Die Oase des schlechten Geschmackes - erster Teil - Michael Chevalier - E-Book
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Die Oase des schlechten Geschmackes - erster Teil E-Book

Michael Chevalier

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Lebensstil
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2024
Beschreibung

Betritt die märchenhafte Welt der Villa von Schwan! Ein Ort, an dem die Sinne verzaubert werden und die Gaumenfreuden keine Grenzen kennen. Hier, wo weiße Schokolade als gesündere Alternative zur braunen präsentiert wird und der Sprung von einer einfachen Currywurst zur delikaten Jakobsmuschel plötzlich kinderleicht erscheint, offenbart sich eine wahrhaftige kulinarische Revolution. Doch was steckt hinter diesem köstlichen Geheimnis? Nichts als eine Unterstützung, die schlichtweg atemberaubend ist!
Begleite Jan auf seinem aufregenden Weg, wo er jede Nacht sein Leben im Vollrausch zelebriert, bis ihm eine nüchterne Phase unerwartet neue Perspektiven eröffnet. Mit einem charismatischen Langnasenzwerg als Chef, piepsenden Zwillingsdrohnen im Service, einer Kamikazeulla als Köchin und erlauchten Hoheiten als Verpächter verspricht die Villa von Schwan unvergleichliche kulinarische Erlebnisse!
Ein unwiderstehliches Angebot zieht Jan in seinen Bann: die Möglichkeit, ein exquisites Restaurant in einer prächtigen Villa, umgeben von idyllischen Parklandschaften, zu eröffnen! Von diesem Moment an ändert sich alles – mit Vollgas strebt Jan in die höchsten Sphären der Gastronomie!
Tauche ein in eine Welt voller Demut, Wohltätigkeit, Keuschheit, Geduld, Mäßigung, Wohlwollen und Fleiß – ohne Platz für Hochmut, Geiz, Wollust, Neid oder Faulheit! Willkommen in der Villa von Schwan, wo nicht nur der Gaumen, sondern auch die Lachmuskeln verwöhnt werden.
Dieses Buch ist ein Muss für alle, die mit der Welt der Restaurants verbunden sind, sei es als Gast oder als Teil des Teams. Teil 1 einer mitreißenden Serie, die dich in den Bann ziehen und zum Lachen bringen wird!

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Michael Chevalier

Die Oase des schlechten Geschmackes

Kapitel 1 - Villa von Schwan

Michael Chevalier war selbst Koch und berichtet von seinen Erfahrungen in der Gastronomie.BookRix GmbH & Co. KG80331 München

1

 Die Oase des schlechten Geschmackes

 

Roman

Für Matteo und Tobiah

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

Das Kaffeetässchen

Lust auf ein Tänzchen?

Fürst von Schwan

Darf ich vorstellen?

Der Dosenöffner

Vollprollparty mit Luxusambitionen

Schneeweißchen und Rosenrot

Dream a little Dream

Willkommen in der Bachmann-Familie

Geheime Zutaten

Der Rundgang

Enrico sucht den Super-Servierer

Kochkäse- Die Show, die dich berühmt macht

Der Niedergang der Oase des schlechten Geschmackes

Der tanzende Burrito

Unser Niveau

Herr Minister

 

 

Das Kaffeetässchen

 

