Die Schmuggler von Rotzkalitz - Josef Holub - E-Book

Die Schmuggler von Rotzkalitz E-Book

Josef Holub

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Beschreibung

Ein schmaler Grenzpfad am Fluss, eine bröckelige Burg und ein rothaariger Junge, der zwar zaundürr, aber genial gescheit ist. Bautz Beranek ist elf und seine Sommerferien im Grenzstädtchen Rotzkalitz gleichen einer Schnitzeljagd mit Hindernissen. Was hat es zum Beispiel mit dem verrückten Komponisten, dem unterirdischen Gang und den nächtlichen Lichtzeichen auf sich? Für Bautz und seinen Freund Onk genau die richtige Herausforderung.

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Josef Holub

Die Schmuggler von Rotzkalitz

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Über dieses Buch

Ein schmaler Grenzpfad am Fluss, eine bröckelige Burg und ein rothaariger Junge, der zwar zaundürr, aber genial gescheit ist. Bautz Beranek ist elf und seine Sommerferien im Grenzstädtchen Rotzkalitz gleichen einer Schnitzeljagd mit Hindernissen. Was hat es zum Beispiel mit dem verrückten Komponisten, dem unterirdischen Gang und den nächtlichen Lichtzeichen auf sich? Für Bautz und seinen Freund Onk genau die richtige Herausforderung.

Über Josef Holub

Josef Holub, geboren 1926 in Neuern im Böhmerwald, machte eine Ausbildung als Lehrer und Verwaltungwirt und arbeitete u.a. als Ziegeleiarbeiter, Briefträger und Oberamtsrat. Seine vielfach ausgezeichneten Kinder- und Jugendbücher wurden für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert und erhielten zweimal den Zürcher Kinderbuchpreis «La vache qui lit».

Inhaltsübersicht

1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. Kapitel24. Kapitel25. Kapitel

1

Dort, wo die Stadt Rotzkalitz aufhört, eine Stadt zu sein, liegt auf einem riesigen Maulwurfshügel eine Burg. Sie ist nichts Besonderes und besteht nur aus alten Mauern, noch älteren Mauern und ganz alten Mauern. Der edle Ritter Rotz von Kalitz hatte sie einstmals auf den Berg gestellt. Natürlich nicht selbst, so etwas tat ein Ritter damals nicht. Dazu hatte er seine Knechte und die leibeigenen Bauern, und es gab genug davon vor fünfhundertfünfundfünfzig Jahren. An einer Ecke der Burg stand ein hoher Turm. Dieser hatte die Aufgabe, das Land ringsherum zu überragen. Rotz von Kalitz war öfter hinaufgestiegen, wenn sich Feinde in der Gegend zeigten oder wenn er nach einer durchzechten Nacht auf die Stadt hinunterlästern wollte.

Natürlich lebt der Ritter Rotz von Kalitz schon lange nicht mehr. Er wäre ja mittlerweile ein halbes Jahrtausend alt, und so alte Leute gibt es nicht. Außerdem lässt sich in alten Akten nachlesen, dass selbiger Burgherr Anno Tobak gehenkt worden ist, weil er alles zusammengeraubt hatte, was ihm zwischen Rotzkalitz und Konstantinopel in die Finger gekommen war.

Im Turm hausten nur noch Käuze und Fledermäuse, und unten, wo früher das Verlies war, fraßen sich die Ratten gegenseitig auf. Das mussten sie tun, denn sie bekamen keine Kaufherren mehr, weder böhmische noch venezianische, und auch die leibeigenen Bauern waren schon lange ausgestorben.

Vor etlichen Jahren hatte die Burg zu bröckeln angefangen. Die Dächer waren eingestürzt, und Wasser, Eis, Hitze und Sturm konnten ungestört an den Mauern nagen. Niemand war da, der den Verfall aufhalten konnte oder wollte.

Burg und Stadt Rotzkalitz lebten schon halb in der Vergessenheit, und sie dämmerten im Halbschlaf vor sich hin.

