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Carmen Gomez wächst in den Straßen von Tijuana auf. Nach einer dramatischen Flucht und der Überquerung der Grenze nach Los Angeles macht sie sich auf den Weg nach Barcelona, mithilfe der Notizen ihres verstorbenen Vaters. In Barcelona trifft sie Pablo, der ihr hilft, sich in ihrer neuen Umgebung zurecht-zufinden. Zusammen entwickeln sie die Idee, ein Im- und Exportgeschäft aufzu-bauen. Sie beginnt, ihre Geschäftsideen zu verwirklichen und etabliert sich im Schmuggelgeschäft, wobei sie revolutio-näre Methoden entwickelt, um ihre Waren sicher zu transportieren. Dann ist da noch Aya, eine schöne Flugbegleiterin, die ihr sofort den Kopf verdreht. Carmen ist das erste Mal verliebt, aber sie verlieren sich aus den Augen. Gibt das Schicksal ihnen eine zweite Chance?
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Seitenzahl: 332
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Kaudilein
Die Pionierin
Der Neuanfang und die Liebe, Band Nr. 1
Kaudilein
Die Pionierin
Der Neuanfang und die Liebe
Roman
Alle in diesem Buch geschilderten Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen, Geschäftseinrichtungen, Ereignissen oder Schauplätzen waren zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf reproduziert, gescannt oder in gedruckter oder elektronischer Form ohne vorherige Erlaubnis verbreitet werden. Ausnahme ist die Benutzung von Auszügen in einer Buchbesprechung.
Impressum
Texte: © 2024 Copyright by Kaudilein
Umschlag:© 2024 Copyright by Kaudilein
Verantwortlich
für den Inhalt:Kaudilein
c/o easy-shop
Kathrin Mothes
Schloßstraße 20
06869 Coswig (Anhalt)
Druck:epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin
Inhalt
Prolog
Der Anfang vom Ende
Die Flucht
Der Flug nach Barcelona
Die Idee
Die ersten Schritte in ein neues Leben
Der Plan
Ibiza und das Schicksal
Die Vorbereitungsphase
Der erste Auftrag
Die ersten Investitionen
Das Wiedersehen
Die Liebe
Neue Transportwege
Arbeit und Vergnügen
Eine Nacht voller Leidenschaft
Gemeinsame Zeit
Neue Freunde
Die erste Fahrt nach Marokko
Die Expansion
Die erste Begegnung mit der Polizei
Die erste gefährliche Begegnung
Problemlösung
Der Streit
Die Warnung
Der neue Plan
Dumme Gesichter
Wahrheiten und Träume
Ein Traum wird wahr
Die Party
Epilog
Die Straßen von Tijuana erwachten zum Leben, als sechs Kinder - ein Mädchen und fünf Jungen - sich zu einem improvisierten Fußballspiel zusammenfanden. Das Mädchen, Carmen, mit einem zerrissenen, verwaschenen Trikot und einem frechen Lächeln, hielt sich tapfer gegen ihre männlichen Gegenspieler. Sie hatte lange, braune Zöpfe, die bei jedem Sprint wild umherflogen, und ihr Blick war voller Entschlossenheit, während sie den Ball vor den Jungs verteidigte.
Die Jungs, gekleidet in abgenutzten T-Shirts und kurzen Hosen, zeigten eine beeindruckende Beherrschung des Balls. Einer von ihnen, Raul, mit einem roten Kopftuch, zeigte seine Geschwindigkeit, indem er blitzschnell über das Pflaster sprintete, den Ball elegant dribbelnd. Ein anderer Junge, Miguel, mit zerzausten Haaren und einem breiten Grinsen, zeigte seine technische Finesse, indem er mit präzisen Pässen seine Mitspieler in Szene setzte.
Inmitten des hektischen Spiels stand ein Mann, dessen Augen die Kinder aufmerksam verfolgten. Sein Gesichtsausdruck war eine Mischung aus Bewunderung und Wehmut, als er die Leidenschaft und den Eifer der Kinder beobachtete. Er lächelte, während er die Energie und Freude des Spiels aufsaugte.
Die heruntergekommenen Straßen dienten als Arena, mit den Häusern als Tribüne und den staubigen Wegen als Spielfeld. Das Geräusch der Kinder, die jubelten und lachten, mischte sich mit dem Summen der umliegenden Stadt und bildete eine Melodie der Freude und der Unbeschwertheit. In diesem Moment, eingefangen zwischen den Häusern und den Hügeln von Tijuana, fuhr mit quietschenden Reifen ein alter gelber Cadillac, vollbesetzt mit schwerbewaffneten Männern, um die Kurve auf den beobachtenden Mann zu.
In einem plötzlichen und beunruhigenden Augenblick wurde die heitere Atmosphäre von einer bedrohlichen Präsenz durchbrochen. Ein junger kubanischer Mann, muskulös und mit einem scharfen Blick, stieg aus dem gelben Cadillac. Sein Gesicht war von Narben gezeichnet, die von vergangenen Kämpfen zeugten, und sein Blick war kalt und berechnend. In seiner Hand hielt er eine glänzende Pistole, die im Sonnenlicht funkelte und die Aura der Gefahr ausstrahlte. Die Waffe, fest umklammert, war ein Symbol seiner Macht und Entschlossenheit, und sie deutete auf eine dunkle Absicht hin. Der Mann, der die Kinder und ihr Spiel beobachtet hatte, erkannte die Bedrohung zu spät. Seine Augen weiteten sich vor Schreck, als er den kubanischen Mann mit der Pistole erblickte. Ein Moment der Stille durchdrang die Luft, während die Realität dieser gefährlichen Situation sich langsam entfaltete.
Der Kubaner zielte präzise und ohne Zögern auf den Mann und drückte den Abzug. Ein lauter Knall durchschnitt die Luft, gefolgt von einem schrecklichen Aufschrei, als die Kugel ihr Ziel fand. Blut spritzte aus dem Einschussloch in seiner Brust. Der Mann stürzte zu Boden, während sein Körper von Schmerz durchzuckt wurde, und das Leben aus ihm wich.
Die Straßen von Tijuana, die eben noch von der Unbeschwertheit des Fußballspiels erfüllt waren, wurden plötzlich von der Dunkelheit der Gewalt überwältigt. Die Kinder, die das Drama mit großen Augen verfolgten, verstanden nicht vollständig, was geschehen war, aber der Kubaner mit der Pistole hatte eine Aura des Schreckens und der Bedrohung hinterlassen, die den Moment durchdrang.
