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Nicht ganz unschuldig fühlen sich Rebecca Schwartz und ihre Freunde an den Todesfällen, die der erbitterte Streit um die geheime Backmischung für San Franciscos berühmtes Sauerteigbrot zur Folge hat. Um dem neuen Freund ihrer Anwaltskollegin Chris finanziell zu helfen, kommen sie in beschwipster Runde auf die Idee, eine Auktion zu veranstalten, auf der Peter Martinelli, Sproß einer alteingesessenen Bäckerfamilie, Gelegenheit bekommen soll, sein Erbe, den eingefrorenen »Anstellsauerteig«, an den Meistbietenden zu versteigern. San Franciscos führende Bäckereien und sogar ein Lebensmittelkonzern von der Ostküste kündigen ihr Interesse an – und lösen damit eine Serie von Drohanrufen aus. Doch noch bevor es zu der Auktion kommt, finden Rebecca und Rob Bums, Reporter beim San Francisco Chronicles, Peters Leiche... Spannend, witzig, kultig: ein Kriminalroman aus der legendären Serie um die Anwältin Rebecca Schwartz – von Edgar-Allan-Poe-Preisträgerin Julie Smith!
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Seitenzahl: 258
Veröffentlichungsjahr: 2014
Julie Smith
Die Sauerteigmafia
Kriminalroman
Ins Deutsche übertragen Susanne Levin
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel “The Sourdough Wars” Edel eBooks Ein Verlag der Edel Germany GmbH
© 2014 Edel Germany GmbH Neumühlen 17, 22763 Hamburg
www.edel.com
Copyright © 1984 by Julie Smith First published in Germany under the title DIE SAUERTEIGMAFIA by S. Fischer Verlag (1990) Ins Deutsche übertragen von Susanne Levin. Trotz intensiver Recherche war es dem Verlag nicht möglich, den Rechteinhaber der Übersetzung zu identifizieren bzw. einen Kontakt herzustellen. Wir bitten den Übersetzer bzw. seinen Nachfolger, sich ggf. beim Verlag zu melden.
Covergestaltung: Agentur bürosüd°, München
Konvertierung: Datagrafix
Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.
Chris Nicholson, meine Partnerin in der Anwaltskanzlei, hatte am Montag um neun Uhr einen Termin bei Gericht. Als sie gegen elf Uhr zerstreut zur Tür hereinkam, begrüßte unser Sekretär sie mit seiner unnachahmlichen Höflichkeit: »Wieder jemanden hinter Gitter gebracht?«
Sekretäre sind heutzutage so ziemlich der Hit. Viele Karrierefrauen sind begeistert von männlichen Sekretären. Sie tragen schicke schmale Krawatten und Button-down-Hemden, tippen hunderttausend Anschläge in der Minute, können Steno, wischen Staub, kochen phantastischen Kaffee, und ihre Vorzimmer laufen wie geschmiert. So habe ich das jedenfalls von einigen Freundinnen gehört.
Unserer zog sich schlampig an, kochte lausigen Kaffee, konnte kein Steno, tippte ungefähr eine Zeile pro Minute und vergaß immer auszurichten, wer angerufen hatte. Er hieß Alan Kruzick und war der Freund meiner Schwester. Außerdem Schauspieler ohne Gage.
Mom hatte uns überredet, ihn einzustellen, nachdem Mickey ihr Studium abgeschlossen und eine Stelle beim Institut für Familienplanung angetreten hatte. Um die viele Fahrerei zu vermeiden, waren Mickey und Kruzick von Berkeley in die Stadt gezogen, und ihre Miete hatte sich verdoppelt. Die ganze Familie Schwartz war dagegen, daß Mickey Alan unterstützte, und Mom hielt ihren Vorschlag für die perfekte Lösung.
Soweit es mich betraf, ich fand nicht, daß er sich bezahlt machte, aber für Chris war seine superschlaue Art noch neu. Im übrigen hatte sie an diesem Montagmorgen besonders gute Laune, also antwortete sie auf seine Frage: »Worauf du wetten kannst, Baby.« Dann huschte sie in mein Büro und setzte sich.
»Äußerst geschäftsfördernd«, meinte ich.
»Was soll’s. Ist doch keiner da.«
»Wie war dein Wochenende?«
»Ich war mit Peter Martinelli zusammen. Ich glaube, ich bin verliebt.«
»Oh, Gott. Wie oft mußtest du dir ›Revanche‹ antun?«
»Ich habe mir während der Vorstellungen die Haare gewaschen.«
»Sehr praktisch. Wann heiratet ihr?«
»Erst kommt die Versteigerung. Dann machen wir uns über die Hochzeit Gedanken.«
»Welche Versteigerung?«
»Wir werden den Anstellsauer versteigern – wie Alan vorgeschlagen hat.«
Am vergangenen Freitag waren Chris und ich zusammen mit Mickey und meinem Freund Rob Burns im Stadttheater gewesen und hatten uns Alan als Milo Tindle in ›Revanche‹ angesehen. Andrew Wyke, den betrogenen Ehemann, der auf Rache sann, spielte der elegante Peter Martinelli, Sproß einer ehemals berühmten Sauerteig-Dynastie. Nach der Vorstellung begleiteten uns Alan und Peter auf ein paar Drinks.
