Die noble Straße - Gwen Bristow - E-Book

Die noble Straße E-Book

Gwen Bristow

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Beschreibung

Der zweite Teil der Louisiana-Trilogie schildert das weitere Schicksal der Familien Sheramy und Larne.

Denis Larne, Besitzer des Ardeith-Gutes, heiratet die leichtlebige Ann Sheramy, Tochter der Besitzer des Silberwald-Gutes. Eines Tages beginnt Corrie May Upjohn ihre Arbeit als Bedienstete auf dem Gut. Im Gegensatz zu den vermögenden Larnes gehört Corrie zu der armen, weißen Unterschicht.

Die Gegensätze zwischen ihr und Ann Sheramy könnten nicht größer sein und Corrie verbittert zusehends angesichts des Reichtums der Larnes.

Aber im ganzen Land vertieft sich die Kluft zwischen arm und reich, schwarz und weiß: Der Sezessionskrieg bricht aus ...

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumErstes KapitelZweites KapitelDrittes KapitelViertes KapitelFünftes KapitelSechstes KapitelSiebentes KapitelAchtes KapitelNeuntes KapitelZehntes KapitelElftes KapitelZwölftes KapitelDreizehntes KapitelVierzehntes KapitelFünfzehntes Kapitel

Über dieses Buch

Der zweite Teil der Louisiana-Trilogie schildert das weitere Schicksal der Familien Sheramy und Larne.

Denis Larne, Besitzer des Ardeith-Gutes, heiratet die leichtlebige Ann Sheramy, Tochter der Besitzer des Silberwald-Gutes.

Eines Tages beginnt Corrie May Upjohn ihre Arbeit als Bedienstete auf dem Gut. Im Gegensatz zu den vermögenden Larnes gehört Corrie zu der armen, weißen Unterschicht.

Die Gegensätze zwischen ihr und Ann Sheramy könnten nicht größer sein und Corrie verbittert zusehends angesichts des Reichtums der Larnes.

Aber im ganzen Land vertieft sich die Kluft zwischen arm und reich, schwarz und weiß: Der Sezessionskrieg bricht aus …

Über die Autorin

Gwen Bristow wurde am 16. September 1903 als Tochter eines Pastors in Marion, South Carolina/USA geboren. Sie besuchte die Pulitzer School für Journalismus und arbeitete als Reporterin. 1929 veröffentlichte sie ihren ersten Roman und wurde durch ihre Südstaaten-Romane weltbekannt. Sie starb 1980.

Gwen Bristow

Die noble Straße

2. Teil der Louisiana Trilogie

Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Carl Matthias Fischer

beHEARTBEAT

 

Digitale Originalausgabe

 

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

 

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Mohrbooks AG Literary Agency, Zürich

Titel der Originalausgabe »The Handsome Road«

Copyright © 1938 by Gwen Bristow

Copyright der deutschen Erstausgabe © 1969 by Franz-Schneekluth-Verlag, Darmstadt

Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat/Projektmanagement: Esther Madaler

Umschlaggestaltung: Jeannine Schmelzer unter Verwendung von Motiven © shutterstock: allegro | Marzolino | Davor Ratkovic | sniegirova mariia | 5 und © istockphoto/MSMcCarthy_Photography

E-Book-Erstellung: Dörlemann Satz, Lemförde

ISBN 978-3-7325-2777-9

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

ERSTES KAPITEL

Corrie May Upjohn lehnte an einem Stapel Baumwollballen und sah den Schiffen zu. Corrie May war gern am Hafen, wo die stämmigen schwarzen Stauer Baumwolle verluden, wo wunderbare schwimmende Paläste ihre Passagiere über schwanke Laufbrücken hinweg aufs feste Land entließen – ach, all das war aufregender als selbst ein Stück im Theater. Corrie May erwartete ihren Verehrer; es passte ihr sehr, dass er sie gerade hierher bestellt hatte.

Vierzehn Lenze zählte Corrie May. Schmal und jung von Gestalt, das war sie. Noch hatten ihre Füße, hoch im Spann, nicht die Form verloren, wenn auch Corrie May tagein, tagaus nur barfuß ging – vom Winter abgesehen. Das blaue Baumwollkleidchen passte gut zu ihren blauen Augen, stach aber auch auf liebenswürdige Weise gegen ihr Flachshaar ab – und gegen ihre schön durchblutete, sonnenbraune Haut. Ihre Lippen trafen sich in einer geraden Linie, wölbten sich aber unter und über ihr keineswegs kärglich: ein Mund, zum Küssen prächtig; er verriet aber auch, dass Corrie May wusste, was sie wollte. Ihr Verehrer, Budge Foster, war nicht der einzige junge Bursche, der ihr schöne Augen machte. Budge gefiel ihr am besten; doch Corrie May war entschlossen, auch noch mit andern ein wenig zu liebeln: Budge sollte sich gar nichts einbilden! Sie war nicht allein auf ihn angewiesen.

Ein Windhauch vom Fluss her kühlte ihr die Stirn. Corrie May holte tief Atem. Wie liebte sie den Strom, den ungeheuren Mississippi! Hier an den Landungsbrücken bot sich die ganze Welt auf einmal dar – Flussdampfer wendeten und drehten sich gleich großen Damen, ehe sie festmachten; unverschämte kleine Boote von den Pflanzungen tanzten auf den Wassern und gerieten in jedermanns Quere; Überseer unter fremden Flaggen dampften den Fluss herauf, sich den Bauch voll Baumwolle zu stopfen; Sklavenschiffe entledigten sich ihrer menschlichen Fracht; in langen Reihen trieb man die Neger zu Markte; oberhalb der Landungsbrücken wurden sie zum Verkauf ausgestellt; schwimmende Freudenhäuser legten sich an den Kai; sie pflegten bald hier, bald da vor den Städten und Städtchen am Fluss aufzutauchen, immer auf der Flucht vor den Hütern der Moral; Theaterschiffe unter gewaltigen, blumigen Bannern; Händlerboote mit einem Geschäftchen an Deck, worin Kattun und Nähnadeln und anderer Schnickschnack zu erstehen waren; Wohnboote von Wunderdoktoren, die zauberhaft wirksame Tränklein und Pülverchen feilhielten; Eisschiffe entluden ihre kalten Lasten, milchige Blöcke, im Winter zuvor aus gefrorenen Gewässern des Nordens geschnitten; sie wurden im Sommer stromab gefrachtet und für fünfundzwanzig Cents das Pfund in die Küchen der Reichen von Louisiana verkauft. Corrie May war noch nie gereist. Aber man braucht nicht zu reisen – sagten die Leute –, wohnt man in einer Stadt am Strom; er bringt die ganze Welt vors Haus!

Corrie May war heimlich stolz darauf, dass sie hier bei den Landungsbrücken auf einen Verehrer warten konnte, obwohl sie erst vierzehn Jahre zählte. Budge hatte an diesem Vormittag den St. Clairs, der mächtigen Grundbesitzerfamilie, die Pacht für den Acker zu zahlen, den er bebaute. Ein strebsamer Bursche war er, erpicht darauf, Baumwolle anzupflanzen und sich selbstständig zu machen – anstatt am Hafen auf Gelegenheitsarbeit zu warten wie Corrie Mays Brüder. Budge war mächtig in Corrie May verliebt. Zwar hatte er sich noch nicht ausgesprochen, aber sie wusste es doch. Budge war noch nicht so weit, dass er deutlich werden konnte. Er zimmerte ein Häuschen; aber es war noch nicht fertig; unterdes wohnte er bei seinen Leuten unterhalb des Hafens am Rattletrap Square. Es gibt genug junge Kerls, die ein Mädchen zur Frau haben wollen – und besitzen nicht einmal ein Häuschen, mit ihr darin zu wohnen; so war Budge nicht!

Corrie May hielt es für angenehmer, sich zu verheiraten, als weiter zu Hause zu hocken. Ihre Brüder arbeiteten fleißig und gern – wenn sie Arbeit hatten, womit es jetzt im Sommer schlecht bestellt war; und Vater, natürlich, der tat sowieso nichts anderes, als Reden zu halten! Im Winter pflegte Pappa mit mehreren Reisepredigern ein Wohnschiff zu besteigen und den Fluss hinauf und hinunter zu befahren – seelenrettenderweise! So leicht war am ganzen Fluss kein Salbader zu finden, der den alten Upjohn übertrumpfte. In seinen Predigten grollte es donnernd von Babylon und Sodom, von höllischen Feuern, hohen, weißen Thronen und ewiger Verdammnis – der alte Upjohn stand seinen Mann! Doch in der schönen Sommerzeit stahl er dem Herrgott den Tag; er hockte auf den Stufen vor seiner Haustür und schwätzte über Politik und Religion und mancherlei sonst. Predigen war eine schöne Sache, aber satt wurde man nicht davon. Corrie May war heilfroh, dass wenigstens die Brüder sich redlich ihren Unterhalt verdienten und den Himmel und die Hölle ihrem Vater überließen.

Budge ließ immer noch auf sich warten. Die Pächter mussten manchmal lange anstehen, ehe einer nach dem anderen an die Reihe kam, sein Geld hinzulegen; zuweilen eine Stunde lang oder zwei. Es wurde heiß in der prallen Sonne. Corrie May dachte an den Park hoch über dem Fluss, wo an schönen Nachmittagen die feinen Damen spazieren gingen. Dort war es kühl. Sie schlenderte an den Landeplätzen vorbei, durchschritt das breite Tor und erreichte den kleinen See, der sich inmitten des Parks unter Bäumen verbarg. Dort ließ sie sich im Schatten eines Magnolienstrauches ins Gras sinken und blickte den Schwänen nach, die lautlos über das Wasser glitten.

