Die neuen Paten - Jürgen Roth - E-Book

Die neuen Paten E-Book

Jürgen Roth

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Beschreibung

Wenn Mafiamethoden offizielle Regierungspolitik werden
Sie sind die »neuen Paten«: rechtspopulistische und rechtsradikale Politiker wie Viktor Orbán in Ungarn, Recep Tayyip Erdogan in der Türkei, Wladimir Putin in Russland, Donald Trump in den USA. Ihr Ziel: eine neue politische Ordnung. Ihr ideologisches Arsenal: Nationalismus, Rassismus und Religion. Sie sind demokratisch gewählt, doch sie unterwerfen den Staat und seine Institutionen, um sich selbst, ihre Familien und Gefolgsleute hemmungslos zu bereichern – mit Mafiamethoden. Die Grenze zwischen den klassischen Aktivitäten des Staates und denen des organisierten Verbrechens verschwimmt, Mafia-Staaten entstehen. Weit nach Deutschland hinein reichen die Verbindungen: Hier werden Allianzen geschmiedet, Geschäfte gemacht, Profite eingestrichen. Erstmals deckt Jürgen Roth die Strukturen und Hintergründe auf – und die Verflechtungen dieser autoritären Herrscher mit der Mafia und der organisierten Kriminalität.

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Seitenzahl: 349

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Zum Buch

Sie sind die »Neuen Paten«: autoritäre Politiker wie Donald Trump in den USA, Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei, Wladimir Putin in Russland, Viktor Orbán in Ungarn. Was sie verbindet, sind ihre Methoden und Ziele: Sie installieren eine neue politische Ordnung mit Mitteln, die fatal an Mafia-Strategien erinnern.

Im Namen von Nation und Glaube schalten sie Recht, Gesetz und die staatliche Ordnung gleich – und spinnen im Verborgenen ein Netzwerk zur persönlichen Bereicherung. Jürgen Roths verstörende Recherche gilt einer Politikerkaste, die ihr Amt als Lizenz zur schrankenlosen Selbstbedienung versteht und die staatlichen Institutionen nach dem Vorbild des organisierten Verbrechens umstrukturiert. Mafiamethoden und ein mafioses System werden sozusagen offizielle Regierungspolitik.

Mit den Worten von Norman Eisen, Ethikanwalt des früheren US-Präsidenten Barack Obama, der über die Regierung von Donald Trump sagte: »Wie ein Krebsgeschwür greift die Vorstellung um sich, die Regierung zu nutzen, um sich persönlich zu bereichern.«

Das Bestürzende: Auch in anderen Ländern, unter anderem in Frankreich, Österreich, Deutschland, sind Politiker im Aufwind, die Putin, Trump oder Orbán zum Vorbild haben und die Demokratie zerschlagen wollen. Jürgen Roths eindringlicher Appell: Stoppen wir die Neuen Paten – und ihre Nachahmer!

Zum Autor

Jürgen Roth, 1945–2017, war einer der bekanntesten investigativen Journalisten in Deutschland. Seit 1971 veröffentlichte er brisante TV-Dokumentationen und aufsehenerregende Bücher über Politik, Korruption und Kriminalität. Zuletzt erschienen von ihm Gangsterwirtschaft, Der stille Putsch und Der tiefe Staat, die allesamt Bestseller waren. Er starb kurz vor Erscheinen von Die Neuen Paten.

JÜRGEN ROTH

DIE NEUEN

PATEN

Trump, Putin, Erdoğan, Orbán & Co. –

Wie die autoritären Herrscher

und ihre mafiosen Clans

uns bedrohen

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Copyright © 2017 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Thomas Bertram

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie, Zürich, unter Verwendung von Fotos von © Ullstein Bild – Reuters / Jonathan Ernst; © Ullstein Bild – Reuters / Pool; © Ullstein Bild – Popow und © Ullstein Bild – Probst

Satz: Leingärtner, Nabburg

e-ISBN: 978-3-641-22051-8V001

www.heyne.de

Inhalt

Einführung

1. KAPITEL

Über den Mutationsprozess der italienischen Mafia zur Regierungsmacht

Neun Thesen über die Neuen Paten

Indizienlage und Beweise

Die Familie als Macht- und Bereicherungsoption

2. KAPITEL

Donald Trump – über Geheimnisse, die eigentlich keine mehr sind

Einblicke in die große Familie des Neuen Paten

Wenn eigene Profitinteressen das politische Handeln bestimmen

Die ökonomisch-politische Echokammer der Multimilliardäre unter Trump

Der Handelsminister, die russischen Freunde und die Deutsche Bank

La Cosa Nostra und der unaufhaltsame Aufstieg des Donald Trump

Die Kugel rollt in Atlantic City

Trumps Verbindungen zu russischen Größen der Organisierten Kriminalität

Die Wege russischer Paten nach Washington

Eine Hand wäscht die andere – Trumps russische Freunde im Präsidentschaftswahlkampf

Rechtsradikale Einflüsterer

3. KAPITEL

Wladimir Putin, einer der Neuen Paten?

Die Geschichte eines Generalstaatsanwalts und seiner Söhne

»Mein Herz schlägt für Putin«

Kriminelle Autoritäten der Sowjetunion – die Spitzel des KGB

Die Familie des Neuen Paten

Die Verbindungen der Tambowskaja-Organisation

Der mächtige Clan von Osero

Spanien, die Operation Troika und das Netzwerk des Neuen Paten

Verbindungen russischer Krimineller nach Deutschland

Mafiamethode räuberische Erpressung

Das Prinzip Loyalität oder Der Lohn für bedingungslosen Gehorsam

4. KAPITEL

Viktor Orbán – der Neue Pate aus Europa

Die Erfolge des ungarischen Mafiasystems

Die unheimliche Wandlung vom Putin-Gegner zum Putin-Freund

Eine mutige Stimme meldet sich zu Wort

Das mafiose System der Spaltung der Gesellschaft

Die Feinde der Familie werden ausgeschaltet

5. KAPITEL

Der islamistische Neue Pate – Recep Tayyip Erdoğan

Der unaufhaltsame Aufstieg des Neuen Paten

Die engen Familienbande

Mafiamethode systematischer Raubzug

Der unheilvolle 17. Dezember 2013

Der ultimative Mafiakrieg

Der Fall des Goldhändlers und Freundes der Familie Rezza Zarrab

Die Helfershelfer des Neuen Paten aus den USA

6. KAPITEL

Ein notwendiger Rückblick nach Italien, um die Gegenwart und die drohende Zukunft zu verstehen

Der Fall Giovanni Zumba – die Mafia und die Nachrichtendienste

Die Spuren von Crimine nach Deutschland

Der Gordische Knoten oder die Graue Zone

Müll und seine giftigen Verbindungen – ein Fallbeispiel für die Graue Zone

Mafia, Rechtsextremismus und die Neuen Paten

Nachtrag

Quellenverzeichnis

Einführung

»Sizilianisch und italienisch mögen das Licht, die Farbe sein, aber die Substanz (wenn sie da ist) will etwas über die Macht aussagen. Über die Macht, die immer undurchsichtigere Formen der Verflechtungen annimmt, wie sie in gewisser Weise für die Mafia eigentümlich sind.«1