Der kleine Raul flüsterte vor Angst zitternd leise Carmen zu: "Das ist Maceo Perez, alle nennen ihn El Cubano!"
Der Raum war still und gedämpft, die Luft schwer vor Traurigkeit und Unsicherheit. Die sterilen weißen Wände des Krankenzimmers in dem Krankenhaus in Tijuana kontrastierten stark mit der Intensität der Gefühle, die darin herrschten. Im Mittelpunkt lag Maria Gomez, die Mutter von Carmen, auf einem Krankenhausbett, umgeben von piependen Maschinen und leuchtenden Monitoren. Ihr Körper war ruhig, fast reglos, nur die unnatürliche Bewegung ihres Brustkorbs durch die mechanische Beatmung deutete darauf hin, dass das Leben noch nicht vollständig gewichen war.
Maria hatte dunkles, leicht ergrautes Haar, das sich wie ein Heiligenschein um ihr Gesicht legte. Ihre Haut war blass und wachsig, gezeichnet von den Strapazen der Schussverletzungen, die sie erlitten hatte. Mehrere Schläuche und Kabel verbanden ihren Körper mit den lebenserhaltenden Geräten, die ihren Organismus am Funktionieren hielten. Der leise, beständige Rhythmus der Herzmonitore und das Zischen der Beatmungsmaschine füllten die Stille des Raumes.
Am Bett saß Carmen, Marias Tochter. Ihr Gesicht war eine Maske des Schmerzes und der Erschöpfung. Ihre Augen, rot und geschwollen vom Weinen, blickten unablässig auf ihre Mutter. Sie hielt Marias Hand, die schlaff und kalt in ihrer lag, und strich ihr zärtlich über die knochigen Finger, als könnte sie dadurch etwas von der Wärme und dem Leben zurückbringen, das einst in ihrer Mutter war. Carmen trug einen einfachen Pullover und Jeans, die wie ein schützender Kokon wirkten in dieser Welt aus weißem Leinen und sterilen Oberflächen. Ihre Lippen bewegten sich leise, als würde sie ein Gebet murmeln oder ihrer Mutter letzte Worte der Liebe und des Abschieds zuflüstern. Die Erlebnisse wiederholten sich immer und immer wieder in Carmens Gedanken, wenn sie die Augen schloss.
***
Die kleine Bar in Tijuana, die ihrer Mutter Maria und ihrem Vater Raul Gomez gehörte, war ein bescheidenes, aber lebendiges Etablissement. Die hölzernen Tische und Stühle waren einfach, aber einladend, und die Wände waren mit Fotos und Erinnerungsstücken geschmückt, die die Geschichte der Familie Gomez und ihrer Bar erzählten. An diesem Abend war die Bar wie üblich gut besucht, erfüllt von Gelächter und Gesprächen, während die Gäste ihre Getränke genossen.
Plötzlich trat El Cubano ein, seine Präsenz augenblicklich bedrohlich und finster. Seine kräftige Gestalt dominierte den Raum, und seine kalten Augen scannten die Bar, als er die Hand an die Pistole in seinem Gürtel legte. Die Atmosphäre kippte sofort, als er die Waffe zog und ohne Vorwarnung das Feuer eröffnete.
Die erste Kugel durchbrach die Luft und traf Raul Gomez, der hinter der Bar stand, direkt in die Brust. Sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz und Schock, während er nach hinten taumelte und schließlich zu Boden fiel. Blut breitete sich rasch auf seinem weißen Hemd aus, und ein schmerzhafter Keuchlaut entwich seinen Lippen, bevor sein Körper schlaff wurde. Maria, die in der Nähe der Theke stand, schrie auf und eilte zu ihrem gefallenen Mann. Doch bevor sie ihn erreichen konnte, schrie der Kubaner: "Niemand legt sich mit mir an, absolut niemand! Und die kleine Schlampe Carmen hole ich mir auch noch!" und feuerte erneut. Eine Kugel traf Maria in die Seite und sie brach mit einem qualvollen Schrei zusammen. Ihre Hände pressten sich instinktiv auf die Wunde, als Blut zwischen ihren Fingern hervorquoll. Panik brach in der Bar aus, die Gäste schrien und suchten hastig Deckung, einige flüchteten in Richtung der Ausgänge. Die einst fröhliche Bar verwandelte sich in ein Chaos voller Schrecken und Verzweiflung. Der kubanische Mann, kalt und ohne jede Regung, senkte seine Waffe und verließ die Bar so plötzlich, wie er gekommen war, seine finstere Mission war erfüllt. Jetzt musste er nur noch die Tochter schnappen. Ein diabolisches Grinsen erleuchtete sein vernarbtes Gesicht. Er stieg in den Cadillac vor der Tür, in dem seine Männer auf ihn warteten und verschwand in die Dunkelheit.
Maria lag am Boden, ihr Atem ging stoßweise und schmerzhaft, während sie mit der lebensgefährlichen Verletzung kämpfte. Ihre Augen suchten nach Raul, doch sein regungsloser Körper und das stetig wachsende Blut auf dem Boden sagten ihr, dass es zu spät war. Ihre Schreie nach Hilfe hallten durch die verstummte Bar, während die Realität des Angriffs langsam in das Bewusstsein der verbliebenen Gäste eindrang.
***
Ein Räuspern holte Carmen aus ihren Gedanken. Der Arzt, Dr. Ramirez, ein Mann mittleren Alters mit sorgenvoll gerunzelter Stirn und sanften Augen hinter einer Brille, stand auf der anderen Seite des Bettes. Er trug einen weißen Kittel und hielt ein Klemmbrett in den Händen, das ihm mehr Schutz bot als Informationen. Er hatte diesen Moment kommen sehen, hatte es sich jedoch nicht leichter gemacht. Mit einer schweren Miene beugte er sich zu Carmen und sprach leise, doch bestimmt. Er erklärte die medizinische Notwendigkeit und die ethischen Überlegungen, die zu der Entscheidung geführt hatten, die lebenserhaltenden Maßnahmen zu beenden. Carmens Blick blieb auf ihrer Mutter, als ob sie hoffte, dass Maria ihre Augen öffnen und alle Ängste hinwegfegen könnte. Schließlich nickte Carmen, unfähig, die Worte auszusprechen. Der Arzt streckte die Hand aus und drückte sanft auf den Knopf, der die Maschinen zum Schweigen brachte. Das monotone Piepen der Herzmonitore verlangsamte sich und verstummte schließlich. Der Raum wurde von einer fast ohrenbetäubenden Stille erfüllt, nur unterbrochen durch Carmens erstickte Schluchzer.