Schlaftrunkene Stille herrschte; der Lärm vom Strom verlor sich ganz in den dichten Gebüschen. Hier und da eine schwarze Wärterin, die mit ihren Kindern spielte; sonst keine Menschenseele! Von vornehmen Leuten war nichts zu erblicken; wer etwas auf sich hielt, der weilte jetzt im Norden und vermied die sommerliche Hitze. Doch gerade als Corrie May dies bedachte, vernahm sie den dumpfen Paukenschlag von Pferdehufen auf weichem Boden; eine Kutsche rollte näher, hielt an; der Wagenschlag flog auf. Corrie May erkannte, wer da ausstieg; Mr. Denis Larne, dem die Ardeith-Plantage gehörte, der schönste und reichste Besitz in ganz Louisiana – wenn man den Leuten glauben konnte; und Miss Ann Sheramy, deren Vater Eigentümer von Silberwald war, der Ardeith nordwärts benachbarten Pflanzung. Mr. Denis Larne, ein großer, schlanker Mann in schwarzem Anzug mit langen Hosen, die durch ein Lederband unter dem Spann straff gehalten wurden, sah vorzüglich aus. Mit ehrerbietigem Anstand beugte er sich über die Hand der jungen Dame und verabschiedete sich. Ann Sheramy war wunderhübsch anzuschauen, als sei sie eben einem Modejournal entstiegen: Weit bauschte sich ihr Reifrock aus Musselin, eine Feder nickte von ihrem nelkenfarbigen Barett. Die beiden jungen Menschen neben dem Gefährt aus Ardeith boten ein Bild von solcher Eleganz, dass Corrie May vor Bewunderung lächelte, ohne es zu wissen.

Mr. Larne verließ den Park zu Fuß. Miss Sheramy gab dem Kutscher eine kurze Weisung und wandte sich dann dem See zu. Verwirrt und schüchtern überlegte Corrie May, ob sie nicht davonlaufen sollte. Aber Ann Sheramy schien gar nicht wahrzunehmen, dass sie nicht allein hier weilte; sie setzte sich ins Gras, breitete ihre weiten Röcke um sich aus und träumte zu den Wolken hinauf. Corrie May seufzte tief; wie konnte man teure Kleider so achtlos behandeln! Ann Sheramy schien keinen Gedanken darauf zu verschwenden. Sie zog ihre Handschuhe aus, rief einen der schwarzen Händler herbei, die Näschereien für Kinder feilhielten, und kaufte zwei Sirupkuchen. Dann hockte sie sich auf die Knie – ihr Kleid bekam unweigerlich Grasflecken – und begann, die Schwäne mit Kuchenbrocken zu füttern.

Nach einer Weile spürte sie, dass Corrie May sie mit staunend geöffneten Augen betrachtete. Ohne zu überlegen, bot Ann Sheramy ihr einen der braunen Kuchen an: »Willst du ihn haben?«, fragte sie.

Corrie May merkte, wie ihr das Blut ins Gesicht stieg. Sie rutschte dankbar ein wenig näher. »Wie? Ja, Fräulein! Vielen Dank, Fräulein!« Sie biss in den Kuchen – und hielt unsicher inne, blickte das süße Gebäck verlegen an; ein halbmondförmiges Stückchen war herausgebrochen. »Ach«, sagte sie, »ich sollte wohl die Schwäne damit füttern?«

Ann blickte zu ihr hinüber; sie hielt die Hand voller Brocken. »Nein, warum? Wenn du ihn selber essen willst –!«, gab sie lächelnd zur Antwort.

Corrie May hatte Ann Sheramy schon oft in der Stadt gesehen, zu Fuß und zu Pferde, aber noch nie war sie ihr so nahe gewesen. Sie wollte zu gern wissen, ob Miss Ann wirklich von Natur hübsch war oder ob nur ihre Kleider sie hübsch erscheinen ließen. Nein, sie war in der Tat wunderschön: Lichtbraune Locken drängten sich unter ihrem Barett hervor; aus großen dunklen Augen blickte sie, und ihre Haut schimmerte hell und zart – kein Sonnenstrahl schien sie je berührt zu haben. Wenn sie lächelte, so tauchte unter ihrem rechten Auge ein überraschendes Grübchen auf.

»Diese Sirupkuchen schmecken aber gut!«, stellte Corrie May anerkennend fest.

»Wirklich? Ich habe noch nie einen gegessen!« Sie versuchte ein Stückchen von dem Rest des Kuchens, den sie in der Hand hielt. »Tatsächlich –!«, stimmte sie verwundert zu, drehte sich um und rief:

»Marchande! Apporte-nous encore des gateaux!«

Corrie Mays Bewunderung steigerte sich merklich. Ann schloss ihren Kauf ab und reichte Corrie May einen zweiten Kuchen.

»Danke schön, Fräulein!«, sagte Corrie May. »Sie können aber erstklassig Französisch!«, stellte sie fest.

»Ich bin in Frankreich zur Schule gegangen«, sagte Ann. Sie schmauste mit Genuss. Miss Sheramy ist kein bisschen eingebildet, dachte Corrie May. Mag sie auch als reiche Pflanzerstochter über das Meer gereist sein, ins Ausland und überallhin – sie ist wirklich nett!

»Ich hab’ noch nie jemand französisch reden hören; bloß immer solche Nigger wie den da!«, sagte Corrie May. Dann, lächelnd, ein wenig scheu: »Sie sind doch Miss Ann Sheramy, nicht?«

»Ja. Und wie heißt du?«

»Corrie May Upjohn.«

»Bist du hier daheim?«

»Ja, Fräulein! Wir wohnen unten am Rattletrap Square. Da sind Sie wohl noch nie hingekommen?«

»Nein, ich glaube nicht!« Ann warf den Schwänen die letzten Krumen zu. Was für schöne Hände sie besaß, lang und weiß, mit glänzenden Nägeln und nicht ein bisschen Schmutz darunter! Corrie May krümmte ihre nackten Zehen ins Gras; sie nahm sich in Acht, ja nicht Anns duftigen Rock zu berühren: »Hoffentlich stör’ ich Sie nicht, Miss Sheramy?«

»Durchaus nicht. Ich habe nichts Besonderes vor. Ich warte auf den Herrn, mit dem ich hierher kam.«

»Herr Larne hat wohl etwas zu erledigen?«

»Ja, er will einen Anschlag machen lassen. Er braucht Holzfäller, um Zypressen zu roden.«

»Holzfäller?«, gab Corrie May eifrig zur Antwort. »Kann man bei ihm Arbeit bekommen?«

»Ja, warum?«

»Ach, Fräulein, ich habe zwei Brüder. Die sind ohne Arbeit. Ob die wohl Beschäftigung finden könnten, da bei den Zypressen?«

»Warum nicht? Ich verstehe nicht viel davon. Herr Larne erzählte mir gerade, er wolle ein Sumpfgebiet kultivieren, das zu seiner Pflanzung gehört. Sie müssten einmal im Kontor nachfragen. ›Ardeith‹ steht über der Tür.«

Corrie May errötete. »Meine Brüder haben nicht viel lesen gelernt, Fräulein Sheramy. Aber sie werden das Kontor schon finden. Dass Sie mir das gesagt haben, dafür bedank’ ich mich auch schön!« Sie erhob sich zögernd aus dem Gras; die Kuchen hatte sie verspeist; sie wischte sich am Rock ihre Hände ab. »Ich glaube, ich gehe jetzt. Lemmy und George – so heißen meine Brüder – lungern irgendwo am Hafen herum. Ich will ihnen wegen der Arbeit Bescheid sagen. Vielen Dank auch, Fräulein, und vielen Dank für die Kuchen!«

»Nicht der Rede wert!«, sagte Ann.

Corrie May wusste nicht, wohin mit den Händen, und rieb sie nochmals am Rock ab. Schließlich brachte sie einen kleinen Knicks zustande, wandte sich und machte, dass sie fortkam.

Sie rannte zu den Landungsbrücken; es gab nichts Eiligeres zu tun, als Lemmy und George zu suchen. Wenn sich Budge inzwischen einstellen sollte, so würde er eben warten müssen. Den Brüdern Arbeit zu verschaffen, war wichtiger als alles andere!

Sie entdeckte ihre Brüder im Schatten eines Gebirges von Zuckerfässern; sie saßen auf einer Schubkarre und rasteten. Lemmy und George, große, starke Burschen, blondhaarig und braun gebrannt wie Corrie May, passten in ein Holzfällerlager. Corrie May berichtete ihnen, dass Mr. Denis Larne tüchtige Männer suche; er hätte vor, Zypressen roden zu lassen.

»Feine Sache! Großartig!«, riefen die beiden. Solche Arbeit hielt wohl den ganzen Sommer über vor; sicherlich aber so lange, bis die Pflanzungen anfingen, ihre Baumwollernte abzufahren. Die beiden zogen sich die Hosen zurecht und machten sich auf die Suche nach dem Kontor der Pflanzung Ardeith, während Corrie May sich wieder zu dem Stapel Baumwollballen trollte, bei dem Budge sie hatte treffen wollen. Er wartete schon.

»Tut mir leid, dass du hier hast herumstehen müssen, Budge!«, entschuldigte sie sich höflich.

»Macht mir nichts aus!«, versicherte er.

