Die Papstkatze - Eva Berberich - E-Book

Die Papstkatze E-Book

Eva Berberich

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Beschreibung

Die schwarze Katze, die sich eines Tages bei ihm einquartiert, bringt das Leben des Papstes völlig durcheinander. Er verliebt sich in sie und genießt es, dass sie, zweifellos das schönste weibliche Wesen im Vatikan, sogar das Bett mit ihm teilt. Dort schnurrt sie ihm mehr oder weniger zärtlich die Leviten. Was immer sie sagt - über Mäuse und Sterne, Kater und Katzen sowie über Gott und die Welt - hat Pfote und Kralle. Das bleibt nicht ohne Wirkung. Der Papst beginnt, misstrauisch beäugt von seiner Umgebung, sich zu verändern. Und nicht nur sich ... »Diese Papstkatze wird mit dazu beitragen, den Defaitismus zu bekämpfen, der sich in der Kirche immer mehr ausbreiten wird, sollten nicht bald Reformen greifen.« (Hans Küng, Tübinger Reformtheologe)

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Von Eva Berberich sind als dtv Großdruck im Deutschen Taschenbuch Verlag erschienen: Alles für den Kater Das Glück ist eine Katze Nicht ohne meinen Kater Der Kater, der nicht reden wollte In der Blauen Stunde kommen die Katzen

Eva Berberich lebt mit Katze und Ehemann, dem Schriftsteller Armin Ayren, im Hochschwarzwald. Mit ihren heiteren und tiefsinnigen Geschichten hat sie sich in die Herzen zahlloser Katzenfreunde geschrieben

Eva Berberich

Die Papstkatze

Mit Illustrationen

für Hans Küng

Impressum

© 2015 Eva Berberich

Umschlag, Illustration: Eva Berberich

Layout: Valerie Nyre

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

978-3-7323-2832-1 (Paperback)

978-3-7323-2833-8 (Hardcover)

978-3-7323-2834-5 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Die Autorin dankt Valerie Nyre für ihre unschätzbare Hilfe bei der Bildbearbeitung

Inhaltsverzeichnis

21. März, Frühlingsanfang. Alles grandios

26. März, Liudger, Felix, Kastulus. Das Ding

4. April, Ambrosius, Isidor. Vom Schlurfen, einem ungezogenen Engel und wilden Träumen

9. April, Konrad, Waltraud. Bitterliches

13. April, Ida, Martin. Über den angemessenen Umgang mit Naturgesetzen

14. April, Tiburtius, Lidwina. Papstbeschimpfung. Vom Fressen und Gefressenwerden

25. April, Nidgar, Huna. Alles ist hin

27. April, Zita. Frederik, Dichtermaus

21. Mai, Konstantin. Papst- und Katzengedanken

Eins, zwei, drei, im Sauseschritt, eilt die Zeit, wir eilen mit. Die Katze nicht, das wäre ihrer Natur zuwider, sie lässt die Zeit ins Land eilen, macht Müffchen und bleibt ein Geheimnis

1.-2. Juni, Himmelfahrt. Die lange Nacht des Heiligen Vaters. Von Gott und von Göttern

9. Juni, Ephraim. Adam, Eva und die schöne Delphica

26. Juni, Virgilius. Freie Geister

2. Juli, Wiltrudis. Vom Heil und von der Sünde. Die Sache mit den Katzen

13. Juli, Heinrich und Kunigunde. Audienz mit Stöcken. Der Brüll

24. Juli, Balduin. Letzte Wörter und Pfotenspiel

28. Juli, Beatus, Innozenz. Vom Bösen

8. August, Dominikus, Cyriakis. Das Bildnis des Dorian Haarkötter. Von Zecken und Zengeln und vom Paradies

26. August, Gregor. Der Schweiger, der Ketzer und das All

3. September, Sophia. Von zähen Göttern sowie von himmlischer und irdischer Liebe

17. September, Hildegard von Bingen

4. Oktober, Franz von Assisi. Von schönen Kniebeugen und von der Jungfräulichkeit

15. Oktober, Teresa von Avila. Von der Abwesenheit des weiblichen Elements in den Lehren der Kirchenväter

11. November, Martin von Tours

An Weihnachten haben die Heiligen frei, dafür schaut Dr. Martin Luther vorbei

15. Januar, Maurus. Mohr oder nicht Mohr

10. Februar, Scholastika. Schattenspiele

6. März, Fridolin. Von Heiligenmacherei

30. März, Amadeus. Von der Unfehlbarkeit, vom Leuchten, von der Sternseherin Lise und von der Sehnsucht

10. April. Eberwin von Helfenstein. Die Gnade ist ein schwierig Ding

11. April, Stanislaus. Über richtiges Denken

19. April, Gerold. Vom Lob der Dummheit, einer von Visionen geplagten Nonne und von der Ergötzung

26. April, Trudbert. Von Bommeln und Troddeln

Im wunderschönen Monat Mai. Die drei Eisheiligen Pankraz, Bonifaz und Servaz. Dies Bildnis ist nicht bezaubernd schön

13. Juni, Antonius von Padua. Von Father Brown sowie dem belebenden Glauben an Unmöglichkeiten

12. Juli, Felix, Nabor. Von der Kirchenruh, die hin ist, einer gestrichenen Wallfahrt und einem harten Brocken

27. August, Monika. Von der Liebe und vom Schmerz

Nachkatzenzeit. Letzter Brief. Von alten und neuen Freunden, Innenkatzen und Außenkatzen und von nachtblauen Gesprächen. Verstörende Gedankengänge nach der Lektüre Dostojewskis sowie eine im wahrsten Sinn des Wortes bewegende, die unheilige Kirche durchrüttelnde, durchschüttelnde Vision. Es ist ein Schnitzer, heißt der Tod

20. Oktober, Wendelin: Herr, es ist Zeit

21. März, Frühlingsanfang. Alles grandios

Alles war grandios. Der gestirnte Himmel über ihm, darunter der menschenleere Petersplatz, auf den er vom Fenster seines Arbeitszimmers im dritten Stock des Apostolischen Palasts hinabsah. Michelangelos Kuppelwunder im orangefarbenen Licht der Scheinwerfer. Der stramme Obelisk - er hört auf den Namen Vaticano -, der schon im Circus des Nero gestanden war. Berninis vierreihige Säulenkolonnaden, auf der Balustrade jede Menge unerbittlich und ewig dreinblickende Heilige in majestätischer Haltung und mit theatralischen Gesten, die er, als Un- oder Nichtheiliger, nie hinbekäme - er hatte versucht, vor dem Spiegel eine dieser Haltungen einzunehmen, der Anblick war desillusionierend gewesen -, die aber enorm wirkten. Ganz großes Theater in ganz großer Kulisse. Auch wusste er nicht, wieviele Heilige sich dort oben tummelten; immer, wenn er nachzählte, kam eine andere Zahl heraus. Ob das am überirdischen Humor der Heiligen lag oder an ihm?

