Die Scherben von Nirma - Eine neue Welt - Alena N. Beek - E-Book

Die Scherben von Nirma - Eine neue Welt E-Book

Alena N. Beek

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Beschreibung

Spannendes Abenteuer- und Fantasybuch voller Rätsel und Magie 2.Abenteuer, 1.Teil Die Welt Nirma schwebt in größter Gefahr. Ehawee und Fred brauchen ein Jahr nach ihrem ersten fantastischen Abenteuer wieder die Hilfe ihrer menschlichen Freunde. Die einzige Möglichkeit, die nirmanische Welt zu retten, soll sich auf Zanano befinden. Der Kontakt dorthin ist bereits vor tausenden Jahren verloren gegangen und niemand weiß, was sie dort erwarten wird. Gemeinsam wagen die Freunde den Sprung ins Ungewisse. Doch die Wahrheit über diese Welt übersteigt ihre kühnsten Erwartungen.

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Seitenzahl: 298

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Das Buch:

Unerwartet erhalten George, Charlie, Fatma, Madu und Sying auf der Erde Besuch von ihren nirmanischen Freunden Ehawee und Fred. Erneut müssen sie die fantastische Welt Nirma, auf der sie vor einem Jahr ein unglaubliches Abenteuer erlebt haben, vor dem Untergang retten. Die einzige Chance dazu soll sich auf Zanano, dem Schwesterplaneten Nirmas, befinden. Doch die unbekannte Welt hat viele Geheimnisse. Was bedeutet der Konflikt zwischen hellen und dunklen Zananern für die Freunde? Was verbirgt sich in der Verbotenen Zone? Kann das Orakel den entscheidenden Hinweis liefern? Am Ende ist klar: Um ihr Ziel zu erreichen, müssen sie in die Zentrale der Dunklen, die Residenz.

Die Autorin

Alena N. Beek, geb. 1974, lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Mönchengladbach-Wickrath. Ursprünglich wollte sie die spannende Abenteuer- und Fantasiegeschichte nur für ihre Kinder schreiben. Erst später kam der Gedanke an eine Veröffentlichung.

Für meinen Mann!

Danke, dass du so vieles möglich machst!

Folgende Bände sind bereits erschienen:

1. Die Scherben von Nirma/Die Suche

2. Die Scherben von Nirma/Die Entscheidung

3. Die Scherben von Nirma/Eine neue Welt

Die Bände »Die Suche« und »Die Entscheidung« sind zuerst unter den Titeln »Die Scherben des Schicksals/Die Suche« und »Die Scherben des Schicksals/Die Entscheidung« mit anderen Covern erschienen. Mit der Veröffentlichung des dritten Bandes wurden sie umbenannt.

Demnächst:

Die Scherben von Nirma/Die Spiele von Zanano

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Spannungen

England

Überraschender Besuch

Nirmas Untergang

Der tollkühne Plan

Blinde Passagiere

Berlin

Der Pergamonaltar

Eine neue Welt

Das Dorf Zan

Hell gegen dunkel

Neue Eindrücke

Alltag

Zananos Geschichte

Das geheime Wissen

Heimliche Gäste

Eine unerwartete Entdeckung

Zählung

Gerim

Das Orakel

Unterwegs

Neugier

Erntezeit

Das Refugium

Das Kelpie

Das Bild im Bild

Kelpiepflege

Erkenntnisse

Das letzte Bild

Die dunkle Feier

Die Verbotene Zone

Monte Foram

Gejagt

Konars Grab

Die Verlorenen

Gefangen

Torke

Gefährliche Rutschpartie

Das halb erfrorene Dorf

Eiszeit

Vierfache Spiegelung

KirMön

Das doppelte Zeichen von Zanano

Der Tüssler

Und jetzt?

Die wichtigsten Personen und Tiere

Zu guter Letzt

Prolog

Gerzin schaute besorgt aus dem Fenster seines Turms. So gerne wollte er sich einbilden, dass noch alles grün und lebendig auf Nirma war. Er konnte kaum glauben, dass das erst zwei Tage her war. Zwei Tage, als niemand eine Ahnung von dem bevorstehenden Unheil hatte.

Traurig blickte er auf das kleine Stück Wiese direkt vor dem Turm. Dieses grüne Büschel war das letzte Überbleibsel des einstigen Nirmas. Hob er seinen Blick nur ein wenig, zeigte sich ihm ein ganz anderes Bild: Eine riesige Sumpflandschaft, die das meiste Leben verschlungen hatte, erstreckte sich über den gesamten Planeten bis zu seinem Turm. Dieser war der letzte Platz des alten Nirma!

Und auch diesen gab es nur noch, weil er eine telepathische Warnung von Aria erhalten hatte. Dank dieser Nachricht und Arias Stern, den sie ihm geschickt hatte, konnte er im letzten Moment einen Schutzwall hochziehen und diesen Turm retten.

Doch lange würde er diesen Wall nicht mehr aufrechterhalten können. Zu stark waren die zerstörerischen Kräfte, die auf ihn einwirkten. Zu groß war die dunkle Macht, die dahinterstand. Eine uralte Kraft, an deren Wiedererwachen er die Schuld trug. So sehr Gerzin die Verantwortung von sich schieben wollte, wusste er, dass sein Verhalten die Ursache dafür gewesen war. Dabei hatte er es nur gut gemeint. Als Weiser von Nirma sollte er seine Welt doch beschützen und nicht für ihren Untergang verantwortlich sein. Er spürte deutlich die Risse, die den Schutzwall durchzogen. Sie wurden immer größer. Er würde nicht mehr lange standhalten.

