Die Prophezeiung - Greg Gorden - E-Book

Die Prophezeiung E-Book

Greg Gorden

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Beschreibung

Nachdem die Völker der Welt vierhundert Jahre lang in ihren magischen Festungen dem Eindringen der Dämonen getrotzt haben, öffnen sich nun wieder die Pforten ihrer selbstgewählten Gefängnisse. Doch die Bewohner Barsaives müssen feststellen, dass ihre Welt vollständig verwüstet wurde und ihre alten Feinde immer noch gegenwärtig sind. Es liegt am Zwergenkönigreich von Throal, dem grausamen Theranischen Imperium und den verschlagenen Dämonen die Stirn zu bieten. Der Zauberer Cymric ist eher ein Stümper seines Fachs, doch aus Gier nach Ruhm und Reichtum nimmt er jeden Auftrag an, auch wenn die Fähigkeiten dazu nicht ausreichen. Kaum kam er bei der Befreiung eines Quellgeistes knapp mit dem Leben davon, schließt er sich der schönen Schwertmeisterin Leandra an, die dem Geheimnis ihrer Vergangenheit und der Weissagung ihrer Zukunft nachspürt. Cymric ahnt nicht, dass Leandra und ihren Gefährten ein unaussprechliches Schicksal prophezeit wurde.

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Greg Gorden

Die Prophezeiung

Vierter Roman desEarthdawn™-Zyklus

Feder & SchwertBand 4

Übersetzung: Christian JentzschIllustrationen: Jeff LaubensteinRedaktion & Lektorat: Catherine BeckE-Book-Gestaltung: Nadine Hoffmann

Earthdawn® is a Registered Trademark of FASA Corporation. Barsaive™ is a Trademark of FASA Corporation. Original Earthdawn® content copyright © 1993—2017 FASA Corporation. Earthdawn® and all associated Trademarks used under license from FASA Corporation. All Rights Reserved. © 2019 Deutsche Ausgabe Feder & Schwert GmbH.

Titel und Inhalte dieses Werkes sind urheberrechtlich geschützt.

Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Bearbeitung, Verarbeitung, Verbreitung und Vervielfältigung des Werkes in jedweder Form, insbesondere die Vervielfältigung auf photomechanischem, elektronischem oder ähnlichem Weg, sind nur mit schriftlicher Genehmigung der Feder & Schwert GmbH, Köln, gestattet.

E-Book-ISBN 9783867623827

Inhaltsverzeichnis
1.
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4.
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25:
26.
27.
28.
29.
30.
31.
32.
33.
34.
Epilog

1.

Niemand hat Arbeit für einen Magier mit Löchern in den Schuhen. Cymric hielt kurz inne, um eine raffinierte Illusion zu wirken. Als er sich wieder in Bewegung setzte und den zweiten Hügel zu dem Dorf namens Doppelkinn hinuntermarschierte, glänzten seine Stiefel wie neu. Außerdem hielt er seinen Stab jetzt betont steif, um Eindruck zu schinden. Der Magier ließ die Schultern kreisen und schüttelte die dünnen Arme, bis sich seine Robe auffächerte. Der Wind war zu schwach, um das Kleidungsstück aufzubauschen, aber das Sonnenlicht funkelte hell auf seinen vollen Blautönen. Der junge Magier strich sich das schwarze Haar aus der Stirn. Dann ging er gemessenen Schrittes den staubigen Hang hinunter. Er wollte den Einwohnern Doppelkinns Zeit geben, ihn zu bemerken. Außerdem wollte er sich das Dorf genauer ansehen.

Der Wind kam jetzt aus einer anderen Richtung und mit ihm der Duft von Zimt. Cymric lächelte: Zimtrollen gehörten trotz der Schwierigkeiten, die er in Tuakan mit der Bäckergilde gehabt hatte, zu seinen Lieblingsspeisen. Zimt bedeutete außerdem, dass zumindest einige der Dörfler genug Geld hatten, um sich hin und wieder einen Leckerbissen leisten zu können – ein wichtiger Hinweis, wenn der Magier seine Preise kalkulierte. Cymric zählte die Häuser – fünfundsechzig insgesamt, davon acht aus Ziegeln oder Stein. Zwei der am weitesten außen gelegenen Häuser waren abgebrannt, aber der Rest des Dorfes machte einen guten Eindruck.

Cymrics Lächeln wurde breiter, bis er sich zusammenriss und eine ernstere, magierhaftere Miene aufsetzte. Als er näher kam, sah er drei kleine Mädchen, die auf einem Feld lärmend Fangen spielten. Eines in einem gelben Kittel blickte als Erstes in seine Richtung, dann folgten die anderen beiden dem Blick, bis ihn alle drei anstarrten. Cymric blieb stehen, lehnte sich um der Wirkung willen auf seinen Stab und beschrieb dann ausladende, theatralische Gesten mit der rechten Hand. Vor Aufregung kreischend rannten die Mädchen ins Dorf.

Heute Abend isst du vielleicht gut, Junge, dachte Cymric, und beschleunigte seine Schritte, um den richtigen Zeitpunkt seines Auftritts abzupassen. Just in diesem Augenblick bog eine Frau um die Ecke, die einen vollen Wassereimer trug. Als sie Cymric erblickte, erschrak sie und stolperte, wobei sie genug Wasser verschüttete, um ein lautes Platsch zu verursachen. Dörfler lugten aus den Eingängen ihrer Läden. Offenbar ermutigt durch die Tatsache, dass sie sich im ersten Stock befanden, verfolgten ein paar Cymrics Weg, der ihn zum Brunnen in der Mitte des Dorfes führte. Der Brunnen war mit ordentlichen, grauen Steinen umrandet, und von dem an der Kurbel befestigten Seil hing ein staubiger Eimer herab. Gegenüber der Kurbel stand eine merkwürdige Statue. Sie war aus Rosenquarz gehauen und zeigte ein junges Mädchen. Der linke Arm war ausgestreckt, der rechte lag am Körper an. Die Handflächen waren nach oben gerichtet, als lade sie den Reisenden ein, am Brunnen zu verweilen und zu trinken. Cymric kam es merkwürdig vor, dass die Statue kein Gesicht hatte: Der Kopf war hohl und verengte sich zu einer Röhre, die unten in der Statue verschwand. Er blieb neben der Statue stehen und klopfte zweimal mit dem Stab auf den Boden.

»Liebe Leute, ich bin Cymric! Ich bin ein weitgereister Mann der Magie!« Während er seine Ansprache hielt, wanderte er in großen Kreisen um den Brunnen, wobei er sich zusätzlich noch um sich selbst drehte.

Seine Bewegungen waren geschmeidig und entspannt, sein Stab in der ausgestreckten Hand zeigte schräg nach oben. Gleichzeitig taxierte der Magier jene, die ihn beobachteten. Neben dem Rasthaus stand eine Frau in einem Kristallkettenhemd, die ein Breitschwert in einer mit Schriftzeichen verzierten Lederscheide trug. Cymrics Lächeln gefror ein wenig unter dem Blick ihrer dunklen Augen. Wahrscheinlich war sie eine Adeptin. Möglicherweise eine Schwertmeisterin. Vielleicht die Gesetzeshüterin von Doppelkinn? Sie konnte zum Verhängnis werden.

»Ich bin in das Kaer Irisoi gestiegen und zurückgekehrt«, fuhr er fort. »Ich habe das Rätsel von Chandlers Kreuz gelöst.« Er drehte sich an einem Paar vorbei, bei dem es sich offenbar um den Dorfbäcker und seine Frau handelte. Die beiden waren mittleren Alters und offenbar diszipliniert genug, um von ihren Backwaren nicht fett zu werden. Sie standen mit mehlbefleckten Schürzen da und starrten Cymric mit schlecht verhohlener Erwartung an. Die beiden würden kein Problem darstellen.

»Meine Flammen haben Trolle verjagt, und mein Wille hat Geister gebrochen. Ich habe Zauber gelernt, nach denen man selbst in den Hallen Throals trachtet«, erzählte Cymric. Er tänzelte an einem Hufschmied vorbei. Die Arme des Hufschmieds waren vor der Brust verschränkt, und seine Augen folgten jeder von Cymrics Bewegungen. Er folgte dem Magier, vielleicht um seine Worte besser verstehen zu können. Der Hufschmied würde ihm Schwierigkeiten bereiten.

»Ich habe mit den Geistern geredet. Die Geister haben mir gesagt, die lieben Leute Doppelkinns hätten Sorgen«, fuhr Cymric fort. Er wurde ein wenig langsamer, da er einen Astralfaden für einen Zauber webte. Ein Mann in einem rot gefärbten Leinenkimono, der denjenigen der Zwergenhändler von Throal nachempfunden war, trat in Cymrics Gesichtsfeld. Die Silberfäden, mit denen der Kimono bestickt war, sahen echt aus, aber die Muster waren keine Runen, die von den Taten der Familie kündeten, sondern blanker Unsinn. Das Duftwasser des Mannes war nach Zwergenart würzig und viel zu großzügig auf die feisten Wangen aufgetragen. Er atmete schwer und schwitzte, wahrscheinlich eine Folge der paar Schritte, die er hatte zurücklegen müssen, um zum Brunnen zu kommen. Dieser Mann würde zu einer Goldmine werden.

»Also bitte ich die Geister um ein Zeichen. Zeigt es mir, ihr Geister! Zeigt mir, wer die Nöte am besten versteht, damit ich erfahre, welche Dienste von Cymric dem Magier verlangt werden!« In Cymrics Miene spiegelte die Anstrengung nicht wider, die ihn sein Geschwätz neben dem Wirken des Zaubers kostete. Er verband den Faden mit der magischen Struktur des Zaubers und wirkte eine Flamme, die der Spitze seines Stabes entsprang und auf den feisten Mann zuschoss. Das Feuer kam diesem so nahe, dass er zurückstolperte. Sein Mund war in stummem Protest geöffnet und arbeitete. Die versammelten Dörfler keuchten bestürzt. Verdammt!, dachte Cymric. Die Flamme hätte den Mann beinahe verbrannt und sah außerdem keineswegs wie ein Luftgeist aus. Er ging dem feisten Mann einen großen Schritt entgegen und klopfte mit dem Stab zweimal auf den Boden.

