimmerten auf seinem perfekten Körper, den ich sehr gern berührt hätte.

Ohne Hast nahm sich Thomes ein weißes Handtuch, während er mich im Spiegel beobachtete.

„Richard. Bring mir einen Scotch“, murmelte er leise. Dann drehte er sich mit einem tiefen Atemzug zu mir um.

„Tani, komm her.“

Er sprach sanft, aber es war keine Bitte. Fordernd streckte er mir seine Hand entgegen, während mich seine himmelblauen Augen fesselten.

Ich folgte seiner weichen Stimme, ohne nachzudenken. Wie in einem Traum schwebte ich zu ihm, denn mein Körper schien nicht mehr zu existieren. Ich fühlte nichts. Thomes intensiver warmer Blick war das Einzige, das mir noch Halt gab. Er nahm meine Hand und zog mich sanft zum Waschtisch.

„Setz dich“, befahl er ruhig.

Ich hatte den anderen Mann gar nicht bemerkt, aber auf einmal hatte Thomes ein Glas in der Hand, das er mir reichte. Es war gefüllt mit einer braunen Flüssigkeit.

„Trink.“

Ich musste mich sehr auf meine Finger konzentrieren. Es dauerte ewig, bis ich das Glas endlich sicher in meinen Händen hielt, aber er war geduldig und strich mir langsam die Haare aus dem Gesicht. Behutsam half er mir, einen Schluck zu trinken.

Es schmeckte scheußlich! Meine Zunge und mein Hals standen sofort in Flammen, während ich nach Luft schnappte und hustete, bis mir die Tränen kamen.

„Bäh…“, war alles, was ich herausbrachte. Ich drehte meinen Kopf zur Seite, weit weg von dem Glas mit dem ekelhaften Feuer, aber Thomes hielt mich fest.

„Du hast einen Schock, Tani. Trink noch einen Schluck, das wird dir helfen.“

„Nie im Leben“, protestierte ich und wehrte mich gegen seinen festen Griff.

Ich saß auf dem Waschtisch. Eingeklemmt zwischen dem Spiegel und Thomes. Ich konnte mich nicht befreien, denn er war sehr viel stärker als mein kläglicher Versuch, zu fliehen. Also schnaufte ich frustriert aus und hob widerwillig die Hände.

„Na gut, ich gebe auf.“

Ich zwang mich, ruhiger zu werden, und atmete tief durch. Thomes entspannte sich ebenfalls wieder und blickte mich aus sorgenvollen Augen an.

„Bitte.“

Erneut reichte er mir das Glas, aber ich schüttelte nur leicht den Kopf und reckte trotzig mein königliches Kinn.

„Nein. Ich denke, ich bin wieder aufgewacht und brauche dieses widerliche Zeug nicht mehr.“

Ich schob seine Hand zur Seite.

„Lass sie doch, Thomes, wenn sie einen guten Scotch nicht zu schätzen weiß.“

Die weibliche Stimme mit dem russischen Akzent klang genervt und Thomes’ Gesichtszüge wirkten auf einmal verschlossen.

„Gut, wie du willst“, sagte er leise zu mir und seine eindringliche Stimme vibrierte in mir wieder. Er nahm das Glas und trank es mit einem Schluck aus.

Da wurde mir schlagartig bewusst, dass Thomes noch immer halb nackt vor mir stand. Ich blickte an seinem Körper herab und konnte mich kaum sattsehen. Sein Anblick war schlicht beeindruckend und ich verspürte eine süße aufsteigende Hitze in mir, die nichts mit dem Scotch zu tun hatte.

Seine männliche breite Brust war genau richtig behaart, um mit den Fingern sanft hindurchzustreichen. Ein schmaler dunkler Streifen feiner Härchen zog sich über seinen festen Bauch und verschwand in seiner tiefsitzenden Hose. Das Oberlicht zauberte dunkle Schatten unter seine gut sichtbaren Bauchmuskeln, die sich unter seiner perfekten Haut unablässig bewegten. Wie sie sich wohl anfühlten? Beinahe hätte ich meine Hand ausgestreckt, um ihn zu streicheln.