»Es wird Zeit, Gerzin!«, drang Ehawees Stimme an sein Ohr, fast so, als hätte sie seine Gedanken gehört. Obwohl sie sanft sprach, zuckte Gerzin zusammen. Kurz schloss er die Augen und atmete tief durch, bevor er sich zu seiner Assistentin umdrehte. Die Arborianerin, die aus dem Mystix-Wald auf Nirma stammte, war seit einigen Monaten seine Gehilfin.

Wieder erstaunte es ihn, wie sehr sie sich im vergangenen Jahr verändert hatte. Nicht nur körperlich war unverkennbar, dass Ehawee langsam zu einer jungen Frau heranwuchs. Auch in ihrem Gesicht und in ihren Augen spiegelte sich eine gewisse Ernsthaftigkeit wider. Das Wissen um uralte Geheimnisse, andere Welten und nicht zuletzt die vergangenen beiden Tage hatten ihre Spuren hinterlassen. Dabei wusste sie erst einen Bruchteil der Dinge, die er ihr beibringen wollte. Doch das musste warten. Ob er je die Gelegenheit dazu bekommen würde, hing davon ab, ob Ehawees Mission erfolgreich war. Aber sie hatte recht, die Zeit drängte jetzt. Er öffnete das Portal in eine fremde Welt – genau wie vor einem Jahr.

»Es ist schon komisch«, wandte Gerzin sich an Ehawee. »Als ich dieses Portal das letzte Mal geöffnet habe, bedeutete dies unsere letzte Hoffnung. Und nun ist es schon wieder so. Auch wenn die Gefahr diesmal eine ganz andere ist, geht es erneut um die Rettung unserer Welt.« Er räusperte sich nervös. »Hast du die Tasche? Weißt du auch genau, was zu tun ist?«

Wäre die Lage nicht so ernst gewesen, hätte Ehawee genervt mit den Augen gerollt. Schließlich hatten sie die vergangenen Stunden nichts anderes getan, als den Plan immer und immer wieder durchzusprechen. Sie hätte ihn nicht mehr vergessen können, selbst wenn sie es gewollt hätte.

Stattdessen begnügte sie sich mit einem kurzen: »Ich weiß Bescheid und ich werde es schaffen.«

Ein protestierendes Geräusch aus ihrer Tasche ließ sie ihre Worte sofort korrigieren. »Entschuldige, Fred. Ich meine natürlich, wir werden es schaffen.« Dabei knuffte sie leicht gegen die Tasche, aus der Fred: »Das will ich auch hoffen«, brummelte.

Schwungvoll setzte sie sich auf den Rand des Beckens. »Und du willst wirklich nicht mitkommen?«

Jetzt war es an Gerzin zu seufzen. »Das haben wir doch schon diskutiert. Damit wir das Unheil nicht noch in eine andere Welt bringen, muss ich das Portal direkt nach euch vollständig verschließen. Und das kann ich nur von hier aus.«

Er nahm seinen Stern ab und reichte ihn der Arborianerin, die abwehrend die Hände hob. »Den Stern kann ich nicht annehmen, dann bricht der Schutzwall sofort zusammen.«

»Ob das jetzt, in wenigen Minuten oder morgen passiert, spielt keine Rolle mehr. Aber euch wird er gute Dienste leisten und bei eurer schwierigen Aufgabe helfen.«

Ehawee öffnete den Mund, schloss ihn dann aber wieder, ohne dass ein Laut über ihre Lippen gekommen war. Der Weise von Nirma hatte recht. Daher neigte sie ihren Kopf ein wenig nach vorn und ließ sich den Stern von ihm umhängen. »Wir werden uns wiedersehen.« Sie blickte Gerzin ein letztes Mal fest in die Augen, als sie ihre Worte wie einen Schwur klingen ließ. Dann glitt sie, ihre Tasche an sich gedrückt, in den Wirbel des Portals. Im selben Moment, in dem sie aus dem Blickfeld des alten Mannes verschwand, ertönte ein lautes Krachen. Der Schutzwall brach donnernd zusammen. Gerzin konnte das Portal gerade noch versiegeln, als der Schlamm über ihn hereinbrach. Unter dem Lachen der Sumpfhexe verschlang er den Weisen und den Turm. Die letzte Festung des alten Nirmas.

Spannungen

Hey George, du solltest vielleicht als Levitaner gehen. Ich hätte da noch ein todschickes neongelbes Hemd und eine knallrote Hose. Nicht zu vergessen, ein paar Federn als Kopfbedeckung.« Madu lachte laut auf bei der Vorstellung und kugelte sich, den Bauch haltend, von einer Seite des Bettes zur anderen. Dabei blitzten seine strahlendweißen Zähne auf.

Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte George bei der Anspielung auf sein farbenfrohes Outfit bei den Levitanern in Madus Lachen eingestimmt. Im Moment jedoch hätte seine Stimmung nicht weiter davon entfernt sein können. Missmutig warf er sein Halloweenkostüm auf sein Bett und starrte düster vor sich hin. Er hatte keine Lust auf blöde Witze, Verkleidungen oder diese dämliche Halloweenparty.

»Ich brauche kein Kostüm, weil ich nicht zu der Party gehe.« In seiner Stimme schwangen Wut und Traurigkeit mit.

»Ach komm schon. Das wird bestimmt lustig«, versuchte Madu seinen Freund aufzumuntern. Im Gegensatz zu diesem freute Madu sich riesig. »Es ist meine erste und wahrscheinlich auch einzige Halloweenfeier. Schließlich bin ich nur für ein Austauschsemester in England. Bitte, George, gib dir einen Ruck.«

»Es tut mir leid, Madu, aber … es ist nur ... ich wünschte, mit Charlie und mir wäre wieder alles in Ordnung.«

Charlie machte ebenfalls ein Austauschsemester an seiner Schule in der Nähe von London. So war der Kontakt zwischen ihnen und auch zu Fatma und Sying viel einfacher geworden. Von England aus konnten sie regelmäßig mit Fatma, die sich mittlerweile mit ihrer Familie als Flüchtling in Deutschland aufhielt, skypen. Selbst mit Sying, der mit seinem Zirkus durch viele Länder reiste, konnten sie sich häufig austauschen. Glücklicherweise war ihnen die Fähigkeit, einander zu verstehen, nach ihrer Rückkehr zur Erde erhalten geblieben.