Maria lag still, befreit von den Schläuchen und Kabeln, ihr Gesicht friedlich und frei von Schmerzen. Carmen beugte sich über sie, Tränen rannen über ihre Wangen und tropften auf das weiße Bettlaken. Sie küsste die Stirn ihrer Mutter, flüsterte ihr letzte Liebesworte zu, während der Arzt respektvoll den Raum verließ und ihnen diesen letzten, kostbaren Moment der Intimität überließ.
Carmen saß in der Stille des Raumes, draußen dämmerte es langsam und dämpfte das Licht, welches den Raum in ein warmes, aber trügerisch friedliches Licht tauchte. Ihre Gedanken waren ein wilder Strudel aus Trauer, Schmerz und einem unstillbaren Verlangen nach Vergeltung. Sie konnte kaum glauben, dass ihre Mutter Maria, die sie gerade verloren hatte, nun im selben Grab ruhen würde wie ihr Vater. Beide wurden brutal von El Cubano aus dem Leben gerissen, Opfer eines sinnlosen Aktes der Gewalt. Ihr Vater hatte lediglich dieses Schwein von Diego, einer von El Cubanos Männern, in Wut und Verzweiflung, weil er seine Tochter Carmen vergewaltigte, zusammengeschlagen. Er hatte es verdient.
***
Am Abend vor einer Woche, als Carmen tränenüberströmt und gezeichnet von Angst und Schmerz, ihrem Vater die Worte unter Schluchzen zugeflüstert hatte, die Details des Grauens, das sie durchleiden musste. Sie konnte den Schmerz und das unbändige Verlangen nach Vergeltung in seinen Augen sehen. Als Diego einige Zeit später die Bar ihrer Eltern betrat, stürmte Carmens Vater auf ihn zu, hob die Faust und der erste Schlag traf den Mann hart ins Gesicht. Der Aufprall war dumpf und befriedigend, der Schmerz in der Hand ihres Vaters eine Bestätigung der Realität, in der sie sich befanden. Diego schrie auf, seine Lippen platzten auf, Blut spritzte und tropfte auf den Boden. Mit jedem Schlag, den Raul austeilte, hallten die Gedanken und Emotionen in seinem Kopf wider.
"Wie konntest du es wagen?", schrie er Diego an, als seine Faust wieder auf das Gesicht des Mexikaners traf. "Was hast du ihr angetan?"
Ein weiterer Schlag, härter diesmal, traf den Mann in den Magen, der sich vor Schmerz krümmte und hustete, Blut und Speichel spritzten auf den Boden. Carmens Vater schrie, ein wilder, animalischer Laut, der aus den tiefsten Tiefen seiner Seele kam. Es war ein Schrei des Schmerzes, der Wut und der Verzweiflung. Er griff den Mann an den Kragen und zog ihn hoch, um ihm direkt in die Augen zu sehen.
"Du hast ihr das angetan!", schrie Carmens Vater, seine Stimme rau vor Emotionen. "Du hast ihr das Leben genommen, das sie kannte!"
Raul schlug wieder zu, diesmal mit der anderen Hand, seine Fingerknöchel schmerzhaft zerschunden und blutig. Diego versuchte, sich zu schützen, seine Hände hoben sich schwach in einer Abwehrhaltung, aber der Vater war unaufhaltsam, getrieben von einer Energie, die er nicht kontrollieren konnte. Inmitten der Schläge und Schreie durchströmten ihn widersprüchliche Gefühle:
Die Genugtuung, den Täter leiden zu sehen, vermischte sich mit einem tiefen, nagenden Gefühl der Leere und des Schmerzes, das nicht durch Gewalt gelindert werden konnte. Jede Bewegung seines Körpers schrie nach Rache, aber Rauls Herz weinte um seine Tochter, um das, was sie durchgemacht hatte, und um das, was er selbst durchlebte. Als seine Kräfte langsam nachließen und die Schläge schwächer wurden, überkam Carmens Vater eine Welle der Erschöpfung und Verzweiflung. Er sank auf die Knie, der Körper des Mexikaners vor ihm lag schwer atmend und blutend auf dem Boden. Der Raum war erfüllt von den schweren Atemzügen, den gedämpften Schluchzern des Vaters und dem Echo der Gewalt, die gerade stattgefunden hatte.
In diesem Moment realisierte der Vater, dass keine noch so große Gewalt den Schmerz und das Leid seiner Tochter ungeschehen machen konnte. Die physische Erschöpfung brachte eine kalte Klarheit mit sich. Er fühlte sich leer und gebrochen, als ob die Wut und der Zorn, die ihn angetrieben hatten, ihm jegliche Energie entzogen hatte.Der Schmerz und die Schuld blieben, tief in seinem Herzen verwurzelt, während der Raum um ihn herum langsam zur Ruhe kam. Raul stand auf und ging hinter die Bar, blickte seine Tochter voller Mitgefühl an, die in diesem Moment ihre Tränen nicht aufhalten konnte und sich in die Arme ihres Vaters flüchtete. Diego erhob sich schleppend nach dieser Attacke und ballte die Fäuste in ihre Richtung.
"Dafür werdet ihr bezahlen!", waren seine einzigen Worte. Er spuckte sein Blut auf den Boden und verließ die Bar.
***
Die Erinnerungen an ihren Vater waren noch frisch: Sein herzliches Lachen, seine schützenden Arme, die sie als Kind und auch noch jetzt, als 25jährige, umschlossen hatte. Auch er war Opfer derselben Tragödie. Die Polizei hätte nichts getan, alle standen unter den Fittichen von El Cubano. Es hätte niemals Gerechtigkeit gegeben. Keine Strafe wäre genug gewesen, um den Schmerz und die Wut zu lindern, die in ihr brodelten. Carmen schloss die Augen, und sofort wurde sie von Bildern überflutet. Sie sah das Gesicht ihrer Mutter, friedlich im Tod, und daneben das Gesicht ihres Vaters, das in ihren Erinnerungen immer lebendig und warm war. Doch jetzt mischten sich die warmen Erinnerungen mit der kalten, harten Realität ihres Verlustes. Sie erinnerte sich an den Moment, als sie vom Tod ihres Vaters erfuhr - die ungläubige Stille, das langsame Einsickern der Wahrheit und schließlich der überwältigende Schmerz. Und nun, die gleiche Kälte und der gleiche Schmerz, als sie die Maschinen ausgeschaltet sah. Ihre Gedanken wanderten zurück zu dem Täter. Er war kein abstraktes Konzept des Bösen, sondern ein realer Mensch mit einem Namen und einem Gesicht - El Cubano. Sie sieht ihn vor sich: die kalten Augen, die keinen Funken von Reue zeigten, die Narben in seinem Gesicht, die ihm zusätzlich die Boshaftigkeit und den Respekt der Menschen in Tijuana sicherten. Er würde nie in ein Gefängnis kommen und es wäre für Carmen auch nicht genug, ihn in einem Gefängnis verrotten zu sehen. Sie sehnte sich nach etwas Tieferem, etwas, was die Welt wieder ins Gleichgewicht brachte.
