4,99 €
Das dreizehnte Sternzeichen ist zurück! Adrik, der mächtigste aller Wächter, wurde unter dem Deckmantel eines erfolgreichen Musikers wiedergeboren. Leben – das ist alles, was er will, und sein Ziel ist es, Rache an denen zu nehmen, die ihn über Jahrtausende hinweg daran gehindert haben. Sie sollten alle dasselbe Schicksal erleiden. Zumindest ist es das, was das Herz des Schlangenträgers am meisten begehrt. Doch als er eines Nachts nach einem Konzert auf eine seiner Gegnerinnen aus der Vergangenheit trifft, ahnt er nicht, dass sie ihm Verständnis entgegenbringen würde. Warum hegt sie solch eine Abneigung gegen jene, mit denen sie einst Seite an Seite stand, wenn diese – genau wie sie – für sein Schicksal verantwortlich sind? Könnte sie möglicherweise zu einer Komplizin werden, die ihm hilft, die zersplitterten Fragmente seines alten Selbst zurückzuholen? Er muss herausfinden, was den Hunger nach Rache in ihm nährt und wer diese fremde und doch bekannte Frau ist. Ob sie bereit wäre, Adrik bei seinem blutigen Racheplan zu unterstützen? Jemandem, der einst zu seinen Feinden gehörte, zu vertrauen, wäre riskant – und was ist, wenn sie ihn von Neuem ins Verderben stürzt?
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 332
Veröffentlichungsjahr: 2025
Darien Blum
Schlangenträger
First published by Tredition 2025
Copyright © 2025 by Darien Blum
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen postalisch unter: tredition GmbH, Abteilung “Impressumservice”, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland und per E-Mail unter [email protected].
Second edition
ISBN: 978-3-384-57778-8
Cover art by Florin Sayer-Gabor Editing by Susanna Schober
This book was professionally typeset on Reedsy Find out more at reedsy.com
Dieses Buch behandelt Themen, die für manche Leser:innen belastend sein könnten. Eine Liste mit detaillierten Triggerwarnungen findest du am Ende des Buches.
Foreword
✰ Prolog ✰
✰ Der Schlangenträger ✰
✰ Eine schicksalhafteBegegnung✰
✰ Offenbarung ✰
✰ Steinbock ✰
✰Taten haben Konsequenzen ✰
✰ Alte Bekannte ✰
✰ Konfrontation ✰
✰ Jungfrau ✰
✰ Löwe ✰
Rückblende
✰ Das Geheimnis um den schwarzen Kristall ✰
✰ Eine traurige Botschaft ✰
✰ Die Hüter seiner Macht ✰
✰ Ein Atemzug zu viel ✰
✰ Eine erschütterndeErkenntnis ✰
✰ Veränderung ✰
✰ Große Verluste ✰
✰ Ungleichgewicht ✰
✰ Wiedergeburt ✰
Rückblende
✰ Der Untergang ✰
✰ Der Anfang vom Ende ✰
✰ Krieg ✰
✰ Ein Ende und ein Anfang ✰
Schlusswort
Namenliste
Content Notes
About the Author
Also by Darien Blum
Dreizehn Sternzeichen bedeutet, dass es dementsprechend viele Figuren gibt. Damit du dir als Leser nicht wie beim Vokabeln-Auswendiglernen im Englischunterricht vorkommst, was bei der Menge an Charakteren durchaus passieren kann, findest du hinten im Buch eine Liste, in der du jederzeit nachschlagen kannst, welche Figur welches Sternzeichen verkörpert.
DIE TIERKREISWÄCHTER
Die Tierkreiswächter weilen schon seit der Existenz der Menschheit auf der Erde. Sie sorgen mit ihren einzigartigen Fähigkeiten für ein gesundes Gleichgewicht und eine Menge Vielfalt auf unserem blauen Planeten. Sie wachen über die Erde und schützen diese mit allem, was in ihrer Macht steht. Erinnerst du dich an den Komet, der zuletzt auf die Erde zugerast ist und sie am Ende doch verfehlt hat? Du glaubst, es war Zufall? Nein, es waren die Wächter, welche ihn davon abgehalten haben, auf der Erde einzuschlagen.
Element Wasser:
Skorpion, Fische, Krebs
Sie beschützen die Gewässer vor schrecklichen Verschmutzungen der Menschen und halten die Meeresbewohner am Leben. Schätze ihre Arbeit und achte auf eine saubere Umgebung, denn sie sind sensibel und zeigen ihre Trauer mit schlimmen Fluten, zerstörerischen Überschwemmungen und pausenlosem Regen.
Element Feuer:
Schütze, Widder, Löwe
Sie versorgen uns und die wunderschöne Natur mit Sonnenstrahlen, Wärme und Vitamin D. Damit können die Bäume, welche wir so sehr zum Leben brauchen, wachsen. Doch verärgern wir Menschen die stolzen Feuerbändiger, werden sie uns mit unerträglicher Hitze, Vulkanausbrüchen und dem Austrocknen der Natur bestrafen.
Element Erde:
Steinbock, Stier, Jungfrau
Die Erdbändiger sorgen für reine und fruchtbare Böden, aus denen mit Hilfe der Feuer und Wasserkrieger kräftige Bäume, schöne Blumen sowie Nahrung wachsen können. Sei immer dankbar für dein täglich Brot, welches sie dir geben, sonst werden sie uns mit Erdbeben und unfruchtbarem Boden bestrafen.
Element Luft:
Wassermann, Zwilling, Waage
Die Luftbändiger brauchen wir Menschen wie die Luft zum Atmen. Denn sie sorgen für eine reine, saubere Luft und filtern sie von allen Schadstoffen und schlechten Umwelteinflüssen, die uns krank machen würden. Verletze niemals ihren Stolz oder mache dich über sie lustig, denn sie sind eiskalt und werden dich sofort ersticken lassen.
Element Geist und Verstand:
Der Schlangenträger
Und jedes Mal, wenn es Zeit für sie ist, das Zeitliche zu segnen, werden sie unter den Menschen wiedergeboren. Immer und immer wieder. Du würdest sie niemals erkennen, da sie in ihrer menschlichen Gestalt aussehen wie du und ich.