»Also seid Ihr es, den die Geister erwählt haben. Ich hoffe nur, dass ihre Wahl richtig war. Ihr seid...?«, fragte er gedehnt.

Der Mann watschelte vorwärts, wobei sein Kimono auf das Wackeln darunter reagierte. »Ich bin Drofin«, sagte er, »Bürgermeister von Doppelkinn und Glashändler.« Cymric lächelte und kniff die Lider zusammen, in der Hoffnung, eine Miene aufzusetzen, die nur ein klein wenig Anerkennung und ein Minimum an Respekt übermittelte. Als Reaktion darauf straffte Drofin die Schultern und gab sich alle Mühe, augenblicklich drei Zoll zu wachsen. Cymrics Mundwinkel zuckten, da er sich das Lachen verbiss.

»Bürgermeister Drofin, wenn Ihr so freundlich seid und mir Euer Problem in allen Einzelheiten schildert, bin ich bereit, meine Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen«, sagte Cymric.

»Haben Euch Eure Geister nicht unterrichtet?«, fragte der Hufschmied. Cymric wandte den Kopf und sah, dass der Hufschmied jetzt langsam zum Bürgermeister hinüberschlenderte. Der Bürgermeister bedachte den Hufschmied mit einem Seitenblick, dann wandte er sich wieder Cymric zu.

»Drofin, du bist ja mächtig beeindruckt von diesem Magier, in dessen Gewand sich so viel Blau und in dessen Haar sich so wenig Weiß findet«, sagte der Hufschmied. Als Cymric sich dem Hufschmied zuwandte, gesellten sich die Bäckersleute ebenfalls zum Bürgermeister. Dann trafen vier weitere Dörfler ein, Bauern, die offenbar geradewegs von ihren Feldern gekommen waren, und schlenderten ebenfalls zur Gruppe des Bürgermeisters. Die Schwertfrau blieb jedoch, wo sie war. Gut, dachte Cymric. Ich nehme jede Hilfe an, die ich kriegen kann.

»Ich meine, wir müssen wissen, was für ein Magier er ist«, sagte ein Bauer. Ein anderer nickte. Der Bürgermeister sah das Nicken und plusterte sich zu voller Größe auf.

»Ja... äh... Cymric, uns sind Geschichten über einen Zauberkundigen in Havel zu Ohren gekommen, der... äh... ein gemeines Verbrechen begangen hat...«, sagte der Bürgermeister.

»Hat einem Mann die Knochen verbrannt, ohne seine Haut anzutasten, und dann den beiden Brüdern des Mannes dasselbe angetan«, erläuterte der Bauer. Cymric blinzelte. Er hatte lange überlegt, ob er den Fluss überqueren und sein Glück in Havel versuchen sollte. Jetzt konnte er sich vorstellen, welchen Empfang man ihm dort bereitet hätte.

»Nein, Freund, davon weiß ich nichts«, sagte Cymric. Er warf einen raschen Blick auf die Bäckersleute. Sie trugen keine Gildenabzeichen. »Ich war zuletzt in Tuakan«, sagte er.

»Oh! Tuakan hat viele Meisterbäcker«, sagte der Bäcker. »Ich selbst habe mein Handwerk unter Hensworth gelernt. Habt Ihr von ihm gehört?«

Ja, ich habe ihn sogar laut und deutlich gehört, als er meine Festnahme forderte. Unglücklicherweise war ich da schon halb aus dem Fenster und habe nicht alles mitbekommen, was er gesagt hat, dachte Cymric.

»Nein, Bäcker, ich weiß nichts über ihn. Aber da ist mir gewiss etwas entgangen, insbesondere wenn seine Werke auch nur halb so köstlich duften wie Eure«, sagte Cymric. Zumindest war das Kompliment aufrichtig gemeint. Die Essenszeit rückte immer näher. Der Bäcker strahlte und versetzte seiner Frau einen zärtlichen Rippenstoß.

»Zurück zum Problem«, hakte Cymric nach.

»Meine Not«, sagte der Hufschmied, »ist die Tatsache, dass Magier für ihr salbungsvolles Gerede und ihre protzigen Zauber bekannt sind. Sie entlocken allen Ohs und Ahs und bringen sie dann dazu, ihnen ihr Silber nachzuwerfen.« Der Hufschmied verschränkte die Arme, und Cymric sah, dass der linke Unterarm des Mannes haarlos war, höchstwahrscheinlich infolge eines noch nicht lange zurückliegenden Unfalls mit Feuer. »Mein lieber junger Magier, ich will Euch nicht zu nahe treten, aber mir kommt es so vor, als würden die Zauberkundigen mit ihren Zaubern nur so um sich werfen. Sie brauchen gar nicht zu wissen, wo das Problem liegt oder ob Zauber die Lösung sind. Sie tun es einfach. Zauber sind kein Ersatz für einen klaren Kopf und einen scharfen Blick.« Der Bürgermeister und die Bäckersleute wirkten unsicher. Zwei der Bauern schienen sich in sturer Übereinstimmung mit dem Hufschmied zu befinden, der aus ihren Mienen neue Zuversicht und größere Lautstärke gewann.

»Also, Magier, bevor Ihr Euren Beutel mit unserem Silber füllt, sähen wir gern einen Beweis dafür, dass Ihr auch noch etwas anderes könnt als singen und prahlen«, erklärte der Hufschmied.

Cymrics Miene verzog sich zu einer Maske der Verärgerung, um dann langsam wieder einen gelassenen Ausdruck anzunehmen. Der Schmied wollte einen Beweis für seinen klaren Kopf und seinen Scharfblick, eine Herausforderung, die Cymrics Magiergeschwätz so sicher seiner Wirkung beraubt hatte, wie sein Hammer eine fehlerhafte Klinge zerschmettern würde. Cymrics Blick wanderte rasch über die Gesichter der Bauern, der Bäckersleute, des Bürgermeisters und des Hufschmieds. Die Bäckersleute und der Bürgermeister konnten vielleicht überzeugt werden, aber der Handel würde mit dem Schmied und den anderen ausdiskutiert werden müssen. Verdammt, dachte Cymric, und dabei war ich einer anständigen Mahlzeit schon so nahe, dass ich sie fast auf der Zunge spürte.

Dann fiel ihm die Lösung so plötzlich ein, dass er lachen musste. Das laute Geräusch erschreckte alle außer dem Hufschmied, der nur ganz leicht zusammenzuckte. Andererseits handelte es sich bei dem Zucken vielleicht auch nur um Wunschdenken seitens Cymric.

»Hufschmied«, sagte er mit neugewonnener Fassung, »ich muss mich einer gelegentlichen Zerstreutheit schuldig bekennen. Diese Gefahr besteht, wenn man den Kopf voller Zauber und mystischer Dinge hat.« Er nahm seine Drehbewegung wieder auf, wobei er den Stab über den Kopf hielt.

»Mit meinem Scharfblick ist alles in Ordnung«, fuhr Cymric fort. Er unterbrach seine Drehungen, nahm den Stab in die rechte Hand und zeigte in die Richtung, aus der er gekommen war. »Und mein Kopf ist auch noch klar. Als ich in euer Dorf kam, habe ich eine Frau erschreckt, die Wasser trug und daraufhin einen Teil verschüttete.« Dann schwang er den Stab, bis dieser mit einem zufriedenstellenden, dumpfen Laut gegen den Eimer des Brunnens schlug.

»Der Eimer dieses Brunnens ist trocken. Dass die Essenszeit nahe ist und niemand Wasser aus dem Brunnen schöpft, bestätigt nur meine Schlussfolgerung, dass euer Brunnen ausgetrocknet ist«, sagte Cymric. Jetzt tippte er sich mit dem Stab sanft an die Stirn.

»Alles das war mir klar. Ich muss mich dafür entschuldigen, dass ich mich dem Bürgermeister gegenüber so unklar ausgedrückt habe«, fuhr Cymric fort, während er dem Bürgermeister zunickte und ihn anlächelte. Bürgermeister Drofin strahlte. »Ich wollte nach Einzelheiten hinsichtlich des Brunnens fragen. Wie lange ist er schon ausgetrocknet? Welche Umstände begleiteten das Austrocknen?«

»Ein Zauberer hat den Brunnen verflucht«, sagte die Bäckersfrau.

»Oder er wird von einem Dämon bewohnt«, sagte der Bäcker.

»Eindeutig eine Tat perfiden... äh... übernatürlichen Ursprungs«, warf der Bürgermeister ein.

»Der Brunnen ist vor zwei Tagen versiegt. Als ich vorgestern Nachmittag den Eimer hinunterließ, war der Grund völlig ausgetrocknet«, erklärte der Hufschmied.

Cymric dachte ein paar Sekunden lang darüber nach, dann sagte er: »Ich glaube, der Bürgermeister hat recht. Dieses Problem ist übernatürlichen Ursprungs. Der Hufschmied hat den Beweis geliefert, dass der Brunnen unnatürlich schnell ausgetrocknet ist.« Cymric wandte sich von den Dörflern ab. Er schaute in den Brunnen, hob einen Kieselstein auf und warf ihn hinein. Der Stein schlug mit einem deutlich hörbaren Klacken auf dem Grund des Brunnens auf. Dann wandte sich Cymric an die Bäckersleute.

»Ich glaube nicht, dass euer Brunnen von einem Dämon verseucht ist. Ich bin kein Fachmann für Plagenkunde, aber die Legende legt nahe, dass ein Brunnen benutzbar ist, wenn ein Dämon ihn bewohnt.« Der Bäcker wirkte zugleich enttäuscht und erleichtert.