Alles Weltkulturerbe. Roma aeterna. Die Weite, die Stille, die römische Nacht, durch deren Erhabenheit in diesem Augenblick ein kleines, dunkles, ganz unerhaben wirkendes Geschöpf gemächelte. Er konnte es nicht deutlich sehen, hatte wieder mal seine Brille verlegt. Das Geschöpf spazierte über den weiten, einer Schale gleichenden, kopfsteingepflasterten Platz, verharrte, etwas hatte seine Aufmerksamkeit erregt, bewegungslos wie einer der heiligen Steinriesen, sprang los, verschwand im Schatten des Madernobrunnens, aus dem es gleich wieder auftauchte, lief weiter zum Obelisken, hob den Kopf, als schaue es herauf zu seinem Fenster, dem einzigen im Vatikan, das um diese Zeit noch erleuchtet war, weil er hoffte, dieses Licht gebe den Menschen das schlaf- und guteträumefördernde Gefühl, er wache heiligväterlich über sie. Was er nicht immer tat, meistens arbeitete er noch, etwa an einer Predigt, oder er las oder hörte Musik. Als er seine Brille endlich fand, hatte die römische Nacht das Ding verschluckt. Und alles war wieder grandios.

26. März, Liudger, Felix, Kastulus. Das Ding

In der Nacht vor dem Tag, an dem sehr fromme Christenmenschen gleich dreier Heiliger zu gedenken haben, des heiligen Liudger - er hatte im Jahre 800 während einer Dürrezeit ein paar Graugänse dazu gebracht, solang mit den Füßen zu scharren, bis sie auf Wasser stießen und man einen Brunnen bauen konnte -, des heiligen Felix und des heiligen Kastulus, wachte er auf, weil die Schulter arg schmerzte. Er wechselte die Seite und sah, noch im Halbschlaf und seiner verklebten Augen wegen etwas verschwommen, eine dunkle Silhouette auf dem Fenstersims, umsilbert vom Mondlicht. Als er das Licht anknipste, war das Ding verschwunden, vermutlich dorthin, wo Albträume, Nachtmahre und Halluzinationen sich aufhalten, bevor sie einen heimsuchen.

Wer es nicht so mit Heiligen hat, der kann auch Beethovens gedenken, der an einem 26. März starb oder des an einem 26. März geborenen Gotteshassers Richard Dawkins (Der Gotteswahn).

4. April, Ambrosius, Isidor. Vom Schlurfen, einem ungezogenen Engel und wilden Träumen

Er schlurfte. Schlurfer, so hatten sie ihn gerufen, da war er sieben, lupf doch die Füß, Kleiner! Mit fünfzehn: Schlurf nicht so, Kerl, beim Kommiss werden sie dir die Schlurferei schon abgewöhnen. Und mit zwanzig, wenn er durch die Katholische Fakultät schlurfte: Dieser Beruf duldet kein krummes Holz, der verlangt einen aufrechten Gang.

Er kam nicht dagegen an. Es schlurfte in ihm. So war er, ohne jede Karriereabsicht, einfach weitergeschlurft, ins Pfarrhaus, ins bischöfliche Palais, dann ins erzbischöfliche, schließlich, mit Kardinalshut, ins apostolische, und nun erlaubte sich niemand mehr zu sagen: Lupf doch die Füß, Heiliger Vater, wie sieht das denn aus, Herrgottnochmal! Wenigstens erlaubte sich das kein menschliches Wesen. Denn: kurz nach seiner Papstwerdung brach ein Engel in seinen Traum ein. Der Heilige Vater mochte keine Engel, was seinen Grund hatte. Davon später. Besonders zuwider waren ihm die kleinen, dicken, nackigen, neckisch, süßlich oder verzückt blickenden, die in Kirchen herumlümmeln und bei denen er immer das Gefühl hatte, sie bräuchten eine frische Windel. Dieser Engel nun drehte einen Looping, verkündete, ohne sich vorzustellen und zu grüßen, wie das einem Engel gut angestanden hätte, das neue Kirchenoberhaupt sei auch im Himmel als ‚Schlurfer‘ bekannt, was sich auf seine Beziehung zur Allerheiligsten Dreifaltigkeit negativ auswirke, besonders - hier führte er ein paar affige Pirouetten vor - auf die zum Heiligen Geist. Weshalb der Heilige Vater seine Gangart einer kritischen Prüfung unterziehen möge. Der ließ dem Heiligen Geist ausrichten, der neue Papst sei keine Taube, gedenke, mangels Flügeln, auch fürderhin zu schlurfen, und jetzt möge er, der Engel, sich gefälligst schleichen. Worauf dieser sich mit eingezogenem Gefieder schlich.

Der Papst entschuldigte sich am nächsten Morgen während der Messe kleinlaut beim Heiligen Geist, sowie, weil er ja nicht wusste, welchem Engel er die nächtliche Heimsuchung verdankte, bei der Unmenge der Himmlischen Heerscharen. Mutig war er nur im Traum. Er, der sich im Leben gern kleinmachte, wuchs träumend in jeder Hinsicht über sich hinaus. Träumte so löwenwild, so adlerkühn, dass er sich vor sich selber fürchtete. Wenn Träume Manifestationen des Unbewussten waren, saß mit ihm womöglich ein innerlich gespaltener Papst, ein Held und ein Hasenfuß, auf dem Stuhl Petri, auf dem er ohnehin nicht gern saß.

Das Verhältnis zum Heiligen Geist war seit jenem Traum ein leicht getrübtes.

Ein Wort noch zum heiligen Isodor, der von der Kirche zum Patron für das Internet vorgesehen ist, in der Hoffnung, er werde dafür sorgen, dass die Nutzer keine Obszönitäten, sondern nur moralisch Vertretbares anklickten. Der Heilige Vater jedoch bezweifelte ein ethisch einwandfreies Klickverhalten.

