Die schöne Frau  bedarf der Zügel nicht - Margherita Costa - E-Book

Die schöne Frau bedarf der Zügel nicht E-Book

Margherita Costa

0,0

Beschreibung

Margherita Costa – nie gehört ? Nach 400 Jahren wird es Zeit ! Schließlich war die um 1600 geborene Römerin die wohl profilierteste Schriftstellerin ihrer Generation. Ihr wildes, respektloses und genre­sprengendes Werk war jahrhundertelang völlig vergessen. Costa war Opernstar und Kurtisane, Intima dreier Papstfamilien und Räuberbraut, Feministin und Pornografin, Mutter vieler Töchter unklarer Herkunft und die wohl erste Satirikerin der Welt. Aus ihrer Dichtung strahlt die Sinnlichkeit in so grellen Farben, dass man beim Lesen gern zur Sonnenbrille greift. Christine Wunnicke hat sich in Costa verliebt und ihre Texte in mitreißendes Deutsch gebracht. Und ihr Porträt dieser wahrlich fantastischen Autorin ist, wen wundert's, ein Stück schönster Biografie-Literatur.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 304

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



MARGHERITA

Die schöne Frau bedarf der Zügel nicht

Porträt, Werkauswahl und Übersetzung aus dem Italienischen von Christine Wunnicke

BERENBERG

EINLEITUNG

Vom Leben, Schreiben und Verschwinden der Virtuosin Margherita Costa

GEDICHTE

Scusandosi Autora

Die Autorin entschuldigt sich

Bella Donna di scherzo alle Donne belle

Eine schöne Frau im Scherz an die schönen Frauen

Alle Donne

An die Frauen

Per una bella Donna quale per non vuolere baciare il suo Amante fu ferita mortalmente da lui

Für eine schöne Frau, die, weil sie ihn nicht küssen wollte, von ihrem Geliebten tödlich verletzt wurde

Amante innamorato di Donna brutta loda le sue bruttezze

Ein Liebhaber, der in eine hässliche Frau verliebt ist, preist ihre Hässlichkeiten

Bella Donna al suo Amante mentre avanti a Lei sta appassionato d’altro Amore

Eine schöne Frau an ihren Geliebten, der in eine andere verliebt ist

Al medesimo

An denselben

Bella Donna al suo Amante che si vuol buttare a fiume

Eine schöne Frau an ihren Geliebten, der sich in den Fluss stürzen will

Bella Donna a suo Amante mentre sdegnata Seco si ritrovava lontana

Eine schöne Frau an ihren Geliebten, nachdem sie sich im Zorn von ihm entfernt hat

Madre ad una sua Bambina inferma

Eine Mutter an eine ihrer Töchter, die krank ist

Madre ad un suo Bambino Naturalmente nato femina, e poi dopo alcuni mesi dall’istessa Natura convertito in maschio

Eine Mutter an ihren Sohn, der von der Natur als Mädchen geboren und nach einigen Monaten von derselben in einen Knaben verwandelt wurde

Astrologo offeso da morbo gallico

Der mit der Franzosenkrankheit geschlagene Astrologe

Donna dolendosi della sua disprezzata beltade in biasmo delle Donne accusa lo loro leggerezze

Eine Frau, die über den Verlust ihrer Schönheit klagt, tadelt die Frauen für ihre Oberflächlichkeit

Il Zerbino ravveduto

Der geläuterte Zerbino

L’Autora, essendoli accennato dal S. Benedetto Guerrini, che abbruciasse alcune sue rime, disperatamente si duole dell’incendio di quelle, come della sua disgratia, e dell’origine di esse

Die Autorin, welcher Signor Benedetto Guerrini bedeutet hat, sie möge einige ihrer Gedichte ins Feuer werfen, verzweifelt über den Brand derselben sowie über ihr eigenes Unglück und dessen Ursprung

Tirsi trafitto

Als man Thyrsis niederstach

AUS: LETTERE AMOROSE (1639)

Homo avaro applicato a gli studij innamorato d’una Cortegiana

Ein geiziger Studiosus, verliebt in eine Kurtisane

Zerbino a vaga Donna

Ein Zerbino an eine schöne Frau

Amante monco a Donna senza naso

Ein Verliebter ohne Arme an eine Frau ohne Nase

Bella Donna ad un Nano

Eine schöne Frau an einen Zwerg

Amante gobbo a Donna guercia

Ein buckliger Verliebter an eine schielende Frau

AUS: LI BUFFONI (1641)

AUS: LE SETTE GIORNATE O VERO IL VIAGGIO DI LORETO (CA. 1645)

Il Convito

Das Gastmahl

La Caccia

Die Jagd

La Commedia

Die Komödie

Il Gioco

Das Spiel

La Conversione

Die Bekehrung

ANHANG

Quellenangaben zur Einleitung

Bibliographie

Dank

Über die Autorin

Die Seitenverweise beziehen sich auf die gedruckte Ausgabe.

EINLEITUNG

Vom Leben, Schreiben und Verschwinden der Virtuosin Margherita Costa

I

In einem feuchten Speicherhaus unweit des Canal Grande eröffnete im Februar 1651 das sechste Opernhaus von Venedig. Man nannte es Teatro Sant’Aponal nach der nahegelegenen Kirche oder schlicht il Novissimo, das Allerneueste. Der Impresario Giovanni Faustini hatte das baufällige und viel zu enge Gebäude mit wenig Kapital notdürftig herrichten lassen und dann so viel Bühnentechnik hineingestopft, dass sie fast die Architektur sprengte. Ohne Unter-, Ober- und Seitenbühnen, Schienen, Flaschenzüge und Versenkungen konnte eine Oper längst nicht mehr punkten. Sogar eine hydraulische Anlage wurde installiert, um auf der Bühne echte Wasserspiele veranstalten zu können.