Es war Freitagabend, als sich Violet von ihren Freundinnen verabschiedete, mit denen sie gemeinsam auf einem Konzert gewesen war. Normalerweise hätte sie an diesem Tag darauf verzichtet, immerhin hatte sie die kommende Nacht zu schuften. Doch die Konzertkarten waren ein Geburtstagsgeschenk aus dem vergangenen Jahr, und sie entschied, dieses Mal eine Ausnahme zu machen. Eine Entscheidung, die sich mehr als gelohnt hatte. Violet hatte bereits viele Musiker live gesehen und obwohl sie die Texte der Band „Insane Anarchy“ sehr schätzte, hatte sie diese Gruppe an diesem Abend zum ersten Mal live gesehen. Die fünfköpfige Rockband hatte sie schon vor Jahren mit ihrem Debüt in ihren Bann gezogen. Besonders beeindruckend war für Violet, wie die Gruppe in ihren Liedern gesellschaftliche Missstände thematisierte und auf wichtige, oft unbequeme Themen aufmerksam machte. Mit provokanten Texten und einer klaren politischen Haltung, die manch einer als linksradikal bezeichnen würde, gelang es der Band, ihre Botschaften eindrucksvoll zu vermitteln und das Publikum zum Nachdenken anzuregen. Denn auch Violet war Teil einer Randgruppe, in welcher sie sich unterdrückt und unverstanden fühlte. Aber dank der großen Fangemeinde wusste sie, dass sie damit nicht allein war.
„Wir sehen uns“, sagte sie mit einem Lächeln an ihre Freunde gewandt und setzte ihren Gang in die entgegengesetzte Richtung fort. In Richtung desselben beschissenen Schuppens, wie beinahe jeden Abend, der sich ihr Arbeitsplatz nannte. Unwissend, was ihr diese Nacht geschehen würde.
Und da war er wieder – dieser leere Blick, der sie jedes Mal überkam, wenn sie allein war. Ein Ausdruck, den niemand außer ihrem eigenen Spiegelbild je zu Gesicht bekam. Da war der Stolz doch zu groß, jemandem zu zeigen, wie allein sie sich in Wirklichkeit fühlte. Falls man es so nennen konnte. Innere Leere traf es wohl eher. Wie sollte man sich auch anders fühlen, wenn man noch nie jemanden hatte, der zu Hause saß und auf einen wartete? Wenn sich kein Ort jemals wie ein zu Hause angefühlt hatte? Kein Ort, an dem man ankommen und sich fallen lassen konnte. Keine Arme, die einen auffingen, wenn man fiel. Niemand, der einem das Gefühl von Sicher- und Geborgenheit schenken konnte oder wollte. Natürlich hatte sie Freunde, doch konnte man diese höchstens als Partybekanntschaften bezeichnen. Aber wen wunderte das? Wer konnte und wollte all dies einer Ex-Inhaftierten geben? Einer Ex-Inhaftierten, die sich lediglich wehren wollte. Gegen diese ekelhaften Männer, welche Violet so sehr hasste.
✶
„Beeil dich, Violet!“, sprach eine dunkle und verrauchte Stimme, als sie den Schuppen „Private Club For Gentlemen“ betrat, die von niemand anderem als von ihrem Vorgesetzten Francis Snyder war. Ein großer, breiter Mann mit bereits leicht ergrautem Haar, dessen Weste eindeutig verschmutzt war. Daran hatte Violet keinerlei Zweifel. Ein Mann mit großem Einfluss in den schmutzigen Geschäften Amerikas.
„Entschuldige. Ich werde mich beeilen“, murmelte sie und verdrehte die Augen, als sie aus seinem Sichtfeld verschwunden war.
✶
„Hi Sabrina“, begrüßte sie eine ihrer Kolleginnen in der Umkleidekabine, entkleidete sich und zog sich ein schwarzes Lederdessous mit auffälligen Harnessdetails an. Sie setzte sich an den Schminktisch und frischte ihren schwarzen Lippenstift auf. Mit einer Bürste fuhr sie durch ihre schulterlangen, lavendelfarbenen Haare, ehe sie sich erhob und den Raum mit einem genervten Seufzer verließ.
✶
Gerade rechtzeitig betrat sie die Bühne und begann aufreizend an der Stange zu tanzen. Der Club war in ein düsteres, sinnliches Licht gehüllt, das in wechselnden Rottönen flackerte. Die Wände waren mit dunklem Samt und Leder verkleidet und der Boden glänzte matt. Über den Köpfen der Gäste schwebte eine große, glänzende Disco-Kugel, deren Lichtstrahlen den Raum mit schimmernden Reflexionen durchzogen. Der Duft von Parfüm, Zigarettenrauch und Alkohol lag schwer in der Luft, mischte sich mit dem leisen, gleichmäßigen Klang der Musik, die den Raum durchdrang. Die Gäste tranken, unterhielten sich und sahen nebenbei den Tänzerinnen zu. Während Violet sich auf der Bühne rekelte, flirtete sie über verführerische Blicke mit den Gästen, welche ihr bereits den einen oder anderen Schein vor die Füße warfen.
Violet hasste sie. Die lüsternen Blicke der Männer, die sie über die Jahre mit unermesslichem Hass erfüllt hatten. Doch war sie so gut in dem, was sie tat, dass keiner je bemerken würde, dass sie das hier niemals freiwillig machte.
✶
Ihr Blick glitt kurzzeitig zum Eingang, als fünf junge Leute, deren Gesichter ihr bekannt vorkamen, den Club betraten. Drei Männer und zwei Frauen in Begleitung eines großen, in schwarz gekleideten Herren, der so aussah, als sei er dazu verpflichtet, für deren Sicherheit zu sorgen. Es war Tyrone. Tyrone Villar und seine Band Insane Anarchy. Warum sollte ausgerechnet er sich in einem Schuppen wie diesem aufhalten? War das nicht widersprüchlich zu dem, was er unter anderem kritisierte? Vielleicht doch nur ein Heuchler, welcher Profit aus gespielter Gutmenschlichkeit schlug?
Violet war angewidert und wusste nicht, wie das Ganze nun zu deuten war. Für einen kurzen Moment dachte sie sogar, dass er ihr die Show stehlen würde. Doch die meisten hier schienen sich zu seinem Glück nicht für ihn zu interessieren. Wieso auch? Die Leute hier waren absolut nicht die, die das, was er machte, unterstützten. Ein Ort wie dieser wimmelte nur so vom menschlichen Abfall der Gesellschaft.
