Die Schule der Robinsons - Jules Verne - E-Book

Die Schule der Robinsons E-Book

Jules Verne.

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Beschreibung

Die Schule der Robinsons Jules Verne - Der Millionär William W. Kolderup ersteigert in San Francisco in einem Duell mit seinem Konkurrenten J. R. Taskinar aus Stockton für die Summe von 4.000.000 Dollar die Insel Spencer, die 862 km vor der Küste Kaliforniens liegt. Kolderup plant, seine sechzehnjährige Adoptivtochter Phina Halloney mit seinem ebenfalls bei ihm aufgewachsenen elternlosen Neffen Godfrey zu verheiraten. Bevor er eine Ehe eingeht, will Godfrey jedoch eine längere Weltreise machen und Abenteuer in der Art wie Robinson Crusoe erleben, da er bisher von der Welt eigentlich nur San Francisco kennt. Phina ist bereit, zwei Jahre auf Godfrey zu warten. Notgedrungen fügt sich William W. Kolderup dem Wunsch seines Neffen. Godfrey schifft sich in Begleitung seines braven Tanz- und Anstandslehrers Tartelett auf Kolderups als Schoner getakeltem Dampfer Dream unter dem Kommando von Kapitän Turcotte ein. Kapitän Turcotte steuert einen nicht sehr gradlinigen Kurs über den Pazifik, der das Schiff in Wirklichkeit nur langsam voranbringt. An Bord wird ein blinder Passagier entdeckt. Der Chinese Seng Vou plant, auf dem Schiff bis Schanghai mitzufahren. Elf Tage nach der Abreise bricht ein Sturm los, in dem der Schoner zu sinken droht.

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Jules Verne
Die Schule der Robinsons

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Kapitel

1

In dem der Leser Gelegenheit haben wird, wenn es ihm beliebt, eine Insel zu erstehen

»Eine Insel zu verkaufen! Gegen Barzahlung mit Zuschlag der Unkosten an den Meistbietenden abzugeben!« So wiederholte, ohne Athem zu schöpfen, Dean Felporg, der Commissär der »Auction«, welche zum Zwecke dieses eigenartigen Verkaufs veranstaltet war.

»Insel zu verkaufen! Insel zu verkaufen!« erklang die noch schärfer durchdringende Stimme des Ausrufers Gingraß, der sich inmitten einer erregten Menge hier und dort hindrängte.

Wirklich erschien der geräumige Saal des »Auctionshotels«, Sacramentostraße Nr. 10, vollgestopft mit Menschen. Hier bewegte sich nicht allein eine gewisse Anzahl Amerikaner aus den Staaten Californien, Oregon und Utah, sondern auch verschiedene Franzosen, die einen nicht unbedeutenden Theil der dortigen Einwohnerschaft bilden, neben Mexikanern in ihrer malerischen Sarape, Chinesen in weitärmeligem Ueberkleide, spitzen Schuhen und konischen Mützen, Canaquen aus Oceanien und einzelnen Schwarzfüßen, Dickbäuchen und Plattköpfen, d. h. Vertretern noch vorhandener Indianerstämme, die von den Ufern des Trinityflusses hierher gekommen waren.

Wir beeilen uns hinzuzufügen, daß obiger Vorgang in der Hauptstadt von Kalifornien, in San Francisco, spielte, jedoch nicht zu jener Zeit, wo die lohnende Ausbeutung neuer Fundstätten – wie 1849 bis 1852 – Goldsucher aus der ganzen Welt hier zusammenführte. San Francisco war schon nicht mehr, was es früher gewesen, eine Karawanserei, ein Landungsplatz, eine Herberge, wo die geschäftigen Leute, welche nach den Goldländereien des westlichen Abhangs der Siera Newada strömten, für eine Nacht schliefen – nein, seit einigen zwanzig Jahren hatte das alte und bekannte »Gerba Buena« Platz gemacht einer in ihrer Art einzigen, schon von 100.000 Seelen bevölkerten Stadt, die sich, wegen Mangels an Raum auf dem flachen Vorlande, an der Lehne zweier Hügel ausgebreitet hatte, welche ihr noch Raum zu weiterer Ausdehnung gewährten – einer Stadt, welche Lima, Santiago, Valparaiso und alle Rivalen an der Westküste der Neuen Welt raschen Schrittes überflügelte und welche die Amerikaner zur Königin des Stillen Oceans, zur »Perle der Westküste« zu erheben wußten.

