Das Glück ist eine Katze - Eva Berberich - E-Book

Das Glück ist eine Katze E-Book

Eva Berberich

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Beschreibung

Erlebnisse und Gespräche mit einer Katze Heitere und hintersinnige Geschichten aus dem Leben einer Katze – illustriert von der Autorin. »Eine anständige Katze ignoriert grundsätzlich alles, was auch nur entfernt nach einem Befehl klingt.« Die Erzählerin weiß, wovon sie spricht, ist doch die Katze, die ihr da in einer Schachtel vor die Haustür gelegt wurde, nicht ihre erste. Ein rotgetigertes, grünäugiges Etwas blickt ihr erwartungsvoll entgegen und übernimmt sofort den Befehl über das Haus, seine Bewohner und den Rest der Welt. Und »Schlumpel« ist glücklich, solange Konrad nicht in der Nähe ist. Doch ausgerechnet dieser Mann, der mit Katzen so gar nichts am Hut hat, taucht immer häufiger auf. Es bedarf vieler Erziehungsmaßnahmen und »tiefgründelnder Gespräche«, bis der Saulus zum Paulus bekehrt ist.

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Seitenzahl: 217

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Eva Berberich

Das Glück ist eine Katze

Mit Illustrationen der Autorin

Für Ulrike

Vom Trauern

Wenn jemand nicht mehr da ist, den man liebhatte, fällt man in ein tiefes, dunkles Loch. Der Liebgehabte kommt nie mehr wieder. Er kann ein Mensch gewesen sein, ein Hund, ein Goldhamster, ein Baum, den der Sturm umgeworfen hat. Oder ein Kater. Ein schwarzer Kater mit weißer Schwanzspitze. Ein Saukater, Angeber, Lügenbold, Faulpelz, Macho. Mephistopheles. Mein lieber Stoffele.

Hab dich nicht so, sagen die Freunde. Kater gibt’s genug, Katzen auch. Ich kenn da jemand, der hat eine, die hat gerade – such dir eins aus, aber bloß nicht wieder ein Schwarzes. Jetzt bist du ein freier Mensch, sagen sie, bist nicht angebunden an so einen Katzenschwanz, kannst ausgehen, herumreisen, den Duft der großen weiten Welt atmen. Mußt dich nicht immer nach jemand umgucken, der das Viech versorgt. Kannst endlich morgens ausschlafen, sagen sie, ohne daß dich einer wachbrüllt. Was du brauchst, ist Schlaf, viel Schlaf, siehst eh schon aus wie ’s Kätzle am Bauch. Und keiner pinkelt an anderer Leute Haustüren, sagen sie, singt nächtliche Lieder, raubt den Nachbarn den Schlaf, scheißt in ihr Salatbeet. Ein Kater, sagen sie, ist ein Kater, und sonst gar nichts. Um einen Kater so zu trauern – gehört sich das? Gestern sind bei einem Busunglück sechzehn Menschen umgekommen. Trauerst du um die? Was du jetzt Geld sparst! sagen sie. Der Kerl hat dich ja arm gefressen.

Und: Jetzt kannst du das Haus entflohen. Wird auch Zeit!

Und: Lach doch mal! Man rennt nicht mit Trauermiene durch die Gegend. Trauer ist bäh!

Und: Nun übertreib’s mal nicht!

Und: Reiß dich zusammen!

Und: Denk nicht dran!

Und: Hab dich nicht so!

Und: Lach doch mal wieder!

Und: Nimm’s nicht so schwer!

Und: –

Dann kommt mir einer zu Hilfe. In seinen Tagebuchaufzeichnungen lese ich:

Incipit, lamentatio: Muzi. Unsere Muzi ist gestorben. Samstag, fünf Minuten vor Mitternacht... das sehen zu müssen... so sah ich sie leiden, sah es kommen... ach liebe Muzi, daß ich dir nicht helfen konnte... mir liefen die Tränen... sahst Du es auch? Hast Du es je gesehen, das Elend Deiner Kreaturen? Als Schöpfer läßt Du Dich glauben und besingen... Wär ich der Schöpfer, ich rechnete es mir zur Schmach... Hast Du ein Herz, hast Du Augen, Ohren? Erbarmender – daß ich nicht lache! Ach mein Herr und mein Gott! Im Leiden und Sterben meiner Katze begegne ich Dir. Es ist etwas in mir, das sich weigert, Dich aus der Haftung für das Weh der Kreatur zu entlassen... Nein, nein, Herr, ich glaube nicht, daß Du mich mit der banalen Auskunft abwimmelst, das sei eben die Ordnung der Natur... Schau her! Siehst Du das? Und es sind seit Anbeginn und es werden bis zum Ende Millionen sein... Sie stirbt.