9. April, Konrad, Waltraud. Bitterliches

Im Rosenbeet lag ein Kopf, daneben ein kleiner blutiger Klumpen.

»Die Galle. Die hat sie liegen lassen.«

»Wer?«

»Na, die Katze.«

»Wie kommt die in die Vatikanischen Gärten?«

»Wenn sie nicht geflogen ist«, sagte der Gärtner, der viel ehrfurchterweckender aussah als der Heilige Vater, »muss sie wohl auf ihren vier Pfoten hereingeschlichen sein.«

Das Gespräch fand statt an einem Tag, den sich, so der Heiligenkalender, die heilige Waltraud und der heilige Konrad teilten, weil die Kirche mehr Heilige angesammelt hat als das Jahr Tage und nicht mehr weiß wohin damit. Für eher weltlich Orientierte: an einem 9. April wurde der französische Dichter Charles Baudelaire geboren. Was der Papst aber auch ohne Kalender wusste.

»Warum hat sie die Galle nicht gefressen?«

»Haben Sie mal Mäusegalle probiert, Heiliger Vater? Weil sie, wie’s heißt, bitter schmeckt.« Obwohl das ja als gesund gelte. Früher sei fast alles bitterer gewesen, Salat, Gurken, Reis, Chicoree, Zucchini, vermutlich sogar die Tränen, weinte man doch, wie man gern sagte, bitterlich. Heut züchte man das raus, bei den Tränen wisse er aber nicht, wie das gehe, die seien wohl immer noch bitterlich.

»Dann sagen Sie ihr, die Galle sei das Beste an der Maus.«

»Kennen Sie eine Katze, die sich was sagen lässt, Heiliger Vater?«

13. April, Ida, Martin. Über den angemessenen Umgang mit Naturgesetzen

Die Mittwochsaudienz war zu Ende. Wegen Nieselregens hatte sie in der riesigen Halle stattgefunden, in der er sich nie recht wohl fühlte wegen des furios-bedrohlichen Kunstwerks hinter seinem Thron, in dem ein gigantischer Christus aus einer explodierenden Masse herauskatapultiert wird, vielmehr aus ihr aufersteht. Der Heilige Vater - er saß immer mit eingezogenem Genick da - fürchtete, die ganze Auferstehung, sie war sündhaft teuer gewesen, könne einmal ins Wanken geraten, auf ihn stürzen und ihn zermalmen. Und dass er dann unzermalmt wieder auferstehen würde, hatte er, nach dem Credo, an das aufrechte Katholiken sich zu halten haben, zwar zu glauben, aber nichts Genaues weiß man halt doch nicht. außerdem war er, obwohl Papst, kein aufrechter Katholik, sondern ein schlurfender.

Wieder in seinem Arbeitszimmer, dankte er den Tagesheiligen Ida und Martin (das ist nicht der mit dem Mantel und der Martinsgans), dass sie ihre schützenden Hände über ihn gehalten hatten, gedachte kurz auch des an einem 13. April verstorbenen Fabeldichters Jean de La Fontaine (das ist der mit dem Raben und dem Fuchs), schlurfte zum Sessel und blieb ein paar Minuten im Halbdunkel sitzen. Streifte die Schuhe von den schmerzenden Füßen - und schrie auf.

Im Lichtkegel der hastig angeknipsten Lampe hockte die Katze, die ihn aus dem Hinterhalt angesprungen hatte. Mager, hochbeinig, sichtlich ohne gediegenen Stammbaum, weder persisch noch Angora, ganz hunds- oder vielmehr katzengewöhnlich. Und von allerschwärzestem Schwarz. Sie schleckte das Blut von seinem Zeh, dann schleckte sie sich das Maul.

Nun war der Papst ein höflicher, demütiger, leiser Mensch. Doch der Schmerz ließ ihn Demut und Höflichkeit vergessen: »Au!« brüllte er, »das ist mein Zeh. Und mein Blut, das du vergossen hast … » ‚Zur Vergebung der Sünden‘ konnte er sich, dem Kruzifix überm Schreibtisch einen entschuldigenden Blick zuwerfend, gerade noch verkneifen. »Wie kommst du überhaupt hierher? Und was machst du hier? Und wo willst du hin?«

Die Katze musterte ihn von oben bis unten; ihm war, als sehe sie ihn holographisch gleichzeitig auch noch von beiden Seiten und von hinten wie Picasso seine Vasen und Gitarren, als er in der Phase des ‚Analytischen Kubismus‘ festhing. Betrachtete ihn mit einer Selbstverständlichkeit, die ihn arg irritierte; die Blicke der zurechtgedrechselten Menschen seiner Umgebung waren weit weniger grenzüberschreitend. Dann kam er darauf, dass diese Kreatur, womöglich ein schwarzer, nur auf handliches Format geschrumpfter Panther, gar nicht antworten konnte, weil ihr die Gabe der Rede nicht verliehen worden war.

Blöde Menschengedanken stimmten sie immer heiter, sagte die Kreatur, über das Kommen, das Dasein und das Gehen mache sie sich keinen Kopf, und fixierte seinen anderen großen Zeh. Dem Papst fiel ein, dass dies ja die Frage aller Fragen war, über die der Mensch sich, seit er von den Bäumen herabgestiegen ist, fleißig das Gehirn zergrübelt und auf die eine befriedigende Antwort zu geben er als Oberhirte der ihm anvertrauten Christenherde verpflichtet war. Doch je älter er wurde, desto mehr flohen ihn die befriedigenden Antworten auf diese großen Fragen - etwas peinlich für einen Heiligen Vater, der ja nicht nur selbst auf festem Glaubensgrund zu stehen, sondern gleichzeitig auch dieser felsige Grund zu sein hat, auf dem die Kirche erbaut wurde -, der also, wenn man so sagen will, auf sich selbst stehen muss - eine artistische Leistung, die einem Papst erst mal einer nachmachen soll.

Er sagte gereizt, er meine, wie sie hereingekommen sei, der wachhabende Schweizergardist habe wohl geschlafen.