Heute – man schrieb den 15. Mai – war es noch recht kalt. In diesem, den Einwirkungen der Polarströmungen ausgesetzten Lande erinnern die ersten Wochen dieses Monats mehr an die letzten Wochen des März im mittleren Europa. In dem genannten Auctionslocale hätte man davon übrigens blutwenig verspürt. Die unaufhörlich ertönende Glocke desselben hatte eine übergroße Menge Publikum hierher gezogen und eine wirkliche Sommertemperatur ließ auf Jedermanns Stirn große Schweißtropfen hervortreten, welche die Kälte draußen schnell aufgetrocknet hätte.

Nun möge aber Niemand glauben, daß diese Personen alle in genanntem Saale erschienen wären mit der Absicht, das Verkaufsobject zu erstehen; im Gegentheil, es waren meist nur Neugierige. Wer, wenn er auch reich genug dazu war, hätte so thöricht sein können, eine Insel im Stillen Ocean zu kaufen, welche die Regierung ausgeboten hatte? Man sagte sich vielmehr, daß aus dem Verkauf nichts werden und daß sich kein Liebhaber würde hinreißen lassen, den geforderten Preis gar zu überbieten. Daran wäre freilich der öffentliche Ausrufer nicht schuld gewesen, denn dieser bemühte sich redlich, durch seine Redefertigkeit, seine Gesten und die mit den verlockendsten Metaphern geschmückten Lobpreisungen die Anwesenden zu animiren.

Man lachte – aber es bot Keiner.

»Eine Insel! Eine Insel zu verkaufen! wiederholte Gingraß.

– Aber es kauft sie kein Mensch, antwortete ein Irländer, dessen Tasche nicht soviel enthielt, um einen Strandkiesel damit zu bezahlen.

– Eine Insel, welche nach Taxpreis kaum auf 6 Dollars per Acre zu stehen käme! rief der Commissär Dean Felporg dazwischen.

– Und bringt nicht ein Viertel-Procent ein! bemerkte ein dicker Farmer und gewiegter Kenner des Landbaues.

– Eine Insel, welche nicht weniger als 64 Meilen (120 Kilometer) im Umfang und 225 000 Acres (90 000 Hektar) an Oberfläche mißt.

– Ruht sie wenigstens auf solidem Grunde? fragte ein Mexikaner, ein alter professioneller Besucher des Saales, dessen persönliche Solidität in diesem Augenblick mehr als zweifelhaft erschien.

– Eine Insel mit jungfräulichen Wäldern, posaunte der Ausrufer, mit Hügeln, Wiesen, Wasserläufen…

– Die auch garantirt sind? schrie ein Franzose dazwischen, der etwas geneigt schien, auf den Köder anzubeißen.

– Die Wiesen, garantirt! versicherte der Commissär Felporg, der viel zu lange Erfahrung in seinem Metier besaß, um sich von den kleinen Scherzen des Publikums aus der Rolle bringen zu lassen.

– Auf zwei Jahre?

– Bis zum Ende der Welt!

– Und noch ein Bischen darüber!

– Eine Insel zum vollen Eigenthum! ließ sich der Ausrufer wieder vernehmen. Eine Insel ohne jedes schädliche Thier, ohne Raubzeug, ohne Reptilien! ..

– Auch ohne Vögel? fügte ein Bruder Lustig hinzu.

– Und ohne Insecten? setzte ein Anderer die Fragen fort.

– Eine Insel an den Meistbietenden! rief Dean Felporg in ruhigstem Tone. Nun vorwärts, Bürger, die Taschen aufgeknöpft! Wer wünscht sich eine Insel in tadellosem Zustande, kaum noch gebraucht, eine Insel des Stillen Oceans, dieses Oceans der Oceane? Ihre Taxe beträgt fast gar nichts? Elfhunderttausend Dollars (= 4,400.000 Mark)! Nun, findet sich kein Käufer zu 1,100.000 Dollars?… Wer spricht da?… Sie, mein Herr? Waren Sie's da unten?… Sie, der den Kopf wie ein Porzellanmandarin bewegt?… Ich habe eine Insel!… Hier ist eine Insel!… Wer wünscht sich eine Insel?

– Zurücklegen – ein ander Bild?« rief eine Stimme, als hätte sich's um ein Bild oder eine alte Theemaschine gehandelt.

Der ganze Saal brach in helles Gelächter aus, doch ohne daß Jemand auf die Taxe nur einen halben Dollar geboten hätte.