Der da mit Gott hadert, weil dieser seine geliebte Katze sterben ließ, ist der Theologe Fridolin Stier.

Wenn so jemand so trauert, dann muß ich mich auch nicht schämen. Ohne eine anständige tiefe Trauer heilt kein Schmerz.

Ich will kein katzenfreier Mensch sein. Ich will an einem Katzenschwanz hängen. Will morgens wachgebrüllt werden, ich brauch nicht so viel Schlaf. Ich will mein Geld für Katzendosen rauswerfen. Warum soll ich in der Welt herumreisen, wenn keiner da ist, der daheim auf mich wartet? Vor der Tür sitzt, wenn ich vom Einkaufen komme? Mit dreckigen Pfoten auf die frischgebügelte Wäsche springt, sich dort niederläßt und mich anschnurrt?

Ich will’s schwernehmen. Will nicht lachen. Ich will heulen, ohne ein schlechtes Gewissen zu kriegen.

So habe ich Stoffele, meinen schwarzen Kater mit der weißen Schwanzspitze, betrauert, wie es sich gehört. Auf dem kleinen Grab unter der Birke wächst ein Busch Katzenminze.

Schmuddelkatz

An einem Märzmorgen lag ein Brief im Kasten. Vom Pfarramt dieses kleinen Ortes in der Umgebung, wo der nette Polizist jedesmal, wenn er mein Auto irgendwo stehen sieht, gerannt kommt und mir einen Strafzettel unter den Scheibenwischer klemmt, weil, wie er entschuldigend sagt, die Gemeinde knapp bei Kasse sei.

Sehr geehrte Unbekannte, las ich, ich habe um drei Ecken herum gehört, daß der Kater, der vorzeiten einige Monate mein Pfarrhaus unsicher machte und dann nach Oberweschnegg auswanderte, sich bei Ihnen häuslich niedergelassen hat. Ein wilder schwarzer Teufel, kann ich nur sagen, und ein großer nächtlicher Sänger, und ausgerechnet unter meinem Fenster. Es war die Hölle. Er hat allen Katzen im weiteren Umkreis des Pfarrhauses den Kopf verdreht, was Folgen hatte. Nun haben auch die Folgen schon Folgen gehabt. Frau Eberle, meine liebenswürdige Nachbarin, die auch den Blumenschmuck für die Heilige Jungfrau in der Seitenkapelle besorgt, hat sich der zahlreichen Hinterlassenschaft dieses Casanovas angenommen. Drei Kätzchen hat sie behalten, ein viertes übersteige, wie sie sagt, ihre Kräfte. Ich reiche dieses, wie ich zugeben muß, durchaus erfreulich anzusehende, aber ungebärdige Geschöpf weiter. Es ist, nach Auskunft besagter Nachbarin, weiblichen Geschlechts. Ich hatte vor, um Ihrer Bereitschaft, es zu adoptieren, nachzuhelfen, dafür Sorge zu tragen, daß durch einen Eingriff die Gefahr weiterer Nachkommenschaften beseitigt würde, aber das Erzbischöfliche Ordinariat weigerte sich, die dazu nötige, wie es findet beträchtliche Summe zur Verfügung zu stellen, weil es die Meinung des Heiligen Vaters teilt, die wiederum ich nicht teile, es verstoße gegen die göttliche Ordnung, der Vermehrung Seiner Geschöpfe Einhalt zu gebieten. Der Heilige Vater hat offenbar keinen unheiligen Kater, sonst dächte er womöglich anders. Nun also lege ich Ihnen dieses Geschöpf zu Füßen – und vor Ihre, wie ich zu meinem Bedauern hören mußte, konfessionslose Haustür – in der Hoffnung, Sie nehmen sich seiner, wie des Großvaters, der, wie man mir zutrug, inzwischen das Zeitliche gesegnet hat, trotzdem in christlicher Nächstenliebe an. Ich werde Sie in mein Gebet einschließen. Mit freundlichem Gruß, Albin Isele, Pfarrer.

Ich öffnete vorsichtig die Tür. Was da in der Schachtel saß – »Dickmann’s« stand darauf und »Dreißig Stück. Überzug Bitterschokolade«–, war, da gab ich dem geistlichen Herrn recht, durchaus erfreulich anzusehen und hatte große, runde, sehr wache Augen. Grüne Augen, wie Glühlämpchen.

