Die Reise zum Blau - Michael Dunkel - E-Book

Die Reise zum Blau E-Book

Michael Dunkel

4,6

Beschreibung

Eine packende Reiseerzählung aus der Sicht eines Timesharing-Verkäufers. „Arbeiten in der Sonne, wo andere Urlaub verbringen”, war der ausschlaggebende Satz, welcher den Erzähler veranlasste, seinen Arbeitsplatz in Deutschland aufzugeben, um auf Gran Canaria im Timeshare-Business sein Glück zu versuchen. Amüsant und gleichzeitig nachdenklich erzählt der Autor aus der Sicht des Verkäufers von Nöten und zwischenmenschlichen Beziehungen einer eingeschworenen Verkaufs-Crew.

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MICHAEL DUNKEL

Die Reise zum Blau

MICHAEL DUNKEL

Die Reise zum Blau

ROMAN NACH EINER WAHREN BEGEBENHEIT

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Impressum

© Verlag Kern

Autor: Michael Dunkel

1. Neuauflage 2011

Herstellung: www.verlag-kern.de

Umschlaggestaltung: www.winkler-layout.de

ISBN 9783939478683

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2013

Inhaltsverzeichnis

VORWORT

I. KAPITEL

II. KAPITEL

III. KAPITEL

IV. KAPITEL

V. KAPITEL

Zur Erinnerung an eine harte und schöne Zeit für

Karin und Michael

Es gibt viele Schafe,

welche sich den Wolfspelz anziehen,

aber auch einige Lämmer die glauben, ihnen sei dieser gewachsen.

VORWORT

Dem Ruf, ins Ausland zu gehen, folgen Jahr für Jahr Tausende Menschen.

Sie hoffen darauf, ihrem Alltag in Deutschland zu entfliehen und die Chance eines Neuanfangs in einem fernen Land zu erhalten.

Ich hatte unter dem vorangegangenen Druck eines finanziellen Engpasses, verbunden mit meinen Körper lähmenden Arbeitsbedingungen, eine scheinbar aussichtsreiche Tätigkeit auf Gran Canaria angenommen.

Diese wurde mir von einer Personalagentur im Vorfeld in den schillerndsten Farben näher gebracht und mein Verkaufstalent, auf der mentalen Ebene, mit der höchsten Stufe bewertet. Diese Stufe nannten sie BLAU.

Über die gemachten Erfahrungen und Erlebnisse aus fast fünf Monaten Timeshare-Zirkus im sonnigen Süden handelt das Buch.

I. KAPITEL

Es reichte mir.

Ich war zwar an der ganzen Situation selber schuld, hatte jedoch keine Inspiration, die mich aus meiner momentanen Lage befreien würde.

Nicht einmal ein halbes Jahr war vergangen, als ich halb tot eine Auslandseskapade in Form einer erhofften Selbständigkeit in Nordafrika hinter mich brachte. Von dieser erholte ich mich zunächst körperlich.

Um einen neuen Anfang in Deutschland zu finden, verkaufte ich meine alte Wohnung und richtete mir, ebenfalls als Eigentum, eine etwas größere nach meinem persönlichen Geschmack ein. Nun saß ich arbeitslos in meinem neuen Reich und entwickelte Panik, in diesem Stillstand Monate, oder schlimmer noch, Jahre zu verbringen. Meine Bemühungen, über Arbeitsamt oder Zeitungen eine neue Anstellung zu bekommen, blieben leider zunächst erfolglos.

Ich verfügte jedoch über die Gabe, mein Leben zu jedem Zeitpunkt aktiv zu gestalten, und so fand ich endlich, mit der Vermittlung eines langjährigen Freundes, ein neues Betätigungsfeld mit Herausforderung.

Dieses offenbarte sich in Form eines jungen Unternehmens, welches zwar kein Geld hatte, aber mir dafür Zukunftsvisionen vermittelte. Ich nahm die angebotene Tätigkeit an und erwarb mir mit meinen 47 Lebensjahren, mit einer Ausnahme, den Stand des Methusalem unter meinen neuen Kollegen. Nie zuvor hatte ich daran gedacht, mich mit einem Computer zu beschäftigen, und meine ersten Versuche damit wurden bestaunt, als käme ich direkt aus einer Höhle.