Faustini schrieb alle Libretti, und Francesco Cavalli schrieb alle Musik. Obwohl sich Publikum und Ensemble bitter über die Räumlichkeiten beschwerten, bereitete man im Herbst schon die dritte Oper vor, La Calisto. Sie erzählt, sehr frei nach Ovid, von der Nymphe Kallisto, die von Jupiter in Gestalt Dianas verführt und deshalb von der eifersüchtigen Juno in eine Bärin verwandelt wird. Als Sternbild des Großen Bären findet sie schließlich Erlösung. Ein zweiter Handlungsstrang ist der Liebe zwischen Diana und Endymion gewidmet, die dadurch erschwert wird, dass Diana über weite Strecken der verkleidete Jupiter ist. Der Hirtengott Pan und ein kleiner Satyr stellen »auf bepelzten Füßen«, wie die Akten der Kostümabteilung verzeichnen, ebenfalls dem Mischwesen Diana-Jupiter nach, Merkur kommentiert das Chaos in zynischer Weise, eine dümmliche Dienerin feiert ihr sexuelles Erwachen, die Natur, das Schicksal und die Ewigkeit treten als allegorische Figuren auf, es gibt ein Bärenballett und ein Furienballett und Francesco Cavallis wunderbare Musik.

La Calisto stand unter keinem guten Stern. Wenige Wochen vor der Premiere erkrankte der Kastrat, der den Endymion spielen sollte, und man fand auf die Schnelle wohl nur einen Knabensopran als Ersatz, der für diese Rolle viel zu schlecht und viel zu hoch sang. Endymions Soli mussten auf andere Sänger verteilt und die übrige Partie transponiert werden. Die Struktur der gesamten Oper begann zu zerfallen, immer mehr Szenen wurden gestrichen, neue Szenen und Rollen hinzugefügt, Cavalli kam mit der Musik nicht mehr hinterher, und seine Frau Maria, die ihm als Kopistin zur Hand ging, bestellte bis knapp vor der Premiere immer mehr Notenpapier bei der Direktion. Vielleicht waren auch die Bärenkostüme aus Schaffell nicht fertig, oder die »fleischfarbene Seide«, mit der man wohl die Blößen der Nymphen bedecken wollte, wurde nicht rechtzeitig geliefert.

Am 28. November ging dann alles über die Bühne – und floppte. Das kleine Theater blieb halbleer. Der Kastrat starb, dann starb auch Giovanni Faustini. Tapfer absolvierte man weitere elf Aufführungen, was im opernbesessenen Venedig einem Desaster gleichkam, und schließlich verschwand La Calisto in der Versenkung. Francesco Cavalli ging in Jupiters Rüstung zum Karneval, lieh die Bärenkostüme an Freunde aus und komponierte dann ungerührt die Musik zu allen Libretti, die er in Faustinis Nachlass fand. Dank Maria Cavallis sorgfältiger Partitur, die in einer einzigen Fassung erhalten blieb, erfuhr La Calisto in den 1980er-Jahren eine Wiedergeburt und wird bis heute mit großem Erfolg gespielt.

Das erotische Chaos, das sich in diesem Stück entfaltet, ist durch das Textbuch nicht vollständig festgelegt. Je nachdem, wer Jupiter singt, wenn er sich in Dianas Körper befindet, sieht man sich entweder mit vielen lesbischen Liebesszenen zwischen zwei Sopranistinnen konfrontiert oder aber mit einem göttlichen Transvestiten, der halbstundenweise in der Fistel singt; Jupiter ist eine Baritonrolle. In einer Zeit, in der sowohl Männer- als auch Frauenrollen immer öfter den Kastraten anvertraut wurden und die Primadonnen allmählich um ihre Existenz zu fürchten begannen, wirkten solche Verwegenheiten wohl schon anachronistisch; sie mögen mit ein Grund dafür gewesen sein, warum den Venezianern La Calisto nicht gefiel.

In modernen Aufführungen singt meistens der Darsteller des Jupiter auch Jupiter-als-Diana; Giovanni Faustini entschied sich bei der Uraufführung für die kompliziertere, klangschönere und weniger komödiantische Variante und bürdete der Sängerin der Diana auch den verwandelten Jupiter auf. Ohne sich auch nur umziehen zu dürfen, musste sie glaubwürdig vermitteln, dass sie plötzlich ein Mann war, musste Kallisto verführen, Endymions pseudo-homoerotische Avancen abschmettern und sich dann sofort in die echte Diana zurückverwandeln und nach Endymion schmachten. Dass dieser wohl von einem überforderten Sängerknaben gespielt wurde, dürfte ihr die Sache nicht erleichtert haben. Für eine Sopranistin mit Bühnenerfahrung, Humor und Phantasie war dieses Zwitterwesen aus dem Olymp wohl trotz allem eine reizvolle Aufgabe.

Der Buchhaltung des Teatro Sant’Aponal ist zu entnehmen, dass sie für ihre Bemühungen eine großzügige Gage bekam, dazu einen Bonus und Silbergeschirr, und dass sie »Margarita da Costa« hieß. Mit großer Wahrscheinlichkeit verbirgt sich hinter diesem Namen die Römerin Margherita Costa, eine unstete Sängerin von etwa fünfzig Jahren. »Mit großer Wahrscheinlichkeit« stellt fast einen Anlass zum Jubel dar, wenn man dem seltsamen Leben dieser Künstlerin nachspürt. Ihre Biographie ist ein Trümmerfeld voller Lücken und Rätsel. Sie schrieb fünfzehn Bücher: bändeweise Gedichte, Opernlibretti, den Bericht von einer Reise, an der sie nicht teilnahm, eine surreale Sexkomödie, ein geistliches Epos, fiktionale Liebesbriefe, die bald nach ihrem Tod auf dem Index landeten, das Skript für ein Pferdeballett und eine geheimnisvolle Autofiktion in Terzinen, die nur im Manuskript überliefert ist; damit war sie eine der produktivsten Schriftstellerinnen ihrer Zeit.

Giovanni Faustini war gut mit ihr bekannt. Schrieb er die Diana, den Dianajupiter, die Jupiterdiana für sie? Wir wissen es nicht. Es gibt keine schönere Rolle als diese für die vielseitige Virtuosin Costa.

II

Ich lebte wechselvoll, auf tausend Arten,

nach meinem Willen, Gut und Schlecht vermengt.

Ich lebte frei, bis mich zwei Augen narrten,

die mich in Liebesfesseln eingeengt.