»Miau!« sagte ich aufgeregt. Was Besseres fiel mir nicht ein. Eine Pfote hing über den Schachtelrand. Die Pfote steckte in einem weißen Handschuh. Nein, nicht ganz weiß, leicht angetrübt. Der Rest war rot. Löwenrot mit orangefarbenen Tigerstreifen. An manchen Stellen ein bißchen verfilzt oder wie gegen den Strich gekämmt. Und diese Augen! Wie grünten sie so grün!

»Kikeriki!« sagte ein weniger liebliches als kräftiges, etwas rauhes Stimmchen. Es paßte sehr gut zu dem verstrubbelten roten Fell und dem alles andere als sauberen Handschuh.

»Wie bitte?«

»Kikeriki! Find ich lustig.«

Ich fand es auch lustig. »Wer bist du denn?«

»Ich bin ich. Siehst du doch.«

Grasgrüne Augen. Oder gletschergrüne? Jadegrüne? Maiengrüne? Nein, wir hatten ja erst März. Vielleicht wassergrüne Nixenaugen?

Sie legte die andere Pfote neben die erste, was unpassend brav und ordentlich aussah.

»Wer bist du denn?«

»Ich bin auch ich«, sagte ich.

Sie zwickte die Augen zu, deren unbeschreibliches Grün ich nicht benennen konnte, und schleckte sich die Pfote. »Du schwindelst.«

»Schwindeln? Ich? Wieso?«

»Nur ich bin ich.«

Ein helles Köpfchen, dachte ich. »Wie bist du denn hergekommen?«

»Er hat die Schachtel geholt, wo die Küsse drin waren, die er abends in seinem Körbchen ißt–«

»Der Pfarrer– Küsse?«

»So runde braune Dinger.«

»Ach so! Dickmänner. Mohrenküsse. Oder Negerköpfe. Oder umgekehrt. Woher weißt du das?«

»Von der Frau, die mir immer die Milch gegeben hat.« Sie fuhr sich mit der abgeschleckten Pfote über das rechte Ohr. »Die wohnt im Haus neben dem Pfarrer.«

»Woher weiß die Frau das?«

»Sie hat auch manchmal so einen Mohrenkuß–«

»In seinem Körbchen?«

»Das ist weicher als ihres, hat sie gesagt, und viel größer. Er hat mich in die Schachtel – und dann in sein Auto – und die Milchfrau hat gewinkt – und er hat gehupt – und ich bin auf seinen Kopf – zum Gucken – und er hat gebrüllt – verdammte Hex!– und dann war der Mülleimer hin – und dann hat er mich hier vor die Tür – und ist schnell wieder fort – und ich bin immer noch da.«

»Ich seh’s.«

Jetzt kam das linke Ohr dran. »Er hat meinem Opa mal einen Schlappen nachgeschmissen.«

»Woher weißt du das?«

»Vom Schlappen. Der erzählt’s überall rum.«

Die Sonne schien durch ihre Ohren und brachte sie zum Leuchten. Sehr hübsch! Die Ohren zierten kleine dunkle Punkte. Milben.

»Was machen wir jetzt mit dir?«

Sie legte den Kopf auf den Rand der Schachtel und sah mich mit erwartungsvollen Augen an. Ein klares, durchsichtiges, wie ein Schmetterlingsflügel zart geädertes Grün. »Schmeißt du auch mit Schlappen?«

»Ich hab keine. Meinen letzten Schlappen hat dein lieber Großvater zerfleischt. Komm rein!«

Eine anständige Katze ignoriert grundsätzlich alles, was auch nur entfernt nach einem Befehl klingt. Sie betrachtete interessiert die Efeuranken, die am Haus hinaufkletterten, bis zum Vogelhäuschen in drei Metern Höhe.

»Ich meine, du mußt nicht. Nur, wenn du willst.«

Sie gähnte, tatzelte nach einer Fliege, setzte sich auf, buckelte, kratzte sich mit der Hinterpfote am Ohr, schaute über sich, wie wenn sie den Himmel um Rat fragen würde, was sie natürlich nicht tat, keine Katze fragt in irgendeiner Sache irgendeine Instanz um Rat, weil jede Katze ihre eigene Instanz ist, stieg in Zeitlupe aus der Schachtel und betrat mit freundlich aufgerichtetem Schwanz, dessen Spitze leicht umgekippt war, mein Haus und mein Leben.