Unbestritten sind es märchenhafte Erfolgsgeschichten über historisch gewachsene, patriarchalisch strukturierte Familienkartelle mit internationalem Renommee. Eingeweihte erinnern sich zum Beispiel an den 20. August 2015. Am frühen Mittag wurde ein eher entfernter Verwandter solch eines Familienkartells in Rom pompös zu Grabe getragen. Der Sarg thronte in einer goldverzierten Kutsche, die von sechs rabenschwarzen Pferden gezogen wurde. Den Verkehr regelte die Polizei. Vor der Basilica di San Giovanni Bosco hatte sich bereits eine kaum überschaubare Trauergemeinde versammelt, und ein Hubschrauber ließ ein Meer von roten Rosenblättern über die Trauernden regnen. Derartige öffentliche Inszenierungen der Ehrerbietung sind den engeren Kreisen des Familienkartells heutzutage jedoch eher lästig. Sein Topmanagement predigt den Familienangehörigen vielmehr vornehme Zurückhaltung, der nachhaltigen Wertsteigerung des Familienkartells zuliebe. Kein anderer internationaler Konzernvorstand ist fähig, direkt oder indirekt eine derart mächtige globale Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, unabhängig von der politischen Ausrichtung, anzubieten: Die Familienkartelle schaffen »Arbeit« für Heerscharen von Journalisten und Schriftstellern, Wissenschaftlern, kleinen und großen Gangstern, Regierungschefs, Abgeordneten, Staatsanwälten, Richtern, Polizisten, Anwälten, Bankern, Geistlichen sowie kleinen und multinationalen Subunternehmen. Alle diese Personen sind entweder mit oder in diesen Familienkartellen beschäftigt. Geradezu genial ist, wie es Letzteren in der Vergangenheit gelang, sich durch trivialste Mythen in Büchern oder Hollywood-Filmen glorifizieren zu lassen.

Die interne Kultur des Schweigens der Familie bietet Schutz und Sicherheit einerseits und garantiert andererseits den Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern, dass die zweifellos anrüchigen kriminellen Machenschaften häufig unentdeckt bleiben. Dazu wurden in der Vergangenheit Richter und Staatsanwälte, aber auch zahlreiche Journalisten, die sich kritisch mit diesen Familienkartellen beschäftigten, demonstrativ in die Luft gesprengt oder erschossen.

Die Rede ist, wie leicht zu erraten, von den italienischen Mafien, sprich der Cosa Nostra aus Sizilien, der ’Ndrangheta aus Kalabrien und ansatzweise der Camorra aus Kampanien. Es handelt sich um hochgefährliche kriminelle Organisationen, die zugleich aber auch immer wieder reichlich Stoff für gruselige Märchenerzählungen bieten, insbesondere wenn es darum geht, den Einfluss der Mafien als Organisationen in Deutschland nachzuweisen. So behauptete eine italienische Krimiautorin, die gerne im deutschen Fernsehen präsentiert wird: »In Deutschland ist es so, dass die Mafia ihre Kontakte zu Politikern pflegt, und zwar auf höchster Ebene, auch zu Justizministern, Innenministern einzelner Länder.«2 Das ist schlichtweg Unsinn. Denn es gibt nicht den Hauch eines Beweises für diese gewagte These – die sich natürlich gut verkauft. »Dummes Zeug ist das«, lautete denn auch der Kommentar von Jürgen Maurer.3 Der ehemalige Vizedirektor des Bundeskriminalamtes (BKA) war in seinen letzten Amtsjahren mitverantwortlich für den Kampf gegen die italienische Mafia.

In der Tat wird »die Mafia« (als ob es nur eine gäbe) meist als rein italienische mörderische kriminelle Organisation präsentiert, sozusagen als Reinkarnation des Bösen, was für Italien zweifellos zutrifft. Ihre Gegner seien die tapferen staatlichen Sicherheitsorgane, welche die Mafia durch Polizei und Justiz mal mehr, mal weniger erfolgreich in die Schranken eines demokratischen Rechtsstaates verweisen. Kurz: Dem wehrhaften, in jeder Beziehung sauberen demokratischen Staat stehen die jegliches Legalitätsprinzip mit Füßen tretenden Kriminellen gegenüber. Eine These, die für die Regierungszeit von Silvio Berlusconi ziemlich gewagt war. Er war immerhin viermaliger Ministerpräsident und begann seine Karriere als Immobilienmakler. Entspricht also das klassische Schwarz-Weiß-Bild von den Guten auf der einen und den Bösen auf der anderen Seite der Realität? Zweifel sind angebracht.

Denn was ist, wenn das mafiose System in einigen Regierungen längst zum Herrschaftsinstrument mutiert ist, wie es bei einzelnen, selbst bei demokratisch gewählten Regierungen offensichtlich bereits der Fall ist? Diese Entwicklung jedoch, die ja einen bedeutenden qualitativen Sprung der Methode Mafia bedeuten würde, wird – wegen weitreichender wirtschaftlicher und politischer Konsequenzen – systematisch ausgeblendet. Um sich nicht mit ihr auseinandersetzen zu müssen, finden immer wieder Tagungen hochkarätiger Staatsanwälte und Ermittler statt, die sich kritisch mit der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität beschäftigen.

Attraktiver sind solche Tagungen, wenn die italienische Mafia im Mittelpunkt steht und in so einem Fall sogar hochkarätige Politiker teilnehmen, wie etwa am 12. Juli 2017 in Berlin. Mitorganisiert wurde die Veranstaltung in der italienischen Botschaft von der angesehenen Initiative »Mafia? Nein Danke«. Anwesend war diesmal Bundesinnenminister Thomas de Maizière von der CDU. Man werde den Kampf gegen die Mafia noch wirkungsvoller führen, verkündete er unter dem Beifall der Anwesenden. Dabei drängte sich der Eindruck auf, dass bei diesen sicher begrüßenswerten Bekenntnissen ein zentraler Aspekt außer Acht gelassen wurde: dass erst die fehlende demokratische Kultur es Mafien erlaubt, sich in der Gesellschaft einzunisten.

»Jeder ökologische oder menschenrechtliche Standard kann unterschritten werden, wodurch sich die Gewinnmarge erhöht. Wenn aus diesem Gewinn einmal der Kontrolleur des Standards mitbezahlt wird, dann kann man das Korruption nennen. Wenn sich solche Systeme aber langfristig etablieren, inklusive des Reinvestments des schmutzigen Geldes, dann entstehen mafiose Systeme.«4

Thomas de Maizière ist bekanntlich Repräsentant der sächsischen CDU, und sein Wahlkreis ist die sächsische Stadt Meißen, »die Heimat meines Herzens«.5 Seit der Wende herrscht in Sachsen ununterbrochen die CDU. Sie hat seitdem ein mafioses Netzwerk von Beziehungen geschaffen und die meisten Posten im Bildungsbereich, bei Polizei und Justiz mit loyalen Parteifreunden besetzt. »Alle wichtigen Funktionen im Land, angefangen beim Hausmeister einer Schule bis zum Ministerialdirigenten, wurden mit Besitzern eines ›Gesangbuches‹ besetzt«, klagte Karl Nolle, der langjährige SPD-Landtagsabgeordnete.6 Dementsprechend wenig ausgeprägt ist eine lebendige demokratische Zivilgesellschaft. Die Folgen sind bekannt. Rechtsradikale Bewegungen haben in Sachsen einen sicheren Hafen gefunden. Da darf man schon die Frage stellen, ob ein Mafioso, der schlichtweg als Krimineller agiert, für eine demokratische Gesellschaft wirklich so gefährlich ist.