Die fünf Teenager hatten sich im vergangenen Jahr unter abenteuerlichen Umständen kennengelernt. Nachdem jeder von ihnen eine Scherbe gefunden hatte, waren sie auf der fantastischen Welt Nirma gelandet, die sie vor dem Untergang retten mussten. Dabei mussten sie lernen, als Team zusammenzuarbeiten und sich gegenseitig zu vertrauen. Das war gar nicht so leicht gewesen, da sie nicht nur ein paar Jahre Altersunterschied untereinander, sondern auch kulturelle Unterschiede überwinden mussten. Ihr jeweiliger bisheriger Lebensweg war aus verschiedenen Gründen nicht einfach gewesen, sodass ihnen besonders Vertrauen nicht leichtfiel.

So hatte der fünfzehnjährige George aus England, obwohl er der Sohn eines Lords war, unter Mobbing zu leiden und keine Freunde. Die dreizehnjährige Charlie aus Amerika war nach dem Tod ihrer Eltern obdachlos geworden, während die gleichaltrige Fatma aus dem Mittleren Osten als Flüchtling in einem Auffanglager unterkam. Der elfjährige Sying aus China verlor wegen einer Augenerkrankung langsam sein Sehvermögen und der elfjährige Madu aus Afrika lebte nach dem Tod seiner Eltern in einem Kinderdorf.

Doch trotz ihrer Unterschiede hatten sie gelernt, sich aufeinander zu verlassen, und waren enge Freunde geworden. So hatten sie mithilfe ihrer nirmanischen Verbündeten Nirma retten können. Der Zusammenhalt zwischen ihnen war auch nach ihrer Rückkehr zur Erde geblieben. Bis vor drei Tagen war alles perfekt. Und dann das!

»Ich verstehe nur nicht, warum sie so einfach mit mir Schluss macht. Da haben wir so viel miteinander erlebt, vor allem auf Nirma, und dann wirft sie wegen einer so unbedeutenden Kleinigkeit alles weg.« George setzte sein typisches – wie Madu es heimlich nannte – arrogantes, englisches Snobgesicht auf, während er sich eine Locke seiner etwas zu langen Haare aus der Stirn strich.

»Na ja, so unbedeutend war der Kuss mit Anne für Charlie wahrscheinlich nicht.« Madu blickte seinen Freund mitfühlend an. Er wollte ihm so gerne helfen, aber er konnte Charlie verstehen. Leider erkannte George nicht, wo das Problem lag.

»Ich habe sie nicht geküsst«, protestierte George. Unzählige Male hatte er diesen Satz schon zu Madu gesagt. »Anne hat mich geküsst. Sie ist neben mir gestolpert, ich habe sie aufgefangen und dann hat sie mich geküsst. Genau in dem Moment, als Charlie um die Ecke gebogen ist. Das war einfach Pech. Sie gibt mir überhaupt keine Gelegenheit, die Sache richtigzustellen.« George ließ sich rücklings auf sein Bett fallen. Er vergrub sein Gesicht in den Händen. Er konnte nicht glauben, wie es so weit kommen konnte.

»Gerade deswegen musst du zur Halloweenparty gehen. Sie wird bestimmt auch da sein und dann kannst du die ganze Sache klären. Außerdem«, fügte Madu grinsend hinzu, »wäre es wirklich schade um unsere Verkleidungen.« George dachte nach. Madus Argumente waren nicht schlecht. Sie hatten alle drei viel Mühe auf ihre Kostüme verwandt und sie sogar selbst genäht. Charlie wollte als Arborianerin, Madu als Yetide und er selbst als Feuertroll gehen. Sie hatten diese Völker und ihre unterschiedlichen Lebensarten auf Nirma kennengelernt. Für ihre Freunde hier in England waren sie jedoch nur Fantasiewesen.

»Es ist wahrscheinlich wirklich die beste Gelegenheit mit ihr zu sprechen. Ich komme mit. Aber vorher gehe ich frische Luft schnappen und überlege mir, was ich zu ihr sage.« Er stand auf, schnappte sich sein Kostüm und war fast durch die Tür. »Wir treffen uns auf der Party.«

»Charlie, du siehst toll aus! Was bist du? Eine Elfe? Dann sind deine Ohren noch nicht richtig. Du freust dich bestimmt schon so auf die Party.« Samantha, mit der Charlie sich in ihrem Austauschsemester ein Zimmer teilte, plapperte wie immer unbekümmert darauf los, ohne Charlies tatsächliche Stimmung wahrzunehmen. Ihre Mitbewohnerin war zwar sehr nett, aber ziemlich oberflächlich. Sie sah nur das, was sie sehen wollte, vor allem wenn es um sie selbst ging.

Im Moment bin ich für diese Eigenschaft äußerst dankbar, dachte Charlie. So muss ich wenigstens keine Erklärungen zu George und mir abgeben oder irgendwelche Lügen erfinden. Ihre Stimmung war auf dem Nullpunkt, dem absoluten Nullpunkt, also ungefähr bei minus 270 Grad oder so. Die Aussicht, George auf der Halloweenparty zu begegnen, machte die Sache nicht besser. Andererseits kann ich ihm nicht für den Rest meines Lebens aus dem Weg gehen. Charlie schluchzte leise, während sie Samantha im Hintergrund weiterreden hörte. Kaum zu glauben, dass ich extra ein Auslandssemester mache, nur um in seiner Nähe zu sein. Und dann macht er so etwas. Dabei waren die letzten Wochen doch so schön.

