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Beschreibung

Biblisch-theologische Grundlagen und systematisch-theologische Dimensionen Die Rede von Jesus Christus steht im Zentrum christlichen Glaubens und christlicher Theologie. Das Apostolische Glaubensbekenntnis fasst in seinem zentralen zweiten Artikel wesentliche Aspekte des Bekenntnisses zu Jesus Christus zusammen. Der vorliegende Band bietet historisch-bibelwissenschaftliche Grundlagen und systematisch-theologische Perspektiven zu den einzelnen christologischen Aspekten des Apostolischen Glaubensbekenntnisses.

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Seitenzahl: 998

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Die Rede von Jesus Christus als Glaubensaussage

Dialoge zwischen Bibelwissenschaft und Dogmatik

Jens Herzer / Anne Käfer / Jörg Frey

Mohr Siebeck GmbH & Co. KG

Inhaltsverzeichnis

VorwortZur EinführungJens Herzer: Das Bekennen des Glaubens als Herausforderung an die Theologie. Eine EinführungAndreas Lindemann: »Wir glauben an Jesus Christus…«. Glaube und Bekenntnis im frühen Christentum zwischen Integration und AbgrenzungRochus Leonhardt: Die Bedeutung von Bekenntnissen in Theologie und Kirche zwischen Anspruch der Tradition und aktuellen HerausforderungenI. »… und an Jesum Christum seinen einigen Sohn unsern Herrn«Karl-Wilhelm Niebuhr: Jesus, der Israelit. Die Menschlichkeit Jesu im Zusammenhang der paulinischen ChristologieMartin Leiner: Der Glaube an einen persönlichen und universalen Christus JesusGeorg Neugebauer: Reflexionen und Impulse zur DiskussionII. »… der empfangen ist vom heiligen Geist, geboren von der Jungfrauen Maria«Gudrun Holtz: »Kein Wort wird unwirksam sein, das von Gott kommt« (Lk1,37). Die Geburt Jesu aus der Jungfrau Maria als Erweis der schöpferischen Macht des Wortes GottesGregor Etzelmüller: Dogmatische Perspektiven auf Geist- und JungfrauengeburtLina Hildebrandt-Wackwitz: Reflexionen und Impulse zur DiskussionIII. »… gelitten unter Pontio Pilato, gekreuziget, gestorben und begraben«Roland Deines: Der Tod des Gottessohnes und das ewige Leben der MenschenDirk Evers: Das Kreuz Jesu Christi als Wende. Hermeneutische Überlegungen zu Jesu Leiden und SterbenAlexander Dölecke: Reflexionen und Impulse zur DiskussionIV. »… niedergefahren zur Höllen« / »… hinabgestiegen in das Reich des Todes«Marco Frenschkowski: Hinabgestiegen in das Reich der Toten. Jenseitsmythen, Christologie und der Weg der SeeleMatthias D. Wüthrich: Eine systematisch-theologische Sinnsuche im Blick auf das Bekenntnis zum Descensus Jesu ChristiFriederike Kunath: Reflexionen und Impulse zur DiskussionV. »… am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren gen Himmel«Jörg Frey: Biblisch-theologische Reflexionen zum Bekenntnis zur Auferstehung Jesu ChristiAnne Käfer: Erlebte Auferstehung. Systematisch-theologische Reflexionen zum Bekenntnis der Auferstehung ChristiNicole Oesterreich: Reflexionen und Impulse zur DiskussionVI. »… sitzend zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters«Reinhard Feldmeier: Gottes Allmacht und die Ermächtigung des MenschenMartin Wendte: Allmächtige Herrschaft und die Freiheit der Christgläubigen. 14 ThesenJakob Spaeth: Reflexionen und Impulse zur DiskussionVII. »… von dannen er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten«Hermut Löhr: Der Messias als Richter. Zur Entstehung und Bedeutung einer Aussage im zweiten Artikel des Credos in den Anfängen des christlichen GlaubensMarkus Mühling: Gericht, Rechtfertigung und Heiligung in systematisch-theologischer PerspektiveBenjamin Schliesser: Reflexionen und Impulse zur DiskussionSchlussreflexionJörg Frey/Anne Käfer: Chancen und Schwierigkeiten des Dialogs zwischen Exegese und Systematischer TheologieBiogramme der Autorinnen und AutorenStellenregister1. Bibel2. Frühjüdische und rabbinische Texte (alphabetische Reihenfolge)3. Außerkanonische christliche Texte (alphabetische Reihenfolge)4. Nag Hammadi-Texte5. Pagane antike Literatur (alphabetische Reihenfolge)AutorenregisterSach- und Personenregister
[Zum Inhalt]

|V|Vorwort

Der vorliegende Band versammelt die Beiträge einer interdisziplinären Tagung, die von den Herausgebern und der Herausgeberin vom 19. bis 21. März 2015 in Leipzig veranstaltet wurde und den zweiten Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses zum Thema hatte. Anliegen und Ziel war es, zum christologischen Artikel ein interdisziplinäres Gespräch zwischen Bibelwissenschaft und Dogmatik zu initiieren. Darauf war das Format der Tagung abgestimmt: Jeder Topos des Bekenntnisartikels wurde mit je einem Beitrag aus exegetischer und systematisch-theologischer Perspektive erörtert und eine kritische Response führte in die gemeinsame Diskussion ein. Das Format hat sich bewährt: Der intensive Dialog war für beide Seiten eine fruchtbare Herausforderung, die nicht zuletzt auch die kontroversen Aspekte im Blick auf die zeitgemäße Bedeutung des alten christlichen Bekenntnisses vor Augen geführt hat, sowohl grundsätzlich als auch im Hinblick auf konkrete Inhalte.

Allen Beteiligten ist daher für ihren Beitrag zu dieser Tagung auch an dieser Stelle noch einmal zu danken: Den Vortragenden dafür, dass sie sich auf dieses Format eingelassen haben, den Respondierenden, die zum Zeitpunkt der Tagung alle wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren, dass sie sich zu kritischen Impulsen haben herausfordern lassen, sowie den Studierenden, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Leipzig, die mit enormen Engagement bei Organisation und Durchführung geholfen haben. Die Finanzierung der Tagung haben dankenswerterweise die Universität Zürich, die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens sowie die Theologische Fakultät der Universität Leipzig und ihr Förderverein sichergestellt. Ein besonderer Dank gilt schließlich Frau Nicole Oesterreich für die Herstellung der Satzvorlage, Frau Eva Maria Dietz und Herrn Manuel Nägele für die Erstellung der Register und Frau Sylvia Kolbe für das Lesen der Korrekturen. Den verantwortlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verlages Mohr Siebeck danken wir für die professionelle Zusammenarbeit.

 

Leipzig, Münster, Zürich, im September 2017

 

Jens Herzer

Anne Käfer

Jörg Frey

[Zum Inhalt]

|1|Zur Einführung

|3|Das Bekennen des Glaubens als Herausforderung an die Theologie

Eine Einführung

Jens Herzer

Credo – »Ich glaube« – mit dieser sehr persönlichen Formulierung beginnt jenes Glaubensbekenntnis, das in der Tradition der Kirchen das apostolische genannt wird. Anders als im »Wir« des Nizäno-Konstantinopolitanums oder etwa auch in den Nachdichtungen des Bekenntnisses 1524 durch Martin Luther (EG183) bzw. 1937 durch Rudolf Alexander Schröder (EG184) hebt die erste Person Singular des Apostolikums nicht zuerst auf die Glaubens- und Bekenntnisgemeinschaft ab, in der sich der oder die Einzelne in seinem oder ihrem Glauben integriert und getragen weiß. Die explizit individuelle Form ist vielmehr eine Herausforderung. Sie ist eine Herausforderung zur Stellungnahme, zum Sich-Verhalten gegenüber einem Anspruch, der die persönliche Überzeugung betrifft. Aus dem mehr oder weniger anonymen »Wir« des gemeinsamen Bekenntnisses heraus muss das »Ich« sich nennen und bekennen. Darin liegt nicht nur die Chance der selbstbewussten Behauptung einer eigenen religiösen Identität; der oder die Bekennende macht sich auch angreifbar. Die Worte des apostolischen Bekenntnisses zu sprechen bzw. mitzusprechen setzt dabei noch mehr als ein inklusives credimus[1] die individuelle Identifikation mit den Inhalten des Bekenntnisses voraus. Das kann ein Problem sein. Gleichzeitig aber eröffnet diese persönliche Grammatik des Credos einen Raum der Freiheit zum Sich-Verstehen vor bzw. in den konkreten Formulierungen. Ein »Wir« des Bekenntnisses impliziert, dass man sich einem gemeinsamen Verständnis des gemeinsam Bekannten verpflichtet weiß. Demgegenüber bietet die individuelle |4|Form die Möglichkeit, sich seines eigenen Verständnisses des Bekenntnisses zu vergewissern, und zwar unabhängig davon, ob die anderen Mitglieder der Bekenntnisgemeinschaft dasselbe Verständnis mit den alten und durch die Tradition geprägten Worten verbinden, die im Gottesdienst zwar alle gleichzeitig, aber doch jeder bzw. jede für sich sprechen und mit Bedeutung füllen.

Wie kaum ein anderer Text stellt das Credo neben den persönlichen Implikationen auch eine Herausforderung an die Theologie dar. Ein alter überkommener Text aus Zeiten, die nicht die unseren sind, mit gefügten Worten, die ebenfalls nicht die unseren sind, mit Aussagen, die theologische und dogmatische Auseinandersetzungen spiegeln, um die kaum noch weiß, wer heute das Bekenntnis aus welchen Gründen auch immer im Gottesdienst mitspricht. Das betrifft den zweiten Artikel und somit die Christologie in besonderer Weise. Die christologischen Aussagen des Bekenntnisses und damit nicht zuletzt die Frage nach dem Verhältnis zwischen Göttlichkeit und Menschlichkeit Christi, der göttlichen und menschlichen Natur unter dem Vorzeichen der altkirchlichen Zwei-Naturen-Lehre ist und bleibt eine Herausforderung, an der sich die Geister scheiden. Das Apostolikum benennt in seinem zweiten Artikel diesen Aspekt der Christologie nicht ausdrücklich (wie etwa das Nizänum), setzt ihn aber doch implizit voraus, was die Sache nicht weniger kompliziert macht, weil damit das Zentrum des christlichen Glaubens schlechthin thematisiert ist. Während der erste und dritte Artikel gerade angesichts aktueller interkultureller bzw. interreligiöser Diskurse anschlussfähiger erscheinen, ist nicht nur das Ringen um die Bedeutung der Christologie, sondern auch um deren angemessene sachliche und sprachliche Entfaltung unter den Bedingungen der heutigen Zeit umso dringlicher.