Da bemerkte er meinen Blick und seine Augen wurden schmal. Sofort schoss mir die Schamesröte ins Gesicht und ich schaute schnell auf meine Hände.

Wir waren nicht mehr allein. Und nach dem ganzen Durcheinander war jetzt sicher nicht der richtige Zeitpunkt, um auf seiner Brust Herzchen zu malen. Bei der großen Mutter! Er hatte gerade den armen Brik krankenhausreif geschlagen und ich dachte nur an seinen heißen Körper. War ich denn komplett durchgeknallt?

Ich wollte nur noch weg und dieses peinliche Erlebnis vergessen. Der schöne Abend war völlig zerstört und an allem war nur Thomes schuld. Er mit seinen umwerfend blauen Augen. Hätte er mich nicht gezwungen, mit ihm zu gehen, wäre ich bestimmt schon längst wieder zu Hause.

Lügnerin, sagte meine innere Stimme und sie hatte leider recht. Thomes hatte mich lediglich eingeladen und ich war freiwillig mit ihm gegangen.

Innerlich seufzend dachte ich, dass es jetzt zumindest nicht mehr schlimmer kommen konnte.

Oh man, wie ich es hasste, wenn ich vom Leben mal wieder eines Besseren belehrt wurde.

Thomes rückte von mir ab und nahm sich aus einem schmalen Schrank ein frisches Hemd und zog es sich über.

„Geht es dir besser?“

Ich rang die Hände und griff nervös nach meinem Ring, um ihn beruhigend um meinen Finger zu drehen. Aber die Stelle an meinem Finger war leer. Mein Ring war weg.

Oh nein!

Diesmal spürte ich sehr deutlich, wie ein neuer und viel tieferer Schock von mir Besitz ergriff und mich eiskalt im Nacken packte.

Hektisch sprang ich auf und kniete mich auf den Boden.

„Ist dir schlecht?“ Thomes’ Stimme klang besorgt.

„Nein, nein, nein“, fing ich an zu schimpfen. „Mein Ring ist weg!“

„Dein Ring?“

„Soll ich es dir buchstabieren?“

Ich hörte sein abfälliges Schnaufen.

„Ich glaube nicht, dass du ihn neben der Toilette findest.“

Thomes klang, als müsste er ein Lachen unterdrücken und ich schlug frustriert mit der flachen Hand auf den Boden.

„Ich kann jetzt gerade wirklich keine Scherze vertragen, danke!“

Ich suchte weiter. Auf allen vieren. Und befand mich dabei schon wieder völlig würdelos vor Thomes auf dem Boden.

Stöhnend fasste ich mir an den Kopf und konnte diese erneute Demütigung kaum ertragen.

Sofort war er an meiner Seite. „Hast du Schmerzen?“

Ich wollte sein perfektes Gesicht nicht sehen. Es war mir furchtbar peinlich, mit verschmiertem Make-up auf dem Boden neben der Toilette zu hocken. Gerade vor Thomes, der neben mir kniete und mich beobachtete. Wie konnte ich mich nur so lächerlich benehmen? Ausgerechnet vor ihm? Ich versank vor Scham fast im Boden.

Er versuchte, mich zu berühren, aber ich zuckte zurück.

„Könntest du mich bitte einen Moment allein lassen?“, murmelte ich mit den Händen vor dem Gesicht.

Er zögerte kurz.

„Sicher.“

Dann ging er in den Nebenraum und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen.

Endlich war ich allein und ergab mich meinem königlichen Selbstmitleid.

Ich saß auf den kühlen Fliesen und konnte mich nicht bewegen. Das Adrenalin in meinen Adern ebbte langsam ab, aber es hinterließ eine Kälte, von der ich eine Gänsehaut bekam. Über meine Wange rollte eine heiße Träne, aber ich war zu müde, um sie wegzuwischen.