14. April, Tiburtius, Lidwina. Papstbeschimpfung. Vom Fressen und Gefressenwerden

Sie war weg. Der Beherrscher der Gläubigen dankte den Heiligen Tiburtius und Lidwina, die heute zur Verehrung anstanden, schlurfte beschwingt zur morgendlichen Kurzmesse in seine Privatkapelle, dann zum Frühstück, genehmigte sich zwei Stück Zucker in den Kaffee - »eins für mich, eins für die Katz« - und hinterher zu seinen Tagesgeschäften. Er ließ sich von seinem Sekretär zusammenfassen, was an Wichtigem in den Zeitungen stand, und nahm - unsere tägliche Papstbeschimpfung gib uns heute! - die üblichen gehässigen Kommentare zur Kenntnis. Die großen Zeitungen wetteiferten wieder mal darin, kein gutes Haar an ihm zu lassen, weil er es in seinem bisherigen Pontifikat nicht geschafft hatte, von heute auf morgen den Zölibat zu entsorgen, eine Frauenquote für den Priesterberuf einzuführen mit Aufstiegsmöglichkeiten bis zum Papst und die Kirche gründlich zu entrümpeln. Dabei hackten sie durchaus grundlos auf ihm herum. War er doch, gesegnet mit einem von seiner bäuerlichen Großmutter geerbten gesunden Menschenverstand und angeregt durch die Lektüre kirchenkritischer Geister, zur Überzeugung gelangt, seine Kirche sehe aus wie der arme Kerl, der unter die Räuber gefallen war, von dem das Evangelium erzählt. Wobei dem Heiligen Vater immer mehr dämmerte, es seien keine fremden Räuber am beklagenswerten Zustand der Darniederliegenden schuld, sondern diese sei ihr eigener Räuber gewesen. Und sei es immer noch. Und er war der Räuberhauptmann. Dessen war er nicht froh. Aber er hängte seine subversiven Gedanken nicht an die große Glocke, er bewahrte sie in seinem Herzen. Er war nun mal kein Revoluzzer.

Zusehen müssen, wie seine Schafe der ihm anvertrauten Kirche davonrannten, ohne dass er imstand war, die Flüchtenden mit dem Lasso überzeugender Argumente wieder einzufangen, machte den Heiligen Vater erst recht nicht froh, es fehlte ihm ja weniger an Verständnis für die Entfleuchten als an diesen Argumenten. Wenn er mutmaßte, was der Herr von seinem Statthalter denken könne, verfiel er der Melancholie. Hätte Jesus damals statt zu Petrus zu ihm gesagt, du Fritz oder Franz oder Johann oder wie immer du heißt, du bist der Fels, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen, undsoweiter, hätte er sich mit Händen und Füßen gewehrt: Lass gut sein, lieber Herr, ich bin nur ein Weichei, such dir einen härteren Felsen, mit mir ist kein Kirchenstaat zu machen. Aber dieser ihn jedesmal einschüchternde, in meterhohen schwarzen Buchstaben auf Goldgrund von der Wand des Petersdomes herunterdrohende Satz war dem Herrn, wie manches andere, ja erst hinterher in den Mund gelegt worden, weil er sich gut machte und eine Art gesprochene Gründungsurkunde war für das, was sich dann zu der Kirche ausgewachsen hat, wie man sie kennt.

Die hatte der Heilige Vater nun am Hals. Er dachte an das Wort der Teresa von Avila, einer der sympathischeren Heiligen, man solle nicht um eine leichtere Last bitten, sondern um einen stärkeren Rücken. Der tat ihm aber auch weh.

Er unterschrieb einige Dokumente, telefonierte mit dem Osservatore Romano, dem vatikanischen Hausblättchen, regte an, ab und zu eine Schachaufgabe zu bringen - er war in längst vergangenen Zeiten mal Diözesanmeister gewesen - und ermahnte seinen Sekretär, nicht so mit Schwester Beata, dem päpstlichen Hausdrachen, herumzuscharwenzeln. Der Zweck heilige die Mittel, erklärte dieser, ihre Pasta schlage alle anderen Paste um Längen, was ein paar Lobhudeleien rechtfertige.

Zum Mittagessen servierte der Drachen Pasta mit Pesto, hinterher Vanillepudding mit einem Schuss Grappa. Der Sekretär hatte eine Schwäche für Grappa, der Drachen für Komplimente.

*

Zwischen zwei Besprechungen, die eine mit dem ungemein wichtigen Leiter des Komitees für Kulturgüter der Kirche, die andere mit dem nicht weniger bedeutenden Präfekten, welcher der Kongregation für die Institute geweihten Lebens vorstand, wie man die Orden nennt, brauchte der Heilige Vater, der lieber unbedeutende als bedeutende Menschen um sich hatte - auch er fand sich ja höchst unbedeutend - einen Auslauf. Er besuchte in den Vatikanischen Gärten die beiden zwischen immergrünen alten Eibenhecken vor sich hinplätschernden Sirenenbrunnen, ärgerte sich wie jedesmal über das Kiesgeknirsch unter seinen Schuhen, drückte die Nase in den wie wild duftenden Jasmin und sprach den ewigblühenden Rosen seine Bewunderung aus. In einer ausgeräumten Tonschale lag als Neubepflanzung die Katze und war mit Nichtstun beschäftigt.

Der Papst stemmte die Arme in die Hüften, hoffend, er wirke heute etwas autoritätvoller. »Schleich dich! Mit dem Gärtner ist nicht gut Kirschen essen.«

Sie esse grundsätzlich keine Kirschen, sagte die Katze. »Und du?«

Er auch nicht, von Kirschen kriege er immer Durchfall. »Außerdem haben wir hier Vögel.«

Drum sei sie ja hier. Es seien recht wohlgenährte Vögel, zartes, festes Fleisch.

»Diese Vögel singen zur höheren Ehre Gottes.«

»Ich fress sie zu seiner höheren Ehre«, sagte die Katze. »Und die Vögel fressen die Würmer zu seiner höheren Ehre. Die Würmer - was fressen die denn?«

Jedenfalls sei es alles andere als fein, die Reste ihrer Mahlzeiten liegen zu lassen, so der Papst, wenigstens die Galle könnte sie fressen, wo die doch das Beste an der Maus sei. Und er liebe es nicht, wenn sie in seinen Beeten herumscharre, um - immerhin wusste er, dass Katzen, anders als Hunde und Menschen, wenn die im Freien mal müssen, ihr Geschäft vergraben. Das sprach für die Katze.

Die rollte sich herum und zeigte ihren Bauch. Der war etwas heller als das übrige Fell, und auf der Kehle war ein weißer Fleck, den hatte er tags zuvor nicht bemerkt. Er konnte sich nicht erinnern, wann zuletzt ein weibliches Wesen ihm den Bauch gezeigt hatte. Vermutlich nur in seinen jugendlichen Träumen. Morgen wolle er sie hier nicht mehr sehen, sagte er betont streng.