Da stand sie nun in der Küche, die junge Katzendame, eher klein als groß, eher zierlich als kräftig. Der Kopf war schön rund, rosa das Näschen mit einem winzigen dunklen Fleck, und das Gesicht – so ein Katzengesicht hatte ich noch nie gesehen. Die Mundwinkel – oder sagt man Schnauzwinkel? Schnäuzchenwinkel? – zeigten, wenigstens schien es mir so, leicht nach oben, als mache sie sich über mich lustig. Sie hatte etwas eindeutig – ja, was denn? Etwas Keckes, fiel mir ein. Keck – das sagt heute kein Mensch mehr, der heutige Mensch sagt cool, und das sagt gar nichts. Aber das kurze Wörtchen »keck« riecht nach Neugierde, Aufgewecktheit und einer Portion Frechheit. Eine kecke kleine Katze. Nein, eine Dame war sie nicht.

»Vorne geht’s ja, aber deine hinteren Socken sind verrutscht. Zieh die mal hoch!«

»Nutzt nix. Die sind immer verrutscht.« Sie beroch die Polster der Eckbank.

»Du könntest sie mal waschen.«

»Hab mich ein bißchen im Dreck rumgerollt. Hast du was gegen Rumrollen? Hast du was gegen Dreck?« Die Polster wurden durch Betrampeln auf ihre Weichheit hin überprüft und offenbar für passabel befunden.

»Und wenn ich was dagegen hätt«, sagte ich, »würdest du’s dann lassen?«

»Klar«, sagte sie und guckte nein. »Ich bin nämlich eine Schmuddelkatz.«

»Eine Schmuddelkatz?«

»Hat sie immer gerufen.«

»Die Milchfrau?«

»Die nicht. Die Kissenfrau.«

»Was für eine Kissenfrau?«

»Die aus dem Fenster geschaut hat. Und die Vorderpfoten hat sie immer auf ein Kissen draufgelegt. Spiel bloß nicht mit der Schmuddelkatz, hat sie zu ihrem Kater gesagt, da holst du dir was.« Sie legte den Kopf schräg. »Spielst du mit der Schmuddelkatz?«

Schräggelegte Katzenköpfe haben etwas Unwiderstehliches. Das wissen die Katzenkopfbesitzer natürlich ganz genau.

»Mal gucken«, sagte ich.

»Magst du Faxen?«

»Wieso?«

»Er hat gesagt, ich soll bloß keine machen.«

»Wer? Dieser Kater?«

»Der Pfarrer, der die Mohren geküßt hat.«

»Kommt auf die Faxen an«, sagte ich. »Es gibt solche und solche.«

»Am liebsten mag ich Forellenhäppchen in Gelee, Lachsstückchen in feiner Soße, köstliches Wildragout, knusperzarte Brekkies ohne Konser – ohne das farbige Zeug drin.«

»So was hast du gekriegt? Bei deiner Milchfrau?«

»Ich nicht. Der Kater von der Kissenfrau. Ich sag’s bloß mal, damit du’s weißt. Kaninchenhäppchen mag ich aber nicht. Paß bloß auf, daß du keine Kaninchenhäppchen kriegst, hat er gesagt, sonst mußt du spucken.« Sie sprang auf den Tisch und schleckte sich schon mal die Schnauze.

»Bei mir«, sagte ich, »gibt’s einfache, aber gute Hausmannskost. Für mich oben, für dich unten.«

»Hast du Maus?« Sie sprang herunter und untersuchte nun den Einkaufskorb in der Ecke, der aber nur leere Pfandflaschen enthielt.

»Für Mäuse bin ich nicht zuständig. Draußen warten genug auf dich. Aber auch ohne Maus würdest du nicht verhungern. Ist die Katze gesund, freut sich der Mensch.«

Sie setzte sich vor mich hin und sah mich eindringlich an. »Bist du gesund?«

»Ein bißchen bröckle ich schon ab.«

»Wo? Zeig mal!«

»Man sieht’s noch nicht so richtig, aber ich bröckle.«

»Bröckelst du schnell?« fragte sie, etwas besorgt, wie mir schien. »Sonst könnt ich ja – riecht fein hier – und wenn du nicht mit Schlappen schmeißt – und furchtbar gern mit Schmuddelkatzen spielst – aber wenn du bröckelst–«

»Eine Weile halt ich bestimmt noch.«

Sie zwinkerte ein paarmal mit den Augen. »Ist der Mensch gesund, freut sich die Katz.«

Auf die Schnauze gefallen war sie jedenfalls nicht.