»Ich hab’ nämlich Lemmy und George Arbeit verschafft«, erklärte sie. »Zypressenroden!«

»Na, so was! Das ist aber fein!«, sagte Budge. »Fein!«

Corrie May lächelte ihm zu. Budge war ordentlich und kräftig gebaut, weiß Gott; ein Bursch mit einem breiten, roten Gesicht. Sein Hemd stand am Hals offen; dichtes helles Haar wuchs ihm auf der Brust; die Haut darunter, von der Sonne verbrannt, schimmerte ziegelfarben. Nein, elegant und charmant wie Denis Larne war er nicht; aber Fräulein Ann mochte mit ihrem Denis glücklich werden; mir gefällt mein Budge, dachte Corrie May.

Ihre bloßen Füße hinterließen Spuren im Staub der Hafenstraße, als sie gemächlich davonschlenderten. Budge lachte verschmitzt.

»Hab’ dir was mitgebracht!«, ließ er sich vernehmen.

»Was denn?«, fragte sie neugierig.

Aus einer Papiertüte zog er zwei längliche Gebilde aus rosenrotem Zucker mit einem Holzstäbchen mittendurch; er reichte ihr eins davon. »Ach, danke schön!«, sagte Corrie May – und freute sich, dass sie nichts von den Kuchen verraten, die sie von Miss Sheramy geschenkt bekommen hatte.

»Du bist gut zu mir, Budge!«

»Na, das will ich meinen!«, gab Budge obenhin zur Antwort. »Du weißt ja, eines von den Niggerweibern verkauft diese Dinger.«

Sie lutschte das Zuckerzeug von dem Stöckchen, während sie an dem Valcour-Speicher entlangwanderten und den Hafen hinter sich ließen. »Hast du deine Pacht bezahlt?«, fragte Corrie May.

»Klar!«, sagte Budge und fügte hinzu: »Schönes Stückchen Land, das ich da gepachtet habe, ganz gewiss!«

»Wirklich?«

»Und ob!«, sagte Budge. »Pass auf! Jetzt haben wir achtzehnhundertneunundfünfzig.« Er zählte an seinen Fingern die Jahre ab. »Neunundfünfzig, sechzig, einundsechzig. Einundsechzig hab’ ich’s geschafft, wenn’s keine Überschwemmung gibt oder sonst was Blödes, womit ich angeschmiert werde; denn dann könnt’ ich die Pacht nicht bezahlen.«

»Du bist tüchtig!«, sagte Corrie May.

Budge grinste verlegen und stolz. – Sie tauchten in das Gewirr der Gassen um den Rattletrap Square. Wer sich hier nicht auskannte, der verirrte sich unweigerlich. Die engen Straßen bogen um viele Ecken und Kneipen, kreuzten sich so wirr und krumm, dass man schwindlig werden konnte. Doch Corrie May und Budge waren hier geboren; sie beeilten sich.

»Ich werd’ mal lieber erst meiner Mamma das Maismehl abliefern, das ich ihr besorgen sollte«, sagte Budge; sie hatten die Stufen vor seiner elterlichen Hütte erreicht. »Ich komm’ nachher noch ein bisschen rüber. Vor dem Abendbrot.«

»Ja, komm’ nur!«, meinte Corrie May herzlich.

Sie wandte sich dem Hause zu, in dem sie mit ihren Eltern wohnte. Bevor sie es noch erreichte, hörte sie ihres Vaters Stimme dröhnen; erbittert hob sie die Schultern.

Der alte Upjohn war wieder einmal im besten Gange. Er hockte auf den Treppenstufen vor seinem Hause und redete und redete. Ab und zu, wenn er seinen Sätzen besonderes Gewicht verleihen wollte, spritzte er zwischen den beiden mittleren Schneidezähnen fein säuberlich einen Strahl Tabaksaft hervor; der Staub zu seinen Füßen war schon braun getüpfelt. Die Nachbarn standen um ihn herum, halb belustigt und halb einverstanden. Man hatte zwar nicht viel davon, wenn man dem alten Upjohn zuhörte; aber es war kühler hier draußen als unter den Dächern, wo die Frauensleute das Abendbrot kochten, und wenn er die böse Welt anklagte, so hörte sich das leichter an, als wenn die müden Frauen nörgelten und barmten.

Der alte Upjohn schwenkte den Arm weit. Der Wind blies ihm durch den Bart und hob die Fetzen seines Hemdes:

»Glaubt mir, alles falsche Organisation! Manche Leute kriegen zu viel und andere zu wenig. Keine Gerechtigkeit in diesem Lande! Die Regierung hockt in Washington und hält Maulaffen feil. Hab’ ich nicht recht? Also bitte! Hab’ ich nicht recht?«

Mr. Gambrell biss ein Stück von einer Banane ab, die er aus der Tasche gezogen hatte. »Wird schon stimmen, Upjohn!«

»Klar stimmt’s! Und worüber zerbrechen sich die Reichen den Kopf? Das will ich dir sagen: Wie sie bloß noch reicher werden, das ist alles! Kein Herz und kein Mitleid! Man braucht ja bloß mal die Straße am Fluss hinauf- und hinunterzuspazieren, da sieht man, wie die Leute leben, in Sünden und Verschwendung. Die haben noch niemals die Bibel aufgeschlagen. ›Wehe über euch!‹, spricht der Herr. Aber sie hören nicht. Die nicht!«

In weitem Bogen zischte der Tabaksaft zwischen seinen gebleckten Zähnen hervor; er traf ein halb verfaultes Kohlblatt; eine magere Katze beroch es gerade; sie quäkte erschreckt und entfloh.

»Lauter falsche Organisation!«, dröhnte der alte Upjohn weiter. »Alles ungleich verteilt in diesem Lande! Der ganze Staat Louisiana ist nicht in Ordnung. Oder denkt ihr etwa, ich nähme das Maul zu voll? Du glaubst das wohl, Gambrell, was? Machst so ’n hochnäsiges Gesicht!«

»Gar nicht, ganz und gar nicht, Upjohn!«, beteuerte Mr. Gambrell eilig. »Ungerechtigkeit gibt’s überall auf der Welt und hierherum ganz besonders, das stimmt schon!«

»Ungerechtigkeit? Und ob! So wahr ich geboren bin! Wem gehört denn zum Beispiel das Land, auf dem wir alle wohnen? Euch doch nicht! Kein Stück davon! Den St. Clairs gehört es! Und wohnen die etwa hier? Ganz gewiss nicht! Die brauchen mehr Land, da an der Straße am Fluss, damit sie drauf wohnen können. Ich habe gerade ein Buch gelesen. Ich weiß, was ich rede. Wem gehört denn das ganze Land hier im Süden? Ich will’s euch sagen. Achtzig Prozent des Landes gehören einem Prozent der Bewohner!«

»Hm, hm, hm. Das müsste abgeändert werden! Das müsste es!«, brummelte Mr. Kelby. Er drehte sich voll versteckter Hoffnung seiner eigenen Behausung zu; gab es denn immer noch kein Abendbrot? Enttäuscht schnitt er sich einen Brocken Kautabak herunter und ließ den alten Upjohn weiterräsonieren:

»Wie viel Negersklaven haben wir in diesem Lande, weiß das einer?«, donnerte der alte Upjohn fort. »Vier Millionen! Vier Millionen Sklaven hier im Süden! Und gehört dir vielleicht einer davon, Gambrell? Oder dir, Kelby? Kein Einziger! Kein Nigger, kein Einziger, der euch bei der Arbeit hilft. Und wem gehören alle die Nigger? Dreihunderttausend Leuten! In allen Südstaaten zusammen gibt es vier Millionen Nigger und sieben Millionen Weiße; aber die vier Millionen Nigger gehören nicht allen Weißen, sondern nur dreihunderttausend davon. Und das soll gerecht sein? Wir sind genauso weiß wie die Dreihunderttausend! Haben wir nicht genauso verdient, dass Nigger für uns arbeiten wie für die protzigen Leute von der Straße am Fluss? Das kommt alles bloß davon, dass –«

»Ach, Pappa, um Himmels willen!«, fiel Corrie May ihm ins Wort. Sie hatte ein Weilchen zugehört; jetzt konnte sie sein Gebelfer nicht länger ertragen. Uferlos schwatzte er da – und es gab doch genug, was getan werden musste. »Hast du das Holz gehauen? Mamma sagte dir doch, dass du Holz hauen solltest«, fragte sie.

Der alte Upjohn hüstelte verlegen in die vorgehaltene Hand: »Ach, es geht mir nicht besonders, Corrie May!«, brummelte er. »Mir tut mein Bein weh!« Er streckte und reckte sein Bein und stöhnte dabei. »Hier hinten schmerzt es!«

»Wenn man sich schon auf dich verlässt!«, sagte Corrie May verächtlich.

»Wo bist du überhaupt gewesen?«, ging ihr Vater zum Gegenangriff über. »Rumscharwenzeln mit irgendeinem jungen Bengel, was, anstatt deiner armen alten Mamma in der Küche zu helfen?«

Na, dachte Corrie May, wenn alle so wären wie du, dann gäbe es nicht viel in der Küche zu kochen und zu helfen. Sie warf ihren Kopf zurück und verteidigte sich: »Ich bin mit Budge Foster unterwegs gewesen. Er hatte am Hafen zu tun und fragte mich, ob ich nicht mitkommen wollte, es wäre so heiß.«

»Mach nun aber, dass du hineinkommst, und hilf Mamma!«, sagte ihr Vater.

»Ich geh’ schon!«, antwortete Corrie May und blickte zu dem fosterschen Haus hinüber. Budge kam gerade wieder zum Vorschein, winkte ihr und sprang die wenigen Schritte herüber. Er kümmerte sich nicht weiter um die Männer, die da versammelt standen, und trat mit Corrie May ins Haus.

»Was hat dein Vater schon wieder zu reden?«, wollte Budge wissen.