War das noch der Schock oder bereits meine aufblühende Verzweiflung? Wie konnte dieser schöne Abend nur in so einer Katastrophe enden? Meine Gedanken rissen sich los und fuhren Karussell.

Ich versuchte mich krampfhaft daran zu erinnern, wann ich den Ring zuletzt an meinem Finger gespürt hatte. Vergeblich. Stattdessen schoben sich immer neue Bilder von Thomes vor mein geistiges Auge. Er hatte sich unerlaubt in meine Erinnerungen eingebrannt. Seine Berührungen und sein wunderbarer Duft. Sein nackter Körper und vor allem seine herrlichen himmelblauen Augen.

Mist!

Und ich saß hier herum wie ein Trauerkloß. Langsam hievte ich mich hoch und öffnete den Wasserhahn. Ich wollte mein verheultes Gesicht erst gar nicht im Spiegel sehen, also schloss ich meine Augen und wusch mir hastig das Gesicht.

Wasser war mein Element. Es erfrischte mich nicht nur, es gab mir auch neue Kraft. Die Energie des Wassers verband sich mit meiner und lud mich regelrecht auf. Das war bei allen Nymphen gleich. Jede Nymphe konnte die Magie im Wasser spüren und durch sie den eigenen Körper heilen.

Ein letztes Mal spritzte ich mir das kühle Nass ins Gesicht und fühlte mich sofort stärker. Ich schaute wieder auf meine Hand und atmete tief ein. Es war ein Fehler gewesen, den Ring der Nymphen mit hierher zu nehmen. Ein wirklich fetter, großer und dummer Fehler, für den ich noch bitter bezahlen würde.

Der Ring der Nymphen war nicht nur ein großes rituelles Symbol für die Nereide, der Ring besaß auch die ursprüngliche natürliche Kraft des Wassers. Er war ein wichtiger Bestandteil unserer Bräuche und unseres Glaubens an Mutter Natur. Und ich war seine Hüterin und trug ihn normalerweise immer bei mir. Deshalb war ich nicht einmal auf den Gedanken gekommen, ihn vor unserem nächtlichen Abenteuer abzulegen. Wie unendlich dumm von mir!

Vielleicht hätte ich den unerlaubten Besuch des Clubs vertuschen können. Vielleicht hätte ich Brik dazu gebracht, über den heutigen Abend zu schweigen. Aber wenn ich den heiligen Ring meines Volks tatsächlich verloren hatte, konnte ich das nicht ungeschehen machen. Dafür würde ich auf jeden Fall bestraft werden.

War ich denn so naiv gewesen, zu glauben, dass ich meinen goldenen Käfig auch nur für einen Augenblick verlassen könnte? Der harte Blick meines Vaters würde mich überall finden und niemals loslassen. Selbst in einer so großen Stadt wie Berlin konnte ich dem König nicht entkommen und es war vermessen von mir, das auch nur zu denken. Der König der Nereide war ein eifersüchtiger und stolzer Mann, der jeden Schritt seiner Kinder im Auge behielt. Denn er würde uns nie verzeihen, wenn wir seinem hohen Ansehen in irgendeiner Weise schaden würden.

Oh, große Mutter, ich musste diesen Ring einfach wiederfinden!

Vertieft in meine Gedanken ließ ich ein paar Wassertropfen auf mein Knie fallen und wischte sanft darüber. Die Wunde schloss sich und heilte ab. Zurück blieb nur meine makellose Haut.

Und wenn Thomes und seine Kumpanen etwas mit dem verschwundenen Ring zu tun hatten?

Mein blasses Spiegelbild schaute mich besorgt an, konnte mir aber nicht weiterhelfen.

Jetzt mach aber mal einen Punkt, mischte sich wieder meine innere Stimme ein, aus Angst vor deinem Vater solltest du nicht voreilig irgendwen beschuldigen. Vor allem nicht diesen süßen Kerl.

Bitte, was? Süßer Kerl?

Wenn ich eins und eins zusammenzählte, dann befand sich der Club in den Händen von Werwölfen und Thomes war mit großer Sicherheit einer von ihnen.