»Milch hab ich nicht im Haus. Wie wär’s mit ein bißchen Sahne?«

Das war ihr noch lieber. Ich verdünnte etwas Sahne mit Wasser, und sie schlabberte das Schüsselchen leer. Zweimal. Ein paar Hackfleischkügelchen – bestes Rinderhack aus Mutterkuhhaltung – fanden auch noch in ihr Platz. Dann drückte sie zuerst das Köpfchen an mein Bein, rieb die Flanke daran, schlang den Schwanz leicht um meine Knie und schaute zu mir hinauf. Ich langte hinunter, streichelte sie, und sie stupste mit dem Kopf gegen meine Hand.

»Ich glaub, ich bleib!« sagte sie, sauste durch die Küche ins Wohnzimmer und fuhr unter den Teppich wie in einen Tunnel, nur der Kopf guckte heraus.

»Das ist«, kam es aus dem Teppich, mein allerschönster Lebenstag. Und mein allerlebensschönster Tag.«

Auch ich fand, dies sei ein zumindest sehr schöner Lebenstag. Ich holte Stoffeles verwaistes Körbchen vom Speicher und hob sie hinein.

»Du liegst im seligen Körbchen deines Großvaters. Nein, im Großvater deines seligen Körbchens–« Ich war ein bißchen durcheinander. Und selig war ich auch. Ich holte ein altes, nicht mehr getragenes Schlabberkleid, schön weich, schön samtblau, und polsterte das Körbchen damit aus. Sie fläzte sich darin herum, fand es bequem und zog auch gleich einen Faden aus dem Stoff, zog immer weiter und begann, unter lautem Schnurren, das Kleid aufzuziehen.

Was für ein lang entbehrtes, wundervolles, wohltuendes Geräusch. Endlich wieder jemand im Haus, der schnurrt! Die Holzbalken ächzten und knackten vor Behagen, der Schaukelstuhl schaukelte in wilder Vorfreude, die Kissen auf dem Sofa plusterten sich auf. Die Welt war wieder in Ordnung. Die Welt schnurrte mit.

Unverhofftes Wiedersehen

Probleme löse ich am liebsten im Schaukelstuhl. Ich saß da, die Katz auf dem Schoß, und überließ mich dem ruhigen Rhythmus: vor – und zurück – und vor – und wieder zurück –

»Wir brauchen dringend einen Namen. Wer einen Namen hat, der kann nämlich nicht mehr geschlachtet werden.«

Und schon war mein Schoß leer, sie saß mit gesträubtem Fell auf dem Fensterbrett.

»Keine Angst«, beruhigte ich sie, »du bist ja kein Schaf, keine Ziege und kein Huhn. Das mit dem Schlachten hab ich bei Alice Zuckmayer gelesen. Sie hatte mal eine Farm in den grünen Bergen in Amerika und viele Tiere, die wurden gezüchtet und sollten verkauft werden und – na ja–, aber die Tiere von Frau Zuckmayer waren schlau, sie guckten immer sehr lieb und schmusten sich ein, dann kriegten sie einen Namen, und wer einen Namen hatte, der war raus aus dem Schneider. So kamen die Zuckmayers nie auf einen grünen Zweig in ihren grünen Bergen und hängten schließlich die Züchterei an den Nagel. Kannst wieder herkommen.«

Und schon war sie auf meinem Schoß. »Im lieb Gucken bin ich auch gut.« Sie guckte lieb. Sehr lieb. Sehr, sehr lieb. Ich schmolz dahin.

»Wie haben sie denn zu dir gesagt, außer Schmuddelkatz?«

»Kleine Hex – der Pfarrer. Oder Miez. Oder Muzz. Oder Mauz – die Milchfrau. Mach mal schneller mit Schaukeln.«

Ich schaukelte schneller und betrachtete sie. Das orangerot getigerte Fell, die grünen Augen, den runden Kopf, die weißen verrutschten Socken an den Hinterpfoten. Und wurde das Gefühl nicht los, als hätte ich sie schon mal gesehen, vor langer, sehr langer Zeit, was natürlich unmöglich war, und ich glaube nicht an déjà-vu und ähnlich esoterisches Zeug. »Einen Namen«, sagte ich, »muß man sich gut überlegen.«

»Ich mag keinen überlegten Namen.« Ihre Schwanzspitze bewegte sich hin und her.

