Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft - Immanuel Kant - E-Book

Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft E-Book

Immanuel Kant

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Beschreibung

Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft ist eine religionsphilosophische Schrift von Immanuel Kant, die zwischen 1793 und 1794 erschienen ist. Kant entwickelt darin eine philosophische Religionslehre, die eine auf Vernunft beruhende Religion entwirft, die sogenannte Vernunftreligion. Dazu werden die Idee der Freiheit, die Idee der Unsterblichkeit der Seele und die Idee Gottes als unbeweisbare, aber notwendige Postulate der Vernunft charakterisiert. Den Menschen selbst entwirft Kant dabei als eine Person, in der gutes Prinzip und böses Prinzip miteinander notwendig im Wettstreit liegen. Die Religionsschrift gilt als eines der bekanntesten Werke Kants. (aus wikipedia.de)

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Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft

Immanuel Kant

Inhalt:

Immanuel Kant – Biografie und Bibliografie

Kants Philosophie.

Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft

Vorrede zur ersten Auflage

Vorrede zur zweiten Auflage

Erstes Stück. Von der Einwohnung des bösen Prinzips neben dem Guten: oder Über das radikale Böse in der menschlichen Natur

I. Von der ursprünglichen Anlage zum Guten in der menschlichen Natur

II. Von dem Hange zum Bösen in der menschlichen Natur

III. Der Mensch ist von Natur böse

IV. Vom Ursprunge des Bösen in der menschlichen Natur

Allgemeine Anmerkung. Von der Wiederherstellung der ursprünglichen Anlage zum Guten in ihre Kraft

Zweites Stück. Von dem Kampf des guten Prinzips, mit dem Bösen, um die Herrschaft über den Menschen

Erster Abschnitt. Von dem Rechtsanspruche des guten Prinzips auf die Herrschaft über den Menschen

Zweiter Abschnitt. Von dem Rechtsanspruche des bösen Prinzips auf die Herrschaft über den Menschen, und dem Kampf beider Prinzipien mit einander

Allgemeine Anmerkung

Drittes Stück. Der Sieg des guten Prinzips über das Böse, und die Gründung eines Reichs Gottes auf Erden

Erste Abteilung. Philosophische Vorstellung des Sieges des guten Prinzips unter Gründung eines Reichs Gottes auf Erden

Zweite Abteilung. Historische Vorstellung der allmählichen Gründung der Herrschaft des guten Prinzips auf Erden

Allgemeine Anmerkung

Viertes Stück. Vom Dienst und Afterdienst unter der Herrschaft des guten Prinzips, oder von Religion und Pfaffentum

Erster Teil. Vom Dienst Gottes in einer Religion überhaupt

Zweiter Teil. Vom Afterdienst Gottes in einer statutarischen Religion

Allgemeine Anmerkung

Fußnoten

Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft,, Immanuel Kant

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849614881

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Frontcover: © Vladislav Gansovsky - Fotolia.com

Immanuel Kant – Biografie und Bibliografie

Der einflussreichste Philosoph neuerer Zeit, geb. 22. April 1724 zu Königsberg i. Pr., gest. daselbst 12. Febr. 1804, Sohn eines Sattlermeisters, dessen Familie einer Tradition zufolge aus Schottland stammte, erhielt eine streng religiöse Erziehung und studierte seit 1740 an der Universität seiner Vaterstadt und zwar mit besonderem Eifer Mathematik (unter dem Wolffianer Knutzen), Physik und Philosophie. Die Frucht der Beschäftigung mit den beiden ersten Wissenschaften war Kants Erstlingsschrift »Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte« (Königsb. 1747). Nachdem er neun Jahre als Hauslehrer tätig gewesen war, erwarb er 1755 durch eine Dissertation: »De igne«, die Doktorwürde und in demselben Jahre durch die Verteidigung seiner Abhandlung »Principiorum primorum cognitionis metaphysicae novae dilucidatio« die Venia legendi. In seiner »Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels« (Königsb 1755) antizipierte er in gewisser Weise die spätere Laplacesche Theorie von der Entstehung unsers Sonnensystems und versuchte die mechanische Theorie mit der teleologischen zu vereinigen. Sein philosophischer Standpunkt war in dieser ersten Periode noch der Wolffsche, bald lernte er aber englische Philosophen, insbes. Hutcheson und wohl auch Hume genauer kennen, so dass er sich zum Empirismus und Skeptizismus hinneigte und seine zweite Periode geradezu die empiristisch-skeptische genannt werden kann. Diesem Zeitraum gehören an die Schriften: »Der einzige mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes« (1765), die von Burke beeinflussten »Betrachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen« (1764), die »Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik« (1762) und besonders seine Preisschrift für die Berliner Akademie der Wissenschaften: »Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und Moral« (1763). Erst nachdem er 15 Jahre lang Privatdozent gewesen war und Rufe nach Erlangen und Jena aus Liebe zur Heimat ausgeschlagen hatte, ward ihm 1770 die ordentliche Professur der Logik und Metaphysik zuteil, die er mit der Verteidigung der Dissertation »De mundi visibilis atque intelligibilis forma et principiis« eröffnete. In ihr waren schon die Grundgedanken der transzendentalen Ästhetik, z. T. auch die der transzendentalen Analytik enthalten und damit ein Teil der »Kritik der reinen Vernunft«, aber er neigt mit seiner Lehre vom mundus intelligibilis der alten Metaphysik wieder mehr zu als in den »Träumen eines Geistersehers«. Danach kann diese wichtige Schrift als Übergang zu seiner dritten Periode betrachtet werden. Es dauerte aber noch mehr als zehn Jahre, ehe sein lange überlegtes, zuletzt in vier Monaten ausgearbeitetes und zum Druck fertiggestelltes Hauptwerk. »Die Kritik der reinen Vernunft« (1781,2. veränderte Aufl. 1787), aus Tageslicht trat, dem in kurzen Zwischenräumen die übrigen Hauptwerke: 1783 die »Prolegomena zu einer künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können«, 1785 die »Grundlegung zur Metaphysik der Sitten«, 1786 die »Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaften«, 1788 die »Kritik der praktischen Vernunft«, 1790 die »Kritik der Urteilskraft«, 1793 die »Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft«, 1797 die »Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre« und die »der Tugendlehre«, 1798 »Anthropologie in pragmatischer Hinsicht«, nachfolgten. Kleinere Abhandlungen waren: »Ideen zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht«, »Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?« (beide 1784); die Aufsehen erregende Rezension von Herders »Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit« von 1785, die Herder übel aufnahm; »Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte«; »Was heißt sich im Denken orientieren?«; »Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie« (1788); »Über das Misslingen aller philosophischen Versuche in der Theodicee« (1791); »Über die Fortschritte der Metaphysik seit Leibniz und Wolff« (aus demselben Jahr); »Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis« (1793); »Das Ende aller Dinge«, »Über Philosophie überhaupt« (beide von 1794); »Zum ewigen Frieden, ein philosophischer Entwurf« (1795); »Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie« (1796); »Über ein vermeintes Recht, aus Menschenliebe zu lügen«, in der K. als strenger Wahrheitsfreund die Notlüge unbedingt verwirft, »Der Streit der Fakultäten«, worin die (in vielen Sonderdrucken, z. B. von Hufeland herausgegebene) Abhandlung enthalten ist: »Von der Macht des Gemüts, durch den bloßen Vorsatz seiner krankhaften Gefühle Meister zu sein« (sämtlich 1798). Aus einem in Kants Nachlass vorgefundenen Manuskript: »Vom Übergang von der Metaphysik zur Physik«, haben neuerlich Reicke und A. Krause Bruchstücke veröffentlicht. Kants Briefwechsel bietet viel zur Kenntnis seines Lebens und Charakters sowie seiner Lehre. Zu berücksichtigen sind auch Vorlesungen Kants, die zum Teil während seines Lebens, z. B. die Logik von Jäsche (Königsb. 1800), zum Teil lange nach seinem Tode, nämlich die Vorlesungen über die philosophische Religionslehre (aus dem Winter 1783/84) von Pölitz (Leipz. 1817, 2. Aufl. 1830), ferner die über Metaphysik (zum Teil aus dem Ende der 1770er Jahre, zum Teil wahrscheinlich aus dem Winter 1790/91) von Pölitz (Erf. 1821) herausgegeben wurden. Vgl. zu letzteren Heinze, Vorlesungen Kants über Metaphysik aus drei Semestern (Leipz. 1894).