Wenn das Verkaufsobject inzwischen unmöglich von Hand zu Hand gehen konnte, so hatte man doch den Plan der Insel in vielen Exemplaren verbreitet. Die Liebhaber sollten vorher beurtheilen können, was sie von diesem Stückchen des Globus zu erwarten hatten. Hier war keine Ueberraschung, keine Enttäuschung zu befürchten. Lage, Orientation, Vertheilung und Höhenverhältnisse des Bodens, hydrographisches Netz, Klimatologie, Verkehrswege – über Alles konnte man sich auf's Genaueste unterrichten. Man brauchte also nicht die Katze im Sack zu kaufen, und der geneigte Leser darf glauben, daß von irgend einer Betrügerei bezüglich des angebotenen Verkaufsobjects gewiß nicht die Rede sein konnte. Uebrigens hatten die unzähligen Journale der Vereinigten Staaten, ebenso die von Californien, wie die Tagesblätter, die Halb-Wochen- und Wochenblätter, die Halb-Monats- und Ganz-Monats-Zeitungen, die verschiedenen Revuen, Magazine, Bulletins u.s.w. schon seit mehreren Monaten nicht aufgehört, die öffentliche Aufmerksamkeit auf diese Insel zu lenken, deren Licitation durch Congreßbeschluß gutgeheißen worden war.

Es handelte sich dabei um die Insel Spencer, gelegen in Westsüdwest der Bai von San Francisco, gegen 460 amerikanische Meilen (= 862 Kilometer) von der Küste, unter 32° 15' nördlicher Breite und 142° 18' westlicher Länge von Greenwich.

Eine isolirtere Lage hätte man sich freilich kaum vorstellen können, außerhalb aller Seeverkehrswege und Handelsstraßen, obgleich die Insel Spencer nur in verhältnißmäßig geringer Entfernung und sozusagen noch in amerikanischem Gewässer lag. Hier umschließen aber die schräg nach Norden und nach Süden verlaufenden regelmäßigen Strömungen einen See mitruhigem Wasser, den man zuweilen als das »Fleurieu'sche Becken« bezeichnen hört.

Fast im Mittelpunkte dieser enormen Wasserfläche ohne deutlich erkennbare Strombewegung liegt die Insel Spencer. In Sicht derselben kommen auch nur wenige Schiffe vorüber. Die großen Straßen des Stillen Oceans, welche die Neue Welt mit der Alten Welt verbinden, und zwar die nach China ebenso wie die nach Japan, durchschneiden eine weit südlichere Zone. Segelfahrzeuge würden auf diesem Fleurieu'schen Becken endlose Windstillen antreffen und die Dampfer, welche den geradesten Weg einschlagen, könnten keinen Vortheil davon haben, wenn sie dasselbe passirten.

Infolge dessen nahmen weder die Einen noch die Anderen Kenntniß von der Insel Spencer, welche sich gleich dem isolirten Gipfel eines unterseeischen Berges des Großen Oceans erhebt. Für Denjenigen, der sich dem Geräusch der Welt entziehen will, der die Ruhe in der Einsamkeit sucht, hätte es in der That nichts Besseres geben können als dieses mehrere hundert Meilen von der Küste verlorene Land. Für einen freiwilligen Robinson wäre es ein Ideal in seiner Art gewesen! Freilich hätte er den verlangten Preis erlegen müssen.

Warum suchten die Vereinigten Staaten aber sich überhaupt dieser Insel zu entledigen? Folgten sie dabei nur einer Laune? Nein. Eine große Nation kann nicht nach augenblicklicher Laune handeln wie der einzelne Mensch. Die wirkliche Ursache war folgende: Bei der Lage, welche sie inne hatte, war die Insel Spencer seit langer Zeit eine vollkommen unnütze Station gewesen. Sie zu colonisiren hätte keine praktischen Erfolge haben können. Von militärischem Gesichtspunkte bot sie kein Interesse, weil sie nur einen durchwegs verlassenen Theil des Stillen Oceans beherrscht hätte. Für den Handel erschien sie eben so belanglos, weil ihre Producte weder für Hin- noch für Rückfahrt die Kosten gedeckt hätten. Um darauf eine Strafcolonie zu etabliren, lag sie der Küste immer noch zu nahe. Sie aus irgend welchen Rücksichten zu occupiren, wäre also allemal eine nicht lohnende Mühe gewesen. So lag sie denn auch seit über Menschengedenken völlig öde, und der aus »eminent praktischen Männern« zusammengesetzte Congreß hatte deshalb beschlossen, die Insel Spencer zur öffentlichen Versteigerung zu bringen – freilich unter einer daran geknüpften Bedingung: daß der etwaige Ersteher ein Bürger des freien Amerikas sei.