Angesichts der aktuellen politisch-religiösen Problemlandschaft läge es nur scheinbar näher, den ersten und dritten Artikel zu priorisieren, weil diese anschlussfähiger seien an die Diskurse unserer Zeit über Religion und Gesellschaft, über Menschenwürde und Menschenbild, und damit auch für das, was auch an theologischen Fakultäten durch den »Segen« der Studienreform unter dem Stichwort »Interkulturelle Theologie« immer stärker in den Vordergrund tritt. Für den interkulturellen Dialog der Theologien, den zu stärken der Wissenschaftsrat 2010 mit den »Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften an |5|deutschen Hochschulen« ausdrücklich gefordert hat,[2] ist der zweite Artikel gelinde gesagt etwas »sperrig«, wie man das heute so gern nennt. Doch genau diese »Sperrigkeit« interessiert uns: Was ist eigentlich heute in Zeiten vielfach beschworener Toleranz, Weltoffenheit und religiöser Indifferenz einerseits und grober religiös motivierter Gewalt andererseits das spezifisch Christliche, das wir in die gesellschaftlichen Diskurse einbringen? Wie zeitgemäß ist eigentlich ein solches Bekenntnis zu einem Christus, an dessen exklusivem Anspruch und dessen Bedeutung für eine spezifisch christliche Identität sich die Geister scheiden? Wie kann schließlich ein solcher Glaube unter den Bedingungen unserer Zeit zur Sprache gebracht werden? Und nicht zuletzt: Welche Funktion hat unter den heutigen Bedingungen die Bindung an Bekenntnisse für Theologie und Kirche, wenn es denn stimmt, dass die (akademische) Theologie eine der Kirche und ihren dogmatischen Traditionen gegenüber kritische Funktion habe? Die Konfessionsklauseln in deutschen Studien- und Prüfungsordnungen staatlicher Hochschulen werden immer wieder infrage gestellt, zuletzt durch ein viel beachtetes Papier des Studierendenrates Evangelische Theologie von 2013,[3] dem etwa die bereits 2002 beschlossene und im Tenor durchaus anders gelagerte Stellungnahme der Gemischten Kommission I zur »staatskirchenrechtlichen Notwendigkeit der Konfessionsklausel« gegenübersteht.[4] Wie lässt sich begründen, dass nicht nur die Kirchen, sondern auch die Theologischen Fakultäten an dieser Klausel festhalten, und zwar auch für diejenigen Abschlüsse, die nicht zum kirchlichen Dienst in Lehramt oder Pfarramt führen? Stammen nicht deren staatskirchenrechtliche Grundlagen aus einer längst vergangenen Zeit? Was ist unter Bekenntnisbindung überhaupt zu verstehen? Wie bindend können Bekenntnisse eigentlich sein angesichts der Tatsache, dass sie unter ganz bestimmten historischen Umständen entstehen und damit keineswegs selbstverständlich eine zeitlose Gültigkeit beanspruchen können, zumal reformatorisch gesehen »allein die Schrift« die normierende Norm des Glaubens darstellt?

|6|Aus alldem wird deutlich, dass die Beschäftigung mit dem christologischen Artikel des Bekenntnisses nur ein interdisziplinäres Unternehmen »zwischen Bibelwissenschaft und Dogmatik« sein kann. Ohne den innertheologisch-interdisziplinären Diskurs kommen wir in den wichtigen Fragen hinsichtlich der Plausibilisierung christologischer Topoi als prägende Aspekte einer christlichen Glaubensidentität unter den Bedingungen und Herausforderungen unserer Zeit nicht weiter. Dass damit nur ein Anfang gemacht ist, der Diskurs fortgeführt und andere Disziplinen und Perspektiven als die biblisch- und systematisch-theologischen involviert werden müssen, versteht sich von selbst. Doch es ist immerhin ein Anfang, der ein wichtiges Thema wieder in einem weiteren Horizont zur Diskussion stellt.

Die wechselseitigen Perspektiven je eines neutestamentlichen und eines systematisch-theologischen Beitrags sind in der Abfolge an den einzelnen Aussagen des zweiten Artikels des apostolischen Glaubensbekenntnisses orientiert. Jedes Vortragspaar wird durch einen kurzen Text aus der Sicht der Herausgeber und der Herausgeberin eingeführt, der zur Einstimmung zentrale Aspekte und Fragen zur jeweiligen Aussage des Bekenntnisses thematisiert. Unter der Überschrift »Reflexionen und Impulse zur Diskussion« benennt jeweils eine kritische Response auf die Beiträge erkennbare Problemschwerpunkte des interdisziplinären Diskurses und weist auf notwendige Präzisierungen hin. In der folgenden kurzen Präsentation der Beiträge wird auf die Responses bewusst nicht eingegangen, um den Leserinnen und Lesern nicht die Spannung an der Auseinandersetzung zu nehmen. Im Konzept des UTB-Bandes bringen (formuliert durch die Herausgebenden) einige weiterführende Fragen als Abschluss der einzelnen Teilbereiche eine didaktische Komponente ein, womit in Korrespondenz zu den einführenden Texten insbesondere Studierenden Anregungen für die Erschließung der jeweiligen Problematik gegeben werden sollen. Am Ende des Bandes setzen sich Anne Käfer und Jörg Frey noch einmal explizit mit den »Chancen und Schwierigkeiten des Dialogs zwischen Exegese und Systematischer Theologie« auseinander.

Den Auftakt in diesem Band machen zwei Beiträge mit übergreifender Perspektive. Andreas Lindemann thematisiert den grundlegenden Zusammenhang von Glaube und Bekenntnis im ältesten Christentum unter der besonderen Verhältnisbestimmung von Integration und Abgrenzung. Lindemann geht von den Formen des Bekenntnisses und der Bekenntnisbildung im zeitgenössischen Horizont der neutestamentlichen Autoren aus und untersucht insbesondere die in |7|den Paulusbriefen überlieferten ältesten Bekenntnisaussagen. Neben einem Überblick über die Vielfalt der Bekenntnisse im Kontext des Gottesdienstes und seiner rituellen Vollzüge sowie in der Außenrelation der Gemeinden wird dabei vor allem deutlich, dass und inwiefern von Anfang an die Frage nach der Bedeutung Jesu von Nazareth als Christus des Glaubens im Zentrum der Bekenntnisbildung stand.

Als systematischer Theologe erörtert Rochus Leonhardt die »Bedeutung von Bekenntnissen in Theologie und Kirche« und zwar unter jener Fragestellung, die auch am Beginn des Projektes der Tagung stand. Die Kirche(n) und die ihr (bzw. ihnen) in kritischer Funktion gegenüber oder besser: zur Seite stehende akademische Theologie sind mit der Herausforderung konfrontiert, Tradition und Bekenntnis unter den jeweiligen zeitgenössischen Bedingungen zu explizieren und zu plausibilisieren, wenn die Verkündigung des Evangeliums nicht zu einer unerheblichen und gesellschaftlich irrelevanten Veranstaltung werden soll. Unter der Voraussetzung theologiegeschichtlicher Aspekte protestantischer Bekenntnisbildung und der Frage nach der Verbindlichkeit von Bekenntnissen im Protestantismus – nicht zuletzt vor dem Hintergrund des aktuellen Reformationsjubiläums – betont Leonhardt vor allem den Aspekt der Freiheit. Dieser habe die reformatorische Theologie maßgeblich geprägt, sei aber zugleich auch insofern ambivalent, als die Betonung der »religiösen Freiheit eines Christenmenschen als ein Leitbegriff der Reformation« im Laufe der dogmatischen Ausformulierungen lutherischen Bekenntnisses »zu einer besonderen […] Intensität der Bindung der gläubigen Gewissen an den Wortlaut der Bekenntnisse« geführt habe. Nach weiteren Blicken in die theologiegeschichtliche Entwicklung bis Schleiermacher thematisiert Leonhardt die zunehmende Problematisierung des Bekenntnisses anhand des sog. Apostolikumstreites im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jh. Dieser Streit hat jedoch letztlich eher zu einem konservativen Pragmatismus im Umgang mit den alten Bekenntnissen beigetragen als zu einer inhaltlichen Lösung des Problems bzw. »neuen (und vermeintlich unanstößigen) Bekenntnisaussagen«, »deren Formulierung Harnack vorgeschwebt« habe (82). Die Tatsache, dass insbesondere der christologische Artikel im Zentrum der Auseinandersetzung um das Apostolikum stand, ist einmal mehr Grund für eine aktuelle theologische Beschäftigung mit diesem Artikel.

Mit dem Überblick über die Vielfalt und Pragmatik frühchristlicher Bekenntnisbildung einerseits und der dogmengeschichtlichen Einsicht in die Notwendigkeit, die »Differenz zwischen dem |8|christlichen Glauben selbst und seiner in den kirchlichen Bekenntnissen fixierten symbolischen Form festzuhalten« (82) andererseits sind zwei wichtige Vorzeichen für die inhaltliche Bearbeitung der christologischen Einzelaussagen des Apostolikums gesetzt. Mit der ersten Zeile unter der Frageperspektive »Jesus Christus als Person der Trinität und als Mensch unter Menschen« beschäftigen sich Karl-Wilhelm Niebuhr und Martin Leiner. Niebuhr fokussiert die Frage nach dem Menschsein Jesu als des Christus bzw. des Messias Israels auf dessen Identität als Israelit und problematisiert damit vor allem die »Israel-Vergessenheit« des Bekenntnisses; diese »muss und kann […] mit Hilfe von Grundaussagen der paulinischen Theologie und Christologie biblisch-theologisch aufgebrochen werden« (86). Dabei kommt für Niebuhr der jüdischen Herkunft Jesu eine entscheidende hermeneutische Funktion zu. Das »Wissen darum, dass Jesus als Jude und im Verstehensrahmen des jüdischen Glaubens gewirkt hat«, gehöre »zu den fundamentalen Voraussetzungen der nachösterlichen Bekenntnisbildung« (93). Unter dogmatischen Gesichtspunkten unterstreicht Martin Leiner diese Auslegung Niebuhrs, indem er auf »wichtige hermeneutische Klärungen« hinweist, »die zwischen Neuem Testament und Systematik vorangebracht werden müssen« (106). Dennoch bleibt Leiner skeptisch im Blick auf die nur »partikulare« Konzentration auf Jesus als Israelit. Grundsätzlich gehe es dabei vor allem um die Frage nach der Gewichtung von Texten bzw. Überlieferungen und ihrer Verhältnisbestimmung zu dogmatischen Aussagen, die in ihrer konkreten Gestalt nicht im Neuen Testament zu finden seien, aber doch deshalb nicht ohne Berechtigung Glaubensinhalte formulieren.