»Ich wollte sagen, jeder hat einen Namen, der zu ihm gehört, und der ist nicht immer der Name, den man ihm gegeben hat. Den richtigen Namen finden ist Glückssache. Auf einmal ist er da, ist vom Himmel gefallen, ein Vogel hat ihn gepfiffen, ein Wind ihn hergeweht–«

»Ich will aber selber heißen«, sagte sie selbstbewußt. »Einen eigenen Namen will ich. Ich will nicht heißen wie so ein Mensch.«

Das »wie so ein Mensch« klang nicht gerade hochachtungsvoll. Es war der gleiche Ton, den ich von meinem seligen Stoffele her gewohnt war, und der Gedanke drängt sich auf, Bewunderung oder Ehrfurcht oder Respekt seien Fremdwörter für eine Katze, wenn es um ihr Verhältnis zu uns Menschen geht. Der Gedanke ist richtig. Die Bewunderung ist ganz auf unserer Seite.

»Menschen«, sagte sie, »ziehen uns immer ihre Namen an. Aber die passen nicht. Hängen an einem rum. Muffeln nach Mensch. Die sollen sie gefälligst selber behalten.«

»Keine Angst, du kriegst einen eigenen, nicht nach Mensch muffelnden Namen.«

»Wenn du noch wilder schaukelst, fällt er dir bestimmt ein«, sagte sie hoffnungsvoll. »Einen Namen will ich, so wild wie ich jetzt guck.« Sie guckte sehr wild.

Ich schaukelte gehorsam wilder – und noch wilder – dann stieß ich mit der Rückenlehne des Schaukelstuhls an die Wand hinter mir, es schepperte, und als ich mich umdrehte, lag das Bild auf dem Boden und war aus dem Rahmen gefallen: eine Fotografie, uralt, von anno dazumal, aus dem Foto grinsten meine Geschwister und ich, ziemlich dümmlich grinsten wir, sechs, vier, zwei Jahre alt, alle mit eindrucksvollen Zahnlücken, und jeder hatte etwas Geliebtes im Arm, einen Bär mein Bruder, einen Has meine Schwester, und ich, ich drückte Schlumpel an mich.

Schlumpel: aus alten Stoffetzen zusammengenäht, weich und warm, verschmuddelte, ehemals weiße, verrutschte Socken, rotes Haar, im runden Gesichtchen funkelten gläserne grüne Knopfaugen. Pfiffig war sie, und ich hatte oft das Gefühl, sie mache sich über jemand oder etwas lustig, ihre Mundwinkel zeigten immer nach oben. Neugierig war sie, sagte gern freche, nein, rotzfreche Sachen, genau die, die zu sagen ich mich nicht traute, und sie war geradezu vorbildlich schlampig. Nichts haßte sie mehr als ein aufgeräumtes Kinderzimmer, am liebsten schlief sie im Katzenkörbchen und bekam Flöhe, was unsere Katze keineswegs störte, die hatte auch welche. Ich liebte Schlumpel über alles, viel mehr als den lieben Gott, was ich Schwester Gertrud, der Religionslehrerin, anvertraute, die sagte, das sei eine sehr schwere Sünde und gegen das erste Gebot, das müsse ich unbedingt beichten, und Schlumpel müsse aus dem Haus. Aber ich hab es nicht gebeichtet, hab die Sünde behalten und beschlossen, mit Schlumpel aus der Religion und dem lieben Gott auszuziehen. Doch eines Tages war sie weg, spurlos verschwunden, vielleicht hatte sie der Teufel geholt, zur Strafe, weil ich sie ja mehr liebte als den lieben Gott. Sie kam nie mehr wieder. Ich war allein. Schlumpelseelenallein. Wurde krank, wollte sterben, konnte kein »sch« mehr aussprechen, starb aber nicht und lebe heute noch. Auch habe ich inzwischen keine Schwierigkeiten mehr mit Wörtern mit einem »sch« vorne, hinten oder in der Mitte.

»Heureka!« sagte ich, und noch mal: »Heureka!«

Sie schlenkerte die Pfote, wie Katzen es tun, wenn sie unbegeistert von irgendwas sind.

»Das ist kein Name«, beruhigte ich sie, »›heureka‹ bedeutet ›ich hab’s!‹ Der es gerufen hat, heißt Archimedes und war ein alter schlauer Grieche.«

Auch dieser Name wurde kräftig pfotenbeschlenkert.

»Keine Angst, den kriegst du nicht. Er hat das spezifische Gewicht gemeint, von Gold, glaub ich. Aber ich hab deinen Namen gefunden: Schlumpel.«

»Rumpel, Pumpel, Humpel«, sagte sie und klappte bei jedem Wort die Augen auf und zu. »Lumpel, Bumpel, Wumpel, Mumpel, Zumpel–« Sie kratzte sich mit Inbrunst.