Die fünf platzierten sich in eine Sitzecke, direkt vor der Bühne und bestellten sich etwas zu trinken.
Haben die denn keine Angst, von jemandem an einem solchen Ort gesehen zu werden?
Nachdem Tyrone und seine Gruppe die Getränke erhalten hatten, musterte er die zierliche Tänzerin auf der Bühne ganz genau. Es schien beinahe so, als würde er sie analysieren wollen.
Violet spürte seine prüfenden Blicke auf sich haften, doch sie wandte sich ab und machte unbeirrt weiter.
Eine kurze Weile später würdigte sie ihm dann doch des ein oder anderen Blickes, um des Geldes Willen mit ihm zu flirten. Einen so reichen Gast wie Tyrone hatten sie nicht oft.
✶
Tyrone versuchte, sich zu konzentrieren, doch die Geräusche und Gespräche der Menschen um ihn herum waren viel zu laut. Somit ließ er sich auf Violets Spiel ein und erwiderte ihr Lächeln mit einem Ausdruck der Zufriedenheit. Als sie ihre Runde beendet hatte und von Tisch zu Tisch zog, wartete er gespannt darauf, dass sie zu ihm kommen würde – und genau das tat sie.
„Heeey! Ich hoffe, ihr habt die Show genossen?“, sprach sie mit aufgesetzter Stimme und schaute dem Trupp nacheinander in die Augen. Mit ihren Blicken verrieten sie bereits die Antwort auf ihre Suggestivfrage und nippten weiterhin an ihren Getränken. Doch als sie Tyrone, den Anführer der fünfköpfigen Gruppe ansah, holte er seinen Geldbeutel hervor. Mit gespielter Euphorie sprang Violet auf und ab und ließ sich von ihm einen dicken Stapel Scheine in den Slip stecken.
„Danke!“ Sie drehte sich um und musste sich schon fast selbst an Ort und Stelle wegen ihres aufgesetzten Verhaltens übergeben. Als Tyrone jedoch zum ersten Mal seine Stimme erhob, warf sie einen Blick über ihre Schulter und nickte, als er sie um einen privaten Tanz bat.
„Sicher! Folge mir.“ Violet nahm den Rockstar an die Hand und zog ihn hinter sich her, die Treppen hoch in einen kleinen, modern eingerichteten Raum, der ausschließlich für private Tänze vorgesehen war.
Die Tänzerin schloss die Tür, durch die Tyrone nur in geduckter Haltung kam, hinter ihnen ab und deutete auf die schwarze Ledercouch, welche auf der rechten Seite des nur schwach rot beleuchteten Raumes stand. Sie war schon verblichen und durchgesessen, aber dies war den meisten Gästen egal, und so ließ sich auch Tyrone entspannt auf seinen Platz fallen.
Er ließ den Blick flüchtig durch den Raum schweifen, bis ihm ein großer Spiegel hinter der Tänzerin auffiel, der offenbar dafür gedacht war, den Männern einen Blick aus beiden Perspektiven zu ermöglichen. Normalerweise hätte er ein abfälliges Zischen von sich gegeben, doch diesmal legte er die Arme lässig auf die Couchlehne und richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf die nun tanzende Violet. Der intensive Augenkontakt, den sie währenddessen hielt, kam Tyrone bei seinen eigenen Absichten durchaus entgegen.
Sie öffnete mit einer lockeren Handbewegung ihren BH und ließ diesen neben sich zu Boden fallen. Immer wieder machte sie Andeutungen, ihren Slip ausziehen zu wollen. Doch war dies nur eine Masche, um die Männer gieriger zu machen, um so viel Zeit wie möglich zu verschwenden und ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen.
Als Violet ihm nach einer langen Weile den Rücken zudrehte, zog sie den Slip aus, ohne aus dem Rhythmus der Musik zu kommen. Jetzt, wo auch dieser am Boden lag, drehte sie sich zu ihm um, legte ihre Hände auf seinen Schultern ab und setzte sich auf seinen Schoß. Tyrone war ihr nun ganz nah, und während sie sich auf ihm rekelte, drang er in ihre Gedanken ein, blätterte durch ihre Erinnerungen wie in einem Buch. Er war sich sicher. Mehr als sicher, dass ihn seine Vision beim Konzert nicht getäuscht hatte. Sie war einer der Wächter. Er brauchte nur noch diesen einen entscheidenden Hinweis, welcher seine Vermutung bestätigen würde.
Tyrone starrte ihr wortwörtlich in die Seele und fand kurz darauf wonach er die ganze Zeit gesucht hatte. Violet grinste ihn verspielt an und er erwiderte es. Denn er war sich sicher, dass ihr ihres gleich wieder vergehen würde.
Tyrone manifestierte in ihrem Kopf eine seiner Albtraumvisionen. Wie er es bereits geahnt hatte, dauerte es nicht lange, bis sich der Blick der Kleineren veränderte. Violet versank immer tiefer in Trance, und je länger sie in die tiefblauen Augen ihres Gegenübers blickte, desto intensiver wurde ihr angsteinflößender Zustand.
„Die fünf Minuten sind bereits um.“ Violet wollte sich gerade von seinem Schoß erheben, als er weitere hundert Dollar neben ihr achtlos auf den Boden warf und sie mit einem groben Griff am Gehen hinderte.
„Ich nehme gerne weitere fünf Minuten. Immerhin habe ich dafür bezahlt.“ Trotz der ruhigen Bitte, dem Service nachzukommen, für den er bezahlt hatte, klang in seiner Stimme etwas Bedrohliches. Doch sie konnte nicht. Es ging nicht. Denn derjenige, auf dem Violet saß, war nicht länger Tyrone, sondern ihr Peiniger. Der Mann, der sie vor ziemlich genau einem Jahr vergewaltigt hatte. Der Mann, wegen dem sie in der Vollzugsanstalt saß, da sie ihm aus Notwehr die Augen ausgestochen hatte. Genau wie am Tag der Tat sah das Ebenbild des Täters auch aus. „Und hiermit verurteile ich die Angeklagte, Violet Jennifer Taylor, zu zwölf Monaten Haftstrafe. Mit frühzeitiger Entlassung bei guter Führung“,ging ihr die Stimme des Richters durch den Kopf.