Deshalb biss ich meine Zähne zusammen, lernte schnell und präzise die Handhabung des PC und erlangte gleichzeitig die Einsicht, jungen Menschen nicht unbedingt meine Lebenserfahrungen vermitteln zu wollen, sondern lieber bei ihnen den Nimbus des Dummen einzunehmen.

Dies hatte den Vorteil, in technischen Dingen nicht dauernd gefordert zu werden und so brachte man mir jede Neuerung im Unternehmen mit den Worten näher: »Wenn der das versteht, haben wir gewonnen.«

Entsprechend verhielt es sich mit meiner Bezahlung. Bei der Einstellung hatte ich zwar mein Gehalt ausgehandelt, dies wurde mir aber nur einmal in voller Höhe ausbezahlt. Man erklärte mir, dass durch erhebliche Startschwierigkeiten die Gewinne noch nicht fließen würden und nur durch noch mehr Arbeit meinerseits der erhoffte Umsatz durchzusetzen sei. So war ich gezwungen, auf Erspartes zurückzugreifen, mir immer wieder vor Augen haltend, besser einen Job als auf der Straße zu liegen. Das Unternehmen entwickelte sich von Monat zu Monat erfolgreicher, meine Situation jedoch blieb die gleiche.

Jetzt, fast anderthalb Jahre später, war allerdings der Zeitpunkt erreicht, an dem auch meine Rücklagen schmolzen und mein Lebensstil sich nicht weiter reduzieren ließ. Seit Wochen hatte ich die örtlichen Zeitungen nach passablen Arbeitsangeboten gewälzt und auch einige Bewerbungen gestartet. Diese verliefen allesamt glücklos und ich wollte schon verzweifelt meine Anstrengungen aufgeben, da entdeckte ich eine Anzeige, die mich sofort ansprach.

»Arbeiten im Süden

wo andere Urlaub verbringen«,

lockte die einladende Headline. Ich las weiter und merkte, wie ein Kribbeln im Bauch mir signalisierte, ich sei auf dem richtigen Weg.

Ohne zu überlegen, griff ich zum Telefon und wählte die angegebene Nummer. Eine gut geschulte und sympathische Stimme begrüßte mich und erklärte in knappen Worten das eventuell zukünftige Aufgabengebiet. Mein Alter erwähnte ich sicherheitshalber noch so nebenbei, hörte jedoch sehr erfreut, genau dieses sei für die gestellte Aufgabe ideal, denn Erfahrung und Seriosität seien mehr als gefragt.

Hell begeistert ließ ich mir einen Besprechungstermin geben und konnte den Zeitpunkt dafür kaum erwarten. Wenn ich es für sinnvoll erachtete, aktivierte ich meine Illusionen schnell und zündend, und sobald ich etwas wollte, setzte ich meinen Kopf sofort durch. Noch so viele Enttäuschungen aus der Vergangenheit konnten meine Energie nicht bremsen. Damit ich diesmal auf einer halbwegs sicheren Seite blieb, fragte ich verschiedene Freunde um ihren Rat und wägte zusätzlich eventuelle Risiken auf Für und Wider ab. Da ich von unterschiedlichen Personen jedoch aufmunternden Zuspruch erhielt, beendete ich meine Überlegungen schnell und stärkte meine Entscheidung durch positives Denken.

*

Gerade begann wieder die Zeit des Karnevals, ich nahm Urlaub und hatte so keinerlei Probleme, die Vorstellungsgespräche gut unterzubringen.

Von diesen absolvierte ich vier, von jeweils zwei Stunden Dauer. Allesamt abgehalten im ersten Hotel am Ort. Das Unternehmen hatte ungefähr 150 Bewerber geladen und als der Kreis derer, die übrig blieben, immer kleiner wurde, begann sich in mir Stolz zu regen. Der Veranstalter erzählte mir viel über bankähnliche Beratungsgespräche mit Klienten, welche sich ein zusätzliches Urlaubsdomizil kaufen wollten. Alles würde direkt im Süden, genauer gesagt auf Gran Canaria abgewickelt, die Kunden würden vor Ort beraten und erfahrungsgemäß die Objekte auch sofort nach Besichtigung gekauft. Mir, dem Berater fiele die Aufgabe zu, alles seriös und verständlich für die Interessenten vorzubereiten und dafür erhielte ich nicht nur ein sehr gutes Gehalt, sondern ebenfalls eine angemessene Provision.

