Der stille Putsch - Jürgen Roth - E-Book

Der stille Putsch E-Book

Jürgen Roth

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Beschreibung

Sparen, sparen, sparen ist die Devise der meisten europäischen Politiker, denn nur dadurch sei die Krise zu bewältigen und der Wohlstand zu sichern. In Wirklichkeit geht es aber um etwas ganz anderes: Unter dem Deckmantel der Krisenbewältigung findet ein stiller Putsch gegen die europäischen Bürger statt. Bestsellerautor Jürgen Roth zeigt, wer die Putschisten sind und was sie bezwecken, was das für Deutschland und Europa bedeutet und wie wir uns dagegen wehren können – und müssen.

Was derzeit in Griechenland, Portugal, Spanien und Italien passiert, ist erst der Anfang. Auch Deutschland und anderen europäischen Staaten soll es so ergehen: Durch drastische Sparprogramme werden die Löhne gesenkt, Einschnitte in die Sozial-, Gesundheits- und Bildungssysteme durchgesetzt, die Arbeitnehmerrechte reduziert und der Verkauf öffentlichen Eigentums vorangetrieben.
Unter dem Vorwand der Krisenbewältigung geht es um die gnadenlose Durchsetzung einer marktfundamentalen Politik – ein kalter Putsch gegen die europäische Zivilgesellschaft. Doch wer steckt dahinter? Eine mächtige Elite aus Wirtschaft und Politik, der nur ausgewählte Personen angehören und deren Ziel die Durchsetzung langfristiger wirtschaftsfreundlicher Strategien und die Entmachtung des Staates ist. Jürgen Roth nennt die Putschisten und ihre Helfershelfer beim Namen, er deckt auf, wie sie über das Schicksal Europas entscheiden, und zeigt, warum wir uns nicht länger belügen und täuschen lassen dürfen. – Ein brisantes Enthüllungsbuch.

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Jürgen

Roth

Der stille

Putsch

3. Auflage

Redaktion: Andrea Kunstmann, München

Copyright © 2014 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich, Dominic Wilhelm

Satz: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, Germering

ISBN 978-3-641-09304-4V002

www.heyne.de

INHALT

Vorwort

Warum Europas Blütenträume welken

DER STILLE PUTSCH

Wen repräsentiert die Troika? Die Putschisten

Ein Blick hinter die Kulissen: die bisherige Erfolgsbilanz der Putschisten

Der Putsch und die Folgen

DIE AKTEURE

Einblicke in die geheime Elite aus Wirtschaft und Politik

Die Intimität eines Netzwerks: die Baden-Badener Unternehmer Gespräche

Bilderberg: Macht oder Ohnmacht der Eliten

Nicht nur in den Korridoren der Macht: die Runden Tische

Wer versteckt sich hinter dem Entrepreneurs’ Roundtable?

Die Bankenmacht im Eliteklub

Wo nicht nur ein Ex-Bundesbankpräsident aktiv ist: Kleptokratie Angola

Die Einflüsterer des Entrepreneurs’ Roundtable

Die unheimliche Medienmacht des Entrepreneurs’ Roundtable

Die Infiltration von McKinsey

Deutschlands Eliten ganz unter sich

Der European Round Table of Industrialists: die europäische Elite und einige ihrer Geheimnisse

Wie wird man Topmanager und Führungsmitglied des ERT – ein Fallbeispiel

Die Milliardenmacht der Banken in Brüssel

Der Helfershelfer, den sie riefen: der Italiener Mario Draghi

Das System der Loge oder der Beginn einer neuen Republik?

Weder saubere Hände noch saubere Geschäfte

Der Fall Griechenland und Mario Draghi

DIE OPFER

Eine Woche in Athen oder das Abbild unserer eigenen Zukunft

Die Wut der Ohnmächtigen

Diskussion unter Journalisten über einen Oppositionsführer

Einblicke in die griechische Presse- und Meinungsfreiheit

Was ist das eigentlich für eine Demokratie?

Ein zerstörtes Gesundheitssystem und ein gestörter rechtsradikaler Gesundheitsminister

Hass gegen das Fremde – der Zerfall demokratischer Gesellschaften

Sieht so unsere Zukunft aus?