»Ein Fluch ist am wahrscheinlichsten. Ich habe keine spezielle Abhilfe gegen Flüche, aber Flüche sind magischer Natur. Und ich kann feindliche Magie neutralisieren«, erklärte Cymric. Er behielt das Wissen für sich, dass seine Fähigkeiten einen starken Fluch nur vorübergehend aufheben konnten. Häng deine Schwächen nicht an die große Glocke, bevor der Handel abgeschlossen ist.

»Ihr solltet etwas über diesen Brunnen wissen«, sagte der Bürgermeister. »Mein Großvater war ein Zauberkundiger, ein Elementarist, der eine Wassernixe bewogen hat, in unserem Brunnen zu leben. Er versprach ihr einen sicheren Zufluchtsort vor einigen Gefahren des Flusses als Gegenleistung dafür, dass sie unser Wasser rein hielt.«

Um seine Vermutung zu bestätigen, fragte Cymric: »Benutzt sie die Statue, um mit euch zu reden?« Der Bürgermeister nickte nachdrücklich.

»Manchmal bittet sie uns um etwas, um Löwenzahn oder Butterblumen, solche Dinge. Wir haben ihr auch immer kleine Leckerbissen wie frische Beeren oder Kilm gebracht. An Feiertagen lässt sie dafür den Brunnen für unsere Abendtänze singen«, sagte der Bürgermeister.

»Wie heißt sie?«, fragte Cymric. Der Bürgermeister sah der Reihe nach die Bauern, die Bäckersleute und schließlich den Hufschmied an. Er holte tief Luft, doch der Hufschmied kam ihm zuvor.

»Das wissen wir nicht. Phraetun hat uns erzählt, die Nixe werde den Brunnen augenblicklich verlassen, wenn jemand versucht, ihren Namen in Erfahrung zu bringen«, sagte der Hufschmied.

Cymric nickte. Vielleicht war jemand aus dem Dorf ein angehender Zauberer, der versucht hatte, den Namen der Nixe in Erfahrung zu bringen, um Gewalt über sie zu erlangen. Die Nixe konnte den Brunnen daraufhin verstimmt verlassen und ihn als Vergeltung ausgetrocknet haben. Oder es handelte sich tatsächlich um einen Fluch. Um das herauszufinden, müsste er sich an die Arbeit machen. Doch zuvor war noch ein wichtiger Punkt zu klären.

»Was mein Honorar betrifft«, sagte Cymric, »so berechne ich gewöhnlich dreihundert Silberstücke für die Aufhebung eines Fluchs.« Cymric blieb ungerührt, während sich auf der Miene des Bürgermeisters Bestürzung abzeichnete und sein rechter Arm zuckte wie ein Fisch auf dem Trockenen, da sich dessen Gedanken offenbar überschlugen.

»Ich kann einfach nicht... Das heißt, wir dürfen einfach nicht zulassen... Will meinen...«, stammelte der Bürgermeister. Die Bäckersfrau trat zu ihm, nahm seinen rechten Arm und klemmte ihn mehr oder weniger zwischen ihrer und seiner Hüfte fest. Dann trat der Hufschmied vor Drofin, woraufhin dieser verstummte.

»Geht mit Eurem Preis herunter, Magier. Wir können unser Wasser immer noch aus dem Fluss holen«, sagte der Hufschmied.

»Ja, das könnt ihr. Heute. Doch was immer diesen Brunnen verflucht hat, ist mit diesem Dorf vielleicht noch nicht fertig. Es könnte sich immer noch im Brunnen verstecken«, sagte Cymric. Die Bäckersfrau sah ihn direkt an. Ihr Blick war wachsam, doch nicht einschüchternd.

»Ihr sagtet doch, dass sich kein Dämon in unserem Brunnen befindet«, sagte sie.

»Ich sagte, ich bezweifle, dass ein Dämon in diesem Brunnen wohnt. Es gibt mehr Wesen auf dieser Welt als nur die Dämonen.«

»Welche Garantien könnt Ihr uns geben, dass Eure Abhilfe wirkt?«, fragte der Hufschmied.

»Schmied, die Spruchzauberei ist eine unsichere Kunst«, sagte Cymric.

»Eine unsichere Kunst, die sichere Münze verlangt«, schnaubte der Hufschmied.

Cymric klemmte seinen Stab in die Beuge des angewinkelten linken Armes. Er benutzte beide Hände, um die Falten vorn an seiner Robe zu glätten. Er zog erst den einen Ärmel gerade, dann den anderen, bis die Manschetten richtig saßen. Der Magier musterte die Dörfler. Der Bürgermeister und einer der Bauern sahen nervös aus. Der Bäcker blinzelte zu oft, ein Zeichen der Unentschlossenheit. Nur der Hufschmied wirkte ruhig und entschlossen, einen besseren Handel auszufeilschen. Cymric beschloss, sich auf keine weitere Diskussion einzulassen.

»Liebe Leute, die Sache ist ganz einfach. Entweder ihr bezahlt mich dafür, in euren Brunnen zu steigen und die damit verbundenen Risiken einzugehen. Oder ihr spart euer Silber und versucht euer Glück selbst.« Die Dörfler steckten die Köpfe zusammen. Cymric gestattete sich ein dünnes Lächeln, da er sich des Ausgangs ihrer aufgeregten Besprechung gewiss war. Heute Abend konnte er wieder zu leben anfangen. Wenn er vorsichtig war, würde er fünf oder sechs Wochen lang keine Geldsorgen haben. Er setzte seine offenste Miene auf, während ihm der Gedanke kam, dass die Nervosität des Bürgermeisters angesichts der von Cymric verlangten Summe übertrieben war.

»Wir können Euch vierundzwanzigeinhalb Silberstücke anbieten. Das meiste davon in Kupfer«, sagte der Bürgermeister. Cymrics Miene erstarrte in einem Gemisch verschiedener Gefühlsregungen, bis ihm klar wurde, dass er einen höchst unmagierhaften Anblick bieten musste. Er öffnete den Mund, doch seine Gedanken bewegten sich schneller als seine Zunge, und so schloss er ihn wieder.

»Vor etwas über zwei Wochen sind wir von einer Bande Oger heimgesucht worden. Sie verlangten Gold. Wir weigerten uns«, sagte der Hufschmied.

»Dann haben sie die Häuser von Jenkins und der alten Chula niedergebrannt. Chula ist in ihrem Haus gestorben«, sagte die Bäckersfrau.

»Sie verlangten noch einmal Geld. Wir zahlten... was wir konnten«, sagte der Bürgermeister. »Der Handelsverkehr zwischen Tuakan und Marrek ist um diese Jahreszeit gering. Also sind unsere Truhen leer...«

»Also habt ihr das Geld nicht«, sagte Cymric. Die Dörfler nickten einträchtig. Phantastisch, dachte Cymric. Und was nun, du ach, so teurer, aber hungriger Magier? Der Bäcker trat vor.

»Luwen hat sich bereit erklärt, Euch kostenlos im Grünen Haus wohnen zu lassen«, sagte der Bäcker, während er auf das Rasthaus zeigte, »bis der Handelsverkehr wieder zunimmt.« Er nickte der Bäckersfrau zu. »Gerl und ich haben gerade angefangen, unsere Spezialitäten zu backen, die wir den Handelsreisenden verkaufen. Wir geben Euch jeden Tag das Beste davon, bis die Händler kommen.«

Während Cymric das Angebot in Gedanken abwog, knurrte sein Magen eine wichtige Anmerkung. Er straffte sich, setzte sein breitestes Lächeln auf und sagte: »Es soll niemals heißen, Cymric der Magier wüsste Gastfreundschaft nicht ebenso sehr zu schätzen wie Gold. Abgemacht, liebe Leute, abgemacht. Und jetzt zu diesem Brunnen.«

Er drehte sich zu dem Brunnen um und ließ seinen ausgestreckten Stab ein paarmal über der Öffnung kreisen, während er vier mystische Worte sprach. Er war natürlich der einzige, der wusste, dass die Worte in diesem Zusammenhang keine Bedeutung hatten. Als Nächstes lugte er in den Schacht und murmelte gelegentlich das eine oder andere Wort vor sich hin. Schließlich warf er einen Blick auf die Sonne, wobei er seinen Stab benutzte, um ihren Stand zu schätzen. Das gehörte alles zur Schau, Theatralik, um etwaige Zuschauer davon zu überzeugen, dass er ein kenntnisreicher Magier war. Außerdem verschaffte es ihm Zeit, um nachzudenken.

Hätte das Problem darin bestanden, dass die Nixe einfach verschwunden war, hätte sich noch Wasser in dem Brunnen befunden. Als er jedoch sah, dass der Brunnen vollständig ausgetrocknet war, wusste Cymric, dass ein Zauber oder Fluch die wahrscheinlichste Ursache war. Und der wahrscheinlichste Urheber war die Nixe selbst – vielleicht war sie über die Dörfler verärgert. Cymric konnte den Fluch oder Zauber aufheben, wenngleich wahrscheinlich nicht dauerhaft, aber der einzige Weg, eine dauerhafte Abhilfe zu schaffen, bestünde darin, mit der Nixe zu reden und sie davon zu überzeugen, den Dörflern ihre Gunst wieder zu schenken. Dann würde Cymrics Reputation wachsen, zumindest ein paar Dörfer weit im Umkreis Doppelkinns. Er traf seine Entscheidung.

»Bürgermeister Drofin, ich benötige einen persönlichen Gegenstand Eures Großvaters. Am besten wäre einer, den er benutzt hat, als er an einem seiner Zauber arbeitete«, erklärte Cymric. Der Kopf des Bürgermeisters bewegte sich zustimmend auf und ab, dann verschwand er, so rasch es ihm sein Entengang gestattete. Cymric prüfte das Seil, das an dem Eimer befestigt war. Offenbar war es stark genug, um einen vollen Eimer herauf zu hieven, doch zu schwach, um einen Magier zu tragen.

