Die Rebellion des Adlers - Tobias Schlage - E-Book

Die Rebellion des Adlers E-Book

Tobias Schlage

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Beschreibung

In einer postapokalyptischen Welt glaubte man Schusswaffen gehörten für immer der Vergangenheit an. Doch als eines Tages ein verschollenes Waffenlager, aus der "Alten Welt" gefunden wird, verfällt König Kron der Machtgier und nutzt sie dazu, die umliegenden Städte mit Krieg zu überziehen. Auch die letzte Stätte des Widerstandes, das Dorf Elpis, wird schließlich in einem tosenden Brandt vernichtet. Ein junger, aufstrebender Rebell namens Saibo Telicius überlebt den schrecklichen Angriff. Von Verzweiflung und Rachegelüsten geplagt, zieht er alleine, mit seinem letzten Funken Hoffnung hinaus in die Welt. Alsbald muss er feststellen, dass sich sein Vorhaben als weit schwieriger erweist, als er es sich je hätte ausmalen können. Er gerät in Gefangenschaft, in mörderische Auseinandersetzungen und bereist eine fantastische Welt. Mit halsbrecherischen Aktionen und Guerillaangriffen bahnt er sich seinen Weg und die neu entfachte Rebellion schafft es, eine Flutwelle der Hoffnung, durch das Land walzen zu lassen. Sie bleiben nicht lange unbemerkt. Eine Hetzjagd auf die Rebellen beginnt. Innerhalb der Bewegung belasten Familienfehden und Vertrauensbrüche, Verräter und Morde in den eigenen Reihen die Freiheitskämpfer zusätzlich. In dem jungen Rebellen, welcher als einzelner, verzweifelter Krieger loszog, brennt der sehnliche Wunsch, der Welt die Freiheit zu bringen. Doch diese Freiheit muss teuer bezahlt werden, mit Blut...

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Seitenzahl: 504

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Prolog I: Die alte Welt

In der grauen Vorzeit der alten Welt herrschten die Menschen über die Welt und alles, was sich auf ihr regte. Über die Fische des Meeres, die Vögel des Himmels, das Vieh und über die ganze Erde. Die Menschen vermehrten sich und füllten die Welt, mit ihres Gleichen. Sie wurden so zahlreich, dass sie ganze Spezies von Tieren ausrotteten, um ihren Hunger zu stillen und noch zahlreicher zu werden. Sie holzten die Wälder, welche begehrenswert anzusehen und gut zur Nahrung waren ab und zerstörten weite Flächen, um neuen Lebensraum für sich zu schaffen. Steinernen Boden legten sie über den fruchtbaren Erdboden der Natur und sie dachten, dass es gut war. Sie besaßen eine Materie, welche sie Strom nannten und sie erlaubte es den Menschen allerlei Dingen Leben einzuhauchen. So reisten sie nicht wie wir auf Pferden oder anderem Getier. Sie reisten in metallenen Fahrzeugen, welche sie Autos nannten. Nicht einmal der Himmel war ihnen eine Grenze. Sie reisten in riesigen Vögeln durch die Wolken, welche sie Flugzeug nannten. Sie konnten in ferne Länder sehen und sie hörten Musik, ohne dass jemand ein Instrument betätigte oder die Stimme erhob. Sie sprachen miteinander, gleichgültig, wie weit sie voneinander entfernt waren. Doch brauchten sie für viele Gerätschaften eine zweite Materie, die Flüssigkeit Öl. Ihre Autos und Flugzeuge verbrauchten das Öl und erzeugten ein giftiges Gas. Die unzähligen, mit Öl betriebenen Fabriken, pumpten verseuchte Wolken in den Himmel. Das Gas zerstörte die schützende Schicht, welche die Erde umgab und so veränderte sich ihr Klima. Es wurde wärmer, verwandelte sich allmählich in tropische Hitze und damit in das Klima, welches wir heute kennen. Der Erdball war im Wandel, doch es missfiel den Menschen nicht, damit fortzufahren. Und so geschah es eines Tages, dass die Sonne erstürmte. Die schützende Schicht der Erde war so geschwächt, dass der Sturm den ganzen Planeten in seinem magnetischen Feld aus der Bahn warf. Ihr Strom, den sie für endlos hielten, basierte auf diesem Feld, welches der große Sturm zerstörte. Die Pole sprangen, der Strom verschwand. Plötzlich wurde es dunkel in der Welt. Bereits nach wenigen Tagen existierten keine Lebensmittel mehr. Die gigantischen Fabriken, welche ihre Nahrung herstellten, waren nun nutzlos. Eine weltweite Panik brach aus, Morde, Plünderungen und Überfälle überfluteten die Welt. Die Menschen begannen Kriege um die letzten Nahrungsvorräte zu führen, denn sie hatten über all die Jahre, abhängig vom Strom, welcher ihnen die Aufgaben des Überlebens abnahm, verlernt, wie sie sich selbst ernähren konnten. Schlachten wüteten, deren Narben noch heute die Umgebung zeichnen. Ihre Waffen, welche sie mühselig in ihren Fabriken konstruiert hatten, waren nach wenigen Monaten aufgebraucht. Abermillionen von Menschen fanden den Tod in den Nahrungskriegen, andere wurden Opfer von Kannibalismus und Raubüberfällen. Doch die Meisten verhungerten, denn die Tiere, die sie jagen sollten und die Bäume, an denen Früchte wachsen sollten, hatten sie zuvor ausgerottet. Das goldene Zeitalter der Menschen war beinahe zu der Vernichtung der Menschheit geworden und das Chaos setzte zu jener Zeit die Erde in Brandt. Doch allmählich kehrte die Natur wieder und eroberte das Land, welches der Mensch ihr entrissen hatte, zurück. Die Tiere vermehrten sich in rasender Geschwindigkeit und breiteten sich, in den neu entstandenen Wäldern aus. Mit der Zeit blühte die Welt vor Leben. Die Menschen passten sich an und lernten von Neuem, für ihr eigenes Leben zu sorgen. Sie bevölkerten nun wieder ihre alten Städte und errichteten die Welt, wie sie heute existiert, die Neue Welt.

Prolog II : Die Kammer in den Bergen

Die Sonne trocknete den Regen von dem dichten Gestrüpp und den dicken Blättern, welche an langen Ästen über den Erdboden ragten. Der Dampf des verdunstenden Regens schwebte reglos in der Luft. Anank wanderte wie an vielen anderen Tagen durch das Gebirge am Südrand Gaias und genoss den Ausblick von den steinigen Vorsprüngen, über das fruchtbare, grüne Tal des Jangulas. Viele Menschen, welche sich zu tief in diesen grünen Schlund hinein gewagt hatten, fanden dort den Tod. Doch es kümmerte Anank nicht, denn er genoss die Aussicht von den steinigen und von efeubewachsenen Klippen zu sehr, um sich Gedanken über Gefahren zu machen. Pfeifend wanderte er seines Weges und atmete die frische und klare Bergluft. Das giftgrüne Leuchten des Dschungels schien ihn magisch anzuziehen, während der den kleinen Pass immer weiter ins Tal hinabstieg. Er legte eine Rast ein. Seit Stunden war er nun bereits unterwegs und er spürte wie sein, in die Jahre gekommener Körper von der schweren Last seines Gepäcks ermüdete. Er wanderte hinüber zu einem Fels und setzte sich. Entspannt streckte er die Beine und suchte seine Wasserflasche aus dem Rucksack. Ein majestätisches Kreischen schallte durch die Berge, als ein Bergadler im blitzenden Licht der Sonne mit gespannten Flügeln durch die Wolken schoss. Gerade als er einen Schluck aus seiner Flasche nehmen wollte, setzte er sie geistesabwesend ab. Etwas hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Ein kleines zylinderförmiges Ding lag einsam und verlassen auf einem Felsvorsprung. Mühselig erhob er sich und schritt darauf zu. Gespannt legte er seinen Wanderstock zu Boden und beugte sich vom schmalen Pfad über die Kante. Etwa einen halben Meter vom Pfad entfernt lag am herabführenden Abhang, auf einer kleinen Erhebung, lag etwas. Unter der von unzähligen Schmutzschichten bedeckten Oberfläche schimmerte metallenes Glitzern hervor. Es erinnerte ihn an die Waffen aus der alten Welt. Nur die Wenigsten besaßen in diesen Tagen noch funktionierende Waffen aus diesem vergangenen Zeitalter. Meist waren es reiche Kaufleute, Sammler oder Museen, denn in der Regel waren sie verwittert oder besaßen keine Kugeln mehr. Die Herstellung der Kugeln war zu schwierig und aufwendig, für die heutige Zeit. Einmal hatte er eine Vorführung einer solchen Waffe gesehen. Er war jung gewesen, etwa 20 Jahre alt, als er auf dem gaianischen Markt an einer kleinen Bühne vorbei kam, ein Mann hielt sie hoch in die Luft, die Menschen waren wenig beeindruckt. Ein tosendes, ohrenbetäubendes Rattern ertönte, Rauch schoss aus der Mündung, angsterfüllt warfen sich einige Zuschauer zu Boden. Er wusste, dass Dinge aus der alten Welt, auch wenn sie nicht mehr funktionierten, sehr wertvoll und gefragt waren und so hoffte er auf einen kleinen Nebenverdienst. Er kniete sich hin und streckte seinen Arm aus. Unbeholfen fuchtelte er damit, doch erreichte es nicht. Er legte seinen Rucksack ab und beugte sich noch ein wenig weiter vor. Mühevoll streckte er sich so weit er konnte, sein Gleichgewicht schwankte, doch er war kurz davor. Geschafft! Seine Hand umschloss das glänzende, von Blättern bedeckte Stück und ein Schmunzeln entglitt ihm. Vorsichtig versuchte er, es an sich heranzuziehen. Urplötzlich rutschte sein Knie über die Kante des Pfades und sein Oberkörper stürzte nach vorn. Panisch versuchte er sich festzuhalten, doch es misslang. Mit dem Rücken zuerst knallte er auf die Erhebung, hinüber, überschlug sich und rollte den Abhang hinunter. Er keuchte im aufgewirbelten Staub. Seine Schultern schmerzten, er lag auf einem ebenmäßigen Pfad. Er blickte hinauf zu jener Stelle, an der er abgerutscht war. »War ich tatsächlich so weit gerollt?« Fragte er sich verwundert über seinen guten körperlichen Zustand und richtete sich auf. Er klopfte den Staub von seiner Kleidung und sah sich um. Tropische Pflanzen wucherten um ihn herum, doch noch immer war der Untergrund felsig. Verwirrt hielt er sich den brummenden Schädel, doch als er sich weiter umschaute, schreckte er auf. Der steinige Abhang verbarg eine Art Gang. Eine vermoderte, metallene Doppeltür war am Ende des felsigen Ganges in den Berg eingearbeitet. Sie war verrostet und von Ranken bewachsen. Ihre rechte Hälfte war bereits umgestürzt und lehnte gegen die Felswand. Erstaunt schritt Anank auf die Türen zu und spähte vorsichtig in hinein. Der Gestank von Tod kroch aus der Öffnung heraus und trieb ihm die Tränen in die Augen. Er hielt den Atem an, spärlich drangen einzelne Sonnenstrahlen in die trockene Felshöhle, doch was sie offenbarten, ließ ihn erzittern. Mühevoll drückte er gegen die schwere, umgestürzte Eisentür. Ein lautes Knallen ertönte, als sie vom Fels rutsche und auf dem Boden aufschlug. Er schritt hinein. Regale säumten die Wände, Kisten türmten sich hier und dort zu kleinen Hügeln auf. Fledermäuse piepsten in der Dunkelheit und flatterten nervös durch das Schwarz. Angewidert wich er zurück, als er die verrotteten Skelette sah, welche in dem Raum verteilt lagen. Es wirkte beinahe lächerlich, wie die knochigen Körper in ihren viel zu großen Militäruniformen steckten. Er schritt an die Regale und legte den Kopf in den Nacken, als er den in Halterungen befestigten Waffen der alten Welt nach oben folgte. Munitionskisten standen offen neben den Regalen, welche durch den ganzen Raum verteilt zu finden waren. Seine Augen waren weit geöffnet und er schlich durch die, von den wenigen Sonnenstrahlen, schemenhaft gezeichneten Gänge. Keuchend atmete er auf, als er die Höhle verließ, der beißende Gestank hatte ihn aus dem Waffenlager getrieben und er schnappte gierig nach Luft. Nie würde er diesen Tag vergessen, denn er ahnte, er hatte den bedeutendsten Fund in der Geschichte Gaias gemacht.