DIE PROFITEURE

Über ein Leben ohne Skrupel und gesellschaftliche Verantwortung

Das Feuer der griechischen Neonazis und die Kultur der Intoleranz

DIE HOFFNUNGEN

Die Geschichte der vertrockneten roten Nelken

Die Verdrängung der Geschichte oder warum die deutsche Elite so unbeliebt ist

Von der Diktatur in die Freiheit und dann zur Troika: Portugals Nelkenrevolution

Grândola – ein Volk befreit sich

Das Ende des Traumes von Freiheit und Gerechtigkeit

Sozialdemokraten aus Deutschland und der Weg zurück

Die wahren Herrscher in Portugal – gestützt von der Troika

Das promiskuitive Verhältnis zwischen Banken und Politikern und das Geld der Steuerzahler

Über die Wut, die Melancholie und die Ohnmacht

METHODEN UND STRATEGIEN

Das schwarze Loch der Public-Private-Partnerships

Die Korruption der Rüstungsindustrie am Beispiel Portugal

Das griechische Drama der systemimmanenten Korruption

Die Waffenindustrie – Deutschlands Erfolge in Griechenland

Der Fall Siemens – Deutschlands Beitrag zur Schuldenkrise

Sokratis Kokkalis – der griechische Milliardär, der die DDR gut kannte

DIE BILANZ

Der große Räumungsverkauf – staatliche Einrichtungen zum Schleuderpreis

Die deutsche Treuhand als Vorbild für das Privatisierungsdiktat der Troika?

Europa rüstet auf – gegen die Bürger

DER WIDERSTAND

Wasser für alle – oder Profite für wenige

Gold für die Investoren – Gift für die Bürger

Über Macht und Ohnmacht in einer Bankenmetropole

Schlussbemerkung

Dank

Anmerkungen

Namensregister

VORWORT

Warum Europas Blütenträume welken

Nein, es ist kein Märchen. Es gibt sie tatsächlich, die Grundrechtecharta der Europäischen Union. In ihrer Präambel haben die Mitgliedsstaaten ausdrücklich erklärt, dass die Europäische Union sich »gründet (…) auf die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität«. Und sie beruht auf den »Grundsätzen der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit«.1

Glücklich wären wir Bürger in Europa, wenn wenigstens ein Teil davon in die politische und gesellschaftliche Praxis umgesetzt worden wäre. Von wegen universelle Werte der Würde des Menschen. Darauf hofften jene Menschen, die Schutz vor politischer Verfolgung und quälendem Hunger in Europa suchten, vergeblich. In den letzten Jahren starben bei ihrer Flucht aus Afrika allein im Mittelmeer mindestens 20.000 Babys, Kinder, Frauen und Männer. Wie hoch die Zahl jener Flüchtlinge ist, die auf dem Weg nach Europa zuvor schon erstickt, erfroren oder verhungert sind, ist nicht einmal ansatzweise bekannt.

Von wegen Freiheit, Gleichheit und Solidarität: Laut einem Bericht des Internationalen Roten Kreuzes müssen 43 Millionen Europäer hungern, 120 Millionen Europäer sind armutsgefährdet.2

Was ist die Addition von Freiheit, Gleichheit, Solidarität? Es ist Gerechtigkeit. Und schon der römische Philosoph und Kirchenlehrer Augustinus (*354 n. Chr.) verkündete: »Wo die Gerechtigkeit fehlt – was sind die Staaten dann anderes als große Räuberbanden.«3 In unserer Zeit sind jedoch nicht »die Staaten« die großen »Räuberbanden« – wie es neoliberale Ideologen ständig proklamieren. Im 21. Jahrhundert verstehen die Bürger unter den Räuberbanden eher bestimmte Regierende in Europa und (selbst wenn das furchtbar abgedroschen und einfältig klingt) ihre Amigos in den internationalen Konzernen, den Banken, in der parasitären Finanzindustrie. Und damit liegen sie, leider, nicht falsch.