Mein Leben ging gerade den Bach runter, die Frau weggelaufen und vor gut drei Wochen war dann auch der Job futsch. Das mit Mitte dreißig, ehrlich was wollte man mehr? Eine Bilderbuchkarriere in Sachen Debakel, welche ich durch mein momentanes Verhalten nahe der Perfektion vorantrieb, mit allem, was dazugehörte – Wein, Cola, Wodka, Wein und – ach – mein Rasierer war auch kaputt. Ich wäre der ideale Kandidat für „Das Model und der Freak“ gewesen, jenes phänomenale Sendeformat, in dem die gruseligsten Langweiler von professionellen Stilberaterinnen (die zufällig gutaussehende studierte Psychologinnen waren und amüsanter Weise nebenbei als Mannequins arbeiteten) in Sachen Auftreten, Aussehen, Körperpflege trainiert und unterrichtet wurden. Nach ein paar Tagen intensivster Schulung und Grundsanierung entstand der perfekte, selbstbewusste Charmeur. Wollte ich mich bewerben oder hatte ich das nur geträumt? Egal, irgendetwas musste passieren, in Selbstmitleid schwelgen mochte eine Zeit lang ganz angenehm sein, auf Dauer jedoch wirkte das sicherlich recht selbstzerstörerisch, und dies wiederum konnte nicht gesund sein. Vor genau zwei Tagen sah ich mich genötigt, meine neue Telefonnummer per Kurzmitteilung an alle Freunde, Bekannte, Verwandte und sonstige unwichtige, halbunbekannte Telefonbucheinträge zu verschicken. Offensichtlich war das eine Art innerer Zwang, denn im Grunde wollte ich meine Ruhe haben und mir eine kreative Pause (nennen wir das mal so) gönnen. Ein Anruf wusste dies prompt zu verhindern. Schluss mit Siesta. Eine kurze Ansage und da waren elf Zahlen für einen neuen Job und eine neue Chance. Also schnappte ich mein Telefon und machte einen Termin aus. In zwei Stunden sollte das Treffen sein. Recht schnell, dafür dass vor zwei Minuten noch das Ende der Welt bevorstand, ich jeden und alles hasste und mein einziger Gedanke war, wie viel Wein und Cola ich noch zu Hause hatte. Folglich musste etwas geschehen! Wie jeder richtig harte Kerl warf ich mir erst einmal zwei Aspirin ein und zwanzig Minuten später konnte ich erahnen, dass ich doch ein menschliches Wesen war, das zu mehr in der Lage war als nur zur alkoholischen Flüssigkeitsaufnahme bis zur Besinnungslosigkeit. Da plötzlich Hoffnung in mir aufkeimte, war ich selbstredend in der Lage, mit technischem Sachverstand meinen Rasierer zu reparieren (Gut, ich hatte den Akku aufgeladen – aber anders klang das besser.) und mich um fast zwanzig Jahre zu verjüngen. Wow, nun sah ich nicht mehr aus wie ein Neandertaler vor einer Dihydrotestosteronbehandlung. Weitere dreißig Minuten später war ich frisch aufpoliert – saubere Hose, sauberes Hemd (Ein Wahnsinn, das hing wirklich im Schrank, wenn man den Besenstiel, der zwischen Türrahmen und Wand verkeilt war, als solches bezeichnen möchte.), dazu noch ein hübsches Hey-du-Lächeln ins Gesicht und schon war ich fast wieder der Alte. Auf zum Termin. Viele Informationen gab es nicht über die Location, nur dass es sich um irgendeine ganz stilvolle Villa im Stadtpark handelte und der Typ, der das Restaurant betreiben sollte, eine Kneipe in der Nähe hatte. Da die Fahrt circa fünfunddreißig Minuten dauern würde, nahm ich mir die Zeit und ließ die letzten Wochen noch einmal Revue passieren. Erschrocken musste ich feststellen, dass die letzten drei Wochen auf unerklärliche Weise in meinem Gehirn verloren gegangen waren. Hatte ich etwa einen Unfall, litt ich an Amnesie? Das Einzige, was ich noch wusste, war das Rotwein-Cola mit Wodka gemischt eine wirklich exzellente Mischung ergab. Seltsam! Ein Parkplatz war schnell gefunden. Zügig ging es nun zu Fuß in Richtung Stadtpark. Aus einiger Entfernung konnte ich das Gebäude bereits sehen. Hier stand es also, ein herrliches Anwesen, das mehr einem Schloss glich als einer Villa, inmitten eines wunderschönen, gepflegten englischen Parks. Die Villa war umgeben von einer bewachsenen circa zwei Meter hohen Mauer, das große Tor lud zum Besuchen ein, die Nebengebäude ließen nur erahnen, welche Möglichkeiten dieses Anwesen bot. In diesem Ambiente tafelten einst Grafen und Fürsten, schoss es mir durch den Kopf. Zwischenzeitlich musste das hier doch irgendwer saniert haben. In meiner Erinnerung war es eine Ruine, in der ab und zu Saufpartys stattfanden. (Irgendwie erinnerte ich mich immer nur an Alkohol?!) Nun hieß es, noch die Kneipe zu finden, die der Typ hatte. Wie war nur der Name? Da der Anruf vor dem Aspirin zustande gekommen war, konnte ich mich beim besten Willen nicht daran erinnern. Ein wenig hilflos schaute ich mich um, konnte aber nichts erblicken. Vielleicht war durch meine Amnesie auch mein Augenlicht geschädigt? Glücklicherweise kamen zwei rüstige Rentnerinnen des Weges und erklärten mir, dass es sich bei dem Gesuchten zweifelsohne nur um das „Kaffeetässchen“ handeln konnte. Gut, ein paar Plastikstühle hatte ich gesehen, hielt das aber eher für eine Chill-out-Zone für Schüler und Studenten. In vorgegebener Richtung steuerte ich auf die wunderhübschen Plastikstühle zu und fragte mich, ob Studentinnen eigentlich Rotwein-Cola mochten. Je näher ich kam, desto mehr bildete die Zusammenstellung der Stühle auf abstruse Weise das Bild einer Terrasse. Dahinter ließen sich unter Tonnen von Efeu Fenster erahnen. Sollte dies etwa tatsächlich die Kneipe, oh Entschuldigung, dass „Kaffeetässchen“, sein? In Horrorfilmen hausten in solchen Spelunken immer die fiesen Typen, die Omis ausraubten oder dickbusige Teenagerinnen aufschlitzten. In Piraten- oder Actionfilmen würden hier vermutlich die Leute rekrutiert, die auf Todesmissionen gingen oder in Gefilde schipperten, wo noch nie zuvor ein Mensch gewesen war. Für einen kurzen Moment dachte ich darüber nach, mich umzudrehen und die Flucht zu ergreifen, aber irgendetwas hielt mich davon ab. Der Typ klang vorhin ganz locker und nett am Telefon. Kurz vor dem Ziel, gerade als ich etwas gefunden hatte, das wie ein Eingang aussah, rief mich eine Männerstimme.

„Herr Paufi?, Jan Paufi?“

„Das bin ich“, erwiderte ich und drehte mich lächelnd um.