Ich sah die Tugend, ich sah Missetaten,

bald war ich glücklich, bald in Gram versenkt,

doch niemals führte ich ein stilles Leben;

nach froher Ruhe will ich fortan streben.1

Allzu viel frohe Ruhe war Margherita Costa nicht vergönnt. Ob sie danach strebte, ist fraglich. Sie liebte die Selbstbetrachtung. Allerdings sollte man sich hüten, ihre Geständnisse und Pläne für bare Münze zu nehmen. Viele ihrer Gedichte folgen dem Schema »bisher tat ich dieses, in Zukunft will ich jenes tun«: »Ich will kein Lotterleben mehr führen, ich will meine Ruhe«; »ich will nicht mehr singen, ich werde Hausfrau«; »ich verabschiede mich von der Liebe, ich will fortan nur noch handarbeiten« (S. 106); »ich will meinen irdischen Besitz loswerden, ich gehe nämlich ins Kloster« (S. 332); »ich werde mich nicht mehr schönmachen, ich will nur noch dichten« (S. 164); »ich hänge die Dichtkunst an den Nagel und werde in Zukunft beleidigt schweigen« (S. 198). Keinen dieser Vorsätze hat sie je erfüllt. Oft sind zwei gegensätzliche Zukunftsvisionen im selben Buch abgedruckt. Nur einer Aussage widerspricht sie nie: Vissi a mia voglia – ich lebte nach meinem Willen.

Im Oktober 1680, etwa zwanzig Jahre nach ihrem Tod, lieh Antonio Magliabechi, Bibliothekar des Hauses Medici, ihre gesammelten Werke an einen Interessenten aus. Die Angelegenheit war ihm anscheinend nicht ganz geheuer. Er rechtfertigte sich in einem Brief:

Alle, welche die Costa gekannt haben, versicherten mir einstimmig, dass sie mit den einzigartigsten Gaben gesegnet und von unvergleichlicher Zucht und Höflichkeit war. Es ist wahr, dass sie für einige Zeit die Hurenkunst übte; dies könnte man allerdings auch verschweigen, da es mir nicht notwendig erscheint, dass jemand, der Literaten katalogisiert, in einem solchen Verzeichnis auch all ihre Makel aufführt. Zumal sie diese Tätigkeit wohl nur früh und vielleicht aufgrund von Armut oder wegen ihrer Eltern etc. ausübte. Gewiss ist, dass alle, die sie kannten, sie mir als sehr anständig, sehr höflich, als Virtuosin in tausend Dingen und auch als sehr fromm empfohlen haben.

Virtuosin (virtuosa) und Hure (meretrice, wörtlich »Geldverdienerin«) sind die Wörter, mit denen Margherita Costa am häufigsten beschrieben wurde. Das Adjektiv virtuoso bedeutet »tugendhaft«, »befähigt«, »kenntnisreich«, auch »tapfer«. Unter einem virtuoso verstand man einen Künstler oder Gelehrten in den verschiedensten Disziplinen von der Malerei bis zur Alchemie, auch einen interessierten Dilettanten, einen Sammler, einen Schöngeist. Ein wenig Libertinage schwingt mit, ein wenig Merkwürdigkeit, und manchmal wurde das Wort auch ironisch gebraucht und ähnelte dem modernen »Nerd«.

Noch schillernder ist die weibliche Form. Meistens war eine virtuosa eine Sängerin, sie konnte aber auch eine andere Künstlerin sein, eine donna accademica – ein Blaustrumpf, ein »gelehrtes Weib« – oder aber eine Frau, die in irgendwelchen Künsten bewandert war, auf die man vielleicht nicht näher eingehen wollte. Hier schließt sich der Bogen zur meretrice.

Margherita Costa war in ihrer Heimatstadt Rom als Prostituierte registriert. Der Beleg findet sich in einem Testament von 1635, von dem später noch die Rede sein wird. Zu diesem Zeitpunkt war sie seit mindestens zehn, wahrscheinlich schon seit fast zwanzig Jahren im Geschäft; Magliabechi irrt, wenn er ihre Hurenkunst für eine Jugendsünde hält.

Dem Testament ist ebenfalls zu entnehmen, dass Margherita als älteste Tochter eines Cristoforo Costa und seiner Frau Dorotea in Rom zur Welt kam. Sie hatte zwei Schwestern, Anna Francesca, genannt Checca, die ebenfalls eine Karriere als Kurtisane und Sängerin begann, und eine weitere Anna, von der man nur weiß, dass sie eines Tages ins Kloster ging, sowie einen Bruder, Paolo.

Alle Lebensdaten der Familie Costa sind unbekannt. Ein Theateragent, der Margherita 1646 in einem Brief erwähnte, gab ihr Alter mit siebenundvierzig an; damit wäre sie um die Jahrhundertwende geboren.

Die Prostitution war in Rom ein legales, steuerpflichtiges und streng reglementiertes Gewerbe. Als donna libera war eine Hure eine mündige, geschäftsfähige Unternehmerin, die keinem Mann Rechenschaft schuldig war. Sie durfte Verträge unterzeichnen, Immobilien kaufen und verkaufen, Schulden eintreiben, Prozesse führen, mit Pfandbriefen handeln und Bürgschaften übernehmen; auf der anderen Seite durfte sie die heilige Kommunion nicht empfangen. Sie durfte in der Dunkelheit das Haus nicht verlassen, keine Seide tragen, nicht Kutsche fahren, sich nicht verkleiden, vor allem nicht als Witwe, Nonne oder Mann. Sie durfte sich keinen bewaffneten Männern nähern, was für Freunde und Kunden ebenso galt wie für den Personenschutz, den sie bezahlen musste, wenn sie nicht alleine in all ihrem teuren Putz zu Fuß oder in einer klapprigen Sänfte die Stadt durchqueren und einen Raubüberfall riskieren wollte. Sie durfte nicht heimlich, in Teilzeit, unter dem Deckmantel eines anderen Berufes oder in der Nähe einer Kirche arbeiten; sie durfte keinen Zuhälter haben oder selbst als Zuhälterin tätig werden; sie musste in Trastevere wohnen; strenggenommen musste sie sogar ein gelbes Stück Stoff an ihrer Kleidung befestigen, doch diese alte Vorschrift wurde im 17. Jahrhundert nicht mehr durchgesetzt.