Violet saß wie gelähmt auf dem Schoß des vermeintlichen Mannes, als sie sich, von der Panik getrieben, versuchte, von ihm loszureißen. Plötzlich fühlte sie sich wieder wie die damals vorgeblich hilflose Violet, die sich wie wild unter ihm wandte und nach Hilfe schrie. Doch ihre Schreie blieben stumm. Ungehört. Der Mann über ihr war zu stark, und somit ließ sie es über sich ergehen. In der Hoffnung, dass er schnell fertig werden würde mit dem, was er ihr antat. Solange, bis die Macht in ihr von der Starre nicht mehr unterdrückt wurde. Mit der Hilfe zweier Luftklingen stach sie ihm die Augen aus, trat ihn von sich weg, richtete sich auf und rannte mit nur halb hochgezogener Hose schluchzend davon.
Tyrone sah sie ausdruckslos an, während sie immer wieder versuchte, sich von ihm wegzudrücken. Ihre Tränen, gemischt mit schwarzem Mascara, tropften auf seine dunkle Hose, als er im nächsten Moment von einem festen Schlag auf die Nase überwältigt wurde. Violet nutzte die Gelegenheit, um sich zu befreien, schlüpfte in einen seidenen Bademantel und lief durch den Notausgang hinunter in den Hinterhof.
✶
Mit zittrigen Händen holte sie eine Packung Marlboro aus ihrer Manteltasche hervor und zündete sich mühsam eine Zigarette an. „Ich glaube, ich muss die Therapie doch in Anspruch nehmen. Ansonsten wird das hier noch meinen Job kosten und mich zurück in die Obdachlosigkeit bringen“, murmelte sie zu sich selbst. Doch Violet sollte gar nicht erst die Möglichkeit bekommen, sich zu erholen. Denn kurz darauf stand neben den großen Mülltonnen des Ladens, das Ebenbild des Mannes, welcher ihr Leben ruiniert hatte.
„Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass ich dir nach deiner kurzen Haftstrafe einfach so vergebe, oder? Du kleine Schlampe wirst für das, was du mir angetan hast, bezahlen. So wie ich mit meinem Augenlicht bezahlt habe!“
✶
Erschrocken stolperte sie ein paar Schritte zurück und ließ dabei die noch immer glühende Zigarette hinter sich zu Boden fallen. Violet verharrte nicht lange an seinem Blick und ergriff über die Dächer hinweg die Flucht. Somit war klar, dass sie einer der Luftbändiger war. Dies bewahrheitete sich auch durch ihre rasche Verwandlung in eine Wächterin, die ihre wahre Identität zum Vorschein brachte. Ob sie nun Wassermann, Zwilling oder Waage war, spielte dabei keine Rolle. Denn sie sollten alle dasselbe Schicksal erleiden. Das war zumindest das, was das Herz des Schlangenträgers am meisten begehrte. Das Ende derjenigen, die all die Millionen Jahre für sein Leiden verantwortlich gewesen waren.
Als Violet gerade über die Dächer hinwegfliegen wollte, sprang Tyrone ihr nach und hielt sie am Zipfel des schwarzen, leicht durchsichtigen Umhangs ihrer Wächterrobe fest. Anschließend zog er sie am Bein zu sich aufs Dach und stach ihr mit einem giftigen Dolch in die Wade, woraufhin ein lauter Schmerzenslaut zu hören war.
Violet stützte sich mühsam auf den Händen ab, sah hinter sich und trat Tyrone, so fest sie konnte, ins Gesicht. Schnell erhob sie sich und wich mit einem Sprung zurück, um einen sicheren Abstand zwischen sich und ihm zu gewinnen.
Ihr Verfolger gab einen zischenden Laut von sich, wischte sich grob das Blut von der Nase und stürmte auf sie zu. Verzweifelt versuchte sie ihren Verfolger mit einer Orkanböe von sich zu stoßen, doch war sie mittlerweile so tief in seiner Vision gefangen, dass ihre Konzentration und somit ihre Fähigkeiten, den Wind willig zu machen, nachließen. Die Böe, welche sie vergeblich versucht hatte gegen ihn zu verwenden, war nichts weiter als ein kleiner Luftzug für Tyrone gewesen. Was war noch real? Und was nicht? Das Gift begann nun endlich seine Wirkung zu zeigen, und Violet kämpfte darum, auf den Beinen zu bleiben.
Tyrone witterte seine Chance und stürzte sich auf sie, sein Gewicht presste die bereits schwächer werdende Violet zu Boden. Das Gesicht des Mannes ohne Augen löste sich allmählich auf und auf ihr kniete nun ein maskierter mit Kapuze, einem langen robusten Mantel, an dem einige Dolche und Schwerter befestigt waren. Sie erkannte Tyrone nicht. Denn bis auf seine Augen war er komplett verhüllt.
„Über zwei Millionen Jahre habe ich auf diesen Augenblick gewartet. Der Augenblick, an dem ich euch wieder gegenübertreten und ein für alle Mal vernichten kann. So wie ihr damals mich vernichtet habt.“ Der Maskierte zögerte nicht und stach Violet mit einem Dolch in die rechte Schulter. Immer und immer wieder bohrte sich die kalte Klinge seines Messers in ihr Fleisch. Erneut war ein lauter Schmerzenslaut zu hören.
„Scheiße …“, brachte sie schweratmend hervor. „Du bist der Verstoßene, nicht wahr?“ Sie hustete kurz auf, ehe sie weitersprach. „Der Schlangenträger, den wir alle so sehr fürchten, habe ich recht?“
In seinen Augen loderte derselbe Hass wie vor all den Jahren – und obwohl so viel Zeit vergangen war, erkannte Violet ihn sofort. Es war so, als wäre er nie fort gewesen.