*

Tatsächlich wissen wir in Deutschland wie auch im übrigen Europa so gut wie nichts (oder wollen nichts wissen) über die tatsächliche Macht und den gegenwärtigen realen Einfluss der internationalen mafiosen Organisationen sowohl auf politische Entscheidungsträger, auf die nationale und die globale Wirtschaft als auch auf die kulturellen, sozialen und gesellschaftlichen Strukturen, die den Erfolg der Mafien als Organisationsform überhaupt erst ermöglichen. Vielleicht liegt das daran, dass die Mafien schon längst Teil unserer »gemeinsamen sozialen und wirtschaftlichen Familie sind«?7 Für Umberto Santino, den Gründer eines Dokumentationszentrums über die Mafia, des Centro Siciliano di Documentazione Giuseppe Impastato in Palermo, ist die Mafia ein Beziehungssystem, das alle sozialen Klassen umgreift.

»Beherrscht wird das Beziehungssystem jedoch von den legalen und illegalen Akteuren, die den meisten Reichtum und die meiste Macht besitzen. Das heißt auch, dass die Mafia ein politisch-institutionelles Wesen ist, das sowohl Eigenmacht ausübt als auch die territoriale Herrschaft und Kontrolle. Sie interagiert mit Teilen der Institutionen und der Politik.«8

Diese Aussage belegen Untersuchungen aus jüngster Zeit über die Unterschiede zwischen älteren und neueren Funktionsweisen der Mafien. Analysiert wurden die Mafien von dem Turiner Soziologen Rocco Sciarrone in Zusammenarbeit mit dem Istituto di Ricerca Economia e Società in Sicilia (RES) in Palermo. Der Studie zugrunde liegen Fallbeispiele aus bestimmten Wirtschaftsbereichen, wie etwa erneuerbare Energien; Supermärkten, Logistik und Verteilung; Gesundheitswesen und Müllentsorgung, wobei vor allem die Teilnehmer an öffentlichen Ausschreibungen unter die Lupe genommen wurden.

»Unsere Forschungen belegen, dass es zurzeit irreführend wäre, nur von einer ›Infiltration‹ der Mafien in die legale Wirtschaft zu sprechen; vielmehr wächst eine Art geschäftlicher Beziehungsgeflechte ständig weiter an, die aus Kollusion und gegenseitiger Durchdringung zwischen Mafiosi und Personen aus der Grauen Zone bestehen. In einer Situation, die aus wirtschaftlicher Sicht immer schwieriger wird, gibt es also eine wachsende Zahl von Unternehmern, die versuchen, sich durch Abmachungen an die kriminellen Mächte anzupassen. Der Austausch von Gefälligkeiten im Verborgenen und kollusive Abmachungen werden so schlichtweg zu einer Form der Marktteilnahme und in manchen Fällen zur einzig möglichen Art wirtschaftlichen Überlebens.«9

*

In Deutschland spricht man, wenn es um solche Beziehungssysteme geht, eher verharmlosend von der Pflege der politischen Landschaft oder von Lobbyismus, und es ist in der Tat eine farbenfrohe, blühende Landschaft, die da in Berlin, München oder Brüssel zu beobachten ist. Bei den Beziehungssystemen im Zusammenhang mit den Mafien geht es jedoch nicht um Klientelismus und Kleptokratie, um irgendeinen Klüngel, wie in Köln, oder um das Schmieren politischer Freunde in Regierungsverantwortung. All dies ist inzwischen in Europa wie auch in Deutschland längst Teil der politischen Kultur. Klaus-Dieter Matschke, ehemaliger Kriminaloberrat und Spezialist für die Aufklärung von Wirtschaftskriminalität, sagt: »Das haben wir hier doch von den Italienern gelernt. Das Anfüttern von Politikern, das so lange betrieben wird, bis ein Abhängigkeitsverhältnis entstanden ist.«10 Darüber ist viel geschrieben worden, ohne dass es bislang zu strukturellen Konsequenzen gekommen wäre.

Dabei genügt bereits ein Blick in die jüngere deutsche Geschichte, um zu erkennen, dass etwa in Bayern sämtliche Strukturen eines quasi mafiosen Systems vorhanden waren beziehungsweise immer noch sind. Es geht um die Regierungszeit des früheren bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß von 1978 bis zu seinem Tod 1988. Danach führten die Ministerpräsidenten Edmund Stoiber und jetzt Horst Seehofer diese Tradition fort. Wilhelm Schlötterer, in den Achtzigerjahren Bayerns oberster Steuerfahnder, beschreibt dieses System folgendermaßen: »Als Ministerpräsident war Strauß in Bayern allmächtig. Ging es um seine Interessen, hatten Steuerverwaltung und Justiz zu kuschen. Seine Minister duckten sich vor ihm. […] Strauß war der skrupelloseste und gierigste Politiker seit Bestehen der Bundesrepublik.«11

Gnädig wird heute der Schleier des Vergessens über seine Politik gelegt, und der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer preist ihn in den höchsten Tönen. Während der autoritär-nationalistische Strauß einst mit Diktatoren liebäugelte, sind es heute die CSU und Horst Seehofer, die ein besonderes, delikates Verhältnis zu nationalistisch-rechtspopulistischen Regierungschefs pflegen, wie etwa zu dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Dass Horst Seehofer den US-Präsidenten Donald Trump nach dessen Amtseinführung lobte, ist da nur konsequent: »Er setzt mit Konsequenz und Geschwindigkeit seine Wahlversprechen Punkt für Punkt um. In Deutschland würden wir da erst mal einen Arbeitskreis einsetzen, dann eine Prüfgruppe und dann noch eine Umsetzungsgruppe.«12

*

Beschäftigt man sich intensiver mit mafiosen Beziehungssystemen, stößt man unweigerlich auf Pietro Grasso. Er war von 2008 bis 2012 Leiter der Nationalen Antimafia-Staatsanwaltschaft und ist inzwischen Präsident der zweiten Kammer des italienischen Parlaments, des Senats: »Die Mafiamethode, die illegalen Begünstigungen Vorschub leistet und Wettbewerb verhindert, wurde in einigen Grenzgebieten von Politik und Wirtschaft abgekupfert, wo räuberische Geschäftemacher-Cliquen wie Pilze aus dem Boden schießen.«13

Und ein ehemaliger Capo der Cosa-Nostra-Familie Gambino in den USA meinte, ohne sich direkt auf US-Präsident Trump zu beziehen: »Die Mafia hat die gleiche Machtstruktur wie eine Regierung oder ein Unternehmen. In allen drei Organisationen ist die gleiche Cleverness nötig, um nach oben zu kommen.«14 Gianfranco Donadio, der erfahrene Anti-Mafia-Staatsanwalt, konstatierte deshalb: »Wir erleben momentan das Jahrhundert der Mafien, und das ist sicher kein italienisches, sondern ein globales Problem.«15

1. KAPITEL  Über den Mutationsprozess der italienischen Mafia zur Regierungsmacht

1. KAPITEL

Über den Mutationsprozess der italienischen Mafia zur Regierungsmacht

Zahlreiche Indizien belegen nicht nur den qualitativen Sprung, sondern auch die Mutation der klassischen Mafia hin zu einer politischen Formation. Wenn eine mafiose Organisation, schreibt die Soziologin Kim Lane Scheppele von der Princeton-Universität in New Jersey in Bezug auf den EU-Mitgliedsstaat Ungarn,

»sich von der Unterwelt zur Oberwelt wandelt und selbst den Staat kontrolliert, benutzt der entstandene Mafiastaat seine neu erworbene Macht und entwickelt sie nach den Prinzipien einer Mafia – sie hält ihre eigenen Mitglieder mit rigoros durchgesetzten Disziplinarmaßnahmen in Schach, belohnt sie mit den Insignien der Macht, und sie bedroht ihre Feinde mit Strafverfolgung, Haftungsverfahren, Steuerprüfung, Enteignung, Verweigerung von Arbeitsmöglichkeiten, Überwachung und sogar, verschleiert, mit Gewaltanwendung«.16

Tatsächlich finden sich aufschlussreiche Übereinstimmungen zwischen den klassischen italienischen Mafien und den Neuen Paten.