Der zweite Hauptteil widmet sich der das Christusbekenntnis explizierenden Aussage über die Empfängnis Jesu durch den Heiligen Geist und dem damit verbundenen Topos der »Jungfräulichkeit« Marias. Mit dieser Aussage ist insbesondere eine schöpfungstheologische Perspektive vorgegeben, die die Erörterungen der beiden Beiträge prägt. Gudrun Holtz sieht in der Aussage von der Geburt Jesu durch die Jungfrau Maria einen »Erweis der schöpferischen Macht des Wortes Gottes« (123). Holtz konzentriert sich dabei auf die lukanische Version, weil hier die Dimension des Schöpferwortes über die auch bei Matthäus enthaltenen Aspekte hinaus gleichsam als hermeneutische Kategorie einbezogen werde. Aus der am Gesamtbefund relevanter neutestamentlicher Aussagen gewonnenen Einsicht, »dass die Kategorien des Historischen und Biologischen der Erzählung nicht gerecht werden« (128), leitet Holtz die Notwendigkeit |9|der theologischen Interpretation ab, die sie mit religionsgeschichtlichen Aspekten verbindet und begründet. Dabei kommen erstaunlich materielle Vorstellungen in Bezug auf das Wirken des Geistes bzw. des Schöpferwortes Gottes zum Tragen. Die worttheologische Linie sei zudem auch bei Paulus aufgenommen. Das in der Geburt Jesu als Verheißung realisierte Schöpferwort sei dasselbe, das auch im Evangelium wirksam wird. Vor diesem Hintergrund lasse sich der zweite Artikel als Interpretation des ersten sowie als Vorausgriff auf die Aussage über die Erwartung der allgemeinen Auferstehung verstehen. Aus systematisch-theologischer Perspektive geht Gregor Etzelmüller die Problematik unter dem Aspekt der »wahren Menschheit« Jesu an: »Kein wahrer Mensch ohne Geburt« (153). Das korrespondiert mit der historisch-kritischen Analyse der Texte und nimmt diese ernst. Dem entsprechend wird das im eigentlichen Sinn theologische Problem der Vorstellung von der »Jungfrauengeburt« auf das Verhältnis von Schöpfung und Neuschöpfung sowie auf die Funktion und kreative Wirkung des Geistes im Prozess der Schöpfung zugespitzt. Die Aussage von der »Geburt Christi aus dem Geist Gottes« lasse sich unter diesen pneumatologischen Voraussetzungen »durchaus auch mit der Vorstellung einer natürlichen Zeugung verbinden« (158). Ähnlich wie andernorts über die Auferstehung Jesu argumentiert wurde, kann Etzelmüller festhalten: »Würde die übernatürliche Erzeugung Jesu aus dem Geist eine gewöhnliche Zeugung ausschließen, dann könnten wir, die wir gewöhnlich gezeugt worden sind, nicht auf unsere Wiedergeburt hoffen« (159). Er nimmt damit einen wichtigen Aspekt johanneischer Theologie auf und betont zugleich und zu Recht die Ambivalenz der biblischen Genealogien bei Matthäus und Lukas. Nicht zuletzt setzt er sich auch auf originelle Weise mit dem Vorwurf auseinander, Jesus sei als ein »Bastard« geboren. Das Bekenntnis zur Jungfrauengeburt erweist sich damit zwar nicht als notwendig für die Christologie, »es (erschließt) aber eine Wahrheit […], die nicht verloren gehen sollte« (162).

Mit dem gleichsam historischen Teil des Bekenntnisses – Leiden, Tod und Begräbnis Jesu unter Pilatus – beschäftigen sich die Beiträge von Roland Deines und Dirk Evers. In einem facettenreichen und immer wieder auch systematisch-theologische Aspekte aufgreifenden Beitrag betont Deines zunächst, dass eine Hoffnung auf ewiges Leben kein christliches Spezifikum sei und sich daher die Frage ergebe, wie »sich die Perspektive auf das ewige Leben verändert mit dem Tod dessen, der unter Pontius Pilatus am Kreuz gelitten hat, gestorben |10|ist und begraben wurde« (192). Dabei spiele der Tod Jesu in seiner sündentilgenden Funktion eine entscheidende Rolle: Nur so könne der Tod des Einen Auswirkungen auf die irdische (in Bezug auf die Vergebung der Sünden) und ewige (in Bezug auf die Auferstehung und das ewige Leben) Existenz der an ihn Glaubenden haben. Jesu Wirken und Tod seien dabei gleichermaßen als »epistemologische Zugangsweisen« zu verstehen, welche die Schriftgemäßheit des Heilsereignisses einsichtig machen, wobei im Neuen Testament nicht schon Jesu Sendung selbst, sondern erst seinem Tod sündenvergebende Wirkung zugeschrieben werde. Dirk Evers stellt sich der Herausforderung dieser systematisch-theologisch eher sperrigen Thematik, zumal in der von Deines vorgegebenen Zuspitzung. Ausgehend von grundlegenden Beobachtungen zu modernen Wahrnehmungsweisen in der Interpretation des Todes Jesu unternimmt es Evers, das historische Ereignis des Todes Jesu »nicht als ontologisches Geschehen oder im Sinne einer sekundären religiösen Deutung« zu verstehen, »sondern als in einem umfassenden Sinne effektiv-kommunikatives Ereignis« (211). Wichtig dabei sei, dass die Geschichte Jesu keine mythische Geschichte ist, sondern auch das Bekenntnis die historische Verortung »unter Pontius Pilatus« festhalte. Das Kreuz Jesu entfalte daher – im Licht der Auferstehung – ein mythenkritisches Potenzial, mit dem nicht nur aufgrund der innerweltlichen Verortung die Menschen selbst mit ihrem von der Sünde bestimmten Leben und Tod betroffen sind, sondern in Bezug darauf letztlich auch das Gottesverständnis theologisch produktiv auf neue Weise differenziert werde. Die dadurch infrage gestellte Beziehung von »Faktum und Bedeutung« (215) sei die eigentliche theologische Herausforderung der Neuzeit, und zwar insbesondere im Hinblick auf das Geschichtsverständnis. Dabei gehe es vor allem um die Frage, ob bzw. inwiefern die Bedeutungszuschreibung zum historischen Faktum objektive Geltung beanspruchen könne oder nicht lediglich eine subjektive Illusion sei. Demgegenüber bringt Evers in seinem Ansatz den kommunikativen Charakter der Selbstmitteilung Gottes in der Geschichte Jesu zum Ausdruck »als der, der er auch außerhalb dieses historischen Ereignisses ist, und darin neue Möglichkeiten menschlicher Existenz eröffnet« (222). Dass dabei auch entwicklungsbiologische und -psychologische Aspekte hinsichtlich der Entwicklung des Ich-Bewusstseins zum Tragen kommen, macht Evers’ systematischen Entwurf interdisziplinär auch im Blick auf Disziplinen außerhalb der Theologie in besonderer Weise interessant.

|11|Vom Historisch-Faktischen wechselt die Perspektive in den Bereich der Mythologie, wenn es um die Aussage »hinabgestiegen in das Reich des Todes« geht. Marco Frenschkowski präsentiert zunächst in eindrücklicher Fülle die Vielfalt der altkirchlichen Descensusvorstellungen, um von diesen konkreten Ausprägungen her nach dem Gehalt der eher randständigen Aussage im Neuen Testament zu fragen. Hier treten insbesondere 1 Petr 3,19 und 4,6, aber auch andere Texte wie z.B. Phil 2,5–11 in den Blick. Frenschkowski hebt dabei die imaginative Kraft mythologischer Vorstellungen hervor, wie sie sich dann – ausgehend von den neutestamentlichen Motiven – in den altkirchlichen Ausprägungen dokumentiert. Auch werden interessante Einblicke in außerbiblische Katabasisliteratur und »Jenseitsimaginarien« geboten. In Anknüpfung an die bekannte Mythos-Definition des Sallust versteht Frenschkowski den Abstieg Jesu in die Unterwelt als mythische Rede, was bedeute, »dass hier anschaulich-mythisch von etwas Realem gesprochen wird, wovon sich in theologischer Begriffssprache nur verkürzt sprechen lässt« (283). Der Weg Jesu sei insofern in Analogie zur platonischen Vorstellung des Weges der Seele »von ganz oben nach ganz unten« zu verstehen. Matthias D. Wüthrich begibt sich seinerseits auf eine »systematisch-theologische Sinnsuche im Blick auf das Bekenntnis zum Descensus Jesu Christi« (287) und thematisiert zunächst das Befremden der Moderne mit dieser Vorstellung vor dem Hintergrund der im 20. Jh. geführten Entmythologisierungsdebatten. Unter den Stichworten »Siegesmotiv«, »Leidensmotiv« und »Predigtmotiv« entfaltet er traditionelle Vorstellungen und befragt sie auf ihr Sinnpotential hin. Wichtig ist dabei die Wahrnehmung des Bösen (bzw. mit Karl Barth: des Nichtigen), seiner bestimmenden Realität und den Möglichkeiten seiner Überwindung. Bemerkenswert sind nicht zuletzt die auf die (inneren und äußeren) Leiden Christi bezogenen, existentialen (und darin durchaus modern anmutenden) Deutungen bei Luther und Calvin. Im Ergebnis beeindruckt, dass Wüthrich dezidiert nicht dafür plädiert, diesen Topos bzw. Mythos aufzugeben, sondern konstruktiv – durchaus entsprechend zu Frenschkowskis religionsgeschichtlicher Perspektive – dessen »Mehrwert« herausarbeitet, der in der Veranschaulichung des endgültigen Sieges über das Nichtige bestehe.