Das Stück inspirierte uns zu S. Holmes, Esq. (besser bekannt unter »The Sherlock Holmes Pub«), einer verschrobenen Kneipe in der obersten Etage des Holiday Inn von Sutter und Stockton. Noch verschrobener als die Kneipe sieht allerdings der Portier des Hotels aus, ein schwerfälliger, älterer Schwarzer in Pelerinenmantel und Jagdmütze.
Die Inneneinrichtung des Pubs besteht aus Plüschsofas und -sesseln, in Vitrinen sind Dutzende von Meerschaumpfeifen ausgestellt, dazu eine sehr gute Reproduktion von der Wohnung des großen Detektivs in der Baker Street. Trotz dieser hinreißenden Ausstattung herrscht dort selten Hochbetrieb. Der Grund dafür ist nicht allzu schwer zu erraten: Die Preise bei S. Holmes, Esq. sind astronomisch. Natürlich war es Kruzicks Idee, und natürlich wußte er, daß wir ihn einladen mußten, um seinen Triumph auf den Brettern zu feiern. So viel zu Kruzick.
Chris und Peter Martinelli saßen nebeneinander, und beide waren offensichtlich recht erfreut darüber. Beide sind groß und schlank, sie ein heller Typ, er dunkel. Ihn kannte ich überhaupt nicht, aber Chris war gerade dabei, sich nach dem Ende einer großen Romanze wieder langsam zu erholen.
Chris und ich nannten ihren ehemaligen Liebhaber immer »den perfekten Mann«. Larry war freundlich, sanft, konnte gut kochen, war ein erfolgreicher Architekt und sah gut aus – was konnte man noch verlangen? »Ein bißchen sehr solide«, sagte Chris nach der Trennung. »Er war so wohlsituiert.«
Larry war etwas älter als wir und wollte heiraten. Chris nicht, und sie dachte, wenn er wirklich perfekt wäre, hätte sie auch gewollt. Also schob sie ihn ab und sah sich nach dem Mann fürs Leben um. Im Moment konzentrierten sich ihre blauen Augen auf Peter Martinelli. Ich beschloß, ihr ein wenig zu helfen.
Ich sah ihn mir an. »Sagen Sie mal, junger Mann«, fragte ich, »sind Sie verheiratet?«
Er schüttelte den Kopf. »Nie gewesen.« Sein Blick fiel auf Chris. »Dabei bin ich eine gute Partie.«
»Kaum zu glauben!«
Er lachte. »Das war ein Witz. Alles, was Sie kriegen können, sitzt vor Ihnen. Ich besitze keinen Penny.«
»Das kannst du mir nicht erzählen«, meinte Kruzick. »Du mußt doch was geerbt haben?«
»Mit dem Namen Martinelli«, sagte Peter, »kriegt man heute noch nicht mal einen anständigen Tisch im Restaurant.«
Die berühmte Martinelli-Bäckerei, die älteste und bei weitem beste der alten Sauerteig-Bäckereien, hatte vor einigen Jahre schließen müssen. Die alte Geschichte. Ein kleines Familienunternehmen, man hatte zu schnell expandiert, kam in eine Wirtschaftsflaute und verschuldete sich zu hoch. Ein paar Jahre nach dem Bankrott kamen die alten Martinellis, Peters Eltern, bei einem Erdrutsch ums Leben. Ganz San Francisco kannte die Geschichte.
»Ach komm«, sagte Kruzick. »Es muß doch wenigstens ein Haus dagewesen sein. Oder Lagerbestände und Wertpapiere.«
»Keine Bestände, keine Wertpapiere. Das Haus hat meine Schwester geerbt.«
»Und du hast gar nichts bekommen?« Kruzick kann unglaublich penetrant sein, aber irgendwie kommt er damit durch.
»Doch, natürlich. Ich hab den Anstellsauer geerbt.«
»Was?«
»Als meine Familie die Bäckerei schließen mußte, hatten sie immer die Hoffnung, irgendwann wieder neu anfangen zu können. Also ließen sie den Anstellsauer einfrieren. Wißt ihr, was Kryogenik ist?«
»Na klar«, antwortete Kruzick. »Aus dem Film ›Der Schläfer‹, wo Woody Allan stirbt und sich einfrieren läßt. Und irgendwann hundert Jahre später wieder auftaut.«
Peter zuckte mit den Schultern. »Das haben sie auch mit dem Anstellsauer gemacht. Vorsichtshalber haben sie ihn von einer Spezialfirma für Kryogenik einfrieren lassen. Zu der Zeit hatten sie noch Lagerbestände und Wertpapiere. Dad dachte, er könnte sie verkaufen und etwas Geld auftreiben, suchte nach Investoren ...« Er zuckte erneut mit den Schultern. »Aber er hat’s nie geschafft.«
»Also hast du den Anstellsauer geerbt.«
»Ja.«
»Und was ist das?« Kruzick kommt aus New York und hat von nichts eine Ahnung.
»Anstellsauer braucht man für den Sauerteig«, erklärte Rob. »San Franciscos berühmtes Sauerteig-Weizenbrot ist Stoff für Mythen und Legenden. Das Martinelli-Brot, innen weich und aromatisch, mit seiner wohlbekannten dicken, dunklen Kruste, der anerkannte Stolz der Bäckereien von San Francisco, ist nun selbst zur Legende geworden.«
»Hey«, unterbrach Peter, »das kenne ich doch! Das stand im ›Chronicle‹, als die Bäckerei geschlossen wurde.«
»Ich weiß. Den Artikel habe ich geschrieben.«
»Aber was ist das, Anstellsauer?« fragte Kruzick wieder.