Trotzdem war Rotzkalitz eine ordentliche Stadt. Mit allem Drum und Dran und wie es sich gehört. Die Häuser waren wie überall größer oder kleiner. Je nachdem, wer darinnen wohnte. So konnte man leicht erkennen, wer viel, wer weniger und wer kein Geld hatte. Es gab auch Gesetze und Vorschriften, fast wie anderswo, und einen Gendarmen, der für ein bisschen Ordnung sorgte. Deshalb ging er oft durch die Stadt, und er verjagte die Gänse, wenn sie sich auf der Hauptstraße niederlassen wollten. Weil es nicht schicklich war, auf einem stinkigen grüngrauen Gänsedreck auszurutschen. Sogar der Regen musste sich der Ordnung fügen, wenn er in der Stadt herunterfiel. Er wurde in den Dachrinnen und Dolen gesammelt und unter die Erde geleitet. Das Gras wuchs nur dort, wo es erlaubt war. Auf dem Marktplatz wurde kein Grünzeug geduldet. Dort war es in den Boden gestampft, denn ein grasiger Marktplatz ist kein Marktplatz, sondern eine Wiese.

Die Leute in der Stadt Rotzkalitz lebten wie überall von allem Möglichen. Sie sorgten für die Kleidung und das übrige Zeug, das jeder Mensch notwendig oder weniger notwendig braucht. Einige besaßen um die Stadt herum ein paar Stücke Land. Darauf erzeugten sie direkt oder auf dem Umweg über eine Kuh verschiedene Esswaren. Andere wiederum verkauften Gekauftes, und sie machten es so teuer, dass sie davon leben konnten. Ein kleiner Rest tat weder dies noch das, und deshalb hatten diese Leute auch nichts, und wenn sie etwas hatten, musste ihnen der Gendarm auf die Finger gucken.

Die Burg und die Stadt Rotzkalitz verband etwas Geheimnisvolles. Ein unterirdischer Gang führte von oben nach unten oder auch umgekehrt von unten nach oben, je nachdem, von wo aus man in ihn hineinging. Die meisten Bewohner der Stadt wussten allerdings nichts davon. Den einen, die von dem Gang wussten, war er wurscht, und jene, denen er nicht wurscht war, taten geheimnisvoll. Denn sie benutzten ihn gelegentlich für recht zweifelhafte Geschäfte.

Etwas Besonderes unterschied Rotzkalitz jedoch von anderen Städten gleicher Größe und Sorte. Es lag am Rande eines Landes. Knapp drei Kilometer hinter den letzten Häusern zog sich am Fluss entlang eine Grenze durch die Wälder.

2

In der Stadt Rotzkalitz lebte damals gelegentlich ein Junge namens Bautz Beranek. Seit sechs Jahren kam er in den Ferien zu Onkel Bert und Tante Berta nach Rotzkalitz. Nicht nur wegen des Onkels und der Tante kam er, sondern auch wegen der Luft. Rund um die Stadt wuchsen nämlich massenhaft immergrüne Bäume, und die sorgten für eine saubere, kräftige Luft. Diese unheimlich satte, aber trotzdem federleichte Luft wiederum tat schwachen Lungen besonders gut. Nun hatte Bautz Beranek zwar keine schwache Lunge, dafür aber ganz miserable, ausgefranste Bronchien, und die sollten sich in Rotzkalitz das ungesunde und hässliche Röcheln abgewöhnen.

Der Onkel des Bautz Beranek war nicht nur ein gewöhnlicher Onkel, sondern auch der Chef von den Grenzbeamten. Er hatte den Rang eines Schikowatel, und das war der höchste Beamte weit und breit.

Bautz Beranek war ein echtes Wunder der Natur. Wenn er durch die Stadt ging, sahen ihm die meisten Leute mitleidig nach. Dabei kannten ihn alle, denn er kam ja schon sechs lange Ferien nach Rotzkalitz. Mit seinen elf Jahren hatte er bereits die meisten Krankheiten hinter sich gebracht, von den Masern bis zum Ohrensausen. Auch sonst war an Bautz Beranek nicht viel gelungen. Außer seinem Kopf. Bautz Beranek hatte einen ganz besonderen Kopf, eine richtige Merkmaschine. Die speicherte alles Gehörte, Gelesene und Gesehene, und es war daher kein Wunder, dass der Junge mehr als gescheit war. Aber das war von außen nicht direkt zu sehen, und weil Bautz Beranek in Rotzkalitz nicht in die Schule ging, wussten nur ein paar Eingeweihte, wie gescheit er war.

Auf die gleichaltrigen Jungen guckte er von unten hinauf, und er wurde oft gefragt:

«Na, wie ist die Luft da unten? Hörst du uns überhaupt?» Oder: «He, du Regenwurm, verkriech dich, sonst schmeißen wir dich den Hühnern vor!»

So schmächtig war der Bautz Beranek gewachsen, und zaundürr war er. Er besaß nur die notwendigen Knochen und ein bisschen Haut darum herum. Kaum Muskeln dazwischen und nur ein paar Pfund mageres Fleisch. Haare hatte der Bautz Beranek, rot wie ein Sonnenuntergang und ebenso leuchtend. Das war das Auffälligste an ihm. «Bautz Beranek!», hänselten die Jungen. «Pass auf, dass wegen dir nicht die Feuerwehr ausrückt!» Und: «Lass deine Karnickelaugen anschauen!» Und: «Rotkäppchen!» Die Jungen aus Rotzkalitz sagten auch: «Bautz Beranek! Jag die Mücken von deiner Nase!» Und sie meinten die vielen Sommersprossen, die wie die Milchstraße von der Stirn bis zu den Zehen aufgespritzt waren.

Bautz Beranek war oft zornig und traurig deswegen, und er wünschte sich ganz normale Haare, braune, wie die vom Oberlehrerdackel, oder mausgraue, und wenn es schon nicht anders ging, auch rosa Schweinsborsten. Nur solche nicht, mit denen er wie eine Feuerlilie aussah.

Der Bautz Beranek hatte also einen Kopf umherzutragen, der überall auffiel.

Nun ist es auf unserer Erde von jeher der Brauch, dass man ungewöhnliche Menschen auch ungewöhnlich behandelt. Das musste Bautz Beranek des Öfteren erfahren. Zum Beispiel, wenn er durch die Stadt ging und Jungen im Weg standen. Da nutzte kein Bogen herum. Wie zufällig bewegte sich dann immer ein böses Knabenbein oder sonst etwas auf ihn zu, über das er in den Dreck flog. Dann rann ihm das Wasser aus seinen Kaninchenaugen, und die Jungen sagten: «Der Bautz Beranek weint wie ein Mädchen.» Und sie hatten sogar ein wenig Mitleid mit ihm. Bis zum nächsten Mal.

Und ein Halbfremder war er auch, der Bautz Beranek. Er kam ja immer nur in den Ferien nach Rotzkalitz. Es war daher fast selbstverständlich, dass er meist allein sein musste und wollte. Bei den schlechten Erfahrungen.

Bautz Beranek war ein großer Erfinder. Er tüftelte gerne an technischen Sachen herum. Da gab es noch etliche brachliegende, hoch wissenschaftliche Probleme. Zum Beispiel das Perpetuum mobile! Keinem einzigen Menschen war es bisher gelungen, dieses Vehikel so zu bauen, dass es ewig in Bewegung bleibt. Oder der Blitz. Ein Blitz musste sich doch mit seiner Millionenkraft in einem größeren Gurkeneimer oder so was einfangen und konservieren lassen. Es gab noch viele ähnliche unbekannte und bekannte Probleme. Unheimlich viel lag unerforscht umher, und alle diese Sachen warteten auf gescheite Leute wie den Bautz Beranek.

Seit einigen Jahren suchte Bautz Beranek einen Freund oder zur Not auch eine Freundin. Jedenfalls jemanden, mit dem man außer über Erfindungen auch über das viele andere Zeug, das es auf der Welt gibt, reden konnte. Über Gewöhnliches und Ungewöhnliches, Sichtbares und Unsichtbares. Er sah ihn oft, den Freund, wenn er die Augen zumachte, und er wünschte sich dann, der wäre echt und kein Hirngespinst.

Vor anderthalb Jahren hatte er es mit dem Karl Kollinger probiert. Noch lange danach schämte sich Bautz, und seine Sommersprossen wurden jedes Mal rot und dunkelbraun, wenn er nur daran dachte. Der Kollinger war eine Ansammlung von Muskeln, und er hätte es sich leisten können, so eine halbe Portion zum Freund zu haben. Er bändigte die stärksten Jungen mit der linken Hand, und wem er die Rippen zählte, war tagelang steif wie ein Denkmal. Diesen Karl Kollinger hatte Bautz Beranek gefragt, ob er nicht sein Freund sein möchte. Es war ein himmelblauer Tag im Juli gewesen, und die Lerchen hatten geträllert und die Blumen geduftet. Es war also vom magischen Standpunkt aus ein günstiger Tag. Sogar die Glocken von Lumpigstein über der Grenze drüben hatte man herübergehört. Eine bessere Konstellation gab es wohl nicht. Trotzdem hatte der Karl Kollinger nur gelacht und gelacht, und es war ein Wunder, dass er überhaupt wieder zu lachen aufgehört hatte.

Dann gab es noch den Paul Plach. Der hatte überhaupt keinen Grund, eingebildet zu sein. Denn er war in der Schule immer sitzen geblieben, und er ging angeblich immer noch in die dritte Klasse. Weiter war er nicht gekommen. Außerdem zierte eine Nase sein Gesicht, die fast nur aus zwei Löchern bestand. Aber auch bei Plach war es schief gegangen.

«Bautz Beranek!», hatte der dumme Paul Plach in seiner Einfalt gesagt. «Du bist ein Rindviech, und du glaubst wohl, ich bin auch eins. Aber so blöd bin ich nicht, dass ich mit einem roten Gartenzwerg umherlaufe und alle Welt lacht mich aus.»

Seither hatte Bautz Beranek keinen Versuch mehr gemacht, einen Freund zu finden. Wenn ihn nicht einmal der dumme Plach haben wollte, gab es überhaupt keine Hoffnung mehr.

So eigenartig sind die Menschen, und es nutzte dem Bautz Beranek kein bisschen, dass er ununterbrochen einen Haufen interessante Gedanken und phänomenale Ideen umhertrug.

Ab und zu wartete Bautz Beranek auf ein Wunder. Vielleicht würden einmal die Haare über Nacht bleich und die Sommersprossen von irgendwas aufgefressen. Oder seine Knochen dehnten sich plötzlich um etliche Zentimeter aus. Aber Derartiges passierte wohl nur noch in Märchen. Wenn er wenigstens so stark wie der Karl Kollinger gewesen wäre oder ein berühmter Räuberhauptmann, vor dem alle Welt zittert, oder ein großer Held. Aber wie wurde man ein Held? Vielleicht sollte er einen ertrinkenden Menschen aus dem Fluss ziehen? Also saß Bautz Beranek oft stundenlang am Flussufer, einmal hier und einmal da. Aber es fiel niemand ins Wasser, und die Leute, die hineinfielen, konnten allein wieder heraus. Das war auch das Beste, denn Bautz Beranek konnte selbst nichts anderes als untergehen.

So war es also auch nichts mit dem Helden.

Glaubte er jedenfalls.

3

Es war am vierten Ferientag. Die Sonne verdrückte sich gerade in westlicher Richtung. Das machte sie immer so. Zuerst stellte sie die Hitze ein wenig ab, dann schlich sie zwischen den Hügeln und Bergen davon, in Richtung Spanien und Amerika. Die Sonnenstrahlen langten nicht mehr ins Tal herein, und das war auch die Ursache, warum es dunkel wurde. Immer mehr, je weiter die Sonne davoneilte.

Um diese Zeit fuhr ein alter hochbockiger Tatra in die Stadt ein. Die Kiste hätte längst in einem Museum oder auf dem Autofriedhof stehen müssen. Die Räder schmissen den Staub in die Höhe, denn die Straße war seit Mittag nicht mehr abgespritzt worden. Die Leute, die das eigenartige Gefährt kommen hörten, guckten erst neugierig, dann flüchteten sie in die Nebengassen, und der Kaufmann Butterschmalz ließ den Rollladen herunter. Der Staub blieb eine Weile zwischen den Häusern hängen, dann rieselte er auf die Straße zurück. Die groben Körner waren schneller. Die mehligen Bestandteile hielten es länger ohne Unterlage aus. Sie waren so leicht und winzig, dass sie auch durch Türspalten und Fensterritzen schlüpfen konnten, und sie legten sich auf die Blumen oder in den Suppenteller und auf alles, was in der Nähe war. So war es kein Wunder, dass die Leute schimpften und fluchten, als das Auto daherratterte. Die Hunde in den Hinterhöfen winselten oder bellten, und die Katzen maunzten. Die Frösche in den Tümpeln um die Stadt herum erschraken, hörten zu quaken auf und verzogen sich in ihre Schlupfwinkel.

Nur die Jungen freuten sich über die willkommene Abwechslung. Wann kam schon ein Auto in die Stadt? Sie trabten hinter dem Stinker her, und es machte ihnen nichts aus, dass der Staub Gesicht und Haare puderte und die Nase verstopfte.

Auch Bautz Beranek wurde von dem Lärm angezogen. Er war gerade auf dem Heimweg und sah die Staubwolke und die rennenden Kinder.

Soll ich oder soll ich nicht?, überlegte er. Laufe ich auch hinterher, ist es stockfinster, bis ich zum Zollhaus komme. Angenehm ist es ja gerade nicht, so in der Dunkelheit durch den Wald zu gehen. Wer weiß denn, ob nicht schon ein verfrühter Schmuggler unterwegs ist?

Schließlich stand das Zollhaus ja direkt an der Grenze, und da war alles möglich.

Ach was!, entschied sich Bautz, so schlimm ist es auch wieder nicht. Ich werde laut pfeifen. Und wahrscheinlich schleichen die Schmuggler um diese Zeit noch nicht, und irgendwelche Geister kommen erst pünktlich um Mitternacht, wenn sie überhaupt kommen. Vielleicht geht mir Onkel Bert entgegen, wenn ich bei Einbruch der Dunkelheit noch nicht zu Hause bin. Und der Onkel hat einen Revolver umhängen, denn er ist ja der Schikowatel. Auweh!, fuhr es Bautz durch den Kopf. Das Auto! Wer da wohl drinsitzt? Was will es hier?

Nur selten verirrte sich so eine Benzinkutsche nach Rotzkalitz.

Es wird doch nicht der Grenzinspektor aus der Hauptstadt sein, der vermaledeite Unruhestifter, der brüllende Orang-Utan, der den Onkel wie den letzten Dreck behandelt?

Bis jetzt war der Grenzinspektor zwar immer nur mit einem knatternden, lahmen Motorrad gekommen. Aber man konnte ja nie wissen. Wenn der kam, war im Zollhaus Saure-Gurken-Zeit. Der Inspektor schrie immer mit dem Onkel, dass es zum Steinerweichen oder zum Davonlaufen war.

Erst vorgestern war er mit seinem Stinkrad da. «Schikowatel Beranek!», hatte der Grenzinspektor gebrüllt und gekeift. «Was glauben Sie, warum Sie hier herumsitzen und für was Sie bezahlt werden? Damit an der Grenze Ordnung ist! Und Sie haben wohl keine Ahnung, wie viel Geld dem Staat verloren geht, wenn die Schmugglerei nicht aufhört? Schikowatel!», hatte der Inspektor gezetert. «Wir können es uns nicht leisten, nutzlose Subjekte wie Sie zu bezahlen. Das geht doch nicht, und nirgends wird so viel geschmuggelt wie hier. Die Schmuggler selbst rühmen sich damit im Nachbarland. Die Landesgrenze ist ewig lang, und es passiert nichts oder fast nichts. Nur an dem winzigen kleinen Stückchen von Rotzkalitz ist der Teufel los. Zum Kuckuck!», hatte er geschrien. «Warum erwischen gerade Sie niemanden? Ich weiß, warum! Weil Sie nichts taugen. Weil Ihr Kopf mit Hühnermist gefüllt ist. Wenn die Schmugglerei nicht aufhört, werde ich einen anderen Schikowatel herschicken!»