Matteo, eine der Leibwachen meines Vaters, war der einzige Werwolf am Hof der Nereide. Er hatte mir einmal seine Selbstheilung demonstriert, indem er sich vor meinen Augen den halben Arm aufgeschlitzt hatte. Nach Sekunden war die blutende Wunde verschwunden und er hatte mich eindringlich vor seiner eigenen Art gewarnt. Werwölfe galten als brutal und roh, mehr Tier als Mensch und wurden vom Meervolk gern als blutrünstige Soldaten eingesetzt.

Die Umschreibung süß passte also ganz bestimmt nicht auf Thomes.

Na gut. Ich straffte meine Schultern und hob mein Kinn. Immerhin war ich keine x-beliebige Discoschönheit. Ich war eine waschechte Prinzessin, wohlerzogen und hatte gelernt, niemals aufzugeben. Es war an der Zeit, dieser schrecklichen Nacht ins Auge zu blicken, schließlich konnte ich nicht ewig in diesem kleinen Badezimmer bleiben.

So gut es ging, richtete ich mein Äußeres wieder her, bis ich mit dem Ergebnis leidlich zufrieden war. Dann zwinkerte ich meinem Spiegelbild zu und erlaubte mir einen letzten kleinen Seufzer.

Mein Plan stand fest. Ich würde Thomes gefasst entgegentreten und sobald wir meinen Ring gefunden hatten, würde ich mich würdevoll von ihm verabschieden. Vielleicht konnte er dann manchen peinlichen Moment mit mir einfach vergessen. Danach würde ich mit meiner Schwester in Briks Auto steigen und meinen Vater irgendwie erklären, dass der furchtbare Abend nicht allein meine Schuld gewesen war. Ich würde tapfer meine Strafe auf mich nehmen und Thomes niemals wieder sehen müssen. Er war nur ein Werwolf und ich würde ihn auf keinen Fall in eine persönliche Angelegenheit des königlichen Hofs hineinziehen, also brauchte er auch nicht alles über mich zu erfahren.

Das klang doch ganz vernünftig, oder?

Kurz vor der Tür blieb ich stehen. Es war seltsam, aber ich spürte genau, wie Thomes im Nebenraum auf mich wartete. Dieses Gefühl brachte mein Herz zum Hüpfen und eine völlig unangebrachte Freude breitete sich spontan in meiner Brust aus, nur weil ich diesen einen Mann gleich wiedersehen würde.

Wie schrecklich!

Mit aller Macht wischte ich den Gedanken fort und konzentrierte mich lieber auf den kostbaren Ring der Nymphen und die Furcht vor meinem Vater. Würdevoll legte ich meine Hand auf die kühle Türklinke und atmete ein letztes Mal tief durch, bevor ich sie öffnete.

Das Büro war hell erleuchtet. Die russische Frau und die Zwillinge saßen an der kleinen Bar und sprachen leise miteinander. Die drei ignorierten mein Eintreten und nippten weiter an ihren Drinks. Brik saß daneben und drückte ein Handtuch mit Eis an seinen Kopf. Mein erster Impuls war, zu ihm zu gehen, um mich um seine Wunden zu kümmern, aber meine strenge Erziehung verbot mir diese Art der Gefühlsaufwallung vor Dritten. Ich hob lediglich meinen Kopf in seine Richtung. Brik kannte das königliche Protokoll und schaute nur kurz zu mir auf. Er war seit Jahren an meiner Seite und sah sofort wie hin und her gerissen ich mich fühlte. Sein Blick wurde ganz kurz ein wenig weicher und etwas Dankbares lag darin. Dann blickte mich wieder der Krieger in ihm an und er nickte mir kaum merklich zu. Ich war erleichtert, es ging ihm gut.

Mein Blick glitt zu Thomes. Er saß auf dem schwarzen Ledersofa und verfolgte auf dem riesigen Bildschirm die verschiedenen Bilder aus dem Club. Er drehte sich zu mir um und winkte mich lässig zu sich heran.

„Bitte setz dich.“