Rob zitierte weiter aus seinem Artikel: »Die Geschichte des Sauerteigs beginnt in der Zeit des Goldrausches von achtzehnhundertneunundvierzig. Möglicherweise haben die Neunundvierziger ihn mitgebracht, vielleicht haben sie ihn auch hier erfunden. Niemand weiß das genau. Manche Leute behaupten, durch den weichen Nebel der Stadt bekäme das Brot seinen sauren Geschmack, andere sagen, eine spezielle Hefe sei dafür verantwortlich, die sich nur in San Francisco entwickele. Eines ist allerdings sicher – von nichts kommt nichts. Wenn man einen Sauerteig machen will, braucht man Sauerteig.«
»Ich glaube«, sagte Kruzick, »ich kapier’s langsam.«
Rob nickte. »Eine Mischung aus Mehl und Wasser, genannt Anstellsauer oder Grundsauer, ist die Basis für den Brotteig. Jede Bäckerei ›führt‹ ihren Grundsauer mehrmals am Tag, indem sie zu einem Teil des Teigs Wasser und Mehl hinzufügt, dann muß das Ganze gehen und wieder gehen. Dieser Vorgang dauert jeweils sieben Stunden. Und dann kommen die Laibe in den Ofen.«
»Und was ist an diesem Teigklumpen so Besonderes?«
»Es ist einfach dieses undefinierbare Etwas«, sagte Mickey. So wurde sie normalerweise mit Kruzick fertig, indem sie sich so ausdrückte, daß er nichts kapierte.
»Das stimmt tatsächlich«, bestätigte Rob. »Das Brot kann nur so gut werden wie der Anstellsauer.«
»Also gibt es eine spezielle Hefe?« fragte Mickey. »Oder was ist es?«
»Die Legende berichtet, daß die Bäcker die Laibe früher in ihrer Achselhöhle geformt haben«, erzählte Rob. »Dadurch entstand das spezielle Aroma.«
»Hör auf, Märchen zu erzählen.«
»Na ja, es gibt eine spezielle Hefe.« Er wurde wieder ernsthaft. »Man nennt sie Saccharomyces minor, aber die findet man häufig. Die Italiener zum Beispiel verwenden sie für ihre Panettone. Wegen dieser Hefe muß das Brot so lange gehen. Die Wissenschaftler nennen das eine langsame Gärung.«
»Wenn es das auch in Italien gibt«, fragte Chris, »warum bekommt man den Sauerteig dann nur in San Francisco?«
»Weil man außerdem bestimmte Bakterien braucht, die man wirklich nur hier findet. Das ist der Lactobacillus sanfrancisco. Während der langen Gärung bildet sich Zucker, sogenannte Maltose. Durch das Zusammenwirken des Bazillus mit der Maltose entstehen zwei Säuren, siebzig Prozent Milchsäure und dreißig Prozent Essigsäure, und deshalb schmeckt das Brot sauer. Andere Bakterien produzieren nicht soviel Säure, andere Hefearten würden nicht soviel Säure vertragen. Also braucht man beides für den Sauerteig.«
»Also willst du eine Bäckerei aufmachen, Peter?« folgerte Kruzick.
Peter schüttelte den Kopf. »Ich bin ein miserabler Geschäftsmann und bettelarmer Schauspieler, der von den Einkünften aus Werbespots lebt.«
»Wie wäre es, wenn das Theater dir eine Gage zahlte?«
»Seit sie die Subventionen gekürzt haben, kann das Theater noch nicht mal die Parkgebühren erstatten.«
»Wenn jetzt aber jemand eine Stiftung für das Theater gründen würde, aus der die Gagen bezahlt werden könnten? Ich denke da an jemanden, der die Misere des Theaters kennt und es retten will. Sagen wir, einer, der einen hervorragenden Intendanten abgeben würde. Wenn Anton geht, werden wir einen brauchen. Du wärst prima.«
»Ich habe mich schon beworben. Das Problem ist nur, möglicherweise wird es den Job gar nicht geben. Das Theater wird nicht mehr lange durchhalten. An den Gedanken solltest du dich langsam gewöhnen, Alan.«
»Und warum rettest du es dann nicht?«
»Ich habe kein Geld.« Peter zeigte seine leeren Taschen vor. »Wann wirst du mir endlich glauben?«
»Ich dachte daran, daß du den Anstellsauer versteigern könntest.«
Wir waren mittlerweile beim zweiten Drink, und keiner konnte mehr allzu schnell denken. Niemand reagierte.
Endlich brach Peter das Schweigen. »Außer meiner Schwester hat ihn nie jemand haben wollen, und da würde ich ihn schon lieber an die Russen verkaufen.«
»Niemand weiß, wie wertvoll er ist, also müssen wir das deutlich machen. Ich stelle mir das so vor: Wir machen es zum Medienereignis. Rob liefert eine Story über dich und deine Pläne, das Theater zu retten. Du verkündest offiziell, daß du den Anstellsauer versteigern willst, Rob schreibt einen Aufmacher über das berühmte Brot der Martinellis. Und du forderst die Leute auf, mitzubieten.«
Wir starrten ihn an.