Meine Vorfreude kannte kaum Grenzen, hatte ich doch in jungen Jahren häufig mit Auslandsimmobilien zu tun gehabt und kannte noch die entsprechenden Gepflogenheiten der Branche und nur im Unterbewusstsein klangen auch dunkle Geschäfte an, welche ich damals von nicht so ganz sauberen Ferienhauserbauern gehört hatte.

Die Eignungsgespräche führten Mitarbeiter einer Headhunter Firma durch und wurden von einer Psychologin zusätzlich betreut. Die überschlug sich fast mit Komplimenten. Sie sagte, ich sei sehr aufgeschlossen, verfüge über einen weiten Horizont, eine unglaubliche Vorstellungskraft und bescheinigte mir eine mentale Ebene mit der höchsten Stufe BLAU.

Dies war ich psychisch mittlerweile wirklich, denn vollgestopft mit Information und Schmeicheleien, gab es für mich nur noch ein Vorwärts.

In der darauf folgenden Woche fixierte das Personalunternehmen ein abschließendes Testseminar, in dem jeder Teilnehmer sein sofortiges O.K. für die neue Aufgabe erhalten sollte.

Nervös nahm ich mir einen weiteren Tag Urlaub und fieberte der letzten Prüfungsrunde entgegen. Die bestand aus einer Rest-Crew von 35 derjenigen, welche die harten Vorprüfungen überstanden hatten und sich auf die unterschiedlichste Art von Abenteurern zusammensetzte. Kaufleute, Versicherungsvertreter, Banker und sogar ein Gastwirt waren vertreten. Ich entdeckte einen ehemaligen, allerdings Jahre nicht mehr gesehenen Bekannten, der dieselbe Schule besucht hatte. Wir unterhielten uns sofort lebhaft über alte Zeiten und verstanden uns auf Anhieb.

In der Gruppe machten sich vereinzelt Personen bemerkbar, welche immer wieder den Begriff Timesharing ins Gespräch brachten, der mir zunächst allerdings nichts sagte. Ein Teilnehmer erzählte uns von Abschlüssen, die unter Druck zu Stande gekommen seien. Auch von Urlaubswochen, in denen die Eigentümer ihre Anlage nicht nutzen konnten. Ein anderer berichtete über Kunden, denen die Eigentumsrechte zwar versprochen, jedoch nach Zahlung der Kaufsumme nicht übertragen worden wären. Einige von uns schauten sich bedenklich an und ich fragte mich, ob ich die richtige Entscheidung getroffen hätte.

Der Leiter des Seminars, nach seinen Aussagen ehemaliger Direktor einer Bank, reagierte auf diese Einwürfe positiv und erklärte uns staunenden Zuhörern, dass es sehr viele Menschen gäbe, welche sich nicht in die Gefahr brächten und auf eigenes Risiko ein Haus im Süden kaufen würden. Vielmehr sähen sie einen Nutzen darin, sich eine Wohnung, häufig in einer Art Hotelkomplex liegend, mit fünf bis zehn anderen Besitzern zu teilen.

Es schien auch einleuchtend zu sein und so hatte von den anderen und mir keiner Bedenken mehr, die er in den Raum stellte. Stundenlang wurde der hohe Anspruch des Unternehmens und dessen lupenreiner Leumund beschworen.

Es folgte eine weitere Prüfung der Teilnehmer mit der Bitte, eine Zeichnung zu erstellen, die unsere Vorstellungskraft mit der Vision für die Zukunft deutlich machen sollte. Drei Personen, darunter auch ich, malten fast spiegelgleich dasselbe Bild, eine Strandkulisse mit Palmen und Liegestuhl. Mit höchstem Lob sprach man uns dreien nochmals die mentale Stufe BLAU zu und stellte uns in Aussicht, die größten Erfolge zu erzielen. Gegen Ende des Seminars standen einschließlich mit mir sechs Glückliche als ausgewählt fest, den verantwortungsvollen Job zu meistern. Hoffnungsvoll fuhr ich nach Hause und bereitete meine baldige Abreise vor.