Für nichts und wieder nichts wollte man die Insel indeß nicht weggeben; so war der Taxwerth derselben auf elfhunderttausend Dollars festgesetzt worden. Für eine Actiengesellschaft, welche die Urbarmachung und Ausbeutung derselben hätte betreiben können, wäre das ja eine Bagatelle gewesen, wenn das Geschäft nur einigermaßen günstige Chancen geboten hätte; doch man vermag gar nicht oft genug zu wiederholen, daß davon gar keine Rede sein konnte. Alle Sachverständigen legten auf dieses von dem Landcomplex der Vereinigten Staaten losgerissene Stückchen Erde nicht mehr Werth, als auf ein im ewigen Eise des Pols verlorenes Felsen-Eiland. Für den einzelnen Particulier war die Summe immerhin eine bedeutende. Man mußte schon reich sein, um sich eine Laune zu gestatten, welche in jedem Falle kaum 1/ 100Procent von dem darauf verwandten Capital einbringen konnte. Man mußte sogar ungeheuer reich sein, denn der Verkauf wurde nur gegen Baarzahlung – »casch«, wie die Amerikaner sagen – abgeschlossen und sicher sind auch in den Vereinigten Staaten diejenigen Leute selten, welche 1,100.000 Dollars wie ein Taschengeld in's Wasser werfen können, ohne die Aussicht, etwas davon wieder zu sehen.

Und doch war der Congreß fest entschlossen, die Insel auch keinen Deut unter dem Taxpreis zu veräußern. 1,100.000 Dollars! Keinen Cent weniger, sonst blieb die Insel Spencer Eigenthum der Union.

Man durfte also voraussetzen, daß kein Liebhaber so toll sein werde, einen derartigen Preis daran zu wagen.

Uebrigens galt auch noch als Bedingung, daß der Eigentümer, wenn je ein solcher gefunden wurde, nicht etwa als König der Insel, sondern nur als Präsident der Republik daselbst auftreten dürfte. Er hätte also niemals die Berechtigung erworben, Unterthanen zu haben, sondern nur Mitbürger, die ihn für einen bestimmten Zeitraum zu jenem Amte ernannten und dessen fortwährender Wiederwahl kein Hinderniß im Wege stand. Auf jeden Fall blieb ihm verwehrt, einen Stammbaum von Monarchen zu begründen. Niemals würde die Union die Entstehung eines, wenn auch noch so kleinen Königreichs innerhalb der amerikanischen Gewässer geduldet haben.

Diese Beschränkung war vielleicht geeignet, manche ehrgeizige Millionäre abzuschrecken, welche gern mit den wilden Königen der Sandwichsinseln, der Marquisen, Pomotus oder anderer Archipele des Großen Oceans rivalisirt hätten.

Kurz, ob aus diesem oder einem beliebigen anderen Grunde – es meldete sich Niemand. Die Zeit verrann; der Ausrufer überbot sich, die Anwesenden zum Bieten zu bewegen, der Commissär strengte sein Organ auf's Höchste an, ohne doch irgendwo eines jener leisen Zeichen mit dem Kopfe zu erhalten, welches diesen ehrenwerthen Agenten doch niemals entgeht, und von dem Kaufpreise sprach überhaupt fast Keiner.

Es soll hierbei nicht verschwiegen bleiben, daß der Hammer sich immer und immer wieder über das Pult erhob, die summende Menge ließ das jedoch unberührt. Wie vorher flogen Scherzworte herüber und hinüber und boshafte Witze gingen von Mund zu Mund. Die Einen boten zwei Dollars für die Insel, alle Unkosten inbegriffen: Andere wollten gar noch Geld heraus haben, um dieselbe zu übernehmen.

Und immer rief, schrie und brüllte der Ausrufer weiter:

»Eine Insel zu verkaufen! Eine Insel zu verkaufen!«

Keiner Seele fiel es ein, zu kaufen.

»Garantiren Sie dafür, daß sich dort ›Flats‹ – das ist goldhaltiger Alluvialboden – vorfinden? fragte der Specereihändler Nunpy aus der Merchant Street.

– Nein, erklärte der Commissär, aber es ist nicht unmöglich, daß sich dergleichen dort finden, und der Staat überläßt dem Erwerber alle seine Ansprüche auf diese goldführenden Ländereien.

– Ist denn nicht wenigstens ein Vulcan da? erkundigte sich Oeckhurst, der Schänkwirth aus der Montgomerystraße.

– Nein, ein Vulcan nicht, erwiderte Dean Felporg; da würde sie auch theurer sein! Allgemeines Gelächter begleitete diese Antwort.

– Insel zu verkaufen! Insel zu verkaufen! heulte Gingraß, dessen Lungen sich vergeblich abquälten.