»Nein«, sagte ich, »Schlumpel.«

»Schlumpel«, wiederholte sie und schnüffelte. »Riecht wild.«

»Das ist dein wahrer, dein richtiger, dein hergeschaukelter Name, gerade eben ist was runtergefallen, und dann ist er mir eingefallen.«

Schlumpel zog sich den Namen über die Ohren, sagte »paßt«, und »nix mit Schlachten!« Dann sprang sie von meinem Schoß, trottete zu ihrem Körbchen, bestieg es und rollte sich darin zurecht. »Schlumpel geht ein bißchen unter.«

»Wie bitte?«

»Wie die Sonne. Das macht die jeden Abend. Und morgen geh ich wieder auf.« Dann war sie weg.

»Schlumpel«, sagte ich glücklich, »du bist wieder da. Nach so vielen Jahren! Und du liegst wieder im Katzenkörbchen.« Ich kratzte mich am Bein. »Flöhe hast du auch. Bist halt eine Schmuddelkatz.«

Geschäfte

Ich füllte das grüne Plastikwännchen mit Katzenstreu – selbstverständlich biologisch abbaubar, mit praktischer Klumpenbildung – und stellte es ins Kabäuschen hinter der Küche neben die Waschmaschine.

»Was ist das?« fragte Schlumpel.

»Das ist dein Klo. Wenn du mal mußt.«

»Hab schon eins. Ein riesengroßes.«

»So? Wo denn?«

»Der Garten. Macht richtig Spaß. Am liebsten tät ich immer gleichzeitig überall müssen.«

»Der Garten«, sagte ich, »ist im Prinzip kein Klo, aber wenn du sowieso draußen bist, kannst du dir immer ein stilles Eckchen suchen. Blumen- und Salatbeete sind übrigens keine stillen Eckchen. Doch du bist nicht immer im Garten oder auf der Wiese. Und wenn’s kalt ist, frierst du dir draußen den Schwanz ab.«

»Mal gucken!« Schlumpel betrat das neue Klo, beschnüffelte es ausgiebig und weihte es ein. Drehte sich um, betrachtete entzückt den feuchten Fleck und scharrte Streu darüber. Sehr gründlich scharrte sie. Geriet in einen wahren Scharr-Rausch. Die Streu bildete, wie versprochen, kleine dunkle Klümpchen.

Ich fegte die Klümpchen in allen vier Ecken der Küche zusammen. »Kannst du nicht ein bißchen dezenter scharren?«

»Was ist ›dezent‹?«

»Nicht so wild.«

»Ich bin keine dezente Katze«, sagte Schlumpel mit fröhlichem Nachdruck, »ich bin eine Schmuddelkatz. Scharren macht Spaß. Wild scharren macht noch mehr Spaß. Lustig, wie das Zeug hier rumfliegt.« Ihr Schwanzende kringelte sich fröhlich.

Ich fand es weniger lustig.

»Hast du auch ein Kistchen?« fragte sie.

»Ich geh nicht aufs Kistchen.«

»Gehst du in den Garten?«

»Ich hab ein anderes Klo. Ein Menschenklo.«

Schlumpel begehrte sofort, dieses andere Menschenklo zu besichtigen.

Ich zeigte es ihr. »Also da setz ich mich drauf, und hinterher drück ich auf diese Taste, dann kommt ein freundlicher Wasserfall und spült alles weg.«

»Mach mal!« befahl Schlumpel, aber ich machte nur den Wasserfall, ließ es wallen und brausen und rauschen.

Schlumpel legte den Rückwärtsgang ein. »Zu laut!« befand sie. »Und zu naß. Ein Kistchen ist besser. Und Scharren. Warum scharrst du nicht?«

»Menschen sind keine Scharrer. Wir spülen unsere Geschäfte mit Wasser hinunter. Dann sind sie weg.«

Schlumpel betrachtete mich kritisch und mitleidig zugleich. »Wahrscheinlich liegt’s an euren mickrigen Vorderpfoten«, vermutete sie, »daß ihr nicht richtig scharren könnt und einen Wasserfall braucht.«

Ich betrachtete meine mickrigen Pfoten. »So wird’s wohl sein.«

Schlumpel sprang auf den Kloschüsselrand und schaute dem Wasser nach. »Wo sind die Geschäfte, wenn der Wasserfall sie mitgenommen hat?«

»Willst du ein bißchen Leberwurst?«

Schlumpel wollte keine Leberwurst, sondern eine Auskunft. »Wo sind die Geschäfte dann?«

»Sie fließen durch ein Rohr in eine Grube. Die ist im Garten.«

»Was machen sie dort?«

»Ich glaub, ich hör das Telefon.«

»Ich hör nix. Was machen die Geschäfte dort?«

»Sie muffeln vor sich hin.«

»Und dann?«

»Kommt ein großer Wagen und pumpt das Zeug in ein großes Faß.«

»Und dann?«

»Kommt es in eine Kläranlage.«

»Und dann?«

»Wird das Dicke vom Dünnen getrennt.«

»Und dann?«

»Ich mach dir eine Dose auf.«

Schlumpel ließ sich nicht ablenken. Für sie war die Sache hochinteressant.