So ging der Grenzinspektor aus der Hauptstadt mit dem Onkel um.

«Der Teufel soll ihn holen, den wütigen Hund! Hoffentlich sitzt er nicht in dem Auto!»

Das Gefährt ratterte in die Hauptstraße hinein. Bautz Beranek wollte es genau wissen. Wenn das Auto hinter der Kirche links abbog, dann war es der Inspektor. Die Straße führte nämlich nur zum Grenzhaus. Sie hörte am Fluss auf. Früher war hier ein Grenzübergang gewesen, der vor Jahren geschlossen worden war. Die Furt lief immer noch durch den Fluss, war aber verwaschen und unbegehbar. Das Haus beherbergte nur noch die Kaserne für die Grenzer und die Wohnung für den Schikowatel.

«Hoffentlich biegt das Auto hinter der Kirche nicht links ab! Wenn es geradeaus weiterfährt, haben wir Glück gehabt.»

Der alte Tatra bog nicht nach links ab, er fuhr auch nicht geradeaus, er fuhr überhaupt nicht weiter. Er hielt vor dem Gasthaus Zum Henker. Gott sei Dank, dann konnte es nur ein Fremder sein. Ein Felsbrocken fiel Bautz Beranek vom Herzen, so erleichtert war er. Er lief schnell hin, damit er sich endgültig überzeugen konnte. Den Inspektor kannte er ja.

Das Vehikel stieß noch ein paar knallende Töne durch die blechernen Eingeweide, zitterte von vorne bis hinten, tat einen letzten Ruck und war völlig zahm.

Zwei Insassen stiegen aus. Sie schlenkerten Arme und Beine. Wahrscheinlich waren sie vom langen Sitzen eingeschlafen. Der eine war ein Mann mittleren Alters, der andere ein Junge von vielleicht zwölf Jahren. Der Mann hob einen Koffer vom hinteren Sitz, der Junge einen Rucksack, und dann stelzten beide in das Wirtshaus.

Bautz Beranek war neugierig geworden. Er schlüpfte schnell neben dem Koffer in die Wirtsstube und verdrückte sich in eine dunkle Ecke.

Ein dicker, miefiger Rauch hing im Gastzimmer. Der Staub auf der Straße war harmloser Dreck dagegen. Unglaublich, dass hier jemand atmen konnte in diesem Durcheinander von verbranntem Tabak und dem Gestank von Bier, Schnaps und verschwitzter Kleidung. Ungefähr zwanzig Männer saßen an den Tischen, und durch den Dunst torkelten fette Stubenfliegen. Bautz Beranek musste nach Luft schnappen, und ein kitzeliger Hustenreiz hing ihm zwischen Nase und Lunge.

«Tarock!», sagte der fremde Mann zu dem Jungen, und er meinte wohl das Kartenspiel, das die Männer mit Knöcheln und Handballen auf die Tische hauten. Die Schnaps- und Biergläser hüpften dann jedes Mal hoch, und das Gesöff schwappte darin hin und her.

Der Wirt blinzelte hinter der Theke vor.

«’n Abend!», grüßte er mürrisch, und der fremde Junge machte ein erschrockenes Gesicht.

Jetzt läuft ihm eine Gänsehaut den Buckel hinunter, dachte Bautz Beranek, und er war fast ein wenig schadenfroh.

«Etwas zu trinken?», kratzte es aus dem Mund des Wirtes. Das war kaum eine Frage, eher ein Befehl. Er fingerte auch gleich ein ranziges Glas aus dem Regal hinter sich und ließ es am Bierhahn voll laufen.