– Nicht einen Dollar, nicht einen halben Dollar, nicht einen Cent unter der Taxe, sagte zum letzten Male der Auctionator; ich beginne also: Zum ersten!… Zum zweiten!…

Todtenstille ringsherum.

– Wenn Niemand bietet, wird die Auction aufgehoben! Zum ersten!… Zum zweiten!…

– Zwölfhunderttausend Dollars!«

Diese vier Worte erschallten aus der Mitte des Saales wie vier Revolverschüsse.

Die ganze, einen Augenblick betäubte Versammlung drehte sich nach dem Tollkühnen um, der es gewagt hatte, diese Zahl hinauszurufen…

Es war William W. Kolderup aus San Francisco.

Kapitel

2

Wie William W. Kolderup mit J.R. Taskinar aus Stockton in Collision kommt

Es war einmal ein ungewöhnlich reicher Mann, der ebenso nach Millionen zählte, wie Andere nach Tausenden. Das war William W. Kolderup.

Man erklärte ihn für reicher als den Herzog von Westminster, dessen Revenuen sich auf 800.000 Pfund belaufen und der über 40.000 Mark den Tag, über 28-29 Mark in der Minute verfügen kann – für reicher als den Senator Jones von Nevada, welcher 35 Millionen Renten besitzt – selbst für reicher als Mackay, dem seine 2,750.000 Pfund Renten 6220 in der Minute, also fast 2 Mark in der Secunde abwerfen.

Wir sprechen gar nicht von den kleinen Millionären, den Rothschild's, Van der Bilt's, den Herzogen von Northumberland, den Stewarts; auch nicht von den Direktoren der mächtigen Bank von Californien und anderen in der Alten und Neuen Welt wohl accreditirten Persönlichkeiten, denen William W. Kolderup noch bequem hätte Almosen reichen können. Dieser hätte ohne sich zu bedenken, eine Million weggegeben, wie unsereins eine Mark.

Den soliden Grundstein zu seinem sich jeder Berechnung entziehenden Vermögen hatte dieser ehrenwerthe Speculant bei der ersten Ausbeutung der Golddistricte Californiens gelegt. Er war der Hauptgesellschafter des schweizerischen Capitän Sutter, auf dessen Terrain 1848 die erste Goldader entdeckt wurde. Seit dieser Zeit findet man ihn mit ebensoviel Glück wie Intelligenz betheiligt bei allen großen Unternehmungen beider Welten. Er warf sich kühn in allerlei Speculationen des Handels und der Industrie. Seine unerschöpflichen Mittel ernährten Hunderte von Fabriken; seine Schiffe exportirten deren Erzeugnisse nach dem ganzen Erdball. So wuchs sein Reichthum nicht allein in arithmetischer, sondern gleich in geometrischer Proportion. Man sagte von ihm, wie man gewöhnlich von jenen Milliardären zu sagen pflegt: daß er sein Vermögen gar nicht kenne. In Wirklichkeit kannte er es auf den Dollar, aber er machte kein Aufheben davon.

In dem Augenblick, wo wir den Leser mit all' der Ehrerbietung, welche ein Mann »von so großer Oberfläche« verdient, vorstellen, besaß William W. Kolderup zweitausend Comptoirs, vertheilt an allen Enden der Erde; vierundachtzigtausend Angestellte in den verschiedenen Bureaux Amerikas, Europas und Australiens; dreihunderttausend Correspondenten; eine Flotte von fünfhundert Seeschiffen, welche unausgesetzt für ihn unterwegs waren, und er gab jährlich nicht weniger als 1,000.000 für Stempelmarken und Briefporto aus. Er war mit einem Worte die Perle in der Krone des so reichen Frisco, ein Schmeichelname, den die Amerikaner im vertrauten Gespräch der Hauptstadt von Californien beilegen.

Ein von William W. Kolderup gethanes Gebot hatte man also unzweifelhaft das Recht für ernst gemeint zu halten; und als die Zuschauer der Auction Denjenigen erkannt, der den Taxpreis der Insel Spencer mit hunderttausend Dollars überboten hatte, entstand eine unwillkürliche Bewegung; die Witzeleien verstummten einen Augenblick, die Scherzworte wurden von Ausrufen der Bewunderung abgelöst und donnernde Hurrahs dröhnten durch den Saal.

Dann folgte dem Höllenlärmen das tiefste Schweigen; Aller Augen erweiterten sich, Aller Ohren richteten sich in die Höhe. Wären wir selbst gegenwärtig gewesen, wir hätten natürlich den Athem angehalten, um nichts von der aufregenden Scene einzubüßen, welche doch entstehen mußte, wenn irgend ein anderer Liebhaber gewagt hätte, mit William W. Kolderup concurriren zu wollen.