»Schmied, holt ein Seil. Wenn ich in den Brunnen steige, haltet Ihr das andere Ende. Ich ziehe einmal für ›nicht weiter herunterlassen‹ und zweimal für ›schnell heraufziehen‹«, sagte Cymric. Der Hufschmied grunzte und ging los, um das Seil zu holen.

Cymric nutzte die Pause, um einen echten Zauber zu wirken, einen Zauber, der sein Gefühl für Veränderungen auf der Astralebene verstärkte. Die Magie des Brunnens würde gewiss einen Fluss in der Astralebene bewirken, und Cymric hoffte, seine Astralsicht einsetzen zu können, um eine bessere Vorstellung davon zu bekommen, mit welchem Zauber oder Fluch er es zu tun hatte. Noch einmal streckte er seine geistigen Fühler in den Astralraum aus, verwob die Fäden seines Zaubers und füllte und stärkte die magische Struktur, die er auswendig kannte. Der Zauber floss um ihn, dann durch ihn. Seine Sehfähigkeit war jetzt mit dem Zauber verknüpft, und Cymric wartete ein wenig, damit sich seine Astralsinne auf den Fluss am Grund des Brunnens einstellen konnten.

Doch es gab keinen Fluss. Keine Bilder, keine Störungen, nicht einmal die schwachen, orangebraunen, schnörkeligen Fasern, die mit lebendiger Erde verbunden waren. Nur Schwärze, unnatürliche Schwärze. Jemand oder etwas befand sich im Brunnen, doch dieses Etwas wusste sich dagegen zu schützen, von der Astralsicht wahrgenommen zu werden. Dort unten ist etwas, das nicht gesehen werden will, dem es jedoch gleichgültig ist, ob ich weiß, dass es dort unten ist, dachte Cymric. Nicht das, was man von einem Fluch erwartete. Was befand sich also dort unten?

Vierundzwanzigeinhalb Silberstücke kamen ihm jetzt viel weniger verlockend vor. Cymric spähte immer noch in den Brunnen, als ihm der Hufschmied auf die Schulter klopfte und ihm das eine Ende eines dicken Seils hinhielt.

2.

Cymric sank tiefer in den Schacht, und der Querträger über der Öffnung quietschte laut, als seine Beine gegen das Gestein der Brunnenwandung stießen. Seine Füße zermalmten die trockenen Ablagerungen zu Staub, die sich in den Fugen verbargen oder an den schrofferen Stellen des Gesteins hingen. Der Hufschmied ließ ihn stetig hinunter.

Der Brunnen war vielleicht zwanzig Schritte tief, viel tiefer, als er von oben aus gesehen hatte. Die tiefstehende Nachmittagssonne ließ den mittleren Abschnitt im Schatten und den Grund vollständig im Dunkeln. An einem Knoten etwa zwei Ellen über Cymrics Kopf hing eine geborgte Laterne, deren Licht gerade ausreichte, um einen plumpen Schatten von Cymric auf das tieferliegende Gestein zu werfen. Schließlich sah Cymric den Grund. Etwa sechs oder sieben Ellen oberhalb des Grundes sah er einen Ring aus grünlichen Steinen in der Wandung, von denen jeder die Größe seiner Handfläche besaß. Nach einem besonders beunruhigenden Kreischen des Trägers landete Cymric etwas unsanfter auf dem Grund als ihm lieb war.

Er überprüfte den Inhalt des Beutels an seiner Hüfte. Bürgermeister Drofin hatte ihm eine Feder seines Großvaters und eine Phiole mit Tinte gegeben. Cymric rechnete nicht damit, dass die Feder bei seinen verschiedenen Kontakten mit der Schachtwandung Schaden genommen hatte, aber die Phiole bestand aus sehr dünnem Glas. Er lächelte, als er sah, dass die Phiole heil aussah, dann machte er sich daran, den Brunnen zu erforschen.

Als Cymric feststellte, dass ihm das Seil nicht genug Bewegungsfreiheit ließ, wollte er schon daran ziehen, um mehr Spiel zu bekommen, überlegte es sich dann aber anders. Sie hatten einmal ziehen für ›nicht weiter hinunterlassen und zweimal ziehen für ›schnell herauf‹ abgemacht, jedoch keine Vorsorge für weitere Signale getroffen. Cymric schüttelte bedauernd den Kopf. Es musste am Hunger und an der Erschöpfung liegen.

»Schmied, gebt mir fünf Ellen mehr Seil!«, rief er. Nach einer kurzen Pause lockerte sich das Seil so weit, dass Cymric sich hinknien und den Grund des Brunnens untersuchen konnte, dessen Oberfläche rau und mit Kalkablagerungen bedeckt war. Er erhob sich, schlug mit seinem Stab einige der Ablagerungen ab und kniete sich dann wieder hin. Der pulvrige Staub bewirkte, dass er niesen musste, aber er konnte den glänzenden Fleck sehen, den er soeben freigelegt hatte. Der Stein war nass. Cymric streckte die Hand aus, um ihn zu berühren, und erstarrte mitten in der Bewegung, als das Wasser von dem Stein herunterfloss und versickerte.

Cymric holte tief Luft und richtete sich langsam auf. Er nahm seinen Stab in beide Hände, lehnte die Stirn dagegen und dachte nach. Das alles sah nicht nach einem Fluch aus. Und wenn es doch ein Fluch war, dann war er raffinierter als jeder Fluch, dem Cymric je begegnet war. Dennoch war es nicht ausgeschlossen, dass eine rachsüchtige Nixe den Brunnen ausgetrocknet hatte, aber was es auch war, es hatte nicht wütend auf Cymrics Proben reagiert. Mal sehen, wie dieses Ding auf eine echte Herausforderung reagiert, dachte er.

Cymric hob seinen Stab vom Boden auf, und sein Verstand widmete sich einer alten Struktur, einer vertrauten Struktur. Er wob rasch einen astralen Faden, einen Faden, den er in einem vollen, beruhigenden Grün sah. Die Farbe entsprach dem Grün des Waldes in seiner Heimat an jenem frühen Morgen, als er diesen Zauber zum ersten Mal gewirkt hatte. Der Faden glitt mühelos in die Struktur und vervollständigte sie. Cymric entließ die Struktur aus seinem geistigen Griff und wirkte damit den Zauber, um Magie zu neutralisieren.

Vier Herzschläge später konnte Cymric wieder atmen. Nichts. Er wirkte den Zauber noch einmal, diesmal mit mehr Energie. Er strengte sich an, um seine Wahrnehmung auszudehnen, damit sie sich wieder auf den Astralraum erstreckte. Er versuchte den Faden so einzuweben, dass die Symmetrie der Struktur aus allen Blickwinkeln gewahrt blieb. Mit einem lauten Ausatmen setzte er den Zauber frei.

Im nächsten Augenblick verlor Cymric den Boden unter den Füßen und wurde gegen die Schachtwandung geschleudert, um mit noch größerer Wucht von ihr abzuprallen. Die Luft wurde ihm aus den Lungen gepresst, und er konnte nur noch ein ersticktes Wimmern ausstoßen, als er gegen die andere Seite schlug. Sein Handgelenk verbog sich schmerzhaft beim Zusammenprall mit dem kalten Stein, und auch sein Gesicht bekam einiges ab. Schwer angeschlagen hielt Cymric mit Hilfe seines Stabes mühsam das Gleichgewicht. Als er nach unten schaute, hielt er den Atem an.

Der klare Fleck auf dem Grund sprudelte, eine kleine Quelle, aus der sich Wasser auf den ausgetrockneten Boden ergoss, dann versiegte die Quelle plötzlich, und das Wasser versickerte. Diesmal hatte Cymric keinen Zweifel. Das Wasser verschwand zu schnell. Es war, als würde es von etwas aufgesogen.

Vielleicht wurde die Nixe von einem mächtigen Bann gefangen gehalten? Oder von einer Wesenheit? Cymrics Zauber hatte nicht ausgereicht, um der Magie entgegenzuwirken, aber er hatte einen Gegenangriff herausgefordert. Sein Zauber mochte den Bann geschwächt haben, oder vielleicht war die Aufmerksamkeit der Wesenheit abgelenkt worden, als sie den Gegenangriff ausgeführt hatte. Die Nixe, falls sie gefangen gehalten wurde, hatte möglicherweise die Gelegenheit zur Befreiung wahrgenommen, was das sprudelnde Wasser erklären würde. Das passte zusammen.

Für Cymric legte dies außerdem eine Handlungsweise nahe. Lerne; und vor allen Dingen lerne, wie man Wissen in Macht umsetzt. Dieser Aphorismus war eine der wenigen Richtlinien, die Cymric in der Gilde gelernt und auch befolgt hatte. Er beschloss, mit dem Steinring in Kopfhöhe zu beginnen und so viel wie möglich über ihn in Erfahrung zu bringen. Der Ring aus Steinen war das ungewöhnlichste Merkmal der Brunnenwandung. Er musste möglichst viel über die Geschichte des Brunnens und die Nixe in Erfahrung bringen und dieses Wissen in seinen Zauber einarbeiten. Mit dieser zusätzlichen Energie mochte sein Zauber der Nixe eine bessere Gelegenheit geben, sich zu befreien.

»Hallo, Magier!« Die Stimme des Hufschmieds erschreckte Cymric. Als er aufschaute, sah er die breitschultrige Gestalt des Hufschmieds, der sich über den Brunnenrand beugte.

»Wie geht es dort unten?«, rief der Hufschmied herunter. »Das klang gerade ziemlich übel.«

»Ganz gut!«, rief Cymric zurück. »Ich glaube, eure Nixe wird gefangen gehalten. Ich arbeite daran, sie zu befreien.«

»Luwen lässt fragen, wie lange es noch dauern wird. Weil bald Essenszeit ist«, sagte der Hufschmied.