„Hallo, ich bin der Enrico, Enrico Kurz. Wir hatten telefoniert, freut mich, Sie kennenzulernen!“ Kurz? Wurden jetzt Nachnamen neuerdings aufgrund der zu erwarteten Körpergröße zugeteilt? Vor mir stand ein Mann so um die vierzig, er wirkte recht charismatisch, hatte leicht feminine Züge. Mir fielen gleich haufenweise Filmrollen ein, für die er die Idealbesetzung wäre. Auf den zweiten Blick sah ich die etwas zu groß geratene Nase und mir fiel es wie Schuppen von den Augen: ein Zwerg! Ich versuchte, mein Grinsen in ein Lächeln umzuwandeln, musste aber bei seinem Anblick permanent an Fruchtzwerge denken. Herr Kurz öffnete die Tür – da war tatsächlich eine Türklinke – und bat mich herein. Drinnen angekommen, bekam ich sofort zuckende Augenlider, was bedeutete; dass sich wohl meine Nacken-, Kopf- und Halsmuskulatur gleichzeitig verspannt haben musste. Ich sah einen Raum, der eigentlich keiner war. Das Ganze glich einer mehr als baufälligen Ruine, die nur aus Höflichkeit den Gästen gegenüber Haltung zu bewahren schien. Die Farbe an den Wänden sah aus, als hätten hier in den fünfziger Jahren Kettenrauchexperimente stattgefunden. Irgendwo hatte ich mal gelesen, dass jemand beweisen wollte, dass Rauchen nicht schädlich war und hatte dreißig Personen ein Jahr lang Kette rauchen lassen. Wie das ausgegangen ist – keine Ahnung. Erfahrungsberichte der Teilnehmer beziehungsweise Aufzeichnungen über den Ausgang des Experimentes existierten nicht. Aber sollte das hier gewesen sein? An den Wänden hingen diverse Angebotstafeln, dort wurden Currywurst, Würzfleisch mit Toastbrot, Kännchen Kaffee mit Torte oder Toast Hawaii angepriesen. Spätestens nach dem „Toast Hawaii“-Schild war ich mir sicher, dass die Rauchexperimente hier stattgefunden haben mussten. Vielleicht saßen diese dreißig Personen in den fünfziger Jahren hier, schauten einem Schauspieler namens Clemens Wilmenrod zu, wie er das „Toast Hawaii“ erfand, und mussten diesen in ihren Atempausen verspeisen. Die Schreibweise verschiedener Angebote deutete allerdings auf eine neue Rechtschreibung hin. Oh mein Gott, doch Amnesie? Gab es auch noch eine neue Rechtschreibereform, von der ich absolut nichts mitbekommen hatte? Dem würde ich später nachgehen. Zwischen den Schildern hingen diverse Bilder von Kaffee- und Spirituosenherstellern, die einen Hauch neunziger Jahre versprühten. Dazwischen immer wieder kleine Kaffeetassen oder Kaffeekännchen auf Regalen an den Wänden. Die Tische und Stühle sahen so aus, als ob sie einem 1987 geschlossen Altersheim für einen guten Preis abgekauft wurden. Der absolute Oberhammer, der Kracher, der Supergau war aber die Bar oder – besser gesagt – dass, was die Bar darstellen sollte. Das „Ding“ sah aus wie eine umgebaute dritte-Wahl-Schrankwand aus den neunziger Jahren, die Männer oder Frauen mit mindestens zwei Promille, verbundenen Augen ohne Benutzung ihrer Hände nur mit ihren Zähnen aufgebaut hatten und dabei noch „Looking for Freedom“ pfiffen. (Mir schoss durch den Kopf, dass bei zu viel Genuss von Rotwein-Cola mit Wodka sonderbare, auch perverse Dinge passieren konnten, besonders in Bezug auf Schrankwände – Stopp! Zu viel Input!) Um die Bar herum wuchs auch etwas Blättriges, eine wie wildwachsende Kletterranke. Ihr schien nichts etwas anhaben zu können, weder Kälte noch Wärme, weder Dunkelheit noch ihre permanente Vergewaltigung durch tabakrauchgesättigte Luft. Unweigerlich bewegte sich meine Hand zu einem der Blätter. Eine winzige, kurze Berührung und ich hatte Gewissheit – Plastik. Ich grübelte darüber nach, ob es mittlerweile möglich war, Plastikpflanzen wachsen zu lassen, oder ob hier bei einem Preisausschreiben eine Plastikgrünpflanze gewonnen wurde, mit einer lebenslangen monatlichen Zusendung von Zusatzmodulen.

„Herzlichen Glückwunsch, Sie haben den Hauptpreis gewonnen: die wildwachsende Kletterranke „Anke“ mit einem lebenslangen Vorrat an Zusatzmodulen, die wir Ihnen bequem nach Hause schicken. Monat für Monat, ein Leben lang. Sie müssen nichts tun, als monatlich das Zusatzmodul an einer beliebigen Stelle anzustecken, und die Kletterranke „Anke“ wächst und wächst. Ihre Freunde und Bekannten werden neidisch Ihre Pflanze bewundern. Die Zusatzmodule wurden in unseren Wissenschaftslabors so konzipiert, dass sie den Jahreszeiten in Größe und Farbe angepasst wurden und so einem natürlichen Wachstum nahezu identisch sind.“ So oder so ähnlich musste der Gewinnerbrief ausgesehen haben. Dieser hing vielleicht sogar hier aus. Gerade wollte ich mich umschauen, da unterbrach mich Herr Kurz.

„Herr Paufi, setzen wir uns doch?!“

„Gern“, sagte ich und nahm Platz.

„Sagen Sie mir, Herr Kurz, ich hörte, Sie suchen einen Mitarbeiter für ein Restaurant? Unser gemeinsamer Freund Peter hat mich zu Ihnen geschickt und nun, hier bin ich.“

„Nun, Herr Paufi, als Erstes einmal, nennen sie mich Enrico! Herr Kurz macht mich doch irgendwie alt.“

„Ich bin der Jan“, entgegnete ich kurz.