Georges Auftreten hatte sich durch seinen Aufenthalt auf Nirma verändert. Er wirkte auf andere jetzt selbstbewusster und freundlicher, so dass er neue Freunde gewonnen hatte, was gut war. Darunter gab es leider viele weibliche Fans, was wiederum schlecht war. Doch ich hätte nie gedacht, dass er mich betrügen würde. Wenn ich diesen Kuss nicht mit meinen eigenen Augen gesehen hätte. Wie konnte er nur?

England

Als Ehawee erwachte, spürte sie harten, kalten Steinboden unter sich. Benommen öffnete sie ihre Augen. Wenn die Lichtverhältnisse auf der Erde denen auf Nirma entsprachen, musste gerade Morgendämmerung sein. Müde rollte sie sich auf die Seite. Es gelang ihr, den harten Untergrund zu ignorieren und erneut einzuschlafen.

Fred hingegen wuselte bereits herum. Es reichte ihm. Nicht nur, dass er jetzt schon relativ viel Zeit in dieser ungemütlichen Tasche verbracht hatte. Auf dem Weg durch das Portal war er so durchgerüttelt worden, dass er froh war, nichts gefrühstückt zu haben. Nachdem die Lage sich beruhigt und sie offensichtlich ihr Ziel erreicht hatten, hatte er darauf gewartet, dass Ehawee ihn herausholte. Doch nichts geschah.

»Alles muss man selbst machen«, murmelte er ungehalten auf seinem mühsamen Weg aus der Tasche, denn die war vollgepackt und gut verschlossen. Nach einigen Versuchen konnte er sich endlich durch eine kleine Lücke hinausquet-schen. Ehawee und er befanden sich auf einem größeren Steintisch, der von imposanten Steinen umgeben war. Seine Freundin schlief tief und fest.

Das muss ich zuerst ändern, dachte Fred und kniff ihr mit seinen kleinen Händen in den Arm und in den Bauch. Als dies nicht den gewünschten Erfolg brachte, kletterte er zu Ehawees Kopf, beugte sich über ihr Ohr und schrie mit aller Kraft: »Aufwachen, wir sind da!«, hinein. Die Reaktion erfolgte augenblicklich. Die Nirmanerin schoss in die Höhe. Sie bewegte sich so ruckartig, dass Fred das Gleichgewicht verlor und durch die Luft katapultiert wurde. Im letzten Moment konnte er einen von Ehawees grünlichen Rasterzöpfen greifen und baumelte jetzt daran hin und her.

Benommen rieb sich seine Freundin das Gesicht und sah sich um, während die Sonnenstrahlen ihr Gesicht wärmten. Eine gelbe Sonne, erkannte Ehawee. Auch wenn ihre Freunde ihr davon erzählt hatten, war es doch etwas anderes, sie mit eigenen Augen zu sehen. Wie anders sie im Vergleich zu unserer grünen Sonne aussieht, überlegte sie fasziniert. Aber das heißt, dass Fred und ich es tatsächlich zur Erde geschafft haben.

Mit neuer Energie sprang sie vom Stein und Fred, der sich mittlerweile auf ihre Schulter gesetzt hatte, musste sich erneut gut festhalten.

»Wir müssen so schnell wie möglich herausfinden, wo wir genau sind.«

Nicht weit entfernt verlief eine große Straße, auf der einige Menschen zielstrebig in Richtung der Steine wanderten. Ehawee ging ihnen entgegen und stoppte vor einem älteren Paar.

»Möge die Sonne euch immer leuchten«, begrüßte sie sie. Die Menschen starrten sie verwirrt an. »Äh, dir auch. Bist du nicht etwas früh dran für Halloween?«

»Wie bitte?« Jetzt wusste Ehawee nicht, was gemeint war. Der Mann zeigte auf ihre grüne Haut. Mist, ich habe vergessen, mich einzucremen, fiel ihr plötzlich auf. Ich bin fünf Minuten auf der Erde und falle schon auf. »Könnt ihr mir bitte sagen, ob sich einer dieser Orte hier in der Nähe befindet?« Sie reichte den beiden einen Zettel, auf den Charlie damals ihre Adressen notiert hatte.

»Afrika, China?«, fragte die Frau mit schriller Stimme und blickte ihren Mann verärgert an. »Das Mädchen will uns doch veralbern, oder es hat zu viel getrunken. Komm, wir gehen.«

Damit ließen sie Ehawee stehen. Bei einer Gruppe in ihrem Alter wagte sie einen neuen Versuch. Eine Jugendliche hielt an und musterte sie interessiert.

»Hey, cooles Kostüm!«, sagte diese. »Und die Puppe auf deiner Schulter, die sich bewegt und spricht, finde ich super.«

»Puppe? Puppe?!«, empörte Fred sich.

»Mega! Sie kann ja Worte nachsprechen. Wo hast du sie gekauft?«

Oh je, jemanden wie Fred gibt es hier ja nicht. Wie konnte ich das nur vergessen? Das müssen die Nachwirkungen von der Reise hierher sein. Über ihre eigene Gedankenlosigkeit schüttelte die Arborianerin den Kopf, dass ihre grünen Zöpfe nur so flogen.

Hastig steckte sie den kleinen Pilz, der sich schon wieder lauthals beschweren wollte, in ihre Tasche. »Ich weiß nicht, wo es ihn gibt. Ich habe ihn geschenkt bekommen«, versuchte Ehawee die Situation zu retten. »Aber könntest du mir eine Frage beantworten? Auch wenn sie dir komisch vorkommt?«

Das Mädchen nickte und Ehawee reichte ihr den Zettel mit den Adressen. »Sind diese Orte weit weg?« Als ihr Gegenüber sie daraufhin seltsam musterte, schob sie: »Bitte, es ist wirklich wichtig«, hinterher.