»Sie werden scharenweise gerannt kommen.«
»Ich finde die Idee großartig«, meinte Rob. »Ich liebe dieses Sauerteig-Zeug. Ich könnte Tag und Nacht darüber schreiben.«
»Wenn wir dann das Geld haben«, sagte Kruzick, »bauen wir so ein großes neues Theater, und wir werden Gaststars engagieren, zu unserem eigenen Ensemble dazu, für Erstaufführungen von hiesigen Dramatikern.«
»Du kriegst in jedem Stück die Hauptrolle«, ergänzte Mickey. »Weil es deine Idee war.«
Wie ich schon gesagt habe, wir waren beim zweiten Drink. Es ging noch eine Weile so weiter. Wir unterhielten uns großartig und weissagten rosige Zeiten für Alan und Peter. Chris und Peter hörten kaum zu. Sie waren hauptsächlich damit beschäftigt, ihre Redebeiträge durch gegenseitige Berührungen zu betonen. Falls man meine Meinung dazu hören will: Sie hatten nur eines im Sinn.
»Vergiß diese Idee mit der Sauerteig-Auktion, Chris«, sagte ich. »Gestern war Vollmond. Da spinnt man leicht ein bißchen. In ein paar Tagen ist das wieder vorbei.«
»Denk doch mal nach, Rebecca. Wieso eigentlich nicht? Wo ist der Haken? Sag mir nur ein einziges Gegenargument.«
Ich dachte nach. Ich gab mir wirklich Mühe. Und ich fand keine Einwände. »Schlimmstenfalls«, sagte ich, »funktioniert es nicht. Ich meine, vielleicht will niemand bieten.«
»Genau. Und wem würde das schaden? Niemandem. Peter möchte, daß wir alles organisieren. Er ist unser Klient.«
»Er braucht keinen Anwalt, sondern einen Manager oder Finanzberater.«
»Er will uns.«
»Er will dich.«
Sie spielte mit ihrem Haar. »So suche ich mir meine Klienten.«
»Ach, laß das doch. Er will ernsthaft, daß wir die Sache in die Wege leiten?«
»Ja.«
»Dann müssen wir uns wohl von einem Berater beraten lassen.« Ich nahm den Telefonhörer von der Gabel und wählte die Nummer eines Bekannten, der mir noch einen Gefallen schuldete. Er erzählte mir genau, was wir tun sollten, und ich erzählte es Chris. Dann rief ich Rob an, um ihn zu fragen, ob er die Story noch schreiben wolle. Er sagte, er würde zurückrufen. Was er auch tat, fünf Minuten später.
»Der Lokalredakteur ist begeistert«, berichtete er. »Er meint, das sei der beste Aufreißer im ›Chronicle‹ seit der Story mit den Muffins in Scheiben.«
»Muffins in Scheiben?«
»Rebecca, dein Gedächtnis läßt nach. Erinnerst du dich nicht an die Story mit den Schnittmuffins?«
»Kann ich nicht behaupten.«
»Das war 1967.«
»Damals war ich zu jung. Hilf mir auf die Sprünge.«
»Es gibt nichts Schlimmeres, als ein aufgeschnittenes English Muffin, falls du dir das vorstellen kannst. Man muß sie auseinanderreißen, damit man eine hübsch unebene Fläche mit riesigen Kratern hat, wo die Butter reinlaufen kann.«
»Ja und?«
»Und der hiesige Muffins-Hersteller hat damit angefangen, sie in Scheiben zu schneiden. Wir hatten das eine Woche lang auf der Titelseite. Die heißeste Geschichte seit ›Eine ganze Stadt muß Spülwasser trinken‹.«
Daran erinnerte ich mich – oder wenigstens erinnerte ich mich, davon gehört zu haben, denn zu der Zeit trieb ich mich noch auf den Spielplätzen herum. Der ›Chronicle‹ hatte darüber berichtet, daß in den Restaurants der Stadt miserabler Kaffee serviert wurde. Das war alles – die ganze Story. Sie verbreitete sich wie ein Lauffeuer und wurde zum Skandal des Jahrzehnts. Soviel zu San Francisco und seiner Morgenzeitung. Kein Wunder, daß der Lokalredakteur wegen des Sauerteigs Freudentänze aufführte.
Die Story kam am nächsten Tag, auf der oberen Hälfte von Seite eins in einem Schlangenlinien-Kasten. Der Artikel war illustriert mit einem Foto, über drei Spalten, von einem Sauerteigbrot. Das Brot war aufgebrochen, man sah den Kontrast zwischen der berühmten dunklen Kruste und dem lockeren Inneren, so daß jedem Betrachter das Wasser im Mund zusammenlief. Ich wette, an diesem Tag aß die ganze Stadt Sauerteigbrot zu Mittag, und wer mittags keins hatte, aß es zum Dinner. Allerdings ernährte man sich in San Francisco fast jeden Tag so. Sauerteig mit frischem Lachs. Sauerteig mit Shrimp Louie, Chefsalat, Pasta, Petrale Sole. Hamburger im Sauerteigbrötchen. Meine Gedanken wanderten, im Geiste gratulierte ich Mr. Lokalredakteur. Das war besser als Schnittmuffins. Möglicherweise die beste Story seit dem Erdbeben.