»Ein Charakteristikum der italienischen Mafien, nicht nur der ’Ndrangheta, ist schließlich, dass sie kriminelle Vereinigungen sind, die nicht nur auf die Vermehrung von Reichtum aus sind, sondern auch auf die Ausübung von Macht. Es ist allgemein bekannt, dass sich die Mafiosi schon immer dadurch ausgezeichnet haben, dass sie traditionelle Werte zu manipulieren und instrumentalisieren wussten, mit dem Ziel, gesellschaftlichen Konsens und Legitimation zu erreichen.«17

Erste diesbezügliche Entwicklungen in Westeuropa haben sich seit geraumer Zeit abgezeichnet. So heißt es in einem Analysebericht des Bundesnachrichtendienstes (BND) über die Balkanländer vom 22. Februar 2005:

»Kennzeichnend für multifunktionale Personen mit politischer Ausrichtung ist, dass sie sich nicht selbst die Hände schmutzig machen, sondern ihren Einfluss in der ›Unterwelt‹ zur Durchsetzung ihrer Interessen nutzen. Sie schaffen durch ihre Beziehungen in Politik, Wirtschaft und bei den Ordnungskräften (Militär, Nachrichtendienste, Exekutivorgane) für die Mafia Freiräume und Zugänge zu deren klassischen Betätigungsfeldern.«

Demnach strebten damals maßgebliche Akteure auf dem Balkan entweder in hohe Regierungs- oder Parteiämter und/oder pflegten gute Beziehungen zu diesen Kreisen. Der Bericht spricht von der »Multifunktionalität« dieser Personen, die zwischen höchsten Regierungskreisen, militärischen und dominierenden Führungsstrukturen der Organisierten Kriminalität angesiedelt sind. Heute sind sie nicht mehr »zwischen höchsten Regierungskreisen« angesiedelt. Sie tragen jetzt Regierungsverantwortung wie Hashim Thaçi oder Ramush Haradinaj im Kosovo, sie sind bei Staatsempfängen in Brüssel ebenso zu bewundern wie in Deutschland oder Österreich, und hin und wieder werden sie sogar hofiert.

Die renommierte Kriminalitäts- und Terrorismusforscherin Louise I. Shelley spricht in Bezug auf transnationale kriminelle Gruppen von der Konzentration und Fusion politischer und krimineller Macht. »Sie sind Teil einer neuen Regierungsführung und ersetzen manchmal den Staat. Sie kamen an die Macht, nachdem der Nationalstaat geschrumpft war und multinationale nichtstaatliche Akteure, multinationale Konzerne und Organisationen, Macht und Einfluss gewonnen hatten.«18

Bislang wird diese Fusion von politischer und krimineller Macht eher zurückhaltend als neuer Autoritarismus umschrieben. Dabei wäre es viel ehrlicher, wenn man im Falle einiger mächtiger Regierungschefs endlich eindeutige und unmissverständliche Einordnungen vornähme und sie so klar benennen würde, dass kein politisch korrekter Interpretationsspielraum mehr möglich ist. Diese Regierungschefs sind die Neuen Paten, die Capo dei Capi in Regierungsverantwortung. Sie spiegeln sowohl die Familienstrukturen der klassischen Mafien als auch – durch die gelungene Fusion von politischer und krimineller Macht – die Mafiamethoden wider. Die staatlichen Institutionen instrumentalisieren sie für den eigenen Machterhalt. Sie lassen Gesetze verabschieden, um das Illegale zu legalisieren. Sie schalten die Exekutive und Judikative gleich, um ihre Macht zu zementieren und sich und die Familie hemmungslos zu bereichern. »Wie ein Krebsgeschwür greift die Vorstellung um sich, die Regierung zu nutzen, um sich persönlich zu bereichern«, klagte Norman Eisen, der Ethik-Anwalt von Ex-US-Präsident Barack Obama.19 Er bezog sich dabei auf die neue US-Regierung unter Donald Trump.

Dabei ist die »Vorstellung, die Regierung zu nutzen, um sich persönlich zu bereichern«, nicht nur in den USA längst Realität, sondern auch in Ländern, in denen es im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten keine unabhängige Justiz und kaum oder nur wenige unabhängige Medien gibt. In den USA funktioniert das System der Checks and Balances noch, obwohl der neue Amtsinhaber im Weißen Haus alles daransetzt, dieses Herzstück einer funktionierenden Demokratie auszuhebeln. Bei den von mir ausgewählten Regierungschefs, die das System Mafia beispielhaft in die politische Praxis umgesetzt haben (oder dabei sind, es zu tun), handelt es sich um drei amtierende Staatspräsidenten und einen Ministerpräsidenten. Sowohl die Ausgangspunkte als auch die Akteure sind unterschiedlich, nicht aber das Ergebnis – eine Mafia-Ordnung, die den Kapitalismus in seiner ungeschönten Realität durchsetzt.

*

Wladimir Putin in Russland, Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei, Viktor Orbán in Ungarn und Donald Trump in den USA haben das, was die Familienkartelle der Mafien erfolgreich umgesetzt haben, entweder gänzlich zur offiziellen Regierungspolitik erklärt oder sind, wie beim US-Präsidenten Trump erkennbar ist, auf dem besten Weg dorthin. Stephen Bannon, der langjährige Chefberater und ideologische Chefstratege Donald Trumps, brachte es im Februar 2017 auf den Punkt: »Wir erleben die Geburt einer neuen politischen Ordnung.«20

Neun Thesen über die Neuen Paten

1. Die Neuen Paten haben das klassische Mafiasystem als Regierungssystem übernommen und durch die Mafiamethoden den gesamten Regierungsapparat gekapert. Sie benutzen die Sicherheits- und Regierungsbehörden, insbesondere die Nachrichtendienste, als strategisches Instrument der Machtsicherung.

2. Die Neuen Paten setzen gegen ihre Gegner rigide Disziplinierungsmaßnahmen durch, bedrohen sie mit Strafverfolgung, Steuerprüfungen, Enteignungen, Überwachung und Gewaltanwendung.

3. Die Neuen Paten verteidigen den kriminellen Raubtierkapitalismus mit allen Mitteln, zum einen, um sich, ihre Familienangehörigen und loyalen Helfershelfer zu bereichern, zum anderen, um ihre Macht zu zementieren.

4. Die Neuen Paten haben den Staatsapparat nicht nur übernommen, vielmehr sind sie die Capo dei Capi des Staatsapparates geworden. Damit ihre Politik von der Gesellschaft akzeptiert wird, bedienen sie sich einer rassistischen, nationalistischen und autoritären Ideologie. Daher sind auch die Neuen Paten, wie die italienischen Mafien, eng mit rechtsextremen Bewegungen und Parteien verbunden.