Mir wurde genau wie den anderen ein Flugticket zugestellt, die Unterkunft sollte in den ersten vier Wochen direkt in der auch zu verkaufenden Anlage sein, und wir würden mit Chauffeur und Stretchlimousine vom Flugplatz abgeholt. Ich hielt zwar den Chauffeur und die Stretchlimo für etwas übertrieben, fand jedoch die gesamte Entwicklung hervorragend. Mehr als ein Stein fiel von meinem Herzen. Das vergangene Jahr hatte meinen Selbstwert unter das Kellerfundament sinken lassen und ich spürte durch die andauernde Unterdrückung meiner Persönlichkeit am Arbeitsplatz eine immer größer werdende Verkrampfung. Ich konnte mich zwar sehr gut ein- und unterordnen, hatte jedoch Probleme damit, wenn ich zusätzlich mein Gehirn ausschalten musste. Sah ich meine grauen Zellen jedoch wieder befreit, stellte sich schlagartig ein überschäumendes Denken ein, welches sich umgehend mit einer unüberlegten Handlung revanchierte. Leider bemerkte ich solche Fehler immer erst dann, wenn ich mitten in den entsprechenden Aktionen steckte.

Nach Erhalt meiner Flugunterlagen und einem ordentlichen Arbeitsvertrag kündigte ich die »Knechtschaft« in meiner Firma und packte, auf Zukunftswolken schwebend die Koffer. Mein Arbeitgeber hatte mir allerdings signalisiert, sollte mir die ganze Geschichte nicht gefallen, dürfte ich meinen Platz bei ihm wieder einnehmen. Ein wenig gerührt nahm ich das Angebot an und hoffte darauf, die gesamte Entwicklung würde dies nicht zulassen.

Nach weiteren Vorbesprechungen mit der Personalagentur durften vier der Gruppe schon eine Woche vorher anreisen, während mein Schulkamerad und ich etwas verzögert nachfliegen sollten. Die wenigen Nächte vor meinem Flug konnte ich nicht richtig schlafen. Erwartungsvolle Überlegungen wechselten sich mit undefinierten Befürchtungen ab, welche in kleinen Filmspots durch meine Gedanken jagten.

Am Tage unserer Abreise trafen wir beide mit großem Gepäck im Flughafen ein. Mit Familie und Freunden tranken wir in der Lounge noch einen Abschiedskaffee und schwelgten erneut in Zukunftsvisionen. Endlich war es soweit und nach dem Einchecken und Durchqueren der Passkontrolle gab man uns den Weg zum Einstieg frei. Innerhalb der Maschine begrüßte uns eine blonde Flugbegleiterin mit feuerrot lächelnden Lippen und wies uns, da wir Raucher waren, den hinteren Teil des Innenraums zum Platz an. Der anschließende Start gestaltete sich abrupt, das Flugzeug stieg steil in die Luft und gewann schnell an Höhe. Ein tiefes Schwarzblau über uns ließ die Unendlichkeit ahnen und gab mir schlagartig Freiheitsgefühle.

Mario, so hieß mein wieder entdeckter Freund, und ich nutzten die Zeit des Fluges für Gespräche, frischten Erinnerungen auf und philosophierten über unser neues Aufgabengebiet.

Wir stellten gemeinsam fest, dass wir zunächst mit dem Rücken zur Wand standen und unsere ganze Hoffung auf dieses Projekt ausgerichtet war. Mein neuer Kollege hatte seinen gut bezahlten Arbeitsplatz durch eine persönliche Stresssituation verloren und musste nicht nur für ein noch abzuzahlendes Haus aufkommen, sondern hatte auch für seine Familie zu sorgen. Seine monatlichen Ausgaben beschrieb er mir als sehr hoch und so hatte er sich in den Kopf gesetzt, Abschlüsse in kürzester Zeit zu realisieren.

Mein Problem entstand in erster Linie durch mein Alter. Sollte ich bei dieser gestellten Aufgabe versagen, musste ich mir zwangsläufig eine andere Arbeitsstelle suchen, denn ich wollte mich auf die Zusage meines ehemaligen Chefs nicht verlassen.