Cymric richtete den Blick nach unten auf die Kalkablagerungen, um seine Verärgerung zu verbergen. Diese ungehobelten Dörfler, für die zu arbeiten er gezwungen war, begriffen nur selten die Feinheiten der Spruchzauberei. Sie gingen davon aus, dass die Ausübung der Magie leichter als Ackerbau war. Cymric bemühte sich um eine ausdruckslose Miene und sagte: »Die Zauberei ist eine komplizierte Angelegenheit. Man kann weder mit Sicherheit sagen, was nötig ist, noch wann eine Arbeit beendet ist.«

Cymric sah die Silhouette die Hände heben. »Immer mit der Ruhe, Magier, immer mit der Ruhe! Luwen fragt nur, weil er glaubt, Ihr wollt eine heiße Mahlzeit. Das Essen kann schließlich nicht ewig kochen.«

Cymric schloss die Augen und erteilte sich einen stummen Verweis, dann sagte er: »Sagt Luwen, es kann noch eine Weile dauern. Ich wäre dankbar für eine warme Mahlzeit, und es macht mir nichts aus, darauf zu warten, nachdem ich hier fertig bin.«

»Wollt Ihr Hammel oder Schwein?«, fragte der Hufschmied.

Cymric wurde von einem plötzlichen Gurgeln von Wasser abgelenkt. Er schaute nach unten und sah einen Wasserschwall gegen den Stein klatschen, der sofort wieder aufgesogen wurde. Es sah aus, als kämpfe die Nixe. Cymric merkte plötzlich, dass er die Frage des Hufschmieds noch nicht beantwortet hatte.

»Was würdet Ihr mir empfehlen?«, fragte er, hatte sich jedoch bereits hingekniet, um den Kalk zu untersuchen. Nicht einmal feucht.

»Das Schwein ist zarter, aber Luwen macht eine herrliche Sauce zu Hammel. Mir schmeckt der Hammel«, sagte der Hufschmied.

»Gut. Dann also Hammel. Und richtet Luwen meinen Dank aus«, rief Cymric.

Der Hufschmied grunzte, dann verschwand die Silhouette aus der Brunnenöffnung. Cymric glaubte, ihn sagen zu hören: »Hier, Frau. Nimm das.« Nein, nein, dachte Cymric. Ich meinte doch nicht, dass er es ihm sofort ausrichten soll!

»Schmied?«, rief Cymric. Eine neue Silhouette beugte sich über den Brunnenschacht.

»Nicht mehr da, aber er kommt gleich zurück«, sagte der Schatten mit einer Frauenstimme. Cymric schwieg und schaute nur sprachlos und überrascht nach oben. Der Schatten lachte.

»Keine Sorge, Magier. Ich kann Euch so schnell heraufziehen, dass Eure mageren Beine nicht mitkommen. Zweimal ziehen, richtig?« Cymric nickte übertrieben nachdrücklich. Der Schatten entfernte sich von der Öffnung.

Cymric richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den grünen Steinring. Eine genauere Untersuchung erbrachte, dass der Stein tatsächlich weiß und nur mit einer Algenschicht bedeckt war. Cymric nahm das Seil und rieb damit eine Stelle des Steins sauber. Das Reiben hinterließ eine grüne Schmiere, doch Cymric hatte genug von der Algenschicht entfernt, um Schriftzeichen auf dem Stein zu erkennen. Er bewegte sich langsam und methodisch nach rechts und reinigte dabei auch die anderen Steine. Die Zeichen wiesen eine gewisse Ähnlichkeit mit der Gelehrtenschrift der Zwerge auf, waren jedoch flüssiger: Harte Ecken und Kanten waren abgerundet wie ein vom Wasser polierter Kiesel. Handelte es sich bei dieser Schrift um eine Kombination aus den Buchstaben, die der alte Elementarist des Dorfes benutzt hatte, und der Sprache der Nixe?

Die Schriftzeichen waren nicht sehr tief in den Stein geritzt und wegen der Algen und dem eher trüben Laternenlicht schwer zu lesen. Cymric blinzelte und rieb sich die Augen. Wenn die Schrift magisch war, hatte sie wahrscheinlich eine astrale Komponente, die leichter zu lesen wäre. Er wirkte noch einmal den Zauber, der seine Wahrnehmung im Astralraum verstärkte, und wartete dann mit erwartungsvoll gespitzten Lippen. Er sah immer noch nicht mehr als die Schwärze, in die er vom Brunnenrand geblickt hatte. Aber er hatte eine andere Idee, die Erfolg versprach.

Er öffnete die Tintenphiole und trug dann die Tinte auf die eingeritzten Buchstaben auf, indem er das gefiederte Ende der Schreibfeder als groben Pinsel benutzte. Von der Tinte geschwärzt, traten die Buchstaben jetzt deutlich hervor. Zu seiner Überraschung hörte Cymric ein leises Zischen von den Steinen und sah, dass die Tinte die Buchstaben tiefer in den Stein ätzte. Diese Tinte muss Phraetun für seinen Zauber benutzt haben, dachte Cymric. Sie folgte dem Verlauf der Magie.

Zwar waren die Buchstaben jetzt deutlich zu erkennen, aber sie ergaben immer noch keinen Sinn, obwohl sie ganz offenbar Worte bildeten. Cymric entzifferte dreimal das Wort ›Phraetun‹, aber den Rest konnte er nicht lesen, weil die Buchstaben keiner Sprache angehörten, die er kannte. Mit ausreichend Zeit würde der Magier sie übersetzen können, aber so viel Zeit hatte er nicht. Cymric setzte sich.

Was wusste er bisher? Phraetun und die Nixe hatten eine Abmachung getroffen: Der Elementarist würde die Nixe vor den Gefahren des Flusses schützen, und dafür würde sie für reines Wasser sorgen. Wenn jemand den Namen der Nixe erfuhr, würde sie den Brunnen verlassen. Jetzt wurde die Nixe von irgendeiner Magieform gefangen gehalten. Vielleicht war ihr Name das Wissen, das ihm noch fehlte, um die Nixe befreien zu können.

Die Erfahrung legte nahe, dass der Steinring eine schriftliche Niederlegung der Abmachung zwischen Phraetun und der Nixe war, ihre Kopie des Vertrages. Oder sogar der Vertrag selbst. Wenn das stimmte, musste ihr Name in diesem Vertrag auftauchen. Nach allem, was Cymric über normale Gildenverträge wusste, wurden tatsächlich alle Vertragspartner gleich oft erwähnt. Natürlich konnten Nixenverträge von der Normalität abweichen, aber irgendwo musste er ja schließlich ansetzen.

Cymric las die Inschrift sehr sorgfältig und versuchte jene Worte zu finden, die nur dreimal auftauchten, also genauso oft wie ›Phraetun‹. Sehr wahrscheinlich war der Name ein Teil des Ausdrucks ›Orichalker Phraetun Ab Aquiliria Tisibia Linil‹, der genau dreimal benutzt wurde. Cymric wusste, dass ›Orichalker‹ vom gleichen Wortstamm abgeleitet war wie ›Orichalkum‹, die kostbarste elementare Substanz. War ein ›Orichalker‹ jemand, der mit Orichalkum arbeitete, also zum Beispiel auch ein Elementarist? ›Orichalker Phraetun‹ konnte also ›Elementarist Phraetun‹ oder einem anderen Titel entsprechen. Das ergab einen Sinn. Die Vertragssymmetrie forderte, dass die Nixe einen ähnlichen Titel trug. Die Sprache schien aus der Zwergensprache abgeleitet zu sein. Wenn die Syntax dieser Sprache folgte, war ›linil‹ höchstwahrscheinlich ein Verb. Die Nixe hieß also, einschließlich Titel, entweder ›Ab Aquiliria‹ oder ›Aquiliria Tisibia‹. Doch welcher Titel sollte ›Ab‹ sein? Cymric beschloss, ganz nach dem Klang zu gehen, so dass es ›Aquiliria Tisibia‹ heißen musste. Der Name der Nixe lautete also ›Tisibia‹.

Damit war ein Teil des Problems gelöst. Jetzt musste er sich überlegen, wie er den Gegenangriff des Wesens überlebte, das die Nixe gefangen hielt. Er konnte einen Zauber wirken, der ihn vor allen Angriffen aus dem Astralraum schützte, aber die Wirkung derartiger Zauber hielt nicht sonderlich lange an. Außerdem war Cymric nicht sicher, ob er einen Faden aus seinem Wissen über die Nixe knüpfen konnte, bevor der Astralschild erlosch. Da ihm jedoch die Alternativen fehlten, beschloss er, den Astralschild dennoch zu wirken.

Cymric begann damit, die Struktur für einen Zauber zu weben, um die Magie, gegen die er gewirkt wurde, zu neutralisieren oder auszulöschen. Er wob die üblichen, notwendigen Fäden ein, dann drehte und wendete er das Wort ›Tisibia‹ in seinem Verstand hin und her, indem er es mit Erinnerungen an Wassernixen kombinierte. Wort und Erinnerung vereinigten sich zu einem groben Faden, den Cymrics Geschick so lange spann, bis er fein genug war. Dann suchte er nach einer Möglichkeit, den Faden in die Struktur einzugliedern, ohne das zerbrechliche, schwach leuchtende Gebilde zu zerstören. Er drehte die Struktur in eine Richtung, dann in eine andere.

Doch er musste das Gebilde zu schnell gedreht haben. Es verschwamm in seinem Verstand, und Linien und Scheiben verwischten sich zu einem verschwommenen Leuchten. Cymric rang die aufkommende Panik nieder, und es gelang ihm, sich so weit zu entspannen, dass er das Bild vor seinem geistigen Auge auffrischen konnte. Mit geschlossenen Augen leckte er sich die Lippen und stabilisierte die Struktur. Ein schwaches Lächeln spielte um seine Mundwinkel.