Kapitel 1: Krieg

Ein dröhnendes Knallen. Der Boden bebte unter der massiven Explosion. Dreck und Staub schleuderten durch die Luft, wie bei einem Vulkanausbruch.

»Mehr Männer nach vorn!« Rief ein narbenverzierter Mann, der sich schwerfällig durch den aufgewirbelten Staub kämpfte. Das ohrenbetäubende Trommeln unzähliger Maschinengewehre erfüllte die Luft und wurde untermalt von den schmerzerfüllten Schreien ihrer Opfer.

»Jetzt!« Schrie der Mann, als der Rauch sich lichtete und er den Feind klar vor sich erkannte. Plötzlich wurden die Gewehre von dem urgewaltigen Brüllen der Rebellen überrollt und verstummten geradezu. Eine lückenlose Masse an Kriegern stürmte vom Horizont herab, den von der Schlacht gezeichneten Hügel hinunter. Ehrfürchtig blickten die Soldaten auf die wild im Kampfesrausch anstürmenden Rebellen. Es war ein episches und zwiespältiges Bild. Denn die Armee Gaias, gekleidet in edlen Rüstungen und mit unzähligen Schusswaffen der alten Welt bestückt, starrte mit angsterfüllt aufgerissenen Augen, auf die ärmlichen Rebellen. Deren provisorische Rüstungen bestanden aus alten, oft zerrissenen und genähten Lumpen. Metallplatten wurden mit Bändern und Gürteln rings über den Körper befestigt. Schusswaffen hatten sie keine. Es galt als ehrlos unter den Rebellen einen Mann nicht von Angesicht zu Angesicht zu töten. Somit walzten sie in einer Flutwelle aus adrenalingeladenen Kriegern auf ihre Gegner herab, bewaffnet nur mit Schwertern, Schilden, Speeren und Äxten. Panisch luden die gaianischen Soldaten nach und hielten ihre Waffen vor Angst zitternd auf die Rebellen. Ihre Kugeln prallten wie Hagelkörner an den dicken Schilden ab, hinter deren Wand diese voranstürmten. Urplötzlich schossen mehrere Rebellen Streitwagen von links und rechts aus dem dunklen Wald. Vier mit Metallplatten gerüstete Pferde zogen jeweils einen der dick gepanzerten Streitwagen, auf denen bis zu zehn Kämpfer in die Schlacht rasten. Sie brachen von beiden Seiten in die Reihen der Gaianer. Mit Speeren stachen sie, wie Fischer in die See, in die Körper ihrer Feinde. Die Spitzen, rund um die Wagen, rissen den Gaianern die Beine weg und die Schmerzensschreie verlagerten sich in ihre Reihen. Unaufhaltsam preschte die Flut aus Rebellen von vorn mit einem lauten Knall in die Front hinein. Schreie und aufeinander schlagendes Metall ertönten im rapiden Duett. Äxte schlugen in Köpfe und Schwerter bohrten sich in Körper. Auch der Narbenverzierte war inmitten seiner Brüder. Wie im Rausch schlug er um sich und eine Blutsalve nach der anderen fegte in sein Gesicht. Berserker, so nannte man die Rebellen in den fernen Städten. Die scheinbaren Wilden, am Rande der Zivilisation und war diese Bezeichnung mehr als nur treffend, sofern man sie im Kampf antraf. Wie von einem Dämon besessen hackte der Narbenverzierte sich immer weiter nach vorn, um ihn herum tobte das Chaos. Das Rattern der Gewehre hörte nicht auf. Ein gleißendes Licht, gefolgt von einem Beben warf ihn von den Beinen und Dreck rieselte auf ihn herab.

»Weiter!« Schrie er vom Boden aus ins Chaos über sich hinein, doch seine Stimme ging im Lärm der Schlacht unter. Hastig rappelte er sich wieder auf, doch knickte sofort wieder zusammen, als eine Kugel durch seine Schulter schoss. Wütend presste er seine Zähne aufeinander und richtete sich erneut auf. Vor ihm fielen seine Brüder und hinter ihm stürmten weitere nach vorn. Ein heroischer Schrei drang aus seiner Kehle und ließ sein Gaumenzäpfchen zittern. Er hob seine Axt und stürmte mit unterdrückten Schmerzen nach vorn. Seinem Vordermann riss es den Kopf weg. Wie in Trance blickte er sich um. Scheinbar unbesiegbare Krieger in Raserei schlugen wild um sich, doch wurden binnen einer Sekunde von den präzisen Kugeln der Gewehre von den Beinen gerissen. Resigniert ließ er sich zurückfallen. Er wusste, dass es hier keinen Sieg mehr zu erringen gab. Taumelnd schleppte er sich durch die nach vorn stürmenden Krieger. Der Gegenstrom machte es ihm schwer und ließ ihn einige Male einknicken, doch schließlich erreichte er das Ende. Ein rotes Banner lag im Dreck, zwischen den kargen Grashalmen. Er las es auf, zögerte, doch stieß es schließlich in den Himmel. Das laute Tönen eines Horns schallte über den Kriegsschauplatz. Es war lang und dröhnte in jedermanns Ohren. Neben ihm erhoben sich weitere rote Banner und plötzlich wechselten die Rebellen ihre Richtung.

»Rückzug! Rückzug!« Riefen sie wild durcheinander und stürmten zurück in jene Richtung, aus der sie gekommen waren. Auch der Narbenverzierte lief so schnell es ihm sein Zustand erlaubte den Hügel hinauf in Richtung Lager. Kaum überquerten sie die Horizontlinie, erhob sich eine mächtige, mehrschichtige Palisadenmauer. Langsam öffneten sich die Tore und die Rebellen strömten hinein. Er schleppte sich eine der Leitern im Inneren des Lagers hinauf, auf das Dach des höchsten Gebäudes.

»Zaim!« Rief ihm jemand entgegen. Es war ein junger Mann, Mitte zwanzig. Er trug eine zerfetzte Hose und ein aus einem schwarzen und einem weißen Stoff zusammengeflicktes Oberteil. Auf seiner Schulter und über seinem Bauch hatte er rostige Metallplatten umgeschnallt und mittellanges, struppiges Haar wucherte über sein schmutziges Stirnband.

»Saibo.« Stellte Zaim erfreut fest und schloss seinen Sohn in die Arme. Bereits als Kind begann Zaim damit seinem Sohn, die Kunst des Krieges zu lehren. Schließlich, als er reif genug war, wurde er in den Rang eines Kommandanten erhoben und mit der Führung der zweiten Kolonne betraut.

»Wie hoch sind eure Verluste?« Fragte der bereits Blut keuchende Zaim seinen Sohn.