Denn diesen Räuberbanden gelang in den letzten Jahren ein bewundernswerter Coup. Sie setzten unter dem Vorwand notwendiger Reformen ein wirtschaftliches und soziales Ordnungssystem bereits in mehreren europäischen Ländern durch, das eine aufgeklärte demokratische Zivilgesellschaft nicht kampflos hinnehmen würde. Und diese »Reformen« sollen auch in Deutschland durchgesetzt werden. Deshalb wählten sie das klassische Instrument für einen Systemwechsel: den Putsch. Im Windschatten der öffentlichen Wahrnehmung vernetzte sich eine globale Elite mit ihrer geballten politischen und wirtschaftlichen Macht. Bei diesem stillen Putsch geht es um nicht weniger als die Machterhaltung, Besitzstandswahrung und Vermögensvermehrung eben dieser globalen Elite. Sie hat sich in ihrem eigenen Universum eingerichtet, das mit allen Mitteln verteidigt werden muss. Die Zerstörung der sozialen Sicherungssysteme ist eine der Voraussetzungen, um das zu erreichen. Dabei gibt es eine Europäische Sozialcharta, deren Existenz wohl wissentlich verschwiegen wird. Sie wurde 1961 in Turin mit großem Brimborium verabschiedet und von 43 Staaten des Europarats unterzeichnet, darunter Deutschland. Die Charta beinhaltet 19 Grundrechte, unter anderem das Recht auf gerechte, sichere und gesunde Arbeitsbedingungen, das Recht auf ein gerechtes Arbeitsentgelt, das den Arbeitnehmern und ihren Familien einen angemessenen Lebensstandard ermöglicht, das Recht auf soziale Sicherheit und auf gesetzlichen wirtschaftlichen und sozialen Schutz der Familie. Auch das Recht auf erschwinglichen Wohnraum, kostenlose Schuldbildung und ein Verbot der Zwangsarbeit sind in der Charta enthalten.4 Doch sie ist das Papier nicht wert, auf dem sie steht. Die europäischen Regierungen verletzen ständig diese Charta, in Zeiten der Krise noch mehr als zuvor, ohne dass es irgendwelche Konsequenzen hätte. Und keiner regt sich darüber auf.

Wie bei jedem Putsch werden die Menschenrechte, das Fundament europäischer Werte, bedeutungslos. Vollkommen verschlafen haben die bundesdeutschen Medien (was die politische Elite in Berlin und Brüssel sicher beglückte) die wissenschaftliche Studie Schutz der Menschenrechte in Zeiten wirtschaftlicher Krise. Nils Muižnieks, der Menschenrechtskommissar des Europarats, veröffentlichte sie AnfangDezember 2013. Die Bilanz ist erschreckend eindeutig: »Die Regierungen, die in Europa die Sparmaßnahmen durchsetzen, vergessen dabei ihre Verpflichtung, die Menschenrechte zu wahren, insbesondere die sozialen und wirtschaftlichen Rechte der Verwundbarsten, die Notwendigkeit, den Zugang zur Justiz zu gewährleisten und das Recht auf Gleichbehandlung«, klagt Nils Muižnieks.5 »Immer mehr Kinder verlassen die Schule, um Arbeit zu finden und ihre Familie zu unterstützen. Sie riskieren dabei lebenslange Folgen für ihren Bildungserfolg. Dies verschärft die Situation im Hinblick auf prekäre Beschäftigungsverhältnisse und führt zu Kinderarbeit oder sogar ihrer Ausbeutung.«6

Dafür ist es den Putschisten in den südeuropäischen Ländern bereits gelungen, sogar die demokratischen Institutionen auszuhebeln. Und was verschwiegen wird – der Putsch kostete schon Tausenden Menschen unter anderem wegen rigider Kürzungen im Gesundheitssystem das Leben.