»Ach, wie immer«, sagte Corrie May, als sie in die Küche gingen. »Politik und Regierung, und wie alles verkehrt gemacht wird!«

Budge zuckte die Schultern: »Na ja, die den Mund voll nehmen mit Reden, die haben nichts Besseres hineinzustopfen.«

Mrs. Upjohn blickte hoch, um sie zu begrüßen. Auf dem Herd brodelte das Abendessen. Die Frau beugte sich über ein Waschfass in der Herdecke, wrang ein paar Hemden aus und hängte sie auf eine Leine nicht weit vom Ofen, damit sie bis zum nächsten Morgen trockneten. Der Wrasen machte die Küche heiß und stickig. Die Düfte des schmutzigen Seifenwassers und die des schmorenden Abendbrotes versuchten, sich zu übertrumpfen.

»Na, wie geht’s, Budge?«, fragte Mrs. Upjohn gastfreundlich.

»Kann mich nicht beklagen, Frau Upjohn!«, antwortete er.

Budge bewunderte Corrie Mays Mutter. Sie war eine gute Frau, wenn auch nicht besonders erfreulich anzuschauen. Ihre Schultern waren verkrümmt von ewiger Arbeit; ihr Bauch drängte sich vor; das Schürzenband teilte die Wölbung mit sonderbar tiefem Einschnitt in zwei Hälften. Graues Haar hing ihr feucht und wirr über die Ohren herab; der magere Knoten im Nacken drohte den Nadeln zu entschlüpfen, die ihn hielten.

»Ich glaube, du musst erst ein bisschen Feuerholz hacken, Corrie May«, sagte Mrs. Upjohn. »Auf Pappa zu warten, hat keinen Zweck.« – Corrie May wollte das Beil von der Wand nehmen, wo es aufgehängt war. Budge hielt sie zurück: »Wär’ ja noch schöner! Ein Mädchen – und Holzhacken! Ich werd’ es tun!«

»Nein, Budge!«, sie errötete. »Du bist sicher müde.«

»Keine Spur! Ich bin nicht so leicht müde. Gib mir das Beil!«

Sie ging mit ihm auf den Hof hinaus: »Da ist das Holz. Viel ist nicht mehr übrig. Ach, hoffentlich kriegen die Jungens Arbeit!«

»Sie werden schon!«, sagte Budge. Er wollte ihr Mut machen. Corrie May stand neben dem Haufen Feuerholz und zerrte an ihrem Ärmel; er war zerrissen an einer Stelle. Sie wusste nicht, wie der Schaden entstanden war; aber der Stoff war so mürbe –; er zerfiel von ganz allein.

»Du, Budge –!«

»Ja, was denn?« Er lächelte ihr zu, so freundlich und liebevoll er konnte; er bückte sich und setzte ein Stück Holz auf, um es zu spalten. Corrie May fühlte, wie sie abermals errötete: »Wie wär’s, Budge, wenn du zum Abendbrot bei uns bliebest? Ich könnte uns Pfannkuchen backen.«

»Das klingt nicht übel«, sagte Budge. »Wenn ihr nichts dagegen habt, bleibe ich gern!«

Er lachte über sein ganzes ehrliches Gesicht.

Corrie May lief eilig in die Küche zurück: »Budge bleibt zum Abendbrot!«, verkündete sie.

Mrs. Upjohn war einverstanden; sie lächelte: »Budge ist ein guter Mensch! Das ist er!«

Auch Corrie May lächelte, als sie das Maismehl hervorholte. »Mamma?«, fragte sie und rührte den Teig an. »Wie alt warst du eigentlich, als du heiratetest?«

»Fünfzehn auf sechzehn«, sagte Mrs. Upjohn. »Und ich hatte die Auswahl –!«

Corrie May erwiderte nichts. Mit der Auswahl konnte es nicht weit her gewesen sein, wenn kein besserer als ihr Vater übrig geblieben war. Sie besaß natürlich kein Recht, dies auszusprechen; außerdem regte sich die Mutter längst nicht so über Pappas Predigten auf wie sie selbst. Mamma meinte gutmütig, das käme davon, wenn einer lesen lernte. Arme Leute sollten die Hände von den Büchern lassen; sie kriegten dann große Rosinen in den Kopf – und das täte nicht gut.

Mamma fing an – was sie gern tat – in Erinnerungen zu kramen: »Ich hab’ deinen Vater auf einem Ball kennengelernt – an einem Samstagabend in der Scheune von den Sheramys. Ich kannte einen Mann, der bei den Sheramys an der Maschine arbeitete; der nahm mich mit. Wenn die Ernte vorüber war, dann gaben die Pflanzer den Männern ein Fest; jeder konnte sich Damen mitbringen. Ich hatte ein rosa Kleid an mit großen, weiten Ärmeln und einen Strohhut auf mit Bändern dran, und das Haar hatte ich mir mit Quittensaft gelockt. Und wir tanzten den Virginia-Schottisch – und ich war am leichtesten beim Tanz; das sagten alle!«

Corrie May wusste nichts zu sagen. Aber schweigen durfte sie nicht; sie musste sich äußern, irgendwie, um sich nichts anmerken zu lassen; es fiel ihr schrecklich schwer, sich ihre Mutter als leichtfüßige Tänzerin vorzustellen. Sie fragte:

»Was – was hatte dein Haar damals für eine Farbe, Mamma?«

»Ziemlich hell, so wie deines!«, sagte Mrs. Upjohn. »Ich hätte dir bestimmt gefallen, wie ich damals aussah. Dein Vater sagte immer, er hätte niemals ein hübscheres Mädchen gesehen.«

Corrie May ließ den Rührlöffel in die Schüssel sinken und wandte sich um. Die Mutter stand immer noch über das Waschfass gebeugt. Ihr Gesicht, zerfurcht und verwittert, glich beinah’ einem alten Rock, der lange im Regen gelegen hat. Ihr Atem zischte ein wenig, wenn er den Mund verließ; Mrs. Upjohn hatte ihre vier oberen Schneidezähne verloren. Vom heißen Wasser war die Haut ihrer Hände gerötet und gequollen; fast ähnelten sie Stücken rohen Fleisches.

Corrie May trat vor einen zerbrochenen Spiegel, der an der Küchenwand hing. Einen Spiegel muss man haben, sagte die Mutter stets. Das sieht hübscher aus – und hängte rote Pfefferschoten um ihn herum, auf eine Schnur gezogen. Corrie May betrachtete ihr Spiegelbild, die kräftige schöne Linie des Halses, die hohen, festen Brüste, ihre warm durchblutete, reine Haut. »Mamma«, fragte sie mit leiser furchtsamer Stimme, »wann war das? Als du damals auf den Ball gingst und Pappa kennenlerntest –?«

»Wann? Warte mal! Das muss – ja, neununddreißig ist das gewesen.«

Neununddreißig, neunundvierzig, neunundfünfzig – vor zwanzig Jahren also. Dann war Mamma jetzt erst fünfunddreißig Jahre alt!

Eine böse Hand griff nach ihrem Herzen. Sie schluckte krampfhaft. Aus dem Hinterhof hörte sie, wie Budge sein Beil in die Holzscheite trieb; er sang vergnügt mit klarer Stimme:

»Als die Arbeit vorbei war, ging ich Jinny besuchen.

Und Jinny setzte den Topf aufs Feuer.

Und Jinny setzte den Topf aufs Feuer.

Das tat Jinny, mein Schatz –!«

Corrie Mays Fäuste ballten sich; sie fühlte sich hilflos vor Furcht. Sie stand mitten in der Küche. Ihren Budge also sollte sie heiraten. Und wenige Jahre danach würde sie ebenso anzuschauen sein, wie ihre Mutter jetzt aussah! Sie dachte an ihr Erlebnis vom Vormittag: In einer ihrer wunderbar gepflegten Hände hatte Miss Sheramy die Handschuhe gehalten und mit der anderen die Schwäne gefüttert.

Sie dachte an Denis Larne, wie er am Wagen gestanden hatte; sie versuchte, sich vorzustellen, wie Ann Sheramy wohl in zwanzig Jahren aussehen mochte – ach, ihre Hände würde sie dann immer noch wunderbar pflegen.

Plötzlich kamen ihr die Worte in den Sinn, die sie von ihrem Vater vernommen hatte – vor einer viertel Stunde erst, als sie heimgekommen war. Sie hatte sie kaum begriffen, war viel zu zornig darüber gewesen, dass ihr Vater wieder uferlos schwatzte. Aber sie hatte sie doch behalten. Und nun mit einem Male wurde ihr klar, was ihr Vater gemeint hatte.

Wenn man die Sklavenhalter-Familien nicht mitzählte – so gab es sechs Millionen Weiße, die sich keine Sklaven halten konnten. Sechs Millionen, die wenig oder nichts ihr Eigen nannten. Corrie May war klug genug zu wissen, dass wer Sklaven besaß, auch über alles andere verfügte. Wenn jemand zu Geld und Ehren kam in dieser Welt – das Erste war, dass er sich einen Nigger kaufte.

»Herr Jesus!«, sagte Corrie May ganz laut.

»Corrie May Upjohn!«, rief ihre Mutter entsetzt. »Hör auf damit! Du sollst den Namen deines Gottes nicht unnützlich führen!«

»Gott hat bisher nicht viel für mich getan!«, sagte Corrie May.