Doch war das zu erwarten oder überhaupt möglich?

Nein! Man brauchte nur William W. Kolderup anzusehen, um zu der Ueberzeugung zu gelangen, daß er bei einer Gelegenheit, welche seine finanzielle Bedeutung berührte, niemals einem Anderen weichen würde.

Er war ein großer, kräftiger Mann mit mächtigem Kopfe, breiten Schultern, wohlproportionirten Gliedern und mit solid verbundenem Knochengerüst von Eisen. Sein gutmüthiger, aber entschlossener Blick senkte sich nicht gerne zu Boden. Das in's Graue spielende, noch jugendlich volle Haar bildete einen wahren Busch um seinen Schädel, die geraden Linien seiner Nase ein geometrisch gezeichnetes, rechtwinkeliges Dreieck. Einen Schnurrbart trug er nicht. Der nach amerikanischer Mode geschnittene Bart ließ die Mitte des Kinnes frei, schloß sich mit zwei Spitzen an die Lippenenden an und endigte mit »Pfeffer- und Salzfarbe« an den Schläfen. Dazu hatte er weiße, symmetrisch am Rande eines feinen, geschlossenen Mundes vertheilte Zähne, ein richtiger Commodorekopf, der sich beim Sturm erhebt und dem Orcan das Gesicht zukehrt. Kein Unwetter hätte ihn beugen können, so sicher war derselbe auf dem ihm als Stütze dienenden Halse eingelenkt. Bei einem solchen Kampfe bedeutete jede Bewegung dieses Kopfes von oben nach unten nicht weniger als hunderttausend Dollars.

Aber hier war an keinen Kampf zu denken.

»Zwölfhunderttausend Dollars! Zwölfhunderttausend Dollars! rief der Commissär mit dem eigenartigen Accente eines Agenten, der endlich einen Lohn für seine Bemühungen winken sieht.

– Zu zwölfhunderttausend Dollars hat sich ein Käufer gemeldet! wiederholte der Ausrufer Gingraß.

– O, man könnte getrost mehr bieten, murmelte der Schänkwirth Oeckhurst, William W. Kolderup würde doch nicht nachgeben.

– Er weiß wohl, daß sich's Niemand erdreisten wird!« antwortete der Krämer aus der Merchant Street.

Vielfache »St!« geboten den beiden ehrenwerthen Genossen Stillschweigen. Man wollte jetzt hören. Alle Herzen klopften lauter. Würde eine Stimme sich zu erheben wagen, auf die William W. Kolderup's zu antworten? Er – ein prächtiger Anblick – rührte sich nicht; er stand da, ebenso ruhig, als interessirte ihn die Sache gar nicht. Seine Nachbarn konnten jedoch beobachten, daß seine beiden Augen zwei mit Dollars geladenen Pistolen mit gespanntem Hahne glichen.

»Niemand bietet mehr?« fragte Dean Felporg.

Kein Laut.

»Zum ersten!… Zum zweiten!…

– Zum ersten!… Zum zweiten!… wiederholte Gingraß, der an diesen kleinen Dialog mit dem Auctionscommissär schon gewöhnt war.

– So schlage ich zu!

– Wir schlagen zu!

– Für zwölfhunderttausend Dollars die Insel Spencer, wie sie geht und steht!

– Für zwölfhunderttausend Dollars!

– Haben Alle recht gehört – recht verstanden?

– Wird es Niemand später gereuen?

– Für zwölfhunderttausend Dollars die Insel Spencer!«…

Die beklemmte Brust der Zuhörer arbeitete krampfhaft. Sollte in der letzten Secunde noch ein höheres Gebot erfolgen?

Die rechte Hand über sein Pult ausgestreckt, bewegte der Commissär Felporg den elfenbeinernen Hammer, ein Schlag, ein einziger Schlag und die Zutheilung war vollendet.

Gegenüber einer summarischen Ausübung des Lynchgesetzes hätte das Publikum kaum erregter aufpassen können.

Der Hammer senkte sich langsam, berührte fast das Pult, erhob sich wieder, zitterte ein wenig auf und nieder, wie ein Degen, den der Kämpfer vorher schwingt, ehe er zustößt – dann senkte er sich schneller nach abwärts…

Doch noch bevor der trockene Schlag erfolgte, erklangen von einer Stimme die vier Worte:

»Dreizehnhunderttausend Dollars!«

Zuerst ein allgemeines »Ah!« der Verwunderung, dann ein zweites, nicht weniger allgemeines »Ah« der Befriedigung. Es hatte sich noch ein Mehrbieter gefunden. Ein Wettkampf stand bevor.