Sie dachte an die Geschichten, die ihr Vater über Gerechtigkeit und Ehre erzählt hatte, und sie wusste, dass er Rache verachtet hätte. Aber die Vergewaltigung, die Trauer und der Verlust hatten eine dunkle Seite in ihr entfesselt. Die Gedanken an Rache waren wie giftige Ranken, die sich um ihr Herz wanden und es fest umklammerten. Sie stellte sich vor, wie es wäre, diesem Mann gegenüberzustehen, ihm die gleiche Angst und das gleiche Leid zuzufügen, das er ihrer Familie gebracht hatte. Sie fantasierte von der Genugtuung, ihn leiden zu sehen, von der Möglichkeit, ihre Eltern durch einen Akt der Vergeltung zu ehren. In ihren dunkelsten Momenten malte sie sich detailliert aus, wie sie Rache üben konnte, wie sie ihm die Freiheit und das Leben nehmen konnte, so wie er es ihren Eltern genommen hatte.
Doch zwischen diesen finsteren Gedanken blitzten auch Fragmente von Vernunft und Liebe auf - Erinnerungen an das, was ihre Eltern sie gelehrt hatten. Sie hörte die sanfte Stimme ihrer Mutter, die ihr Mitgefühl und Vergebung predigte, und die starke, aber sanfte Stimme ihres Vaters, der ihr sagte, dass wahre Stärke darin lag, dem Hass nicht nachzugeben. Diese Gedanken waren wie ein schwaches Licht in der Dunkelheit, das sie daran erinnerte, wer sie wirklich war und was sie wertschätzte. Carmen war zerrissen zwischen ihrem tiefen Schmerz und dem Wunsch nach Rache auf der einen Seite und den Prinzipien der Liebe und Vergebung, die ihre Eltern ihr beigebracht hatten, auf der anderen. Ihre Gedanken waren ein chaotisches Labyrinth, aus dem sie keinen Ausweg sah. Jeder Moment war ein Kampf, eine Entscheidung zwischen der Dunkelheit und dem Licht.
Und in dieser Stille, allein mit ihren Gedanken, begann sie langsam zu begreifen, dass der Weg zur Heilung nicht in der Rache lag, sondern in der schwierigen, aber notwendigen Reise zur Vergebung. Doch heute war dieser Weg noch unerreichbar, und der Schmerz und die Wut waren zu überwältigend, um klare Gedanken zuzulassen.
Die Tür des Krankenzimmers wurde plötzlich aufgerissen und Carmen aus ihren Gedanken geholt. Vor ihr stand die junge Krankenschwester Lucia, die sie beim Eintreffen in das Krankenhaus zu dem Zimmer ihrer Mutter geführt hatte. Als sie erstaunt in Lucias Gesicht blickte, konnte sie die wachsamen Augen und ihren ernsten Gesichtsausdruck sehen. Sofort war Carmen in Alarmbereitschaft und ihre Haut begann zu kribbeln.
"Carmen, ich habe eben erfahren, dass unten zwei Männer nach dir gefragt haben. Sie sahen nicht vertrauenswürdig aus, deshalb hat die Schwester mich kontaktiert.", sagte Lucia leise.
Carmen wusste sofort, dass das nur die Männer von El Cubano sein konnten. Er hatte schließlich gedroht, sie auch noch zu töten. Sie sprang von ihrem Stuhl auf und blickte Lucia verwirrt und verzweifelt an. Was sollte sie nun tun? Sie wurde starr vor Angst.
"Du bist in Gefahr. Ich glaube, die Männer wollen dir irgendetwas antun, wir müssen dich hier rausbringen. Jetzt sofort!"
Energisch schnappte Lucia nach der Hand von Carmen, die immer noch regungslos vor ihr stand. Als sie langsam die Situation realisierte, nickte sie langsam, das Adrenalin begann durch ihre Adern zu schießen.
"Wir müssen uns beeilen!“, flüsterte Lucia, während sie mit Carmen an der Hand zur Tür lief.
Mit schnellen, leisen Schritten machten sie sich auf den Weg durch die Korridore des Krankenhauses. Ihre Schritte gedämpft, aber dennoch schnell und entschlossen. Ihr Atem ging schnell, und ihre Herzen hämmerten vor Aufregung und Angst. Lucia kannte die Schichtpläne und die ruhigeren Ecken des Krankenhauses gut. Sie führte Carmen geschickt durch die Hintertüren und vermied belebte Bereiche. Ein paar Mal mussten sie sich in Nischen verstecken, wenn das Geräusch von Schritten oder Stimmen zu nah kam. Lucias Herz klopfte wild, aber sie blieb ruhig und konzentriert, entschlossen, Carmen in Sicherheit zu bringen. Endlich erreichten sie einen Seitenausgang, der in einen dunklen Hinterhof führte. Lucia sah sich hastig um, bevor sie die Tür leise öffnete und Carmen hinausführte. Sie bemerkten die Gestalt, die an der Hauswand lehnte und eine Zigarette rauchte, nicht. In der Dämmerung zum Abend schlichen sie sich zu dem kleinen roten Fiat, den Lucia in der Nähe geparkt hatte. Carmen blieb immer noch starr vor Angst neben dem Wagen stehen, so dass Lucia ihr auf den Beifahrersitz half und sie anschnallte, bevor sie selbst einstieg und den Motor startete. Die Gestalt, die immer noch an der Hauswand verweilte, warfdie Zigarette auf den Boden, trat sie aus, holte ein Handy aus der Tasche und rief jemanden an.
"Die Frau, die ihr sucht, ist soebenmit einer Krankenschwester in einem kleinen roten Fiat geflohen!"
Kurze Zeit später traten die beiden Männer, die auf der Suche nach Carmen waren, aus dem Gebäude.