Peter klang in Robs Artikel sehr naiv und charmant. Er erzählte die Geschichte der Martinelli-Bäckerei herzergreifend, bis hin zum tragischen Tod von Mom und Dad Martinelli, und beschrieb den jungen Peter als sensibles Kind, das sich nicht für das Geschäft interessierte, sehr zum Kummer seiner Eltern. Er hatte künstlerische Ambitionen, seine Lehrer erkannten sein Talent, aber die Eltern taten alles Menschenmögliche, um es zu unterdrücken und einen Bäcker aus ihm zu machen. Nach dem Tod von Mom und Dad hatte Peter wahnsinnige Schuldgefühle, aber, wie er selbst sagte: »Davon wird mein Geschäftssinn nicht besser.« Also verfolgte er weiter seine Schauspieler-Karriere. Rob zitierte drei oder vier Lokalerfolge und ein paar Filme, in denen er mitgespielt hatte. Die Story endete so:
»›Ich weiß nicht, ob irgend jemand wirklich daran interessiert wäre, einen gefrorenen Teigklumpen zu kaufen‹, sagte Martinelli. ›Aber ich dachte, man kann es ja versuchen. Wenn nicht von irgendwoher Geld kommt, muß das Stadttheater schließen, und ich denke doch, daß es bisher eine kulturelle Bereicherung für die Stadt gewesen ist. Also dachte ich, ich versuche es einfach. Wenn jemand bieten möchte, kann er sich an meine Anwältin, Chris Nicholson, wenden. Ich glaube zwar nicht daran, aber es könnte ja sein.«‹
Wirklich überzeugend war der Artikel nicht. Ich fand nicht, daß diese »Was soll’s«-Haltung besonders gut zu Peter Martinelli paßte, und ich mochte es nicht, wenn Schauspieler im wirklichen Leben Rollen spielten. Aber Chris las den Artikel mit Tränen in den Augen. »Rob hat ihn wirklich grut getroffen«, meinte sie. »Ich kann ihn fast hören, wie er das sagt. Ihm stehen so viele Wege offen, und trotzdem ist er so anspruchslos und bescheiden. Anscheinend kann er sich nicht vorstellen, daß wenigstens eine Sache einmal gut ausgeht für ihn.«
»Vielleicht täusche ich mich ja.«
»Du hast ihn nach der Vorstellung gesehen, als er in Hochstimmung war. Eigentlich ist er ein lieber, eher unsicherer Mensch.«
»Das sagt Mickey über Kruzick auch.«
Chris legte einen ihrer langen Finger an die ebenfalls lange Nase, ein sicheres Zeichen dafür, daß sie sich aufregte. »Hör mal, du mußt nicht ...«
»Entschuldige. Der Typ hat mir gefallen. Ehrlich. Ich dachte bloß, daß er in dem Interview ein bißchen dick aufgetragen hat.«
»Du kennst ihn nicht.« Sie ging in ihr Büro. Ich wußte nicht, ob er der Mann fürs Leben war, aber offensichtlich hatte es sie schwer erwischt.
Rob schrieb während der nächsten Tage noch weitere Artikel über die Auktion, und bei uns meldeten sich vier Interessenten. Wir planten »Die große Sauerteig-Auktion«, wie sie den Lesern des ›Chronicle‹ vorgestellt wurde, für den folgenden Dienstag, zwölf Uhr, in den Geschäftsräumen von Nicholson und Schwartz. Montagabend waren Chris, Rob und ich bei Peter zum Dinner eingeladen.
Er wohnte in einem Zweizimmer-Apartment in einem dieser heruntergekommenen Häuser, die in San Francisco so zahlreich sind und die man nur äußerst ungern betritt, weil der Teppichboden im Treppenhaus stinkt und niemand es offenbar für nötig hält, mit dem Staubsauger darüber zu gehen. Peters Apartment hatte hohe Wände, die frisch gestrichen waren, mit avocadogrüner Hochglanzfarbe. Die Einrichtung bestand aus Korbmöbeln vom Cost Plus Kaufhaus, aber er hatte sie dunkelrot lackiert und Kissen mit Paisley-Muster dafür nähen lassen. Den stinkenden Teppichboden, der wahrscheinlich zu dem Apartment gehörte, hatte er rausgerissen, den Fußboden braun gestrichen und braun-weiße Baumwollteppiche überall ausgelegt. Ein paar hübsch gerahmte Kohlezeichnungen hingen an den Wänden.
Es war ein ungewöhnlich elegantes Apartment, das offensichtlich fast nichts gekostet hatte. Ich begann, Peter für einen fähigen jungen Mann zu halten, und auch das Essen überzeugte mich davon. Er servierte selbstgemachte Fettucine mit selbstgemachter Pesto, Endiviensalat mit Brunnenkresse, und auch das Ananassorbet hatte er selbst zubereitet.
Vielleicht war Chris auf dem richtigen Weg. Die beiden hatten jede freie Minute zusammen verbracht, seit sie sich zum ersten Mal begegnet waren, also dachte sie vielleicht dasselbe.
Die Interessenten hatten Robs Anwesenheit bei der Auktion genehmigt, und er hoffte auf Interviews nach der Versteigerung, brauchte aber einige Hintergrundinformationen über die Bewerber. Das war der offizielle Anlaß für das Dinner – Rob auf den neuesten Stand zu bringen.