Die römischen Hurengesetze wurden sehr unterschiedlich und willkürlich ausgelegt, nicht nur abhängig vom Status der Delinquentin. Selbst eine elegante Kurtisane war nicht davor gefeit, wegen einer Kutschfahrt oder einer Seidenmantille öffentlich ausgepeitscht und nach Konfiszierung ihres Besitzes aus der Stadt gejagt zu werden. Gleichzeitig liefen die Huren in solchen Horden durch die römischen Straßen, dass Touristen und Pilger ihren Augen nicht trauten, und der Heilige Stuhl strich ihre Steuern und Bußgelder ein. Und natürlich erhielten sie doch die heilige Kommunion – unauffällig, vor der Frühmesse, gegen eine kleine Spende. Um in diesem Beruf erfolgreich und halbwegs sicher zu sein, brauchte man vor allem eines: gute Beziehungen.

III

In ihrem Gedicht Elisa infelice, worin die Autorin unter dem Namen Elisa Teile ihres unglückseligen Lebens beschreibt, blickt Margherita Costa mit Stolz und ohne falsche Bescheidenheit auf den Beginn ihrer Karriere zurück:

Auf ihrem Thron, wie eine Königin,

hielt sie Hof, der Venus Ebenbild,

der höchste Geist, der unbeugsamste Sinn –

nur sie hat solche Leidenschaft gestillt.

Ein Heer Verliebter drängte zu ihr hin,

von Amors Strahlen war sie eingehüllt;

ein einz’ger Blick aus ihren schönen Augen

konnte Zeus des Donnerkeils berauben.

Und auch mit Wohlklang fing sie alle Seelen,

da sich die Schönheit mit Musik verband,

man ließ sich von Elisa gerne quälen,

ein jedes Herz hielt sie in ihrer Hand.

Zur neuen Göttin möchte man sie wählen,

die Winde standen still, sobald sie sang.

Dank ihren Gaben, ihrem süßen Ton

sah man die Sterne selbst in Konjunktion.

Der Beruf einer Kurtisane war durchaus attraktiv. Es muss nicht die bitterste Armut gewesen sein, die Margherita Costa diesen Weg wählen ließ, wie der Bibliothekar Magliabechi vermutete. Sein Nachfolger, der ebenfalls mit der Katalogisierung ihrer Werke beschäftigt war, nannte sie eine Römerin aus niedrigstem Stande, doch ist das wohl nicht ganz wörtlich zu nehmen. Sowohl Margherita als auch ihre Schwester Checca lernten lesen und schreiben und genossen eine musikalische Ausbildung; es ist unwahrscheinlich, dass die Familie Costa in der Gosse lebte.

Wollte sich eine Kurtisane in Rom gegen die Konkurrenz durchsetzen, musste sie Geld investieren. Sie brauchte elegante Räumlichkeiten, Kleidung, Schmuck und Schönheitsmittel, Bedienung, Bewirtung. Ölgemälde mit mythologischen Szenen für Schlafgemach und Salon. Bücher, um sich fortzubilden, damit sie artig parlieren konnte und die Kundschaft nicht langweilte. Eine Laute und eine Gitarre, vielleicht auch ein Cembalo. Ein Himmelbett mit vielen Matratzen, feinem Bettzeug, Samtkissen, Vorhängen und Draperien, so dramatisch wie eine Opernbühne. Bestechungsgelder für die Sittenpolizei. Die perfekte Kurtisane war ihr eigenes Kunstwerk, ein Echo der antiken Hetäre, Frau Venus in Menschengestalt; eine solche Illusion war nicht gratis.

Mit seiner Vermutung, dass Margheritas Eltern vielleicht schuld an ihrem Beruf waren, stand Magliabechi nicht alleine da. In Rom ging wohl das Gerücht, dass sich Signor Costa von seinen hübschen Kindern aushalten ließ. Es fand den Weg in den Schlüsselroman Eudemia (»das glückliche Leben«) von 1645, worin der Dichter Gian Vittorio Rossi in lateinischer Sprache und antikisierender Verkleidung über Sittenverfall, Korruption und Vetternwirtschaft in der römischen Gesellschaft spottet. Man begegnet hier einem Herrn Pleura, in dem bereits Quasi-Zeitgenossen Margheritas Vater erkannt haben wollen – und wohl nicht nur deshalb, weil »Pleura« das griechische Wort für »Rippe« ist und »Costa« das italienische. Dass Margherita selbst kurz nach Erscheinen des Buches dafür plädierte, Rossis Geschreibsel als Einwickelpapier für Sardellen zu verwenden (S. 334), spricht ebenfalls dafür, dass sich sein Rufmord wirklich gegen die Costas richtete.

Ich hatte gerade den Apollotempel verlassen, berichtet einer der Protagonisten des Romans, als mir ein gutgekleideter Greis entgegenkam, der meine Freundschaft suchte. »Würdest du mich kennen«, sagte er, »so wüsstest du, dass ich ein aufrechter Mann bin und sehr auf meine Reputation bedacht. Kein anderer von meinem Stand und Rang achtet so sehr auf seinen guten Namen, und niemand hat eine Frau oder Kinder, die für ihre Sittsamkeit so berühmt sind. Lieber ließe ich mein Leben, als dass ich auch nur den kleinsten Schandfleck auf meinem guten Ruf ertrüge. Auch bade ich allwöchentlich in einem reinigenden Fluss und opfere den Göttern ein Lamm. Doch mein Sohn durchkreuzt meine Pläne und bringt mir weniger Achtung entgegen, als sich geziemen würde. Vor einigen Tagen hat er in einem Streit seinen Gegner mit dem Schwert durchbohrt und ihn dieserart in den Orkus geschickt. Bei all seinem Jähzorn ist er von sehr großer Schönheit und hat viele Tugenden. Kaum älter als zwanzig, ist er reizend und hübsch von den Haaren bis hinunter zu den Zehennägeln. Im Spiel mit dem Schwert und in der Reiterkunst zeichnet er sich vor allen anderen aus, und zudem singt er so schön, dass Apollon selbst ihn beneidet.«