***
Lucia fuhr durch die stillen Straßen von Tijuana, ihre Augen immer wieder prüfend in den Rückspiegel geworfen, dann zu Carmen, die regungslos auf dem Beifahrersitz saß. Sie nahm Umwege und kleine Straßen, um sicherzugehen, dass sie nicht verfolgt wurden. Die Fahrt war angespannt und still, nur unterbrochen von gelegentlichen tiefen Seufzern, die Carmen ausstieß. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten sie Lucias Wohnung, ein bescheidenes, aber gemütliches Zuhause in einem ruhigeren Viertel. Sie half Carmen aus dem Auto und in ihre Wohnung. Drinnen ließ sich Carmen erschöpft auf das Sofa sinken, während Lucia schnell die Tür abschloss und die Vorhänge zuzog.
"Du bist jetzt sicher!", sagt Lucia und lächelte beruhigend. "Ruh’ dich aus. Ich werde dafür sorgen, dass niemand dich findet."
Carmen nickte dankbar, Tränen der Erleichterung und Erschöpfung in ihren Augen. Sie wusste, dass sie Lucia ihr Leben verdankte und dass diese Nacht nur der Anfang eines neuen Kapitels in ihrem Kampf ums Überleben war.
Das erste Mal blickte Carmen zu ihr auf und musterte die junge Krankenschwester, die ihr gegenüber auf dem Sessel Platz genommen hatte. Die 20jährige Krankenschwester war durchschnittlich groß und schlank, aber mit einer kräftigen Statur, die auf ihre langen Schichten im Krankenhaus und ihre Bereitschaft, jederzeit tatkräftig anzupacken, zurückzuführen war. Lucias Haut hatte einen warmen, goldenen Ton, der die mexikanische Herkunft widerspiegelte. Ihr ovales Gesicht wurde von langen, dunklen Haaren umrahmt, die sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Ihre braunen Augen strahlten sowohl Sanftheit als auch Entschlossenheit aus, und ihr Blick war stets wachsam und freundlich. Lucia trug noch ihre Uniform, die die junge Frau attraktiv machte. Lucia bemerkte anscheinend die Blicke und lächelte Carmen herzlich und voller Mitgefühl an.
"Es tut mir leid wegen deiner Mutter. El Cubano ist wirklich ein mieses Schwein!"
Ihre Stimme klang in Carmens Gehör trotz Erwähnung des Menschen, den sie am meisten hasste, wie eine beruhigende Melodie. Sie fühlte sich augenblicklich zu ihr hingezogen. Sie wollte für einen Moment alles Geschehene vergessen. Auf ihrem Mund bildete sich ein leichtes Schmunzeln, während sie weiterhin den Blick auf Lucia richtete und ihr in die sanften Augen schaute.
"Dieser Mann macht allen Menschen hier das Leben zur Hölle, die nicht nach seiner Nase tanzen. Wie viele Männer und Frauen ich schon im Krankenhaus auf den Stationen habe liegen sehen, die er auf dem Gewissen hatte."
Das erste Mal konnte Carmen ein wütendes Funkeln in Lucias Augen erkennen, was sie für Carmen noch anziehender wirken ließ. Trotz der Erschöpfung durchströmte sie eine neue Energie, als sie die junge Krankenschwester betrachtete. Sie entschloss sich, die Distanz zwischen ihnen zu überbrücken.
Langsam erhob sie sich vom Sofa, ihre Bewegungen fließend und bewusst. Carmen wusste um ihre Wirkung, die sie auf Frauen hatte und nutzte sie jedes Mal aufs Neue, wenn ihr eine Frau gefiel. Der Liebe war sie noch nie begegnet, hielt aber auch nicht sonderlich viel davon. Wozu das Ganze? Man entdeckte so viel Neues und das erste Mal mit einer Frau zu schlafen, hatte einen gewissen Reiz, dem Carmen verfallen war. Sie hatte nie öfter als einmal mit einer Frau geschlafen, aber dadurch auch einige Herzen gebrochen.
Carmen setzte ein verführerisches Lächeln auf. Ihr Blick blieb fest auf Lucia gerichtet, deren Augen jetzt neugierig und leicht verwirrt auf Carmen ruhten. Mit jedem Schritt näherte sich Carmen der Krankenschwester, und die Spannung im Raum wurde spürbar. Carmen blieb direkt vor Lucia stehen, ihre Präsenz überwältigend und nah. Sie kniete sich vor den Sessel, sodass ihre Gesichter sich auf gleicher Höhe befanden. Ihre Augen, tief und einladend, suchten den Blick von Lucia, die nun schwer zu atmen schien. Carmen hob eine Hand und strich sanft über Lucias Wange, ihre Finger leicht und federnd, als würde sie einen zerbrechlichen Schatz berühren.
"Lucia…", flüsterte sie, ihre Stimme sanft und verführerisch, "du hast mich gerettet. Ich weiß nicht, wie ich dir danken kann."
Lucia schluckte schwer, unfähig, den Blick von Carmen abzuwenden. Die Berührung auf ihrer Wange löste ein Kribbeln aus, das sich durch ihren ganzen Körper zog.
"Carmen, du musst dich ausruhen.", murmelte sie, doch ihre Stimme zitterte, und sie machte keinen Versuch, sich zurückzuziehen.
Carmen lächelte leicht, ihr Gesicht kam noch näher, bis ihre Lippen nur einen Hauch von Lucias entfernt waren.
"Ich möchte dir auf eine andere Weise danken…", flüsterte sie und überbrückte die letzte Distanz, indem sie Lucias Lippen mit einem sanften, aber entschlossenen Kuss berührte.
Lucia, überwältigt von der plötzlichen Intimität, schloss die Augen und gab sich dem Moment hin. Ihre Hände fanden Carmens Gesicht, und sie erwiderte den Kuss, ihre Unsicherheit schmolz unter der Wärme von Carmens Lippen dahin. Der Kuss vertiefte sich, und Carmen zog sich leicht zurück, um die Reaktion der Krankenschwester zu beobachten. Lucias Augen waren nun voller Verlangen und Verwirrung, aber auch einer aufkeimenden Bereitschaft. Carmen erhob sich ein wenig und setzte sich auf Lucias Schoß, ihre Beine umschlossen sanft die junge Krankenschwester. Lucias Hände fanden Carmens Taille, und sie zog sie näher, der Raum zwischen ihnen verwand vollkommen. Die Welt um sie herum schien stillzustehen, nur ihre gemeinsamen Atemzüge und das Rauschen des Blutes in ihren Ohren füllten den Raum. Die anfängliche Zurückhaltung wich einer tiefen, innigen Verbindung, als sie sich in diesem Moment ganz und gar verloren. Carmen löste sich ein wenig, nur um Lucias Gesicht zu betrachten.