Tatsache blieb, dass die Zeitungen voll standen mit Arbeitsangeboten für 25-jährige Abiturienten, die mindestens vier Jahre Praxiserfahrung mitbringen sollten und drei Sprachen fließend in Wort und Schrift zu beherrschen hatten. Da war kein Platz für jemanden, dem das Leben mehr bedeutete, als 30 Jahre in derselben Firma zu verbringen.

So kamen wir uns durch ähnliche Lebensumstände näher und verstanden uns auf der Basis gemeinsamer Überlegungen ständig besser.

Deshalb verrannen die Stunden für uns unmerklich und endlich tauchten tief unter uns Umrisse von Land in einem blaugrauen Licht auf. Nachdem das Flugzeug mehrere Schleifen über die Insel gezogen hatte, sank es steil fallend auf die Landebahn.

Später, die Maschine hatte die Landung unter dem üblichen Beifallsklatschen der Touristen bewältigt, warteten wir auf die Herausgabe unseres Gepäcks. Ich stellte mit Erstaunen fest, dass mein angehender Freund drei Computer und vier Taschen auscheckte. Er hatte sie schon einige Tage vorher aufgegeben und wurden deshalb beim Einchecken von mir nicht bemerkt. Auf meine neugierigen Fragen gab er mir zur Antwort, er sei mit einer zusätzlichen Führungsposition betraut worden und deshalb müsse er quasi sein Büro dabeihaben.

*

Es war Ende März. In Deutschland fiel bei unserem Abflug Regen und die Wochen vorher hatte es sogar noch geschneit. Jetzt standen wir am Ausgang des Flughafengebäudes von Las Palmas, blickten in einen tief dunkelblauen Himmel und unvermittelt hüllte uns ein feuchtwarmer Wind ein, der sich sofort in unsere Gesichter schmeichelte.

Wir suchten mit den Augen nach dem Chauffeur, welcher uns, wie vorher angekündigt, in unser neues Domizil bringen sollte. Es schien niemand da zu sein. Keiner, der uns ausrief, keiner, der nach uns suchte. Endlich entdeckte Mario, weit nach hinten geparkt, einen Lieferwagen mit der Aufschrift OCEAN PARADISE. So hieß unsere Anlage und so lautete auch gleichzeitig der Name für unseren Arbeitsvertrag.

Den dazu gehörigen Fahrer fanden wir, die Filterlose im Mundwinkel hängend, seine Mütze keck auf eine Seite seines Kopfes gezogen, zwei Meter entfernt, angelehnt an einen Betonpfeiler. »Ahh, los nuevos«, begrüßte er uns ein wenig spöttisch, öffnete jedoch bereitwillig die seitliche Schiebetür seines Lieferwagens und half uns störrisch beim Einladen unserer Gepäckstücke.

»Nix mit Stretchlimo«, sagte ich ernüchtert.

»Sei nicht so negativ! Die hatten wohl keine Zeit oder einen V.I.P., den sie fahren mussten«, entgegnete Mario. Er war jetzt guter Dinge und freute sich ein wenig kindlich auf seine neue Aufgabe. Er sah tatsächlich wie ein Junge aus. Blond gesträhnte Igelhaare, blitzblaue Augen in einem pausbäckigen Gesicht und ein fülliger, ehemals Kraftsport gestählter Körper gaben ihm den Anschein eines Sonnyboys. Dieser Eindruck wurde durch seine farbenfrohe Kleidung noch vertieft. Er liebte gelbe Krawatten, blaue Hemden und rote Jacketts, häufig sogar in genau dieser Kombination.

Der Fahrer dieselte uns wortlos etwa eine Stunde auf der südöstlichen Autobahn Richtung Playa del Ingles, der Touristenhauptstadt des Südens entgegen. Wir ließen die karge Landschaft mit teils futuristischen Bildern, ausgelöst durch die zerklüfteten Lavafelsen, an uns vorbei gleiten. Vereinzelt tauchten kleine Gruppen von Häusern auf, welche sich an den Rand des Bergmassivs drängten. Sie waren weiß getüncht, man konnte jedoch den sich durch die Farbe drückenden langsamen Verfall erkennen.