Jörg Frey und Anne Käfer interpretieren die Aussage von der Auferstehung Jesu. Frey zeichnet diesen Aspekt zunächst innerhalb des neutestamentlichen Kontextes in den apokalyptischen Vorstellungshorizont jüdischer Zukunftserwartung ein, vor dem dieser spezifische |12|Bekenntnisinhalt von der Auferstehung eines Einzelnen als »Spezialfall der allgemeinen Totenauferweckung« (331) in der Geschichte entfaltet wurde. Dabei tritt die berechtigte Frage hervor, warum die Alte Kirche in ihrem Bekenntnis den leiblichen Aspekt festgehalten und nicht gleichsam spiritualisierend die unter Umständen »anschlussfähigere« Vorstellung einer Apotheose, einer unsterblichen Seele o.ä. eingetragen habe, obwohl die Auferstehung Jesu neutestamentlich explizit als Erhöhung bzw. Inthronisation des Gekreuzigten »zur Rechten Gottes« interpretiert wird. Damit deutet sich bereits an, dass der Glaubensinhalt einer »Auferstehung des Fleisches« mit der Vorstellung der Inkarnation, der »Fleischwerdung« des Logos in dem von Gott auferweckten Christus korrespondiert. Dabei ist nach Frey der Glaube an die Auferstehung Jesu nicht einfach eine mythologische Vorstellung, aber auch die Kategorie »historisches Ereignis« (W. Pannenberg) stelle eine »fatale Unterbestimmung« (336) dar. Vielmehr gehe es um die Wahrnehmung einer geschichtlich festzumachenden, authentischen Erfahrung, die zur Überzeugung vom schöpferischen Handeln Gottes am Gekreuzigten geführt habe. Dieses göttliche Handeln werde mit der Kategorie der Auferweckung zur Sprache gebracht und vor diesem Hintergrund – das ist das Entscheidende – die Bedeutung seines (Kreuzes-)Todes reflektiert. Anne Käfer nimmt den inkarnationstheologischen Faden auf und spitzt diesen mit Luther und Schleiermacher zu, indem sie die »Pointe des Menschgewordenseins Gottes« als »Erweis der Liebe des Schöpfers« versteht. Das Kreuz als Voraussetzung der Auferstehung des Menschgewordenen mache deutlich, »[d]ass diese Liebe unbedingt und uneingeschränkt ist« (356). Das ganze Ausmaß der Liebe Gottes werde aber erst durch die Auferweckung Jesu sichtbar. Hermeneutisch wichtig ist die Einsicht, dass die Gewissheit, die aus diesem Geschehen erwachse, nämlich die Gewissheit der Überwindung des Todes durch Gottes Liebe, nicht der historischen Vergewisserung bedarf. Vielmehr gelte es, den »auferstandenen Inkarnierten im Leben der Kirche« neu zur Geltung zu bringen, wobei den Sakramenten als Mittel und als Orten der Vergegenwärtigung eine entscheidende Bedeutung zukomme. Die Wahrheit des »Glaubens an Jesu Auferstehung von den Toten« lasse sich nicht historisch beweisen, sondern muss sich im Glaubensleben jedes und jeder Einzelnen als Wahrheit erweisen.

Der Weg Christi, den das Credo beschreibt, führt schließlich zur sessio ad dexteram »des allmächtigen Vaters«. Diesem Topos widmet sich zunächst Reinhard Feldmeier unter der besonderen Fragestellung |13|nach dem Verhältnis zwischen göttlicher Allmacht und menschlicher Freiheit. Ausgehend von der Vorstellung der »Selbstbegrenzung Gottes« im Hinblick auf die Ausübung seiner Macht wird auch das von Jesus Christus ausgesagte »Sitzen zur Rechten Gottes« konsequent als Heilsgeschehen interpretiert. Der Allmächtige teilt gleichsam seine Herrschaft. In der »Beteiligung« Christi an Gottes Herrschaft erweise sich dessen »Allmacht« als »Rettermacht« und ist »als solche Bedingung der Möglichkeit von Erlösung qua Neuschöpfung« (394). Gespiegelt werde diese Grundstruktur der Macht in der Ermächtigung derer, die von ihr verkündigen, wie anhand des Beispiels des Paulus und seinem »Ruhm der Schwachheit« ausgeführt wird. In dieser Art der Teilhabe an Gottes schöpferischer und die Welt (er-)haltender Macht gründe letztlich auch die Freiheit derer, die »Gottes Kinder« genannt werden. Martin Wendte stellt sich dieser bereits erkennbar systematisch ausgerichteten Vorgabe Feldmeiers, indem er ebenfalls Gottes »allmächtige Herrschaft und die Freiheit der Christgläubigen« (403) miteinander in Beziehung setzt. Wendte wählt dazu die Form der These und fordert damit umso mehr zur Auseinandersetzung heraus. Seine Überlegungen sind trinitarisch orientiert unter der Fragestellung, was sich hinsichtlich des Gottesbildes eigentlich verändere, wenn man es konsequent trinitarisch denkt. Im Zentrum steht dabei die Interpretation des Topos von der Allmacht Gottes als Allmacht der Liebe, in der sich Gottes kommunikatives Wesen entfalte. Damit gewinnt die Vorstellung einer innertrinitarischen Perichorese neues Gewicht in der Diskussion um die Eigenschaften und das Wesen Gottes. Im Hinblick auf die Freiheit des Menschen ist nach Wendte die Ermächtigung »zu freiem Sein und Tun« (408) durch Gott entscheidend, der darin den Menschen an seiner eigenen, durch die Allmacht der Liebe begründeten Freiheit partizipieren lasse, die sich konkret als Handlungsfreiheit (im Unterschied zu bloßer Wahlfreiheit) erweise. Ontologisch begründet wird dies durch Reflexionen über den Zusammenhang von Gott (als dem Ursprung der Wirklichkeit des Kosmos) und der Gegenständlichkeit des Geschaffenen. Der Regelhaftigkeit, die der Wirklichkeit zugrunde liegt, ließen sich nicht nur die drei Personen der Trinität zuordnen, sondern sie bestimme auch maßgeblich die Anthropologie und letztlich das Wesen von Wahrheit. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist Wendtes Interpretation des sessio-Motivs, die der exegetischen Deutung Feldmeiers nahekommt: Die »Rechte Gottes« sei kein Ort, sondern »vielmehr […] an allen Orten zu finden – sie ist allgegenwärtig –, da ohne sie die |14|Schöpfung nicht erhalten wird« (427). Dem Gottesdienst und speziell den Sakramenten komme dabei eine zentrale Funktion zu – Aspekte, die auch Anne Käfer hervorgehoben hat. Dass und inwiefern bei der Gestaltung der durch Gottes kommunikatives Wesen eröffneten »Möglichkeitsräume« menschlicher Freiheit auch die Dimension des deus absconditus nicht unreflektiert bleiben darf, schärft Wendte zum Schluss nachdrücklich ein.

Die letzte Zeile des christologischen Artikels thematisiert die Erwartung der Wiederkunft Christi zum Gericht, zweifellos eine der schwierigsten Vorstellungen innerhalb des Credos. Hermut Löhr und Markus Mühling gehen es mutig an. Aus neutestamentlicher Sicht und mit einem intensiven Blick auf die frühe patristische Zeit zeichnet Löhr zunächst die Entstehung dieser Vorstellung in der frühchristlichen Bekenntnisgeschichte nach. Apg 10 komme dabei eine Schlüsselfunktion zu, insofern der Topos von Christus als Richter in 10,42 neben anderen Aspekten des Credos im Kontext einer Rede des Petrus zur Taufe des Kornelius aufgenommen ist. Der Text lege nahe, dass die Ursprünge des Credo sehr wahrscheinlich mit der Taufunterweisung zusammenhängen. Die Vorstellung vom wiederkommenden Christus als Richter gehe in der Sache zurück auf die Vorstellung vom endzeitlichen Kommen des Menschensohns, eine Tradition, die vom Danielbuch über die frühjüdische Überlieferung Eingang in die neutestamentliche Literatur gefunden hat. Dabei zeige sich, dass der konkrete Bedeutungsgehalt der einzelnen Aussageelemente keineswegs eindeutig ist und nicht zuletzt auch im Kontext des Credos bestimmt werden muss; im Falle der Gerichtsankündigung etwa mit dem Topos der Sündenvergebung im dritten Artikel des Bekenntnisses. Hinzuzufügen wäre, dass natürlich auch die Interpretation der Allmacht Gottes unter der Maßgabe der Liebe hier systematisch-theologisch eine Rolle spielt. Vor dem Hintergrund der Traditionsgeschichte des Topos werde nicht zuletzt die Unschärfe der Aussagen vom »Richten der Lebenden und Toten« deutlich, da in der Tradition nicht nur von einem universalen Gericht über alle Menschen, sondern gelegentlich auch von einem Gericht allein über die Sünder die Rede sei. Dies gelte es ebenfalls im Kontext der Credoaussagen hermeneutisch einzuholen. Mühling versucht dies anhand von Thesen, in denen er den Topos des endzeitlichen Gerichtes konsequent auf der Grundlage einer »relational-narrativen Ontologie« (480) entfaltet. Die Vorstellung vom endzeitlich als Richter kommenden Christus ist darin Teil einer vielschichtigen Verschränkung ganz verschiedener Narrative, wobei |15|Kreuz und Auferstehung als christologischem Narrativ konstitutive Bedeutung zukomme. Insbesondere mit Strafen bzw. einer »Bewertung des Vergangenen« verbundene Gerichtsvorstellungen erwiesen sich dabei als Problem, »weil sie die intern-relationierte Verfassung des Personseins verkennen« (482). Das Gericht sei daher als »Prozess der Konstitution menschlicher Personalität zu verstehen« und setze einen »Transformationsprozess von der Narration im Hier und Jetzt in die Narration der eschatischen Realität« voraus (484). Als Exeget wird man sich fragen, inwieweit eine solche eschatologische Theorie mit Schrift und Tradition korreliert und insofern tatsächlich hermeneutische Plausibilität beansprucht. Mühlings Unterscheidung von Person und Tat, die auch biblisch-theologisch gut begründet ist (vgl. 1 Kor 3,11–15), deutet diese Korrelation an.