"Danke, Lucia!", sagte sie mit einem Lächeln, das sowohl Dankbarkeit als auch Verlangen ausdrückte. Lucia lächelte zurück, ihre Augen strahlten nun dieselbe Mischung Gefühle aus. In dieser stillen, intensiven Verbindung fanden sie einen Moment des Friedens und der Nähe, der weit über Worte hinausging.
***
Carmen und Lucia schliefen erschöpft auf dem Sofa, ihre Körper in einer beruhigenden Umarmung verflochten. Die Stille der Nacht wurde plötzlich durch ein lautes Poltern durchbrochen, das beide Frauen abrupt aus dem Schlaf riss. Carmen saß aufrecht, ihr Herz raste vor Angst. Lucia, sofort alarmiert, legte einen Finger an ihre Lippen, um Carmen zum Schweigen zu bringen. Das Poltern kam aus dem Flur direkt vor ihrer Wohnungstür.
"Sie haben uns gefunden…", flüsterte Lucia, ihre Stimme voller Dringlichkeit.
Sie sprang vom Sofa auf und zog Carmen mit sich. Die Geräusche der Männer, die draußen gegen die Tür hämmerten, wurden lauter und bedrohlicher.
"Wir müssen sofort hier raus!"
Lucia führte Carmen zu einem Fenster im hinteren Teil der Wohnung. Sie öffnete es leise und half Carmen hinaus, bevor sie selbst durch das Fenster kletterte. Sie landeten in einem schmalen Hinterhof, der von Schatten bedeckt war. Mit raschen, leisen Schritten schlichen sie sich zu Lucias Auto, das in einer kleinen Gasse geparkt war. Gerade als sie das Auto erreichten und Lucia Carmen die Beifahrertür öffnete und sie hineinschob, hörten sie das Krachen der Wohnungstür, die unter dem Druck der Männer nachgab. Panik erfasste beide Frauen, doch Lucia blieb fokussiert und eilte zur Fahrerseite. Während Lucia einstieg und den Motor startete, durchdrang das Geräusch von schnellen Schritten die Stille.
"Schnell!", rief Carmen, ihre Augen weit vor Angst.
Lucia trat aufs Gas, aber bevor das Auto richtig in Bewegung kam, explodierte ein Schuss in der Nacht. Lucia schrie auf, ihre Hand fuhr instinktiv zu ihrer Seite, wo das Blut sofort zu fließen begann. Sie blickte Carmen an, ihr Gesicht von Schmerz und Entschlossenheit gezeichnet.
"Fahr!" schrie Lucia, öffnete die Fahrertür und hievte sich mit letzter Kraft hinaus.
Carmens Augen füllten sich mit Tränen, doch angesichts der drohenden Gefahr kletterte sie so schnell es ging von der Beifahrerseite hinüber auf den Fahrersitz und startete den Motor erneut. Mit zitternden Händen übernahm Carmen das Steuer und schaute hinaus zu Lucia, die neben dem Auto blutüberströmt auf dem Boden lag.
"Fahr endlich!", rief sie Carmen noch einmal zu.
Die Tränen strömten über Carmens Gesicht, während sie das Gaspedal durchdrückte und das Auto in die Nacht hinausjagte. Carmen fuhr wie im Rausch, ihre Gedanken wirbelten chaotisch, doch ein Ziel formte sich klar in ihrem Kopf: die Bar ihrer toten Eltern. Sie kannte den Weg, auch wenn die Erinnerungen schmerzhaft waren. Die Straßen von Tijuana flogen an ihr vorbei, und sie warf immer wieder ängstliche Blicke in den Rückspiegel, aber die Verfolger schien sie vorerst abgehängt zu haben.
***
Nach einer fieberhaften Fahrt erreichte Carmen die Bar, das vertraute, verlassene Gebäude, das nun ein Zufluchtsort in ihrer Not war. Sie parkte den Fiat hastig und stürzte hinein, schloss die Türen hinter sich ab und lehnte sich schwer atmend dagegen. Die Stille der Bar, die einst von Gelächter und Stimmen erfüllt war, war nun erdrückend. Carmen sank auf den Boden, ihre Hände immer noch zitternd. Die Realität des Verlustes ihrer Eltern und Lucia,und der Gefahr, die sie weiterhin verfolgte, brach über sie herein. Doch sie wusste, dass sie nicht lange bleiben konnte. Mit einer letzten Anstrengung raffte sie sich auf, suchte nach allem, was sie als Waffe oder Verteidigung nutzen konnte, und bereitete sich darauf vor, weiter zu fliehen.
Die Bar ihrer Eltern bot ihr einen kurzen Moment der Sicherheit, aber Carmen wusste, dass der Kampf ums Überleben gerade erst begonnen hatte. Sie lehnte sich an die Theke der Bar, ihr Herz raste noch immer von der Flucht. Sie musste einen Plan schmieden und handeln. Erinnerungen an ihren Vater durchfluteten ihren Geist, und sie erinnerte sich an Geschichten, die er über das Geheimversteck unter dem Tresen erzählte.