Aber da ich nicht genau wußte, wie’s weitergeht mit diesen unseren Geschäften, und weil ich das Thema etwas anrüchig fand, schürzte ich dringende Bügelarbeiten vor.

»Nicht so toll, eure Geschäfte«, sagte Schlumpel herablassend. »Find ich umständlich. Und so ein Gedöns mach ich nicht.« Sie marschierte zurück in die Küche, bestieg, mit dem Gefühl der absoluten körperlichen Überlegenheit ihrer Spezies über die, der ich angehöre, erneut ihr Klo und zeigte mir ausführlich, wie man mit den Vorderpfoten scharrt, daß – nein, nicht die Fetzen – daß die Klümpchen fliegen. Dann entdeckte sie den Brotkorb auf dem Tisch, kletterte hinein, fraß ein paar Krümel und rollte sich darin zusammen. Sie ist nun mal keine besonders dezente Katze. Ich werde damit leben müssen. Und zwar gern. Aus dem Brotkorb hab ich sie natürlich rausgeworfen.

Die Viererbande

Am Tag darauf machte Schlumpel mit der Viererbande Bekanntschaft.

Bei des Pfarrers nächtlicher Mohrenkopfmitvertilgerin hatte Schlumpel die Milch aus einem braunen Blumenuntersetzer aus Plastik geschlabbert. In meinem Haus pflege ich eine gewisse Eßkultur, ich decke den Tisch immer sehr geschmackvoll, zum Frühstück am liebsten mit Hahn und Henne, einem Schwarzwälder Keramikgeschirr in optimistischem Gelb und Grün; den Nachmittagstee nehme ich in Favorit, altmodisch blauberankt und handbemalt.

Schlumpel war nun ebenfalls stolze Besitzerin mehrerer Schüsselchen, war sozusagen Großschüsselchenbesitzerin. Auf dem roten stand Alles für die Katz! Auf dem blauen Guten Appetit! Auf dem grünen Leider leer! Es gab noch ein viertes, gelbes, War’s fein? Und ein fünftes Für liebe Gäste, aber aus dem fressen vorbeiziehende Sänger, wandernde Herumstreuner.

Schlumpel rieb den Kopf an meinem Bein. »Ich hab vier Schüsselchen. Und du?«

»Ich hab ein paar mehr.«

»Dann brauchst du aber lang zum Sauberschlecken.«

»Ich schlecke nicht selber. Ich lasse schlecken. Von dem da.« Ich deutete auf den Geschirrspüler, der war gerade in Aktion. »Der schleckt alles sauber. Picobello. Wilhelm heißt der Kerl.«

Schlumpels Schwanz machte einen freundlichen Begrüßungskringel. »Schmeckt’s, Wilhelm?«

Wilhelm gurgelte und rülpste.

»Dem ist schlecht«, sagte Schlumpel, »gleich spuckt er.«

»Dem geht’s bestens. Weil sein Bauch so voll ist. Was, Wilhelm?«

Wilhelm röhrte und röchelte zustimmend. Er ist der älteste der Viererbande und nicht mehr ganz auf der Höhe, die Teller und Tassen sind manchmal nicht mehr so blitzblank wie früher, aber dann spüle ich sie schnell nach, ohne es ihm zu sagen, ich will ihn ja nicht vergrätzen, und wer weiß, wie meine Tassen und Teller aussehen, wenn ich mal nicht mehr ganz auf der Höhe bin.

Schlumpel sah sich weiter um. »Der hat aber einen langen Hals.«

»Das ist Anton, der Staubsauger. Er ist ganz wild auf Staub.«

»Warum?«

»Weil der ihm schmeckt. Er frißt ihn mit Lust. Kann nicht genug kriegen. Und Fussel. Und Krümel. Und Schlumpelhaare, wie hier auf dem Sofa.« Ich schaltete Anton ein, und er waltete gierig seines Amtes.