»Von welch elegantem Knaben du mir hier erzählst«, sagte ich. »Welch glückliche Mutter, die einem solchen das Leben schenkte. Wie lautet sein Name?« »Pusillus Pleura«, erwiderte er. »Darf ich fragen, ob er verheiratet ist?« »Das mögen die Götter verhüten«, sagte er. »Dies ist nun eine Sorge, mit der er mich nicht belastet. Doch er hat eine Schwester, die mit einem jungen Mann verheiratet ist, der gut aussieht und beim Adel sehr beliebt ist. Abgesehen von ihrer Schönheit – gewiss hörtest du bereits von ihrer Eleganz – kann sie so geschickt die Flöte blasen, dass sie damit Jupiter aus dem Himmel zu locken vermag. Heerscharen vornehmer Herren haben sie deshalb besucht, und weil mein Haus nicht groß genug war, um sie alle zu empfangen, musste ich ein größeres mieten, im besten Viertel der Stadt. Es war kein Wunder, dass alle sie hören wollten, denn man hatte sie länger entbehren müssen. Wir waren erst kürzlich von einem Besuch bei König Anthimus zurückgekehrt, der uns zur Hochzeit seiner Schwester eingeladen hatte und volle acht Monate bei sich behielt. Ich liebe meine Tochter, weil sie mir gehorcht und die Götter fürchtet. Ich mag sie nur deshalb, weil sie mich hervorragend behandelt, mich kleidet und schmückt. Von welchem Geld das arme Ding dies alles bezahlt, weiß ich nicht; es steht einem guten Vater nicht an, danach zu fragen.«

Als ich dies hörte, verstand ich endlich, dass dies der Vater der berühmten Hure Pleura war. Von unbeschreiblicher Scham ergriffen und in großer Furcht, mit ihm gesehen zu werden, trennte ich mich schnell von ihm und lief vor dieser Schande davon.

In dieser Passage hat es den Anschein, als ob nicht nur die Schwester, sondern auch der Bruder die Hurenkunst übte. Rossi gibt sich große Mühe, das anzudeuten, ohne es aussprechen zu müssen. In Sachen Männerliebe stand das barocke Rom dem antiken in nichts nach. Auch war es nicht unüblich, dass weibliche und männliche Prostituierte zusammenarbeiteten. Da dieser Gelderwerb für Männer bei Todesstrafe verboten war, kümmerten sich ihre Kolleginnen oft um Werbung und Organisation. Margherita fühlte sich jahrzehntelang für ihren Paolo verantwortlich. Von seiner Neigung, Leute zu erstechen, wird später noch die Rede sein.

Im Karneval 1626 ist ihre Karriere als Sängerin zum ersten Mal zu datieren. Fürst Giovanni Giorgio Aldobrandini hatte eine Oper in Auftrag gegeben, La catena d’Adone, worin sich die Göttin Venus und die Zauberin Falsirena sehr intensiv um Adonis’ Liebe streiten. Das Libretto stammte von dem bekannten Dichter Ottavio Tronsarelli, und Domenico Mazzocchi setzte es in Musik.

Das Stück sollte im Privattheater des Palazzo Conti aufgeführt werden. Deshalb konnte man sich die Verwegenheit leisten, die Hauptrollen mit zwei Frauen zu besetzen. In Rom und im gesamten Kirchenstaat war es Frauen verboten, öffentlich zu singen. Papst Sixtus V. hatte das Apostelwort mulier taceat in ecclesia (»die Frau schweige in der Kirche«) dieserart ausgelegt; sein Verdikt aus dem Jahr 1588 blieb bis zum Ende des 18. Jahrhunderts gültig und wurde zumindest in Kirchen und kommerziellen Theatern relativ strikt befolgt. Es führte nicht nur dazu, dass man um des schönen Diskants willen zu Hunderten die Knaben kastrierte, sondern hatte gewiss auch einen Anteil daran, dass die meisten römischen Sängerinnen auch Kurtisanen waren: Für eine anständige Frau war diese Karriere nur im seltensten Fall eine Option. Auch die Kastraten boten oft erotische Dienstleistungen neben den musikalischen an, wenn auch ohne Steuerpflicht und ohne rechtlichen Rahmen. Unter den Mäzenen, Impresarios, Freunden und Kunden dieser vielseitigen Künstlerinnen und Künstler fanden sich viele Kardinäle und Mitglieder der ehemaligen, aktuellen und künftigen Papstfamilien; Musik und Hurenkunst waren gleichermaßen eingebettet in das allgegenwärtige, undurchsichtige Patronagesystem, das jahrhundertelang die italienische Kulturpolitik prägte.

Für Venus und Falsirena wurden Margherita Costa und eine ihrer Kolleginnen ausgewählt, die unter dem Spitznamen »Checca del Padule« bekannt war. »Del Padule« bedeutet »aus dem Sumpf«; gemeint ist ein dauernd überschwemmtes Rotlichtviertel in Trastevere. Checca war die übliche Koseform von Francesca. Es ist unwahrscheinlich, dass es sich bei dieser Checca um Margheritas Schwester handelte.

Was wohl als Vorsingen begann, artete in einen Sängerinnenkrieg aus. Fürst Aldobrandini protegierte die eine, ein Fürst Lupi die andere Virtuosin, und man ließ sie immer wieder gegeneinander antreten, um zu entscheiden, ob nun der Sumpf-Checca der Vorzug zu geben sei oder Margherita Costa, berühmt weniger für ihre Gesangskunst als für ihr schändliches Gewerbe. Kronzeuge ist hier wiederum Gian Vittorio Rossi, der anscheinend eine persönliche Abneigung gegen Signora Costa hatte. Die Frage wurde mit großer Leidenschaft und sehr ausführlich diskutiert, bis einer Dame des Hauses Aldobrandini das ewige Wettsingen der Kurtisanen zu bunt wurde. Sie untersagte eine Fortsetzung, entließ Margherita und Checca und engagierte stattdessen eigenmächtig zwei Soprankastraten. Diese zankten sich schließlich am 12. Februar 1626 im Palazzo Conti als Venus und Falsirena um den Altkastraten Adonis.