Die Kanarischen Inseln verdanken ihre Entstehung gigantischen Vulkanausbrüchen und die hoch aufgetürmten Gebirge standen schwarz gegen den stahlblauen Himmel. An deren Ausläufern wuchsen Agaven mit ihren meterhohen Blütenständen, vermischt mit Kakteen und Wolfsmilch, ein giftiges, überall in dieser Gegend zu findendes Unkraut.

Haushohe, riesige Plakatwände, aufgereiht entlang der Autostraße, bewarben abwechselnd Hotels, Autoreifen und Diskotheken. Sie gaben der Insel einen verfremdenden, amerikanischen Touch und waren für meinen Geschmack völlig fehl am Platz.

Wir saßen in dem Transporter und schwitzten. Trotz der geöffneten Fenster brachte die Luft keine Kühlung und langsam griff die Müdigkeit nach uns. Plötzlich verbreiterte sich der vorher eher schmale Küstenstreifen zwischen Bergmassiv und Meer zu einer weit ausgedehnten Fläche. Die Autopiste verlief in einem großen Bogen nach links schwenkend und dann lag der touristische Koloss vor uns.

Playa del Ingles selbst war eine aus dem Boden gestampfte, nicht gewachsene Stadt, aus der wild durcheinander Bettenhochburgen gegen den Himmel wuchsen. Dazwischen, wie eingepfercht, kleine Bungalowanlagen, welche sich Anfang der achtziger Jahre etabliert hatten und nun in Schrebergartenoptik zwischen den Hoteltürmen unterdrückt lagen.

Der Fahrer bugsierte den Wagen durch die Meute der Urlauber, vorbei an unzähligen Bussen, die vor den Hotels und Pensionen standen. Es war Sonntag und klassischer An- und Abreisetag.

Nach endlos scheinendem Durchfahren von kleinen Gässchen, erreichten wir die Uferpromenade und unser Anreiseziel.

Die angesteuerte Hotelanlage erhob sich, auf einem kleinen Hügel liegend, über die am Meer entlang gebaute Küstenstraße. Der Anfahrtsweg zum Eingang des Gebäudes lag ebenfalls unterhalb des Hügels und wurde linker Hand mit überquellenden Mülltonnen gesäumt. Ich empfand den Anblick für ein angeblich so hoch bewertetes Feriendomizil nicht sonderlich einladend, wollte aber nicht gleich wieder nörgeln.

Unser mürrischer Fahrer brachte seinen Lieferwagen zum Stehen, öffnete die seitliche Schiebetür und schlurfte wortlos auf den Eingang der verlassen wirkenden Empfangshalle zu. Eine klägliche Sekunde glaubte ich noch, er wolle uns das Gepäck in die Halle tragen. Jetzt schleppten wir, müde von dem Flug und der langen Anfahrt in der ungewohnten Hitze, unsere Koffer enttäuscht selbst hinein.

Es war vier Uhr nachmittags und offensichtlich die ungünstigste Zeit für unser Erscheinen. Nach zähem Warten auf den Rezeptionisten drückte dieser sich mit einem verschlafenen »Digame?« zum Empfang. Wir stellten uns vor, mit schwacher Energie eine Wichtigkeit aufbauend: »Wir sind die neuen Berater für den Verkauf der Wohnanlage und werden erwartet.« »Aah, die Neuen. Hier sind Schlüssel, bitte die Pässe abgeben und das Gepäck aus der Halle bringen. Dann könnt ihr in eure Zimmer. Morgen bitte um neun Uhr pünktlich hier unten.«

Wie jeder deutschsprechende Spanier erhielt seine Stimme einen lispelnden Klang, unterlegt von zusätzlichen, rollenden Kehllauten. Er hatte einen leicht hochnäsigen Ausdruck in seinem Gesicht und die spöttischen, dunkelbraunen Augen verrieten, er sah uns als durchlaufende Episoden an.

»Könnten wir bitte etwas zu essen haben?«, fragte ich.

»Essen?«, kam langgezogen die Antwort. »Unten am Strand könnt ihr essen, hier gibt es nur Selbstverpflegung.«

Mario bekam solch große Augen, dass ich laut lachte: »Fünfsternehotel kann ich da nur sagen.«

Eher zufällig schaute ich zur Decke hoch und zeigte spontan auf die an vielen Stellen leicht blätternde Farbe. Ein Gemälde mit blassblauem Hintergrund stellte eine kitschige Szene von Neptun und der Meerjungfrau dar.