Erschöpft fielen ihr die Augen zu, die sie vergeblich versuchte, aufzuhalten. „Dann bring es jetzt zu Ende. Erlöse mich von diesem erbärmlichen Leben, welches mir das Universum dieses Mal gegeben hat. Ich möchte diese Person nicht mehr sein müssen.“
Der Schlangenträger sah sie wortlos an. Wie konnte ein Mensch nur so etwas denken? Nachdem ihm Millionen von Jahren das Leben immer wieder verwehrt wurde, genoss er es nun mehr als alles andere auf dieser Welt. Umso verwirrter war er über ihren Willen zu sterben.
„Auch ich musste in diesem Leben erfahren, wie es ist, unterdrückt zu werden und wie es sich anfühlt, wenn jeder sich gegen dich stellt. Da will ich mir nicht einmal ausmalen müssen, wie es dir die letzten Jahrtausende ergangen ist, Adrik.“ Es wurde ruhig zwischen ihnen. Nur noch das Gelächter der Leute und die vorbeifahrenden Autos unterbrachen die Stille der beiden Beteiligten. Erstmals, nach so langer Zeit, erfüllte ein Gefühl von Ruhe und Geborgenheit Violet, und ein kleines, zufriedenes Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Denn sie war dankbar dafür, dass ihr nun endlich jemand die Ehre erwies, sie von ihrem erbärmlichen Leben zu erlösen.
✶
Tyrone, oder wie sie ihn gerade genannt hatte, Adrik, zitterte noch immer, doch hielt er nun die Füße still. Ihre Worte lösten etwas in ihm aus, was ihn zögern ließ. Ein stechender Schmerz durchzog sein scheinbar kaltes und zugleich doch so reines Herz, als das von Violet drohte aufzuhören zu schlagen. Das Symbol des umgedrehten Zwillings auf ihrer Stirn war trotz des grellen Mondlichts nur noch schwach sichtbar, und als Tyrone das bemerkte, weiteten sich seine Augen. Verschwommene Erinnerungen gingen ihm durch den Kopf. Wie ein Film, der sich vor seinem inneren Auge abspielte.
„Orphea!“, rief er ihr völlig überwältigt entgegen. Doch Orphea regte sich nicht mehr. Sofort zog er sich die Maske vom Gesicht und versuchte ihr das Gift aus den Wunden zu saugen. In der Hoffnung, dass es noch nicht zu spät war.
So nahm er sie, mit ihr über seine Schulter geworfen, und verschwand mit ihr in einem kraftvollen Sprung, der sie über die Dächer der Stadt hinweg trug. Der Wind rauschte um sie, als er sich geschickt und fast schwerelos durch die Nacht bewegte, bis er schließlich ihr Apartment erreichte.
✶
Dort angekommen, griff er nach dem Schlüssel, den sie stets unter der Fußmatte aufbewahrte, und öffnete die Tür. Ich weiß nun so viel über dich. Sogar, wo sich dein Zweitschlüssel befindet. Doch der Grund meines plötzlichen Rückzugs, den kann ich auch bei dir nicht finden. Vorsichtig legte er sie auf das Bett in ihrem Schlafzimmer. Ein großes Bett, das die Mitte des Raumes dominierte und von schweren, dunklen Vorhängen umrahmt war. Die Bettwäsche, in einem matten Violett gehalten, war weich und leicht zerknittert.
Seufzend setzte er sich an ihre Seite. Ihre knappe Wächteruniform bot ihm einen klaren Blick auf die zahlreichen Blutergüsse, Schnitt- und Schürfwunden, die sie sich im Kampf zugezogen hatte – nur vereinzelt unterbrochen von schwarzen Bändern, die sich um ihre Beine schlängelten.
„Verzeih mir, Orphea“, murmelte er mehr oder weniger zu sich selbst, ehe er aufstand und die Deckung der Verwandlung fallen ließ. Nun stand er wieder so da, wie er ihr in dem Drecksschuppen begegnet war. Er betrachtete sie. Ich hatte doch alles ganz genau geplant. Wieso nur löst der Gedanke daran dich zu töten plötzlich Widerwillen in mir aus?
„Shit!“, fluchte er leise. „Dich am Leben zu lassen könnte mich das Leben kosten.“ Tyrone krempelte den rechten Ärmel seiner Lederjacke hoch, um einen Blick auf die Armbanduhr zu werfen. 2:02 Uhr in der Nacht. Mit ein paar Stofffetzen seines Shirts und einem Desinfektionsmittel, welches er in dem kleinen, schwarzen Beistelltisch neben ihrem Bett fand, versorgte er grob ihre Einstichwunden, bemüht, nichts falsch zu machen. Ich habe so viele Fragen an dich, die du mir höchstwahrscheinlich nicht einmal beantworten kannst …Er legte behutsam eine Decke über ihren zitternden Körper, der nun von dem dünnen Bademantel bedeckt war, den sie hastig übergezogen hatte, als sie aus dem Notausgang geflüchtet war.Anschließend verließ er leise ihr Apartment und ging zurück zu dem Hotel, in dem er noch die nächsten zwei Nächte mit seiner Band verbringen würde.
Es war Samstagabend, als Eric und seine Freunde durch die Straßen der Metropole Las Vegas liefen. Eigentlich war er kein Freund von solch belebten Städten, wie es Las Vegas war, doch wollte er sich den Junggesellenabschied seines alten Schulfreundes Cameron nur ungern entgehen lassen. Die letzte Station des heutigen Tages sollte die Stratosphäre und ihre Attraktionen sein.
„Okay, auch wenn ich vermutlich davon kotzen werde, bestehe ich auf eine Fahrt“, gab einer seiner Freunde von sich und die anderen willigten ein. Auch Eric. Somit stellte sich die zwölfköpfige Gruppe von Männern in die Warteschlange und unterhielt sich dort weiter. Nur der Rothaarige unter ihnen schien ein wenig geistesabwesend zu sein. Etwas abseits von ihnen stand Eric am Geländer des Wartebereichs und sah hoch in den sternenklaren Himmel, an dem man zu dieser Zeit das Sternbild des Schlangenträgers besonders gut betrachten konnte. Auch wenn dieser im Vergleich zu den anderen Sternbildern recht groß und dadurch schwerer zu erkennen war, war es für ihn ein Leichtes. Seine Zeit war gekommen und er hatte es immer noch nicht geschafft, auch nur einen seiner Verbündeten wiederzufinden. Und dass obwohl er jeden Abend zum Universum betete, dass das Schicksal sie noch rechtzeitig zusammenführen möge. Denn sollte er es schaffen, seine Drohung von vor 2,3 Millionen Jahren wahrzumachen, sollte er jemals aus dem schwarzen Loch entkommen, wird es zu Katastrophen kommen, die ich mir nicht einmal ausmalen möchte. Doch wurde er aus seinen Gedanken gerissen, als ihm einer seiner Kumpels auf die Schulter schlug und mit einem breiten Grinsen ansah.