Mit entschlossenen Schritten ging sie hinter die Bar und kniete sich nieder. Ihre Hände tasteten über den abgenutzten Holzboden, bis sie eine lose Planke fand. Mit ein wenig Kraftanstrengung hob sie die Planke an und enthüllte ein kleines, dunkles Versteck. In dem Versteck lagen mehrere Bündel Bargeld, Carmen schätze es auf ca. 10.000, - Dollar, sorgfältig in Plastik eingewickelt, und ein ledergebundenes Notizbuch. Carmens Hände zitterten, als sie das Geld herausnahm und in ihre Taschen steckte. Sie griff auch nach dem Notizbuch, ihre Finger strichen kurz über das weiche Leder, bevor sie es aufschlug. Die Seiten waren gefüllt mit handgeschriebenen Notizen, Adressen und Telefonnummern, die ihr Vater im Laufe der Jahre in seiner Bar gesammelt hatte - möglicherweise wertvolle Verbindungen und Informationen, die ihr jetzt helfen konnten. Mit dem Notizbuch fest unter ihren Arm geklemmt, richtete sich Carmen auf und drehte sich um. Sie eilte die Treppe hinauf in die Wohnung, die über der Bar lag. Die Räume waren unordentlich und verlassen, aber immer noch voller Erinnerungen an eine glücklichere Zeit. Sie öffnete den Kleiderschrank und zog hastig ein paar Kleidungsstücke heraus: Jeans, T-Shirts, eine warme Jacke. Sie stopfte sie in ihren Rucksack, der auf dem Bett lag. Ihr Blick fiel auf eine kleine Schatulle auf dem Nachttisch. Sie öffnete sie und fand ihren Pass sowie einige persönliche Gegenstände. Carmen warf den Pass und ein paar wichtige Papiere ebenfalls in den Rucksack. Sie schnappte sich noch eine kleine Fotografie ihrer Eltern, die sie in eine Seitentasche steckte. Mit dem vollgepackten Rucksack über der Schulter eilte Carmen zurück zum Auto. Sie wusste, dass die Zeit drängte. Ihre Verfolger konnten jeden Moment wieder auftauchen. Sie startete den Motor und fuhr los, ihre Gedanken rasten mit der Geschwindigkeit des Autos. Ihr Ziel war klar: der Flughafen von Los Angeles.
***
Die Straßen von Tijuana lagen bald hinter ihr, während sie die Grenze überquerte und in Richtung Norden fuhr. Die Dunkelheit wich allmählich dem ersten Licht der Morgendämmerung, und der Verkehr nahm zu, je näher sie Los Angeles kam. Trotz der Müdigkeit blieb Carmen fokussiert, ihre Gedanken fest auf die Zukunft gerichtet.
Nach einer langen, anstrengenden Fahrt erreichte sie schließlich den Flughafen von Los Angeles. Sie parkte das Auto in einem der weiter entfernten Parkhäuser, um nicht sofort entdeckt zu werden, falls El Cubano hier auch seine Männer nach ihr suchen ließ, und machte sich mit ihrem Rucksack auf den Weg ins Terminal. Ihre Schritte waren hastig, aber zielgerichtet, während sie hoffte, in dem Notizbuch ihres Vaters einen Ort zu finden, der sie aus dem Albtraum befreite.Sie wusste, dass dies nur der erste Schritt war, aber Carmen war entschlossen, die Chance zu nutzen, die ihr Vater ihr mit seinem Ersparten und seinen Notizen gegeben hatte.
Carmen hastete durch das belebte Terminal des Flughafens von Los Angeles. Ihre Augen scannten die Anzeigetafeln nach den nächsten verfügbaren Flügen. Der Lärm der Durchsagen und das Stimmengewirr der Reisenden umgaben sie, aber sie blieb fokussiert. In einer ruhigen Ecke des Terminals setzte sie sich kurz hin, um das Notizbuch ihres Vaters durchzublättern. Ihre Finger strichen über die handgeschriebenen Seiten, bis sie auf einen Namen stieß, der ihre Aufmerksamkeit erregte: Pablo Rodriguez in Barcelona. Neben dem Namen waren eine Telefonnummer und eine kurze Notiz vermerkt:
,vertrauenswürdig, kann helfen.‘
Carmen spürte einen Funken Hoffnung auflodern. Sie wusste, dass Barcelona weit genug entfernt war und Pablo ihr möglicherweise einen sicheren Unterschlupf bieten konnte. Sie stand schnell auf und ging zum nächsten Ticketschalter. Die Uhr tickte unerbittlich, und jede Sekunde zählte.
"Wann geht der nächste Flug nach Barcelona?", fragte sie hastig die Mitarbeiterin am Schalter.
Die Frau tippte schnell in ihren Computer und antwortete: "Es gibt einen Flug in einer halben Stunde. Es ist knapp, aber wenn Sie sich beeilen, können Sie es schaffen."
Carmen zögerte nicht. "Ich nehme das Ticket.", sagte sie entschlossen und zog einen Teil des Geldes, das sie aus dem Versteck ihres Vaters genommen hatte, hervor.
Während die Mitarbeiterin das Ticket ausstellte, wanderten Carmens Gedanken immer wieder zu den Männern, die sie verfolgten. Sie wusste, dass sie keine Zeit verlieren durfte. Mit dem Ticket in der Hand sprintete Carmen zum Sicherheitscheck. Die Warteschlange war lang, und sie konnte spüren, wie die Minuten verflogen. Ihr Herz schlug heftig, als sie endlich an der Reihe war. Sie legte ihren Rucksack auf das Band und ging durch den Scanner. Glücklicherweise verlief alles reibungslos, und sie konnte weitereilen. Als sie durch das Terminal rannte, hallten die letzten Aufrufe für ihren Flug durch die Lautsprecher.
"Letzter Aufruf für Flug 172 nach Barcelona. Letzter Aufruf."
Sie gab alles, ihre Beine brannten vor Anstrengung, aber sie blieb nicht stehen. Endlich erreichte sie das Gate, gerade, als die Flugbegleiterin dabei war, die Tür zu schließen.
"Warten Sie!", rief Carmen atemlos. Die Flugbegleiterin warf ihr einen prüfenden Blick zu und scannte dann ihr Ticket.
"Beeilen Sie sich!", sagte sie, während sie Carmen durchließ.
Carmen stürzte in den Flugzeuggang, atemlos und erschöpft, aber voller Erleichterung. Sie fand ihren Platz, setzte sich und schnallte sich an. Während das Flugzeug langsam zum Start rollte, ließ sie ihren Kopf gegen die Rückenlehne sinken und schloss die Augen. Sie hatte es geschafft. Der Flug nach Barcelona würde sie weit genug wegbringen, und sie hatte einen Kontakt, der ihr helfen konnte. Der Flug hob ab, und Carmen spürte, wie die Anspannung langsam von ihr abfiel. Vor ihr lag eine ungewisse Zukunft, aber auch eine neue Hoffnung. Mit einem letzten Blick auf das Notizbuch in ihren Händen und dem Namen Pablo, der ihre Rettung versprach, schloss sie die Augen und ließ sich in einen erschöpften Schlaf fallen.