»Mehr als die Hälfte ist tot und ein Viertel verwundet.« Antwortete Saibo und senkte seinen Blick. Er hielt einen Moment inne. »Wo ist Kerphonios? Ich dachte er wäre bei dir?«

»Ich habe ihn seit dem Angriff nicht wieder gesehen. Ich fürchte dein Onkel ist tot, so wie die meisten. Wir werden die Festung nicht halten können.«

Saibo schwieg. Denn auch wenn er es nicht zugeben wollte, so wusste er, dass Zaims Worte wahr waren. Das Dorf der Rebellen, die Festung Elpis, Hochburg der Hoffnung. Viele Namen hatte dieser Ort, doch fortan würde kein Einziger davon je wieder ertönen.

»Wir dürfen nicht aufgeben!« Protestierte Saibo schließlich.

»Das werden wir nicht.« Zaim schnalzte mit der Zunge und sah erschöpft hinab in die Menge. Ein Gemisch aus Dreck, Blut und Schweiß klebte auf seiner Haut und sein schulterlanges, gelocktes Haar hing schweißgetränkt vor seinem Gesicht. »Aber einen Sieg werden wir auch nicht erringen können.« Er ließ seinen Blick durch die Stadt wandern. Kaum ein Gebäude hier war alt, die meisten in den letzten Jahren entstanden. Lehmhütten dicht an dicht, verziert mit Mustern, Glyphen und Leitsätzen der Rebellionsbewegung. Verletzte, sowie Tote wurden durch die Gassen getragen. Frauen pflegten die Verwundeten, Kinder weinten in den Straßen, Einzelteile lagen herum. Alles von der Kleidung bis zu den Gebäuden wirkte bestenfalls provisorisch. Die Waffen bestanden oft aus Rohren oder anderem Schrott, genau wie die Möbel und teilweise die Häuser selbst.

Urplötzlich riss sich mit einem lauten Knallen eine Furche in die Front der Palisaden.

»Sie kommen.« Sagte Zaim mit leicht zusammengekniffenen Augen und beobachtete den kleinen Spalt, der sich auftat.

»Zweite Kolonne bereit machen!« Rief Saibo vom Dach herunter und grapschte hastig nach seinem Schwert. »Bleib hier und erhol dich. Ich werde sie aufhalten Vater!«

Zaim spuckte verächtlich auf den Boden und hinterließ einen roten Klumpen. »Wenn ich sterbe, dann nicht wie ein kümmerlicher Feigling beim Verstecken auf dem Dach! Wenn ich sterbe, dann mit meiner Axt im Feind!« Energisch kämpfte er sich wieder hoch auf die Beine. Saibo nickte und Bewunderung mischte sich mit einer dunklen Vorahnung, als er die Blutlache erblickte, welche sich unter dem alten Veteranen gebildet hatte. Sie stiegen die hölzerne Leiter hinunter. Unruhig starrten die erschöpften Soldaten auf die Palisaden. Sprengkörper detonierten an der dicken Mauer und immer größere Risse zogen sich durch die Schutzwand.

»Ruhig Männer! Haltet euch bereit!« Wies Zaim sie an, während er durch ihre Reihen humpelte. Er kämpfte keuchend mit seinen Verletzungen, doch der unbändige Kampfeswille war nach wie vor ungebrochen. Ein Blick in seine Augen genügte, um zu erkennen, dass er mehr als jeder andere Kämpfer danach gierte, ihn zu befriedigen. Das Tor pochte und rüttelte stark unter den Explosionen.

»Gleich ist es so weit.« Flüsterte Saibo vor sich hin. Gebannt starrte er auf das Tor. Plötzlich detonierte es. Es ratterte und rumste. Einzelteile flogen durch die Luft, sodass Saibo für einen Moment Schutz hinter seinem Schild suchen musste. Knackend krachte eine Torhälfte nach vorn und schlug auf. Stille kehrte ein und dichter Rauch wirbelte im Toreingang. Langsam ließ Saibo seinen Schild hinabgleiten und spähte darüber hinweg nach vorn. Plötzlich brachen unzählige gaianische Soldaten durch den dichten Rauch.

»In den Tod!« Schrie Zaim aus voller Kehle und stürmte durch die noch leicht paralysierten Rebellen hindurch, auf die Feinde zu. Wie vom Teufel besessen taten die anderen Rebellen es ihm gleich. Die Krieger krachten ineinander. Im Blutrausch schlug sich Saibo an der Seite seines Vaters durch die Menge. Zaim waren seine Verwundung kaum anzumerken. Er wirkte beinahe kraftstrotzender als die meisten anderen Krieger auf dem Platz. Um sie herum flammten die Gebäude auf. Mauerstücke wurden herausgesprengt und Dächer in Brand gesteckt. Die Hitze des Gefechts nahm zu. Die überlegenen Gaianer drängten die Rebellen immer weiter nach hinten.

»Zieht euch zurück in den Kern!« Schrie Zaim im Getümmel seinen Männern zu und versuchte die Gaianer in einen Engpass zu locken. Er erblickte seinen nur wenige Meter von ihm entfernt kämpfenden Sohn. »Saibo! Schneide ihnen den Weg ab!« Mit ausgestreckter Axt wies auf einige Gaianer, welche mit mehreren Munitionskisten eine kleine Gasse durchquerten. Prompt setzte Saibo den Befehl um und lief mit drei weiteren Männern an den Ausgang der Gasse.

»Rebellen!« Schrie ein Gaianer, als er sie in der Gasse bemerkte. Ungestüm rannte Saibo auf die sechs Männer zu und hob sein Schwert zum Schlag. Urplötzlich schallte ein gigantischer Knall und warf ihn von den Füßen. Staub drang in seine Lunge und er rang ächzend nach Luft, als Holz und Stein auf ihn herabregneten und ihn unter sich begruben. Auf ein Mal war alles schwarz.

Kapitel 2: Aufbruch

Unter Schmerzen hustete Saibo, als er wieder zu sich kam und langsam die Augen öffnete. Sein Schädel brummte und die leichte Benommenheit fühlte sich an, als sei er alkoholisiert. Heftiges Keuchen gab er von sich und stemmte sich gegen die Last, die auf ihm drückte. Er schob einige Trümmer zur Seite und realisierte noch immer nicht, was passiert war. Orange flackerndes Licht drang durch die Lücken der Trümmer. Leicht panisch presste Saibo mit ganzer Kraft gegen die Holzbalken, welche ihn begruben, und drückte sie mit kleinen ruckartigen Schüben von sich herunter. Schließlich richtete er seinen Oberkörper auf und zog sich schwermütig aus dem Trümmerhaufen. Nachdem er sich ausgehustet hatte, setzte er sich aufrecht hin und blickte sich um. Flammen tänzelten hier und dort in der Dämmerung. Dichter schwarzer Rauch stieg vielerorts auf zum Himmel und verdunkelte diesen. Mehr und mehr Sinne erlangte Saibo zurück und hörte das Knacken der Hölzer und weinen von Kindern in der Ferne. Er stand schwankend auf und taumelte leicht duselig durch die Gasse. Akribisch versuchte er sich zu fangen und den am Boden liegenden Trümmern und leblosen Körpern auszuweichen. Allmählich realisierte Saibo was passiert war und Adrenalin brachte sein Herz zum Rasen. Er betrat den großen Platz am Tor und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf das Meer an Gefallenen.

»Nein...Nein...« Stotterte er perplex vor sich hin und schwenkte hastig mit seinem Blick durch die Gegend, um das Ausmaß zu erfassen. »Das kann nicht sein...« Er streifte in der brennenden Stadt umher und suchte nach Überlebenden. Abrupt stoppte er und seine Augen fixierten den Boden.

»Zaim...?« Fragte er den toten Körper, der zu seinen Füßen lag. »Zaim... Zaiim?« Saibo sank auf die Knie und rüttelte den blutüberströmten Leichnam. Ungläubig drehte er das Gesicht zu sich und fiel fassungslos zurück, als er das leblose Antlitz seines Vaters erblickte. Er konnte sich nicht daran erinnern, ob er seit dem Tod seiner Mutter jemals geweint hatte, doch nun verzog sich sein Gesicht und er presste verkrampft seine Augenlider zusammen, zwischen denen die Wimpern feucht wurden. Schließlich brach es aus ihm heraus, letztlich konnte er den Schmerz nicht länger unterdrücken und ein klagender Schrei schallte aus seinen Lungen, als er sich an seinen Vater klammerte. Schlagartig begriff er es. Der am Boden liegende Zaim symbolisierte, was geschehen war. Die Rebellion war gefallen. König Kron hatte es geschafft, er hatte sie gebrochen.

Zwei Tage vergingen. Saibo aß nicht und schlief nicht. Zwei Tage lang war er, nachdem er Zaim begraben hatte, wie ein Zombie durch die Stadt geirrt auf der Suche nach Überlebenden. Ihre Zahl war kümmerlich. Die Flammen waren erloschen und ließen nur Ruß und verbranntes Holz zurück, wonach die ganze Stadt stank. Aufgelöst stand Saibo vor dem Tor eines pompösen Gebäudes, in dem sich die Überlebenden des Massakers zusammengefunden hatten. Das Gebäude war größer und eindrucksvoller als die meisten anderen Lehmhütten. Es war unterteilt in mehrere kleine Häuschen, die durch Gänge verbunden waren. Die Wände waren aus Holz und Stein, mit Lehm zusammen gemörtelt und ringsherum bemalt mit Zitaten und Zeichen der Rebellion. Saibo wandelte durch die offene Eingangshalle hindurch und gelangte auf den großen Platz in der Mitte, um den sich die Häuschen reihten. Dies war einst Zaims Schule, denn Zaim war Lehrer. Doch war er kein gewöhnlicher Lehrer, wie es sie ihn anderen Städten und Dörfern gab. Zaim war ein Rebellionslehrer. Er lehrte seine Schüler in Schrift, Mathematik und vor allem in Geschichte und Philosophie. Er lehrte die Kinder die Freiheit ihres Geistes und die Macht ihres Verstandes. Die Kinder brachten jedoch nur die Hälfte der Zeit mit dem geistigen Training zu. Denn über Saibo am Torbogen stand der wichtigste Grundsatz der Schule. »In einem gesunden Körper, wohnt ein gesunder Geist.« So bildete Zaim die Kinder die Hälfte der Zeit geistig und die andere Hälfte körperlich aus. Die Ausbildung war hart und kräftezehrend. Seit vielen Jahren bestand die Schule für Körper und Geist, wie sie in der Stadt genannt wurde nun schon. Im Alter von 18 Jahren war man ausgebildet und zählte fortan offiziell zu der Elite der Rebellion. Saibo war der erste Schüler Zaims. Früh begann er den jungen zu trainieren, um ihn zu schmieden und zu härten und schnell erlangte der Junge großes Ansehen. Als Zaim die Anfragen mehrerer Eltern erreichten, kam er auf die Idee zur Gründung einer Schule. Doch diese Zeiten waren nun vorbei. Von der glorreichen Schule waren nur noch die kargen rußbedeckten Grundmauern übrig. Schwermütig schritt Saibo in die große Halle am Ende des Platzes.