»Wie darfst du so reden!«

Mrs. Upjohn wrang das letzte Wäschestück aus, hängte es auf und trocknete sich die Hände an der Schürze ab. »Hast du etwa kein Zuhause? Hast du nicht gute Geschwister, die alles bei mir abliefern, was sie verdienen? Hast du nicht genug zu essen? Hast du schon einmal keine Kleider mehr anzuziehen gehabt? Hast du nicht einen feinen jungen Mann, der dir schöne Augen macht? Was willst du wohl noch? Auf den Knien solltest du deinem Schöpfer danken, dass er’s so gut mit dir meint! Wenn ich an andere denke –«

»Ach, lass nur! Ich sage nichts mehr!«, fiel ihr Corrie May ins Wort. Sie fühlte sich hilflos. Eine graue Wand türmte sich vor ihr auf. Ihr Schicksal schien seit Menschenaltern beschlossen. Sie wurde einfach hineingezwungen; und jedermann schien an der feindlichen Verschwörung beteiligt: Mutter und Vater und Budge genauso wie die reichen Leute mit ihren Sklaven.

»Ich habe heute im Park Miss Ann Sheramy gesehen«, sagte Corrie May unvermittelt.

»Wirklich? Die Sheramys sind immerfort im Park zu treffen. Na, ich komm’ schon lange nicht mehr hin.« Mrs. Upjohn fing plötzlich an zu kichern.

»Was lachst du?«, wollte Corrie May wissen.

»Ich musste an deinen Pappa denken. Er erzählt manchmal die tollsten Geschichten. Er hat mir mal gesagt, er wäre mit den Sheramys verwandt.«

»Verwandt?« Corrie Mays Stimme klang dünn vor Unglauben. Mrs. Upjohn lachte: »Er denkt sich wirklich verrückte Sachen aus, manchmal wirklich! Das ist einer! Sein Vater hat es ihm erzählt; der hieß Gideon. Und Gideons Mutter soll eine Dame aus Kuba gewesen sein. Zuerst war sie mit einem von den Sheramys verheiratet; dann hat es einen großen Krach gegeben, und die Sheramys setzten sie an die Luft. Sie verzog sich hierher zum Rattletrap Square; Gideons Vater lief ihr über den Weg, und sie heiratet ihn. Dein Vater erzählt manchmal das Blaue vom Himmel herunter – das kann ich dir sagen!«

»Glaubst du daran?«, fragte Corrie May nachdenklich.

»Ach, bewahre! Was dein Pappa so alles daherredet – davon stimmt kaum die Hälfte! Stell jetzt den Teig aufs Feuer!«

Corrie May goss den zähen Teig in die Pfanne und rückte ihn aufs Feuer. Eine Dame aus Kuba – du lieber Himmel! Sie glaubte nicht an Damen, die mir nichts, dir nichts Männer namens Upjohn heirateten. Aber aufregend war die Geschichte, sogar gruselig; wär’ dies oder das nur ein wenig anders geraten, vielleicht trüge sie jetzt Reifröcke und führe in einem schönen Wagen spazieren. Es klang wie ein hübsches Märchen. Wie seltsam, allzu seltsam wäre es, wenn ihr und Ann Sheramy ein Löffelchen gleichen Blutes in den Adern flösse!

Budge brachte einen Armvoll Kleinholz herein. »Hier ist das Holz«, verkündete er. Mrs. Upjohn sollte merken, dass er sich nicht für zu gut hielt, seinem Mädchen zu helfen. »Das riecht ja wunderbar, was Sie da auf dem Feuer haben, Mrs. Upjohn!«

Mrs. Upjohn wischte mit ihrer Schürze einen Stuhl ab. »Setz dich, Budge, und ruh dich aus! Die Jungens werden gleich da sein. Mach dir’s gemütlich! Als wenn du zu Hause wärst.« Sie lachte ihn an; er sollte wissen, wie stolz sie war, dass er, ein so ansehnlicher Bursche, ihre Tochter verehrte. »Corrie May, setz dich auch und fang mit Budge an zu essen. Ich werde euch auftischen; es macht mir nichts aus!«

Corrie May gehorchte wortlos.

»Ich bin drauf und dran, mir ein Häuschen zu bauen auf meinem Stück Land«, sagte Budge.

»Ist nicht möglich!«, ereiferte sich Mrs. Upjohn.

»Doch, doch! Ich ziehe bald hinaus. Das Haus soll zwei Zimmer haben und ein Regenfass an der Rückwand. Ich bin nicht damit zufrieden, immer bloß in einem einzigen Zimmer zu wohnen wie manche.«

»Du willst hoch hinaus, wie?«, sagte Mrs. Upjohn. »Hast du gutes Land?«

»Gewiss gutes! Meine Baumwolle ist erstklassig. Und wenn ich die Pacht bezahlt habe, bleibt mir immer noch etwas übrig.« Er räusperte sich und schlug ein Bein über das andere Sie half ihm weiter: »Dann wirst du wohl bald eine Frau brauchen, die dir beisteht, Budge. Ein Mann kann alleine seine Sachen nicht richtig in Ordnung halten.«

»Das stimmt, Mrs. Upjohn. Das stimmt wirklich. Ich brauche eine Frau. So ist es!«

Er warf einen Seitenblick auf Corrie May, die neben ihm auf dem Stuhl saß. Er sieht nicht übel aus, gab sie widerwillig bei sich zu, mit seinem gelockten Haar und seinem breiten, gesunden Gesicht. Und ehrlich ist er und fleißig. Er würde gut zu mir sein – und am Sonnabend nicht betrunken –, und schlagen würde er mich auch nicht, wenn einmal die Ernte nicht nach Wunsch ausfiel.

Doch ihr Inneres brodelte in hellem Aufruhr; ihr schien nicht mehr verlockend, was den anderen so gut gefiel.

»Ein gutes, häusliches Mädchen, das brauchst du, wenn du heiraten willst!«, sagte Mrs. Upjohn. »Lass dich bloß nicht von einer fangen, die nichts als Kleider im Kopfe hat und den Männern am Hafen hübsche Augen macht. Ein gutes, häusliches Mädchen, das was vom Kochen und Saubermachen versteht und dir hilft im Herbst, wenn die Baumwolle zu pflücken ist.«

»Ja, ja, Frau Upjohn, ein gutes, häusliches Mädchen!«, stimmte Budge bei. Seine Augen ruhten auf Corrie May.

Corrie May atmete schwer, als sei ein schwerer, unsichtbarer Deckel über sie gestülpt und sie könnte nicht schreien und sich nicht dagegen stemmen. So steigt in Hochwasserjahren die Flut, kriecht an den Dämmen höher und höher, unaufhaltsam – und du kannst dich nicht wehren.

»He, Ma!«, kam eine Stimme von der Tür. »Ist das Abendbrot fertig?«

Corrie May sprang auf; gerettet! Für den Augenblick war die Gefahr gebannt. Lemmy und George stampften ins Zimmer.

»Ruf den Pappa herein und rücke die Stühle an den Tisch!«, sagte Mrs. Upjohn herzhaft. Budge errötete noch stärker; er sah aus wie ein Ziegelstein.

»Wie geht’s Budge?«, fragten die beiden Brüder Upjohn.

»Mir geht’s gut, kann mich nicht beklagen«, erwiderte Budge.

»Habt ihr Arbeit bekommen?«, erkundigte sich Corrie May.

»Und ob! Ich erzähle gleich. Muss erst was essen«, sagte Lemmy.

Corrie May ging schnell hinaus, um ihren Vater zu rufen. Jeder zog einen Stuhl herbei. Alle sprachen durcheinander. Die Jungen schwatzten in bester Laune. Die Küche war heiß; Mrs. Upjohn stieß die Hintertür auf; frische Luft strömte herein. Jeder hatte Hunger mitgebracht. Es gab ein gutes Essen: grobes Gemüse mit Bauchfleisch, Pfannkuchen mit Sirup und Kaffee. »Probier nur einmal diese Pfannkuchen, Budge!«, drängte Mrs. Upjohn. »Corrie May hat sie gebacken. Die kann beinahe besser kochen als ich. Sei nur nicht ängstlich. Greife ordentlich zu. Es ist genug da!«

»Feine Sache, dass du so reichlich gekocht hast, Mamma!«, sagte Lemmy und schöpfte sich einen Berg von Kohl auf den Teller. »George und ich, wir brauchen ein kräftiges Essen heute Abend. Morgen in aller Frühe müssen wir los!«

»Gute Arbeit?«, fragte sie eifrig.

»Es geht, es geht«, meinten die Brüder, ein wenig von oben herab, als wollten sie sagen: Geschickte Kerle wie wir – uns trägt man die Arbeit hinterher; wir brauchen nur auszusuchen, was uns am meisten behagt.

»Großartig!«, sagte der alte Upjohn.

Die Burschen grinsten mit vollen Backen. Sie nahmen ihrem Vater nicht viel übel; beschwerten sich wohl hie und da über seine Faulheit und waren im Geheimen stolz auf ihn: Er verstand es, dicke Reden zu halten, und die Nachbarn respektierten ihn.

»Ihr seid gute Söhne!«, sagte Mrs. Upjohn. »Wollte Gott, ich hätte mehr als bloß euch zwei übrig behalten!« Sie seufzte. Sie hatte so viele Kinder geboren; aber schwieriger war es, in diesem Elend und dieser Enge die Kinder auch großzuziehen. Die kleinen Dinger legten sich einfach hin und starben.

Lemmy und George beredeten die neue Arbeit; George gab Lemmy gewöhnlich nach, denn Lemmy war älter.

»Wir werden Zypressen fällen – in einem Sumpfland zwischen Dalroy und New Orleans«, berichtete Lemmy. »Der Sumpf gehört Mr. Denis Larne, demselben, der auf der Plantage Ardeith sitzt. Wir kriegen erstklassige Löhne.« Er legte bedeutsam eine Pause ein.