„Nicht wahr, Rotschopf?“, sagte er belustigt an Eric gewandt, welcher ihm nur schmunzelnd zunickte. Denn zugegebenermaßen hatte Eric ihnen überhaupt nicht zugehört.
Die Männer näherten sich den Waggons, als ihm ein starker Windstoß die Haare ins Gesicht wirbelte. Diese band er sich mit einem Haargummi, das er stets am rechten Handgelenk trug, zu einem lockeren Dutt zusammen, wobei ihm die vorderen Strähnen immer wieder ins Gesicht fielen. „Was für eine tolle Aussicht.“ Eric stützte sich gerade auf dem Geländer ab, als er von den wartenden Leuten hinter sich nach vorne gedrängt wurde. Aber das schien ihm egal zu sein, denn während er sich von der Menge treiben ließ, machte er eine beunruhigende Entdeckung. Mehrere Schrauben der Attraktion schienen sich nach und nach von den Schienen zu lösen. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis diese dem Druck des Zuges nicht mehr standhalten konnten und somit zusammenbrechen würden.
„Hey! Da stimmt was nicht! Etwas scheint mit den Schienen nicht in Ordnung zu sein! Niemand sollte mehr einsteigen, bis sie wieder angezogen wurden!“ Niemand hörte ihm zu und seine Freunde? Die machten sich nur über ihn lustig.
„Boah, Eric, entspann dich mal. Das bildest du dir ein, weil du ein Feigling bist. Sei nicht so eine Memme.“
Niemand nahm ihn und seine Warnung für voll, während die Schienen an einer ganz bestimmten Stelle immer instabiler wurden und drohten, sich bei der nächsten Fahrt zu teilen. „Wieso glaubt mir denn keiner?!“, gab er hektisch von sich. Diese dummen Idioten! Die sind so betrunken, dass sie nicht den Ernst der Lage erkennen können!
Doch dann stiegen bereits die nächsten Passagiere ein, welche diese Fahrt mit Sicherheit nicht überleben würden.
„1, 2, 3 … “, sprach eine Computerstimme, bevor die Lautsprecher ein markantes Startsignal von sich gaben und der Zug den ersten Streckenabschnitt hinauffuhr. Die Geräusche nahm Eric nur noch gedämpft wahr. Das Leben dieser Menschen lag nun in seinen Händen und das wiederum gab dem sonst so selbstbewussten Schützen ein Gefühl der Unsicherheit. War er in der Lage, ohne seine Mitstreiter den kommenden Unfall zu verhindern?
Mit einer unauffälligen Handbewegung versuchte er, die beiden Teile zusammenzuschmelzen, als der Wagen mit hoher Geschwindigkeit auf die besagte Stelle zurollte. Bitte! Völlig konzentriert darauf, das zu reparieren, was kein anderer tat, hörte er nur flüchtig, wie seine Freunde ihn weiterhin schikanierten.
„Ey, Eric! Haste Schiss, dass wir abstürzen?!“, scherzten sie vor sich hin.
Doch Eric war gerade absolut nicht zum Scherzen zumute. Es knirschte und quietschte unter den Waggons und kurz bevor der Zug über die defekte Stelle fuhr, kniff der Rothaarige bangend die Augen zusammen, aus Angst, etwas zu sehen, was er nie mehr wieder vergessen würde. Doch das Gelächter der Fahrgäste wandte sich nicht, wie er es bereits befürchtet hatte, in panische und grausame Hilfeschreie, sondern es blieb alles so, wie er es sich erhofft hatte. Langsam öffnete Eric wieder seine Augen und spürte, dass es nicht allein er war, der für die Sicherheit der Passagiere gesorgt hatte. Er schaute zuerst runter auf seine glühenden Hände, danach um sich herum. Durch die drängelnde Menge sah er in der Ferne eine offenbar junge Frau, die völlig irritiert am Straßenrand stand und immer wieder kleine Tornados über ihre Finger kreisen ließ. Ohne seiner Gruppe Bescheid zu geben, verschwand er durch die Menge, die Treppen runter zu der mysteriösen Frau und sprach sie an.
✶
„Guten Abend, junge Frau. Du siehst ein wenig fertig aus. Geht es dir gut?“, fragte er und drückte ihr seine kleine Wasserflasche in die Hand. „Hier trink etwas.”
Nach genauer Prüfung der Flasche, welche noch originalverschlossen war, nahm die Fremde einen großzügigen Schluck und hielt ihm das Getränk im Anschluss wieder entgegen.
„O nein, behalte es ruhig. Du brauchst es dringender als ich.“ Ein warmes Lächeln legte sich auf seine Lippen, als die Kleinere sich schüchtern durch die dunkelbraunen Locken fuhr.
„Vielen Dank“, murmelte sie noch sichtlich verwirrt und sah wieder runter auf ihre leicht zitternden Hände.
Eric ahnte bereits, was der Auslöser für ihr Verhalten war. „Du solltest nicht allein in diesem Zustand umherlaufen.“
„Oh, aber ich bin doch gar nicht allein. Ich bin mit meinen Freunden hier –“ Welche sie wohl aus den Augen verloren hatte. „Sie müssen wieder reingegangen sein“, sagte sie und deutete auf eine Kneipe auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
„Du stehst auf Jazzmusik?“, fragte er mit einem Schmunzeln.
„Ja, unter anderem. Du auch?“
„Ja, total!“
„Dann komm doch einfach mit!“, schlug sie ihm begeistert vor und sah ihn erwartungsvoll an.