5. Beide Systeme, das der klassischen Mafien und das der Neuen Paten, regieren mit der Angst ihrer Untertanen und sind zutiefst undemokratisch. Beide zeichnen sich durch ein ihrem Wesen nach elitäres, antidemokratisches und dem Gleichheitsgrundsatz widersprechendes Grundmuster aus.

6. Wie die klassischen Capo dei Capi benötigen auch die Neuen Paten zwangsläufig Menschen, die sich ihrem Willen bedingungslos unterwerfen, aus Angst oder aufgrund von Abhängigkeit.

7. Die Neuen Paten beenden sowohl die bisherige, anarchistisch organisierte Korruption als auch die Aktivitäten diverser krimineller Organisationen. Sie ersetzen sie durch einen zentralisierten, weitgehend legalisierten Tribut, der an die Neuen Paten zu entrichten ist.

8. Die Neuen Paten waren auf unterschiedliche Art und Weise mit kriminellen Organisationen verbunden beziehungsweise sind es nach wie vor. Sie gewähren diesen traditionellen kriminellen Organisationen so lange Schutz, wie letztere die Herrschaft der Neuen Paten bedingungslos akzeptieren und ihnen zu Diensten sind.

9. Die Neuen Paten verschanzen sich hinter ihrer eigenen Wahrheit, die nicht angezweifelt werden darf. In ihrem Kosmos sorgen sie dafür, dass ihre Wahrheit von der Mehrheitsgesellschaft als die alleinige Wahrheit kritiklos übernommen wird. Wer ihr widerspricht, wird gnadenlos als Feind bekämpft.

Indizienlage und Beweise

Kann man tatsächlich die These vertreten, dass die Regierungsapparate (etwa Russlands, der Türkei, Ungarns und eben ansatzweise der USA) von einem Paten und dessen Clan übernommen wurden? Und dass dieser Pate und seine Leute durch eine Kombination von Zuneigung und Angst große Teile der Bevölkerung an sich gebunden, ja sogar einen gesellschaftlichen Konsens geschaffen haben? Werden selbst demokratisch gewählte Regierungen mit klassischen italienischen Mafiamethoden gesteuert? Ist das Merkmal dieser Regierungen ein hoch entwickeltes, hierarchisches Pyramidensystem, an dessen Spitze Familien/Clans wie die von Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei, Wladimir Putin in Russland, Donald Trump in den USA und Viktor Orbán in Ungarn stehen? Und wenn ja, welche Teile dieses Systems sind deckungsgleich mit dem der traditionellen Mafien?

Jürgen Maurer, von 2010 bis 2013 Vizepräsident des Bundeskriminalamtes, der über enge Kontakte zu ausländischen Regierungen verfügt, gab mir dazu Folgendes zu Protokoll: »Die Mafia ist für einige Regierungen das absolute Vorbild, sowohl in ihrer Form wie in der Tendenz der politischen Gestaltung. Wie bei der Mafia wird versucht, die administrativen Vorgänge mit der Absicht zu kontrollieren, stabile Verhältnisse zur Machtsicherung zu schaffen.«

Der ehemalige Kriminaldirektor Uwe Kranz, bis 2007 bei Europol zuständig für Osteuropa und Südosteuropa und seitdem Berater von Regierungen und Privatwirtschaft zum Thema Organisierte Kriminalität, pflichtete Maurer bei: »Genau das ist der heutige Zustand, diese Einheit von Politik, Wirtschaft und Organisierter Kriminalität in bestimmten Regierungen. Das ist doch bekannt, aber man will es bei uns einfach nicht wahrnehmen.«21

Noch konkreter äußerten sich Personen, die in Italien selbst seit Jahrzehnten Erfahrungen mit den Mafien gemacht haben. Da ist zum einen der in Palermo lebende Soziologe Francesco Forgione. Er war von 2006 bis 2008 Vorsitzender der Parlamentarischen Anti-Mafia-Kommission in Rom, war als linker Politiker aktiv und ist jetzt Dozent an den Universitäten von L’Aquila und Rom. Außerdem publizierte er zahlreiche Untersuchungen zu den Mafien, insbesondere über die kalabrische ’Ndrangheta. Er kommt zu folgender Einschätzung:

»Auf der einen Seite sind die italienischen Mafien autonome kriminelle Strukturen, die ihre Macht den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Beziehungen verdanken, die sie durch ihre Einschüchterungstaktiken und die potenzielle Gewaltanwendung weiter ausbauen können. Gleichzeitig sind wir gerade Zeugen von Formen eines weltweiten autoritären Populismus, der auf Angst und Schrecken baut, inklusive der Kriminalisierung jeglicher Art von Opposition und/oder anderer Meinung.«22

Meine These stimme, so Forgione, wenn darüber hinaus folgende Sachverhalte zuträfen: »Die Kontrolle der Massenmedien, ein Polizei- und Sicherheitsapparat ohne jegliche demokratische Kontrolle; wirtschaftliche Entscheidungen, die nicht den demokratischen, sondern kriminellen Regeln folgen.« Denn genau diese Elemente seien in verschiedenen Phasen der italienischen Geschichte im Falle der Mafien nachgewiesen worden, insbesondere was den »institutionellen Schutz der Mafien und den damit verbundenen gesellschaftlichen Konsens betrifft«. Allerdings gelte es zu differenzieren: »Das Wichtigste ist, die Mafia strikt vom kriminellen Phänomen der Korruption oder undurchsichtigen Finanztransaktionen zu unterscheiden, auch wenn sie häufig mit Aktivitäten der Mafia verbunden sind.« Denn diese Erscheinungen sind in allen demokratischen und autoritären Systemen mehr oder weniger an der Tagesordnung.

Die gleiche Frage wie Francesco Forgione stellte ich auch Michele Prestipino, unbestritten einer der kenntnisreichsten italienischen Anti-Mafia-Staatsanwälte. Wenn er nicht gerade zu Ermittlungen unterwegs ist (stets begleitet von vier Personenschützern), arbeitet er in der schmucklosen Cittadella Giudiziaria in Rom. Auf dem Weg zu ihm drängt sich beim Gang über die langen Gänge der Eindruck auf, dass hier seit den Sechzigerjahren nichts renoviert wurde. In seinem Büro hängt an einer Wand ein großes Plakat. »Wanted. Bernardo Provenzano.« Der einst berüchtigte Capo dei Capi der sizilianischen Cosa Nostra ist für mindestens 50 Morde verantwortlich. Am 11. April 2006 wurde er verhaftet. Prestipino war damals als Staatsanwalt in Palermo maßgeblich an den Ermittlungen gegen Provenzano beteiligt. Seit 2013 ist er nun Koordinator der Anti-Mafia-Staatsanwälte in Rom.