Kants System erregte bald nach dem Erscheinen der ersten Hauptwerke in allen Teilen Deutschlands sowie im Ausland das größte Aufsehen. In seinem Vaterland Preußen witterte man aber unter der Regierung Friedrich Wilhelms II., als der freisinnige Minister v. Zedlitz durch den vormaligen Prediger Wöllner (1788), den Urheber des Religionsedikts, ersetzt worden war, in K. einen gefährlichen Neuerer. Nach der Herausgabe seiner »Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft« erschien 1794 eine Kabinettsorder, die deren Verfasser wegen »Entstellung und Herabwürdigung des Christentums« einen Verweis erteilte und allen theologischen und philosophischen Dozenten der Königsberger Universität untersagte, über jenes Werk Vorlesungen zu halten. In einem Verantwortungsschreiben erklärte K., sich aller öffentlichen Vorträge über Religion auf dem Katheder und in Schriften enthalten zu wollen. Nach dem Tode Friedrich Wilhelms II., dem er dies Versprechen gegeben, glaubte er sich wieder berechtigt zu Äußerungen über Religion. Wie seine Schriften von einem weiten Umfang seiner Studien zeugen, war auch der Kreis seiner Vorlesungen, in denen er die Zuhörer zum Selbstdenken anregen wollte, ein sehr weiter: er las außer über die philosophischen Disziplinen, von denen er die Logik und die Metaphysik bevorzugte, auch über Mathematik, Physik, Mineralogie, physische Geographie, Anthropologie und Pädagogik. K. war von Person klein, kaum 5 Fuß groß, von schwachem Knochenbau und noch schwächerer Muskelkraft; seine Brust war sehr flach und fast eingebogen, der rechte Schulterknochen hinterwärts etwas verrenkt, womit der Befund bei der 1880 erfolgten Ausgrabung übereinstimmt (vgl. Bessel-Hagen, Die Grabstätte Kants, Königsb. 1881). Mit mehreren angesehenen Männern stand er in inniger und langjähriger Freundschaft. Den öffentlichen Gottesdienst hielt er, wie das Äußere der Religion überhaupt, für ein höchst wichtiges, dem Denker aber entbehrliches Staatsinstitut. Zum kunstgerechten Redner war er nicht gemacht; in sozialer und politischer Hinsicht war er ein entschiedener Vertreter der Freiheit, unterwarf sich jedoch in der politischen Ordnung den Befehlen der Obrigkeit, selbst gegen seine bessere Überzeugung. In seinem Hauswesen herrschte neben solider Einfachheit die größte Ordnung. Der Geselligkeit war er nicht abgeneigt. Unverheiratet, liebte er es, bei Tische einige Freunde bei sich zu haben. Sein Leben war das strengster Pflichterfüllung und Regelmäßigkeit. Die Berliner Akademie der Wissenschaften ernannte ihn 1763 zu ihrem Mitglied, die Petersburger 1794. Am 18. Okt. 1864 ward in Königsberg sein Standbild, das letzte Werk Rauchs, errichtet. Sein Bildnis s. Tafel »Deutsche Philosophen I«.

Gesamtausgaben seiner Werke sind die von G. Hartenstein (Leipz. 1838–39, 10 Bde.), von K. Rosenkranz und F. W. Schubert (das. 1838–40, 12 Bde.), eine zweite »in chronologischer Folge« von G. Hartenstein (das. 1867–69, 8 Bde.) und die von Kirchmann (in der »Philosophischen Bibliothek«, Berl. 1868–1873, 8 Bde. und Supplement, mit Erläuterungen). Seit 1900 erscheint in Berlin eine neue Gesamtausgabe: »Kants gesammelte Schriften«, herausgegeben von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften. Sie soll vier Abteilungen umfassen: die Werke, den Briefwechsel (besorgt von Reicke), den handschriftlichen Nachlass (durch E. Adickes) und die Vorlesungen (durch M. Heinze). Bis jetzt sind 6 Bände erschienen, darunter der »Briefwechsel« (Bd. 10–12,1900–02). Eine sehr brauchbare kritische Ausgabe der Hauptschriften besorgte Kehrbach (in Reclams Universal-Bibliothek). Auch sind mehrere Schriften Kants ins Lateinische, Französische (von Tissot, Barni, neuerdings von Andler u. Chavannes, Picavet, Lemonnier, Thamin) und ins Englische (von Hayward, Abbott, Max Müller, Mahaffy, Morris, Bernard, Watson, M. Campbell Smith u. a.) übersetzt worden.

Kants Philosophie.

K. ging bei seinen philosophischen Untersuchungen der späteren, d. h. der kritischen Zeit aus von der Scheidung der Vermögen der menschlichen Seele (»des Gemüts«) in Erkenntnis-, Begehrungs- und Gefühlsvermögen. Hiermit hängt zusammen, dass er in Anlehnung an die Engländer dem Subjekt vornehmlich die Aufmerksamkeit zuwandte und dieses nach dem in ihm Gegebenen zu analysieren suchte, indem sich seine Philosophie nach den drei angegebenen Vermögen gliederte. Seine Absicht war, ein »Inventarium« dessen zu liefern, was jederzeit und von jedermann, also mit Allgemeinheit und Notwendigkeit (theoretisch) erkannt, (praktisch) gewollt und (ästhetisch) wohlgefällig oder missfällig empfunden wird.