Lichtkegel standen verteilt im Raum und schienen auf die notdürftig aufgestellten Tische und Bänke. Schmutzige und hungrige Menschen, insbesondere Frauen und Kinder wandelten wild durcheinander. Brotkörbe wurden hineingetragen und die wenigen Männer, welche die Schlacht überlebt hatten, wachten über die kärglichen Lebensmittel, welche verteilt wurden. Vom Hunger gezeichnet schlenderte Saibo an die Essensausgabe und setzte sich mit einem alten, trockenen Brot und einer Schale Wasser an einen der Tische. Die vom Ruß schwarz gefärbten Menschen in der Halle, wirkten erschöpft und vom Hunger gezeichnet. Das Elend war allgegenwärtig. Hungrige Mütter fütterten ihre schreienden Babys und Verwundete, oft noch stark blutende Männer verbissen sich schmerzverzerrt in den harten Brotlaiben. Saibo sah, dass ihr Wille gebrochen war. Rebellion und Widerstand waren Luxus, welche sich die hier anwesenden Menschen nicht länger leisten konnten.

»Ist hier noch frei?« Sprach ihn plötzlich eine heisere Stimme von der Seite an. Er drehte sich der Person zu. Ein alter, kahlköpfiger Mann von drahtiger Statur musterte Saibo und setzte sich nichts weiter sagend zu ihm.

»Wie kommt es das du am Leben bist, mein Junge?« Fragte der Alte ihn und tunkte ein Stück Brot in seine Wasserschale, um es aufzuweichen.

Saibo schwieg.

»Bist du weggelaufen?« Hakte der Alte nach.

Saibo schwieg weiter.

»Ist nicht so schlimm. Angst ist ein Gefühl, das wir nicht immer kontrollieren können, nimm es nicht so schwer.«

»Ich bin nicht weggelaufen.« Antwortete Saibo trocken, ohne den Mann anzusehen.

»Ich weiß. Ich sehe es in deinem Blick.«

»Was?«

»Ich sagte das nur, damit du dein Schweigen brichst. Ich beobachte dich schon seit gestern. Du isst nichts, du sprichst nicht. Selbst jetzt hast du das Essen vor deiner Nase noch nicht angerührt. Und ständig dieser Blick in deinen Augen als stecktest du noch mitten im Kampf.«

Leicht genervt riss Saibo ein Stück von seinem Brot ab, steckte es sich in den Mund und kaute widerwillig darauf herum.

»Na also, essen ist kein Verbrechen. In solch harten Zeiten sollte man es sich nicht noch schwerer machen. Denk einfach daran, Jammern wird deine Situation nicht verbessern, sondern handeln. Leitsatz der Rebellion.«

»Achja? Wie zum Teufel soll ich handeln? Sieh dich doch mal um, alter Mann! Frauen, Kinder, Greise und Krüppel. Mehr hat Kron nicht übrig gelassen. Die Rebellion ist tot.« Saibos Gesicht verzog sich vor Wut und er senkte niedergeschlagen den Kopf.

»Und wieder jammerst du, anstatt zu handeln. Du hättest mich zum Beispiel erst mal fragen können. Denn die Rebellion ist ganz und gar nicht tot. Hat dir niemand von den Arbeitslagern erzählt?«

»Arbeitslager?«

»Du siehst, es ist nicht immer vorteilhaft, sich wegen seines Schmerzes, in Schweigen zu hüllen und mit niemandem zu sprechen. Wir alle haben Verluste erlitten, doch Schweigen hilft keinem. Nicht jeder ist getötet worden. Als die Gaianer die Stellungen gebrochen und überrannt hatten, töteten sie nicht einfach wahllos. Viele wurden gefangen genommen. Aus meinem Versteck heraus, hörte ich wie die Gaianer davon sprachen, dass die Gefangenen in den Osten, in ein Arbeitslager gebracht werden sollten.«

»Worauf willst du hinaus?« Fragte Saibo kritisch.

»Auf gar nichts. Guten Appetit.« Antwortete der Alte und aß schweigend sein aufgeweichtes Brot.

Er wechselte kein Wort mehr mit Saibo. Schweigend aßen sie nebeneinander und jeder Versuch Saibos, das Gespräch neu zu entfachen, wurde von dem Alten mit einer blockierenden Handbewegung gestoppt. Schließlich räumte Saibo sein Geschirr ab und begab sich aus der Halle.

Die Stunden vergingen. Nachdenklich saß er auf der Ruine eines abgebrannten Hauses in der Nähe der Schule. Er stützte sich rückwärts auf seine Hände und starrte in den sternenüberfluteten Himmel. Die Nacht war kühl und klar und die Worte des Alten kreisten um Saibo wie ein Mückenschwarm.

»Jammern wird die Situation nicht verbessern, sondern Handeln...« Murmelte er vor sich hin und ließ seine Augen über den Nachthimmel schweifen. Ein Meer aus Sternen stand am Himmel und leuchtete auf die düstere Stadt hinab.

»Was bin ich schon in diesem gigantischen Universum?« Fragte sich Saibo in Gedanken versunken. »Unser Planet ist nichts im Vergleich zur Unendlichkeit der Galaxie, wer bin dann schon ich in dieser Unendlichkeit?«

»Misst man wahre Größe mit einem Maßband?« Die heisere Stimme des Alten ertönte in der unbelebten Gasse zu Saibos Füßen. Verdutzt schaute er nach unten, doch er konnte in den Schatten nichts erkennen. »Diese Sterne mögen vielleicht in Metern groß sein, doch was vollbringen sie schon? Sie stehen regungslos in der Dunkelheit und können nichts verändern. Sie können keine Entscheidungen treffen und keine Veränderungen vornehmen. Was sind diese Gesteinsbrocken schon im Gegensatz zur Unendlichkeit des menschlichen Geistes?«

Wortlos saß Saibo da und lies die Worte auf sich wirken. »Wie heißt du?« Fragte er in die Schatten hinein. Stille. Das Zirpen von Grillen waren die einzigen Geräusche, welche die Nacht belebten und so kletterte er von der Mauer herab, um dem Alten gegenüberzutreten. Doch als er sich in der Gasse umsah, war niemand da. Grübelnd zog Saibo durch die Straßen und kehrte zurück zu der Schule. In den kleinen Häuschen hatten viele Überlebende Schutz gesucht und mit vereinten Kräften Notunterkünfte errichtet. Seine Hoffnung, den Alten hier anzutreffen, erwiesen sich als fruchtlos. Müde begab sich Saibo hinein. In dem Raum lagen viele, notdürftige Betten, bestehend aus Stroh und Tuch auf dem Boden. Drei Menschen schliefen bereits dick in alte Kleiderfetzen gehüllt, quer über den Raum verteilt und Saibo schritt zu dem Bett in der hintersten Ecke. Ermattet legte er sich auf die piksende Mattratze und kam schließlich zur Ruhe.

Die Tage verstrichen und Rastlosigkeit wütete in Saibos Brust. Den Alten hatte er nicht ein einziges Mal wieder gesehen und allmählich fragte er sich, ob er wohl nur das Hirngespinst seiner Fantasie gewesen war. Auch nach drei Tagen wollte die innere Unruhe, welche der Alte in ihm ausgelöst hatte, nicht abklingen. Er hatte nach Überlebenden seiner Kolonne gesucht, seinen Onkel, den Kriegshelden Kerphonios, welcher gemeinsam mit seinem Vater Zaim die erste Kolonne anführte, doch sie alle waren tot oder verschwunden. Stunden streifte Saibo an diesem Tag durch die Stadt. Auf seinem Rücken trug er einen torsogroßen, grünen Rucksack, aus dem der Griff eines Schwertes herausragte. Der Rucksack war prall gefüllt mit Reiseutensilien und Proviant. Konzentriert stöberte er in einer pergamentfarbenen Karte, die er während des Gehens aufgespannt vor seinem Körper hielt. Auf der Karte waren die umliegenden Städte um das Rebellenlager eingezeichnet und als erstes Anlaufziel, nördlich von Elpis, war die Stadt Assandria einkreist. Die Worte des Alten hatten Spuren hinterlassen, er wusste, dass er hier keine Zukunft hatte. Er war kein Handwerker, kein Arzt oder Bauer. Er war ein Krieger und sein Metier war hier nicht länger gefragt. Hier konnte er nicht mehr helfen. Ein letztes Mal durchschritt er die Stadt. Je näher Saibo dem Stadtrand kam, desto mehr drängte sich ihm der bestialische Gestank von Tod in die Nase. Die Hoffnung lag in Trümmern. Männer, Frauen und Kinder lagen über den kargen Erdboden verteilt in der ganzen Stadt. Schließlich schaffte Saibo es nicht weiter voranzuschreiten, ohne Mund und Nase mit einem dicken Tuch zu verhüllen. Wie Gras bedeckten die Leichname den Erdboden, viele von ihnen kohlenschwarz und sie reichten, soweit er blicken konnte. Ein langer Weg lag vor ihm. Er durchquerte das kolossale Tor, welches aus den Leichen herausragte und wanderte den Abhang hinunter in den seichten Wald hinein Richtung Norden.