»Wir haben in Italien aufgrund der historischen, sozialen und kulturellen Situation eine andere Lage als in allen anderen Ländern, was die Kriminalität angeht. Staaten wie Russland, die Türkei oder Ungarn kann man hingegen als Para-Mafia-Staaten bezeichnen. Was exportiert wurde, ist aber nicht die Mafia, sondern es sind die Methoden unserer Mafia. Die Familie Orbán kann daher nicht mit einer italienischen Mafiafamilie gleichgesetzt werden. Sie operiert vielmehr nach Mafiamethoden, absorbierte sie.«23

Nicht weit von Prestipinos Büro entfernt, auf dem gleichen Gang, sitzt Oberstaatsanwalt Giuseppe Pignatone, sein Vorgesetzter, der noch besser geschützt wird als Prestipino. Auch Pignatone war in den Neunzigerjahren Anti-Mafia-Staatsanwalt in Palermo, danach oberster Anti-Mafia-Staatsanwalt in Reggio Calabria. Er bestätigt Prestipinos Einschätzung. Und fügt hinzu: »Sowohl die sizilianische Mafia als auch die kalabrische ’Ndrangheta haben eine einheitliche Struktur. Die Schwierigkeit beim Kampf gegen sie ist, die Verbindungen zum sozialen Umfeld nachzuweisen, ohne das die Mafia nicht überleben könnte.«24 Damit meinte er unter anderem die engen Verbindungen der Mafien beziehungsweise von deren Capi zu Unternehmern, Spitzenbeamten, Politikern, Rechtsanwälten, Richtern, Mitarbeitern des Justizministeriums und Exponenten der Gewerkschaften. Und er nennt als Beleg eine ganze Reihe entsprechender Ermittlungs- und Gerichtsverfahren, die dieses Beziehungssystem nachgewiesen hätten. Diese Verbindungen seien seit Jahrzehnten zentraler Bestandteil des italienischen Mafiasystems. Denn »die mafiose Macht würde keine territoriale Sicherheit genießen, wenn sie ohne ein wirksames Informations- und Kontrollsystem auskommen wollte, das von der Gruppe der Blutsverwandten und lokalen Freunde garantiert wird«.25 Und Anti-Mafia-Staatsanwalt Gianfranco Donadio ist sich aufgrund seiner Ermittlungen sicher, dass die »kriminellen Netzwerke auch nachrichtendienstliche Netzwerke sind. Es gibt viele und enge Beziehungen zwischen der Mafia, ob Cosa Nostra oder ’Ndrangheta, und den Nachrichtendiensten.«26

*

Der Machtapparat der Neuen Paten zeichnet sich noch durch eine weitere, ganz besondere Qualität aus: Der gesamte Regierungsapparat, die Administration, auch die Geheimdienste, werden nicht mehr nach formellen rechtsstaatlichen Regeln und im Rahmen bürokratischer Strukturen geführt, die sich durch Transparenz auszeichnen, sondern mit den Methoden und der Mentalität der klassischen Mafien.

Ein zentrales Wesensmerkmal sowohl der Mafien wie der Neuen Paten ist, dass sie über enge geschäftliche und private Beziehungen zu den traditionellen Kriminellen verfügen. In Italien duldet die Cosa Nostra inzwischen sogar andere kriminelle Aktivitäten,

»aber in den Grenzen, wie es erforderlich ist, um seine eigene Stellung zu rechtfertigen. Jedweder Versuch, die höchste Stufe der Ehrbarkeit an sich zu reißen, der möglicherweise von irgendeinem Verbrecher in die Tat umgesetzt worden ist, wird mit der Grausamkeit der mafiosen Gewalt vernichtet.«27

Anti-Mafia-Staatsanwalt Michele Prestipino sieht das ähnlich: »Heute kooperiert die Cosa Nostra auch mit anderen kriminellen Gruppen, an deren Tätigkeiten sie nicht interessiert ist, etwa mit den im Drogenhandel in Palermo aktiven Nigerianern. Die Cosa Nostra duldet das, fordert jedoch einen Anteil an den Einnahmen.« Genau nach diesem Vorbild agieren auch die Neuen Paten.

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Zwei Beispiele: In Spanien beantragte der Nationale Gerichtshof im Mai 2016 Haftbefehle gegen mutmaßliche Angehörige beziehungsweise Unterstützer russischer krimineller Organisationen. Die standen in engem Kontakt sowohl zu Staatspräsident Wladimir Putin als auch zu den wichtigsten kriminellen Organisationen in der Russischen Föderation. Der internationale Haftbefehl richtet sich unter anderem gegen einen ehemaligen Verteidigungsminister, einen General im Innenministerium und einen früheren stellvertretenden Ministerpräsidenten. In der Türkei wiederum agiert, mit Unterstützung Erdoğans, der bekannte Mafiaboss Sedat Peker. Um seine Ergebenheit gegenüber Erdoğan zu demonstrieren, erklärte Peker am 15. Juli 2017: »Ich werde alle Gegner dieses Systems aufhängen. Auch diejenigen, die in Haft sind, sollen sich vor dem Todesengel Peker nicht sicher fühlen. Ich werde die Gefängnisse stürmen und die Gegner dort töten.«28

Die Familie als Macht- und Bereicherungsoption

Als Capo dei Capi bezeichnet man gemeinhin ein führendes Mitglied der sizilianischen Cosa Nostra. Bei der kalabrischen ’Ndrangheta ist es der Capo Società. Wie sie zeichnen sich auch die Neuen Paten dadurch aus, dass sie unfähig sind, sich mit einer liberalen bürgerlichen Gesellschaft und dem demokratischen Gemeinwesen zu identifizieren. Stattdessen praktizieren sie eine Politik, mit der sie sich auf den Grenzlinien von Legalität und Illegalität bewegen können. Sie setzen ihre eigene Ordnung und ihre eigenen Regeln des Zusammenlebens durch. Und sie sind an Gewinn oder Vorteilen ausschließlich für ihren Clan, ihre Familie interessiert.

»Der gegenwärtige kalabrische und sizilianische Mafiaführer muss eine sehr große eigene Familie besitzen und zusätzlich einen großen natürlichen Verwandtschaftskreis. Die grundlegende interne Beziehung ist die biologische Verwandtschaft ersten Grades. Mit der Zeit ersetzt sie zunehmend die anderen Beziehungstypen, um das ausschließliche innere Band der modernen Mafiagruppen zu werden.« 29

Fürsorgliche Familienstrukturen und die private Bereicherung bedingen sich gegenseitig, sowohl bei der italienischen Mafia wie bei den Neuen Paten.

Auch die Neuen Paten in Russland, Ungarn, der Türkei und den USA (um nur einige zu nennen) beziehungsweise ihre Familien/Clans sind über Verwandtschafts- und Loyalitätsbindungen wie die italienischen Mafien in einer pyramidenähnlichen Ordnung miteinander verknüpft. An der Spitze steht das Oberhaupt der Familie, beispielsweise in den USA Trump, in der Türkei Erdoğan, in Russland Putin und in Ungarn Orbán. Wie bei der ’Ndrangheta geht es um Blutsverwandtschaft. In der Russischen Föderation spielt über die Blutsverwandtschaft hinaus noch die Familie der Nachrichtendienste eine zentrale Rolle, eine Bruderschaft, der man in der Regel sein Leben lang verpflichtet bleibt.

Das bedeutet, dass es in der Regel unmöglich ist, hier Personen zu finden, die der Herrschaft der Neuen Paten gefährlich werden könnten.

»Der Nationalismus des Mafiastaates richtet sich nicht gegen andere Nationen. Aber gegen diejenigen innerhalb der Nation, die nicht Teil der politischen Familie sind, sich nicht der Familie als Vasallen unterordnen, Gegner der Familie sind. Mit anderen Worten, all jene, die nicht zum ›Haushalt‹ des Paten gehören, müssen dafür die Konsequenzen tragen«,

schreibt der ungarische Soziologe Bálint Magyar über den postkommunistischen Mafiastaat.30 Er bezieht sich dabei auf Ungarn. Doch sein Befund gilt ebenso für Putin, Erdoğan oder Trump. »In diesem Sinne spricht man bei der Nation von der politischen Familie und deren Anhang.« Um ihre eigenen persönlichen Interessen zu verschleiern, propagieren die Neuen Paten daher eine nationalistische, kollektivistische Ideologie im Namen einer trügerischen sozialen Gerechtigkeit. »Den Gewinnern, also denjenigen, die zum inneren Kern gehören, fällt es leicht, diese Sprache zu entschlüsseln: ›Die Nation‹ ist in Wirklichkeit ein euphemistischer Ausdruck für die politische Familie.«31

Folgerichtig verbindet die diversen Familien der Cosa Nostra und der Neuen Paten das gemeinsame Ziel, sich und ihren Clan/ihre Familie zu bereichern, um absolute Macht zu generieren.