Der verhinderte Auftritt – es mag das verhinderte Bühnendebüt der Mittzwanzigerin gewesen sein – zeigt Margherita Costa nicht nur als Sängerin, sondern auch zum ersten Mal in jenem mysteriösen Netzwerk von »guten Beziehungen«, das fortan einen großen Teil ihrer Lebensstrategie ausmachte. Wir wissen nicht, ob Fürst Aldobrandini oder Fürst Lupi ihr Patron war oder welche ihrer späteren Kontakte schon aus dieser Zeit datieren; möglicherweise war sie bereits mit den Barberini bekannt, die mit Urban VIII. den aktuellen Papst stellten.

Die wichtigste Rolle in der apostolischen Mafia, der man sich andienen musste, wenn man es in Rom zu etwas bringen wollte, spielten jeweils die Neffen der Päpste; das Wort »Nepotismus« hat hier seinen Ursprung. 1626 waren das die Kardinäle Francesco und Antonio Barberini und der weltliche Taddeo, später Präfekt von Rom. Margherita Costa spielte mit Vehemenz und nicht ohne Geschick auf der Klaviatur der Patronage, wobei oft nicht festzustellen ist, ob ihre vielen Bitten um Unterstützung auch wirklich erhört wurden. Zwanzig Jahre nach dem Wettsingen um Adonis’ Gunst – sie hatte inzwischen zehn Bücher veröffentlicht und auch die Medici in die lange Liste ihrer »Freunde« aufgenommen – nannte man sie immer noch »die Hure Costa«.

IV

Bald nach dem ergebnislosen Wettsingen zog Margherita nach Florenz. Der Anlass könnten die Feierlichkeiten zur Hochzeit einer Schwester des achtzehnjährigen Großherzogs Ferdinando II. de’ Medici gewesen sein, für die man Musikerinnen und Musiker aus ganz Italien zusammenrief; Rossi mag darauf anspielen, wenn er von der »Hochzeit von König Anthimus’ Schwester« spricht. Auch wenn sie letztendlich ihre Rolle nicht singen durfte, hatte Margherita Costa der Skandal um La catena d’Adone vielleicht eher genützt als geschadet.

In Florenz verließ sie plötzlich den Wirkungskreis, den man einer Virtuosin gemeinhin zugestand. Sie veröffentlichte ihr erstes Buch: Istoria del viaggio d’Alemagna del serenissimo Gran Duca di Toscana Ferdinando Secondo (»Geschichte der Reise nach Deutschland Seiner Durchlaucht des Großherzogs der Toskana, Ferdinando des Zweiten«). Es ist einem Spanier namens Juan de Erasso zugeeignet, der sich als Gesandter Seiner katholischen Majestät in Florenz aufhielt. In ihrer Vorrede entschuldigt sie sich demütig für die Vermessenheit, in schlechtem Stil und mit mangelhaftem Talent derart hochherrschaftliche Ereignisse zu beschreiben; dies stehe jemandem, dem der Himmel ein solch dürftiges Schicksal beschieden hat, nicht zu. Sie gibt an, den Aufzeichnungen des Sekretärs Benedetto Guerrini zu folgen, der Ferdinando auf dieser Kavalierstour begleitet und ihr dann freundlicherweise seine Tagebücher überlassen habe. Nach weiteren Demutsadressen und Lobreden auf den Großherzog erzählt sie Tag für Tag dessen Reise nach, von Florenz über Rom und Venedig nach München, Prag, Salzburg und wieder zurück. Der Text liest sich so, wie man sich das Tagebuch eines Sekretärs vorstellt: staubtrocken, sorgfältig datiert, eine Auflistung von zeremoniellen Anlässen. Man kann ein Inventar der Münchener Residenz anhand dieses Buches erstellen, man erfährt, dass am 29. April 1628 in Wolfratshausen die Sonne schien, wie viele Personen in wie vielen Kutschen in welcher Sitzordnung von Pilsen nach Prag fuhren, und auch, wie ein Bankett der Familie Barberini in Rom ablief; über Margherita Costa, ihren Blick auf die Welt, ihre literarischen Fähigkeiten erfährt man nichts – außer, dass sie in höchster Geschwindigkeit druckreife vierhundert Seiten füllen konnte und sich nicht davor scheute, in eine Männerdomäne einzubrechen; es gab keine Reiseberichte dieser Art aus weiblicher Feder.

Warum der Sekretär des Großherzogs der Toskana seine Tagebücher einer römischen Kurtisane überantwortete, warum sich der spanische Gesandte über dieses Buch freuen sollte, ob er sich denn freute, ob sich der junge Großherzog freute, seine Schwestern und Brüder, seine Mutter, der gesamte Medici-Clan, sei dahingestellt. Margherita Costa wünschte sich wohl Protektion, vielleicht eine Legitimierung ihrer zweifelhaften Existenz, vielleicht eine glanzvolle Zukunft in der Toskana; diese Wünsche wurden fürs Erste bitter enttäuscht.

Kaum war das Buch erschienen, brach in Florenz die Pest aus. In zwei Wellen tötete sie bis Anfang 1633 ungefähr jeden zehnten Bewohner der Stadt. Um die Epidemie einzudämmen, erfand man ein ausgefeiltes System der Kontaktnachverfolgung, gründete ein neues Gesundheitsamt, schloss sämtliche Geschäfte und sperrte die Florentiner schließlich monatelang in ihren Häusern ein. Da standen sie denn auf den Balkonen und sangen.

Margherita war zu diesem Zeitpunkt wohl schon wieder zuhause in Rom. Die ewige Stadt blieb von der Pest der 1630er-Jahre verschont.

Nach etwa fünfunddreißig Lebensjahren, die aus Randbemerkungen, übler Nachrede und nebulösen Details mehr schlecht als recht zu rekonstruieren sind, bekommen wir die Künstlerin im Mai 1635 für einen kurzen Augenblick zu fassen. Die Altbestände des römischen Staatsarchivs verwahren ein Testament, das einen gewissen Einblick in ihre Lebensverhältnisse bietet, wenn es auch mehr Rätsel aufgibt als löst.

Es ist von einem Notar verfasst und am Rand von der Erblasserin mehrfach mit fester Hand unterschrieben. Sie meint im Sterben zu liegen und will ihre Angelegenheiten regeln, damit nach meinem Tod kein Streit ausbreche über meinen Besitz.