Jetzt sah Cymric einen möglichen Ansatzpunkt, wo er mit dem Einweben des Fadens beginnen konnte, eine Stelle ungefähr in der Mitte der Struktur, wo sie einem abgerundeten Gitter aus dicht gedrängten Dreiecken oder dem Zentrum einer Königsblume ähnelte. Sein erster Versuch war zu ungleichmäßig, und der Faden verhedderte sich.

Brenn in den Niederflammen!, dachte er. Cymric löste den Faden wieder und betrachtete die Struktur aus einem anderen Winkel. Zwar merkte er undeutlich, dass sein Astralschild mittlerweile erloschen sein musste, aber er war viel zu sehr in das Weben vertieft, um sich deswegen Sorgen zu machen. Er versuchte es an einer anderen Stelle in der Struktur, wobei er sich bemühte, das Gewebe möglichst schlicht zu halten. Diesmal gelang es. Cymric wob den Faden vorsichtig in die gesamte Struktur ein und verschmolz dabei den Namen, das Bild und die Vorstellung von ›jemandem, der den Namen Tisibias der Wassernixe kennt und ihr gestattet, diesen Brunnen zu verlassen‹ mit seiner Magie. Als der Webvorgang beendet war, wirkte Cymric den Zauber.

Wasser umtoste ihn plötzlich und rauschte an ihm vorbei zur Brunnenöffnung hinauf. Die Flut riss ihm den Stab aus den Händen und trug diesen an die Oberfläche. Außerdem zerschmetterte sie die Wände seiner Laterne, so dass ihn plötzlich Dunkelheit umgab. Wasser wirbelte ihn herum, und er verhedderte sich in dem Seil, aber irgendwie gelang es ihm, einen Arm freizubekommen, und er zog zweimal daran, so fest er konnte. Augenblicklich stieg er.

Dann wurde er ebenso schnell wieder auf den Grund des Brunnens gezogen. Der Zug war so stark, dass ihn nur die aufpralldämpfende Wirkung des Wassers davor bewahrte, das Bewusstsein zu verlieren. Der Schmerz reichte jedoch aus, um jede andere Empfindung auszuschalten. Ein unfreiwilliges Keuchen endete in einem erstickten Gurgeln.

Nach und nach wurde er sich seiner Astralsinne bewusst. Der Zauber wirkte noch, und jetzt gab es etwas zu sehen. Mehrere Schritte weit in alle Richtungen erstreckte sich ein astrales Konstrukt, das wie geschwärztes Kupfer in der Mittagssonne leuchtete. Es ähnelte einem siebenzackigen Seestern, abgesehen davon, dass die Zacken nach außen eine geschwungene Kurve beschrieben. Die Zacken bestanden aus jeweils drei Helices, die immer enger zusammenrückten, bis sie sich schließlich an der Spitze vereinigten. In jeder Zacke befand sich ein schwach gelblich leuchtender Punkt, der innerhalb der Zacke hin und her irrte. Die Mitte des Konstrukts bildete eine Reihe dorniger Zweige, die der stilisierten Darstellung einer Reihe nackter Rosenbüsche ähnelte. Die astralen Bilder Dutzender dieser Zweige durchstachen Cymrics Körper und waren zusätzlich einwärts gekrümmt, so dass sie Haken bildeten.

Die Kreatur schüttelte zweimal ihre Zacken und spie etwas von dem gelben Leuchten aus. Die Bereiche, auf die sich das Leuchten ausbreitete, wurden schwarz für Cymrics Astralsinne. Ihm blieben nur noch seine normalen Sinne, und er saß unter Wasser auf dem Grund eines Brunnens fest.

Ein weiterer entschlossener Zug am Seil riss Cymric ein Stück nach oben. Wiederum zerrte ihn die Kreatur zurück nach unten, und der Anprall presste ihm die Luft aus den Lungen. Er musste mit ansehen, wie die Blasen seines Lebenshauchs durch die Schwärze nach oben stiegen und dem kühlen Blau unterhalb der Brunnenöffnung entgegenstrebten.

3.

Ein weiterer kräftiger Ruck am Seil sandte eine Schmerzwelle durch Cymrics Körper und bewirkte, dass er sich wieder ein paar Ellen erhob. Feuerräder kreisten vor seinen Augen. Er bezwang seinen Drang, zu schreien, da ihn irgendein Winkel seines Verstandes nachdrücklich daran erinnerte, dass er sich unter Wasser befand. Wasser rauschte durch seine gekrümmten Finger und an seinem Gesicht vorbei. Er bewegte sich nicht, war reglos. Wasser drückte ihm gegen die Ohren, und sein Haar strömte nach hinten, als er aufwärts trieb. Cymric hatte das Gefühl, irgendwie in die Länge gezogen zu werden. Funken entzündeten sich in seinem Rücken, und seine Muskeln verkrampften sich, versuchten und schafften es nicht, irgendetwas an Ort und Stelle zu halten.

Der Zug am Seil ließ nach. Eine Luftblase entwich Cymrics Nase und trieb auf ihrem Weg an die Oberfläche an seiner Wange vorbei. Sein Körper sank langsam wieder auf den Grund des Brunnens. Das Gefühl, auf einer Streckbank zu liegen, ließ nach. Gleichzeitig spürte er, wie sich die Muskeln im Rücken entspannten.

Was geht hier vor? Cymrics Bewusstsein hatte sich geteilt, als gebe es ihn jetzt zweimal. Ein Cymric stieg mit dem Zug des Seils nach oben. Der andere blieb, wo er war, auf dem Grund des Brunnens. Cymric spürte, wie seine Beine auf den Brunnenboden stießen und dass er wieder ganz war.

Die Kreatur zerrt an meinem Geist. Die Dörfler zerren an meinem Körper. Die Befreiung der Nixe hatte dieser anderen Wesenheit die Möglichkeit gegeben, ein anderes Opfer einzufangen, und es hatte den nächsten verfügbaren Geist gewählt. Cymric überlegte sich, was er von der Kreatur gesehen hatte. Die dornigen Haken im Zentrum ihres Astralkörpers sahen zu groß aus, um einem menschlichen Geist – oder auch dem Geist einer Wassernixe – zu gehören. Unglücklicherweise waren sie auch im Kampf gegen kleinere Beute erfolgreich.

Die Dörfler und der Geistfänger sind in ein Tauziehen verwickelt. Cymric stellte sich die verzweifelten Versuche der Dörfler vor, ihn aus dem Brunnen zu hieven, wobei sie an seinem Körper zerrten, während sein Geist im Maul der Kreatur blieb. Jeder neue Versuch bei diesem Wettstreit würde die Lebensfäden schwächen, die Cymrics Körper an seinen Geist banden. Die Bemühungen der Dörfler hätten keinen Einfluss auf den astralen Geistfänger. Sie könnten ihn niemals herausziehen – oder erst dann, wenn der Tod Körper und Geist getrennt hatte und die Wesenheit Cymrics Geist endgültig besaß. Dann würden die Dörfler seine Leiche aus dem Brunnen ziehen wie einen Korken aus der Flasche.

Cymric bereitete einen Zauber vor. Die Neutralisierung der Magie hatte die Nixe befreit, vielleicht befreite sie auch ihn. Eine weitere Schmerzwelle unterbrach ihn beim Wirken des Zaubers. Das Tauziehen hatte erneut begonnen. Der Zauber zerfaserte in seinem Verstand und verpuffte wirkungslos. Schmerzen machten die Arbeit unmöglich. Diesmal war der Wettstreit nur von kurzer Dauer. Das Zerren hörte auf. Vielleicht nahmen die Dörfler gerade Abstand von dem Gedanken, den Magier zu retten.

Jetzt versuchte Cymric es mit einem Schnellzauber, indem er eine magische Struktur in Gedanken Gestalt annehmen ließ, in die keine Astralfäden eingewoben werden mussten, um sie zu vervollständigen. Ein Lichtsplitter bildete sich im Astralraum, und Cymric schleuderte ihn der Kreatur entgegen. Der astrale Dolch traf den Geistfänger.

Die Kreatur schlug wie wild um sich und schleuderte Cymric auf dem Grund des Brunnens umher wie eine Robbe im Maul eines Hais. Es gelang ihm, seinen Kopf zu schützen, aber der Rest seines Körpers hatte weniger Glück. Das Wasser wurde heftig aufgewühlt. Cymric hörte nachhallende, sprudelnde Geräusche, immer wieder begleitet vom dumpfen Aufprall eines Knies gegen Stein oder dem Knacken eines gegen die Wandung geschleuderten Handgelenks.

Cymric zuckte einmal, und schale Atemluft entwich seinem Mund in einem Schwall von Luftblasen. Die Konzentration fiel ihm immer schwerer. Sein Herzschlag wurde zu einer zähen, greifbaren Materie in seiner Brust und in seinen Ohren. Sein Drang zu atmen hielt sich mit dem Wissen um die Torheit dieses Unterfangens die Waage. Doch dieses Gleichgewicht würde bald kippen. Ihm blieb noch Zeit für einen, vielleicht zwei Zauber.

Lerne, dein Wissen in Macht zu verwandeln. Was wusste er über diese Wesenheit? Nicht viel. Sie existierte ausschließlich auf der Astralebene. Sie beeinflusste die physikalische Welt mittels Magie. Sie hielt seinen Geist fest. Cymric versuchte sich zu entspannen, um Atemluft zu sparen. Die Anordnung der Haken im Maul der Wesenheit war überaus kompliziert. Vielleicht entsprach die Struktur dieser Anordnung der Struktur eines bestimmten Geistes. In diesem Fall hatte der Geistfänger einen Geist gefangen, den er nicht hätte fangen sollen. Es sei denn, die Bäcker von Tuakan verfügten über wesentlich bessere Magie als jene, welche Cymric gesehen hatte.