1) Kritik der reinen (theoretischen) Vernunft. K. selbst bezeichnete seine Philosophie als Kritizismus oder Kritik und setzte sie einerseits der Wolffschen, die er Dogmatismus, anderseits der Humeschen, die er Skeptizismus nannte, entgegen. Im Gegensatz zu jenem, welcher der menschlichen Vernunft die Fähigkeit, jenseits der sinnlichen Erfahrung gelegene Gegenstände zu erkennen, zusprach, ohne die Erkenntniskraft geprüft zu haben, und im Gegensatz zu diesem, der ebenfalls ohne Prüfung der menschlichen Erkenntniskraft alle über den Erfahrungskreis hinausgehende Erkenntnis leugnete, untersuchte K. vor allen Dingen Umfang, Grenzen und Ursprung der menschlichen Erkenntnis, und indem er unter reiner Vernunft die von aller Erfahrung unabhängige Vernunft versteht, ist ihm Kritik der reinen Vernunft eine Prüfung, wie weit die menschliche Vernunft ohne alle Erfahrung in der Erkenntnis kommt, ist sie eine Kritik des Rationalismus, wie dieser namentlich von Wolff vertreten war. Zeigt sich, dass unser Erkenntnisvermögen auf solche Gegenstände, die jenseits der sinnlichen Wahrnehmbarkeit liegen, gar nicht angelegt ist, so wäre es eitler Wahn, von ihm eine Erkenntnis solcher zu erwarten. Gerade diejenigen Objekte der Erkenntnis, die nach Wolff zum wesentlichen Inhalt der theoretischen Philosophie (Metaphysik) gehören, nämlich: Seele, Welt und Gott, die Gegenstände der rationalen Psychologie, Kosmologie und Theologie, wurden infolge der Kantschen Kritik der Vernunft transzendent, d. h. fielen über die Grenze reiner Vernunfterkenntnis hinaus. Und zwar aus folgendem Grunde: Da alles Erkennen im Urteilen besteht, so hängt die Möglichkeit des ersteren notwendig von der Beschaffenheit des letzteren ab. Nun ist aber jedes Urteil entweder von der Art, dass das Prädikat im Subjekt schon ganz oder teilweise enthalten (ganze oder teilweise Wiederholung des Subjekts) ist, oder derart, dass das Gegenteil der Fall ist, das Prädikat zum Subjekt etwas Neues hinzubringt. Urteile ersterer Art nennt K. (wie vor ihm schon Hume) analytische, letzterer Art synthetische, jene auch bloße Erläuterungs-, diese dagegen Erweiterungsurteile. Erstere sind zwar richtig, aber nicht von Bedeutung, da sie die Erkenntnis nicht erweitern, letztere dagegen, da auf ihnen aller Fortschritt im Wissen beruht, höchst wichtig, aber, wenn nicht bekräftigende Umstände hinzutreten, von zweifelhafter Richtigkeit. Da in ihnen das Prädikat zum Subjekt hinzukommt, ohne in diesem enthalten zu sein, so muss irgend ein äußeres Zeugnis gegeben sein, dass dem Subjekt dieses Prädikat auch wirklich angehört. Ein solches liegt, wo der Gegenstand ein sinnlich wahrnehmbarer ist, in der sinnlichen Anschauung, die Subjekt und Prädikat verbunden zeigt: »die Rose ist rot«. Solche synthetische Urteile nennt K. a posteriori, weil sie durch eine sinnliche Anschauung bekräftigt sind. Wo dagegen der Gegenstand kein sinnlich wahrnehmbarer ist, da ist keine Überzeugung durch Augenschein möglich, und solche Urteile, die K. synthetische a priori nennt, bleiben notwendig ungewiss. Dies sind aber solche, durch die sich das Wissen aus reiner Vernunft erweitert, so dass die Hauptfrage bei der Kritik der reinen Vernunft lautet: »Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?«, die sich wieder in die drei besonderen gliedert: 1) Wie ist reine Mathematik möglich? 2) Wie ist reine Naturwissenschaft möglich? 3) Wie ist Metaphysik überhaupt möglich? Die beiden ersten Fragen setzen voraus, dass es reine Mathematik und reine Naturwissenschaft gibt, dass also Wissenschaften ohne alle Erfahrung zustande kommen. Bei der Metaphysik, die sich allerdings auch aus reiner Vernunft aufbauen soll, muss es noch zweifelhaft bleiben, ob sie eine Wissenschaft sei. Als selbstverständlich, also ohne Beweis, wird von K. angenommen, dass strenge Notwendigkeit und Allgemeinheit sich nie aus Erfahrung, sondern nur unabhängig von aller Erfahrung, aus der menschlichen Seele oder dem Bewusstsein überhaupt gewinnen lasse, dass alle aus der Erfahrung geschöpften Urteile nur komparative (induktive) Allgemeinheit besitzen könnten. Freilich fängt nach K., der hierin mit den Empiristen übereinstimmt, alle unsre Erkenntnis mit der Erfahrung an, damit sei aber noch nicht gesagt, dass sie auch nur aus der Erfahrung entspringe. denn es könnte wohl möglich sein, dass unsre Erfahrungserkenntnis zusammengesetzt sei »aus dem, was wir durch Eindrücke empfangen, und aus dem, was unser eignes Erkenntnisvermögen (durch sinnliche Eindrücke bloß veranlasst) aus sich selbst hergibt«, welchen Zusatz aus jenem Grundstoff zu unterscheiden freilich nicht leicht sei. So wird mit jenen erwähnten drei Fragen die nach den Bestandteilen der Erfahrung oder eine Theorie der Erfahrung in Verbindung gebracht. Die auf die Entdeckung des von aller Erfahrung unabhängigen, aber zugleich aller Erfahrung zugrunde liegenden (apriorischen) Elements gerichtete Untersuchung nennt K. transzendental, und insofern seine Kritik sich mit solcher beschäftigt, nennt er sie auch Transzendentalphilosophie oder transzendentalen Idealismus. Da dies apriorische Element von aller Erfahrung unabhängig ist, so wird es von dem erfahrenden Subjekt (und zwar von jedem Individuum der Menschheit auf gleiche Weise) zu dem von den äußern Eindrücken abhängigen Element der Erfahrung hinzu gebracht, so dass jenes den sich gleichbleibenden, dieses dagegen den veränderlichen Faktor der Erfahrung ausmacht, die dann das Produkt beider ist. Jenen, den apriorischen Faktor, nennt K. die Form, diesen, den aposteriorischen Faktor, der einem uns nur durch seine in uns hervorgebrachten Wirkungen, die Sinnesempfindungen, bekannt werdenden, jenseits des Subjekts liegenden Dinge, dem Ding an sich, entstammt, die Materie aller Erfahrung. Erstere, weil dem Subjekt angehörig, macht das idealistische, im weitern Sinne rationalistische, letztere, weil auf ein von dem Subjekt verschiedenes Ding bezogen, das realistische Element von Kants Philosophie aus. An diese beiden Elemente haben nachher die entgegengesetzten Richtungen der Nachfolger Kants angeknüpft, an das idealistische: Fichte, Schelling, Hegel, an das realistische: Herbart, Schopenhauer. Um die apriorischen Elemente des Erkenntnisvermögens aufzudecken, werden in der »Kritik der reinen Vernunft« die drei Teile des Erkenntnisvermögens, Sinn, Verstand, Vernunft, nacheinander vorgenommen und auf die apriorischen Bestandteile, die in denselben enthalten sein mögen, geprüft.