»Du bist echt schräg. Die Schule hier liegt in der Nähe von London. Mit dem Auto bist du in zwei Stunden da.«

»Auto?« Verständnislos sah die Nirmanerin die Unbekannte an, die ihre Frage zum Glück anders interpretierte.

»Wenn du keins hast, kannst du den Bus nehmen oder laufen, aber dann bist du ewig da lang unterwegs.« Sie zeigte mit der Hand in Richtung des Sonnenaufgangs auf einen unbestimmten Punkt in der Ferne.

»Vielen Dank.« Ehawee ging auf die Straße zu.

Dann wollen wir doch mal herausfinden, was ein Auto oder ein Bus ist. Denn alles, was Zeit spart, ist gut, dachte sie. Voller Tatendrang lief sie los.

»Jetzt komm schon, Fred! Hör auf zu schmollen«, sagte Ehawee zum gefühlt hundertsten Mal und schaute genervt in ihre Tasche. Dort saß der kleine Pilz mit verschränkten Armen in einer Ecke und sah sie sauer an.

»Du hast mich einfach in die Tasche gesteckt und so getan, als wäre ich eine Puppe.«

»Du weißt, dass wir nicht auffallen dürfen. Und hier gibt es nun einmal keine Wesen wie dich. Das haben unsere Freunde von der Erde uns oft genug erzählt.«

»Aber Menschen mit grüner Haut, die gibt es hier, oder was?«

Ertappt wand Ehawee sich ein wenig. »Nein, natürlich nicht. Aber ich glaube, die Menschen denken, ich sei verkleidet und nicht aus einer anderen Welt. Daher lasse ich es erst einmal so, bis wir George gefunden haben.«

»Also gut, Schwamm drüber«, sagte Fred und spähte über den Taschenrand. »Ich würde zu dem großen Platz da vorne mit den seltsamen Kutschen ohne Dongs und anderen Tiere gehen.«

Ehawees Blick folgte seinem ausgestreckten Finger. Sie beobachtete, wie die Gefährte auf den Platz einbogen und anhielten oder ihn verließen und in unglaublicher Geschwindigkeit davonfuhren. Rasch überquerte sie die breite Straße und betrachtete alles aus der Nähe. Ein Mann stand vor einer der größeren Kutschen, auf der Ehawee das Wort Bus entziffern konnte, und rief: »Abfahrt nach Epsom in fünf Minuten. Alle einsteigen!«

Das ist der Ort, wo George sich aufhält, registrierte Ehawee sofort. Die Gelegenheit darf ich nicht verstreichen lassen. Aber wie können Fred und ich mitfahren?

Nur die vordere Tür war geöffnet, und der Busfahrer ließ sich von jedem Passagier etwas vorzeigen. Ohne zu wissen, was dieses viereckige Stück Plastik genau ist, hatte sie keine Ahnung, woher sie so etwas bekommen sollte. Sie ging um den Bus herum. Auf der anderen Seite befand sich ein offenstehender Gepäckraum mit einigen Koffern und Taschen. Ohne lange nachzudenken, kletterte Ehawee hinein und versteckte sich dahinter. Nur wenig später wurde die Tür geschlossen, der Bus fuhr los und Ehawee und Fred saßen im Dunkeln.

»Endlich, wir sind da«, stöhnte Fred.

»Das hast du bisher jedes Mal gesagt, wenn wir gehalten haben. Nur ist dieser Bus immer weitergefahren.« Ehawee rieb sich ihre schmerzende Schulter. Ihre Reise war äußerst unkomfortabel gewesen. So nah über der Straße hatten sie jede Bodenwelle und jedes Schlagloch deutlich gespürt und in den Kurven mussten sie sich vor dem rutschenden Gepäck in Acht nehmen. Und dann war da diese Kälte. Da dieser Bereich nicht geheizt wurde, schlotterten die beiden um die Wette.

Doch diesmal lag Fred mit seiner Einschätzung richtig. An den Geräuschen erkannten sie, dass die Passagiere diesmal wirklich ausstiegen. Rasch kletterte der kleine Pilz wieder in Ehawees Tasche, die sie fest umklammerte. Nur wenig später wurde die Tür zum Gepäckraum geöffnet.

Nachdem ein Mann die ersten beiden Taschen herausgenommen hatte, war der Weg nach draußen frei. Unter den verblüfften Blicken der Fahrgäste stieg Ehawee aus. Die unerwartete Helligkeit ließ ihre Augen tränen. Sie musste ein paar Mal blinzeln, um wieder deutlich sehen zu können

»Ah, die Erde!«, konnte sie sich bei den entgeisterten Gesichtern nicht verkneifen, bevor sie schnell davonlief. Die erbosten Rufe, die hinter ihr erklangen, hörte sie kaum.

Überraschender Besuch

Hier muss es sein«, flüsterte Ehawee Fred zu. Sie hatte sich bis zu dem imposanten Gebäude, an dem in großen Buchstaben »King George School« stand, durchgefragt. Nun befanden sie sich in dem angrenzenden Garten, um ihr weiteres Vorgehen zu planen.

»Wir müssen in das Gebäude hinein«, sagte Ehawee. Sie drehte sich schwungvoll um und rannte direkt in jemanden hinein.

»Aua!« Der Schmerzenslaut entfuhr Ehawee, ehe sie es verhindern konnte. Schon wollte sie sich bei ihrem Gegenüber beschweren, als sie vor Schreck erstarrte. Keinen Meter entfernt war ein Feuertroll. Sie konnte es kaum glauben. Ihre Freunde hatten ihr doch glaubhaft versichert, dass es auf der Erde nur normale Menschen gab. Allerdings hatten sie dies mit der Einschränkung »mehr oder weniger« versehen, was auch immer das heißen sollte.