Kapitel 3: Assandria

Die Vögel zwitscherten im rhythmischen Takt und goldene Sonnenstrahlen durchbrachen hier und dort die Blätterdächer, welche über dem Wald thronten. Knackende Stöcke ertönten unter Saibos braunen Lederstiefeln und die Flora und Fauna entfaltete sich rings herum. Vier Tage lagen hinter ihm und Schritt um Schritt schmerzten seine Füße unter der Dauerbelastung. Keiner Menschenseele war er während seiner Reise begegnet, doch nun, als der dritte Tag allmählich alterte, hörte er Gemurmel in der Ferne des Waldes. Euphorisch beschleunigte er seinen Gang und die Geräusche wurden lauter. Klackende Hufen ertönten und ein Pferdekarren bog vor Saibo um die Ecke. Seine Schritte wurden schneller und er begann zu rennen. Er schoss durch eine dicht bewachsene Wand aus Blättern und Gestrüpp hindurch und kam zum Stehen. Tief atmete er durch, er war angekommen. Vor ihm lag das prachtvolle Königreich Assandria. Mit seinem Rucksack bestückt, wanderte Saibo den Weg entlang. Die Häuser der alten Welt säumten die Straßenränder, die meisten brüchig, restauriert. Die größtenteils fehlenden Dächer abgedeckt mit Holzplatten und Stroh, die zerbrochenen Wände, neu aufgebaut. Pflanzen bewuchsen die Häuser, brachen durch ihre Wände, wucherten wild hier und dort und ließen die Stadt lebendig und organisch erscheinen. Die Natur blühte überall in der belebten Stadt doch je näher er dem Zentrum Assandrias kam, desto mehr wurde sie verdrängt und dichter und größer wurden die Häuser. Saibo drang in den Stadtkern vor und viele Menschen tummelten sich auf den Straßen. Die Häuser wurden stetig größer. Vor ihnen, die Stände der Händler, errichtet auf den Überresten der metallenen Fahrzeuge aus der alten Welt. Die Händler boten lautstark ihre Waren an und allmählich schmälerten sich die Straßen, sodass das Gedränge in den Gassen sich andauernd verstärkte. Assandria war eine zwiegespaltene Stadt, in der Arm und Reich sich dicht aufeinander drängten. Sie war weit überbevölkert, die hohen Gebäude waren Heim unzähliger Menschen, doch war es vor allem der reichen Oberschicht vorbestimmt in den gut erhaltenen Gebäuden, der alten Welt zu leben. In den dunklen Gassen, der vermoderten Gebäude im Norden der Stadt, lebte die andere Seite der Medaille. Die ärmlichen Menschen bevölkerten die Gassen und Hinterhöfe, wo ihre eigenen Gesetze galten. Die weit bekannten Märkte waren stets überfüllt und das Gedrängel lockte viele Diebe auf die Marktplätze, welche von den reichen Kaufleuten der Stadt gerne besucht wurden. Wut brodelte in Saibos Bauch, als er durch die Stadt ging und die gaianischen Soldaten betrachtete, wie sie selbstgefällig an jeder Ecke standen. Trotzdem war dies eine der wenigen Städte, die Kron der König Gaias, weitestgehend nicht unter Kontrolle hatte, denn Assandria war keine einheitliche Stadt. Auch vor Krons Belagerung, hatte die Regierung die Stadt nicht unter Kontrolle, denn der Abschaum der Stadt machte hier schon immer seine eigenen Gesetze und so wurde Assandria für Kron nie mehr als eine anarchistische Kolonie.

Saibo hielt sich bedeckt und kämpfte sich durch den Strom aus Menschen hindurch. Die Gasse war eng und die Menschen drängelten und schubsten. Sie mündete in einen großen offenen Platz, welcher von sich hoch auftürmenden Häusern umringt war. Unzählige Stände standen nebeneinander und trotz der Weitläufigkeit, hatte man wegen der vielen Menschen, kaum Platz zum Bewegen. Verschiedenstes wurde hier verkauft und alle möglichen Bevölkerungsschichten kamen hier zusammen.

»Haltet ihn!« Schrie jemand, nicht weit von Saibo und plötzlich rempelte ihn ein mit einer Kutte bedeckter Mann an, sodass er aufpassen musste, nicht durch die Wucht umgeworfen zu werden. Ein dicklicher Mann mit schwarzem Schnauzbart und buschigen Augenbrauen hechtete der vermummten Person hinterher. Dieses Mal wich Saibo mit einem eleganten Schritt zur Seite aus. Interessiert mischte er sich unter die Leute und wandelte durch die Stände. Die Farbpracht war überwältigend, nie zuvor hatte Saibo ein solches beeindruckendes Ausmaß an Farbvariationen gesehen. Die Kleidung der Menschen, Schmuck und Dekorationen leuchteten in allen erdenklichen Farben und Formen. Rauch und Gerüche stiegen auf und krochen in Saibos Nase, viele verschiedene, sodass er sie nicht mehr auseinanderhalten konnte. Der Geräuschpegel war enorm, man hörte Hühnergegacker und Kindergeschrei. Wild gestikulierend handelten die Standbesitzer mit ihren Kunden. Euphorisch unterhielten sich die Menschen hier und dort und Kinder sausten lachend, zwischen den Beinen der Erwachsenen umher. Saibos Sinne waren, je länger er durch die dichte Masse an Menschen wandelte immer betäubter, denn die Reizüberflutung ertränkte ihn geradezu. Orientierungslos irrte er umher und fand kaum die Möglichkeit selbst eine Richtung einzuschlagen. Die sich eng aneinander tummelnden Menschen drängten ihn, wie einen Fisch im Wasserstrom umher. Er wurde in ein weiträumiges Areal gespült. Gebannt blickten die Menschen nach links, wo ein hölzernes Konstrukt stand, welches einer Bühne glich. Ein hochgewachsener Mann stand auf dem Podium und seine dunkle, laute Stimme schallte gut hörbar über den Platz. Neugierig schlängelte sich Saibo durch die Menschen, um die Bühne besser sehen und den Mann besser hören zu können.

»...Es ist eure Pflicht!« Rief der Hochgewachsene in die Menge hinein. »Als Bürger Assandrias, seid ihr auf ewige Treue Kron und seinem Stadthalter, so wie ihren Gesetzen und Bestimmungen verpflichtet! Leider sind wir gezwungen, die Stadt militärisch zu überwachen. Keine Toleranz! Wer nicht für Gaia ist, ist gegen Gaia und Terroristen werden wir nicht dulden!« Die überwiegend gut betuchten Bürger auf dem Platz applaudierten ihm. Angewidert starrte Saibo auf die Bühne und sein Gesicht verzog sich vor Abscheu, als er das arrogante Grinsen in dem Gesicht des Sprechers sah. Viele Gedanken schossen Saibo durch den Kopf, wie ob er wohl einfach sein Schwert ziehen und ihn gnadenlos erschlagen sollte, doch wurden seine Fantasien abrupt unterbrochen als er plötzlich leichte ruckartige Bewegungen, von seinem Rucksack ausgehend spürte. Verwirrt drehte er sich nach hinten, um zu sehen, was das Rütteln verursachte und sah einen jungen Mann, der mit einem prachtvoll verzierten Dolch gerade die Riemen an seinem Rucksack durchtrennte. Während Saibo noch völlig überrascht nachdachte was gerade passierte, nickte ihm der junge Mann höflich zu und kappte den letzten Riemen. Von einer auf die andere Sekunde rannte er wie vom Teufel besessen, samt Rucksack durch die Menge davon. Überrumpelt blieb Saibo eine weitere Sekunde stehen und hastete dann dem Dieb hinterher.

»Stopp!« Rief er. Hoch konzentriert behielt er den Dieb im Auge, während er gleichzeitig den unzähligen Menschen in seinem Weg auswich. Ständig stieß er mit den Schultern der Passanten zusammen, was ihn jedes Mal etwas ausbremste. Der Dieb flitzte wie ein Hase durch die Menschen und Saibo fiel es schwer, an ihm dran zu bleiben. Über Kisten und Fässer sprangen sie. Verunsichert wegen der Schnelligkeit seines Verfolgers schaute der Dieb immer wieder prüfend über seine Schulter. Jedes Mal musste er feststellen das Saibo ein kleines Stückchen weiter aufgerückt war. Er rannte in eine der dunklen Gassen am Ende des Platzes, Saibo hinterher. Völlig außer Atem sprang er über Hindernisse und zwängte sich durch enge Durchgänge. Knapp tauchte er unter einer Wäscheleine durch, welche durch die enge Gasse gespannt war. Fuß um Fuß donnerte er durch die Gassen, sprang über Zäune und kletterte durch kleine Schlupflöcher. Mit einem starken Sprung erklomm der Dieb über einige Kisten eine niedrige Häuserfassade. Er holte kurz Luft, doch schrak überrascht auf, als Saibo es ihm mit identischer Agilität gleichtat.

»Jetzt bleib endlich stehen!« Schrie Saibo dem Dieb hechelnd hinterher. Todesmutig sprang dieser von dem Ende des Daches in eine schmale, dunkle Gasse hinab. Saibo hielt einen Moment am Rand.