Auf den ersten Blick mag es abwegig scheinen, hier von der zeitgenössischen Form eines Coup d’Etat, einem gut geplanten, stillen Putsch zu sprechen. Doch was ist denn das, was da in Griechenland, Zypern, Portugal, Italien oder Spanien seit 2010 geschieht und bald auch in Deutschland? Es ist nichts anderes als die Zerschlagung des demokratischen Sozialstaats – und die eklatante Verletzung der Europäischen Grundrechtecharta. Griechenland, Spanien oder Portugal waren dabei erst der Anfang, quasi ein Experiment, wie ein Putsch ohne viel Widerstand durchgeführt werden kann. Diejenigen, die ihn in vielerlei Weise gefördert, wenn nicht sogar initiiert haben, die auf jeden Fall aber die Profiteure sind, finden sich unter anderem an den sogenannten Runden Tischen, von denen es viele gibt. Beispielsweise den EuropeanRound Table of Industrialists oder den European Financial Services Round Table. Und wahrscheinlich hat noch nie jemand vom Entrepreneurs’ Roundtable mit Sitz in Zürich und Berlin gehört oder gelesen. Das ist ein ebenso exklusiver wie verschwiegener Männerbund (Frauen sind nicht zugelassen), und für eine Mitgliedschaft müssen die Unternehmer oder Banker einen jährlichen Gesamtumsatz von mindestens 500 Millionen Euro vorweisen. Kurioserweise muss man sich dort duzen und darf bei den Treffen keine Krawatte tragen. Der Kodex: absolute Verschwiegenheit darüber, wer dazugehört und was sich bei den Treffen abspielt. Dieser Entrepreneurs’ Roundtable sei »mächtiger als viele Politiker«, berichtet ein Insider, der sich von mir eine Verschwiegenheitsvereinbarung unterschreiben ließ, bevor er aus dem Nähkästchen plauderte. »Es darf niemand erfahren, wer ich bin, und es darf keine Hinweise auf mich geben.« Ansonsten sei eine Strafzahlung von 50.000 Euro fällig.

Nicht dass er Angst habe, aber seine erfolgreiche Karriere wäre dann wohl am Ende. Er weiß, wovon er spricht, unterhält er doch enge persönliche Kontakte zu den Mitgliedern in Deutschland wie in der Schweiz. »Mitglieder sind die Spitzen der Wirtschaft, Banken und Medien, davon etwa die Hälfte Vorstandsvorsitzende, Konzernleitungsmitglieder und Verwaltungsräte börsennotierter nationaler wie internationaler Konzerne. Sie sind unantastbar, haben einen Freibrief«, weiß der Insider zu berichten. In der deutschen Presse findet man über den Entrepreneurs’ Roundtable kein einziges Wort. Doch dazu später mehr, auch über andere Round Tables, die so unschuldig klingen, obwohl sie maßgeblich die europäische und deutsche Politik beeinflussen oder sogar bestimmen – und alles andere als die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung repräsentieren.

Was mit dem Putsch sowie mit den intransparenten Eliteklubs unmittelbar zusammenhängt, ist die bislang ungelöste sogenannte Finanz- beziehungsweise Eurokrise. Eigentlich sollte es überflüssig sein, überhaupt noch über Rettungsschirme oder Schuldenbremsen zu schreiben. Seit Jahren werden wir mit entsprechenden Nachrichten überschüttet – und sind trotz aller klugen Bücher, informativen Fernsehsendungen und banalen Talkshows so ahnungslos wie zuvor. Die Erkenntnisse, die uns Experten mit wichtiger Miene präsentierten, bieten ein Minimum an gesellschaftlichen und politischen Analysen und Hintergründen. Anscheinend glaubt die regierende Elite, dass die Bürger moralisch und geistig taub sind und sich von Mythen, Lügen und Illusionen einfangen lassen. Warum werden wir über die Profiteure der Eurokrise nicht wahrheitsgemäß informiert, sondern mit hohlen Satzbausteinen ruhiggestellt? Warum wird nicht darüber gesprochen, dass die Regierenden der am Finanztropf hängenden europäischen Staaten und die deutschen beziehungsweise europäischen politischen und wirtschaftlichen Eliten Komplizen sind? Könnte es vielleicht sein, dass Schulden inzwischen fast so werthaltig sind wie Gold, weil die Gläubiger – Banken, Hedgefonds und multinationale Konzerne – dadurch Macht über die südlichen Krisenländer und deren Ressourcen ausüben können? In welche unterirdischen Kanäle strömten eigentlich die Milliardengelder der EU, wer profitierte und wer nicht, und warum wurde das von den ansonsten geizigen Geldgebern akzeptiert? Fragen über Fragen, auf die uns bislang keine schlüssigen Antworten gegeben wurden. Ich will es im Folgenden versuchen.