»Wo dann?«

»Nirgends.«

Die Katze wechselte die Position, streckte die Hinterpfote senkrecht zum Himmel, legte sie über Schulter und Genick und fing an, sich zu schlecken. »Kannst du das auch?«

Wohl wissend, dass er der Katze nicht nur an Gelenkigkeit, sondern auch an Schlagfertigkeit haushoch unterlegen war, trat der Heilige Vater den Rückzug an und schlurfte davon. Der Kies knirschte gehässig. Wenn sie neben mir ginge, dachte er, würde er sich nicht erlauben zu knirschen. Bei mir knirscht er, mit mir kann er’s ja machen. Wie alle hier. Er sah nicht, wie die Katze sich die Pfoten schleckte, eine nach der anderen, sich in der Schale zurechtruckelte, den Schwanz über die Augen legte und sich der Welt empfahl.

Fressen und Gefressenwerden, sinnierte der Papst. Katze frisst Vogel, Vogel frisst Wurm, Wurm frisst Mensch. Den Papst auch. Weil’s gut schmeckt, und vielleicht auch zur höheren Ehre Gottes. Mahlzeit! Und was fress ich - was ess ich heute?

Schwester Beata hatte Linseneintopf angekündigt. Mit Saitenwürstchen.

Dann fiel ihm ein, dass er die Katze nicht gefragt hatte, ob sie auch mit Nichtheiligenvätern rede.

Zu den beiden Heiligen und zur Belehrung des Lesers ist noch zu vermelden, dass nach dem Bauernkalender der heilige Tiburtius sich als Frühlingsbringer beliebt gemacht hat: Tiburtius kommt mit Sang und Schall, bringt Kuckuck mit und Nachtigall, während die heilige Lidwina - sie hatte sich beim Eislaufen die Rippen gebrochen und musste dann bis zum Lebensende das Bett hüten - gestorben war, ohne, so die Überlieferung, je ein unschickliches Wort gesagt zu haben. Worin die Unschicklichkeit eines Wortes bestehen könnte, wäre wohl ein paar Überlegungen wert. Leser mit einer Heiligenaversion könnten an diesem Tag des schwersten Hagelkorns gedenken, das weltweit je gewogen wurde, der Brocken fiel 1988 vom Himmel über Bangladesch.

25. April, Nidgar, Huna. Alles ist hin

In der folgenden Woche ließ die Katze sich nicht blicken. Aber los war der Heilige Vater sie keineswegs, sie hatte sich in seinem Kopf zusammengerollt und schnurrte. Als er ihr leicht auf die Nase tippte und den Finger vorsichtshalber gleich wieder wegzog, schnurrte sie noch lauter. Er fragte sich, wie sie das hinkriegte, das Schnurren, und dann noch in seinem Kopf. Und ob er auch in ihrem Katzenkopf drin war, wie er in seinem Sessel sitzend, das Brevier lesend, am Schreibtisch an einer Predigt herumbosselnd, oder, wie heute, darüber nachdenkend, wozu die Kirche eigentlich ein Komitee für Geschichtswissenschaften brauchte und eine Kommission Ecclesia Dei, eine eigene Kongregation für die Bischöfe, sowie ein Amt für die Liturgischen Feiern. Und ob sie ohne diese und all die unzähligen anderen Ämter, Kongregationen, Päpstlichen Räte, Präfekturen und Kommissionen, die es außerdem gab, zusammenbräche. Für einen Moment gönnte er sich die ketzerische Vision eines mit Ach und Krach und großem Gedöns prachtvoll in sich zusammenstürzenden Vatikans. Sah sich selber, wie er neben dem heiligen Petrus, dessen Bronzekopf zwischen geborstenen Säulen herausguckte, staubumwölkt auf den Trümmern der Peterskirche hockte und ‚O du lieber Augustin, alles ist hin’ sang, wozu der Apostelfürst mit seinem ebenfalls aus den Trümmern herausschauenden Bronzefuß, es war mindestens der dritte, fromme Pilgersleut hatten im Lauf der Zeit die Vorgängerfüße plattgeküsst, weshalb er immer mal wieder einen neuen kriegte, wohlwollend dazu den Takt klopfte und der andere Augustin, Bischof von Hippo, Kirchenvater und Großheiliger, sein Haupt verhüllte.

Eine Vorstellung, die er genoss.

Die Katze im päpstlichen Kopf schnurrte sämtliche Ämter, Kongregationen und Apostelfürstenfüße hinweg. Er stellte sich vor, wie sie zart mit ihrer Pfote an seine Pfote stupste und den Fischerring beschnüffelte, als hänge noch ein leichter Geruch nach Fisch daran, Erinnerung an den ersten Beruf des Mannes, der vom Fischefischer zum Menschenfischer geworden war.

Fromme Seelen gedenken an diesem Tag der beiden Heiligen Huna und Nidgar, von denen man aber nix Genaues weiß, weder ob sie sich mögen, noch warum sie zur Ehre der Altäre gekommen sind. In die kam man in den alten Zeiten schnell. Ehe man sich’s versah, war man tot und heilig, man brauchte dazu nicht einmal gelebt zu haben. Wer Hunas und Nidgars nicht gedenken mag, der versäumt wohl nicht viel und gedenkt besser des Nobelpreisträgers für Physik Wolfgang Pauli, Entdecker des als ‚Pauli-Prinzip‘ bezeichneten Ausschlussprinzips, das fast so kompliziert ist wie der ontologische Gottesbeweis des Anselm von Canterbury. Und wer in Physik nicht gut war, der kann auch der stimmgewaltigen Jazzsängerin Ella Fitzgerald gedenken, beide haben am 25. April Geburtstag.

27. April, Zita. Frederik, Dichtermaus

Die Katze lag mit eingeknickten Vorderpfoten auf dem päpstlichen Schreibtisch, wo sie offensichtlich die Nacht verbracht hatte.

»Was machst du denn da?« fragte der Heilige Vater nicht übermäßig unfreundlich.

»Müffchen.«

»Müffchen?«

»Pfoten umknickeln.«

Ob er sie dabei störe?