Da zeigt es sich, dass als sogen. reine oder apriorische Anschauungsformen des Sinnes oder der Sinnlichkeit die des Raumes und der Zeit, des Nebeneinander und des Nacheinander, anzunehmen sind. Durch sie werden vom wahrnehmenden Subjekt räumliche und zeitliche Anordnung in das Chaos sinnlicher Empfindungen »hineingeschaut« und dieses dadurch in eine Welt räumlich und zeitlich verbundener und geschiedener Erscheinungen verwandelt. Letztere machen daher das eigentliche Objekt des Sinnes aus, und durch sie wird dem sonst ganz leeren Verstand Stoff zu weiterer Verarbeitung geliefert. Dieses sinnliche Anschauen macht auch zugleich sinnliche Erkenntnis durch synthetisch-aposteriorische Urteile möglich, indem es die zur Verknüpfung des Prädikats mit dem Subjekt nötige sinnliche Anschauung liefert. Das reine Anschauen dagegen ist dasjenige, das mathematische Erkenntnis durch synthetisch-apriorische Urteile möglich macht, indem es die zur Verknüpfung des Prädikats mit dem Subjekt nötige Anschauung liefert, die hier, wo es sich um nichtsinnenfällige Objekte handelt, keine sinnliche sein darf. Demjenigen Abschnitt der Kritik, in dem es sich um die Entdeckung der apriorischen Elemente der Sinnlichkeit (Raum und Zeit) handelt, hat K. deshalb den Namen: transzendentale Ästhetik (Wahrnehmungslehre) gegeben. Und hiermit ist die Frage beantwortet, wie reine Mathematik möglich sei, nämlich nur unter der Voraussetzung der reinen Anschauungsformen von Raum und Zeit. Die nächste Folge aus dieser von K. behaupteten »Idealität« von Raum und Zeit ist die, dass beide auf das, was unabhängig von ihnen ist, das Ding an sich, keine Anwendung finden können, dieses also gar nichts mit Raum und Zeit zu tun hat. Unsre gesamte Erkenntnis bleibt auf die Erscheinungswelt (phaenomenon im Gegensatz zur »intelligibeln«, noumenon, unter der das Ding an sich verstanden wird) beschränkt. Wie Raum und Zeit die apriorischen Formen des Sinnes, so stellen zwölf ursprüngliche Urteilsformen die apriorischen Funktionen des Verstandes und drei ursprüngliche Schlußformen diejenigen der (theoretischen) Vernunft dar. Wie durch Raum und Zeit die unverbundenen Sinnesempfindungen zu Anschauungen, so werden durch die verschiedenen Verstandesfunktionen die unverbundenen Sinnesvorstellungen in ebenso vielfacher Weise zu Begriffen und durch die verschiedenen Schlußfunktionen die unverbundenen Verstandesbegriffe in ebenso vielfacher Weise zur Einheit, zu Ideen zusammengefasst. Jeder der zwölf apriorischen Verstandesfunktionen, der Urteilsformen, entspricht ein reiner Verstandesbegriff (Stammbegriff, Kategorie), jeder der drei apriorischen Vernunftfunktionen eine reine Vernunftidee. Wie Raum und Zeit apriorisch sind, so auch die Kategorien, nämlich: Allheit, Vielheit, Einheit, die der Quantität, Realität, Negation, Limitation, die der Qualität, Substanz und Inhärenz, Kausalität, Wechselwirkung, die der Relation, Wirklichkeit, Möglichkeit, Notwendigkeit, die der Modalität unterstehen. Ebenso apriorisch sind die Ideen: die der Seele, die der kategorischen, der Welt, die der hypothetischen, der Gottheit, die der disjunktiven Schlußform entsprechen. Die Deduktion der Kategorien als apriorischer Verstandes- und die der Ideen als apriorischer Vernunftfunktionen bildet zusammen die transzendentale Logik, die wieder in die transzendentale Analytik (Verstandes-) und transzendentale Dialektik (Vernunftlehre) zerfällt. Aus den Kategorien leiten sich wieder Grundsätze des reinen Verstandes ab, d. h. die Regeln des objektiven Gebrauchs der Kategorien; ein solcher Grundsatz ist z. B.: Alle Veränderungen geschehen nach dem Gesetz der Verknüpfung von Ursache und Wirkung. Diese Grundsätze liegen aller Erfahrungskenntnis zugrunde, bilden eine reine Wissenschaft, so dass hiermit die zweite Frage erledigt ist, wie reine Naturwissenschaft möglich sei. Zugleich sind nun die Elemente der Erfahrung angegeben: die reinen Anschauungsformen, die reinen Verstandesformen und die Materie, die in die Anschauungsformen kommt, damit eine Anschauung daraus wird, d. h. die Empfindung, die, als auf Affektion beruhend, »ein Ding an sich« voraussetzen lässt, über dessen Qualität wir freilich gar nichts aussagen können, weder dass es eins, noch dass es vieles, weder dass es Substanz, noch dass es Ursache sei (wenn letztere ihm abgesprochen wird, so liegt allerdings ein Widerspruch vor zu der Notwendigkeit, dass es affiziert). Zugleich finden aber die Erkenntnisformen nur Anwendung auf die Erscheinungsobjekte, nicht auf Transzendentes. Auf solches sie aber doch zu beziehen, wird der Mensch durch seine ganze Anlage genötigt, so dass Metaphysik nicht nur möglich, sondern wirklich ist, und hiermit die dritte oben erwähnte Frage beantwortet ist. Freilich kommen hierbei nur Sophistikationen der Vernunft zustande, da den Ideen nur regulative, nicht konstitutive Bedeutung zukommt. Der Schluss von der Idee der Seele auf deren Existenz ist ein »zwar unvermeidlicher«, aber nichtsdestoweniger ein Fehlschluss (»Paralogismus der reinen Vernunft«). Der Versuch, der Idee der Welt Realität beizulegen, führt unter jedem der vier möglichen Hauptgesichtspunkte auf eine Antinomie, d. h. auf ein Paar einander ausschließender Gegensätze, von denen jeder sich mit gleich guten Gründen bejahen und verneinen lässt, z. B.: die Welt hat einen Anfang in der Zeit und Grenzen im Raum, und: sie hat beides nicht. Die für die Realität der Gottesidee möglichen oder doch wenigstens bisher versuchten Beweise: der ontologische, kosmologische und physiko-teleologische, sind sämtlich irrig. Dieses Ergebnis der »Kritik der reinen Vernunft«, das von der gesamten Welt außer uns, von der absoluten, nur das raum- und zeitlose Ding an sich und auch dieses nur nach seiner Existenz, nicht nach seiner uns gänzlich unbekannt bleibenden Qualität übriglässt, ist es, das K. bei seinen Zeitgenossen den Beinamen des »Alleszermalmers« verschafft hat. Hiermit ist die alte dogmatische Metaphysik, wiewohl sie ihren Grund in der menschlichen Anlage hat, gestürzt, und als Wissenschaft hat nur die kritische Metaphysik, d. h. die Kritik, Geltung.

2) Kritik der (reinen) praktischen Vernunft. K. hatte so die wichtigsten Gegenstände unsrer ganzen Forschung dem Streite der Meinungen auf dem Gebiete der Erkenntnis enthoben, er musste das Wissen aufheben, um für den Glauben Platz zu machen, den er für wichtiger hielt als das Wissen, und dem er hiernach einen hervorragenden Platz in seiner Philosophie einräumte. Er gewann ihn seiner Ansicht nach mit Sicherheit auf dem Gebiete der praktischen Vernunft, von dem auch die Gegenstände der natürlichen Religion abhängig sind. Wie die Kritik der reinen Vernunft auf die Entdeckung des a priori im Erkenntnis-, so geht die der praktischen auf die Auffindung des a priori im Begehrungsvermögen aus. Wie ohne Allgemeinheit und Notwendigkeit kein wirkliches Wissen, so ist ohne Allgemeingültigkeit kein wirklich tugendhaft zu nennendes Wollen möglich. Das Wollen, das als gut anerkannt werden soll, muss daher von der Beschaffenheit sein, dass es ohne Widerspruch allgemein werden könnte. Daraus erhellt, dass die Luft oder der eigne Vorteil niemals als Prinzip einer Sittenlehre gelten kann, weil sowohl jene als dieser nur individuelle Geltung besitzen. Wie nicht der Inhalt, sondern die Form Allgemeinheit und Notwendigkeit auf dem Gebiete des Wissens möglich macht, so entscheidet nicht der Inhalt, sondern die Form (die Allgemeingültigkeit der Maxime) des Wollens, ob es als solches gut sei. Das sittliche Wollen schließt jedes andre Motiv als die erkannte Pflichtmäßigkeit aus; der kategorische Imperativ, wie K. die Forderung des Sittengesetzes bezeichnete, ist unbedingt, ein Sollen, das von jeder Rücksicht auf Sein oder Seinkönnen unabhängig ist. Er lautet: »Handle so, dass die Maxime (der subjektive Grundsatz) deines Willens zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne«.