Das grundsätzliche Problem liegt freilich im Gegenstand der letzten Zeile des zweiten Bekenntnisartikels: Während alle anderen Aussagen sich auf vergangene Ereignisse der Christusgeschichte und deren Interpretation (bzw. die Interpretation ihrer Erzählung und der daraus bereits generierten Deutungen) beziehen, handelt die Aussage vom wiederkommenden Richter von der Zukunft. Über diese lässt sich letztlich nur im Modus der Metapher als Veranschaulichung von persönlicher Hoffnung bzw. Glaubensüberzeugung oder aber in Gestalt einer im positiven Sinne spekulativen Theologie reden, in der versucht wird, das interpretatorische Potenzial der Christusgeschichte konsequent auf die Zukunft derer zu beziehen, die in Bezug auf ihre eigene Geschichte entweder »an Christus glauben«, sich zu dieser Glaubensherausforderung ablehnend oder auch indifferent verhalten. Dass es hierbei Leerstellen geben muss, liegt in der Natur der Sache; dass auch in Bezug auf das Gericht als Urteil über das, was vom Leben bleibt, die Liebe Gottes der Maßstab des Urteils sein wird, in der Konsequenz der Christusgeschichte.

Im Hinblick auf den Ertrag der Tagung hat sich – als Resümee des Exegeten – vor allem gezeigt, wie groß der innertheologische Gesprächsbedarf ist. Die sich in dem vorliegenden Band dokumentierende Absicht ist es, Exegetinnen und Exegeten sowie Systematikerinnen und Systematiker zu einem solchen gemeinsamen Gespräch zusammenzubringen. Die Tatsache, dass alle Beteiligten der Einladung dazu gefolgt sind und sich diesem intensiven Austausch gestellt haben, hat zudem deutlich gemacht, dass der Bedarf einer solchen Verständigung über den im Zentrum des christlichen Glaubensbekenntnisses stehenden Artikel tatsächlich groß ist, zumal in Zeiten, in denen religiöser |16|Pluralismus ein Leitbegriff ist und die christlich geprägten Kulturen und Gesellschaften Europas vor große Herausforderungen gestellt sind. Die akademische Theologie in ihrer diese Prozesse begleitenden Funktion ist in ihrem Wesen wohl die am breitesten interdisziplinär vernetzte Wissenschaft, sowohl nach außen hin in Wissenschaftsbereiche außerhalb der Theologie, aber eben auch – und das kommt leider oft zu kurz – nach innen. Nicht zuletzt für Studierende der Theologie – sei es für das Pfarramt oder das Lehramt – ist zunächst der interne Diskurs der theologischen Disziplinen von großer Bedeutung, und das nicht nur in kognitiv-systematisierender Hinsicht. Wenn denn das Studium nicht nur zum Erwerb von »Kompetenzen« zur Ausübung eines mehr oder weniger krisensicheren »Jobs« befähigen, sondern auch heute noch zu so etwas wie einer »theologischen Existenz« führen soll, mit der junge Menschen sich identifizieren und die in der Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus ihre eigentliche Aufgabe (um nicht zu sagen: »Mission«) sieht, dann ist es wohl gerade das apostolische Bekenntnis der Kirche, das gleichsam als traditionsgeschichtliche Zuspitzung ihrer Verkündigung vor dem Hintergrund sich verändernder Zeiten und Weltwahrnehmungen zu einer besonderen Beschäftigung mit seinen Inhalten nötigt. Rochus Leonhardt hat das kritische Potential dieser Herausforderung durch das Credo am Beispiel des Apostolikumstreites anschaulich gemacht. Der Ruf nach neuen, zeitgemäßen Bekenntnissen ist seitdem immer wieder einmal laut geworden, und vielen Menschen fällt es oft schwer, sich mit den alten Formeln und Formulierungen anzufreunden, ihnen etwas abzugewinnen, das ihren eigenen Glauben angemessen zur Sprache bringt. Die gerade in der traditionsgebundenen Formulierung liegende identitätsbildende Funktion des Credos für die Kirche spielt dabei oft eine untergeordnete Rolle. Vielmehr geht es eher um die Möglichkeiten, sich in ganz persönlicher Weise mit den Aussagen des Credos zu identifizieren – oder eben nicht. Das ist hier nicht zu erörtern; die Hoffnung, die sich mit diesem Band und seinem Format verbindet, ist jedenfalls, dass die Beiträge in ihrem Bezug zueinander und auch in den Spannungen, die sie untereinander aufwerfen, insgesamt dazu beitragen, das Gespräch über den Glauben und seine Traditionen anzuregen, scheinbare Denk- und Glaubenstabus (die es in der Wissenschaft ohnehin per definitionem nicht geben darf) aufzubrechen, zum Widerspruch herauszufordern und so vor allem das eigenständige theologische Denken und eine verantwortungsbewusste Sprach- und Gesprächsfähigkeit zu fördern – kurz: zu |17|jener »theologischen Existenz« zu ermutigen, von der oben die Rede war.

Dass der Diskurs über das Credo in der Fokussierung auf Exegese und Dogmatik nur ein Anfang sein kann, sei noch einmal ausdrücklich bewusst gemacht. Aber – wie gesagt – irgendwo muss man beginnen. Zur Theologie gehört sub conditio mundi vel academiae auch die Pragmatik ihrer nicht zu vermeidenden Unzulänglichkeit. Mit einer bereits geplanten Folgetagung (und damit auch einem Folgeband) zum ersten und dritten Artikel sollen diese Bemühungen um einen Anfang fortgesetzt werden.

Fußnoten

1

Die lateinische Version des Nizänums bietet ebenfalls die Pluralform, seine griechische Version hingegen den Singular πιστεύω. Das Nizäno-Konstantinopolitanum formuliert umgekehrt in der griechischen Version im Plural und in der lateinischen im Singular. Zum Verhältnis zwischen Nizänum und Nizäno-Konstantinopolitanum vgl. J.N.D. KELLY, Altkirchliche Glaubensbekenntnisse. Geschichte und Theologie, UTB1746, Göttingen 21993, 294–327.

2

Vgl. Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften an deutschen Hochschulen unter https://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/9678–10.pdf – Zugriff am 24.04.2017.

3

http://www.interseth.de/wp-content/uploads/2013/05/Stellungnahme-des-SETh-zur-Konfessionsklausel1.pdf – Zugriff am 24.04.2017.

4

http://www.ekd.de/download/konfessionsklausel_2002.pdf – Zugriff am 24.04.2017.

|19|»Wir glauben an Jesus Christus …«

Glaube und Bekenntnis im frühen Christentum zwischen Integration und Abgrenzung[1]

Andreas Lindemann

In welcher Weise wurde der Glaube an Jesus Christus und das Bekenntnis zu ihm in der Anfangszeit des Christentums[2] ausgesprochen? Die christliche Kirche bezieht sich auch nach fast zweitausend Jahren auf jene Anfangszeit und auf die damals formulierten Aussagen; der Glaube und das Bekenntnis der ersten Christen sind deshalb nicht nur Gegenstand historischer Forschung, sondern sie haben unmittelbare Bedeutung für die Gegenwart.

»Christen«, also die an Jesus Christus glaubenden und sich zu ihm bekennenden Menschen, waren im 1. Jh. christlicher Zeitrechnung, also in der frühen römischen Kaiserzeit,[3] eine sehr kleine Minderheit. Das, von dem ihr Glaube sprach – Leben, Tod und Auferweckung des Jesus von Nazareth –, gab es erst seit ganz kurzer Zeit; dieser Glaube war also etwas geschichtlich Neues, und schon das machte ihn nach antiken Maßstäben verdächtig. Überdies waren die Christen – ob jüdischer, ob nichtjüdischer Herkunft – vor ihrer Taufe anderen religiösen Lehren und Vorstellungen gefolgt; sie waren also »Konvertiten«, und so ergab sich für sie die Spannung zwischen »Integration« und »Abgrenzung« ganz von selber. Die Fragen: Welche Aspekte meines bisherigen Denkens und Lebens kann ich mitnehmen in mein neues Leben? Welche Werte meiner Umgebung bleiben für mich unverändert gültig? Wo muss ich mich von meiner Vergangenheit und von meiner bisherigen Umgebung bewusst abgrenzen?, waren für jeden unausweichlich, jede und jeder Einzelne musste darauf eine Antwort finden. Bald kam auch die Frage hinzu, wo und in welcher Weise eine |20|bewusste Abgrenzung nicht nur nach »Außen« nötig werden könnte, sondern auch nach »Innen«, also die Abgrenzung von abweichenden Positionen innerhalb der eigenen Gruppe.

Die folgenden Überlegungen sind in sechs Abschnitte gegliedert: Am Anfang (1.) stehen kurze Bemerkungen zum »Bekennen« und zum »Bekenntnis«. Es folgen (2.) Hinweise auf die Praxis religiösen Bekennens im Volk Israel und in der paganen antiken Welt. Sodann (3.) wird nach den Anfängen des Bekenntnisses zu Jesus gefragt und von da aus werden (4.) einige Bekenntnisaussagen vorgestellt, wie sie vor allem in den Briefen des Apostels Paulus als den ältesten uns erhaltenen christlichen Schriften zu finden sind. Es geht dann (5.) um die Frage, in welchen Situationen in der Zeit des frühen Christentums die Glaubenden Anlass hatten, ein Bekenntnis abzulegen. Am Schluss stehen (6.) einige Bemerkungen zum Verhältnis von Glaube und Leben.