„Mein „Kaffeetässchen“ hast du ja schon gesehen. Ich weiß, dass es etwas in die Jahre gekommen ist. Aber mein Herzblut hängt daran, du kannst mir glauben, ideal um Geld zu verdienen. Geschichten könnte ich erzählen, das würde Tage dauern.“ Ich murmelte etwas wie: „Kann ich mir vorstellen.“ Enricos Stimmte senkte sich auf sonderbare Weise. Er erzählte davon, dass die Villa von einer Finanzgruppe gekauft worden war, welche offenbar alte Stadtvillen sanierte, diese dann der Öffentlichkeit zugänglich machte und somit das Gemeinwohl der Bevölkerung steigere. Zusätzlich wurden in den Nebengebäuden Räume um- und ausgebaut, um diverse Feiern wie Geburtstage, Firmen-, Familienfeiern oder Hochzeiten stattfinden zu lassen. In einem Teil der Villa gab es Räumlichkeiten für ein kleines Restaurant mit einer herrlichen Sommerterrasse und Blick auf den Stadtpark. Voller Stolz berichtete Herr Kurz davon, dass man ihm angeboten hatte, das Restaurant zu mieten, und dass nur er dafür in Frage kam, da er quasi Hausrecht hatte. Diese Geschichte sei aber eine Nummer größer und bisher hatte Enrico immer nur das kleine „Kaffeetässchen“. Nun würde er einen Partner suchen, quasi als rechte Hand, um mit diesem gemeinsam die Sache zu meistern. Würde das Ganze dann von einem „Kaffeetässchen“ zu einem „Kaffeekännchen“ werden? Wer überhaupt kommt auf die Idee, sich einen solchen Namen auszudenken? Gibt es wirklich Leute, die Geld damit verdienen oder wurde einfach ein Gastronomie-Katalog genommen, die Augen verbunden und blind getippt? Sollte dem so sein, konnte er ja froh sein, dass nicht Gastro-Norm-Behälter, Filz-Teelichthalter oder Blumenvase gewählt wurde. Apropos Vase: „Zur Plastikblume“ wäre doch ein passender Name gewesen oder eventuell „Efeu-Mantel“.

„Klingt wirklich ausgesprochen interessant. Wo sollten denn da meine Aufgabengebiete liegen?“, wollte ich wissen.

„Wie mir Peter erzählte, bist du Koch und genau das brauchen wir hier. Das wird etwas ganz Großes und du kannst dabei sein!“ Wow, bei etwas Großem dabei sein. Diese Worte trafen mich genau ins Herz – warme, wohlwollende Worte. Als ich mich so umschaute, sah ich ein paar Omis, welche selig vor ihrem Stückchen Kuchen saßen und dazu gemütlich ihren Kaffee schlürften. Das erinnerte entfernt an eine Kantine im Altersheim. Und selbiges taten sie dann im Restaurant auch? Was sollte dieses dusselige Gequatsche von etwas Großem? Sollte ich diesem Schmalspurgigolo trauen und mich darauf einlassen? Klar, ich fand ihn nicht unsympathisch. Aber wo sollte die Reise hingehen? Die Chance zu haben, etwas an meinem derzeitigen Lebensstil zu ändern oder mich doch eher meinem Studium der Selbstfindung zu widmen, meiner Kreativpause. Vor ein paar Stunden noch sah ich meine Lebensaufgabe darin, mir auszurechnen, wie lange mein Geld noch für Wein, Cola und Wodka reichen würde und wie viel ich davon trinken könnte – und nun? Sollte das wirklich der Schritt sein in eine bessere, lohnende Zukunft? Etwas, das mich aus meinem Loch herausholte, in dem ich so aussichtslos dahinzuvegetieren schien? Wir machten uns aus, dass wir uns am nächsten Mittag noch einmal treffen würden, damit er mir die Räumlichkeiten zum besseren Verständnis und für eine bessere Vorstellung zeigen konnte. Ich machte ihm klar, dass ich gerne mitmachen würde und ich dankte für die Chance, die er mir gab. Die Verwunderung über den Kaffeepott war wie weggeblasen und die Zweifel an dem Laden lösten sich in nichts auf. Nein, im Gegenteil: für den Moment schienen Sie nie vorhanden gewesen zu sein. Ich hatte ein gutes Gefühl und das musste gefeiert werden.

 

Lust auf ein Tänzchen?

 