Durch die Reinheit der sittlichen Triebfedern dem materiellen Eudämonismus und Hedonismus gegenüber hat K. erhebend und läuternd auf seine Zeitgenossen und die späteren Geschlechter gewirkt. Seine Abneigung gegen die Glückseligkeit als Beweggrund der Sittlichkeit war so groß, dass selbst Schiller fand, Kants Rigorismus »schrecke die Grazien zurück«. Geschieht eine Handlung zwar dem Gesetz gemäß, aber nicht rein um des Gesetzes willen, so ist bloße Legalität, nicht Moralität vorhanden. Als höchstes Gut, nach dem der Mensch strebt oder streben soll, ist freilich die Verbindung von Tugend und Glückseligkeit zu betrachten, womit dem Eudämonismus doch ein gewisses Recht eingeräumt ist. Da nun die sinnliche Welt weder die Tugend in ihrer Vollendung, noch die Glückseligkeit in ihrer höchsten Potenz gewährt, noch auch beide hier immer verbunden vorkommen, so macht die praktische Vernunft folgende Postulate: Zur Erreichung der höchsten Tugend wird die Unsterblichkeit gefordert, zur Verwirklichung der Verbindung der höchsten Glückseligkeit mit der vollendetsten Tugend, d. h. zur Realisierung des höchsten Gutes, aber ist das Dasein Gottes notwendige Bedingung. Wenn also das höchste Gut verwirklicht werden soll, so muss die Unsterblichkeit der Seele und mit ihr ein unendliches Fortschreiten zu höherer Vollendung und Heiligkeit vorausgesetzt werden; es muss ferner ein Wesen geben, das die gemeinsame Ursache der natürlichen und sittlichen Welt ist und Tugend und Glückseligkeit in ein entsprechendes Verhältnis zu setzen vermag. Ein solches Wesen ist aber Gott. Auch die Idee der Freiheit entwickelt sich aus der praktischen Vernunft. Sie leitet ihre Realität ab aus der Gültigkeit des moralischen Gesetzes überhaupt: du sollst, also kannst du, sonst wäre das Sollen etwas Widersinniges. Frei ist der Mensch als intelligibles Wesen, als Ding an sich, soweit er aber als Erscheinung angesehen wird, ist er der Notwendigkeit unterworfen. Diese drei Ideen, unlösbare Aufgaben für die theoretische, gewinnen Boden im Gebiet der praktischen Vernunft. Auch jetzt aber sind sie nicht theoretische Dogmen, sondern praktische Postulate, notwendige Voraussetzungen des sittlichen Handelns; als solche haben sie für das Subjekt Gewissheit, um so mehr, als die praktische Vernunft, wo sie mit der theoretischen in Widerstreit kommt, den »Primat« hat. Diesen Ansichten entsprechen auch die Grundsätze über Religion, die K. in der Schrift »Religion innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft« niedergelegt hat. Der Grundgedanke ist hier die Zurückführung der Religion auf Moral. Die religiöse Gesinnung besteht in der Erkenntnis unsrer Pflichten als göttliches Gebot. Je reifer die Vernunft wird, um so entbehrlicher werden die statutarischen Satzungen des Kirchenglaubens.

3) Kritik der Urteilskraft. Wie die beiden vorangegangenen Kritiken die apriorischen Elemente des Erkenntnis- und Begehrungsvermögens, so deckte die dritte, die Kritik der Urteilskraft, jene des Mittelgliedes zwischen beiden, des Gefühlsvermögens oder, wie K. es nennt, der Urteilskraft, auf. Gegenstand dieser letzteren ist der Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur und zwar sowohl der ästhetischen als der teleologischen Zweckmäßigkeit. Die ästhetische Zweckmäßigkeit, welche die Dinge subjektiv für uns haben, entfaltet sich in den Begriffen des Schönen und des Erhabenen. Schön ist das, was durch seine mit dem menschlichen Erkenntnisvermögen übereinstimmende Form ein uninteressiertes, allgemeines und notwendiges Wohlgefallen erregt; das Erhabene gefällt unmittelbar durch den Widerstand gegen das Interesse der Sinne. Die teleologische Zweckmäßigkeit bezieht sich auf das Verhältnis der Dinge unter sich und ist entweder eine äußere und zufällige oder eine innere, in dem Organismus des Dinges bedingte und notwendige. Ob der Natur an und für sich innere Zweckmäßigkeit zukomme oder nicht, können wir nicht bestimmen; wir behaupten nur, dass unsre Urteilskraft die Natur als zweckmäßig ansehen müsse. Wir schauen den Zweckbegriff in die Natur hinein, indem wir gänzlich dahingestellt sein lassen, ob nicht vielleicht ein andrer Verstand, der nicht denkt wie der unsrige, zum Verständnis der Natur den Zweckbegriff gar nicht nötig hat. Gäbe es einen Verstand, der im Allgemeinen das Besondere, im Ganzen die Teile mit Bestimmtheit erkennen könnte, so würde ein solcher die ganze Natur aus einem Prinzip begreifen, den Begriff des Zweckes nicht brauchen.

Kants Hauptwerk blieb einige Jahre hindurch ziemlich unbeachtet, bis die »Briefe über die Kantsche Philosophie« von Reinhold (s. d.), die zuerst (seit 1786) in Wielands »Deutschem Merkur« erschienen, die Denker- und Leserwelt für K. gewannen. Als Gegner Kants traten auf die Popularphilosophen Feder, Garve, Tiedemann, der Wolffianer Eberhard, Herder, dessen »Metakritik« (Leipz. 1799) und »Kalligone« (Berl. 1800) von keinem tiefen Verständnis Kants zeugen, der »Glaubensphilosoph« F. H. Jacobi und der Skeptiker G. E. Schulze (»Änesidemus«, Helmst. 1792), Sal. Maimon, Beck, Bardili u. a. Als Anhänger Kants machten sich außer Reinhold zuerst Joh. Schulze (durch »Erläuterungen zu Kants Kritik«, Königsb. 1791; neu hrsg. von Hafferberg, Jena 1897), Jakob, Erhard Schmid, auf dem Gebiete der Religionsphilosophie: Heidenreich, Tieftrunk, Wegscheider u. a., auf dem der Logik: Kiesewetter, Hoffbauer, Krug, Maaß, Fries, auf dem der Psychologie: Maaß, Fries, auf dem der Ästhetik: Schiller, Bouterwek, auf dem der Geschichte der Philosophie: Tennemann, Buhle, Wendt u. a. bemerklich. Indirekt sind fast alle nach K. Philosophierenden durch ihn beeinflusst worden. Fichte hielt sich anfänglich selbst für einen Kantianer, Herbart nannte sich einen Kantianer »vom Jahre 1828«, Schopenhauer erkannte von allen seinen Vorgängern nur K. als seinen Lehrer an. Eine Geschichte der Kantschen Philosophie hat Rosenkranz im 12. Band seiner Ausgabe der Werke Kants geliefert. Nach der Abwendung von der Hegelschen Schule und dem Misserfolg der positiven Philosophie Schellings kehrte das philosophische Interesse vielfach zu K. als dem ursprünglichen Ausgangspunkt der neuern deutschen Philosophie zurück, und es begann ein erneuertes, z. T. philologisch vertieftes Studium seiner Werke. Eine Reaktion zugunsten der Kantschen idealistischen Erkenntnistheorie ging von den Naturforschern, insbes. von den Physiologen aus der Schule des eifrigen Verehrers Kants, Johannes Müller, aus, an der Helmholtz u. a. sich beteiligten. Sehr viel Arbeit hat man der Erläuterung und Erneuerung Kants gewidmet, wie die zahlreichen Schriften neuerer Zeit, hauptsächlich über dessen Erkenntnistheorie, von Cohen, Paulsen, R. Zimmermann, Stadler, Hölder, Volkelt, Thiele, Laas, Frederichs, Zeller, Pünjer, Witte, Romundt, Laßwitz, Schweitzer, Messer u. a., der von Vaihinger zur Säkularfeier der »Kritik der reinen Vernunft« begonnene »Kommentar« (Bd. 1, Stuttg. 1881; Bd. 2, 1892) und Arnoldts »Kritische Exkurse im Gebiete der Kantforschung« (Königsb. 1894), beweisen. Vgl. auch die von Vaihinger, seit 1904 zusammen mit Bauch herausgegebene Zeitschrift »Kantstudien« (Hamb. 1896 f., seit 1899 in Berlin).