1.»Bekennen« und »Bekenntnis«

Das deutsche Verb »bekennen« meint ursprünglich, dass man etwas »bekannt gibt«,[4] das Substantiv »Bekenntnis« hat fast den Sinn von »Bekanntmachung«. Menschen, die ein Glaubensbekenntnis aussprechen, machen also ihren Glauben anderen bekannt. Das im Neuen Testament verwendete, meist mit dem Begriff »bekennen« wiedergegebene Verb ὁμολογεῖν bedeutet eigentlich, dass Menschen »etwas gemeinsam aussprechen«.[5] Das Bekennen des Glaubens ist also die offen und gemeinsam gesprochene Auskunft über den Inhalt dessen, was die betreffenden Menschen glauben. Der Glaube geht dem Bekenntnis voraus; aber die explizite Formulierung eines Bekenntnisses |21|trägt dazu bei, dass der Inhalt dieses Glaubens genauer bestimmt und auch anderen mitgeteilt werden kann.[6]

Einige Bekenntnisaussagen, insbesondere auch manche Sätze in dem traditionellen »Apostolischen Glaubensbekenntnis«, wirken allerdings so, als werde hier weniger vom Glauben als vielmehr von Tatsachen oder Sachverhalten gesprochen, die man als zutreffende Behauptungen anerkennt. Spätestens seit der Aufklärung im 18. Jh., vielfach aber schon sehr viel früher, geraten nicht wenige Menschen diesen Aussagen gegenüber in Zweifel oder lehnen solche Bekenntnisaussagen ganz ab. Glaube im christlichen Verständnis meint aber nicht die Zustimmung zu bestimmten Tatsachenbehauptungen; Glaube bedeutet vielmehr, dass ein Mensch die Botschaft von der ihm zugesprochenen Gnade Gottes hört und diese Botschaft als für sich selber gültig annimmt. In dem Wort »glauben« ist der Aspekt »vertrauen« mit enthalten; und für das im Neuen Testament sehr häufig belegte griechische Verb πιστεύειν gilt dasselbe. Die Aussage »ich glaube« meint also nicht in erster Linie, dass ich die Mitteilung über einen Sachverhalt »für wahr halte«, sondern sie bedeutet, dass ich einer mir gemachten Zusage vertraue.

2.Die Praxis religiösen Bekennens im Volk Israel und in der paganen Welt

1. Das Volk Israel bekennt sich zu JHWH als seinem Gott. Es gibt in der jüdischen Bibel kein ausformuliertes Bekenntnis; aber in Dtn 6,4f. wird ein Gebet überliefert, das zugleich die Funktion eines Bekenntnisses hat: »Höre, Israel, der HERR unser Gott, ist einHERR.[7] Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieben, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit deiner ganzen Kraft.« Mit diesem »Schema Jisrael« spricht das Volk Israel seinen Glauben aus; zugleich bringt es |22|damit seine Identität zum Ausdruck, indem es von seiner besonderen Gottesbeziehung spricht.

Viele alttestamentliche Texte sprechen von Gottes geschichtlichem Handeln für sein Volk; auch solche Aussagen können die Funktion von Bekenntnissen haben. In Dtn 26,1–4 steht die Anweisung, man solle zu Beginn der Ernte dem Priester am Heiligtum die Erstlingsgaben überbringen, und dann, so heißt es weiter (V. 5–9), »sollst du bekennen und vor dem HERRN, deinem Gott, sprechen: Ein verlorener Aramäer[8] war mein Vater, und er zog hinab nach Ägypten und blieb dort als Fremder mit wenigen Leuten, und dort wurde er zu einer großen, starken und zahlreichen Nation. Die Ägypter aber behandelten uns schlecht und unterdrückten uns und auferlegten uns harte Arbeit. Da schrien wir zum HERRN, dem Gott unserer Vorfahren, und der HERR hörte unser Schreien und sah unsere Unterdrückung, unsere Mühsal und unsere Bedrängnis. Und der HERR führte uns heraus aus Ägypten mit starker Hand und ausgestrecktem Arm, mit großen und furchterregenden Taten, mit Zeichen und Wundern, und er brachte uns an diesen Ort und gab uns dieses Land, ein Land, in dem Milch und Honig fließen« (Übersetzung Zürcher Bibel). Diese bekenntnisartige Aussage schildert in Kurzfassung die Geschichte des Volkes Israel, wie sie sich in dessen religiöser Erinnerung darstellt; dass die Geschichte historisch anders verlaufen war und in anderen biblischen Texten z.T. auch anders dargestellt wird, ist dabei von untergeordneter Bedeutung.

Wenn in der jüdischen Bibel von »Israel« gesprochen wird, ist die Einheit von Volk und Religion vorausgesetzt in der Bindung an den einen Gott. Damit verbunden ist ein bestimmtes Ethos, vor allem die Einhaltung von Verhaltensnormen, wie sie im Gesetz, der Tora, ausgesagt sind. Das »Schema Jisrael« und die Schilderung des geschichtlichen Weges Gottes mit seinem Volk dienen nicht der Abgrenzung nach außen; diese Texte bestätigen vielmehr die gegebene Identität, und so bezeugen sie den Menschen des Volkes Israel ihre von Geburt an bestehende Zugehörigkeit zu diesem Volk und das damit verbundene Selbstverständnis.

Für das jüdische Selbstverständnis spielte und spielt das Land, in dem das Volk wohnt, eine besondere Rolle, zumal das Volk davon überzeugt ist, Gott selbst habe ihm dieses Land (»Land Israel«) |23|als Wohnsitz gegeben.[9] Darum war nach dem babylonischen Exil (586–539 v. Chr.) die Rückkehr des Volkes in »das Land« von größter Bedeutung,[10] auch wenn tatsächlich ein Teil in der Diaspora in Babylon geblieben war. Als im 2. Jh. v. Chr. dieses Gebiet unter der Herrschaft der seleukidischen Könige stand, bekämpften diese, anders als die Fremdherrscher in früherer Zeit, die jüdische Gottesverehrung; als Antiochus IV. im Jahre 168 v. Chr. die Entweihung des Jerusalemer Tempels verfügte, setzten sich die Makkabäer dagegen erfolgreich zur Wehr,[11] und es kam zur Errichtung des hasmonäischen Königtums. Nach der römischen Eroberung des Landes durch Pompeius im Jahre 63 v. Chr. verlor der jüdische Staat seine politische Selbständigkeit; Herodes der Große (König von 39–4 v. Chr.) und seine Söhne, unter ihnen Herodes Antipas als der Landesherr Jesu (4 v. Chr. bis 41 n. Chr.), waren Fürsten von Gnaden Roms. Nach dem Jüdischen Krieg (66–70/73 n. Chr.) ging auch diese Selbstverwaltung verloren; nach dem gescheiterten Bar-Kochba-Aufstand (132–135 n. Chr.) wurde das Gebiet von den Römern schließlich »Palaestina« genannt, Jerusalem erhielt den Namen Aelia Capitolina.

Der jüdische Glaube wurde von Rom durchweg anerkannt und respektiert – nicht nur in Judäa und in Galiläa, sondern im gesamten Römischen Reich.[12] Das galt insbesondere auch für den Glauben an den einen Gott: Als im Laufe des 1. Jh. n. Chr. die kultische Verehrung des Herrschers für die Bewohner des Imperiums allmählich obligatorisch wurde,[13] blieben die Juden von der entsprechenden |24|Verpflichtung ausgenommen; sie opferten nicht dem Kaiser, sondern bis zum Jahre 66 n. Chr. wurden im Jerusalemer Tempel Opfer für den Kaiser dargebracht. Der jüdische Glaube unterschied sich schon durch den Absolutheitsanspruch JHWHs grundlegend von den anderen Religionen; das wurde von der Umwelt mit Verwunderung und auch mit Kritik registriert, aber die lange Geschichte des Volkes und des jüdischen Glaubens stieß bei den anderen Völkern auch auf staunende Anerkennung und führte zur Duldung der religiösen Sonderstellung des jüdischen Volkes.

2. Worin bestand im nichtjüdischen Raum das Bekennen? Wie sprachen »die Heiden«[14] ihren Glauben aus? Die Identität der freien Bürger einer Region oder einer Stadt zeigte sich in der Zugehörigkeit zu dem jeweiligen Volk oder in dem Bürgerrecht in der betreffenden Stadt (πόλις oder civitas); auch hier war die Identität verbunden mit einem bestimmten Ethos, also mit der Praxis anerkannter religiöser und sittlicher Normen.[15] Dazu gehörte insbesondere auch die Teilnahme am Kult der in der jeweiligen Stadt verehrten Gottheiten; aber es gab keinen Ausschließlichkeitsanspruch, also keine grundsätzliche Abgrenzung nach außen. Jedoch entwickelte sich seit dem letzten Jahrhundert vor der Zeitenwende auch eine neue Form von Religiosität, jenseits ethnischer und politischer, zum Teil auch jenseits sozialer Grenzen. So breitete sich beispielsweise die Verehrung der ursprünglich zur Götterwelt Ägyptens gehörenden Göttin Isis fast im gesamten Römischen Reich aus, und diese Verehrung war, anders als bei den städtischen Kulten, mit Elementen persönlicher Frömmigkeit verbunden, nicht zuletzt auf Grund der persönlichen »Einweihung« des einzelnen Menschen in das ihm Erlösung verheißende »Mysterium«.[16] Man konnte sich aber in mehrere Mysterien einweihen lassen, und überdies verehrte man in Athen weiterhin die Athene, in Ephesus die Artemis und in Rom den Jupiter, jeweils zusammen mit den anderen |25|Göttern. JHWH, der Gott des jüdischen Volkes, war der einzige Gott, der keine anderen Götter neben sich duldete, wie das erste der Zehn Gebote sagt. Da das Judentum den Vorzug des hohen Alters besaß und im Allgemeinen keine Mission trieb, kam es ungeachtet dieses Ausschließlichkeitsanspruchs vergleichsweise selten zu religiös begründeten Konflikten;[17] lediglich im jüdischen Kernland, vor allem in Judäa, versuchten die Zeloten, Gottes Anspruch auf die Menschen und auf das »heilige Land« notfalls auch mit Gewalt durchzusetzen, woraus im Jahre 66 n. Chr. der Jüdische Krieg gegen Rom erwuchs.[18]