»Fünfundsiebzig Cents am Tag!«

»Fünfundsiebzig Cents am Tag!«, wiederholten alle; es ging wie ein Echo um den Tisch.

Die Brüder nickten. »Anständige Löhne, was?«

»Dieser Mr. Larne muss ein ordentlicher Mensch sein«, stellte Budge fest. »Macht seine Leute nicht zuschanden wie mancher andere!«

»Seht euch vor!«, sagte der alte Upjohn. »In den Sümpfen, da holt man sich leicht das Fieber um diese Jahreszeit!«

»Ach was!«, antwortete George; er war böse, dass der Vater den guten Nachrichten einen Dämpfer aufsetzte. »Das Sumpffieber hat uns noch nie was anhaben können. Wir sind zähe. Kann ich mal den Sirup haben, Corrie May?«

Corrie May reichte ihm den Topf mit dem süßen braunen Saft ohne ein Wort. Was ihr vor dem Essen durch den Kopf gegangen war, hatte ihr die Freude verdorben. Sie hatte den Brüdern Arbeit verschafft – nun gut! Für fünfundsiebzig Cents am Tage, wie erbärmlich!

»Außerdem«, fuhr Lemmy fort, »ich will dir was sagen, Pappa. Ein paar von den Männern haben allerhand vom Fieber gesprochen. Mr. Larne sagte, dass manchmal ein paar Leute Fieber bekommen, da bei den Zypressen. Aber er ließe die Männer nicht hingehen, wo sie krank werden; sein Sumpf, der wäre gesund, da würde keiner krank! Und wenn doch einer am Fieber sterben sollte – dafür wäre auch gesorgt. Dann würde den Hinterbliebenen eine Versicherung ausgezahlt. Fünfzig Dollar!« Genießerisch langsam ließ er die letzten Silben fallen, damit sie auch jeder begriff.

»Fünf – zig Dol – lar?« Sie wiederholten die Worte ehrfurchtsvoll und bewundernd.

»So wahr ich geboren bin: fünfzig Dollar!«, sagten Lemmy und George wie aus einem Munde. George fügte hinzu: »Mit dem Fieber kann es nicht schlimm sein, sonst würde Mr. Larne nicht so viel riskieren!«

So ging das Abendmahl vergnügt vonstatten. Die Brüder legten sich bald zu Bett; sie hatten früh auf und fertig zu sein am nächsten Morgen.

Budge flüsterte mit Corrie May, ob sie nicht noch am Hafen entlang mit ihm einen Spaziergang machen wollte. Aber sie fühlte sich nicht mehr munter genug.

Der Mutter gefiel das nicht besonders. Doch Corrie May brauchte Zeit, um nachzudenken. Budge nahm also Abschied; er schien ein wenig gekränkt. Corrie May wusch das Geschirr ab. Was gab es groß nachzudenken! Gegen Budge war nicht viel einzuwenden; sie konnte sich keinen besseren Mann wünschen. Und trotzdem war in ihrem Innern ein böser Ärger wach geworden; wie sie die Umstände plötzlich hasste, in die sie hineingeboren war; sie redete sich selbst gut zu, vernünftig zu sein und nicht Unmögliches zu verlangen. Doch das Unbehagen und die Unzufriedenheit, die ihr Herz beschlichen, wollten nicht weichen.

In dem kleinen Verschlag hinter der Küche kroch sie ins Bett. Sie hörte den Vater schnarchen – und hörte auch die Mutter: wie ihr der Atem leise pfeifend durch die Lücke hinter der Oberlippe fuhr, wo ihr die Zähne fehlten. Corrie hielt sich die Ohren zu und vergrub ihr Gesicht in den Kissen.

ZWEITES KAPITEL

1

Vier Wochen zogen ins Land, und alles ließ sich großartig an. Welch Glück, dass die Brüder für einen so guten Herrn wie Mr. Larne arbeiten durften. Der kümmerte sich um seine Leute! Jeden Sonnabend, den Gott werden ließ, erschien ein Bote aus dem Lager der Holzfäller und machte die Runde bei den Frauen und Eltern der Arbeiter; er zahlte den halben Wochenlohn an die Familien aus; die andere Hälfte wurde den Holzfällern gutgeschrieben; sie wurde erst abgerechnet, wenn die Arbeit getan war.

Corrie May gedachte dankbar des Mr. Larne, während sie sich mit dem Mittagsmahl beschäftigte. Heute war Donnerstag und Samstagabend wieder der Geldbote fällig. Eine feine Sache, wenn regelmäßig Geld anlangte.

Sie buk ein süßes Maisbrot und kochte einen Topf Blattkohl mit Reis. Ihr Vater mochte Blattkohl gern; Corrie May lehnte ihn ab. Nach ihrer Meinung schmeckte er wie Löschpapier, in Schmalz gesotten; aber sie war daran gewöhnt. Und die Mutter mahnte gleich, ob die Tochter etwa glaubte, eines reichen Mannes Kind zu sein, der sich grüne Erbsen und Spargel leisten könnte. Zum Lachen ist es doch, dachte Corrie May, während sie den brutzelnden Topf bewachte: Die reichen Leute auf den Plantagen, die lassen den Blattkohl wachsen, aber essen tun sie ihn nicht! – Sie pflanzten ihn an in gewaltigen Feldern, große Stauden mit groben rauen Blättern, so dunkelgrün, dass sie beinahe schwarz aussahen, und fütterten ihre Nigger damit und schickten den Überschuss auf den Markt, um ihn billig an arme weiße Leute zu verhökern. Aber wozu soll man sich darüber den Kopf zerbrechen, meinte schließlich Corrie May. Sie hob die dampfenden, blattreichen Büschel aus dem Kochtopf, um sie zu zerschneiden. Man brauchte sich keine Sorgen zu machen; das Dasein lief munter und glatt dahin bei den Upjohns wie schon seit Langem nicht. Und was sagte die Mutter immer: Es ist genug, dass ein jeder Tag seine eigene Plage habe!

Als die Kohlblätter aufgetischt waren, ging sie nach vorn, die Eltern zum Essen zu rufen. Der alte Upjohn saß auf einer Kiste und rauchte seine Pfeife; er redete feierlich daher wie meistens, obgleich ihm niemand weiter zuhörte als seine Frau – und die kannte seine Reden schon und horchte kaum noch hin. »Lasst ihn nur reden«, sagte sie, »mich stört das gar nicht, und man kann so gut stopfen und nähen dabei.«

»Das Essen steht auf dem Tisch!«, verkündete Corrie May.

»Schon!«, sagte die Mutter. »Der Faden ist gleich zu Ende.«

»Du hilfst deiner Mutter ganz ordentlich!«, meinte gnädig der alte Upjohn, erhob sich und klopfte sich die Hosen ab.

Corrie May zuckte heimlich die Schultern. Solche Redensarten führte er immer im Munde. Dabei konnte er selbst mehr Wehleidigkeiten erfinden als irgendwer sonst – es brauchte nur die kleinste Arbeit zu verrichten zu sein!

Die Gasse herauf drang ein scharfes dünnes Wehgeschrei. Corrie May fuhr auf:

»Wer ist das? Mrs. Gambrell? Was hat sie denn?«

»Herr im Himmel, ich weiß nicht!«, erwiderte Mrs. Upjohn und blickte besorgt die Straße entlang.

Sie sahen Mrs. Gambrell auf den Stufen vor ihrer Hütte stehen. Ein Mann redete auf sie ein; aber es wollte ihm nicht gelingen, sie zu beruhigen. Mrs. Gambrell hielt sich die Schürze vors Gesicht, wiegte sich auf den Hacken hin und her, hin und her – und weinte und schrie laut dabei:

»Oh, mein Gott! Ach, Herr im Himmel, erbarme dich! Ach, erbarme dich! Oh, oh, oh!« Immer lauter und gellender.

Corrie May lief die Straße hinunter. Drei, vier andere Frauen schlossen sich an. Jeder wollte wissen, was passiert war. Corrie May langte als Erste bei der Weinenden an.

Sie packte Mrs. Gambrell bei den Schultern und schüttelte sie sanft.

»Was ist denn? Was ist denn bloß los? Ist etwas Schlimmes passiert?«

Mrs. Gambrell schwankte hin und her und klagte laut. Die Stimmen der Nachbarn fielen ein; sie jammerten allesamt aufs Tiefste betroffen.

»Himmel, hilf uns, hilf uns allen!« Mrs. Gambrell ließ die Schürze sinken; sie flatterte zu Boden. »Sie haben ihn mir umgebracht. Meinen Mann! Im Sumpf da unten – mit Fieber! Herr, Herr, erbarm dich meiner kleinen Kinder! Ich hab’s ihm ja gesagt! Ich hab’s ihm ja gesagt! Er hätte nicht hinzugehen brauchen! Ach, Herr Gott im Himmel! Ach, lieber Gott im Himmel!«

Corrie May schreckte zurück. Auch die anderen Frauen, die sich um die Klagende drängten, fuhren zurück – die Augen weit aufgerissen in den besorgten Gesichtern. Einen Augenblick schwiegen sie alle still vor Entsetzen. Jetzt erkannten sie auch den Mann, der Mrs. Gambrell die Schreckensbotschaft überbracht hatte; es war derselbe, der samstags pünktlich die Löhne ablieferte. Sie fielen über ihn her mit hundert wilden Fragen; sie wollten wissen, was aus ihren Männern geworden war. Und immer noch mehr Frauen eilten herbei; die Kinder strömten zusammen; sie wussten nicht, was passiert war; aber aufregend musste es sein; das durften sie nicht verpassen. Der Mann aus dem Holzfällerlager blickte sich um, mitleidig und ungeduldig zugleich. Er zog sich zurück; ihm lag nichts daran, sich die Knöpfe vom Rock und die Ärmel aus dem Anzug zerren zu lassen.