Literatur. Das Leben Kants haben geschildert: Borowski, Darstellung des Lebens und Charakters Kants (Königsb. 1804), Wasianski, K. in seinen letzten Lebensjahren (das. 1804), Jachmann, J. K., geschildert in Briefen (das. 1804), vgl. hierzu A. Hoffmann, Immanuel K., ein Lebensbild nach Darstellungen der Zeitgenossen (Halle 1902); Schubert (im 11. Bd. der Rosenkranzschen Gesamtausgabe); Reicke, Kantiana (das. 1860); Saintes, Histoire de la vie et de la philosophie de K. (Par. 1844); Stuckenberg, The life of Immanuel K. (Lond. 1882); Arnoldt, Kants Jugend und die fünf ersten Jahre seiner Privatdozentur (Königsb. 1882).

Über Kants Philosophie vgl. Chalybäus, Historische Entwickelung der spekulativen Philosophie von K. bis Hegel (Leipz. 1837, 5. Aufl. 1860); Kuno Fischer, Immanuel K. (Mannh. 1860, 2 Bde.; 4. Aufl., Heidelb. 1898–99); B. Erdmann, Kants Kritizismus in der 1. und 2. Auflage der »Kritik der reinen Vernunft« (Leipz. 1877); Fried. Paulsen, K. Sein Leben und seine Lehre (Stuttg. 1898, 4. Aufl. 1904); Kronenberg, K., sein Leben und seine Lehre (3. Aufl., Münch. 1905). Zur Feier des 100jährigen Todestags Kants ist eine große Anzahl Reden, Aufsätze, kleinere Schriften erschienen, darunter »Zur Erinnerung an J. K.«, hrsg. von der Universität Königsberg (Halle 1904). Über seine Schule vgl. außer obigem Werk von Rosenkranz noch: K. Fischer, Die beiden kantischen Schulen in Jena (Stuttg. 1862); Liebmann, K. und die Epigonen (das. 1865). Von nichtdeutschen Werken seien erwähnt: Villers, La philosophie de K. (Metz 1801); Cousin, Leçons sur la philosophie de K. (Par. 1842, 4.Aufl., 1864); Desdouits, La philosophie de K. (das. 1875); Adamson, Philosophy of K. (Lond. 1879; deutsch, Leipz. 1880); Caird, The critical philosophy of I. K. (Lond. 1889, 2 Bde.); Cantoni, Emanuele K. (Mail. 1879–84, 3 Bde.); Seth, The development from K. to Hegel (Lond. 1882); Ruyssen, K. (Par. 1900).Die sonstige reiche Kant-Literatur s. bei Überweg-Heinze, Grundriß der Geschichte der Philosophie, Bd. 3 (9. Aufl., Berl. 1901).

Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft

Vorrede zur ersten Auflage

Die Moral, so fern sie auf dem Begriffe des Menschen, als eines freien, eben darum aber auch sich selbst durch seine Vernunft an unbedingte Gesetze bindenden Wesens, gegründet ist, bedarf weder der Idee eines andern Wesens über ihm, um seine Pflicht zu erkennen, noch einer andern Triebfeder als des Gesetzes selbst, um sie zu beobachten. Wenigstens ist es seine eigene Schuld, wenn sich ein solches Bedürfnis an ihm vorfindet, dem aber alsdann auch durch nichts anders abgeholfen werden kann; weil, was nicht aus ihm selbst und seiner Freiheit entspringt, keinen Ersatz für den Mangel seiner Moralität abgibt. – Sie bedarf also zum Behuf ihrer selbst (sowohl objektiv, was das Wollen, als subjektiv, was das Können betrifft) keinesweges der Religion, sondern, vermöge der reinen praktischen Vernunft, ist sie sich selbst genug. – Denn da ihre Gesetze durch die bloße Form der allgemeinen Gesetzmäßigkeit der darnach zu nehmenden Maximen, als oberster (selbst unbedingter) Bedingung aller Zwecke, verbinden: so bedarf sie überhaupt gar keines materialen Bestimmungsgrundes der freien Willkür,1 das ist keines Zwecks, weder um was Pflicht sei, zu erkennen, noch dazu, daß sie ausgeübt werde, anzutreiben: sondern sie kann gar wohl und soll, wenn es auf Pflicht ankömmt, von allen Zwecken abstrahieren. So bedarf es zum Beispiel, um zu wissen: ob ich vor Gericht in meinem Zeugnisse wahrhaft, oder bei Abforderung eines mir anvertrauten fremden Guts treu sein soll (oder auch kann), gar nicht der Nachfrage nach einem Zweck, den ich mir, bei meiner Erklärung, zu bewirken etwa vorsetzen möchte, denn das ist gleichviel, was für einer es sei; vielmehr ist der, welcher, indem ihm sein Geständnis rechtmäßig abgefordert wird, noch nötig findet, sich nach irgend einem Zwecke umzusehen, hierin schon ein Nichtswürdiger.