Der Nachmittag verging wirklich rasend schnell; für den Abend hatte ich mich mit ein paar Freunden verabredet. Es gab einiges zu erzählen und das sollte gefeiert werden. Die Jungs waren natürlich begeistert, denn Trinken bis zur Besinnungslosigkeit – dafür hatte ich hart trainiert. Allein vor dem Fernseher mag zwar als Mittel zum Zweck in Ordnung gehen, der sozialen Interaktion allerdings war dies weniger dienlich. Als Randgruppe der Partygeneration (glücklicherweise kamen Mitte der achtziger Jahre in Duisburg ein paar nette Leute auf die Idee „Ü-30-Partys“ stattfinden zu lassen) waren wir nicht weniger in der Lage, es ordentlich krachen zu lassen. Dies hatten wir in den letzten Wochen ja mehr als einmal bewiesen. Wenn man sich jeden Abend abschoss, fand man auch schnell neue Freunde, Freunde mit Verständnis, frei nach dem Motto „Geteiltes Leid ist halbes Leid“. Kurz nachdem mich Suse verlassen hatte, ging ich zum ersten Mal ins „Cachaça“. Dieser Laden stand vor allem für eins – billigen Alkohol! Ursprünglich wurde das Cachaça von Studenten für Studenten aufgemacht. Es bestand im Wesentlichen aus zwei sich gegenüberliegenden und nahezu identischen Bars, dazwischen jede Menge Tische und Stühle, die nach und nach vom Sperrmüll geholt wurden oder ab und an von einzelnen mitgebracht wurden. Mitunter kam es vor, dass ein Stuhl das Leben aushauchte. Oft durch vermutlich zu schwere Belastung oder zweckentfremdete Handhabung (Kippeln). In den Ecken und auf Erhöhungen standen diverse Sofas in unterschiedlichen Größen, Formen und Materialien. Auch hier konnte man gut erkennen, dass etliche Unfälle (Ich mutmaßte einmal: vor allem durch übermäßigen Konsum verschiedenster Alkoholika, oft auch in Verbindung mit Rauschmitteln.) und häufige Benutzung den Sofas sehr stark zugesetzt hatten. Schließlich war das auch nicht der Laden, in dem Mann oder Frau seine Armani- oder Prada-Klamotten zur Schau trug. Die Wände waren grob verputzt, hier und da waren ein paar schwache Lampen installiert. Fenster gab es keine, denn am Eingang führte eine Treppe weit nach unten. Zum Ende des Abends war es teilweise recht schwierig, den Aufgang zu schaffen, das glich in etwa einem Bergaufstieg von mindestens sechstausend Metern. In der Mitte des Cachaça befand sich eine kleine Tanzfläche. Ein dunkler, düsterer und leicht verruchter also kultiger Laden, in dem Party feiern Spaß machte. Das Hauptpublikum bestand demzufolge natürlich aus Schülern und Studenten sowie Leuten, die gern abhingen und ihren Kummer und Frust für ein paar Stunden vergessen mochten, Leute wie ich. An den ersten Abenden hier wollte ich nur eins: möglichst schnell vergessen, beziehungsweise abschalten. Das ging am leichtesten, indem dem Körper in kürzester Zeit ein möglichst hochprozentiges Alkoholikum in hohen Dosen zugeführt wurde. Man könnte dabei auch von Druckbetankung sprechen. Als ich merkte, dass Rotwein-Cola mit Wodka zum gewünschten Erfolg führte, wurde das sehr schnell zu meinem Getränk. Der Typ, der mich hierher geschliffen hatte, hieß Benjamin, kurz Ben. Ben kannte ich schon eine halbe Ewigkeit, er war der Prototyp des Verlierers in Sachen Liebe. Eigentlich ein lieber und netter, aber leider viel zu leicht zu beeinflussender Kerl. Ben war dreiunddreißig, brünett und blauäugig, mittelgroß, eigentlich kein schlechter Typ, wenn auch total unsportlich und durch seinen permanenten Alkoholkonsum etwas aufgeschwemmt. Leider war er auch in puncto Outfit der Totalversager schlechthin. Seine Frisur glich am ehesten einem ungepflegten Alpaka. Seine Klamotten bezog er entweder durch nächtliche Überfälle auf Altkleidersammelbehälter oder jemand zwang ihn als Teil eines widerlichen, grauenhaften Experimentes dazu. Seine Lebensgeschichte in Sachen Liebe war eine der hoffnungslosesten Geschichten, die ich je gehört hatte. Die Unschuld hatte er mit achtzehn bei einer Dame aus dem horizontalen Gewerbe verloren. Seine Kumpels hatten ihn damals dorthin geschleift, damit er endlich mal zum Zuge kommen konnte. Danach drehte er frei, sobald er das Parfüm roch, nach dem Michelle (oder Chantal?) duftete, weil er so verliebt war. Dieser Zustand hielt mehr als ein Jahr an. Mit vierundzwanzig lernte er Conny kennen und natürlich war er schwer verliebt. Conny wusste genau, was sie wollte und wie sie mit einem solchen zahmen Trottel umzugehen hatte. Nicht nur, dass sie ihn schröpfte, wo sie nur konnte, er zahlte ihr sogar einen Urlaub, damit sie sich entspannen und erholen konnte. Während er daheim auf ihre vier- oder fünfjährige Tochter aufpasste, ließ sie sich am Praia do Estaleiro in Porto Belo von José portugiesisch verwöhnen. Mit achtundzwanzig trat dann Lisa in sein Leben. Sie arbeitete im gleichen Labor wie Ben und sie harmonierten an allen Fronten. Alles schien perfekt bis Ben eines Tages zu früh nach Hause kam: Lisa wurde gerade vom Onkel Doktor im heimischen Schlafzimmer genauestens untersucht. Der Arzt war ihm nur allzu gut bekannt: sein eigener Vater. Autsch! Mein anderer Freund Martin wiederum erzählte uns und jedem, der es hören und selbst denen, die es nicht hören wollten, dass er bis zu seinem dreißigsten Geburtstag unbedingt einen Dreier mit zwei Südamerikanerinnen (vermutlich am besten Zwillinge) hinbekommen müsste. Nur so würde er seine Zielsetzung erreichen, Dreier mit Frauen aller Kontinente bis zum dreißigsten Geburtstag vollzogen zu haben. Überhaupt meinte er, ein Dreier mit zwei Frauen wäre ideal für ihn, da eine Frau wohl kaum ausreichend sein konnte. Martin sprach von willigen Schwedinnen, die er bei einem Angelausflug drei Tage lang permanent verwöhnt hatte, von Amerikanerinnen, welche ihm Cookies gebacken hatten und nach achtzehn Stunden nicht mehr laufen konnten, weil sie von ihm zu hart ran genommen worden waren, von sexgeilen Japanerinnen, die von Rollenspielen gar nicht genug bekommen konnten und immer nur blasen wollten, von nymphomanen Nigerianerinnen, die ihn so forderten, dass er aus Erschöpfung nach zwei Wochen Dauerkopulation im Krankenhaus per Tropf wieder aufgepimpt werden musste (natürlich nahm er dort auch gleich noch ein paar Krankenschwestern), von einem Mädchen-College in Australien, wo er übernachtete und bei mehreren Dreiern reihenweise willige Studentinnen deflorierte. Seinen Erfolg begründete er neben seinem unwiderstehlichen Charme natürlich mit seiner enormen Schwanzlänge von über dreißig Zentimetern. Mit seinen 1,90 Meter war Martin recht groß, hatte lange blonde Haare und blau-grüne Augen. Das Problem an seiner Unwiderstehlichkeit war, dass er nicht gerade Brad Pitt in „Legenden der Leidenschaften“ ähnelte, sondern eher dem abgehalfterten Tom Cruise in „Interview mit einem Vampir“. Natürlich war uns bewusst, dass Martin Geschichten erzählte und offenbar Inhalte seiner exquisiten Pornosammlung wiedergab. Das hatte durchaus lustige Momente. Beängstigend war zugleich aber auch, dass er wirklich daran zu glauben schien, jedes Mal, wenn er ein neues Opfer erspähte. Als Paketfahrer hatte er täglich eine Vielzahl an Möglichkeiten, welche er, nach eigener Aussage, natürlich zu einhundert Prozent nutzte. Daniel hingegen war nicht besonders gutaussehend, nicht besonders groß und seine Figur sah aus, als hätte jemand versucht, seine Körpergröße, von 2,10 Meter auf 1,70 Meter mittels eines darauf fallenden zentnerschweren Gewichtes rasch zu reduzieren. Er war der einzige Kerl, von dem ich je gehört hatte, dass er Bücher las in denen Witze und Sprüche erklärt wurden. Nur, damit er die Antwort „Das weiß ich nicht“ nicht geben musste, beziehungsweise damit sich niemand auf seine Kosten einen Spaß machen konnte. Daniel war ein wandelndes Lexikon, kein Thema war ihm unbekannt, er wusste einfach über alles Bescheid. Ich war mir sicher, dass dies nicht davonkam, dass eine Enzyklopädie unter seinem Kopfkissen lag. Vielmehr musste er einen Weg gefunden haben sich dies intravenös zu implizieren. Mitunter war das recht interessant und hilfreich, nur oft hatte es einen gewissen Oberlehrercharakter, der in einem Informationsmonolog endete. Daniel, Frauen und Beziehungen war ein ganz heikles Thema. Um ihm nahezukommen und sein Vertrauen zu gewinnen, musste sich eine Frau erst jahrelang beweisen. Zweitens musste ihr Intellekt mindestens seinem eigenen entsprechen. Drittens war seine Traumfrau Gwyneth Paltrow und so sollte das „Objekt“ auch ausschauen. Mir blieb nur, ihn von Zeit zu Zeit damit aufzuziehen, dass er sich doch wenigstens jemanden mit aussprechbaren Namen als Traumfrau suchen sollte. Denn wirklich helfen konnte ihm dabei niemand. Und dann war da noch Stefan. Stefan war einfach immer im Cachaça, wenn ich mich mit einem der Jungs oder mit allen zusammentraf. Vielleicht gehörte er zum Inventar oder machte die Nachtschicht im Animationsprogramm des Ladens. Im Grunde kannte ich ihn überhaupt nicht. Wie und wann er eigentlich zu uns gekommen war, keine Ahnung. Ich wusste weder, was er tat, noch wo er wohnte, nichts von seinem Privatleben oder Hobbys, welche Musik er mochte oder welche Filme er schaute. Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich ihn schon einmal etwas anderes sagen gehört hatte als „Noch eine Runde!“. Ich traf Ben bereits einige Meter vor dem Cachaça. Wir hatten uns für 22 Uhr verabredet. Hastig erzählte er mir von einer neuen Kollegin (Sie arbeiteten seit sieben Monaten miteinander!) namens Helena. Diese hatte Ben wohl mehrfach angelächelt und nun hatte er sich ein wenig in sie verguckt. Ich erwiderte, dass dies mehr als ein Zeichen sei, und er sie einfach in die Besenkammer zerren und mal richtig rannehmen sollte. Der Ausdruck blanken Entsetzens in Bens Gesicht verriet mir allerdings, dass er meinen Scherz nicht verstanden hatte. Ich klopfte ihm auf die Schulter und versicherte, dass es sich um einen schlechten Witz handelte und er sie einfach mal auf einen Kaffee einladen sollte. Die Erleichterung war ihm deutlich anzusehen. Das Cachaça war noch recht leer, was auch nicht weiter verwunderte, denn für die Partygeneration war es gerade erst später Nachmittag. Stefan saß selbstredend bereits an der Bar, nickte zur Begrüßung und als uns Roberto, der Barkeeper, sah, öffnete er auch sofort zwei Bier. Es folgten die üblichen Floskeln über die Köstlichkeit dieses alkoholischen Kaltgetränkes. Es schien ein uraltes Männerritual zu sein, denn fast lyrisch anmutende Worte – wie zum Beispiel: „Oh wie köstlich“, „Das tut gut!“, „Das prickelt!“, „Das erfrischt!“, „Das zischt!“, „Es geht runter wie Öl!“, „Das Einzige, was gegen den Durst hilft!“ – waren doch nur dazu da, um sich den Bierkonsum schönzureden. Ben kam dann schnell zur Sache und wollte wissen, was bei mir denn heute passiert sei, da wir uns ja unbedingt heute noch hier treffen mussten. Ich entgegnete, dass es nicht hätte „unbedingt“ und „hier“ sein müssen, da wir uns sowieso jeden Abend hier trafen, und dass ich lediglich etwas Neues zu erzählen hatte, was sonst auf unsere allabendlichen Treffen nun mal nicht zutraf. Da Ben gleich wieder wie ein eingeschnappter Iltis nach vier Wochen Dauerfrost schaute, meinte ich, dass wir noch auf die anderen warten sollten. Stefan hob den Finger und deutete in Richtung Tanzfläche. Dort tanzte doch tatsächlich Martin in seinem unverwechselbaren Stil, der entfernt an einen Balztanz chilenischer Langschwanz-Chinchillas erinnerte, zwei Mädels an. Kaum war das Lied zu Ende, verließen die Mädels schnell den Laden in Richtung Ausgang und Martin schlenderte ganz leger zu uns.

„Südamerikanerinnen?“, fragte ich.

„Nein, die kamen aus Cottbus“, antwortete Martin.

„Vermutlich hatten die Angst, dass du ihnen weh tust!“

Grinsend bestellte Martin sich ein Bier. Auch Daniel ließ nicht lange auf sich warten.

„Jungs, heute habe ich wirklich einmal etwas Neues zu erzählen. Es muss so gegen 11 Uhr gewesen sein, als mich Peter, ihr wisst schon dieser Getränkefuzzi, der die ganzen Kneipen in der Stadt versorgt, anrief. Er ließ mich wissen, dass er mich schon seit zwei Wochen versuchte, zu finden, beziehungsweise zu erreichen, da er einen Kumpel hat, der dringend einen Mitarbeiter sucht. Ich meinte, lass mir mal die Nummer da, und dann rief ich den Typen an, einen Enrico Kurz. Ein paar Stunden später war ich dort. Dieser wiederum hat so eine runter gekommene Buchte, am Stadtpark, wo scheinbar ahnungslose Rentner mit Billigkaffee und Supermarktkuchen versorgt werden. Er wäre, so erzählte er mir, der neue Pächter der Fürstenvilla und bot mir quasi einen Job an. Coole Hütte, zumindest von außen. Morgen will ich nochmal hin, um mir das anzuschauen.“

„Geile Scheiße!“, meinte Martin und bestellte eine Runde Rotwein-Cola mit Wodka und einen Tomatensaft für Daniel.

„Das kann auf Dauer ja nicht so weitergehen, bis Mittag schlafen, zwei, drei Stunden lang aufwachen, Online-Games zocken, Nachmittagsschläfchen und dann Saufen bis zur Ohnmacht. Kreativpause hin oder her.“

„Ist auch nicht besonders kreativ“, warf Daniel ein.

„Lasst uns darauf und auf Jan anstoßen“, sagte Ben und bewahrte uns damit, bewusst oder unbewusst, vor einem Vortrag über Lebensabschnitte, Lebenseinstellungen und Schaffenspausen. Stefan, dessen Schweigen ich als Zustimmung deutete, sprach seinen legendären Satz:

„Noch eine Runde!“ Die Party hatte begonnen und eigentlich war die Zeit für langatmige, ausschweifende intellektuelle Gespräche über den Sinn des Lebens, des Daseins überhaupt, vorbei. Dennoch ließ Daniel es sich nicht nehmen, mich, gerade als wir mit unserer neuen Runde in Richtung Tanzfläche aufbrechen wollten, zur Seite zu ziehen und ins Gewissen zu reden.

„Jan, es dir doch hoffentlich bewusst, welche großartige Chance sich dir bietet. Nutze sie! Vergeude nicht dein Talent und Können mit der sinnlosen Verschwendung deiner Zeit. Ich weiß, was passiert ist und wie schwer das alles für dich war. Du weißt, ich stand dir zur Seite und werde es auch weiter tun. Aber nun ist es Zeit, nach vorn zu blicken und einen Neuanfang zu wagen.“

„Werde ich tun.“ Ja, er war für mich da und, ja, er hatte mir geholfen. Als Suse weg war, fühlte ich mich echt beschissen. Ben war bei irgendeiner Tante oder entfernten Irgendwas, um bei einem Umzug zu helfen. Daniel war zur Stelle, als Lebens- und Liebeskummer mich übermannten und das Gefühl aufkam, dass alles vorbei war. Er versuchte, mich aufzumuntern, indem er mir die Symptome von Liebeskummer wie zum Beispiel innere Unruhe, Schlaflosigkeit, Antriebslosigkeit, Pessimismus, aggressives Verhalten bis hin zu Depressionen erklärte. In einem kurzen Moment der Klarheit sagte ich ihm, dass er mich nicht vollquatschen, sondern einfach nur da sein sollte. Er konnte sogar schweigen. Noch bevor Daniel also auch nur die Möglichkeit hatte, mich mit einem Motivationsmonolog einer Gehirnwäsche zu unterziehen, floh ich in Richtung Tanzfläche. Trotz einiger tausend verlorener Nervenzellen und vermutlich einer noch höheren Zahl gestorbener Gehirnzellen, sah ich mich noch in der Lage (zumindest im Ansatz), zu verstehen, dass dies die Chance, meine Chance auf einen Neuanfang darstellte. Meine in die Zukunft orientierenden Berechnungen hatten ergeben, dass bei täglichem, gleichbleibendem Rotwein-Cola-Wodka-Konsum, unter Berücksichtigung sonstiger Ausgaben wie Miete oder Essen, meine Ressourcen in circa acht Wochen erschöpft sein würden. Folglich gab es nicht viele Möglichkeiten. Ersparnisse hatte ich nicht, eine plötzliche Erbschaft war nicht zu erwarten, die Chancen auf einen Lottogewinn waren gleich null – logisch, wenn man kein Lotto spielte –, Geld zu leihen war auf Dauer problematisch und beim Staat nach Geld zu betteln, lag mir nicht. Blieb nur arbeiten, im Grunde vernünftig; aber leider hatte ich ungefähr die Motivation einer Schildkröte, wenn sie einen Halbmarathon in der Wüste Gobi bestreiten müsste. Daniel hatte das Talent, mich genau an der richtigen Stelle zu treffen. Ich hatte Suse geliebt und tat dies sicher noch immer. Aus meiner Sicht hatte ich nichts Falsches getan, ich war ein verliebter Trottel und hofierte sie, wo es nur ging. Ich kochte, putzte, shoppte, las ihr jeden nur erdenklichen Wunsch von den schönen Augen ab. Als ich von einem zehntägigen Auslandsauftrag zurückkam, war die Überraschung groß: Sie informierte mich darüber, dass sie mich verlassen würde, weil sie noch zu jung war, um sich fest zu binden, und dass sie das Gefühl hatte, unsere Beziehung konnte nicht schon alles in ihren Leben sein. Natürlich würde sie mich noch immer lieben und ich würde für alle Zeit in ihrem Herzen sein. Yippie yei yay! Konnte es noch schlimmer kommen? – Es konnte. Eine weitere Rotwein-Cola mit einem Schuss billigen Wodkas sorgte dafür, dass diese wirren Gedanken schnell wieder verschwanden, und so konnten wir uns ganz unserem allabendlichen Gelage hingeben. Martin tanzte so ziemlich alles mit Brüsten an, was auf der Tanzfläche zu finden war. Wortfetzen wie „Aufpassen“, „Überlänge“ oder „Vorsicht“ drangen von Zeit zu Zeit an mein Ohr, was mich irgendwie zum Schmunzeln brachte. Während Daniel Ben offensichtlich gerade erklärte, wie dieser seine Arbeit effizienter gestalten konnte, flüsterte mir eine Frauenstimme ins Ohr: „Sag mal, kannst oder möchtest du mich nicht sehen?“ Ich drehte mich um und sah in ein hübsches, junges Gesicht mit langem, offen getragenem, blondem Haar. Da mir das Mädel unbekannt war, musste nun schnell eine Antwort her. Sollte ich cool sein: „Baby, ich habe dich schon gesehen, noch bevor du hier hereingekommen bist.“ Etwas Witziges versuchen wie: „Entschuldige, ich plante gerade noch an meiner Kennenlerntaktik.“ Etwas Charmantes: „Selbstverständlich, aber nicht einmal im Traum hatte ich gewagt …“ oder doch lieber direkt: „Na los, noch ein Getränk und dann besorge ich es dir richtig!“ Da ich ziemlich aus der Übung war, was die Interaktion mit dem weiblichen Geschlecht anging, brummelte ich nur etwas wie „In Gedanken“. Scheinbar hatte Anna – wie ich kurze Zeit später erfuhr – Interesse an mir und setzte sich. Es war schon seltsam, was eine Rasur so alles verändern konnte. Der erste Eindruck zählte und noch gestern hätte sie mich sicher für den letzten Überlebenden der Neandertaler gehalten. Wir unterhielten uns, tranken – ja, sie mochte doch tatsächlich Rotwein-Cola mit Wodka – und lachten viel. Normalerweise war ich nicht daran interessiert, eine Frau kennenzulernen, die Abende gehörten allein dem Alkohol. Da sich herausstellte, dass beides sehr gut kombinierbar war, verspürte ich große Lust, diesen Abend mal anders zu beenden.

„Lust zu tanzen?“, fragte ich. Anna antwortete bestimmend direkt: „Klar, am besten bei dir zu Hause!“ Das war selbst für mich mehr als deutlich. Die Jungs reckten die Daumen nach oben und Martin warf noch ein „Zeig’s ihr!“ nach. Eiligst, von Geilheit getrieben, verließen wir das Cachaça. An der frischen Luft machten sich die unzähligen Getränkerunden plötzlich bemerkbar. Glücklicherweise wohnte ich nicht allzu weit entfernt und so konnten wir uns, gegenseitig stützend, zu mir schleppen. Bei mir angekommen, konnte ich es kaum erwarten, Anna an die Wäsche zu gehen. Ich rupfte ihr hastig T-Shirt und BH vom Leib und war aufgeregt wie ein kleiner Junge, der gierig ein Karamellbonbon auspackte. Was für ein Anblick! „Warte!“, sagte Anna und zog einen Joint aus der Tasche. „Lass und den rauchen und danach besorgst du es mir richtig.“ Gesagt, getan. Ich wachte mit einem schweren Schädel auf. Was war passiert? Ich war nackt und das letzte, an das ich mich erinnern konnte war, dass ich Anna zeigen wollte, wie sich Schimpansen paarten. Hier verloren sich meine Erinnerungen. Als ich den Kopf hob, sah ich, dass da irgendetwas an der Wand geschrieben stand. Mir schwante Böses und beim näheren Hinsehen konnte ich es erkennen: „Loser!“

 

Fürst von Schwan