Trotzdem stand sie jetzt vor einem ausgewachsenen Feuertroll, mit dem nicht zu spaßen war. Sie war schon in Kampfstellung, als der dieser tatsächlich erstaunt ihren Namen rief.

Woher zum Teufel kennt der meinen Namen?, dachte Ehawee, als sich ihr Fluchtinstinkt meldete. Ohne darüber nachzudenken, machte sie auf dem Absatz kehrt und rannte den Weg zurück, den sie gekommen war. Ihre Hoffnung, dass der Troll kein weiteres Interesse an ihr zeigte, erfüllte sich leider nicht. Im Gegenteil, er verfolgte sie und holte auf! Angestrengt biss sie die Zähne zusammen und mobilisierte ihre letzten Kräfte. Sie ignorierte die empörten Rufe von Fred, der keine Ahnung hatte, was außerhalb der Tasche vor sich ging und nur die Auswirkungen des Fluchtversuchs zu spüren bekam.

George war derweil nicht weniger fassungslos. Er hatte sie sofort erkannt. Doch ehe er eine Gelegenheit hatte, sich ihr zu erkennen zu geben, lief sie schon vor ihm weg.

Was macht sie hier? Und warum kann sie so schnell rennen? Die Fragen überschlugen sich in seinem Kopf, während er sie verfolgte. Unter seinem Kostüm wurde es unerträglich heiß und er keuchte. Dass sie ihn in dem Kostüm nicht erkannt hatte und ihn stattdessen für einen echten Feuertroll hielt, hatte er relativ schnell realisiert. Abgesehen davon, dass er sie beruhigen und erfahren wollte, warum und wie sie zur Erde gekommen war, musste er sie unbedingt erreichen, bevor sie sich als Alien outete. Zugegebenermaßen hätte sie sich keinen besseren Zeitpunkt für ihr Erscheinen aussuchen können als heute an Halloween. An jedem anderen Tag hätte sie vermutlich schon längst für einen mittleren Aufruhr gesorgt.

Plötzlich bog Ehawee in einen Weg ab, der in ein Heckenlabyrinth führte.

Perfekt, dachte George. Darin kenne ich mich hervorragend aus. Und wenn ich mich nicht täusche, hat sie exakt den Weg eingeschlagen, der in einer Sackgasse mündet.

Schweratmend verlangsamte er sein Tempo und betrat das Labyrinth. Eine letzte Kurve und dann musste sie da sein. Mit den Worten: »Ehawee, ich bin‘s, George«, bog er um die Ecke. Er sah noch etwas auf seinen Kopf zurasen, dann wurde es schon dunkel um ihn ...

»Los, wach schon auf, George! Komm schon, so fest war der Schlag nun auch wieder nicht.« Ehawee tätschelte leicht seine Wangen, während Fred neben ihr auf dem Boden stand und sie vorwurfsvoll ansah. »Was hast du da nur angestellt? Man erkennt doch eindeutig, dass es George ist.«

»Jetzt schon, weil seine Maske durch den Schlag verrutscht ist und man teilweise sein Gesicht sieht. Und seine Worte habe ich leider erst realisiert, als er schon zu Boden ging.«

Freds Antwort wurde durch ein Stöhnen von George unterbrochen, der langsam wieder zu sich kam. Sie halfen ihm sich hinzusetzen. Vorsichtig betastete er seinen Kopf. »Daran werde ich wohl noch länger Freude haben«, murmelte er.

»Es tut mir leid«, sagte Ehawee zerknirscht. »Aber ich habe hier nicht mit einem Feuertroll gerechnet.«

Bei diesen Worten sah George sie und Fred zum ersten Mal richtig an. »Ihr seid es wirklich, oder? Ich meine, ihr seid nicht irgendeine Halluzination oder meinem Wunsch entsprungen euch wiederzusehen?«

»Wenn dem so wäre, würde dir wohl kaum der Schädel brummen«, entgegnete Ehawee trocken.

Im nächsten Augenblick fiel George ihr um den Hals und drückte sie fest. Dann nahm er den kleinen Pilz hoch und begrüßte ihn genauso freudig.

»Das ist so toll, dass ihr hier seid. Wir wussten nicht, ob wir euch wiedersehen werden. Die anderen werden begeistert sein!« Dann stutzte er und runzelte die Stirn. »Aber warum seid ihr überhaupt hier?«

Als er in ihre Gesichter sah, war George sich nicht sicher, ob er die Antwort hören wollte.

Nirmas Untergang

Ehawee und Fred blickten ernst und traurig drein, was George sofort in Alarmbereitschaft versetzte. Natürlich kommen die beiden nicht einfach so auf einen kleinen Besuch und einen Plausch vorbei, schalt George sich selbst. Dafür ist der Weg hierhin zu ungewiss und zu gefährlich. Sie müssen einen triftigen Grund haben und bestimmt keinen fröhlichen, um eine interplanetare Reise zu unternehmen. Fragend schaute er seine beiden Freunde an.

Wie auf ein geheimes Zeichen redeten die beiden Nirmaner gleichzeitig los und gestikulierten dabei wild. George hatte einige Schwierigkeiten ihnen zu folgen, doch was er sich so nach und nach zusammenreimte, löste großes Entsetzen bei ihm aus. Er hob beide Hände und unterbrach damit den Redeschwall der zwei.

»Ich kann es nicht glauben. Nirma wurde vernichtet? Das ist unfassbar!« Er schüttelte vor Ungläubigkeit immer wieder den Kopf. »Wir sollten schnell Charlie und Madu suchen und ihnen alles erzählen. Gemeinsam finden wir bestimmt eine Möglichkeit, euch zu helfen.«

Erfreut sah Ehawee ihn an. »Die beiden sind auch hier? Wie schön. Ich freue mich schon darauf, sie wiederzusehen. Aber, George, kann ich denn so mitkommen?« Sie zeigte an sich herunter.