Obzwar aber die Moral zu ihrem eigenen Behuf keiner Zweckvorstellung bedarf, die vor der Willensbestimmung vorhergehen müßte, so kann es doch wohl sein, daß sie auf einen solchen Zweck eine notwendige Beziehung habe, nämlich, nicht als auf den Grund, sondern als auf die notwendigen Folgen der Maximen, die jenen gemäß genommen werden. – Denn ohne alle Zweckbeziehung kann gar keine Willensbestimmung im Menschen statt finden, weil sie nicht ohne alle Wirkung sein kann, deren Vorstellung, wenn gleich nicht als Bestimmungsgrund der Willkür und als ein in der Absicht vorhergehender Zweck, doch, als Folge von ihrer Bestimmung durchs Gesetz zu einem Zwecke muß aufgenommen werden können (finis in consequentiam veniens), ohne welchen eine Willkür, die sich keinen, weder objektiv noch subjektiv bestimmten Gegenstand (den sie hat, oder haben sollte) zur vorhabenden Handlung hinzudenkt, zwar wie sie, aber nicht wohin sie zu wirken habe, angewiesen, sich selbst nicht Gnüge tun kann. So bedarf es zwar für die Moral zum Rechthandeln keines Zwecks, sondern das Gesetz, welches die formale Bedingung des Gebrauchs der Freiheit überhaupt enthält, ist ihr genug. Aber aus der Moral geht doch ein Zweck hervor; denn es kann der Vernunft doch unmöglich gleichgültig sein, wie die Beantwortung der Frage ausfallen möge: was dann aus diesem unserm Rechthandeln herauskomme, und worauf wir, gesetzt auch, wir hätten dieses nicht völlig in unserer Gewalt, doch als auf einen Zweck unser Tun und Lassen richten könnten, um damit wenigstens zusammen zu stimmen. So ist es zwar nur eine Idee von einem Objekte, welches die formale Bedingung aller Zwecke, wie wir sie haben sollen (die Pflicht), und zugleich alles damit zusammenstimmende Bedingte aller derjenigen Zwecke, die wir haben (die jener ihrer Beobachtung angemeßne Glückseligkeit), zusammen vereinigt in sich enthält, das ist, die Idee eines höchsten Guts in der Welt, zu dessen Möglichkeit wir ein höheres, moralisches, heiligstes und allvermögendes Wesen annehmen müssen, das allein beide Elemente desselben vereinigen kann; aber diese Idee ist (praktisch betrachtet) doch nicht leer; weil sie unserm natürlichen Bedürfnisse, zu allem unsern Tun und Lassen im ganzen genommen irgend einen Endzweck, der von der Vernunft gerechtfertigt werden kann, zu denken, abhilft, welches sonst ein Hindernis der moralischen Entschließung sein würde. Aber, was hier das Vornehmste ist, diese Idee geht aus der Moral hervor, und ist nicht die Grundlage derselben; ein Zweck, welchen sich zu machen schon sittliche Grundsätze voraussetzt. Es kann also der Moral nicht gleichgültig sein, ob sie sich den Begriff von einem Endzweck aller Dinge (wozu zusammen zu stimmen zwar die Zahl ihrer Pflichten nicht vermehrt, aber doch ihnen einen besondern Beziehungspunkt der Vereinigung aller Zwecke verschafft) mache, oder nicht; weil dadurch allein der Verbindung der Zweckmäßigkeit aus Freiheit mit der Zweckmäßigkeit der Natur, deren wir gar nicht entbehren können, objektiv praktische Realität verschafft werden kann. Setzt einen Menschen, der das moralische Gesetz verehrt und sich den Gedanken beifallen läßt (welches er schwerlich vermeiden kann), welche Welt er wohl durch die praktische Vernunft geleitet erschaffen würde, wenn es in seinem Vermögen wäre, und zwar so, daß er sich selbst als Glied in dieselbe hineinsetzte, so würde er sie nicht allein gerade so wählen, als es jene moralische Idee vom höchsten Gut mit sich bringt, wenn ihm bloß die Wahl überlassen wäre, sondern er würde auch wollen, daß eine Welt überhaupt existiere, weil das moralische Gesetz will, daß das höchste durch uns mögliche Gut bewirkt werde, ob er sich gleich nach dieser Idee selbst in Gefahr sieht, für seine Person an Glückseligkeit sehr einzubüßen, weil es möglich ist, daß er vielleicht der Forderung der letztern, welche die Vernunft zur Bedingung macht, nicht adäquat sein dürfte; mithin würde er dieses Urteil ganz parteilos, gleich als von einem Fremden gefället, doch zugleich für das seine anzuerkennen sich durch die Vernunft genötigt fühlen, wodurch der Mensch das in ihm moralisch gewirkte Bedürfnis beweist, zu seinen Pflichten sich noch einen Endzweck, als den Erfolg derselben, zu denken.

Moral also führt unumgänglich zur Religion, wodurch sie sich zur Idee eines machthabenden moralischen Gesetzgebers außer dem Menschen erweitert,2 in dessen Willen dasjenige Endzweck (der Weltschöpfung) ist, was zugleich der Endzweck des Menschen sein kann und soll.

* * *

Wenn die Moral an der Heiligkeit ihres Gesetzes einen Gegenstand der größten Achtung erkennt, so stellt sie auf der Stufe der Religion an der höchsten, jene Gesetze vollziehenden Ursache einen Gegenstand der Anbetung vor, und erscheint in ihrer Majestät. Aber alles, auch das Erhabenste, verkleinert sich unter den Händen der Menschen, wenn sie die Idee desselben zu ihrem Gebrauch verwenden. Was nur sofern wahrhaftig verehrt werden kann, als die Achtung dafür frei ist, wird genötigt, sich nach solchen Formen zu bequemen, denen man nur durch Zwangsgesetze Ansehen verschaffen kann, und was sich von selbst der öffentlichen Kritik jedes Menschen bloßstellt, das muß sich einer Kritik, die Gewalt hat, d.i. einer Zensur unterwerfen.

Indessen, da das Gebot: gehorche der Obrigkeit! doch auch moralisch ist, und die Beobachtung desselben, wie die von allen Pflichten, zur Religion gezogen werden kann, so geziemt einer Abhandlung, welche dem bestimmten Begriffe der letztern gewidmet ist, selbst ein Beispiel dieses Gehorsams abzugeben, der aber nicht durch die Achtsamkeit bloß auf das Gesetz einer einzigen Anordnung im Staat, und blind in Ansehung jeder andern, sondern nur durch vereinigte Achtung für alle vereinigt bewiesen werden kann. Nun kann der Bücher richtende Theolog entweder als ein solcher angestellt sein, der bloß für das Heil der Seelen, oder auch als ein solcher, der zugleich für das Heil der Wissenschaften Sorge zu tragen hat; der erste Richter bloß als Geistlicher, der zweite zugleich als Gelehrter. Dem letztern als Gliede einer öffentlichen Anstalt, der (unter dem Namen einer Universität) alle Wissenschaften zur Kultur und zur Verwahrung gegen Beeinträchtigungen anvertraut sind, liegt es ob, die Anmaßungen des erstern auf die Bedingung einzuschränken, daß seine Zensur keine Zerstörung im Felde der Wissenschaften anrichte, und wenn beide biblische Theologen sind, so wird dem letztern als Universitätsgliede von derjenigen Fakultät, welcher diese Theologie abzuhandeln aufgetragen worden, die Oberzensur zukommen; weil, was die erste Angelegenheit (das Heil der Seelen) betrifft, beide einerlei Auftrag haben; was aber die zweite (das Heil der Wissenschaften) anlangt, der Theolog als Universitätsgelehrter noch eine besondere Funktion zu verwalten hat. Geht man von dieser Regel ab, so muß es endlich dahin kommen, wo es schon sonst (zum Beispiel zur Zeit des Galileo) gewesen ist, nämlich daß der biblische Theolog, um den Stolz der Wissenschaften zu demütigen und sich selbst die Bemühung mit denselben zu ersparen, wohl gar in die Astronomie, oder andere Wissenschaften, z.B. die alte Erdgeschichte, Einbrüche wagen, und, wie diejenigen Völker, die in sich selbst entweder nicht Vermögen, oder auch nicht Ernst genug finden, sich gegen besorgliche Angriffe zu verteidigen, alles um sich her in Wüstenei verwandeln, alle Versuche des menschlichen Verstandes in Beschlag nehmen dürfte.

Es steht aber der biblischen Theologie im Felde der Wissenschaften eine philosophische Theologie gegenüber, die das anvertraute Gut einer andern Fakultät ist. Diese, wenn sie nur innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft bleibt, und zur Bestätigung und Erläuterung ihrer Sätze die Geschichte, Sprachen, Bücher aller Völker, selbst die Bibel benutzt, aber nur für sich, ohne diese Sätze in die biblische Theologie hineinzutragen, und dieser ihre öffentlichen Lehren, dafür der Geistliche privilegiert ist, abändern zu wollen, muß volle Freiheit haben, sich, so weit, als ihre Wissenschaft reicht, auszubreiten; und obgleich, wenn ausgemacht ist, daß der erste wirklich seine Grenze überschritten, und in die biblische Theologie Eingriffe getan habe, dem Theologen (bloß als Geistlichen betrachtet) das Recht der Zensur nicht bestritten werden kann, so kann doch, sobald jenes noch bezweifelt wird, und also die Frage eintritt: ob jenes durch eine Schrift, oder einen andern öffentlichen Vortrag des Philosophen geschehen sei, nur dem biblischen Theologen, als Gliede seiner Fakultät, die Oberzensur zustehen, weil dieser auch das zweite Interesse des gemeinen Wesens, nämlich den Flor der Wissenschaften zu besorgen angewiesen, und eben so gültig als der erstere angestellt worden ist.