Statt der ersehnten Ruhe im Schlaf wurde Carmen von heftigen Albträumen heimgesucht. In ihrem Traum sah sie die Bar ihrer Eltern. Der kubanische Mann trat wieder ein, seine kalten Augen und die entschlossene Miene brachten eine Welle von Angst über Carmen. Sie sah, wie er die Pistole zog, der Schuss hallte laut durch die Bar. Raul Gomez, ihr Vater, fiel schwer getroffen zu Boden, sein Hemd schnell von Blut durchtränkt. Carmen schrie nach ihm, aber ihre Stimme schien im Nichts zu verhallen. Dann wendete sich El Cubano ihrer Mutter Maria zu. Ein weiterer Schuss zerriss die Luft, und Carmen sah ihre Mutter stürzen, ihre Augen vor Schmerz weit aufgerissen. Die Hilflosigkeit und der Schmerz überwältigten Carmen, als sie auf die am Boden liegenden Körper ihrer Eltern starrte.
Der Traum wandelte sich, und plötzlich war sie zurück in Lucias Wohnung. Männer brachen die Tür auf, ihre Gesichter finster und entschlossen. Carmen versuchte, Lucia zu warnen, aber es war zu spät. Ein lauter Knall, und Lucia fiel mit einem schmerzhaften Keuchen zu Boden, Blut quoll aus ihrer Seite. Carmen kniete neben ihrer sterbenden Freundin, ihre Hände zitterten und ihre Tränen mischten sich mit dem Blut auf dem Boden.
Plötzlich änderte sich die Szenerie erneut. Sie war in einem dunklen RaumundDiego war da. Seine Augen glühten vor Gewalt und Macht. Carmen kämpfte verzweifelt, doch Diego war zu stark. Der Schmerz und die Erniedrigung der Vergewaltigung waren unerträglich, und ihre Schreie hallten in der Dunkelheit wider. Sie fühlte sich völlig hilflos und zerstört, die Erinnerungen an diesen brutalen Akt nagten an ihrem Verstand. Mit einem lauten Schrei wachte Carmen auf, schweißgebadet und keuchend. Ihr Herz raste, und ihre Augen waren weit vor Schrecken aufgerissen. Sie war desorientiert und brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass sie im Flugzeug war, weit weg von der unmittelbaren Gefahr.
Eine wunderschöne Flugbegleiterin mit langen, schwarzen Haaren und sanften, mandelförmigen, dunklen Augen eilte zu ihr. Ihr Namensschild zeigte, dass sie Aya Garcia hieß. Aya kniete sich neben Carmen, ihre Stimme war weich und beruhigend.
"Alles in Ordnung? Sie haben einen Albtraum gehabt…", sagte sie und legte beruhigend eine Hand auf Carmens Schulter.
Carmen konnte kaum sprechen, ihre Atmung war noch immer unregelmäßig. Aya reichte ihr ein Glas Wasser, das Carmen dankbar entgegennahm und in kleinen Schlücken trank.
"Es ist okay…", sagte Aya leise, ihre Augen strahlten Mitgefühl aus. "Sie sind sicher. Niemand wird Ihnen hier etwas tun."
Aya setzte sich auf den freien Platz neben Carmen, ihre Präsenz strahlte Wärme und Sicherheit aus.
"Wenn Sie möchten, können Sie mir erzählen, was Siegeträumt haben.", bot sie an, ihre Stimme blieb sanft und einfühlsam. "Manchmal hilft es, darüber zu sprechen."
Carmen fühlte sich von Ayas freundlicher Art und ihrer Fürsorge beruhigt. Sie wusste nicht, warum sie sich in der Nähe dieser Frau so sicher fühlte und sie das Bedürfnis überkam, mit dieser hübschen jungen Frau zu sprechen. Also nickte sie schwach, kämpfte mit den Worten, doch es gelang ihr, einige Bruchstücke ihrer Geschichte zu erzählen. Aya hörte geduldig zu, ohne zu unterbrechen, und ihre Augen zeigten tiefes Verständnis.
"Sie sind unglaublich stark," sagte Aya, als Carmen geendet hatte. "Und ich werde hier bei Ihnen bleiben, solange Sie mich brauchen."
Aya blieb bei Carmen, hielt ihre Hand und gab ihr das Gefühl, nicht allein zu sein. Trotz der Schrecken, die sie erlebt hatte, fand Carmen in diesem Moment Trost in der Gesellschaft dieser freundlichen Fremden, die ihr zur Seite stand. Carmen saß benommen und aufgewühlt in ihrem Sitz, ihre Atmung beruhigte sich allmählich, während Aya die ganze Zeit neben ihr blieb, eine beruhigende Präsenz inmitten des Chaos ihrer Gedanken. Sie hob den Kopf und sah die Flugbegleiterin an, ihre Augen nahmen jedes Detail von Ayas Gesicht auf: die sanfte Kurve ihrer Wangenknochen, die tiefen, warmen Augen, die vollendete Form ihrer Lippen. Ayas Schönheit überwältigte Carmen, ein Gefühl der Bewunderung und Anziehung erfasste sie, ungeahnt und tief. Die weiche Stimme von Aya, die beruhigenden Worte, die sie gesprochen hatte, hallten in Carmens Geist wider. In Ayas Anwesenheit fühlte sich Carmen sicher und geborgen. Etwas in ihr regte sich, ein Gefühl, das sie noch nie gespürt hatte, ein tiefes Verlangen nach Nähe und Zuneigung. Ihre Augen trafen die von Aya, und Carmen spürte eine magnetische Anziehungskraft zwischen ihnen, ein unausgesprochenes Verstehen. Aya lächelte, ein warmes, einladendes Lächeln, das Carmen weiter in ihren Bann zog.
"Wie fühlen Sie sich jetzt?", fragte Aya leise, ihre Hand ruhte immer noch beruhigend auf Carmens Schulter.
Carmen schluckte schwer, ihre Stimme war leise, als sie antwortete: "Besser, dank Ihnen. Sie haben mir sehr geholfen."
Ihre Augen durchbohrten die von Aya, und für einen Moment schienen die beiden Frauen die einzige Existenz im Universum zu sein. Ein Gefühl der Dringlichkeit erfasste Carmen. Sie wollte unbedingt mehr über Aya erfahren, wollte diese Verbindung nicht verlieren, die sich in diesen wenigen intensiven Minuten entwickelt hatte.
"Können wir... vielleicht nach der Landung reden?", fragte sie vorsichtig, ihre Stimme zitterte leicht vor Nervosität und Hoffnung.
Aya seufzte leise, und ein Schatten der Enttäuschung zog über ihr Gesicht: "Ich würde es sehr gerne. Aber mein Flugplan ist streng, und ich muss sofort nach dem Landen zurück."
Ihre Worte waren von Bedauern durchzogen, doch sie strich zärtlich über Carmens Hand, ihre Berührungen sanft und voller Wärme.