»Wenigstens das ist kein Problem. Heute ist Halloween, da sind die meisten verkleidet. Aber Fred können wir so nicht erklären.« Er sah den kleinen Kerl auffordernd an. »Schon gut, ich gehe freiwillig in die Tasche«, brummte Fred und ließ sich widerstandslos von Ehawee in die Tasche stecken. Eine missbilligende Grimasse konnte er sich dabei jedoch nicht verkneifen.

Während sie den Garten durchquerten, begegneten ihnen weitere kostümierte Schüler. Die Nirmanerin konnte nicht verhindern, bei besonders gruseligen Gestalten zusammenzuzucken, obwohl George ihr unterwegs den Grund für sein Outfit und den Halloweenbrauch erklärte.

Auf einmal blieb er stehen und sah Ehawee fragend an. »Wie seid ihr ausgerechnet in England gelandet? Die Erde ist groß. Ihr hättet theoretisch auch mitten im südamerikanischen Dschungel oder in Alaska ankommen können.«

»Hätten wir nicht. Es sei denn, die meisten aus eurer Gruppe hätten sich dort mit den nirmanischen Steinen, die ihr zum Abschied erhalten habt, aufgehalten. Das Portal versucht automatisch eine Verbindung zu nirmanischen Artefakten aufzubauen oder möglichst in ihre Nähe zu kommen. Da eure Steine am neuesten sind, ist deren Signal am stärksten. Dieser komische Steinkreis, in dem ich aufgewacht bin, war dazu wahrscheinlich der nächste Ausgang.«

»Steinkreis ...? Sag bloß, du bist in Stonehenge angekommen?«

Doch Ehawee hob nur die Schultern.

Krawoom! Mit einem lauten Krachen flog eine Vase gegen die Tür und zerbrach in tausend Scherben. Georges erster Versuch, in Charlies Zimmer zu gelangen, war kläglich gescheitert. Sobald sie seinen Kopf gesehen hatte, den er vorsichtig durch den Türspalt gesteckt hatte, ergriff Charlie den erstbesten Gegenstand neben sich und warf ihn blitzschnell in seine Richtung.

»Was sollte das denn?«, fragte Ehawee überrascht.

»Vielleicht begrüßt man sich auf der Erde so«, mutmaßte Fred, der in ihrer Hand saß und alles beobachtet hatte.

Madu, den sie in seinem Zimmer abgeholt hatten, kicherte.

»Äh nein. Charlie ist sauer auf mich. Das ist eine längere Geschichte und jetzt nicht so wichtig. Vielleicht solltest du besser vorgehen.« Mit diesen Worten ließ George Madu den Vortritt.

Dieser holte ein weißes Tuch aus seiner Tasche und hielt es winkend ins Zimmer. »Ich bin es Madu und ich komme in Frieden.«

Nichts passierte. Langsam öffnete er die Tür und sah sich einer erbosten Charlie gegenüber, die sich wieder mit einer Schale bewaffnet hatte. »Madu, du solltest nicht für George den Boten spiel ...« Charlie verstummte abrupt, als sie hinter ihrem afrikanischen Freund jemand anderes bemerkte, mit dem sie gar nicht gerechnet hatte. »Ehawee? Fred? Das gibt es doch gar nicht!«

Freudestrahlend fielen sich die Freundinnen in die Arme. Charlie freute sich so sehr über den unerwarteten Besuch, dass sogar George gefahrlos ihr Zimmer betreten konnte.

»Was macht ihr hier?«, fragte sie schließlich, nachdem sie Fred ausgiebig begrüßt hatte.

Als alle schwiegen, schaute sie unsicher zu George. »Bevor uns Ehawee und Fred das erzählen, sollten wir versuchen, Fatma und Sying zu erreichen. Dann müssen sie nicht alles wiederholen.«

Es dauerte ein wenig, aber dann war zumindest Fatma über Skype zugeschaltet. Sying hatte auf ihre Kontaktversuche leider nicht reagiert. Das war nicht verwunderlich, da er oft eine Zirkusvorstellung oder Training hatte.

Sie saßen auf Charlies Bett, den Computer vor sich auf einem Stuhl. Die beiden Nirmaner kannten keine Computer und waren völlig fasziniert. Vor allem Fred lief immer wieder im Kreis und versuchte, Fatma hinter dem Bildschirm zu finden.

»Das Jahr nach eurem Besuch war großartig auf Nirma«, begann Ehawee ihre Geschichte. »Wir zwei sind Gerzins Assistenten geworden und haben unglaublich viel gelernt. Nirma ist nach Brelors Tod aufgeblüht, die dunklen Bereiche sind verschwunden und mit ihnen die Kreaturen, die dort gehaust haben. Wir haben uns endlich wieder sicher gefühlt.«

»Zu sicher«, warf Fred ein. »Denn im Geheimen hat jemand einen Plan ausgeheckt, den wir nur zu gerne vergessen haben – die Sumpfhexe.«

An ihre Begegnung mit der uralten Hexe, deren Machenschaften sie mit Glück überlebt hatten, erinnerten sich die Freunde deutlich. Zwar hatte die Hexe sie zu dem Versteck der letzten Scherbe geführt, doch konnte sie dadurch ihrer langen Gefangenschaft entfliehen. Bis zur Rückkehr der Freunde zur Erde waren weder sie noch Raspe, der Brelor unterstützt hatte und ebenfalls entkommen konnte, gefunden worden. Seitdem hatten sich alle davor gefürchtet, dass sich die beiden fürchterlich an den Nirmanern rächen würden.

Ehawee sprach weiter: »Die Sumpfhexe hat das Jahr genutzt, um an den Elementenwürfel zu gelangen. Damit hat sie ganz Nirma in den vergangenen zwei Tagen in eine Sumpflandschaft verwandelt! Schlammwellen haben alles überflutet und weggespült. Selbst das Meer gibt es nicht mehr. Es geschah alles so schnell, dass es schon zu spät war, als wir die Katastrophe realisierten. Gerzin konnte nur noch Fred und mich im letzten Augenblick zur Erde schicken.«

Die Freunde schluckten und dachten an das bunte und fröhliche Nirma, an die Marianer und die anderen Völker, die so gastfreundlich zu ihnen gewesen waren. Das alles sollte nicht mehr existieren?

»Was ist denn der Elementenwürfel?«, fragte Madu nicht sicher, ob er das so genau wissen wollte.

»Eine ganz furchtbare Waffe, mit der man Landschaften komplett verändern kann«, erklärte Ehawee mit Tränen in den Augen. »Der Würfel kann zum Beispiel Meere zu Eis erstarren, Gebirge unter Sand verschwinden lassen oder eben einen ganzen Planeten mit Schlamm überziehen.« Zum Schluss war ihre Stimme nur noch ein Flüstern.

»Wo war denn der Elementenwürfel? Warum wollte Brelor ihn nicht, wenn er so eine mächtige Waffe ist?«, wollte George wissen.

»Brelor hätte ihn sicher gern in die Finger bekommen. Doch der Elementenwürfel existierte außerhalb seiner Reichweite. Eben weil er so gefährlich ist, wurde er vor langer Zeit von dem Weisen und den Hütern ein Stück in die Zukunft geschickt, damit er unerreichbar ist und nie benutzt werden kann. Das dachten wir jedenfalls.« Ehawee zuckte verzweifelt mit den Schultern.

Fatma meldete sich über den PC. »Aber wie konnte die Sumpfhexe ihn dann erreichen?«

Diese Frage bereitete Ehawee einiges Unbehagen. »Nun, es ist so. Die Natur, das Universum – was auch immer ihr wollt – braucht immer einen Ausgleich. Gibt es irgendwo Regen, scheint an einer anderen Stelle die Sonne; geschieht etwas Böses, passiert an anderer Stelle etwas Gutes und ...« Ehawee druckste ein wenig herum. »Naja, wenn man mit der Zeit spielt, zum Beispiel Richtung Vergangenheit, dann öffnet sich ein Fenster in der Zukunft.«

»Aber wo ...?«, setzte Madu an, wurde jedoch sofort von Charlie unterbrochen, der Schreckliches dämmerte.

»Oh mein Gott! Ich bin schuld. Gerzin hat mich in die Vergangenheit geschickt, damit ich meine Eltern retten kann.« Entsetzt sah sie Ehawee und Fred an. In ihren Augen erkannte sie, dass sie recht hatte.

»Weder du noch Gerzin konnten das voraussehen«, versuchte diese Charlie zu beruhigen.

»Aber ich bin oft genug gewarnt worden. Alle auf Nirma haben mir gesagt, dass man nicht mit der Zeit spielen darf. Ich hätte mich nicht darauf einlassen dürfen!« Die amerikanische Jugendliche war verzweifelt. »Wegen mir ist ein ganzer Planet vernichtet worden. Das kann doch nicht möglich sein. Irgendetwas muss ich tun können.« Da sah sie Ehawee an und Hoffnung schimmerte in ihren Augen. »Ihr seid nicht ohne Grund hier. Es gibt eine Möglichkeit Nirma zu retten, oder?«

Als die zwei nickten, fragte George: »Was müssen wir tun?«

Wie aus einem Mund antworteten Ehawee und Fred. »Wir müssen wieder mit der Zeit spielen!«

Der tollkühne Plan

Es existiert nur eine Möglichkeit, Nirma zu retten. Aber sie ist gefährlich, fast unmöglich und zeitlich begrenzt.« Ehawees Stimme zitterte leicht. In ihren Worten schwang das gesamte Gefühlschaos mit, das sie empfand. Angst vor einer kaum zu bewältigenden Aufgabe, aber auch die Hoffnung darauf, Nirma retten zu können.

»Egal, ich mache alles, was notwendig ist«, sagte Charlie sofort. Sie war froh darüber, dass sie überhaupt etwas unternehmen konnten.

Die anderen nickten.

Die beiden Nirmaner sahen sich an, bevor die Arborianerin weitersprach: »Das haben wir uns zwar gedacht und gehofft, aber ihr solltet euch erst anhören, was euch erwartet. Wir müssen die einzig existierende Zeitmaschine, von der wir wissen, finden, die Zeit zurückdrehen und die Sumpfhexe aufhalten, bevor sie den Elementenwürfel einsetzt. Dafür haben wir ab heute noch 350 Tage Zeit. Denn man kann mit der Maschine maximal ein Jahr in die Vergangenheit gelangen. Und wir müssen vor dem Moment auf Nirma ankommen, in dem die Sumpfhexe den Würfel bekommt. Das war genau vor fünfzehn Tagen.«

»Und die Maschine ist hier bei uns auf der Erde?« Zweifelnd strich George sich seine Haare aus der Stirn. Er sollte mit seiner Skepsis recht behalten.

»Nein, leider nicht. Nach unseren spärlichen Informationen befindet sie sich auf Zanano, unserem Schwesterplaneten. Ihr habt ihn vor einem Jahr auf dem Wandteppich in Gerzins Turm bestimmt schon gesehen.«

Die Freunde erinnerten sich genau an sein Motiv mit zwei grünen Planeten im Vordergrund, Nirma und vermutlich Zanano, und der blauen Erde im Hintergrund. Zwischen ihnen gab es Portalverbindungen, die durch Schlieren dargestellt waren.

»Was bedeutet nach euren Informationen?«, fragte Fatma skeptisch, der die Einschränkung nicht entgangen war.