Wer war jedoch der Unverfrorene, der es wagte, mit William W. Kolderup aus San Francisco auf Dollars-Breitlagen zu kämpfen?

Das war J. R. Taskinar aus Stockton.

J. R. Taskinar war reich, aber er war noch dicker. Er wog vierhundertneunzig Pfund. Wenn er beim letzten Congreß der dicken Männer in Chicago nur den zweiten Preis erhalten hatte, so lag das daran, daß man ihm nicht Zeit ließ, sein Diner zu vollenden, wodurch er zehn Pfund einbüßte.

Dieser Coloß, welcher eigens für ihn gebaute Stühle und Sessel benützte, um seine enorme Persönlichkeit mit Zuversicht darauf placiren zu können, wohnte in Stockton am St. Joachim. Jene gehört zu den bedeutendsten Städten Californiens, bildet eine der Hauptmetropolen für die Bergwerkserzeugnisse des Südens und rivalisirt mit Sacramento, wo die Minenproducte des Nordens zusammenströmen. Von hier aus gelangt auch sehr viel californisches Getreide zur Verladung.

Nicht allein die Ausbeutung von Bergwerken und der Handel mit Getreide hatten J. R. Taskinar zu einem ungeheuren Vermögen verholfen, nein, auch das Petroleum strömte gleich einem zweiten Paktolos durch seine Cassenschränke. Uebrigens war er ein Gewohnheitsspieler, ein glücklicher Spieler, und der »Poker«, das Roulette des westlichen Amerikas, hatte sich den von ihm besetzten Nummern stets besonders günstig erwiesen. So reich er auch sein mochte, war er doch ein niederer Charakter, dem Niemand so leicht das Eigenschaftswort »ehrenwerth« beilegte, trotz dessen gewöhnlichen Gebrauchs in jenen Ländern. Alles in Allem war es, wie man zu sagen pflegt, ein gutes Schlachtpferd, und vielleicht wälzte man ihm noch mehr auf den Rücken, als er wirklich verdiente. Gewiß ist jedoch, daß er sich bei mancher Gelegenheit nicht gescheut hatte, von dem »Derringer«, das ist der californische Revolver, Gebrauch zu machen.

Wie dem auch sei, J. R. Taskinar hegte einen speciellen Haß gegen William W. Kolderup, er beneidete denselben wegen seines Vermögens, seiner gesellschaftlichen Stellung und wegen seiner Ehrenhaftigkeit. Er verachtete ihn, wie ein sehr dicker Mensch einen Andern verachtet, den er das Recht hat, mager zu nennen. Es war nicht zum ersten Male, daß der Geschäftsmann aus Stockton dem Capitalisten aus San Francisco irgend ein Geschäft – ob dasselbe gute oder schlechte Aussichten bot – aus reiner Rivalität aus den Händen zu winden versuchte. William W. Kolderup kannte ihn durch und durch und behandelte ihn bei jeder Gelegenheit so verächtlich, daß es Jenen nur noch mehr reizen mußte.

Einen Erfolg aus der jüngsten Zeit konnte J. R. Taskinar seinem Gegner nie vergeben, den, daß der Letztere ihn bei den vorhergegangenen Senatswahlen aus dem Felde geschlagen hatte. Trotz seiner Anstrengungen, seiner Drohungen und Verleumdungen – die an seine Helfershelfer verschwendeten Tausende von Dollars gar nicht zu erwähnen – saß doch William W. Kolderup an seiner Stelle im gesetzgebenden Rathe von Sacramento.

J.R.Taskinar hatte in Erfahrung gebracht – wie? vermögen wir nicht zu sagen – daß es William W. Kolderup's Absicht sei, die Insel Spencer zu erwerben. Diese Insel mußte für ihn übrigens ebenso unnütz sein, wie für seinen Rivalen. Gleichviel; es bot sich damit eine neue Gelegenheit, einen Streit anzufangen, zu kämpfen, vielleicht einmal zu siegen; J.R.Taskinar konnte sich dieselbe nicht entziehen lassen.

Aus diesem Grunde war J. R.Taskinar in der Auction erschienen, mitten unter der Menge Neugieriger, welche seine Absichten natürlich nicht ahnen konnten, so wenig, wie daß er alle seine Batterien in Gefechtszustand gesetzt, oder warum er abgewartet, bis sein Gegner den Taxpreis, so hoch dieser auch erschien, überboten hatte.