Und zwar steht in solchem Falle dieser Fakultät, nicht der philosophischen, die erste Zensur zu; weil jene allein für gewisse Lehren privilegiert ist, diese aber mit den ihrigen ein offnes freies Verkehr treibt, daher nur jene darüber Beschwerde führen kann, daß ihrem ausschließlichen Rechte Abbruch geschehe. Ein Zweifel wegen des Eingriffs aber ist, ungeachtet der Annäherung beider sämtlicher Lehren zu einander, und der Besorgnis des Überschreitens der Grenzen von Seiten der philosophischen Theologie, leicht zu verhüten, wenn man nur erwägt, daß dieser Unfug nicht dadurch geschieht, daß der Philosoph von der biblischen Theologie etwas entlehnt, um es zu seiner Absicht zu brauchen (denn die letztere wird selbst nicht in Abrede sein wollen, daß sie nicht vieles, was ihr mit den Lehren der bloßen Vernunft gemein ist, überdem auch manches zur Geschichtskunde oder Sprachgelehrsamkeit und für deren Zensur Gehöriges enthalte); gesetzt auch, er brauche das, was er aus ihr borgt, in einer der bloßen Vernunft angemessenen, der letztere aber vielleicht nicht gefälligen Bedeutung! sondern nur, sofern er in diese etwas hineinträgt, und sie dadurch auf andere Zwecke richten will, als es dieser ihre Einrichtung verstattet. – So kann man z.B. nicht sagen, daß der Lehrer des Naturrechts, der manche klassische Ausdrücke und Formeln für seine philosophische Rechtslehre aus dem Kodex der römischen entlehnt, in diese einen Eingriff tue, wenn er sich derselben, wie oft geschieht, auch nicht genau in demselben Sinn bedient, in welchem sie, nach den Auslegern des letztern, zu nehmen sein möchten, wofern er nur nicht will, die eigentlichen Juristen oder gar Gerichtshöfe sollten sie auch so brauchen. Denn, wäre das nicht zu seiner Befugnis gehörig, so könnte man auch umgekehrt den biblischen Theologen, oder den statutarischen Juristen beschuldigen, sie täten unzählige Eingriffe in das Eigentum der Philosophie, weil beide, da sie der Vernunft, und, wo es Wissenschaft gilt, der Philosophie nicht entbehren können, aus ihr sehr oft, ob zwar nur zu ihrem beiderseitigen Behuf, borgen müssen. Sollte es aber bei dem erstern darauf angesehen sein, mit der Vernunft in Religionsdingen, wo möglich, gar nichts zu schaffen zu haben, so kann man leicht voraussehen, auf wessen Seite der Verlust sein würde; denn eine Religion, die der Vernunft unbedenklich den Krieg ankündigt, wird es auf die Dauer gegen sie nicht aushalten. – Ich getraue mir sogar in Vorschlag zu bringen: ob es nicht wohlgetan sein würde, nach Vollendung der akademischen Unterweisung in der biblischen Theologie, jederzeit noch eine besondere Vorlesung über die reine philosophische Religionslehre (die sich alles, auch die Bibel, zu Nutze macht), nach einem Leitfaden, wie etwa dieses Buch (oder auch ein anderes, wenn man ein besseres von derselben Art haben kann), als zur vollständigen Ausrüstung des Kandidaten erforderlich, zum Beschlusse hinzuzufügen. – Denn die Wissenschaften gewinnen lediglich durch die Absonderung, sofern jede vorerst für sich ein Ganzes ausmacht, und nur dann allererst mit ihnen der Versuch angestellt wird, sie in Vereinigung zu betrachten. Da mag nun der biblische Theolog mit dem Philosophen einig sein, oder ihn widerlegen zu müssen glauben; wenn er ihn nur hört. Denn so kann er allein wider alle Schwierigkeiten, die ihm dieser machen dürfte, zum voraus bewaffnet sein. Aber diese zu verheimlichen, auch wohl als ungöttlich zu verrufen, ist ein armseliger Behelf, der nicht stichhält; beide aber zu vermischen, und von Seiten des biblischen Theologen nur gelegentlich flüchtige Blicke darauf zu werfen, ist ein Mangel der Gründlichkeit, bei dem am Ende niemand recht weiß, wie er mit der Religionslehre im ganzen dran sei.

Von den folgenden vier Abhandlungen, in denen ich nun, die Beziehung der Religion auf die menschliche, teils mit guten teils bösen Anlagen behaftete, Natur bemerklich zu machen, das Verhältnis des guten und bösen Prinzips, gleich als zweier für sich bestehender, auf den Menschen einfließender, wirkenden Ursachen vorstelle, ist die erste schon in der Berlinischen Monatsschrift April 1792 eingerückt gewesen, konnte aber, wegen des genauen Zusammenhangs der Materien, von dieser Schrift, welche in den drei jetzt hinzukommenden die völlige Ausführung derselben enthält, nicht wegbleiben.

Vorrede zur zweiten Auflage

In dieser ist, außer den Druckfehlern, und einigen wenigen verbesserten Ausdrücken, nichts geändert. Die neu hinzugekommenen Zusätze sind mit einem Kreuz † bezeichnet unter den Text gesetzt.

Von dem Titel dieses Werks (denn, in Ansehung der unter demselben verborgenen Absicht, sind auch Bedenken geäußert worden) merke ich noch an: Da Offenbarung doch auch reine Vernunftreligion in sich wenigstens begreifen kann, aber nicht umgekehrt diese das Historische der ersteren, so werde ich jene als eine weitere Sphäre des Glaubens, welche die letztere, als eine engere, in sich beschließt (nicht als zwei außer einander befindliche, sondern als konzentrische Kreise), betrachten können, innerhalb deren letzterem der Philosoph sich als reiner Vernunftlehrer (aus bloßen Prinzipien a priori) halten, hiebei also von aller Erfahrung abstrahieren muß. Aus diesem Standpunkte kann ich nun auch den zweiten Versuch machen, nämlich von irgend einer dafür gehaltenen Offenbarung auszugehen, und, indem ich von der reinen Vernunftreligion (so fern sie ein für sich bestehendes System ausmacht) abstrahiere, die Offenbarung, als historisches System, an moralische Begriffe bloß fragmentarisch halten und sehen, ob dieses nicht zu demselben reinen Vernunftsystem der Religion zurück führe, welches zwar nicht in theoretischer Absicht (wozu auch die technisch-praktische, der Unterweisungsmethode, als einer Kunstlehre, gezählt werden muß) aber doch in moralisch-praktischer Absicht selbständig und für eigentliche Religion, die, als Vernunftbegriff a priori (der nach Weglassung alles Empirischen übrig bleibt), nur in dieser Beziehung statt findet, hinreichend sei. Wenn dieses zutrifft, so wird man sagen können, daß zwischen Vernunft und Schrift nicht bloß Verträglichkeit, sondern auch Einigkeit anzutreffen sei, so daß, wer der einen (unter Leitung der moralischen Begriffe) folgt, nicht ermangeln wird, auch mit der anderen zusammen zu treffen. Träfe es sich nicht so, so würde man entweder zwei Religionen in einer Person haben, welches ungereimt ist, oder eine Religion und einen Kultus