»Ein Don muss eine seltene Kombination an Eigenschaften besitzen. Wie der Chef einer Armee muss er mutig, aggressiv, energiegeladen, clever, einfallsreich und intelligent sein und die Fähigkeit besitzen, in seinen Untergebenen unbedingte Loyalität zu wecken. […] Er muss ein Verwalter, ein Richter, ein Politiker, ein Diplomat, ein General und ein Geschäftsmann sein.«32

Was konkret damit gemeint ist, darüber gibt das »Gesetz« der italienischen Mafia Auskunft, welches der Soziologe Nando dalla Chiesa, Sohn des am 3. September 1982 in Palermo von der Cosa Nostra ermordeten Anti-Mafia-Präfekten Alberto dalla Chiesa, folgendermaßen zusammenfasst:

»1. Meine Verbündeten sind all diejenigen, die mir ein Bündnis antragen oder es ihren Verbündeten empfehlen. Sie sind meine Freunde und achtbare Menschen. Alle anderen sind meine Feinde, und unter ihnen finde ich all die unehrenhaften Menschen. 2. Die Wahrheit gibt es nicht. Es gibt so viele Wahrheiten, wie es Parteien gibt oder Koalitionen unter ihnen. 3. Eine Situation ist gut, wenn ich an der Regierung bin oder in der Mehrheit sitze; sie ist schlecht, wenn ich mich außerhalb befinde.«33

Erinnert das nicht sehr an das Agieren etwa eines Wladimir Putin in der Russischen Föderation, eines Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei, eines Viktor Orbán in Ungarn und (mit Abstrichen) eines US-Präsidenten Donald Trump, der inzwischen das Weiße Haus als sein Familienunternehmen betrachtet?34 Wer ihre Herrschaft bedroht, ist ihr Feind – in demokratischen Staaten sind das immer die Medien und eine unabhängige Justiz. Sowohl in der Russischen Föderation als auch in der Türkei und Ungarn sind sie bereits ausgeschaltet, in Polen gibt es von Regierungsseite entsprechende Bestrebungen, die inzwischen erfolgreich sind. In den USA twitterte der neue Präsident wiederholt: »Die Fake-News-Medien sind nicht mein Feind, sie sind der Feind des amerikanischen Volkes.« Gemeint waren vor allem die liberale New York Times sowie die Fernsehsender CNN, NBC News, ABC und CBS. Vehement bekämpft Trump zudem die unabhängige Justiz. Ihm seien die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit polizeilicher Ermittlungen gleichgültig, kommentierte Christoph Scheuermann im Spiegel. Trump würde ungehemmt »in das Räderwerk von Justiz, Polizei und Geheimdiensten eingreifen, um sich zu retten. Wie notorisch er lügt und wie egal ihm demokratische Werte und Normen sind.«35

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Ob Mafiosi oder Neue Paten, gemeinsam ist ihnen, dass sie einen gnadenlosen Vernichtungswillen gegen all jene an den Tag legen, die ihre Familie/ihren Clan bedrohen. Dabei schrecken sie auch vor der klassischen Ultima Ratio, Mord, nicht zurück. Bei der Mafia sind es in der Regel Morde, die, wie jede Bestrafung für den Verstoß gegen die Regeln der Familie, der Aufrechterhaltung eines kulturellen Systems dienen.

Die Liquidierung gefährlicher Polizisten, Staatsanwälte, Richter oder Journalisten bis hin zum blutigen militärischen Machtkampf um die Vorherrschaft über ein Territorium oder um dessen Ausweitung ist das Kennzeichen auch einiger der Neuen Paten. Bekannt ist die Mafia für die »Lupara Bianca«, den Mord, bei dem der Leichnam spurlos beseitigt wird, sodass nichts Belastendes mehr vorhanden ist. Ähnlich ist die Situation sowohl unter Putin als auch unter Erdoğan. Auch sie lassen Menschen, die ihr Herrschaftssystem bedrohen oder eine Konkurrenz sein könnten, entweder in Gefängnissen oder, wie Erdoğan, gleich ganz verschwinden. Betroffen sind etwa Journalisten, Vertreter von Menschenrechtsorganisationen oder auch unabhängige Politiker. In der Türkei sind inzwischen Hunderte von Oppositionellen, insbesondere Kurden, von einem Tag auf den anderen verschwunden. Anfang April 2017 beschuldigten die Vereinten Nationen die türkische Regierung schwerer Menschenrechtsverletzungen gegenüber Kurden, die im Südosten der Türkei leben. Beklagt wurden außerdem großflächige Zerstörungen und Folter von im Südosten der Türkei lebenden Kurden. Der Bericht zählte Verbrechen der Sicherheitskräfte auf, unter anderem Folter und das »Verschwindenlassen« von Verdächtigen. Der UN-Menschenrechtskommissar Seid Ra’ad al-Hussein kritisierte zudem, dass es keine einzige Festnahme und kein einziges Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder der Sicherheitskräfte gegeben habe.36

Demgegenüber behauptet der türkische Präsident Erdoğan im Brustton der Überzeugung, dass die Türkei ein Hort der Demokratie sei und die Menschenrechte dort sogar weiter entwickelt seien als in den europäischen Ländern. So wenig wie Putin schließt auch Erdoğan militärische Interventionen zur Ausweitung des eigenen Territoriums aus. Während Putin die Krim eroberte und den Osten der Ukraine, intervenierte Erdoğan im Norden von Syrien, um dort die Kurden zu vertreiben. Für Ungarn kommen militärische Eroberungen oder Massenverhaftungen politischer Gegner nicht infrage. Die EU-Mitgliedschaft verhindert beziehungsweise reduziert die Möglichkeiten Orbáns, offene Gewalt einzusetzen, um seine Herrschaft abzusichern, im Gegensatz zu Putin oder Erdoğan.37

Schutzgelderpressung als Manifestation territorialer Macht ist immer noch eine klassische Mafiamethode. An die jeweils herrschende Mafiafamilie muss der Unternehmer eine Schutzgebühr zahlen, ein Tribut, »u pizzu« genannt. Die Neuen Paten kennen das ebenfalls. Sie nennen es nur anders. »Eigentlich haben wir ein staatliches System der Schutzgelderpressung.« Das sagt Boris Titow, Vorsitzender eines Moskauer Antikorruptionskomitees und Unternehmensbeauftragter des früheren russischen Präsidenten Dmitri Medwedew.38

In Russland spricht man vom »rejderstwo«. Unternehmen mit guten Kontakten zu den Behörden sorgen dafür, dass ihre Konkurrenten zum Beispiel in Gerichtsprozesse verwickelt werden, um nach deren Verurteilung durch korrupte Richter die Firmen zu übernehmen. Geschätzt wird, dass es jährlich 70 000 Fälle solcher »Übernahmen« gibt.