Auch lohnt es sich, einmal über die schillernde Vergangenheit des Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, oder des Präsidenten der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, nachzudenken, und insbesondere darüber, welche Interessen sie eigentlich vertreten. Als konservativer portugiesischer Regierungschef in den Jahren 2002 bis 2004 war José Manuel Barroso in jeder Beziehung politisch mitverantwortlich für das flächendeckende System der Korruption, das eine wesentliche Ursache der heutigen Schuldenkrise Portugals ist, wie die Organisation Associação Cívica Transparência e Integridade, die portugiesische Dependance der Antikorruptionsorganisation Transparency International feststellt.

Dass Barroso und seine Ehefrau im August 2004 auf Kosten des reichsten griechischen Reeders und Bankers, Spiros Latsis, auf dessen Luxusjacht Alexander in der noch blauen Ägäis schipperten, scheint vergessen. Der Freund habe ihn rein privat eingeladen, ließ Barroso erklären, als der Vorgang bekannt wurde. Sein Freund verfügte über ein Vermögen von 6 Milliarden US-Dollar.7

Im November 2009 wurde Barroso zum Präsidenten der Europäischen Kommission ernannt. Die Bank des Milliardärs Spiros Latsis erhielt im Sommer 2012 insgesamt 4,2 Milliarden Finanzhilfen vom europäischen Steuerzahler. »Jetzt konzentriert sich die Bank auf das Private-Banking-Geschäft mit Filialen in Gibraltar, Dubai, Liechtenstein und auf den Caymaninseln.«.8 Man nennt diese Länder Steuerparadiese.

Und schließlich: Fragen wir uns in Deutschland eigentlich überhaupt noch, was wir an sozialer und kultureller Kreativität von Menschen erwarten können, die seit Jahren existentielle Einschränkungen in ihrem Leben hinnehmen müssen? Menschen, deren vielfältige Talente bei der Aussicht auf lebenslange Erwerbslosigkeit oder prekäre Arbeitsverhältnisse ungenutzt bleiben und die den Glauben an die Demokratie verloren haben? Werden sie sich wie Lämmer zur Schlachtbank führen lassen? Sie werden es nicht. Die massenhaften Demonstrationen gegen die Troika, ob in Athen, Madrid, Rom, Lissabon und selbst in Frankfurt am Main oder Berlin sprechen eine andere Sprache.

Trotzdem herrscht zumindest in Deutschland eine lähmende Gleichgültigkeit gegenüber dem systematischen Abbau des demokratischen Sozialstaats, der Prekarisierung der gesamten Gesellschaft. »Jeder Einzelne von uns weiß, fühlt, begreift sich als potentiell arbeitslos, potentiell prekär beschäftigt, potentiell auf Teilzeit-, Termin- oder Gelegenheitsjobs angewiesen.« Das schrieb bereits im Jahr 2000 der französische Sozialphilosoph André Gorz. »Aber was jeder und jede Einzelne weiß, wird noch lange nicht zum allgemeinen Wissen über unsere gemeinsame Lage. Vielmehr setzt der herrschende öffentliche Diskurs alles ein, um uns unsere gemeinsame Lage zu verschleiern, zu verhindern, dass wir die Prekarisierung unserer Erwerbsverläufe als ein gesellschaftlich verursachtes Risiko erkennen, das uns alle als Angehörige dieser Gesellschaft betrifft.«9 Man sollte doch endlich einmal begreifen, sagt Professor Oliver Marchart, dass »Prekarisierung nicht eine kleine Gruppe von Abgehängten oder Ausgeschlossenen betrifft, sondern nahezu alle. Das heißt: Prekarisierung ist ein Phänomen von gesamtgesellschaftlicher Tragweite.«10 Ähnlich sieht es Bernadette Ségol, die Generalsekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbunds ETUC in Brüssel: »Das europäische Sozialmodell, das wir erreicht hatten, wird zerstört. Früher oder später wird diese Entwicklung auch die Länder erreichen, die heute noch keine Probleme haben, wie etwa Deutschland. Durch die billigen Löhne, die jetzt im Süden durchgesetzt werden, entsteht für die Länder, die noch nicht betroffen sind, ein großer Druck auf Löhne und soziale Bedingungen.«11