»Sehr gepflegte Anlage mit höchstem Komfort«, lästerte ich.

»Warte, bis wir in den Appartements sind, dann können wir alles besser beurteilen«, erwiderte Mario.

Wir quetschten uns, einschließlich Gepäck, in den Aufzug und fuhren auf die erste Ebene mit Swimmingpool und die oval um ihn herum gestalteten Wohneinheiten. Die Eingänge dafür lagen auf der Rückseite und jedes Appartement verfügte über eine eigene, verdreckte und deutlich sichtbare Klimaanlage nach draußen.

Wir gingen jeder für sich in seinen Wohnbereich und öffneten fast synchron die Türen zur Poolseite.

»Fünf Sterne sind das ja nicht gerade«, stellte Mario fest.

»Ganz nett für den Anfang, aber Luxus sieht für mich auch anders aus«, bestätigte ich ihm. Gemeinsam einigten wir uns darauf, schnell die Koffer auszupacken und dann einen Spaziergang zur Strandpromenade zu machen.

Unsere Kleidung hatten wir kurz entschlossen den sommerlichen Temperaturen angepasst. Mit kurzen Hosen, T-Shirts und Leinenschuhen schlenderten wir jetzt mit kleiner, erster aufkommender Urlaubsstimmung die steile Anfahrtspiste zum Meer hinunter.

Die Promenade bestand aus rechts und links dicht aneinander gedrängten Kneipen, Restaurants und Cafes. Alle mit schmalen überdachten Terrassen, auf denen an winzigen Tischen schlecht gelaunte und sich nicht unterhaltende Paare saßen. Einige schauten sinnend auf das Meer, andere starrten in die Luft, als ob sie auf etwas warteten, das nicht kam. Wir mussten bei diesem Anblick spontan lachen, waren aber gleichzeitig über das gebotene Bild betreten. Menschen in der sogenannten schönsten Zeit des Jahres, nämlich ihres Urlaubs, hatten endlich Gelegenheit, gemeinsam das Rauschen des Meeres, den Sonnenuntergang und gutes Essen zu genießen. Leider blickten sie gelangweilt voneinander fort und schienen ihre Freizeit abzusitzen.

Mario und ich beschlossen, die neue Umgebung, die südländische Musik und die freundlichen Einwohner direkt in uns aufzunehmen und strahlten mit ihnen um die Wette.

Ganz zur Freude der vor den Restaurants stehenden, üblichen Animateure. »He, woher kommt ihr, wollt ihr was trinken? Für eure gute Laune erhaltet ihr den ersten Drink umsonst.«

»Wir werden hier arbeiten und wohnen im Augenblick im OCEAN PARADISE«, gab Mario zur Antwort.

»Oh Gott, ihr seid Timesharer?«, rief ein stämmiger Holländer über sein ganzes Gesicht grinsend.

»Nein, wir sind Kundenberater für Immobilien«, dementierte ich.

»Ihr werdet schon sehen. So welche wie ihr reisen in Horden an und liegen anschließend am Strand, weil sie kein Geld für ein Hotel haben«, mischte sich ein anderer Deutscher ein.

»Wir besitzen Arbeitsverträge und ein festes Gehalt. Wir beraten ganz seriös und ohne Druck«, entgegnete Mario sehr sicher.

»Na ja, ihr seid nett, lasst euch nicht unterkriegen«, tönte die Empfehlung des Holländers. »Wir werden euch ja nun öfters sehen. Kommt ab und zu ins ,Oberbayern, da haben wir Zeit, uns zu unterhalten. Ab elf Uhr abends ist dort was los.«

Wir bedankten uns und setzten die Erkundungstour weiter fort. »Die müssen sich doch irren«, grübelte Mario.

»Langsam komme ich auch zum Nachdenken«, ergänzte ich seine Befürchtungen. Unsere Diskussion über die eventuelle Schattenseite der Branche brachte uns keine Erkenntnis und wir kamen zu dem Schluss, die Dinge abzuwarten und die nächsten Tage auf uns wirken zu lassen.