In der Türkei wird ähnlich vorgegangen, hier unter dem Vorwand, das Unternehmen gehöre einer Terroristenorganisation an, und zwar der des islamistischen Predigers Fethullah Gülen. Beweise braucht es nicht. Mehr als 800 Unternehmen wurden nach dem sogenannten Militärputsch vom Sommer 2016 ohne gerichtliche Entscheidung enteignet und kurzerhand den Freunden des Staatspräsidenten Erdoğan oder seiner Partei, der AKP, überschrieben. Dabei hatte Erdoğan das System der Schutzgelderpressung bereits als Istanbuler Oberbürgermeister begriffen. Beispielsweise mussten, so der türkische Journalist Tarkan S. (Name geändert), einer der besten Kenner der islamistisch-mafiosen Szene in der Türkei, alle Unternehmen, die mit der Istanbuler Stadtverwaltung Geschäfte machen wollten, ein Prozent der Auftragssumme an eine Kasse zahlen, die »havuz« (Becken) genannt wurde. Über die verfügte das Stadtoberhaupt beziehungsweise seine Partei, die AKP.

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Was unterscheidet nun die klassische Mafia bezüglich Selbstdarstellung und unbändiger Machtgier von den Neuen Paten, den postmodernen uomini d’onore, den Putins, Erdoğans, Orbáns oder Trumps, um nur einige zu nennen? Diese Frage wäre vielleicht zu vernachlässigen, ginge es nur um die teilweise krankhaften Attribute des Narzissmus. Aber Trump und Putin haben jederzeit die Möglichkeit, einen globalen Atomkrieg auszulösen. Dass Trump beispielsweise dabei auf bedingungslose Loyalität zählen kann, zeigt die Aussage des Kommandeurs der US-Pazifikflotte, Admiral Scott H. Swift. Auf die Frage eines Zuhörers während einer Sicherheitskonferenz in Australien, ob er in der kommenden Woche eine Atombombe auf China abwerfen würde, wenn er vom US-Präsidenten den Befehl erhielte, lautete seine Antwort »Ja«,39 wohl wissend, dass Donald Trump nach Meinung vieler Experten unter einer krankhaften narzisstischen Persönlichkeitsstörung leidet, verbunden mit größenwahnsinniger Selbstüberschätzung, was eine ständige Bedrohung für den Weltfrieden bedeutet.

Die Angst vor einem Atomkrieg wächst. Diese Angst ist nicht aus der Luft gegriffen. Als Antwort auf den größenwahnsinnigen Despoten in Nordkorea, der trotz internationaler Proteste sein Atomwaffenprogramm ausbaut und im September 2017 unterirdisch sogar eine Wasserstoffbombe zündete, hatte Trump bereits im August 2016 als Präsidentschaftskandidat die rhetorische Frage gestellt: »Wenn wir Atomwaffen haben, warum setzen wir sie nicht ein?«40

Bedingungslose Loyalität ist ein zentrales Element mafioser Zusammenschlüsse. Loyalität um jeden Preis wird belohnt, wer sich illoyal verhält, der wird bekämpft. Ein Beispiel dafür bot die erste Sitzung von Trumps vollständigem Kabinett am 13. Juni 2017. Trump ließ sich von den Ministern feiern, nachdem er verkündet hatte, der bislang erfolgreichste Präsident in der US-Geschichte zu sein. »Was folgte, lieferte ein Zeugnis der Unterwürfigkeit und Verblendung ab, wie es in der Politik in dieser Form nur selten zu sehen und zu hören ist. Ausnahmslos jeder Minister lobt den Chef über den Klee. Bis zur Selbstverleugnung.«41

Das Beispiel der italienischen Mafien liefert zwei zentrale Erkenntnisse:

1. Korrupte und mafiose Strukturen haben Italien tief infiltriert, und die Strukturen und Methoden der italienischen Mafien haben sich längst als Herrschaftsinstrumente in einigen westlichen, selbst in demokratisch legitimierten Regierungen etabliert.

2. Eine funktionierende Justiz, freie Medien, eine bürgerliche Zivilgesellschaft und demokratische Parteien bieten die einzige Möglichkeit, diese Zustände zu bekämpfen.

Was jedoch ist, wenn diese Instrumente demokratischer Kultur nicht mehr oder nur noch rudimentär vorhanden sind?

2. KAPITEL  Donald Trump – über Geheimnisse, die eigentlich keine mehr sind

2. KAPITEL

Donald Trump – über Geheimnisse, die eigentlich keine mehr sind

Unbestritten handelt es sich um eine unglaubliche Erfolgsgeschichte: die eines historisch gewachsenen, patriarchalisch strukturierten Konsortiums mit internationalem Renommee, an dessen Spitze der Immobilienmogul Donald Trump steht.

Seit dem 20. Januar 2017 ist dieser Donald Trump der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Seinen Amtseid leistete er auf den Stufen des Kapitols in Washington nicht auf einer, sondern gleich auf zwei Bibeln. Die eine hatte bereits Abraham Lincoln benutzt, die andere war seine Familienbibel. In seiner 16-minütigen Antrittsrede verkündete der neue US-Präsident unter anderem:

»Gemeinsam werden wir Amerika wieder stark machen. Wir werden Amerika wieder wohlhabend machen. Wir werden Amerika wieder stolz machen. Wir werden Amerika wieder sicher machen. Und ja, gemeinsam werden wir Amerika wieder großartig machen. Danke. Gott segne euch. Und Gott segne Amerika. Danke. Gott segne Amerika.«42

Trump präsentierte sich als der Prophet, der sein Volk aus der Bedrängnis in das neue Paradies führt, als Heilsbringer – übrigens ein charakteristisches Merkmal der Neuen Paten. Ähnlich maßlos übertreibend hatte er in der Vergangenheit seine »großartigen«, »prächtigen«, »einzigartigen« Immobilien der vermögenden Kundschaft angedient. Blickt man hingegen ein wenig genauer in diese Vergangenheit, dann wird deutlich, dass es in der jüngeren Geschichte der USA keinen einzigen Präsidenten gab, der so viele schmutzige und kriminelle Verbindungen hatte, darunter auch solche zur Mafia, wie Trump. Hätte es die heutigen italienischen Anti-Mafia-Gesetze bereits in den Siebziger- oder Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts in den USA gegeben, wäre Trump nie US-Präsident geworden, sondern eher hinter Gittern gelandet. Denn »so viele Partner der Trump-Organisation wurden wegen finanzieller Delikte verurteilt, angeklagt oder mit Ermittlungsverfahren überzogen, dass es kaum mit dem Zufall oder einer bloßen Verletzung der Sorgfaltspflicht zu erklären ist. In den US-Gerichten erklären die Richter den Geschworenen routinemäßig, dass ›niemand sich der Verantwortung für ein Verbrechen entziehen kann, indem er bewusst ignoriert, was offensichtlich ist‹.«43

Und heute? »Er ist ein demokratiefeindlicher Plutokrat – und lernt jetzt langsam, seine Macht anzuwenden«, kommentierte Marc Pitzke am 29. April 2017 die ersten einhundert Tage von Trumps Präsidentschaft:

»Die Beamtenschaft hat er fast aufgelöst, das Wahlverfahren diskreditiert, den Kongress würde er am liebsten umgehen und die missliebigen Gerichte ›auflösen‹, weil sie ihm als letzte Schutzinstanz der Verfassung die Stirn zu bieten wagen. Die Medien hasst er auch, braucht sie aber, um seine Sucht nach Selbstdarstellung zu stillen. Noch hält das System.«44

Dazu passt, dass Trump nach Recherchen der Washington Post