»Nun einmal Ruhe, Ruhe! Einen Augenblick Ruhe, bitte! Ich werde alles berichten. Ihr müsst nur ein wenig Geduld haben. Lasst mich nur eine Sekunde in Frieden! Ja, wir hatten ein bisschen Fieber im Lager. Es war nicht schlimm, war nur halb so schlimm, wie ihr alle denkt! Die meisten Männer haben kein Fieber, sind kerngesund! Macht mir Platz, Leute! Lasst mich durch!«

Er schwang sich auf Mrs. Gambrells Treppenstufen; die Frauen pressten sich um ihn herum. »Das Fieber!«, schrie eine der Frauen. »Schleppen die Leute in die Sümpfe mitten im Sommer!«

»Sachte, sachte, Frau, das soll keiner sagen! Kein Mensch wurde in die Sümpfe geschleppt. Jeder Einzelne, der sich anwerben ließ, Zypressen zu roden, hat das freiwillig getan und auf eigene Gefahr. Das wisst ihr genauso gut wie ich. Werdet nur erst ruhiger, Leute!« Er wedelte mit der rechten Hand in der Luft, als wollte er jedem der Versammelten auf die Schulter klopfen.

»Ich will die Namen der Männer, die krank geworden und gestorben sind, der Reihe nach vorlesen.« Er sagte es mit besänftigender Stimme; fuhr dann lauter fort: »Bevor ich aber beginne, möcht’ ich euch alle daran erinnern, dass die Männer für einen vornehmen Herrn gearbeitet haben, wie kein besserer jemals Arbeit vergeben hat. Mr. Larne hat alle gegen das Fieber versichert. Und dabei ist es geblieben; das prägt euch ein! Jede Frau, die einen Mann aus ihrer Familie verloren hat, bitte sehr, die kann gleich zum Ardeith-Kontor am Hafen gehen, und da bekommt sie die Löhne, die der Mann noch ausstehen hat, und fünfzig Dollar dazu. Nun seid also still, damit ich die Namen vorlese!«

Er zog ein Papier aus der Tasche. Corrie May wurde von einem solchen Krampf der Angst und Erwartung überfallen, dass ihr die Waden schmerzten. Sie hatte den Arm um die Mutter gelegt; die schmiegte sich eng an sie an. Ihr Vater stand ein Stückchen weiter hinten. Der Mann auf der Treppe erhob die Stimme:

»John Gambrell. Felipe de Sola. Joshua Horton.« Jedem Namen antwortete kreischend ein Schrei aus der Menschenschar. Die arme Mrs. de Sola fiel im Staub auf die Knie und fing an, schluchzend auf Spanisch zu beten; sie beugte den Kopf bis zur Erde und hob ihn wieder im Takte des klagenden Gebets. Die anderen klopften ihr auf die Schulter und blickten doch nicht hin; sie lauschten angstvoll den nächsten Namen.

»Peter Creel. Yvon Picot. Jean Lapeyroux. Hernando Grima. Henry Wales. George Upjohn. Lemmy Upjohn.«

Corrie May hörte einen langen, wie erstickten Schrei aus ihrer Mutter Kehle dringen und presste die ins Herz Getroffene dichter an sich heran; sie vernahm die weiteren Namen nicht – wie durch einen Nebel wurde sie noch des Jammers der anderen Frauen gewahr – und wunderte sich zugleich, warum sie alle kreischten und schrien; es nutzt ja nichts mehr!

»Wir wollen heimgehen«, sagte sie langsam.

Sie führte ihre Mutter in die Küche. Da stand noch auf dem Tisch das heiße Maisbrot, und aus der Schüssel mit Reis und Kohl stieg der Dampf. Der Vater war daheim. Er saß im Stuhl am Ofen; sein Kopf hing auf die Brust; die Hände ließ er zwischen den Knien pendeln.

Schwankend erhob er sich, als hätte ihn wer auf den Schädel geschlagen. Er sagte zu seiner Frau:

»Komm, setz du dich hierher, mein Schatz!«

Während Corrie May ihre Eltern beobachtete, begriff sie zum ersten Mal in ihrem Leben, warum die Mutter den Vater immer noch liebte, warum sein verspieltes Gebaren sie niemals ungeduldig machte. Er ging so sanft mit ihr um, rieb ihr die Hände zwischen den eigenen, ließ sich aufs Knie nieder und trocknete ihr mit der Schürze die Tränen ab. Leise sprach er ihr zu, wie man einem Kinde zuspricht. Seine Worte klangen wunderbar schön; er wusste Sprüche aus der Heiligen Schrift, die wie Musik ertönten: Im Blute des Lammes wären die Kinder nun gewaschen und wanderten im Licht auf goldenen Straßen Gottes, an tiefen Strömen entlang, darinnen die Wasser des Lebens fließen.

Corrie May trat vors Haus und setzte sich auf die Treppe. Er wusste besser als sie, was zu tun war. Bald füllte sich das Haus mit Nachbarn. Wer selbst nicht betroffen war, der wollte die anderen trösten. Corrie May war froh, dass das Mittagessen noch auf dem Tische stand. Die Mutter vermochte kaum einen Bissen zu sich zu nehmen; mochten die anderen ihr zureden, so viel sie wollten: dass sie gerade jetzt bei Kräften bleiben müsse und nichts damit geholfen wäre, wenn sie hungerte. Und vor lauter Zureden bekamen die Gäste selber Hunger, ließen sich nicht lange bitten, und schnell war die Schüssel leer, das Brot verspeist.

Am nächsten Morgen erschien Budge Foster. Er war schon in die Hütte umgezogen, die er sich auf seinem Ackerland errichtet hatte. Zu ihm war die schlimme Kunde verspätet gedrungen. Er fragte, ob er helfen könnte. Corrie May dankte Gott, als er sich blicken ließ, denn alles, was getan werden musste, das würde sie zu verrichten haben – daran war kaum zu zweifeln. Die Mutter weinte und wankte gebrochen umher; niemand außer dem alten Upjohn vermochte ihr Trost zu spenden.

Budge meinte, er wolle sich aufmachen, die Leichen aus dem Lager in die Stadt zu holen; die Jungens sollten ordentlich begraben werden.

»Ich komme mit!«, sagte Corrie May.

»Ach, überleg mal, liebes Mädchen! Das brauchst du nicht!«

»Ich glaube doch, ich muss mit dir fahren!«

»Das ist nicht das Richtige für ein Mädchen!« Budge sagte es männlich ernst und wichtig.

»Aber ich kann doch keinen Fremden meine Brüder holen lassen; dazu habe ich sie zu gern gehabt«, beharrte Corrie May.

»Ich bin kein Fremder!«, widersprach Budge Foster. »Außerdem könnte die Fieberluft immer noch im Lager herrschen, Kindchen! Nachher wirst du mir auch noch krank!«

»Und wenn schon!«, begehrte sie auf. »Das ist kein Leben mehr! Lieber tot sein und im Himmel! Immerzu muss man sich kümmern und sorgen, dass sich die Männer nicht selber umbringen – und sie wollen doch bloß ihren Unterhalt verdienen, weiter nichts!«

Budge ließ sich auf keinen Streit mit ihr ein. Sie kletterten auf den Wagen und holperten aus der Stadt, die große Straße entlang, bis sie den Seitenweg erreichten, der zu den Sümpfen führte. Die Zypressen wucherten üppig in der warmen, feucht schweren Luft; den dichten Urwald hier hatte der Mensch noch nicht unterworfen. Die Bäume drängten sich so dicht zum Licht empor, dass der moorige Grund ewig im Dämmer lag. Überall waltete lautlose Stille, die nicht nur die Ohren, sondern auch die Augen einschläferte. Grau das Wasser und silbern die Stämme; Moos quoll in langen, spitzen Fahnenfetzen von den Ästen hernieder, lavendelfarbene Sumpfhyazinthen schimmerten verhalten; in der heißen, stumpfen Luft schwebte die Landschaft, als besäße sie nur Höhe und Breite, ermangelte aber der Tiefe. Am Grund des Waldes lastete seltsam die Hitze; ganz anders spürte man sie hier als weiter oberhalb am Strom, wo die Stadt lag; sie drückte feucht und schwer; der Schweiß wollte nicht mehr trocknen auf der Haut; die Tropfen liefen den Rücken hinunter, zwischen den Beinen abwärts und tropften von der Stirn und den Augenbrauen, als wären es Tränen.

Die Toten lagen in einem Zelt unweit des Fahrwegs aufgebahrt. Weit hinten am Rande der Lichtung waren die Holzfäller an der Arbeit, schlugen weiter Baum für Baum aus der graugrünen Dämmerung. Der Mann, der das Totenzelt beaufsichtigte, behandelte die Besucher sehr höflich. Er beteuerte, wie tief er bedauere, dass all’ die jungen Leute hätten sterben müssen. Er fragte Corrie May, ob sie mit den beiden Toten verwandt sei. Ja, sie wäre die Schwester. Sie erhielt ein Papier: »Gib das deinen Eltern«, sagte der Mann. »Sie sollen damit zu dem Kontor am Hafen gehen. Sie bekommen hundert Dollar Versicherung darauf. Fünfzig Dollar für jeden!«

Corrie May steckte den Schein in ihre Tasche. Soll ich ihn Mamma geben? Die verlor ihn womöglich in ihrem Kummer. Und Pappa – der würde das Geld verschwenden, würde es für Wein und Blumen ausgeben und für schöne Trauerkleider, um Mamma damit zu trösten. Am besten, sie behielt das Geld und sorgte für Essen und Trinken.