Etwas zögerlich sah er hinter sich zu seinen Freunden, welche gerade in den Waggon stiegen und dann zurück zu der jungen Frau. „Das wird schon in Ordnung gehen.“
✶
Er sah sich um, als ihm die bereits spürbar gute Stimmung der anwesenden Gäste entgegenkam. Diese Kneipe war ein Ort, in dem der Rauch der Zigaretten mit den warmen Klängen von Saxofon und Klavier verschmolz. An den dunklen, eng beieinanderstehenden Holztischen saßen Gäste in laute Gespräche vertieft, ihre Gesichter nur schwach im Licht der schlichten Lampen erkennbar. Der Mahagonibartresen glänzte matt unter den leeren Gläsern und halb gefüllten Flaschen. Im Hintergrund lief zum Tanzen einladende Musik.
„Möchtest du etwas trinken? Die Cocktails sind echt gut“, fragte sie.
„Nein, ich lehne für den Rest des Abends ab.“ Eric hatte genug vom Alkohol. Nicht, weil er selbst betrunken war, sondern wegen seiner idiotischen Freunde, die sich wie eine Horde Kinder aufführten. Das war nicht mehr sein Ding. Er war über die Jahre ruhiger geworden. Ob ihn bald die Midlife-Crisis treffen würde? Nein, dafür war er mit seinen sechsunddreißig Jahren doch etwas zu jung.
„Okay! Ich bin auch schon bedient!“
Im nächsten Augenblick verbeugte sich der Rothaarige vor der jungen Dame und streckte ihr die Hand entgegen. „Darf ich um einen Tanz bitten?“
Die junge Frau nickte, nahm seine Hand und mischte sich mit ihm unter die tanzende Menge. Eng aneinander, unfähig, sich zu trennen, mit seinen Händen an ihren Hüften, tanzten sie langsam zum Rhythmus der Musik. Mit einem warmen und zufriedenen Lächeln schaute ihm die Dunkelhaarige entgegen, während in ihm langsam ein warmes Gefühl der Verbundenheit aufstieg. Mit einer flüssigen Bewegung nahm Eric die rechte Hand der Dame in seine, ließ sie sich einmal um sich selbst drehen, ehe sie sich elegant nach hinten lehnte und er sie mit der Hand am Rücken stützte. Anschließend drückte er sie wieder an sich und schwang mit ihr in gleichmäßig rotierenden Drehbewegungen über die Tanzfläche. Die junge Frau, deren Name ihm bisher unbekannt blieb, machte gerade den Mund auf und deutete an, etwas zu sagen. Doch noch bevor es dazu kam, legte ihr Eric seinen Zeigefinger auf den Mund, um ihr zu signalisieren, einfach den Moment zu genießen. Es war, als würde die gesamte Tanzfläche nur ihnen gehören, ihre ganz persönliche Bühne – genau wie in den alten Zeiten. Als die Dame mit dem Rücken zu ihm gerichtet war, legte Eric seinen Kopf auf ihren, schloss die Augen und umfasste ihre Taille.
✶
Sofort errötete die Kleinere, doch nicht aus Scham oder Ähnlichem. Sie fühlte sich wohl und geschmeichelt in den starken Armen des Größeren – etwas, das für sie ungewöhnlich war. Normalerweise pflegte sie zu anderen Menschen nur oberflächlichen Kontakt, egal ob zu Männern oder Frauen. Doch zwischen ihnen schien eine andere Art von Verbundenheit zu bestehen, die sie sich selbst nicht erklären konnte.
✶
Aber Eric konnte es. Die Frau, welcher er gerade so nah war, war niemand anderes als die Verkörperung des Sternzeichens Zwilling, Anica. Anica, die Geliebte des Anführers Torin, welcher im Namen des Schützen erschaffen wurde. Das Schicksal hatte die beiden wieder zusammengeführt und auch wenn die sogenannte Anica noch nicht zu wissen schien, wen sie da vor sich hatte, würde sich auch ihre Seele Stück für Stück an ihn erinnern und von Neuem lieben lernen. Zumindest war es in jedem ihrer Leben so gewesen.
„Mein Name lautet übrigens Rose“, offenbarte sie nun, drehte sich zu ihm um und schaute in seine himmelblauen Augen.
„Schön dich kennenzulernen, Rose. Der Name passt zu dir. Mein Name ist Eric.“
Rose lächelte sanft.
„Erzähl mir … Das, was du da vorhin an der Stratosphäre gemacht hast, war dir bewusst, was du da tust?“
Mit einer nachdenklichen Miene ließ sie ihren Blick kurzweilig durch den Raum schweifen, ehe sie ihn wieder ansah und zögernd nickte. „Du hast es gesehen, nicht wahr? Also brauche ich es auch nicht zu verleugnen. Aber um ehrlich zu sein, war es mehr Glück als Können. Ich trage diese Fähigkeit, den Wind zu bändigen, schon seit Kindheitstagen in mir. Doch richtig anwenden und deuten konnte ich sie nie. Aber warum fragst du mich das? Hat das einen bestimmten Grund?“
Eric nickte. „Auch ich besitze solche Fähigkeiten, die dem Element Feuer zugeordnet sind. Geboren im Namen des Schützen. Dein Körper und auch deine Seele werden sich schon sehr bald daran zurückerinnern, wer du wirklich bist und wieso du solche einzigartigen Fähigkeiten besitzt.“
Rose runzelte die Stirn. „Du sprichst in Rätseln. Was meinst du mit: mich zurückerinnern, wer ich wirklich bin?“
Doch Eric antwortete vorerst nicht. Denn als sich das Lied dem Ende näherte, lösten sich ihre Körper wieder voneinander und Eric deutete mit einer Handbewegung auf den Ausgang. Still lief sie hinter ihm her, bis sie draußen vor der Kneipe standen. Dort zeigte er auf den sternenklaren Himmel, um sie auf das Sternbild des Schlangenträgers hinzuweisen.
„Siehst du ihn? Seine Zeit ist bereits gekommen. Du musst mir helfen, das bevorstehende Chaos zu verhindern.“
Rose sah nach oben und verharrte für einen Augenblick so. „Was? Welches Chaos? Geht es dir gut?“
Eric merkte, dass weitere Erklärungen nicht zum Erfolg führen würden. Also schrieb er rasch seine Telefonnummer auf einen alten Kassenzettel, welcher sich schon ewig in seiner Hosentasche befand, und drückte ihr diesen in die Hand. „Wenn du den Grund für deine besonderen Fähigkeiten wissen willst, melde dich.“ Dann zupfte er sich sein rotes Hemd zurecht und ging davon.