3.Die Anfänge des Bekenntnisses zu Jesus

Die Frauen und Männer, die nach dem Kreuzestod Jesu als erste an ihn und an seine Auferweckung glaubten, gehörten zum Volk Israel, sie waren Juden. Die Bezeichnung »Christen« gab es noch nicht; es wurde auch nicht eine neue Religion namens »Christentum« gegründet, weder von den Aposteln noch gar zuvor von Jesus selber. Der Glaube an Jesus trennte die Glaubenden zunächst nicht vom übrigen Judentum; sie waren im Gegenteil davon überzeugt, dass es der Gott Israels war, der den gekreuzigten Jesus nicht im Tode gelassen, sondern auferweckt hatte. Innerhalb des Volkes waren sie eine kleine Minderheit; aber sie hofften darauf, dass sich die anderen Juden ihrem Glauben anschließen würden, weil sie davon überzeugt waren, mit ihrem Glauben an Jesus in der Kontinuität der Geschichte des Gotteshandelns an Israel zu stehen.[19] Vermutlich aber sahen sie sich recht bald auch als eine besondere Gruppe mit einer eigenen Identität, denn die Entscheidung für oder gegen den Glauben an Jesus betraf ja den einzelnen Menschen. Die Frage, wann es zu einer Trennung der an Jesus Glaubenden vom (übrigen) Judentum kam, lässt sich kaum beantworten – die Entwicklung dürfte örtlich und zeitlich sehr unterschiedlich verlaufen sein. Jedenfalls sahen sich die Glaubenden auch als eine eigene Gemeinschaft, und so nannten sie sich »die |26|Gemeinde Gottes« (ἡ ἐκκλησία τοῦ θεοῦ). Die geläufige Übersetzung des Wortes ἐκκλησία mit »Kirche« ist nicht falsch; sie darf aber nicht missverstanden werden: ἐκκλησία bezeichnet im Griechischen die »Volksversammlung«, in der griechischen Bibel (LXX) bezeichnet das Wort das Volk Israel als die »(Volks-)Versammlung Gottes«.[20] Möglicherweise waren die in Apg 6f. erwähnten »Hellenisten« (6,1), also die mit Stephanus verbundenen griechisch sprechenden Jesusgläubigen in Jerusalem, die ersten, die diesen Begriff auf sich selber anwandten.[21] Gemeint war natürlich noch nicht eine überörtliche kirchliche Organisation und schon gar nicht gab es Gebäude, die als »Kirchen« hätten bezeichnet werden können.[22]

Der Glaube an Jesu Auferweckung entstand vermutlich in Jerusalem.[23] Aber dann entwickelte sich der Gedanke, dieser Glaube sei nicht auf das Volk Israel allein bezogen; zum Glauben an die Auferweckung Jesu gehört die Taufe, man wird also nicht als »Christ« geboren, sondern man wird es durch die Taufe »auf den Namen Jesu Christi«.[24] Nach einigem Zögern gingen Jesusgläubige auch zu den »Völkern«, den »Heiden«. Die Darstellung der Begegnung des Petrus mit dem römischen Hauptmann Cornelius (Apg 10), die zur Taufe der Gruppe um Cornelius führt, schildert den Beginn der »Heidenmission« als Folge der den beiden Männern widerfahrenen wunderbaren Vision und Audition. Das hat sicher legendarische Züge, aber klar ist, dass allmählich Gemeinden entstanden, denen Menschen unterschiedlicher ethnischer und religiöser Herkunft angehörten. Diese Gemeinden wurden nun auch von außen als eigenständige Größen |27|wahrgenommen; ein Indiz dafür ist die fast beiläufig formulierte Notiz in Apg 11,26, in der syrischen Großstadt Antiochia seien die Jesusgläubigen, Juden wie Nichtjuden, erstmals als Χριστιανοί, als »Christianer«, bezeichnet worden. Das ging vermutlich auf die römischen Behörden zurück und geschah, folgt man dem chronologischen Aufriss der Apostelgeschichte, vermutlich in den 40er Jahren.[25] Dabei verdankt sich die Bezeichnung Χριστιανοί offensichtlich der Tatsache, dass die jüdischen Jesusgläubigen von Jesus als vom »Messias« sprachen, griechisch: χριστός, und dass die griechisch sprechenden »heidnischen« Gläubigen diese Bezeichnung Jesu übernommen hatten.[26] Die Wortverbindung »Jesus Christus« ist eigentlich eine Kurzformel für den Satz: »Jesus ist der Christus«; aber da das Wort χριστός im nichtjüdischen Bereich nicht mehr als Titel des im Volk Israel erhofften endzeitlichen Retters (»der Messias«, »der Gesalbte«) verstanden wurde, ergab sich daraus eher so etwas wie ein Beiname Jesu.[27]

Die so entstandenen Gemeinden, denen auf Grund der Taufe Juden und Nichtjuden angehörten, waren vom Judentum unterschieden[28] – vielleicht weniger wegen ihres Bekenntnisses als vor allem wegen ihrer daraus resultierenden Praxis. Wenn die Glaubenden von der Auferweckung Jesu durch Gott sprachen, dann war der Gott Israels gemeint; die jüdischen heiligen Schriften wurden gelesen, aber sie wurden nun auf das mit Jesus verbundene Geschehen bezogen, man las diese Schriften aus »christlicher« Perspektive. Zumindest die Nichtjuden unter den Jesusgläubigen vollzogen aber nicht die Beschneidung, sie feierten offenbar auch nicht den Sabbat,[29] und |28|sehr wahrscheinlich hielten sie sich auch nicht in vollem Umfang an die biblischen Speisegebote,[30] wodurch sie sich von den toratreuen Juden unterschieden. Diese Praxis konnte innerhalb »gemischter« Gemeinden zu Konflikten führen, wie die von Paulus in Gal 2,11–14 geschilderte Szene zeigt:[31] In der Gemeinde in Antiochia hatte Petrus mit nichtjüdischen Gemeindegliedern gemeinsame Mahlzeiten eingenommen, diese Gemeinschaft dann aber unter äußerem Druck[32] aufgekündigt, worin Paulus einen fundamentalen Widerspruch zur »Wahrheit des Evangeliums« sah (Gal 2,14). Es gab eine heftige Kontroverse zwischen Paulus und Petrus, und es kam möglicherweise zur Spaltung der Gemeinde; über den Ausgang des Konflikts erfahren wir allerdings nichts.

Die Jesusgläubigen, die »Christen«, bringen ihre Identität zum Ausdruck durch ihr Bekenntnis, dass der gekreuzigte Jesus von Gott auferweckt und von Menschen gesehen worden war.[33] Dabei wird Jesu Auferweckung nicht als ein Mirakel verstanden, vergleichbar etwa den Auferweckungen verstorbener Menschen, von denen alt- und neutestamentliche, aber auch heidnische Wundererzählungen sprechen. Der gekreuzigte, gestorbene und begrabene Jesus ist nicht einfach »wieder lebendig« geworden, sondern Gott hat ihn auferweckt und »erhöht«,[34] wie in Anlehnung an Ps 110,1 gesagt wird. Der Psalmist spricht vom Sitzen des Königs »zur Rechten Gottes« (V. 1), aber diese Aussage wird nun auf die Erhöhung Jesu hin gedeutet. Der durch Gottes Handeln erhöhte Jesus wird von den Glaubenden als »der Messias/Christus«, oder als »der Herr« oder als »der Sohn Gottes« bezeichnet.

|29|Diese und weitere auf Jesus bezogene Hoheitstitel sind allerdings nicht neu, sondern sie haben eine Vorgeschichte. Dabei kann der häufig gebrauchte Titel ὁ Χριστός, »der Gesalbte«, eigentlich nur im jüdischen Kontext verstanden werden – gemeint ist der kommende Messias aus der Nachkommenschaft des Königs David, der das Volk Israel befreien wird.[35] Der Titel »Herr«, κύριος, ist dagegen in der jüdischen und in der nicht-jüdischen Antike sehr weit verbreitet, sowohl im religiösen wie auch im politischen Raum.[36] Die Bezeichnung »Sohn Gottes« findet sich in einigen alttestamentlichen Texten als bildlich zu verstehende Bezeichnung des Königs;[37] aber auch der römische Kaiser heißt »Sohn Gottes«, seitdem Octavian als Adoptivsohn des nach seinem Tod vergöttlichten Caesar als divi filius Augustus bezeichnet wurde. Die Christen bezogen solche Hoheitstitel auf Jesus, und dabei stand für sie fest, dass diese Titel und die mit ihnen verbundenen Vorstellungen allein Jesus zukommen.

Das Bekenntnis »Jesus ist der Sohn Gottes« gilt unabhängig von der Antwort auf die Frage, ob sich Jesus selber als Sohn Gottes verstanden und so bezeichnet hat. Der Satz »Jesus war der Sohn Gottes« hätte ja, selbst wenn er historisch einer Selbstaussage Jesu entsprechen sollte, die Vergangenheit im Blick; dagegen bezieht sich der Satz »Jesus ist der Sohn Gottes« nicht auf die Vergangenheit, und er soll auch nicht etwas historisch Beweisbares aussagen. Vielmehr bringen die Glaubenden auf diese Weise zum Ausdruck, dass sie im Leben und in Tod und Auferweckung Jesu das Handeln Gottes erkennen und dass der gekreuzigte und von Gott auferweckte Jesus derjenige ist, auf dessen Botschaft von Gott sie vertrauen.

In den urchristlichen Schriften, die später das Neue Testament bilden, wird das Bekenntnis zu Jesus als dem Sohn Gottes auf ganz unterschiedliche Weise gedacht und ausgesprochen. In den Evangelien des Matthäus und des Lukas ist der Gedanke der Gottessohnschaft Jesu mit der Vorstellung verbunden, Gott sei in einem quasi |30|»biologischen« Sinn der Vater Jesu und seine Mutter sei bei der Geburt ihres ersten Kindes Jungfrau gewesen; dabei liegt aber diesen Texten, anders als in der griechischen Mythologie, der Gedanke einer »Zeugung« Jesu durch Gott, der in der Rolle eines Mannes gesehen wäre, ganz fern.[38] Für das Johannesevangelium besteht Jesu Beziehung als »der Sohn« zu Gott als dem »Vater« schon vor aller Zeit; Johannes spricht von Jesu Präexistenz und von Jesu Kommen in die Welt, ohne Jesu Geburt auch nur zu erwähnen; in Joh 6,42 sagen die Ἰουδαĩοι sogar, dass sie Jesu Vater und Mutter kennen, ohne dass diese Aussage vom Evangelisten korrigiert wird.[39] Das Markusevangelium, das älteste der Evangelien, erzählt, wie Jesus bei seiner durch Johannes den Täufer vollzogenen Taufe von Gott die Anrede hörte: »Du bist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe« (1,11). Auch Markus erwähnt Jesu Geburt nicht, aber er spricht ohne Vorbehalt von den Geschwistern Jesu (3,31–35; 6,3). Der Glaube an Jesu Gottessohnschaft ist offensichtlich nicht von der Vorstellung einer übernatürlichen Zeugung und Geburt abhängig.