Durchaus nicht, sagte die Katze, streckte, sich reckte sich und rollte auf dem Hohen Lied des Königs Salomo hin und her, in dem dieser die Liebe besingt, womit, so versichern Theologen, natürlich die Liebe zwischen Jesus und seiner Kirche gemeint sei, nicht die andere, unreine, erotische Bäh-Liebe. Und in dem der Verliebte der Geliebten zuruft: Siehe, du bist schön, meine Freundin, deine Augen sind Tauben. Deine Brüste sind wie zwei Kitzlein, wie die Zwillinge einer Gazelle - hat die Kirche Brüste? Komm mit mir, meine Braut!

Statt der taubenäugigen schönbusigen Freundin kam Schwester Beata mit dem Frühstück, was die Katze nicht bewog, sich zu verabschieden. Die Schwester fragte mit allen Anzeichen von Missbilligung, und ihr Repertoire an Missbilligungsäußerungen war enorm, was das sei. Der Papst sagte, er halte das für ein Känguruh, aber die Schwester, der das Humorvolle dieser Bemerkung entging, meinte kühl, man brauche zwar einen Heiligen Vater, aber keinen nicht sehr heilig aussehenden Kater.

»Katze«, sagte der Heilige Vater.

»Woher wissen Sie, dass es eine Katze ist?«

»Ganz einfach. Man guckt ihr untern Schwanz.« Eine Bemerkung, die er sich noch vor einigen Tagen verkniffen hätte und die offenbar dem Einfluss der Katze zu verdanken war, die, wie er schon bei ihrer ersten Begegnung gemerkt hatte, nicht, wie im Vatikan üblich, und entgegen der göttlichen Mahnung Eure Rede sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel, so lange um eine Sache herumschwafelte und -druckste, bis keiner mehr wusste, wovon eigentlich die Rede gewesen war. Sie machte sich nicht nur auf seinem Schreibtisch breit, sondern auch schon in seiner Sprache. Das verwirrte ihn. Die Schwester kriegte so viele rote Flecken im Gesicht, dass der Papst versicherte, die Katze habe, wie andere Vatikantouristen, nur für einen kurzen Besuch hereingeschaut.

»Da kennen Sie diese Viecher aber schlecht, Eure Heiligkeit. Die liegt auf Ihrem Schreibtisch, als sei sie da zuhaus, und macht ein Martin Luther-Gesicht.«

»Bitte?«

»Der hat doch gesagt, dass er irgendwo liegt und nicht anders kann.«

»Steht«, sagte der Papst. »Luther steht, die Katz liegt. In einer halben Stunde ist sie weg.«

»Die bleibt«, sagte Schwester Beata finster.

»Die geht. Und wenn sie gelegentlich mal hereinschauen sollte … »

»Sie bekommt bestimmt Junge. Im Vatikan bekommt man aber keine Jungen. Wenn das erst einreißt …«

»Dann kriegt sie die Pille. Ich hab gehört, sowas gibt’s auch für Katzen.«

Solche Pillen, sagte Schwester Beata eisig, seien zutiefst gottlos. Und es gebe eine Enzyklika …

Schon gut, sagte der Heilige Vater, aber er könne schließlich keine kleinen Kinder umbringen, und ob er ihr, er meine die Katze, vielleicht einen Vortrag halten solle über Enthaltsamkeit. Da klappten ja auch seine Schafe die Ohren zu. Und dann entfuhr ihm die Bemerkung, er habe grundsätzlich etwas gegen Moralpredigten, was er schon immer mal gesagt haben wolle.

Ob der ungewohnten Kühnheit seiner Worte verzitterte Schwester Beata den Kaffee. Ein Heiliger Vater, der ungern Moral predigte, erschütterte ihr Papst- und Weltbild. Dies werde die Katze als einen Freibrief für sittenloses Verhalten betrachten, sagte sie, nachdem sie ihre Fassung wiedergefunden hatte. Sie stelle eine moralische Gefährdung dar. Und das im Zentrum der katholischen Christenheit, in dem moralische Gefährdungen und erst recht sittenloses Verhalten nichts zu suchen hätten. Außerdem mache die Katze Dreck. Und sie haare. Und wie die überhaupt hereingekommen sei.

Der Papst zog ein allwissendes Gesicht, aus dem die Schwester schloss, er wisse es wohl, wolle es ihr aber nicht sagen. Was sie erboste. Noch nie hatte er ihr etwas verheimlicht. Das hätte er auch gar nicht gekonnt. Schwester Beata sah, wie das Auge Gottes, alles. Wahrscheinlich aber noch mehr. Und nun das. Eine Katze im Arbeitszimmer des Papstes, in dem er auch zu frühstücken pflegte. Müsli nach Frau Dr. Budwig mit Quark, gut verrührtem Leinöl aus erster Kaltpressung, etwas Honig, angereichert mit Nüssen und kleingeschnittenem Obst je nach Jahreszeit. Schwester Beata war eine Kapazität, was gesunde Ernährung anging. Leinöl ist gut fürs Gehirn, der Omega 3-Fettsäuren wegen, und wenn das schon für ein normales Gehirn gilt, um wieviel mehr für ein päpstliches. Außerdem soll es Depressionen verscheuchen. Die hatte der Heilige Vater, wie schon erwähnt, in letzter Zeit häufiger.

Die Katze besaß die Unverschämtheit, sich zu putzen und den Hintern zu lecken. Und das am Tag der heiligen Zita.

Während die Schwester und der Heilige Vater sich in den Haaren lagen, er gutwettermachend, sie gewittermäßig donnernd und blitzend, ob die Katze nun berechtigt sei oder nicht, hier zu weilen, fraß die das Müsli mit allen darin enthaltenen ungesättigten Fettsäuren auf, nur die Johannisbeeren ließ sie dem Heiligen Vater übrig, verschmähte auch den grünen Tee und erklärte, sie sei durstig.

Der Papst bat bescheiden um etwas Milch, auch im Namen obenerwähnter heiliger Zita, Schutzpatronin von Dienstboten, Hausangestellten und, nun log er, päpstlichen Haushälterinnen, ein zur Nachahmung einladendes Muster an Demut, Liebenswürdigkeit und Katzenfreundlichkeit. Dass der Ehrentag der Heiligen auch der Geburtstag des Sultans Süleyman des Prächtigen war, verschwieg er, das hätte die Schwester nicht goutiert.

Die erklärte, es sei wahrscheinlich keine Milch mehr da.

»Wer nicht ernähren will die Katz, muss ernähren Maus und Ratz«, sagte die Katze, und der Papst sagte es der Schwester. Die warf Papst und Katze einen sowohl unliebenswürdigen als auch undemütigen Blick zu, brachte die Milch und knallte das Schüsselchen unter den kleinen Beistelltisch. Die flach angelegten Ohren und der bewegte Schwanz der Katze drückten eindeutig ihren Wunsch aus, die Milch oben auf dem Schreibtisch zu nehmen, den Korintherbrief als Unterlage. Was Schwester Beata bewog, die Tür so laut zuzuhauen, dass Katze und Papst zusammenfuhren und dieser das Milchschüsselchen schleunigst auf den Apostel stellte.

Der Heilige Vater sah der Katze beim Trinken zu, einem formvollendeten, gelassenen, eleganten Trinken, ganz anders als ordinäres Hundegeschlabber. Er selbst schlabberte gelegentlich auch, vielmehr, er schlürfte. Du bist, sagte er zu sich selber, ein schlurfender schlürfender Papst, an dem ich kein Wohlgefallen habe. Nimm dir ein Beispiel an dieser Katze. Sie ist, wenigstens was das Trinken angeht, ein Vorbild an Gesittung.

»Donnert die immer so?« fragte das Vorbild.

»Eine Katze in den Privatgemächern des Papstes ist für sie nun mal eine Überforderung. Außerdem ist sie hier der Chef. Ich bin nur ein hundsgewöhnlicher Papst.«

Genau so sehe er auch aus, sagte die Katze. Richtig jammerlappig.

Jammerlappig. Das musste man sich nun sagen lassen als Oberhaupt der Christenheit. Obwohl - ein Grinsepapst war er ja nicht, auch hielt er sich selber keineswegs für einen besonders geglückten Papst, ohne jedoch genau zu wissen, was ein geglückter Papst wäre.

Die Katze schleckte sich einen Milchtropfen vom Bart. »Ein bisschen was ist noch übrig. Wenn du magst …«

»Nein, danke. Ich trinke aus diesem Henkelbecher.« Er holte den Becher, den er mit in den Vatikan gebracht hatte, als er sein Amt antrat, und den er im Bücherschrank vor Schwester Beata versteckte, hinter dem Gottesstaat des heiligen Augustinus. Der Becher stammte aus seiner Kinderzeit und zeigte einen Mäuserich, der, eine große Blume in der Pfote, um die Tasse herumwandelte. »Das ist Frederik, meine Dichtermaus«, sagte der Papst zärtlich. »Und das ist meine - das ist eine Katze. Sie besucht mich gelegentlich. Aber nur kurz. Fürchte dich nicht!«

Frederik blinzelte der Katze zu, in der Gewissheit, sie könne ihm nicht an den Kragen, und rannte froh weiter, immer um die Tasse rum. Dies war der Sinn seines Mauselebens. Und wenn alles, sogar die Welt, stehenbleibt: Frederik rennt. Schwester Beata hätte eine würdigere und frömmere Tasse anstelle eines ordinären Henkelbechers bevorzugt, am liebsten eine mit dem Heiligen Geist auf dem Grund, aber das wäre dem Papst nun doch blasphemisch vorgekommen. Möglicherweise war es dieser Mäusedichter, diese Dichtermaus, die im Papst schon früh die Liebe zur Literatur geweckt hatte. Und das Wissen darum, dass Dichtermäuse, auch wenn sie nicht Frederik heißen, in finsteren Zeiten armen, frierenden, hungernden Nichtdichtermäusen Farbe, Licht und Wärme bringen können, indem sie ihnen davon singen und sagen. Das gilt allerdings eher für die früheren Dichtermäuse, die jetzigen sehen ihre Aufgabe darin, von ganz anderen Dingen zu dichten, zu sagen und zu singen. Frederik guckte bei jeder Literaturpreisverleihung in den Mond.

Der Heilige Vater fühlte sich am wohlsten und geborgensten, wenn er vom Schutzwall seiner Bücher umgeben war. Seine Liebe galt vor allem der schönen Literatur, in der er sich besser auskannte als in der theologischen. Er pflegte seiner Umgebung oft auf den Wecker zu gehen, weil er in jeder Situation ein Dichterwort parat hatte, was diese Umgebung dazu brachte, das Dichterwort stante pede nachzuschlagen, weniger aus Dichterwortinteresse, sondern um dem Heiligen Vater zu imponieren. Mit Google ging das ratzfatz, was aber den Nachteil hatte, die meisten sahen darin jedoch eher einen Vorteil, dass man, um zu wissen, was ein Dichter gedichtet hatte, sich gar nicht mehr der zeitraubenden Aufgabe des Lesens widmen musste. Doch der Heilige Vater liebte nun mal die Poesie, und wenn er in den Vatikanischen Gärten seinen Verdauungsspaziergang machte, vernahm der alte Obergärtner gelegentlich kopfschüttelnd, dass Wald und Wiesen träumten, oder dass schwer zu fassen sei der Gott, und einmal hatte er sogar gehört, es sei die Sonne Homers, die ihnen da lächle. Wo es doch des römisch-katholischen Herrgotts Sonne war und nicht die eines gewissen Herrn Homer, der im Vatikan nichts zu suchen hatte. Am meisten begrübelte er jedoch den heiter-unheimlichen Vers, den der Heilige Vater beim Promenieren im Eichenwäldchen mehrmals und offensichtlich mit großem Vergnügen vor sich hingesagt hatte: »Tief im Walde sitzt der Tod und schnitzt an einem Segelboot… »

Den kriegte er nicht aus dem Kopf. Davon später noch. Kirchliche Würdenträger hätten Zitate aus den Werken der Kirchenväter oder der Heiligen Schrift angemessener gefunden als rein weltliche, manchmal nicht ganz unbedenkliche, weil unkatholische oder sogar unchristliche Dichterworte, aber der Papst war der in kurialen Kreisen nicht sehr verbreiteten Meinung, ein Heiliger Vater nehme keinen Schaden an seiner Seele, wenn er über den Bücherrand geistlicher Werke hinausblicke.