»Verdammt!« Sagte er und stürzte sich ebenfalls in die Dunkelheit. Ein prellender Schmerz, als er unglücklich auf dem harten Boden aufprallte und umstürzte.

»Na super...« Murmelte er mit Schmerz verzogenem Gesicht im Dreck liegend vor sich hin. Hastig richtete er sich wieder auf, doch der Dieb war nicht mehr zu sehen. Schnell lief Saibo ans Ende der dunklen Gasse auf eine von der Sonne beleuchteten Kreuzung. Er sah sich um. Sein Herz schlug von der anstrengenden Verfolgung und er atmete schwer, während er planlos versuchte den Dieb in einer der schlecht beleuchteten Abzweigungen zu finden. Keine Chance, er war verschwunden. Keuchend sackte er am Gassenrand hinter einer der Obdachlosenbehausung zusammen und rang um Luft. Er hielt sich seine Hand an die Milzgegend und betrachtete mit leicht zusammengekniffenen Augen die Umgebung. Obdachlose säumten die Wegränder, kleine provisorische Behausungen, gebaut aus, Holzresten und anderen Abfällen, in denen sie schliefen. Raunen ging durch die Gasse und verwundert schauten sie auf den abgekämpften Rebellen herab. Er rastete einen Augenblick und atmete tief durch. Nach einer kurzen Erholungspause hievte Saibo sich wieder hoch und ging weiter.

Missmutig schritt er durch die Gassen. Zweifel machten sich allmählich in ihm breit. War es richtig aufzubrechen? Alles, was er hatte war in diesem Rucksack. Wie sollte er weiter vorankommen? Er hatte schon beinahe aufgegeben, als er gänzlich unerwartet in einer kleinen unscheinbaren Nebenstraße den Dieb wieder sah. Hektisch kramte dieser in Saibos Tasche und warf alle Gegenstände von geringem Wert über seine Schultern hinweg auf den Boden.

»Hab ich dich!« Flüsterte Saibo in einer Mischung aus Erleichterung und Wut vor sich hin. Schnurstracks marschierte er auf den völlig in den Rucksack vertieften Dieb zu.

»Ich glaube du wolltest mir etwas wiedergeben...« Sagte Saibo unterschwellig aggressiv. Geschockt sah der Dieb hoch.

»Ich...« Quetschte er hinaus, als Saibo ihn plötzlich packte, hoch zerrte und gegen die Wand presste.

»Rück die Sachen wieder raus!« Befahl Saibo grimmig. Der Dieb kramte einige Kleinteile aus seinen Taschen und ließ sie zu Boden fallen.

»Und jetzt verzieh dich!« Wutentbrannt schubste Saibo den schlaksigen Dieb mit einem rohen Stoß von sich weg. Er strauchelte einige Meter, doch wurde abrupt gestoppt. Verdutzt schaute der er hoch, denn er lag in den behaarten Armen eines stämmigen Mannes, welcher ihn hartnäckig festhielt.

»Ouh... Kacke...« Sagte der Dieb und der Mann begann breit und finster zu grinsen, sodass er seine unvollständigen Zahnreihen entblößte.

»Sieh an, sieh an. Hermes. Was für ein glücklicher Tag doch heute ist, das mir das Schicksal dich in die Arme wirft.«

Der Dieb schluckte und vier weitere Männer, von kerniger Statur, traten aus dem Schatten der Gasse hervor.

»Wer ist denn dein netter Freund?« Fragte der Mann und nahm Saibo ins Auge.

»Das ist nicht mein Freund. Ich kenne ihn gar nicht.«

»So so. Ihr seid also nur zufällig, hier zu zweit in dieser abgelegenen Seitenstraße mit diesem haufen Beute da am Boden?«

»Ähm... Ja?«

»Das werden wir schon noch herausfinden. Rhakim soll das entschieden.«

Der Dieb warf Saibo einen mitleidigen und entschuldigenden Blick zu.

»Packt ihn!« Befahl der Mann und die Vier marschierten geradewegs auf Saibo zu.

»Hey Moment, was zum...« Als Saibo gerade nach dem Schwert greifen wollte, welches am Boden neben dem Rucksack lag, stürmten die Männer auf ihn zu und rammten ihn. In einem Satz wurde er gegen die Wand geschmettert. Sein Brustkorb schmerzte von dem Aufprall. Panisch schaute er auf das Schwert, welches zu Füßen der Männer lag. Langsamen Schrittes kamen sie auf ihn zu. Er hatte keine Ausweichmöglichkeit. Die Männer kreisten ihn ein und Saibo wusste, dass ein Gespräch hier wohl nicht viel helfen würde. Sein Herz pumpte Adrenalin und es raste durch seine Venen. Blitzschnell schoss seine Faust hervor und krachte in eines der Gesichter. Der Mann machte einen Schritt zurück und hielt sich das Gesicht. Zwischen seinen Fingern rann das Blut hindurch und mit groben Hieben schlugen die anderen auf Saibo ein. Er schaffte es einen von ihnen von, um zu werfen, doch der Blutende rückte nach und Saibo konnte nicht länger standhalten. Er versuchte sein Gesicht vor den knochigen Fäusten der Männer zu schützen und fiel unter der schieren Wucht der Schläge rückwärts auf den Boden. Durch seine vor dem Gesicht verschränkten Arme, spähte er und sah, wie der Vierte auf ihn zulief. Harte Tritte trafen Saibo am ganzen Körper. Einer beugte sich hinunter, setzte sich auf Saibos Brust und schlug wie wild auf die kleinen Lücken zwischen seinen Armen auf sein Gesicht ein. Schmerzvolle Schreie tönten durch die Gasse. Mit unbändigem Willen öffnete er seine Deckung und prügelte mit geschlossenen Augen nach oben.

»Der wehrt sich zu sehr!« Klagte einer. Plötzlich sah Saibo an ihm vorbei, wie ein Weiterer mit einem großen Holzklotz auf ihn zu marschierte. Der Mann baute sich vor Saibo auf. Saibos Augen fixierten den Holzklotz, dumpfe Schläge schmetterten auf ihn ein und beendeten seine Gegenwehr.

»Fesselt ihn!«

»Haltet ihn fest!« Hörte er die Männer sich gegenseitig auffordern und spürte wie sie an ihm herum zurrten und seinen Körper eng, mit einem dicken Seil fesselten. Sie zogen es fest, rissen ihn hoch und warfen ihn auf die hölzerne Ladefläche ihres Handkarrens.

»Schon gut, schon gut, keine Schläge!« Wimmerte der Dieb, ließ sich freiwillig festbinden und neben Saibo schmeißen. Ein dickes Tuch wurde über die beiden Verschleppten gespannt und der Karren setzte sich in Bewegung. Es ruckelte, während er über den unebenen Untergrund rollte.

»Tut mir leid.« Sagte der Dieb in das unangenehme Schweigen hinein.

Stumm glitt Saibo sich mit seiner Zunge über die Lippen und schmeckte sein Blut.

»Hast du Schmerzen?« Fragte der Dieb weiter.

»Mein Leben besteht aus Schmerzen.«

Diese Antwort verstörte den Dieb.

Saibo schwieg einen Moment. »Wo bringen die uns hin?« Fragte er endlich.

»Ich weiß nicht, ob du das wirklich wissen willst...«

»Ich schon. Also spucks aus verdammt!«

»Zu Rhakim in den Palast der Aussätzigen.«

»Was?«

»Du bist nicht von hier oder? Hab ich gleich gemerkt. Du warst viel zu leicht zu beklauen. Also der Palast ist so eine Art Zufluchtsstätte für Kriminelle jeglicher Art. Also Diebe, Trickbetrüger, Auftragsmörder und so weiter. Rhakim ist im Grunde so etwas wie der Anführer, der König der Aussätzigen so zu sagen.«

»Na wundervoll... Diese Reise wird ja immer besser.« Grummelte Saibo mit hochgezogener Stirn.

»Was tuschelt ihr da!? Schnauze dahinten!« Schallte es durch die Decke hindurch und die Männer schlugen einige Male ermahnend auf die Decke ein.

»Ich bin übrigens Hermes. Hermes Metis.« Sagte der Dieb unüberlegt und erhielt daraufhin weitere Hiebe. Den Rest der Fahrt schwiegen Saibo und Hermes, um nicht weiter traktiert zu werden. Sie wurden immer weiter aus dem Stadtkern herausgebracht, Richtung Norden. Die lauten und zahlreichen Stimmen der Menschen, die durch die Plane drangen nahmen ab, bis sie beinahe gänzlich verschwanden. Sie hörten lautes Rascheln und der Karren schaukelte stark, als sie das dicht von Pflanzen bewachsene Gebiet im Norden passierten. Auf einmal blieben sie stehen.

Kapitel 4: Der Palast der Aussätzigen

»Wir sind da.« Sagte einer der Männer und riss die Plane vom Karren. Ruppig zogen sie Hermes und den völlig lädierten Saibo hoch. Sie kappten, bis auf jene an den Handgelenken, alle Fesseln und schubsten die Beiden mit einem rauen »Vorwärts!« voran. Saibos Mund klappte ungläubig auf, als er auf das gigantische Gebäude blickte. Es wirkte tatsächlich wie ein alter heruntergekommener Palast, nur größer. Es war ein gigantisches viereckiges Gebäude. Darauf eine riesige alte Glaskuppel, die einst das Dach darstellte, doch über die Jahre war nur ein splittriger, kreisförmiger Ausschnitt davon übrig geblieben. Saibo erblickte die unzähligen Menschen, die dort lebten. Der Rauch von Kochstellen stieg aus den Öffnungen in denen wohl einst Fenster waren heraus. Einige verdreckte und vermoderte Fenster konnten noch an der Fassade erblickt werden, doch die meisten waren herausgebrochen. Misstrauisch schauten die Menschen aus ihren Unterkünften, es waren zwielichtige Gestalten, welche an den Rändern der Wohnungen saßen und auf die Neuankömmlinge herab sahen. Vernarbte warfen ihnen zornige Blicke zu, während sie den Rauch ihrer Wasserpfeifen aus den Mündern stießen. Sie gingen durch den riesigen palastartigen Eingang, über dem auf einer alten schmutzigen Metallplatte in ausgestanzten Buchstaben das Wort »Nord-Einkaufszentrum« zu lesen war.