Sie hoben die Toten auf den Wagen und breiteten ein Laken über sie hin. Corrie May vermochte sich der Tränen nicht zu erwehren, als sie heimwärts rumpelten. Budge legte liebevoll seinen Arm um ihre Schulter: Wie leid ihm alles täte, wie leid!

Die Jungen bekamen ein schönes Begräbnis. Mr. Upjohn hielt selbst die Predigt; von weit her waren die Leute herbeigeströmt. Jedermann meinte, es wäre das feinste Begräbnis gewesen seit Menschengedenken.

Mr. Upjohn – gewiss, der war ein gewaltiger Prediger vor dem Herrn!

2

Am Tage nach dem Begräbnis erschien Budge abermals mit seinem Wagen, um Corrie May abzuholen; er wollte mit ihr zum Kontor der Pflanzung Ardeith fahren, das Versicherungsgeld einzukassieren. Budge und Corrie May waren sich einig, das Geld den Eltern nicht auszuliefern.

Als sie zum Hafen hinunterrollten, fragte Corrie May, ob es Budge nicht schwerfiele, seine Äcker so lange im Stich zu lassen. Budge hob erstaunt die Stimme:

»Aber Mädchen, wo denkst du hin? Du bist mir wichtiger als die Baumwolle. Ich wollte dir sowieso schon sagen –«

»Was denn?«, fragte Corrie May.

Budge räusperte sich verlegen: »Ach, eigentlich ist dies nicht die richtige Zeit; die schwarzen Bänder hängen noch am Türpfosten und an der Klinke. Ich wollte dich fragen … Aber du weißt es wohl schon – ich, ich hab’ dich schon immer gern gehabt.«

Sein Gesicht war puterrot, als wäre ihm übel. »Du brauchst mir ja nicht zu antworten, ehe die Trauerzeit vorbei ist, aber wenn wir heiraten können, bevor die kalten Tage kommen – das wäre eine Sache! Ich, ich – wär’ stolz auf dich, Corrie May!«

Corrie May kaute auf ihren Lippen und zögerte. Eine seltsam zärtliche und tröstliche Wärme stieg in ihr auf. »Ich – ach, ich weiß nicht –«, erwiderte sie. »Ich, ich hab’ noch nicht viel ans Heiraten gedacht.«

»Mich kannst du schon heiraten, Kind!«, sagte Budge. »Ich meine es ehrlich, werde schon auf dich aufpassen. Ich habe einen hübschen kleinen Acker; von den Ernten kann ich leicht die Pacht bezahlen, und zum Essen ist immer genug da. Und ich bin wirklich ganz verrückt nach dir –!«

Seine Stimme drängte. Corrie May zerrte an ihren Hutbändern. Sie war verlassen gewesen und hatte sich geängstigt. Jetzt stiegen ihr erstickend die Schluchzer auf; sie dämmte die Tränen nicht mehr zurück und schämte sich nicht; sie flüsterte kaum hörbar: »Wenn du meinst, Budge, dass wir miteinander auskommen –!«

»Ach, mein Honiglamm, ist das dein Ernst?« Budge küsste sie öffentlich, hoch auf dem klappernden Wagen. »Das kannst du mir glauben: Ich bin glücklich, wirklich glücklich!«

Sie wischte sich mit dem Handrücken die Tränen fort und lächelte. Sie fühlte sich warm und sicher neben Budge. »Du machst mich auch glücklich, Budge. Nicht viele Mädchen kriegen einen so feinen Mann wie dich!«

»Also – noch ehe das kalte Wetter anfängt –!«

»Ja, Budge!« – Er blickte sie so sehnsüchtig an, als könnte er sich kaum enthalten, sie abermals zu küssen. Sie rutschte scheu auf dem Wagenbrett ein wenig zur Seite: »Nicht hier, Budge. Die Leute sehen schon her!«

Sie fühlte sich erleichtert. Seit die Brüder gestorben waren, hatte ihr Herz noch kein einziges Mal so frei und leicht geschlagen. Budge würde für sie sorgen. Ob das wohl erlaubt wäre: einen kleinen Teil des Versicherungsgeldes für ein Kleid und neue Schuhe auszugeben? Sie wollte doch heiraten und den Leuten beweisen, wie stolz sie auf ihre Heirat wäre; da durfte sie nicht barfuß vor den Geistlichen treten, wie es die Neger machen.

Als sie das Kontor am Hafen erreichten, zitterte sie fast vor Glück, obgleich ihr das frohe Gefühl fast wie Sünde erschien; denn für das Versicherungsgeld, das sie einkassieren wollte, hatten ja die Brüder ihr Leben lassen müssen. Der Mann hinter dem Schreibtisch blickte sie an und lächelte. Er hält mich für gierig und herzlos, dachte Corrie May: Ich sehe so glücklich aus, wo doch der Anlass so traurig ist.

Die Augen des Mannes glitten weiter zu Budge; sein Lächeln wurde noch breiter, als er Budge betrachtete.

»Upjohn?«, sagte er, als er Corrie May das Papier aus der Hand genommen hatte; er suchte den Namen in den Spalten seines Kontobuches.

»Stimmt: Upjohn. Hier steht es. Sie sind mit den Toten verwandt?«, fragte er Budge.

»Ich bin mit diesem jungen Mädchen verlobt«, sagte Budge.

Corrie May senkte verschämt den Kopf.

»Sie ist die Schwester der Verstorbenen«, erklärte Budge.

»Ich darf die Gelder nur an ein Familienmitglied auszahlen«, erklärte der Mann und schüttelte den Kopf.

»Ich bin ja die Schwester«, wiederholte Corrie May.

Er blickte sie zweifelnd an und runzelte die Brauen: »Du hast noch nicht das richtige Alter! Wie alt bist du?«, fragte er.

»Bald fünfzehn!«

»Tut mir leid, aber ich habe meine Vorschriften. Ich darf die Versicherungssummen nur an Familienmitglieder auszahlen, die großjährig sind. Hast du keine Mutter mehr, die das Geld abholen könnte?«

Corrie May blickte zu Budge hinüber; aber Budge war mit seinem Latein schon am Ende. Sie versuchte, die Sache zu erklären: »Ich habe noch eine Mutter und auch einen Vater, Herr, aber meine Mutter – ist noch gar nicht wieder zu sich gekommen vor lauter Kummer –! Sie müssen das begreifen. Und mein Vater – mit dem ist es auch nicht das Richtige – auf den kann man sich nicht verlassen. Wenn der hundert Dollar in der Tasche hat, dann verliert er den Kopf. Ich weiß es genau!« Sie streckte mit einer dringlichen Gebärde die Hand aus: »Ganz genau weiß ich das – und es wär’ ein Jammer: In zwei Wochen hätt’ er alles ausgegeben!«

Der Mann hinter dem Schreibtisch hatte aufmerksam zugehört und nickte verständnisvoll: »Mag sein, Fräulein! Kann mir schon denken, wie das zugeht. Wenn es mein Geld wäre –! Aber es ist das Geld von Mr. Denis Larne; ich muss es so verwalten, wie er es angeordnet hat.« Er dachte einen Augenblick nach. »Ich will Ihnen was sagen: Fahren Sie mit dem Schein zu Mr. Larne. Wissen Sie, wo Ardeith liegt?«

»Das weiß ich!«

»Gut! Ihr Bräutigam kann Sie hinausfahren; ich gebe Ihnen einen Zettel mit, auf dem ich Mr. Larne das Nötige mitteile. Und wenn er auf der Rückseite Ihres Scheines notiert, dass er einverstanden ist, dann zahle ich Ihnen die Gelder aus. Begriffen?«

Sie nickte und seufzte; in der heißen Sonne würde es eine lange und ermüdende Fahrt werden. Doch Budge sagte: »Geht in Ordnung, Herr Vorsteher. Ich fahre sie hinaus!«

Der Mann schrieb einen Zettel aus. »Also viel Glück!«, sagte er freundlich. Sie kletterten beide wieder auf den Wagen, und Budge trieb das Maultier an. Es war sehr heiß; beide hatten noch nichts gegessen. Budge kaufte ein paar Bananen, und sie erfrischten sich daran, während der Wagen weiterrasselte. Die reichen Leute machen es den Armen schwer, dachte Corrie May; selbst wenn sie nur das haben wollen, was ihnen zusteht.

»Der Mann war anständig«, sagte Budge.

»Es ging –«, erwiderte Corrie May matt.

»Ein freundlicher Kerl, wirklich! Was dein Pappa immer über die reichen Leute redet, Corrie May – alles Quatsch! Sie sind gar nicht so schlimm!«

»Der Mann im Kontor war nicht reich, war auch bloß ein Angestellter.«

»Das stimmt. Ich meine die wirklich reichen Leute wie Mr. Larne. Er hat es gar nicht nötig, seine Arbeiter zu versichern; es steht in keinem Gesetz – oder doch?«

»Ich weiß nicht!«

»Ich auch nicht. Aber schön ist es, dass deine Mamma jetzt das Geld bekommt. Da braucht sie nicht zu hungern. Und wir beide können heiraten und müssen uns nicht erst den Kopf zerbrechen, wovon sie leben soll. Ich würde ihr beistehen, ganz gewiss, wenn es sein müsste. Aber es ist doch gut von Mr. Larne, dass er allen Frauen die Versicherung auszahlt, wenn sie ihre Männer am Fieber verlieren; manche von ihnen haben noch kleine Kinder.«