Damit das Testament einer Kurtisane gültig war, musste sie ein Fünftel ihres Besitzes dem Klosters Santa Maria Maddalena hinterlassen, einem Augustinerinnenkonvent für bekehrte Sünderinnen; dieser sogenannte spoglio, eine von der apostolischen Kammer verfügte Zwangsabgabe, ist hier pflichtschuldig aufgeführt und kann wohl als Beweis gelten, dass die Erblasserin in diesem Beruf registriert war.

Sie besitzt ein Haus in der Via Lungara in Trastevere sowie einen kleinen Weinberg vor der Porta Portese, eine beliebte Geldanlage für den Mittelstand. Beides ist mit einer Hypothek belastet. Ihren wohl teuersten Schmuck musste sie verpfänden, ein Brillantcollier, das sie sicherheitshalber in zwei Teile zerlegt und in zwei verschiedene Leihhäuser getragen hat, eine Hälfte ins jüdische Ghetto, die andere Hälfte in das päpstliche Pfandhaus beim Monte di Pietà.

Ihr Vater ist verstorben. Die Mutter wird als Testamentsvollstreckerin eingesetzt und soll dafür Sorge tragen, dass alles nach Margheritas Wunsch abgewickelt wird. Sie legt Wert darauf, dass ihre Schulden bezahlt werden, dass ihre Schuldner – zwei Männer, gegen die sie prozessiert – auch die ihren bezahlen und dass sie trotz allem vielleicht in den Himmel kommt: Da meine Seele mein vornehmster Besitz ist, empfehle ich sie Gott und dem ganzen himmlischen Hofstaat, und ich flehe sie an, dass sie mich im Falle meines Todes vor den Schlingen des Teufels bewahren.

Sie möchte im engsten Familienkreis und in ihrem eigenen Kirchspiel bestattet werden, in der Kirche San Francesco a Ripa in Trastevere, im Ornat einer Franziskanerin. In Santa Maria della Vittoria soll man zusätzlich Seelenmessen für sie lesen, sechs pro Jahr, bis in alle Ewigkeit; dafür bekommt die Kirche einen Brillantring. Auch in San Gregorio, San Lorenzo und Santa Prassede soll man für sie beten, und für die Seele ihres Vaters bestellt sie gleich hundert Messen.

Die Mutter erbt das zerteilte Brillantcollier, so es ihr denn gelingt, es aus den beiden Leihhäusern zu befreien. Die drei Geschwister Paolo, Checca und Anna bekommen Schmuck, Geld und die guten Kleider, der Bruder von allem doppelt so viel wie die Schwestern. Ihm sind auch die besten Stücke aus Margheritas Herrengarderobe zugedacht, ein Wams und eine zimarra, ein ärmelloser, langer Mantel. Sich als Mann zu verkleiden, war oft die einzige Möglichkeit, sich halbwegs sicher in der Stadt zu bewegen – auch wenn es den römischen Prostituierten bei Strafe verboten war.

Keinen Schmuck, drei der schlechteren und billigeren Kleider, das meiste Geld und das Haus in der Via Lungara, so denn die Hypothek eingelöst werden kann, sollen drei Mädchen namens Barbara, Vittoria und Olimpia erben. Margherita nennt sie die »kleinen Schwestern«. Man wagt sich wohl nicht zu weit vor, wenn man in ihnen drei Töchter vermutet. Dass die Erblasserin auf dem Sterbebett ihre Kinder verleugnete, mag grausam erscheinen, ist aber vor allem vernünftig. Uneheliche Kinder, besonders Mädchen, waren ohnehin geächtet, und in Rom kam noch hinzu, dass der Vatikan sie einsammeln und in Besserungsanstalten stecken ließ, um zu verhindern, dass sie den Beruf ihrer Mütter ergriffen. Kamen sie in das Alter, in dem man sie zu Frauen erklärte – zehn oder zwölf Jahre –, und wusste das Kirchspiel von ihrer Existenz, klopften bald die päpstlichen Schergen an. In einem der diversen Magdalenenklöster, in denen die Töchter von Huren verwahrt, für die Sünden ihrer Mütter bestraft und als Wäscherinnen für die Geistlichkeit missbraucht wurden, wollte man seine Kinder nicht sehen. Kaum eine römische Prostituierte wagte es, Töchter im eigenen Haushalt großzuziehen. Auch die Lebenserwartung weiblicher Säuglinge war in dieser Branche wohl eher gering. Es ist unwahrscheinlich, dass Barbara, Vittoria und Olimpia bei Margherita lebten. Das Testament deutet Distanz an: Die Mädchen sollen finanziell abgesichert werden, aber weder Erinnerungsstücke an ihre »große Schwester« bekommen noch deren hübschere Kleider. Die Geschichte von Margherita Costa und ihren Töchtern ist eine traurige, und sie ist hier noch längst nicht zu Ende.

Kein Geld, keinen Schmuck und auch keine zimarra ist Giovanni Galbetti zugedacht. Das ist Margheritas Ehemann. Er bekommt eine Kammervoll allerlei Korduanleders in Blau und in Gold, insgesamt 260 Stücke. Die Erben sollen sich hüten, Signor Galbetti wegen der Ansprüche, die ich ihm gegenüber habe, zu belästigen, weil ich das so verfüge und weil ich das so will. Stünde nicht »mein Mann« hinter seinem Namen, könnte man diesen Giovanni für einen beliebigen Schuldner halten, dem die Erblasserin auf dem Sterbebett sehr christlich seine Schulden erlässt.

Unter Korduanleder verstand man feines, oft gefärbtes oder geprägtes Ziegenleder, das vor allem in der Täschnerei, für modische Schuhe oder auch für Möbelbezüge gebraucht wurde. Warum Margherita eine ganze Kammer voller Korduanleder besaß und dieses ihrem Mann als einziges Erbe hinterließ, bleibt ein Mysterium. Die Korduanmacherei war ein eigenständiges Handwerk. War Signor Galbetti ein Korduanmacher und hatte seiner Frau, als er sich wieder einmal Geld von ihr borgte, als Sicherheit stapelweise Rohmaterial in eine Kammer gelegt? Ist dieser Satz ebenfalls als Schuldenerlass zu verstehen?