Eine große Gruppe aus Jugendlichen wachte über den Eingang. Kritische und provozierende Blicke die sie Saibo zu warfen, doch wendeten sie diese unsicher ab, als die breit gebauten Männer die Saibo und Hermes führten sie ins Auge fassten.

Sie gingen in das Gebäude, es war wie ein langer Gang, der sich vom Eingang bis zum anderen Ende des Gebäudes zog. In der Mitte ein riesiger nicht mehr funktionierender Springbrunnen. Links und rechts des Ganges türmten sich je 3 Stockwerke auf. Jedes umfasste einen diagonal zum untersten verlaufenden Gang mit Geländer. An ihren Seiten waren die einzelnen Wohnungen aufgereiht. Einige der Wohnungen hatten normale Wände und Türen, doch die meisten waren mit Hölzern zugenagelt und mit provisorisch, umfunktionierten Türen versehen. Stümperhaft mit den verschiedensten Materialen abgedichtet. Hektisch trieben die Männer die Beiden voran. Die düsteren Gestalten in dem Gebäude beäugten Saibo kritisch. Sie durchschritten einen engen, unbeleuchteten Durchgang, vor dem erst einige Aufpasser beiseitetreten mussten. Am Ende des engen Korridors zogen sie seidene Vorhänge beiseite und ein großer von Säulen gespickter Raum kam zum Vorschein. Der Raum war abgeschottet und nur die, an den Wänden flackernden Fackeln beleuchteten ihn. Kissen und Tücher soweit Saibo sehen konnte. Sie gingen über einen durch die Mitte verlaufenden, gekachelten Pfad. Links und rechts davon rekelten sich junge Frauen leicht bekleidet auf den Kissen, zwischen wenigen edlen Männern, welche die Fremdlinge in Anbetracht der Mädchen scheinbar überhaupt nicht wahrnahmen.

»Wie ich den Anblick vermisst habe!« Sagte Hermes und stieß dem, von den betörenden Blicken der Mädchen, vollkommen hypnotisierten Saibo in die Seite. Freudig zwinkerte Hermes einigen der Mädchen zu, doch galten ihre verführerischen Blicke hauptsächlich dem lädierten Rebellen. »Wenn diese fünf Gorillas um uns herum nicht wären. Glaub mir, dann...«

»Schnauze jetzt Hermes!« Sagte der Größte unter den Fünfen und schlug ihm mit der flachen Hand gegen den Hinterkopf.

»Ist ja schon gut.« Beschwichtigte Hermes eingeschnappt und schwieg. Sie durchschritten das Labyrinth aus Kissen und Säulen und endeten schließlich in einem runden, edel verzierten Nebenraum. Sie stoppten. Vor ihnen lag auf einem aus Kissen und Tüchern aufgetürmten Thron ein Mann, umringt von drei Mädchen, die ihn sinnlich massierten. Mehrere bewaffnete Männer standen akkurat im Raum verteilt und musterten die Gefangenen kritisch.

Der Anführer der fünf Männer trat vor.

»König Rhakim.« Sagte er ehrerbietend. »Wir haben ihn.«

Rhakim war ein etwa 30 jähriger Mann, von sportlicher Statur, schwarzes rückwärts gekämmtes Haar und ein Spitzbart zierten sein Gesicht. Er trug weite, seidene Kleidung und sein Körper war gänzlich mit edlem Schmuck behängt. Ein triumphierendes Lächeln legte sich auf seine Lippen, als er Hermes erblickte.

»Ich danke dir Aga« Sagte Rhakim mit einer rauchigen, sanften Stimme und der Anführer der Fünf trat zurück.

»Wer kommt denn da heim, zu seinem Herrchen?«

»Hey Rhakim lange nicht gesehen. Wie geht's dir?« Fragte Hermes mit geschauspielert lockerer Laune. Rhakims Augenbrauen glitten hinab und er nickte einem seiner Männer zu. Ein kräftiger Hieb auf Hermes Hinterkopf war die Folge.

»Hey!« Schrie er auf. »Nicht immer auf den Hinterkopf!«

»Angeblich fördert das ja das Denkvermögen.« Sagte Rhakim leicht gereizt. »Also Hermes. Du bist ein mieser kleiner Taschendieb, was zum Teufel hat dich dazu veranlasst, dich zum König aller Diebe aufzuschwingen und MICH zu beklauen!?« Rhakims Stimme wurde zornig und laut.

»Du hast IHN beklaut!?« Flüsterte Saibo Hermes ungläubig zu.

»Kann man so sagen...« Flüsterte dieser zurück. »Ich weiß echt nicht was du meinst Rhakim. Komm schon. Wieso sollte ich dich beklauen? Ich bin doch nicht schmerzensgeil.«

»Das werden wir schon noch herausfinden. Wo ist, was du mir gestohlen hast? Eingetauscht? Ausgegeben? Naja eine Sache von Wert hast du ja noch, um mich auszuzahlen. Warte ab, bis wir sie finden. Um die werde ich mich persönlich kümmern.« Schelmisch grinste Rhakim.

Schlagartig riss Hermes sich leicht nach vorne, in seinen Augen brannte das Feuer des Zorns. »Wenn du sie anfasst..!«

»Dann was!?« Fauchte Rhakim zurück.

»Sag mir wo du sie versteckt hast und ich verspreche dir einen schnellen und schmerzlosen Tod.«

»Keinen Bock.«

Zornig bäumte Rhakim sich auf und sah mit einem Wut verzogenen Gesicht auf Hermes herab. »Ich werde dir die genaue Bedeutung des Wortes Schmerz beibringen! Deine Widerspenstigkeit wird zusammen mit deinen Knochen gebrochen werden! Sperrt ihn ins Verlies! Morgen beginnt dann die Suche nach den Grundfesten des Schmerzes.«

»Was sollen wir mit dem hier machen? Wir haben ihn zusammen mit Hermes in einer entlegenen Gasse gefunden.« Sagte Aga und deutete auf Saibo.

»Sperrt ihn dazu. Vielleicht weiß er etwas und wenn Hermes nicht mit der Sprache rausrückt, dann vielleicht er.«

»Jawohl.« Sie packten Saibo und zerrten ihn in engem Griff gemeinsam mit Hermes aus dem Raum.

»Lasst mich los! Ich weiß nichts!« Beteuerte Saibo immer wieder, doch hörten sie ihn nicht an. Sie schleiften ihn und Hermes durch enge Gänge jenseits des haremsartigen Raumes. Es war kalt und feucht und der feste Griff in Kombination mit den Fesseln, entledigte Saibo der Möglichkeit sich frei zu kämpfen. Sie kappten seine Fesseln und stießen sie in einen dunklen Raum. Ein lautes Grollen, endete mit einem hell klingenden Schlag, als die Gittertür zu geschoben wurde.

»Bis morgen Früh.« Sagte Aga mit einem schadenfrohen Grienen und die Männer gingen. Zurück blieben nur Saibo und Hermes in der düsteren Zelle.

Wütende Blicke strömten von Saibo aus auf Hermes, der sich scheinbar unbekümmert in eine Ecke setzte.

»Ja mach's dir nur gemütlich.« Sagte Saibo frustriert und wendete genervt den Blick ab.

»Tut mir Leid. Ehrlich ich wollte dich da nicht mit reinziehen. Andererseits...«

»Andererseits was?«

»Andererseits wären wir gar nicht in dieser misslichen Lage wenn du mich nicht wie ein Irrer gejagt und durch die Gasse geschleudert hättest...«

»Willst du allen Ernstes jetzt behaupten das Ganze sei meine Schuld!?« Saibos stark aggressive Stimme wurde vor Zorn leicht brüchig.

»Reg dich ab.« Gemütlich faltete Hermes die Hände hinter seinem Kopf und lehnte sich entspannt zurück, gegen die karge Steinwand.

»Abregen? Abregen!? Soll das ein verdammter Scherz sein!? Ich soll mich abregen!?«

»Jup. Abregen.«

Sprachlos stand Saibo da und es schien, als erstickte er an seiner Wut. Hermes machte keinen Anstand auf Saibos zornrotes Gesicht zu reagieren und schloss gleichgültig die Augen.

»Also du bist ein Reisender?« Fragte er Saibo mit ruhiger Stimme.

»Für solche lockeren Gespräche ist jetzt wirklich nicht der richtige Zeitpunkt!«

»Siehst aus wie ein Krieger. Wo willst du hin?«

»Was geht dich das bitte an?«

»Ich will mit kommen.«

»Tzzz.« Saibo grinste höhnisch. »Nenn mir einen vernünftigen Grund, warum ich dich mitnehmen sollte?«

»Weil ich uns hier als Einziger raus holen kann, mein Freund.« Fragend schaute Saibo ihn an, doch verstand, als Hermes einen dicken Schlüssel aus seinem Hosenbund holte. »Ich bitte dich, was hast du erwartet? Ich bin Dieb.«

»Schön. Und wie stellst du dir vor hier herauszukommen? Der Schlüssel ist eine Sache, aber was ist mit den Wachen?« Fragte Saibo skeptisch.