Paulus schreibt in Röm 1,3f., Jesus stamme »nach dem Fleisch aus Davids Samen« und sei »eingesetzt als Sohn Gottes in Macht gemäß dem Heiligen Geist aufgrund der Auferstehung von den Toten«. Die Bezeichnung »Sohn Davids« ist eine Messiasbezeichnung, die hier besagt, dass sich die jüdische Hoffnung auf den kommenden Messias in Jesus erfüllt hat. Die Aussage »eingesetzt zum Sohn Gottes aufgrund der Auferstehung von den Toten« besagt, dass Jesus in seiner Auferstehung eine neue Würde erhalten hat. Das ist insofern ein erstaunlicher Satz, als Jesus für Paulus eigentlich nicht zum Sohn Gottes »wurde«, sondern immer schon »der Sohn Gottes« war, vor aller Zeit und über alle Zeiten hinweg. Paulus spricht in Röm 1,3a von Jesus als von »seinem«, also Gottes »Sohn«, und in V. 4b nennt er »Jesus Christus« ausdrücklich »unseren Herrn«. Möglicherweise spielt Paulus mit den für ihn ungewöhnlichen Aussagen in Röm 1,3b.4a auf ihm eigentlich fremde Vorstellungen an; vielleicht vermutet er, dass die Adressaten in Rom diese Aussagen kennen, denen er durch die von |31|ihm formulierte Rahmung die in seinen Augen »richtige« Deutung gibt, ohne ihnen ausdrücklich zu widersprechen.[40]

Ob Jesus selber vom Glauben an seine Person gesprochen und ein Bekenntnis zu ihm erwartet hat, lässt sich angesichts der Quellenlage nicht sicher sagen. Im Matthäus- und im Lukasevangelium wird eine Selbstaussage Jesu überliefert, die vermutlich aus der von beiden Evangelisten benutzten Logienquelle Q stammt und die in der Fassung von Lk 12,8f. so lautet: »Jeder, der sich zu mir bekennt vor den Menschen, zu dem wird sich auch der Menschensohn bekennen vor den Engeln Gottes. Wer aber mich verleugnet vor den Menschen, der wird verleugnet werden vor den Engeln Gottes.« Die Bezeichnung »Menschensohn« meint in Anknüpfung an Dan 7,14 mit der darauf folgenden apokalyptischen jüdischen Tradition eine Gestalt, die am Ende aller Zeiten vom Himmel kommen und Gericht halten wird;[41] jenes Logion sagt also, das im Endgericht ergehende Urteil werde abhängig sein vom Bekenntnis bzw. Nicht-Bekenntnis zu Jesus. Ähnliches wird in Mk 8,38 gesagt. Ob Jesus in dieser Weise von einem Bekenntnis zu seiner Person gesprochen hat, ist umstritten;[42] jedenfalls sind die Menschen, die an Jesus glauben, davon überzeugt, dass ihr Glaube und ihr Bekenntnis zu Jesus im kommenden Endgericht die entscheidende Rolle spielen wird, und das bringen sie durch die Jesus zugelegte Eigenaussage zum Ausdruck.

4.Bekenntnisaussagen in den Briefen des Apostels Paulus

Der Apostel Paulus überliefert in seinen Briefen, den ältesten uns erhaltenen Schriften des Urchristentums, unterschiedliche Bekenntnissätze, von denen einige hier kurz dargestellt werden sollen.

|32|1. In den Kapiteln 9–11 des Römerbriefs schreibt Paulus eingehend über die Beziehung des Volkes Israel zum Glauben an Jesus Christus. Paulus war Jude, oder, wie er selber von sich sagt, »Israelit« (11,1), und sein Problem ist die Frage, warum das Volk Israel in seiner Mehrheit die Christusbotschaft nicht annimmt. Er schreibt in diesem Zusammenhang in 10,3, dass »sie«, die nicht an Jesus glaubenden Israeliten, Gottes Gerechtigkeit nicht erkannt und stattdessen die eigene Gerechtigkeit aufzurichten versucht und sich also der Gerechtigkeit Gottes nicht untergeordnet haben. Das erläutert Paulus in V. 4 mit dem Satz: »Christus nämlich ist das Ende des Gesetzes (τέλος νόμου[43]) zur Gerechtigkeit für jeden Glaubenden (εἰς δικαιοσύνην παντὶ τῷ πιστεύοντι)« (V. 4), und dies wiederum erläutert er (V. 5–8), indem er zwischen der »Gerechtigkeit aus dem Gesetz« und der »Gerechtigkeit aus dem Glauben« unterscheidet. Mose habe von der Gerechtigkeit aus dem Gesetz geschrieben, dass wer sie, also die Gebote, tut, »in ihnen leben« werde (V. 5: Μωϋσῆς γὰρ γράφει τὴν δικαιοσύνην τὴν ἐκ τοῦ νόμου ὅτι ὁ ποιήσας ἄνθρωπος αὐτὰ ζήσεται ἐν αὐτοῖς[44]); aber »die Gerechtigkeit aus Glauben« (V. 6: ἡ δὲ ἐκ πίστεως δικαιοσύνη) »sagt« (οὕτως λέγει), man brauche nicht in den Himmel und nicht in die Unterwelt zu steigen (V. 7),[45] sondern es gelte: »Das Wort ist dir nahe, in deinem Munde und in deinem Herzen« (V. 8a).[46] Für den biblischen Text ist dieses gesprochene »Wort« (ῥῆμα) ebenfalls die Tora; Paulus aber bezieht die Aussage auf »das Wort vom Glauben, das wir verkündigen« (τοῦτ’ ἔστιν τὸ ῥῆμα τῆς πίστεως ὃ κηρύσσομεν, V. 8b).[47]

Das erläutert Paulus nun in V. 9 in zwei Sätzen, die vom Bekennen bzw. vom Glauben sprechen: »Wenn du mit deinem Munde bekennst: Jesus ist der Herr, und in deinem Herzen glaubst: Gott hat ihn von den Toten auferweckt, so wirst du gerettet (σωθήσῃ).« Im ersten dieser Sätze geht es um das »Bekennen« (ἐὰν ὁμολογήσῃς κτλ.), ausgesagt in dem Satz: »Herr ist Jesus« (κύριος Ἰησοῦς). Dieser Satz wird mit dem Munde (ἐν τῷ στόματί σου) bekannt, das Bekenntnis wird also offen |33|ausgesprochen und so von anderen gehört. Der zweite Satz bringt die Aussage des Glaubens zum Ausdruck (καὶ πιστεύσῃς κτλ.): »Gott hat ihn – also Jesus – auferweckt von den Toten« (ὁ θεὸς αὐτὸν ἤγειρεν ἐκ νεκρῶν). Dass man »in seinem Herzen« an Jesu Auferweckung glaubt (πιστεύσῃς ἐν τῇ καρδίᾳ σου), setzt die Vorstellung vom Herzen als dem Sitz des Verstandes und des Verstehens voraus.[48] Zwei Aspekte sind in der Glaubensaussage enthalten, ohne dass sie ausgesprochen werden: Der Gott, der Jesus auferweckt hat, ist der Gott Israels, der eine, einzige Gott. Und der von den Toten auferweckte Jesus war wirklich tot.[49] Glauben, so fügt Paulus dann in V. 10 hinzu, führt zur Gerechtigkeit, also zur Annahme durch Gott (καρδίᾳ γὰρ πιστεύεται εἰς δικαιοσύνην), Bekennen führt zur (endzeitlichen) Rettung (στόματι δὲ ὁμολογεῖται εἰς σωτηρίαν); dafür wird in V. 11 ein Bibelzitat aus Jes 28,16 angeführt (πᾶς ὁ πιστεύων ἐπ’ αὐτῷ οὐ καταισχυνθήσεται – »jeder, der auf ihn vertraut, wird nicht beschämt werden«).

Das Bekenntnis »Herr ist Jesus« und der Glaubenssatz »Gott hat ihn von den Toten auferweckt« sind in dieser Form vermutlich nicht nach außen gerichtete Aussagen; die uns erhaltenen Briefe des Paulus richten sich durchweg an Menschen, die bereits für den Glauben an Jesus Christus gewonnen worden sind, und so haben solche Sätze wie in Röm 10,9 eher die Funktion, den bereits vorhandenen Glauben knapp zusammenfassend zur Sprache zu bringen. In seiner missionarischen Predigt etwa auf der Agora in Korinth oder auf dem Markt in Ephesus wird Paulus nicht solche kurzen Formeln vorgetragen haben; andererseits wissen wir nicht, in welcher Weise er bei seiner Missionsbotschaft gepredigt hat.[50]

Die Menschen, die an die Auferweckung Jesu glauben und ihn als den »Messias/Christus« oder den »Sohn Gottes« bzw. als den »Herrn« bekennen, sehen sich in ein neues Welt- und Selbstverständnis geführt; sie gehen Wege, die den bisher von ihnen für richtig |34|gehaltenen religiösen Traditionen zumindest teilweise widersprechen. Sie glauben, dass Gott dem Menschen seine Sünde, also seine Gottferne, ja geradezu seine Gottlosigkeit, nicht anrechnet, sondern sich dem Menschen gnadenvoll zuwendet.[51] Und sie sind davon überzeugt, dass diese Botschaft jedem Menschen gilt – unabhängig von der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Volk oder zu einer sozialen Gruppe und auch unabhängig vom Geschlecht: »Hier ist nicht Jude noch Grieche, weder Sklave noch Freier, nicht männlich und weiblich, sondern ihr seid alle Einer in Christus Jesus«, schreibt Paulus in Gal 3,28.

Möglicherweise hätte Jesus eine solche Aussage nicht unterschrieben. Aber manche Überlieferungen in den Evangelien könnten doch dafür sprechen, dass die hier bei Paulus sichtbar werdende Tendenz dem Denken und Handeln Jesu nicht allzu fern steht. Das gilt etwa für die Erzählung von der Heilung der Tochter einer syro-phönizischen, also heidnischen Frau (Mk 7,