✶
Seine Gebete wurden vom Universum erhört. Da war Eric sich nun mehr als sicher und er war dankbar dafür. Gerade noch rechtzeitig. Oder doch zu spät? Immerhin war nicht sicher, dass sie sich wirklich bei ihm melden würde. Es war wie ein Kampf gegen die Zeit. Doch sein eigentlicher Rivale war Adrik – der Schlangenträger. Mit dem er aus der Ferne konkurrierte, wer sein Ziel als erster erreichen würde. Aber jetzt, wo Eric einen der Luftbändiger ausfindig machen konnte, war er zuversichtlich, dass die anderen zum Greifen nah waren. Zumindest die Älteren unter ihnen mussten über die Gefahr und die Wiedergeburt des Schlangenträgers Bescheid wissen und sich somit auf die Suche nach ihrem Anführer gemacht haben.
Violet ging die rätselhafte Begegnung von letzter Nacht nicht mehr aus dem Kopf. Sie wusste nicht einmal, wie sie überhaupt nach Hause gekommen war. Gedankenverloren machte sie sich abends für die Arbeit fertig und glättete ihre schulterlangen Haare nach. Normalerweise hatte sie dunkle Locken, welche sie von ihrem afroamerikanischen Vater geerbt hatte. Aber wenn sie die Wahl gehabt hätte, hätte sie sich für die glatten Haare ihrer Mutter aus Schweden entschieden. Sie hasste die Locken genauso sehr wie ihren Erzeuger, die sie immer wieder an ihn erinnerten.
✶
Als sie mit Make-up und Haaren fertig war, öffnete sie ihren Schrank, schaute auf die Stichwunden hinab und überlegte, ob es sinnvoll wäre, etwas zu tragen, dass ihre Verletzungen verdecken würde. Andererseits würde es dadurch nur zu unangenehmen Reibungen kommen, weshalb sie diesen Gedanken schnell wieder verwarf. Also zog sie sich eine kurze, schwarze Hose mit zwei Ketten am rechten Hosenbund und einer feinen Netzstrumpfhose darunter an. Dazu ein dunkles kurzes Top mit dem Logo ihrer Lieblingsband.
Im Flur setzte sie sich auf das Schuhregal und zog sich hohe Schuhe an. Ein letzter Blick in den Spiegel, dann ging sie los zur Arbeit.
Die Straßen von Lansing in Michigan waren wie immer an einem Samstagabend ziemlich belebt, weshalb sie sich sicherer fühlte als an anderen Wochentagen zu dieser Zeit.
Beim Stripclub angekommen, sah sie, dass ihr Chef draußen vor der Tür eine Zigarette rauchte und diese wütend zu Boden warf, als er Violet auf ihn zulaufen sah.
„Wo zum Henker bist du letzte Nacht gewesen, Violet?“, brüllte er und packte sie am Kragen. „Du glaubst doch nicht, dass du dich einfach so davonschleichen und dir eine extra Auszeit gönnen kannst?“
Angewidert kniff Violet die Augen zusammen, als der Mann ihr versehentlich beim Reden ins Gesicht spuckte.
„Du solltest mir dankbar dafür sein, dass du Arbeit und ein Dach über dem Kopf hast, bei dem, was du getan hast!“ Dann ließ er von ihr ab und schubste sie mit seinen rauen Händen Richtung Eingang. „Und jetzt zieh Leine“, zischte er.
Als Violet auf seinen Befehl hin reinging, klingelte Francis Diensthandy, weshalb er um die Ecke verschwand.
✶
Die Aktion von eben wurde ihm schon kurz darauf zum Verhängnis. Denn Tyrone hatte die beiden die ganze Zeit vom Dach aus beobachtet. Er sprang hinab in die Gasse, hinter den Mann mittleren Alters und umfasste das Ziel mit dem rechten Arm. Erschrocken von Tyrones unerwarteten Angriff, fiel Francis das Handy aus der Hand und er spürte kurz darauf nur noch den sauberen Schnitt eines Messers an der Kehle. „Dein Tod ist eine Bereicherung für sehr viele Menschen in diesem Land“, raunte Tyrone und reinigte die Klinge mit einem Taschentuch.
✶
Entspannt lehnte er sich mit dem Rücken gegen die Mauer und wollte sich gerade eine Zigarette anzünden, als er die lauten Schritte hoher Absatzstiefel neben sich vernahm. Am anderen Ende der Gasse stand nun die junge Frau, die er vergangene Nacht am Leben gelassen hatte.
„Du wieder. Ich habe deine Präsenz bereits gespürt, als ich auf dem Weg hierher war.“
Der Maskierte steckte die Zigarette zurück in die Schachtel und wandte sich Violet zu. „Ich musste noch mal herkommen.“
Violet entfuhr ein sarkastisches Lachen, ehe sie die Leiche ihres Vorgesetzten auf dem Boden liegen sah. „Was hast du getan?!“, rief sie voller Entsetzen, ehe sie auf Tyrone zustürmte und ihn grob mit beiden Händen gegen die Mauer drückte. „Du bist so ein sadistisches Arschloch!“, schrie sie. „Erst unterziehst du mich einer deiner grausamen Albtraumvisionen, dann jagst du mich gefühlt durch die halbe Stadt und dann lässt du mich am Leben! Natürlich erst, nachdem ich dir offenbart habe, dass mein Tod vielmehr ein Segen als eine Bestrafung wäre.“ Violet nahm einen tiefen Atemzug und fuhr ihre Standpauke fort. „Du bist ein kranker Sadist, der es liebt, seinen Feinden beim Leiden zuzusehen. Du wolltest doch nur sehen, wie ich dazu gezwungen bin, meinen Körper zu verkaufen. Jetzt setzt du noch einen drauf, indem du meinen Boss killst, damit ich mir einen neuen Arbeitsplatz suchen kann!“, zischte sie. „Vermutlich hast du dich an mir vergangen!“ Wutentbrannt riss Violet ihm die Maske vom Gesicht und schlug ihn so fest sie konnte mit der flachen Hand.
Tyrone stand bloß wie angewurzelt da und ließ sich von ihr anschreien. Jedoch zischte er hörbar, als die flache Hand seine rechte Wange traf.