Lass mich frei, du hast den falschen Geist erwischt, dachte er. Dieses Wissen mochte zu dürftig sein, um einen Faden daraus zu weben, aber es war alles, womit Cymric arbeiten konnte.

Das Wissen produzierte einen Faden, der so dünn und flüchtig war, dass Cymric ihn kaum von der Schwärze ringsum unterscheiden konnte. Seine Fähigkeiten ermöglichten es ihm, einen Knick hier und eine Schwäche dort zu erkennen. Der Faden sah nicht sehr stark aus. Cymric zügelte seine Gedanken. Unter der Last seiner Zweifel konnte der Faden reißen, bevor er ihn überhaupt in eine Struktur einwob.

Cymric rief erneut die Struktur für das Neutralisieren von Magie auf. Die Struktur war verschwommen, insbesondere an den Rändern. Doch nein, die Struktur änderte sich nie, nur seine Wahrnehmung von ihr. Er musste sich stärker konzentrieren. Ah, jetzt sah er die Struktur ein wenig deutlicher! Cymric wob den Faden an einer geeigneten Stelle ein, wobei er weniger Knoten als üblich knüpfte, aber er war in Eile.

Seine Finger wehrten sich dagegen, auf die richtige Weise gespreizt zu werden, um den Zauber zu wirken, und er hatte das Gefühl, als müsse er jeden Finger einzeln in die richtige Lage bringen. Da. Er hatte es. Cymric ließ jeden Funken mentaler Energie, den er noch besaß, in den Zauber einströmen.

Der Geistfänger reagierte, als sei er überrascht. Cymric spürte einen kurzen, schmerzhaften Stich, dann ließ ihn die Kreatur frei und zog sich zurück. Der verwirrte Verstand des Magiers genoss das Gefühl der Erleichterung, das ihn durchströmte, während ihn ein verborgener Winkel daran zu erinnern versuchte, dass noch etwas sehr Wichtiges zu tun blieb.

Schnell nach oben! Cymric stieß sich vom Grund des Brunnens ab. Er stieg ein paar Ellen, dann konnte er plötzlich die Beine nicht mehr bewegen. Gegen die aufkommende Panik ankämpfend, erinnerte er sich wieder an das Seil. Zweimal ziehen, und sie würden ihn heraufziehen. Er zog einmal, und drei oder vier Fuß lockeren Seils sanken zu ihm herab. Ein weiterer heftiger Ruck bewirkte nur noch mehr Seil.

Das darf doch nicht wahr sein! Die Dörfler können nicht einfach aufgegeben haben. Verzweifelt, unfähig, klar zu denken, versuchte Cymric an dem Seil hinaufzuklettern, kam jedoch keine Elle nach oben, sondern zog nur noch mehr Seil zu sich herab. Sein rechter Arm war in der Bewegungsfreiheit ebenso eingeengt wie seine Beine, und so versuchte Cymric, nur mit Hilfe des linken Arms zu schwimmen, aber er hatte nicht mehr die Kraft, um sich zu bewegen. Er sank wieder auf den Grund zurück.

Etwas peitschte über sein Gesicht. Benommen glaubte er, der Geistfänger sei zurückgekehrt, um sich seiner erneut zu bemächtigen. Dann riss ihn ein harter Ruck nach oben, und Cymric wurde klar, dass er den Peitschenhieb dem schlaffen Seil zu verdanken hatte, das jetzt mit beträchtlicher Geschwindigkeit eingeholt wurde. Aber er konnte den Atem nicht länger anhalten. Die unfreiwilligen Reflexe gewannen endgültig die Oberhand. Nachdem die letzte Luft explosionsartig aus seinen Lungen gewichen war, sog Cymric würgend einen Schwall Wasser ein.

Er durchbrach die Wasseroberfläche, und seine rechte Schulter prallte gegen den Querbalken über der Brunnenöffnung, wodurch er herumgeschleudert wurde. Der Schwung trug ihn weiter, und seine Füße wurden über den Querbalken und schließlich über den Brunnenrand gezogen. Die Dörfler hörten auf zu ziehen. Seine Beine schlugen gegen die Wandung, und Kopf und Rumpf drohten wieder in den Brunnen zu fallen.

»Zieht! Lasst ihn jetzt nicht los!«, rief eine Frau. Die Dörfler zogen. Cymric wurde hochgerissen und krachte erneut gegen den Querbalken.

»Vorsichtig! Zerschmettert ihm jetzt nicht noch im letzten Moment den Schädel«, sagte die Frau. »Haltet ihn so. Ich hieve ihn raus.« Während Cymric Wasser aushustete, hörte er das Geräusch sich nähernder Stiefel. Ein starker Arm umfasste seine Mitte.

»Ich habe Euch«, sagte die Frau im Kristallkettenpanzer. »Lasst das Seil los!«, befahl sie den Dörflern, und sie taten es. Dann hob sie ihn mit einer geschmeidigen Bewegung hoch und versuchte ihn auf die Beine zu stellen. Der Versuch war gut, aber Cymrics Beine versagten ihm den Dienst, und er brach zusammen. Die Frau sorgte dafür, dass er bei dem Sturz keinen weiteren Schaden erlitt.

Cymric keuchte, seine Lungen arbeiteten wie der Blasebalg eines Waffenschmieds. Mit gespreizten Beinen lehnte er den Kopf an die Brunnenwandung und hob den Blick müde zu der Frau auf. Die Kettenglieder ihrer Rüstung fingen und brachen das feurige Rot der späten Sonne. Er erkannte den Ausdruck ihres im Schatten liegenden Gesichts nicht, aber ihre Arme und die Runen auf ihrem Schwert sprachen für sich. Eine Adeptin. Eindeutig eine Schwertmeisterin. Wahrscheinlich eine sehr gute.

»Wird er überleben?«, blubberte eine Stimme. Cymric wandte den Kopf in die andere Richtung. Er betrachtete die Statue, die jetzt ein Gesicht besaß, das sich mit Geräuschen bewegte, als quelle zäher Sirup aus einem schmalen Gefäß. Es bildete sich in einem anderen Winkel neu, um Cymric besser betrachten zu können.

»Ich bin kein Arzt, aber ich denke, unser Magier wird es schaffen«, sagte die Schwertmeisterin.

»Ich habe das Wasser gebeten, dich nicht zu ertränken. Ich tat mein Bestes, aber Wasser ist Wasser«, sagte die Nixe. Wieder das sirupartige Geräusch, und die Nixe musterte Cymric eindringlich. »Ich glaube, das Wesen ist verschwunden. Ich weiß, was du tun musstest, um mich zu befreien, und ich danke dir.« Die Nixe starrte ihn auch weiterhin an.

Vermutlich wusste die Nixe, dass Cymric ihren Namen kannte. Er wollte ihr sagen, dass ihr Geheimnis bei ihm sicher aufgehoben war, dass er kein Verlangen danach hatte, eine Wassernixe zu verpflichten, ihm zu Diensten zu sein. Außerdem wollte er ihr für ihre Hilfe danken, mit ihr reden und ihr Fragen über den Geistfänger stellen. Aber er hatte nicht genug Energie. Stattdessen sagte er nur: »Ich ziehe bald weiter. Du kannst bleiben.«

Die Antwort schien die Nixe zufriedenzustellen. Sie lächelte Cymric an, dann glättete sich ihr Gesicht mit einem schlürfenden Geräusch, als sie in den Brunnen zurückkehrte.

Der Hufschmied kam mit Cymrics Stab herüber, der immer noch nass war. Die Frau zog den Magier auf die Beine. Eine Woge des Schwindels und der Schmerzen erfasste ihn, aber es gelang ihm, sich aufrechtzuhalten.

»Das hier kam etwas früher als Ihr nach oben«, sagte der Hufschmied und reichte Cymric den Stab.

Der nahm ihn behutsam und sagte: »Manchmal weiß der Stab eines Magiers eher, wann man aufhören muss, als der Magier.« Er stützte sich auf den Stab.

»Ich dachte schon, wir hätten Euch verloren, Magier«, sagte der Hufschmied, der Cymric ebenso eingehend inspizierte, wie es die Schwertmeisterin tat.

»Bevor ihr mich bezahlt habt? Niemals«, sagte Cymric. Das Lächeln wollte ihm nicht so recht gelingen, doch er war entschlossen, sich seine Schwäche nicht anmerken zu lassen. Zumindest nicht, solange er noch Publikum hatte.

Die Schwertmeisterin musterte ihn zweifelnd. »Magier, ich habe schon Jungen aus Bärenfallen befreit, die besser als Ihr aussahen«, sagte sie.

Cymric tat ihre Bemerkung mit einer Handbewegung ab und sagte: »Wir Magier sind ein findiges Völkchen.« Er bedachte die Schwertmeisterin mit einem standhaften Lächeln. Daraufhin verzog sie den rechten Mundwinkel und hob die linke Augenbraue. Cymric beschloss, keine Energie mehr mit dem Versuch zu vergeuden, sie zu überzeugen. Er hatte noch eine Vorstellung zu beenden. Er sammelte sich und passte vertraute alte Worte an neue Umstände an.

»Liebe Einwohner von Doppelkinn, hört mich an! In eurem Brunnen hat tatsächlich eine mörderische Kreatur gehaust, die eure Nixe gefangen hielt. Cymric der Magier ist in den Brunnen gestiegen, um diese Kreatur zu bekämpfen. Dort unten erfuhr Cymric einige Weisheiten von eurem früheren Elementaristen Phraetun! Cymric schmiedete aus Phraetuns Weisheiten längst vergangener Jahre einen mächtigen Zauber. Cymric und die Kreatur bekämpften einander, doch am Ende trug Cymrics Zauber den Sieg davon. Cymric der Magier ist siegreich zurückgekehrt!«

»Nur, weil wir Euch rausgezogen haben wie ein Schwein, das im Treibsand festsitzt«, sagte ein Knecht. Cymrics Sehvermögen war ein wenig getrübt, aber die meisten Gesichter, die er sehen konnte, schienen von seiner Rhetorik nicht sonderlich beeindruckt zu sein.

Vielleicht ist dies kein Ereignis, auf das sich die Legende Cymrics des Magiers aufbauen lässt. Er lächelte bedauernd und nickte dem Knecht zu.

»Ich sage Luwen, er soll Euer Essen auftragen«, sagte der Hufschmied. Er wandte sich ab, tat einen Schritt und drehte sich dann noch einmal um. »Ich werde auch mit Bürgermeister Drofin und den anderen reden. Bis morgen früh habe ich Euer Geld beisammen.«

Cymric nickte, und der Hufschmied machte sich auf den Weg. Der Magier schloss die Augen. Er hatte Schmerzen. Er konnte den Gedanken an eine Taverne voller Leute noch nicht ertragen. Er brauchte noch ein paar Augenblicke für sich.

Er sah einen Jungen, der sich mit zwei vollen Eimern abmühte, die er durchs Dorf schleppte. Dann blieb der Junge stehen und stellte die Eimer ab, um sich auszuruhen. Sein Blick fiel auf den Brunnen, und seine Augen weiteten sich. Dann registrierte er den durchnässten Magier, der sich auf einen nassen Stab stützte.

»Ihr habt die Nixe zurückgeholt?«, fragte der Junge.

Cymric nickte. Der Junge grinste. »Mama hat mir befohlen, zum Fluss zu gehen und rasch Wasser zu holen. Ich sagte ihr, der Magier werde unseren Brunnen wieder richten, aber sie hat mich trotzdem weggeschickt. Mama hat sich geirrt.«

»Offensichtlich«, sagte der müde Magier.

Der Junge wirbelte einigen Staub auf, als er plötzlich losrannte, es sich jedoch nach wenigen Schritten überlegte und zu den Eimern zurückkehrte. Der Magier blinzelte.

»Wohin wolltest du?«, fragte Cymric. Der Junge seufzte und hob die beiden Eimer hoch, bevor er antwortete.

»Davil und ein paar andere sind immer noch unten am Fluss und füllen einen ganzen Karren voller Fässer mit Wasser. Ich wollte ihnen nur Bescheid sagen, dass sie jetzt damit aufhören können«, sagte der Junge.

Cymric erkannte seine Gelegenheit. »Geh du ruhig mit dem Wasser nach Hause. Ich laufe zum Fluss und sage den anderen Bescheid«, sagte er.

»Mama wird sich wundern, wenn ich ihr sage, dass Ihr es geschafft habt«, sagte der Junge mit vor Aufregung kieksiger Stimme. Dann umwölkte sich seine Miene. »Wenn ich das tue, gibt sie mir eine Ohrfeige, weil ich vorlaut war.«

»Wahrscheinlich weiß sie schon, dass der Brunnen wieder Wasser hat«, sagte Cymric. Dann senkte er den Kopf und bedachte den Jungen mit seinem verschwörerischsten Lächeln. »Falls sie es noch nicht weiß, kannst du deine Eimer einfach mit dem frischen, sauberen Brunnenwasser füllen. Dann brauchst du ihr nichts zu sagen. Sie wird den Unterschied merken.«

Es dauerte ein wenig, bis der Junge begriffen hatte, dann hellte sich seine Miene wieder auf. Er leerte seine beiden Eimer und zog dann Wasser aus dem Brunnen herauf. Derweil machte sich Cymric auf den Weg zum Fluss.

Aus seinem langsamen Schritt wurde ein Humpeln, als er den sanft ansteigenden Hang am Rande des Dorfes erreichte. Sein rechtes Knie brannte vor Schmerzen, und sein rechtes Handgelenk vertrug keine Belastung. Seine Oberschenkel waren noch immer verkrampft. Der Rücken ließ sich kaum beugen. Beide Hüften schienen etwas gegen Bewegung zu haben. Cymric blieb stehen, um Atem zu schöpfen. Die Pause tat gut, doch das Atmen verursachte ihm immer noch ein Brennen in den Lungen. Er richtete den Blick auf die Hügelkuppe und schätzte die Anzahl der Schritte, die er bis dorthin benötigen würde. Er fing an zu zählen.

Nach einunddreißig Schritten hatte er den Kamm erreicht. Cymric humpelte weiter und stolperte dann bergab. Als er außer Sicht des Dorfes war, blieb er stehen. Unter Zuhilfenahme seines Stabes, den er als Stütze benutzte, ließ sich Cymric mit gekreuzten Beinen auf dem Boden nieder. Er musste ein paar Augenblicke warten, bis sich das rasselnde Keuchen seines Atems beruhigt hatte. Als er schließlich mit der rechten Hand nach dem Beutel an seinem Gürtel tastete, hielt er sich mit der linken immer noch an seinem Stab fest. Er zuckte zusammen. Er konnte sein Handgelenk nicht stark genug abknicken, um in den Beutel zu greifen.

Cymric legte den Stab über die Knie, dann durchwühlte er den Beutel mit der linken Hand. Als er gefunden hatte, was er suchte, stellte er fest, dass sich die Kräuter in einen klatschnassen Klumpen verwandelt hatten. Die silbergrünen Blätter waren zuvor portioniert gewesen, bildeten jetzt jedoch eine hoffnungslos verklebte Masse. Cymric trennte eine gewisse Menge ab, die seiner Ansicht nach einer einzelnen Dosis entsprach, warf einen prüfenden Blick darauf und vergrößerte die Menge noch einmal um die Hälfte. Als er einen Mundvoll nahm, fragte er sich, ob das Wasser die Heilkräfte der Kräuter herabgesetzt hatte, weil ihr bitterer Geschmack viel weniger ausgeprägt war als sonst. Der Magier schloss die Augen und wartete darauf, dass der Schmerz nachließ.

Dummheit wird eben meistens bestraft. Die Dörfler hatten gesagt, der Brunnen werde von einer Nixe bewohnt. Er hatte gewusst, dass der Brunnen noch Wasser enthalten hätte, wenn die Nixe einfach verschwunden wäre. Was bedeutete, dass jemand die Nixe festhalten musste. Darauf war Cymric nicht vorbereitet gewesen, und das hatte ihn beinahe umgebracht. Er schnitt eine Grimasse.

Die Abreibung des Geistfängers hat gereicht, vielen Dank auch. Kein Grund, selbst auch noch auf mich einzuschlagen. Cymric streckte sich auf dem Boden aus. Es hätte auch ein Fluch auf dem Brunnen liegen können – wenn die Nixe vielleicht einen Groll gegen die Dörfler gehegt hätte. Es hatte nicht unbedingt ein gewaltiger astraler Geistfänger sein müssen. Astrale Wesenheiten hatten normalerweise nicht die Angewohnheit, in den Brunnen kleiner Dörfer zu lauern.

Cymrics Knie strahlte jetzt einen beharrlichen, doch entfernten Schmerz aus. Er bewegte das Handgelenk und zuckte zusammen. Vielleicht war es doch besser, noch etwas zu warten. Seine Gedanken kehrten zu dem Geistfänger zurück. Er hatte gedacht, eine astrale Kreatur dieser Größe müsse magisch beschwört werden oder könne nur in magisch sehr aktiven Gebieten existieren. Phraetuns Pakt mit der Nixe hätte eigentlich kein ausreichender Ansatzpunkt für einen Geistfänger sein dürfen. Es sei denn, Phreatun war ein viel besserer Elementarist, als Cymric sich vorstellte, aber das glaubte er nicht.

Er richtete sich auf. Die Schmerzen waren jetzt nicht mehr die vorherrschende Empfindung, sondern hatten nachgelassen, und im Augenblick erinnerte ihn nur noch ein gelegentliches Pochen an seine Verletzungen. Er stand auf, wobei er sich in erster Linie auf das linke Bein und den linken Arm stützte. Nachdem er das rechte Bein einer vorsichtigen Prüfung unterzogen und festgestellt hatte, dass es sein Gewicht trug, setzte Cymric seinen Spaziergang zum Fluss fort.

Ich habe die Nixe befreit. Ich habe mich selbst befreit. Ich werde dafür bezahlt... nicht übermäßig hoch, aber ich werde bezahlt. Das Lächeln nahm seinen Anfang in Cymrics rechter Gesichtshälfte. Als er den Fluss erreichte, hatte es auch die andere Seite erfasst. Etwa vierzig Schritte vom Flussufer entfernt sah er ein paar Jugendliche, die Wasser zu einem großen, zweirädrigen Karren schleppten, auf dem sich bereits vier große Fässer befanden. Eine Reihe tiefer Furchen näher am Flussufer verriet Cymric, dass sie den Karren bei einer früheren Gelegenheit auf weichem Untergrund abgestellt hatten. Die Furchen waren von Dutzenden Fußabdrücken und von aufgewühltem Matsch umgeben. Es war gewiss nicht leicht gewesen, den Karren aus dem Schlamm zu ziehen.

Auf dem Weg zum Fluss hatte Cymric an seiner kleinen Ansprache gearbeitet, um sie beeindruckender klingen zu lassen. Er öffnete den Mund. Sieben Paar schlammbedeckter Füße blieben stehen. Sieben müde, schmutzige Gesichter betrachteten ihn mit unterschiedlichem Gesichtsausdruck. Ein Mädchen schob sich eine widerspenstige Strähne dunkler Haare hinter das Ohr, doch die Strähne fiel ihr sofort wieder ins Gesicht. Das Mädchen gab es auf.

Cymric kam erst jetzt richtig zu Bewusstsein, wie müde er war, und seufzte tief. »Ich bin ein Magier«, sagte er. »Ich habe eure Nixe befreit. Mit eurem Brunnen ist wieder alles in Ordnung. Geht nach Hause.«