Es wird also in Deutschland Zeit zu begreifen, dass die Durchsetzung einer zentral gelenkten, neoliberalen Ordnungspolitik, das Ziel des stillen Putsches, das Schicksal aller in Europa lebenden Menschen verbindet, auch wenn in Deutschland die anhaltenden massiven Proteste in den verschiedenen europäischen Städten gegen die erlebten sozialen Konsequenzen des Putsches allenfalls am Rande wahrgenommen werden. Ist das ein Ausdruck emotionaler und politischer Blindheit? Die meisten deutschen Bürger scheinen doch tatsächlich zu glauben, dass das, was da außerhalb der schwarz-rot-goldenen Grenzen geschieht, mit ihnen nichts zu tun habe. Ein fataler Irrtum.

DER STILLE PUTSCH

Laut Duden ist der Putsch ein politischer Umsturz. Zumindest in Europa müssen Putsche nicht mehr von Militärs ausgeführt werden, den klassischen Marionetten bedrohter konservativ-reaktionärer Eliten wie zum Beispiel in den Sechzigerjahren in Griechenland. Heute geschieht der Umsturz geräuschlos und schleichend, ohne dass dröhnende Panzer vor den Parlamenten und Fernsehstationen auffahren, ohne eine Soldateska, die Oppositionelle in finstere Kerker wirft und foltert.

Ist das nicht alles nur eine krude Verschwörungstheorie, leben wir nicht in einem Europa mit demokratisch legitimierten Regierungen?

Zur Erinnerung: Der aus dem antiken Griechenland stammende Begriff der Demokratie bedeutet nichts anderes als die Herrschaft des Volkes. Das heißt, dass die Staatsgewalt von den Bürgern ausgehen sollte – so definierte es einst zumindest der griechische Staatsmann Perikles im 5. Jahrhundert v. Chr. Bereits damals klagte sein Kritiker, der Philosoph Plutarch, dass Perikles sich durch »die Verteilung öffentlicher Gelder Vorteile verschafft habe: ›So bestach er gar bald den Pöbel durch Schauspielgelder, Gerichtsgelder und andere Belohnungen und Schenkungen‹.«12

Diese Aussage ist insofern erwähnenswert, weil sich in diesem Punkt bis zum heutigen Tag (nicht nur in Griechenland) wenig geändert hat – abgesehen davon, dass heute nicht der Pöbel bestochen wird, sondern eine systemische Kultur der Korruption, die Spitzen der Wirtschaft und Politik in vielen europäischen Ländern prägt. Das wäre dann der zeitgemäße Pöbel.

Inzwischen scheint selbst das edle Prinzip Demokratie überflüssig zu sein. Das zeigt die Diskussion um den Abbau der Schuldenberge in Höhe von mehreren 100 Milliarden Euro sowohl in Deutschland wie in anderen europäischen Staaten. Wer tatsächlich für diese Schulden verantwortlich ist, wer sie als Erpressungsinstrument funktionalisiert und wer davon profitiert, eben die nationale sowie die europäische Machtelite, das dürfen wir europäischen Bürger nicht erfahren. »Eine Handvoll internationaler Banken, Ratingagenturen, Investmentfonds – eine globale Konzentration des Finanzkapitals ohne historischen Vergleich – möchte in Europa und der Welt die Macht an sich reißen. Sie bereitet sich auf eine Beseitigung der Staaten und unserer Demokratie vor, indem sie die Waffe der Schulden nutzt, um die Völker Europas zu versklaven und anstelle der unvollständigen Demokratie, in der wir leben, eine Diktatur des Geldes und der Banken zu errichten.« Das schrieben im Oktober 2011 der weltbekannte griechische Sänger Mikis Theodorakis (*1925 ), der einst gegen die Militärjunta opponierte und ins Ausland flüchten musste, und Manolis Glezos (*1922 ), der schon gegen die Nazis in den Vierzigerjahren Widerstand leistete, als sie Griechenland besetzten, und der dann ebenfalls die Militärjunta Ende der Sechzigerjahre bekämpfte. Übertreiben die beiden alten Ikonen des Widerstands?

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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