Schwester Beata, sie brachte gerade ein frisches Müsli, war nicht nur absolut resistent gegenüber Dichterworten, für sie entbehrten diese jeglichen geistigen Nährwerts. Das Müsli war ohne Nüsse, die letzten hatten die Eichhörnchen in den Vatikanischen Gärten bekommen. Die Schwester hatte nämlich nicht nur eine Aversion gegenüber Katzen und Dichterworten, sondern auch eine Schwäche für Eichhörnchen, und die fraßen ihr aus der Hand. Sie hatte ihnen sogar beigebracht, die Pfoten zusammenzulegen wie zu einem Gebet, fromm zu gucken und dabei zu keckern, was, aus der Eichhörnchensprache übersetzt, soviel heißt wie: Jedes Tierlein hat sein Essen, jedes Blümlein trinkt von dir. Hast auch meiner nicht vergessen, liebe Schwester Beata, das dank ich dir. Erst dann gab’s eine Nuss. Eichhörnchen, wenigstens die vatikanischen, sind lernfähig. Nur Latein können sie nicht. Noch nicht. Sie warf der Katze einen wenig gutherzigen, ja, unfrommen Blick zu, dem Papst einen zutiefst vorwurfsvoll-gekränkten, wischte mit dem Schürzenzipfel über den heiligen Paulus, der ein paar Milchtropfen abgekriegt hatte, und entschwand.

So kam der Heilige Vater auf die unheilige Katz.

In den folgenden Wochen …

Die Katze war so rücksichtsvoll, nicht ununterbrochen um ihn herum zu streichen. Sie machte sich rar. Vielleicht, um ihm nicht auf die Nerven zu fallen, oder weil er ihr manchmal auf die Nerven ging. Er war ja nur ein einfach gestrickter Papst und kein erfahrener Katzenmensch, der wusste, wie mit einem so hochstehenden Geschöpf umzugehen ist. Einmal war er ihr auf den Schwanz getreten, ein andermal hatte er die Tür seines Arbeitszimmers zugemacht, nicht ahnend, dass in sämtlichen von Katzen bewohnten Räumen, egal ob Bruchbude, Gartenlaube, Sozialwohnung, Einfamilienhaus, Villa oder Apostolischer Palast, die Türen stets einen Spalt offen zu lassen sind, und hatte ihr zugemutet, vor verschlossener Tür Einlass zu ermaunzen. Er hatte schon lieblichere Töne gehört. Da er lernfähig war, entschuldigte er sich gebührend. Mag auch sein, ihr oft tagelanges Ver-schwinden war einfach ein Zeichen ihrer Unabhängigkeit, die wesentlich größer schien als die des Heiligen Vaters. Sie sagte nie, wo und womit sie ihre Zeit verbrachte, wenn sie ihn nicht der Ehre ihrer Anwesenheit würdigte. Vielleicht hat sie noch irgendwo einen anderen Heiligen Vater, dachte der Heilige Vater, aber er meinte es nicht ernst, denn er war ja der einzige. Die Zeit sich an- und vergiftender Gegenpäpste war vorbei, die Welt hatte an einem Papst genug. Und er fand, auch die Katze könne an einem einzigen, nämlich ihm, genug haben. Vergleichsmöglichkeiten scheuend, wollte er keinen Nebenbuhler. Er atmete auf, wenn sie weg war, und wenn sie wieder da war, atmete er erst recht auf. Und er dachte an seine gescheite Großmutter, die wusste, wie man mit einer Katze umzugehen hat: Verbeug dich tief, geh auf sie zu und sag zu ihr: O Katze du!

So tat er. »Ich freue mich, dich zu sehen, o Katze du«, sagte er dann noch etwas förmlich, aber die Förmlichkeit wich allmählich einer aufrichtigen Freude.

»Ich freu mich auch immer über mich«, erwiderte die Katze.

Nie wäre dem Heiligen Vater in den Sinn gekommen, so etwas von sich zu sagen. Seine Freude hielt sich in Grenzen, wenn sein Spiegelgesicht ihn anblickte.

»Sag mal - wenn ich fragen darf - redet du auch mit anderen?«

»Tu ich nicht.«

»Aber warum mit mir?«

»Weil du’s nötig hast.« Mehr war aus ihr nicht herauszuholen.

Er setzte durch, aber nur, weil er Schwester Beata mit Exkommunikation drohte, sofern sie seinen Wunsch nicht erfülle, dass sie ein Körbchen auftrieb und sogar ein altes Handtuch hineinlegte, jedoch, um ihre Missbilligung zu zeigen, eins mit Löchern, ebenso ein Katzenklo, ein Kistchen mit klumpenbildender, ökologisch wertvoller, umweltfreundlich kompostierbarer Streu, das in einem Kabuff hinter der Speisekammer deponiert wurde. Sein ungewohnt energischer Ton hatte sie so erschüttert, dass sie in ihrem Nachtgebet vom Herrgott verlangte, er möge gefälligst ein schärferes Auge als bisher auf seinen irdischen Stellvertreter haben, mit dem stimme was nicht. Und ein nichtstimmender Papst sei doch weiß Gott keine gute Reklame für ihn. Schwester Beata war nämlich eine leidenschaftliche Werbefernsehguckerin. Sie malte sich gern aus, wie ein anständiger Werbefilm für ihren Heiligen Vater aussehen müsse: Man sähe ihn, in den Vatikanischen Gärten an einer Rose riechend, mit einem auf dem Zeigefinger sitzenden Marienkäferchen plaudernd, ein Kindlein küssend, sodann im Gebet versunken zum Himmel blickend, wo der liebe Gott wohnt, oder, noch besser, beim Tischgebet; auf dem Tisch stünde ihr berühmter gedeckter ‚Apfelkuchen sehr fein‘, für den sie, mit gefalteten Händen still und bescheiden im Hintergrund stehend, heiligväterliche Lobesworte einheimste.

Die Katze ließ das Kistchen links liegen. Es gab in diesen alten heiligen Mauern genug verborgene Öffnungen, Löcher, Risse, Spalten, durch die ein geschmeidiger Katzenkörper hinaus und herein konnte. Das Katzenklo übernahm der päpstliche Kammerdiener, bei dem sich schon vor zwei Jahren ein schlitzohriger Kartäuserkater einquartiert hatte. Vittorio war dafür zuständig, dass der arg zur Schlamperei neigende Papst stets ordentlich und situationsgerecht gekleidet herumschlurfte.

Übrigens war sie, was der Heilige Vater bei ihrer ersten, eher unzärtlichen Begegnung übersehen hatte, eine veritable Schönheit, an Anmut und Eleganz all den Aphroditen und Venussen, die sich in den Vatikanischen Museen herumtreiben, überlegen. Und wen der Pfeil des Schönen je getroffen, sagt der Dichter, ewig währt für ihn der Schmerz der Liebe