Rob kam nach dem Essen zum Geschäftlichen. »Also«, sagte er und zückte sein Notizbuch, »wer sind die Bieter?«
Chris war schneller als Peter. »Alle, die was zu sagen haben.«
»Und das wären?«
»Robert Tosi«, sagte Peter.
»Von der Tosi-Bäckerei? Wow!« Rob war aus gutem Grund beeindruckt. Als die Martinelli-Bäckerei schließen mußte, wurde der Tosi-Laib zum Brot der Wahl. Die meisten alteingesessenen Restaurants kauften Tosi-Brot, während einige von den neueren, schickeren ihr Brot von den neueren, schickeren Bäckereien bezogen.
»Wer noch?« fragte Rob.
»Tony Tosi.«
»Moment mal. Gibt es zwei Tosi-Bäckereien?«
»Wenn man’s genau nimmt, ja. Tony gehört die Palermo Bäckerei.« Das war die älteste und etablierteste Bäckerei des neuen Sauerteig-Imperiums.
»Sind Tony und Bob miteinander verwandt?«
»Brüder.«
»Du machst wohl Witze.«
»Die Geschichte ist noch besser, als du denkst. Sie sind harte Konkurrenten. Reden kaum miteinander.«
»Kennst du sie?«
»Wir sind zusammen aufgewachsen. Ihr Vater hat bei meinem Vater gearbeitet, bis er seine eigene Bäckerei aufgemacht hat.«
»Das ist kein schlechter Stoff.«
»Es kommt noch besser. Der nächste Bieter heißt Clayton Thompson.«
»Wer ist das?«
»Conglomerate Foods aus New York – der Verein mit den Tiefkühlkuchen und Pasteten – haben ihn hierhergeschickt. Sie wollen Tiefkühlsauerteig vermarkten.«
»Ich glaub, ich bin gestorben, und das hier ist der Himmel. Die beiden führenden Bäckereien, Bruder gegen Bruder, und ein menschenfressender Koloß aus New York.«
Wenn Chris dazu in der Lage wäre, hätte man ihr den Triumph angesehen. Aber bei einer Patriziertochter aus Virginia war mehr als ein zufriedener Blick nicht drin. Peter strahlte wie ein kleiner Junge, der ein neues Fahrrad bekommen hat.
»Der Vierte ist nicht so aufregend«, sagte ich. »Eine Dame aus Sonoma.«
»Oh, ein Parvenü aus der Provinz – und noch dazu eine Dame. Hoffentlich ist sie fotogen.«
Peter zuckte mit den Schultern. »Wenn man klein und blond mag, ist sie in Ordnung.«
Chris hat die zarte Haut blonder Frauen, aber ihr Haar ist hellbraun, und sie ist einsachtzig groß. Eine feinfühlige Bemerkung also, bei der Peter ihre Hand ergriff.
»Wie heißt sie?« fragte Rob.
»Sally Devereaux. Von der Plaza-Bäckerei.«
»Nie gehört. Weiß jemand was darüber?«
»Das Brot ist hervorragend«, sagte Peter.
»Hervorragend?«
»Phantastisch.«
»Wozu braucht sie dann den Anstellsauer?«
»Woher soll ich das wissen? Wieso braucht ihn überhaupt irgend jemand? Ich habe nie kapiert, was das Ganze soll.« Er stand auf und holte ein Tablett mit Cognacschwenkern und einer Flasche. »Der ist für besondere Anlässe«, sagte er und verteilte die Gläser, als es klingelte.
Er ging zur Sprechanlage.
»Sally Devereaux«, sagte die Stimme im Lautsprecher. Peter drückte den Türöffner, kam zurück und verteilte die restlichen Gläser. »Ich schätze«, sagte er, »wir können sie gleich selbst fragen, wozu sie den Anstellsauer braucht.«
Sally Devereaux war nicht nur blond, sondern auch sehr blaß. Sie trug Jeans und einen pinkfarbenen Pullover in Übergröße. Er saß hauteng.
Sie war klein, wie Peter gesagt hatte, und übergewichtig, obenherum etwas ausladend. Sie hatte kurzes, lockiges Haar. Ein sanfter, weicher Typ. Und im Moment sehr verängstigt.
Tränen liefen ihr übers Gesicht, als sie bemerkte, daß Peter Besuch hatte. »Oh, tut mir leid, Peter. Ich wußte nicht ...«
»Das macht nichts.« Eigenartigerweise strich er ihr über den Rücken. »Ist schon in Ordnung.« Auf ein Zeichen von Peter schenkte Chris ihr ein Glas Cognac ein. »Setz dich.«
Peter stellte uns vor. In der Zwischenzeit hatte Sally sich wieder etwas gefaßt. »Sie sind alle wegen der Auktion hier?«
Wir nickten.
»Ich bin gerade am Telefon bedroht worden. Jemand rief an und sagte, ich solle nicht mitbieten.«
Rob richtete sich im Sessel auf. Manchmal hat er eine seltsame Art, Leute anzusehen – als ob sie alle in seinen Storys mitspielten und gar nicht real wären. Ich fand das beunruhigend. »Ein Mann oder eine Frau?« fragte er.
Sally schauderte. »Eine von diesen Flüsterstimmen. Peter, ich kann das nicht. Ich kann das nicht tun. Ich kann einfach nicht.« Bei jedem »kann« hob sie die Stimme.
»Ist schon gut«, sagte Chris. Sie deutete auf Sallys Glas. »Ich denke, der Cognac wird Ihnen guttun.« Sally trank in kleinen Schlucken, war aber immer noch sehr blaß.
»Was hat die Stimme gesagt?« fragte Rob.
»Sie sagte: ›Du weißt, wer hier spricht. Steig aus, oder es könnte dir etwas zustoßen.‹ Und dann legte sie auf. Das heißt, er legte auf.«
Rob rückte noch etwas näher. »Sie wissen also, wer es war?«
»Natürlich.« Sie sah Peter an. »Sie waren es. Es muß so sein. Der Himmel weiß, was sie tun würden. Sie sind daran gewöhnt. Sie sind damit groß geworden.«
»Wer?« fragte Rob, aber Peter bedeutete ihm zu schweigen.
»Sally«, sagte er sanft, »du machst dich lächerlich. Ich hoffe, du denkst über die Auktion noch einmal nach.« Er stand auf, um ihr zu signalisieren, daß sie gehen sollte.
Sie erhob sich ebenfalls und ging auf Peter zu. »Aber ...«
Er legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Ich bin sicher, es war nur Unfug. Ich hoffe, daß du morgen kommst.«
Er brachte sie zur Tür und klopfte ihr zum Abschied auf den Rücken. Die ganze Sache sah verdächtig oberflächlich aus. Ich dachte, wenn Peter wirklich so anständig war wie Chris glaubte, dann wußte er mehr über Sally als wir.
Er sah verlegen aus, als er zurückkam. »Sie hat davon erzählt, als sie wegen der Auktion anrief«, sagte er. »Sie hat so eine verrückte Befürchtung wegen der – entschuldigt, ich gehe wohl besser dran.«
Peter nahm den Hörer vom Telefon. »Guten Abend, Mr. Thompson.« Er hörte eine Weile zu, dann beruhigte er Thompson wegen irgend etwas und legte auf. »Clayton Thompson ist auch angerufen worden. Er tippt auf irgendwelche Gangster.«
»Glaubt Sally das auch?« fragte Rob.
»Sally meint, alle Italiener seien mehr oder weniger Verbrecher.« Er zuckte mit den Schultern. »Es ist verrückt.«
»Das heißt«, sagte Rob, »sie glaubt, es war einer von den Tosis?«
»Ja, aber das ist absurd.« Peter regte sich ziemlich auf. »Wir sind zusammen aufgewachsen. Sie sind seriöse Geschäftsleute.«
»Peter«, warf Chris ein, »ein Wahnsinniger mag eine Person anrufen, es sind aber zwei bedroht worden. Jemand versucht, die Auktion zu verhindern.«
Er zuckte wieder mit den Schultern und sah frustriert aus.
Chris sprach sehr langsam, als ob sie sich vor dem nächsten Satz fürchtete. »Es kann nur Anne sein.«
Rob starrte sie an. »Wer ist Anne?«
»Meine Schwester«, antwortete Peter, »die den Anstellsauer nicht geerbt hat.«
Offensichtlich kam Rob nicht mit.
»Sie wollte den Teig«, sagte Peter, »und ich wollte das Haus. Aber unsere Eltern waren anderer Meinung. Sie hat die Hoffnung nie aufgegeben, die Bäckerei wieder zu eröffnen.«
»Außerdem«, ergänzte Chris, »hat sie ihn gebeten, die Auktion abzusagen.«
»Was für einen Unterschied macht das schon?« Peter schrie förmlich. »Anne wird niemandem etwas antun. Und die Tosis auch nicht. Es gibt gar keinen Grund, hysterisch zu werden.«
»Ich finde«, sagte ich, »wir sollten die Polizei anrufen.«
Peter nahm den Hörer ab und wählte. Aber er rief nicht bei der Polizei an. »Bob? Peter Martinelli. Nur eine Frage – ist heute abend irgend etwas Ungewöhnliches passiert?«
Nachdem er aufgelegt hatte, wandte er sich uns wieder zu. »Bob ist auch angerufen worden und hat sich nicht darum gekümmert. Dann rief sein Bruder an und sagte, er sei bedroht worden. Und er verdächtige Bob, der Anrufer zu sein.«
»Ich glaube wirklich ...« weiter kam ich nicht.
»Laßt uns für heute Schluß machen«, meinte Peter. »Wir sehen uns morgen um zwölf.«
Chris machte ein gekränktes Gesicht. Er strich ihr beruhigend über das Haar. »Du nicht. Du bleibst hier.«
Chris kam am nächsten Morgen später, gegen zehn, ich hatte gerade Besuch von einem Klienten. Wir waren beide an diesem Morgen sehr beschäftigt und kamen nicht dazu, vor der Auktion miteinander zu reden. Rob tauchte um Viertel vor zwölf auf. Wir gingen zusammen in Chris’ Büro, um ihr beim Aufstellen der Stühle zu helfen und Kaffee zu kochen – Kruzick hatte morgens welchen gemacht, aber den konnte man niemandem anbieten. Um kurz vor zwölf erschien er an der Tür und teilte uns mit, daß Clayton Thompson da sei.
Thompson war ein schmächtiger Typ mit schütterem Haar und einem starken Südstaaten-Akzent. Er kam aus North Carolina. Chris schien ihm zu gefallen, und ihr Akzent kam deutlicher zum Vorschein, wenn sie sich mit ihm unterhielt. Rob und ich hörten nur zu, während sie »sich miteinander bekannt machten«, was in ihrer Sprache bedeutet, daß sie »höflich Konversation betrieben«.
»Wie lange waren Sie in New York, Mr. Thompson?«
»Oh, vielleicht sieben oder acht Jahre. Vorher waren wir in Atlanta, meine Frau und ich. Dann meinte die Firma, wir sollten umziehen, also zogen wir um.«
»Haben Sie Kinder?«
»Zwei Jungs. Ich habe ein paar Fotos dabei, falls Sie sie gerne sehen würden.« Chris meinte, daß wir uns natürlich darüber freuen würden, also zeigte er uns zwei niedliche Flachsköpfe.
Irgend etwas an ihm war seltsam, gut kaschiert durch sein lockeres Auftreten. Ich konnte nicht genau sagen, was es war, aber ich fragte mich, ob sein Job auf dem Spiel stand, wenn er den Anstellsauer nicht bekam.
»Mr. Robert Tosi wünscht Sie zu sprechen«, annoncierte Kruzick.
Tosi betrat das Zimmer. Er war dunkel, stämmig, und irgend etwas in seinen Augen mochte ich, aber auch das konnte ich nicht genau definieren. Er trug khakifarbene Hosen, ein Sporthemd ohne Krawatte und ein altes Cordjackett. Von dem Outfit war ich nicht begeistert, wegen des schlechten Beispiels für Kruzick, der dazu neigte, Robs Bekleidungsstil zu kopieren. Daß Reporter immer in alten Cordjacketts herumlaufen, mag ja völlig in Ordnung sein, aber ich finde, daß in Anwaltsbüros etwas mehr Würde angebracht ist. Kruzick ist da anderer Ansicht.
Trotz seiner Vorliebe für nachlässige Kleidung hatte Tosi einen festen Händedruck und ein nettes Lächeln. Er setzte sich, schlug die Beine übereinander und begann mit Thompson zu plaudern.
»Sind Sie zum ersten Mal hier?«
»Ja. Die Stadt gefällt mir sehr gut.«
»Sie sollten einen Ausflug in die Weingegend machen – ein bißchen frische Luft schnappen.«
Thompsons Blick erinnerte etwas an ein Schaf. »Ich fürchte, ich habe nicht genug Zeit dazu.«
»Was haben Sie denn bis jetzt gesehen?«
Thompson errötete. »Ach – nicht viel. Nob Hill, das ist eigentlich alles. Ich wohne im Stanford Court.« Er wußte nicht mehr, was er sagen sollte. Es war merkwürdig, vor wenigen Minuten war er noch so höflich und ungezwungen aufgetreten.
Ich nahm an, daß Tosis Anwesenheit ihn aus dem Konzept gebracht hatte. Dieser Mensch schien irgendwie den ganzen Raum auszufüllen. Sein überschäumendes Selbstvertrauen wirkte nicht unbedingt einschüchternd – auf mich jedenfalls nicht –, konnte aber einen Mann wohl leicht verunsichern. Jedenfalls dann, wenn dieser Mann vorhatte, in einem dicken Geschäft gegen ihn anzutreten.
Ich fragte mich, wieviel Geld wohl den Besitzer wechseln würde. Chris glaubte, daß eine halbe Million Dollar drin sein könnte.
Kruzick brachte Sally Devereaux herein. Sie trug ein beigefarbenes Kostüm und eine helle Bluse mit einer Schleife. Die Absätze ihrer albernen Sandaletten waren zehn Zentimeter hoch. Ihr Gesicht hatte wieder Farbe, die rosa Wangen machten sie ziemlich attraktiv.
Tosi erhob sich und ging auf sie zu, als ob er sie küssen wollte. Sie trat zurück und reichte ihm die Hand.
»Du siehst gut aus, Sally.«
»Bob«, sagte sie und nickte.
Scheinbar verunsicherte er auch sie ein bißchen. Abrupt wandte sie sich Thompson zu und strahlte ihn an.
»Von Ihrer Bäckerei habe ich nur Gutes gehört«, sagte er.
»Ich habe sie erst vor ein paar Jahren eröffnet, möchte mich aber gern vergrößern. Ich glaube, mein Brot ist wirklich gut.«
»Ich werde es bald mal probieren müssen«, sagte Tosi. »Willst du damit sagen, daß du das noch nicht getan hast?« Sally klang empört.
Er sah verwirrt aus, als ob er sich zu erinnern versuchte. »Ich glaube eigentlich nicht ...«
»Du weißt es nicht mehr?«
Er hob seine breiten Schultern. »Sauerteig schmeckt eigentlich immer wie Sauerteig.«
Sally antwortete nicht. Sie kochte.
Tony Tosi trat ein. Er war kräftig, wie sein Bruder, und beide hatten das gleiche, breite Kinn, aber sein Haar lichtete sich bereits. Der Unterschied ließ sich nicht genau beschreiben, aber ich vermutete, daß Bob der erfolgreichere von beiden war. Außerdem kleideten sie sich unterschiedlich. Toni trug einen Anzug mit sämtlichen Gucci-Accessoires, die man kriegen konnte.
»Bob«, sagte Toni, »Sally.«