Die Eheleute Costa/Galbetti – dass sie nicht seinen Namen annahm, entspricht den damaligen Gepflogenheiten – lebten nicht in Gütergemeinschaft. Giovanni hatte weder Anteil an Margheritas Finanzen noch an ihren Privatangelegenheiten: Immobilien, Zivilprozesse, Seelenmessen, Leihhäuser, »kleine Schwestern« – nichts davon scheint Giovanni Galbetti zu tangieren. Vom apostolischen Hurenfünftel für das Konvertitinnenkloster hatte er seine Frau auch nicht erlöst. Es gehörte einiger Mut dazu, eine Kurtisane zu heiraten. Nicht nur machte man sich unmöglich, man kam auch schnell in Verdacht, ihr Zuhälter zu sein, worauf drakonische Strafen standen. Auf welchem Arrangement diese merkwürdige Ehe beruhte, kann man nur raten. Sie war wohl erstaunlich stabil; zehn Jahre später erwähnt Margherita ihren »Gianni« noch einmal in einem Gedicht, beiläufig, freundlich, mit einem scherzhaften Seitenhieb auf seinen gehörnten Kopf (S. 330).

Das Testament enthält keinen Hinweis darauf, an welcher Krankheit sie litt. Probleme mit einer Schwangerschaft? Die Malaria, die jedes Jahr von Frühling bis Herbst das verschlammte Trastevere heimsuchte? Was auch immer es war, das die Künstlerin 1635 an des Todes Pforte führte: Bald war sie wieder auf den Beinen. Sie brach ihre Zelte in Rom ab, verkaufte ihren Weinberg einem Monsignore Massari und zog zum zweiten Mal nach Florenz.

V

Als Margherita Costa ihre beiden ersten Gedichtbände veröffentlichte – La chitarra (»Die Gitarre«) und Il violino (»Die Geige«), beide 1638, insgesamt gut siebenhundert Seiten –, hatte sie die Kunst der demütigen Vorrede perfektioniert: Nicht sie selbst sei schuld an ihrem ungeschliffenen Stil und den hinkenden Versen, sondern eine missratene Muse mit gestutzten Flügeln und Damenbart, die den Dudelsack blase, mit einem rostigen Plektron auf einer Leier kratze und ihr dabei dauernd Kommandos in die Ohren plärre. Sobald die Kolleginnen mit den vornehmen Namen erschienen – Melpomene, Polyhymnia, Terpsichore –, gebe sie Fersengeld und verstecke sich in den Wäldern des Helikon. Ihr eigener Name ist schlicht und italienisch: Simona. Die entnervte Autorin verprügelt sie zwar zuweilen mit einem Stock, aber Simona ist nicht zu bändigen. Die Terzinen, in denen Costas Wappentier debütiert (S. 90), sind wahrscheinlich die erste komische Dichtung aus weiblicher Feder, die je publiziert wurde. Beide Bücher sind Ferdinando II. de’ Medici zugeeignet und wohl in Florenz gedruckt. Die Verlagsangabe auf den Titelseiten, Francfort: Daniel Wastch, ist ebenso gelogen wie der Zensurvermerk.

Die große Zeit der italienischen Schriftstellerinnen war vorbei. Im 16. Jahrhundert hatten noch viele Frauen geschrieben und publiziert, waren in literarischen Zirkeln gefeiert, in Anthologien abgedruckt, in Lob- und Preisgedichten als »neue Musen« besungen worden. Die langlebige literarische Mode des Petrarkismus, die vor allem auf eleganten Variationen der immergleichen stilistischen und inhaltlichen Versatzstücke beruhte, hatte es sowohl Damen aus gutem Hause als auch einigen wenigen Kurtisanen sehr erleichtert, am literarischen Leben teilzunehmen, ohne dass man sie darum für sittenlos, verrückt oder beides hielt. Kaum eine Frau brach je mit den Konventionen oder verzichtete auf den hohen Ton.

In den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts änderte sich der Geschmack. Das zarte Spiel mit ständigen Imitationen hatte seinen Reiz verloren, die petrarkistischen Floskeln wirkten abgestanden und verkamen immer mehr zur Parodie. Was folgte, war laut, schräg, theatralisch, ironisch, oft obszön und ständig auf der Flucht vor der Fadesse. Das Gewohnte ist immer nur dieses, das Unübliche ist viel neuer, wie Margherita Costa in der Vorrede ihrer Komödie Li buffoni konstatiert. Die literarische Libertinage kam in Mode, das Missgestalte und Groteske, die bizzarria. Wollte sich eine Dichterin in diesem neuen Stil versuchen, so tat sie gut daran, schon vorher ihren Ruf zu ruinieren; denn unbeschadet überstand er das nicht.

In den 1630er-Jahren waren die Frauen aus den Akademien und Anthologien verschwunden. Für Lob- und Preisgedichte auf Poetinnen gab es keinen Anlass mehr. Lichtgestalten wie Vittoria Colonna und Veronica Gambara waren bald nur noch Erinnerungen aus einer geschmackvolleren, milderen Zeit. Margherita Costa war fast die einzige Italienerin, die es wagte, an den poetischen Ausschweifungen des Hochbarocks teilzunehmen. An Lob- und Preisgedichten mangelte es ihr dabei nicht.

Hymnen auf den Autor oder die Autorin waren vielen Veröffentlichungen vorangestellt. Sie erfüllten denselben Zweck wie die überschwänglichen Pressezitate auf heutigen Buchdeckeln. Die gut vernetzte Signora Costa hat sich wahrscheinlich nicht schwergetan, ihre Lobredner zu rekrutieren: den Opernfreund Pompeo Colonna, Fürst von Gallicano (im Dichterkrieg im alten Griechenland / hätte sie den großen Pindar selbst geschlagen); die Schriftsteller Allessandro Adimari, Ferdinando Saracinelli, Andrea Barbazza und Ottavio Tronsarelli (der Arno selbst flicht ihr Perlen ins Haar); den römischen Juristen Bernardino Biscia (mit goldener Leier verwundet sie alle Seelen); einen spanischen Freund des Barberini-Clans, Don Alfonso d’Oviedo Spinoza (selbst in den Tiefen der Meere liegt kein so kostbarer Schatz begraben wie dieser); und einige andere mehr.

La chitarra beginnt mit einer Widmungsrede an Ferdinando II. de’ Medici: