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Das New-Work-Versprechen, durch Technologie und Selbstorganisation effizienter und dadurch weniger zu arbeiten, wird nicht eingelöst: Arbeit wird nicht nur immer enger getaktet, sondern auch einfach: mehr. Es reiht sich Call an Call, werden Miros gepflegt, Tickets weitergeschoben und Tasks dokumentiert. Alle Tools bedient, alle To-dos abgehakt, alle Meetings besucht. Doch am Ende des Tages bleibt oft das Gefühl: Was habe ich eigentlich geschafft? Oder gar: geschaffen? Dieser galoppierende Prozessionismus macht uns weniger produktiv, weniger kreativ und unglücklich. Ein gesellschaftlicher Weckruf und Debattenbeitrag aus der Mitte der vorherrschenden Praxis, wie es besser funktionieren kann: von der 4-Tage-Woche über die Workation, vom asynchronen Arbeiten zum Einsatz von AI für Planung und Prozess. Der Entwurf eines neuen zeitgemäßen Narrativs für gelingende Arbeit.
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Seitenzahl: 102
Veröffentlichungsjahr: 2025
Markus Albers
Warum wir keine Zeit mehr haben, unsere Arbeit zu machen
Das New-Work-Versprechen, durch Technologie und Selbstorganisation effizienter und dadurch weniger zu arbeiten, wird nicht eingelöst: Arbeit wird nicht nur immer enger getaktet, sondern auch einfach: mehr. Es reiht sich Call an Call, werden Miros gepflegt, Tickets weitergeschoben und Tasks dokumentiert. Alle Tools bedient, alle To-dos abgehakt, alle Meetings besucht.
Doch am Ende des Tages bleibt oft das Gefühl: Was habe ich eigentlich geschafft? Oder gar: geschaffen? Dieser galoppierende Prozessionismus macht uns weniger produktiv, weniger kreativ und unglücklich.
Ein gesellschaftlicher Weckruf und Debattenbeitrag aus der Mitte der vorherrschenden Praxis, wie es besser funktionieren kann: von der 4-Tage-Woche über die Workation, vom asynchronen Arbeiten zum Einsatz von AI für Planung und Prozess. Der Entwurf eines neuen, zeitgemäßen Narrativs für gelingende Arbeit.
Markus Albers lebt als Autor, Berater und Unternehmer in Berlin. Er ist Gründer der Kommunikationsberatung OPAK und Dozent an der ESCP Business School. Als Journalist arbeitete er u.a. für brand eins, Monocle, Vanity Fair und das SZ-Magazin. Er ist Autor der Sachbücher «Morgen komm ich später rein», «Meconomy» und «Digitale Erschöpfung».
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Juni 2025
Copyright © 2025 by brand eins Verlag Verwaltungs GmbH, Hamburg
Lektorat Gabriele Fischer
Faktencheck Katja Ploch
Projektmanagement Hendrik Hellige
Covergestaltung Mike Meiré/Meiré und Meiré
ISBN 978-3-644-02389-5
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
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Unsere Arbeitswelt verändert sich rapide, und das ist gut und nicht so gut. Erfreulich ist, dass das hybride Arbeiten endlich im Mainstream angekommen ist: Wissensarbeiter werden nie wieder jeden Tag denselben Weg ins immer selbe Büro nehmen, um acht Stunden am immer selben Schreibtisch zu verbringen. Auch in Dienstleistungs- und Produktions-Jobs nimmt die zeitliche und räumliche Flexibilisierung zu. Die meisten Menschen finden das gut.
Doch damit einher geht eine Kultur der maximalen Arbeitsverdichtung, der permanenten Ablenkung und der ständigen Erreichbarkeit: Die digitale Kollaboration hat massiv zugenommen. Unsere Kalender sind von morgens bis abends voll mit Calls und Meetings. Wir sind auch nach Feierabend und im Urlaub für die Arbeit da. Konzentration oder gar Kontemplation werden zunehmend unmöglich.
Wir haben uns von den Fesseln an die Schreibtische befreit, aber die Arbeit sickert dafür in die letzten Lebensbereiche ein. Der unerbittliche Takt der Prozesse nimmt uns jeden Moment des Innehaltens und Nachdenkens.
Die nie endende und stets unterbrechende Gleichförmigkeit digitaler Workflows ist die wahrscheinlich folgenreichste Veränderung unserer modernen Arbeitswelt. Hans Rusinek, der an der Universität St. Gallen zu diesen Themen forscht, beschreibt das Problem in zwei Dimensionen:
die Körperlosigkeit digitaler Arbeit (nichts ist richtig fertig oder gar anfassbar) und
die Unterwanderung eigener Qualitätsansprüche (selten bekommt eine Aufgabe die Zeit, die sie braucht).
Wissensarbeiter und Wissensarbeiterinnen verbringen laut einer weltweiten Microsoft-Studie inzwischen fast sechzig Prozent ihrer Zeit mit Kommunikation, aber nur vierzig Prozent mit Kreation. Die Zahl der Meetings hat im Vergleich zur Zeit vor der Corona-Pandemie um das Zweieinhalbfache zugenommen. Eine Mehrheit hat nicht genug Zeit und Energie, um ihre Arbeit zu erledigen – und findet es zunehmend schwer, innovativ zu sein oder strategisch zu denken. Führungskräfte spüren bereits die Auswirkungen und geben an, dass der Mangel an Innovation oder bahnbrechenden Ideen in ihren Teams ein Problem darstellt.
Kurz: Wir organisieren und kommunizieren immer mehr, aber wir erschaffen immer weniger. Wir benutzen die modernsten Tools, aber die Menge und Qualität von Innovation geht weltweit messbar zurück. Gleichzeitig wird das New-Work-Versprechen, durch neue Techniken und Selbstorganisation effizienter und dadurch weniger zu arbeiten, nicht eingelöst: 2023 haben allein deutsche Beschäftigte rund 1,3 Milliarden Überstunden gemacht, davon mehr als die Hälfte unbezahlt. Arbeit wird also nicht nur immer enger getaktet, sondern auch einfach: mehr.
Und so reiht sich Call an Call, werden Boards gepflegt, Tickets weitergeschoben und Tasks dokumentiert. Doch am Ende des Tages bleibt oft das Gefühl: alle Tools bedient, alle To-dos abgehakt, alle Meetings besucht …
Aber was habe ich eigentlich geschafft? Oder gar: geschaffen?
Muss das so sein? Was macht das mit den Menschen, den Unternehmen, der Gesellschaft? Können, wollen wir das noch ändern – und wenn ja, wie? Darum geht es in diesem Buch.
Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit diesen Themen. In meinem Buch Morgen komm ich später rein plädierte ich für eine zeitlich und räumlich flexible Arbeitswelt, in der wir nicht mehr jeden Tag ins Büro gehen müssen. Das war im Jahr 2008, also lange, bevor diese Entwicklungen in der Breite der Gesellschaft ankamen. Zwei Jahre später fragte ich in Meconomy, ob in dieser flüssigeren Arbeitswelt ohne tägliche Nine-to-five-Routinen die Idee der Festanstellung an sich altmodisch ist und wie wir es schaffen, stattdessen nach unseren eigenen Regeln und nach unseren individuellen Bedürfnissen zu arbeiten.
Diese positiven Utopien sind so nicht eingetreten. 2017 beschrieb ich in Digitale Erschöpfung, wie die zunehmend mobile und flexible Arbeitswelt uns – anders als erhofft – nicht produktiver, kreativer und glücklicher macht, sondern uns statt an den Schreibtisch nun an die Bildschirme kettet. Und warum statt zusätzlicher Freiheitsgrade die Arbeit noch in den letzten Lebensbereich einsickert. Dieses Thema hat sich in den vergangenen Jahren durch die massive Verbreitung hybrider Arbeitsmodelle massiv verstärkt – und betrifft nun Wissensarbeiterinnen und Wissensarbeiter in nahezu allen Branchen. Ich behaupte: Wenn wir als Gesellschaft dieses Thema nicht in den Griff bekommen, finden wir uns schon bald in einer Dystopie wieder. In einer von Tools und Prozessen dominierten Arbeitswelt des Always-on, die so keiner wollte – aus der wir uns aber nicht mehr befreien können.
Mich betrifft das auch persönlich. Vor nicht allzu langer Zeit, in der vorwiegend analogen Medienwelt, in der ich als junger Journalist beruflich sozialisiert wurde, funktionierte Arbeit noch anders. Magazine und Zeitschriften erschienen als Ausgaben – täglich, wöchentlich oder monatlich wurde gedruckt. Da musste unser Produkt zu einem festen Zeitpunkt fertig sein – korrekt, kreativ, überraschend. Die Dringlichkeit der Deadline gab uns ein Gefühl von Sinn und Ziel (heute würde man sagen: Meaning and Purpose).
Der Takt des gemeinsamen Machens schweißte Teams zusammen. Die Unmöglichkeit, nach Erscheinen noch etwas zu ändern, maximierte das Verständnis von Qualität und handwerklicher Exzellenz. Der Rhythmus der Produktion, die Sinuskurve von Druck und Entspannung prägte nicht nur die Arbeit, sondern das ganze Leben: Vor Redaktionsschluss war der kollektive Puls hoch. Nach Versenden der Druckdaten gingen wir auf ein Bier und haben am nächsten Tag ausgeschlafen.
Heute ist alle Wissensarbeit der erbarmungslosen Monotonie des Digitalen unterworfen. Es gibt keinen Anfang und kein Ende, kaum noch Höhepunkt und Antiklimax. Der nächste Tag bringt immer das nächste Stand-up, die nächsten Assets. Man könnte das als galoppierenden Prozessionismus beschreiben, und er wirkt alternativlos. Genau darum braucht es ein anderes, ein verführerisches Narrativ davon, wie erfolgreiche Arbeit aussehen kann.
Verstehen Sie mich nicht falsch – digitale Tools ermöglichen uns großartige Dinge.
Wir können miteinander kreativ sein, ohne im selben Raum sitzen zu müssen (siehe Kapitel 4, Die Grenzen der Innovation).
Wir können ortsunabhängig arbeiten. Die vor einigen Jahren noch abstrakte Vision der digitalen Nomaden ist heute für viele Menschen Wirklichkeit.
Wir können uns stärker vom Nine-to-five-Rhythmus unabhängig machen, zeitversetzt kollaborieren und genau dann arbeiten, wenn wir am produktivsten sind.
Und Hans Rusinek ergänzt: «Es ist doch erstmal toll, dass Wissensarbeitende jetzt auch eigene Werkzeuge haben.»
Alles richtig. Wir nehmen uns nur die meisten dieser Vorteile selbst wieder weg durch die eng getaktete und streng kontrollierte Art, wie wir diese Werkzeuge einsetzen.
Und, ja: Das Aufsetzen und die Steuerung von Prozessen sind eine Kunst. In meiner Rolle als Consultant helfe ich Unternehmen unter anderem dabei, mit den richtigen Strukturen, Rollen und Tools perfekt abgestimmte Zusammenarbeitsmodelle zu schaffen. Aber diese Perfektion kann auch unmenschlich werden. Kann uns das Gefühl geben, Teil einer großen Maschine zu sein, die immer weiterläuft – ohne Ziel, nur mit der selbstreferenziellen Logik, den Prozess fortzusetzen.
«Es gibt kein ‹Geschafft› mehr, gerade in Büroberufen», sagt die Psychologin Ilona Bürgel. Dieser Zustand führe zu körperlichem und seelischem Unbehagen. «Warum? Weil wir anders groß geworden sind: Fertig werden, Dinge richtig machen.» Heute müssten wir gegen diese Grundwerte leben. Dieses Dilemma führt laut dem US-amerikanischen Forscher Cal Newport zu einer Great Exhaustion von Wissensarbeitern – einem Begriff, der das Thema meines vorherigen Buches Digitale Erschöpfung spiegelt. Als Lösung empfiehlt Newport weniger Kollaboration und mehr konzentrierte Arbeit. Das ist richtig, das habe ich auch schon oft beschrieben. Aber es greift zu kurz.
Denn das Problem liegt tiefer. Die monotone Produktivitätsspirale der Tools lässt sich nur durchbrechen, wenn wir es schaffen, unseren Arbeitsalltag grundsätzlich anders zu strukturieren. Uns sind die Punkte, Kommas und Ausrufungszeichen unserer beruflichen Erzählung aabhandengekommen Wir brauchen eine neue Grammatik des Schaffens. Wir müssen die Definition zurückerobern, was gelingende Arbeit ausmacht.
Einen Ansatz dazu liefert der Autor Seth Godin mit dem, was er Shipping nennt – ein Begriff, der ins Deutsche nur unzulänglich mit ausliefern zu übersetzen ist: «Was nicht ausgeliefert wird, zählt nicht», so Godin: «Was nicht kreativ produktiv ist, ist nicht hilfreich. Wenn wir Glück haben, ist dies das Herzstück unserer Arbeit: Die Arbeit der Schöpfung in dem von uns gewählten Medium.»
Denn das Gefühl, etwas geschaffen und geschafft zu haben, erfüllt mit Zufriedenheit. Handwerker haben eine deutlich höhere Jobzufriedenheit als der Durchschnitt der Arbeitnehmenden – 80 Prozent bezeichnen sich als glücklich mit ihrer Arbeit, in der Gesamtbevölkerung sagen das nur 55 Prozent. Ein Grund: Handwerk schafft sichtbare, abgeschlossene Arbeitsergebnisse. «Man tut etwas, das jemand braucht und das man am Ende wirklich sehen kann», so die Glücksforscherin Ricarda Rehwaldt. Dachdecker lachen nur über Great Resignation und Quiet Quitting.
Digitale Wissensarbeiterinnen hingegen vergleicht der Produktivitätsexperte Merlin Mann mit Angestellten eines Sandwich-Ladens, die sich viele Gedanken darüber machen, wie sie die Bestellungen am sinnvollsten ordnen. Die aber nie dazu kommen, diese auch auszuführen. «Deine Aufgabe ist es, Sandwiches zuzubereiten», sagt er: «Nicht, zu entscheiden, wie man die Bestellungen der Kunden am schönsten sortiert.»
Der Kampf gegen den Prozessionismus bekommt gerade eine besondere Dringlichkeit: Denn Routinen erledigen und Tasks abarbeiten – das wird uns schon bald die KI abnehmen. Unser Mehrwert als Mensch? Überraschende Verknüpfungen liefern. Aus dem Raster der Workflows ausbrechen und auch mal von oben auf die Dinge schauen. Scheinbar Unerhörtes denken.
Aus der Kreativitätsforschung wissen wir, dass es neben Inspiration und Austausch Momente introspektiver Ruhe braucht, damit Neues in die Welt kommt. Nur in ihnen können wir die Informationen in unserem Kopf auf überraschende Art rekombinieren. Das Problem: In unserer ständig abgelenkten und von permanenter Kollaboration geprägten digitalen Arbeitswelt kommt diese Phase der Inkubation zu kurz – in vielen Berufen verschwindet sie ganz.
Damit schaffen wir nicht zuletzt die Voraussetzung ab, Neues zu denken. Ich habe international führende Expertinnen und Experten interviewt – Glücksforscherinnen und Computerwissenschaftler, Soziologinnen und Unternehmensberater –, um herauszufinden, was das mit Wettbewerbsfähigkeit macht. Mit unserer Fähigkeit, die großen anstehenden Menschheitsprobleme zu lösen. Und mit unserem individuellen Glücksempfinden.
Auf den folgenden Seiten finden Sie, was ich dabei gelernt habe. Im ersten Teil beschreibe ich die Facetten des Phänomens:
Das gescheiterte Versprechen von New Work, den
vorgetäuschten Fleiß und die Unfähigkeit, etwas wegzulassen, sowie
die endliche Dehnbarkeit unserer Zeit.
Danach geht es um die Folgen des Prozessionismus. Ich identifiziere drei Dimensionen, in denen dieser darin versagt, Fortschritt herzustellen:
Die Innovation nimmt ab,
unsere Produktivität stagniert und
die Menschen werden bei der Arbeit immer unglücklicher.
Im dritten und letzten Teil beschäftige ich mich mit Lösungen für das Dilemma:
Liegt die Antwort in unseren Organisationen, müssen wir also die sich selbst verwaltenden sogenannten Bullshit Jobs loswerden?
Schaffen wir es, klüger mit digitalen Werkzeugen umzugehen?
Brauchen wir andere Wege zurück in die Freiheit, zum Beispiel über die 4-Tage-Woche, Workations oder mithilfe von künstlicher Intelligenz?