Hermes grinste breit. »Hey, du bist doch der Krieger von uns beiden. Ich glaube du solltest eine Antwort auf deine Frage wissen. Mach dir keine Sorgen, ich bin hier praktisch groß geworden, ich kenne im Grunde alle Gänge auswendig, es wird ein leichtes sein sich hier heraus zu schleichen. Vielleicht musst du ein oder zwei Wachen auf dem Weg platt machen, aber das dürfte für einen Muskelmann wie dich wohl machbar sein?«

Nacht.

»Psssst« Machte Hermes und hielt sich symbolisch den Zeigefinger vor den Mund. Saibo unterbrach daraufhin seine traktierende Nörgelei an Hermes, seiner Meinung nach unausgereiften und kindischen Plan. Im düsteren Gang vor den Gitterstäben liefen in regelmäßiger Patrouille Wachen Auf und Ab. Als die Wache den Gang hinauf geschritten war, packte Hermes die Gelegenheit beim Schopfe.

»Bereit?« Fragte er Saibo, nachdem er den Schlüssel im Schloss platziert hatte. Saibo nickte und Hermes drehte den Schlüssel.

»Klack!« Tönte es lauter als gedacht durch den Gang und das Echo hallte noch eine Weile nach.

»Du verfluchter Idiot!« Fuhr Saibo ihn an, doch Hermes entgegnete nur ein weiteres »Psssst«.

Stiefelschritte kamen aus den Schatten und orangefarbenes Licht schien in dem Gang, als die patroullierende Wache mit ihrer Fackel, schnellen Schrittes auf die Zelle zu kam.

»Was ist hier los?« Fragte sie in rauem Ton und starrte Hermes aufgebracht durch die Gitterstäbe an. Mit gespielter Unschuld presste er ein unschuldiges Lächeln heraus.

»Gar nichts. Wirklich...« Sagte er. »Wir sind nur gerade dabei, hier auszubrechen..«

Verwirrt hielt die Wache einen Moment inne. Saibo der vor dem Eintreffen der Wache bereits die Zelle verlassen hatte, tauchte hinter dem Wachmann aus dem Schatten und riss ihm das Schwert aus der Scheide an seiner Hüfte. Erschrocken schrie die Wache durch den Gang, bevor Saibo sie mit einem schnellen Schwerthieb niederstreckte.

»Jetzt aber schnell!« Spornte er Hermes an und riss die Gittertür auf.

»Ja ja. Ruhig Blut«

Aufmerksam wie ein Luchs trappelte Hermes, mit dem bewaffneten Rebellen im Rücken durch die Gänge und spähte bei jeder Ecke erst einmal vorsichtig hervor, bevor er weiter schlich. An einer T-Kreuzung erstarrte er und hockte sich hinter eine Mauer. Ruppig riss er Saibo zu sich herunter.

»Bewegt euch!« Keifte Aga einigen Männern zu und sie rannten durch den schummrigen Gang. »Findet raus, was los ist!« Saibo und Hermes hockten hinter der Ecke und wurden von Aga und seinen Männern im Düsteren übersehen.

»Knappes Ding.« Atmete Hermes aus. »Siehst du die Tür dort am Ende des Ganges?«

Saibo nickte.

»Geh da raus, etwa 50 Meter geradeaus durch das Dickicht. Warte dort.«

»Was ist mit dir?«

»Ich muss nur noch schnell etwas erledigen, ich komme dann nach.« Urplötzlich sprang Hermes auf und raste den Gang in die Richtung aus der Aga gekommen war entlang. Ratlos über sein weiteres Vorgehen, beschloss Saibo den Anweisung zu folgen und stürmte in die entgegengesetzte Richtung, aus der kleinen Hintertür hinaus in den dunklen Wald.

Kapitel 5: Die Flucht aus Assandria

Fast eine halbe Stunde war bereits vergangen, seit Saibos und Hermes Wege sich getrennt hatten.

»Wo zum Teufel steckt der?« Murmelte Saibo ungestüm vor sich hin und suchte mit seinen Augen zwischen den Bäumen nach einem Lebenszeichen von Hermes. »Ob sie ihn geschnappt haben?« Unruhig schritt er Auf und Ab und versuchte in der schwärze der Nacht die Umgebung zu mustern. Plötzlich packte ihn eine Hand.

»Ich hab ihn!« Ließ eine Stimme verlauten und Saibos Herz schien stehen zu bleiben. Erschrocken packte er die Hand und schleuderte den Besitzer über seine Schulter hinweg auf den Boden. Instinktiv zog er das von der Wache entwendete Schwert und stoppte noch in letzter Sekunde den Streich.

»Ich bins!« Rief ihm panisch der am Boden liegende Mann entgegen und Saibo erkannte, dass es Hermes war, der da zu seinen Füßen lag. »Komm mal wieder runter!« Protestierte dieser völlig aufgewühlt von dem plötzlichen Angriff Saibos.

»Was heißt hier kommt runter?! Man packt einen Mann auf der Flucht nicht einfach von hinten und verkündet »Ich hab ihn!« Weißt du, wie du mich erschreckt hast?«

»Ich meinte doch nicht dich du Neandertaler! Ich meinte meinen Dolch!« Antwortete Hermes und streckte Saibo seinen edel verzierten Dolch entgegen.

»Dafür hast du dich in da rein geschlichen? Für ein Messer!?«

»Nicht EIN Messer! MEIN Dolch!«

»Sucht das ganze Gelände ab!« Schrie eine dunkle Stimme aus der Ferne auf einmal in ihr Gespräch hinein und Saibo erblickte die Lichter dutzender Fackeln zwischen den Baumstämmen. Empört und erwartungsvoll sah er Hermes in die Augen.

»Gut. Kann sein das ich von ein, zwei Leuten entdeckt wurde, als ich mir meinen Dolch aus Rhakims Thronsaal wieder geholt habe. Jetzt schau mich nicht so anklagend an. Sehen wir lieber zu, dass wir hier wegkommen.«

»Lasst die Hunde los!« Rief die Stimme in der Ferne.

Erschrocken weitete Saibo seine Augen. »Du hast recht. Gute Idee. Weg hier.« Schnell streckte Saibo ihm seine Hand entgegen und hievte ihn hoch.

Über Stock und Stein, Erde und Gras hasteten die Zwei auf ihrer Flucht durch die rabenschwarze Nacht. Im Nacken, Hundegebell und Fackeln. Mitten im Wald blieb Hermes stehen und kämpfte sich aus seinen Schuhen.

»Was tust du da!?« Fuhr Saibo ihn an. Wortlos warf Hermes einen seiner Schuhe in den Wald.

»Die haben Hunde.« Erklärte er. »Ich hab in meinem Leben genug Erfahrungen mit Spürhunden gemacht. Ich lege falsche Fährten mit meiner Kleidung.«

»Die werden uns trotzdem riechen!« Widersprach Saibo aufgebracht.

Hermes zuckte mit den Schultern. »Solange du kein Schmieröl oder Knoblauch dabei hast, ist das legen falscher Fährten unser einziger Trumpf.«

Saibo kratzte sich nachdenklich am Kopf. »Schmieröl oder Knoblauch?«

»Das ist das Einzige was unseren Körpergeruch genug verdecken würde, damit die Spürhunde uns nicht riechen.«

Saibo konnte nichts einwenden, anscheinend wusste Hermes tatsächlich wovon er sprach.

»Komm weiter!« Forderte Hermes und sauste sofort los, Saibo hinterher. Während sie den Wald durchquerten, warf Hermes hier und dort Kleidungsstücke in das Gehölz und es schien zu funktionieren. Je weiter sie rannten, desto mehr rückten die Fackeln in die Ferne und je leiser wurde das Gebell der Hunde, bis es verstummte. Orientierungslos folgte Saibo seinem Wegweiser, erst durch die konfuse Eintönigkeit des Waldes und schließlich durch die Gassen der Innenstadt.

Letztlich kamen sie zum Stehen. Hechelnd stützten sich die beiden Flüchtigen auf ihre Knie und verschnauften kurzatmig.

»Ich glaube wir sind in Sicherheit...« Stellte Hermes fest.

»Wir haben sie schon lange abgehängt.«

»Zwischen abhängen und in Sicherheit, liegt ein Unterschied. Der ganze verdammte Norden wird von Rhakim kontrolliert, jeder dort würde dich umgehend verraten, sobald er Wind kriegt das Rhakim dich sucht.«

»Und was nun?«

»Nun sehen wir zu, das wir aus der Stadt kommen. Aber nicht heute. Ich kenne einen sicheren Ort. Dort werden wir heute Nacht rasten und Morgen umgehend aufbrechen.«

Saibo nickte.

»Na dann komm.« Hermes führte Saibo durch die ärmlichen Gassen Assandrias in den Teil der Stadt, in dem die Oberschicht verkehrte. Sie schritten die Treppen eines der edlen, riesigen Ziegelhäuser hoch und blieben schließlich vor einer hölzernen Tür stehen. Skeptisch beäugte Saibo Hermes, welcher in einem rhythmischen Takt gegen die Tür klopfte. Ein kurzes Zögern. Hermes klopfte erneut, in dem selben Rhythmus und die Tür, wurde zögernd ein kleines Stück geöffnet.

»Ich bin es.« Flüsterte er durch den engen Türspalt und die Tür wurde ruckartig aufgerissen.

»Hermes!« Rief ihm ein Mädchen, etwa in seinem Alter entgegen und fiel ihm euphorisch um den Hals. Ihre braunen Augen strahlten in der Dunkelheit. Langes schwarzes Haar fiel von ihrem Kopf herab auf ihre schmalen Schultern. Saibos Blick wanderte hinunter. Ihre verschmutzte und verblichene lila Kleidung erinnerte leicht an das Kleid einer Bauchtänzerin, doch ihr schlanker Bauch wurde von einem engen weißen Shirt verdeckt, welches sie darunter trug. Mit offenem Mund stand Saibo da und sah dem Mädchen in die Augen.