Endlich hatte William W. Kolderup gerufen gehabt:

»Zwölfhunderttausend Dollars!«

Und als William W. Kolderup schon annehmen durfte, daß er den Zuschlag erhalten werde, hatte er sich erst bemerkbar gemacht durch die mit Stentorstimme hinausgeschleuderten Worte:

»Dreizehnhunderttausend Dollars!«

Alle Welt kehrte sich, wie wir wissen, dabei um.

»Der dicke Taskinar!«

Dieser Name lief von Mund zu Mund. Ja, der dicke Taskinar! Er war Jedermann bekannt. Seine Corpulenz hatte zu mehr als einem Artikel in den Journalen der Union Veranlassung gegeben. Wir wissen eben nicht, welcher Mathematiker durch Transcendentalrechnung nachgewiesen habe, daß seine Körpermaße hinreichend sei, auf unseren Satelliten einen bemerkbaren Einfluß auszuüben und in noch abzuschätzender Weise die Elemente des Mondumlaufs zu stören.

Die physischen Eigenschaften J. R. Taskinar's interessirten in diesem Augenblicke jedoch die im Saale Anwesenden gewiß weniger; weit mehr Aufsehen erregte der Umstand, daß er in öffentlichen und directen Wettbewerb mit William W. Kolderup eingetreten war. Damit drohte ein gewaltiger, durch Dollarexplosionen geführter Kampf auszubrechen, und wir vermögen nicht zu entscheiden, auf welchen der beiden Geldschränke die Liebhaber von unsinnigen Wetten ihren Einsatz gewagt hätten. Enorm reich waren Beide und Todfeinde obendrein! Das Ganze mußte demnach auf eine Frage der Eigenliebe hinauslaufen.

Nach der schnell unterdrückten ersten Erregung herrschte in der ganzen Versammlung wieder eine Todtenstille. Man hätte eine Spinne können ihr Netz weben hören.

Da unterbricht die Stimme des Commissärs Dean Felporg das allgemeine Schweigen,

»Für dreizehnhunderttausend Dollars die Insel Spencer!« rief er sich erhebend, um die Bietenden besser im Auge haben zu können.

William W. Kolderup hatte sich ein wenig nach der Seite J. R. Taskinar's gewendet. Die Nebenstehenden machten unwillkürlich Platz, um die beiden Feinde einander gegenübertreten zu lassen. Der Mann von Stockton und der von San Francisco konnten sich in die Augen sehen und mit Bequemlichkeit beobachten. Die Wahrheitsliebe verpflichtet uns zu der Bemerkung, daß sie es daran nicht fehlen ließen. Niemals hätte der Eine es über sich gebracht, den Blick vor dem des Anderen zu senken.

»Vierzehnhunderttausend Dollars! sagte William W. Kolderup.

– Fünfzehnhunderttausend Dollars! antwortete J. R.Taskinar.

– Sechzehnhunderttausend!

– Siebzehnhunderttausend!«

Erinnert das nicht an die beiden Industriellen von Glasgow, wer von ihnen auf die Gefahr einer Katastrophe hin einen Fabrikschornstein am höchsten bauen würde? In unserem Falle bestanden die Schornsteine freilich aus Goldbarren.

Bei jedem Gebote des Anderen bedachte sich übrigens William W. Kolderup, bevor er auf's Neue noch mehr bot, während Taskinar immer wie eine Bombe herausplatzte und sich nicht eine Secunde Zeit zur Ueberlegung nehmen zu wollen schien.

»Siebzehnhunderttausend Dollars! wiederholte der Commissär. Nur munter, meine Herren, das ist nicht zu viel!«

Man wäre versucht gewesen, zu glauben, daß er aus Geschäftsgewohnheit hinzugesetzt hätte: »Der Rahmen allein ist mehr werth!«

»Siebzehnhunderttausend Dollars! heulte der Ausrufer Gingraß.

– Achtzehnhunderttausend Dollars, antwortete William W. Kolderup.

– Neunzehnhunderttausend Dollars, meldete sich J.R.Taskinar.

– Zwei Millionen!« rief William W. Kolderup, dieses Mal ohne zu zögern, hinterdrein.

Sein Gesicht war etwas bleicher geworden, als er die letzten Worte sprach, aber seine Haltung blieb die eines Mannes, welcher entschlossen ist, einen Kampf nicht aufzugeben.

J. R. Taskinar kam allmählich in die Hitze. Sein Gesicht ähnelte schon einigermaßen jenen farbigen Scheiben an den Eisenbahnen, deren rother Schein einem Zug das Zeichen giebt, anzuhalten. Höchst wahrscheinlich bekümmerte sich sein Gegner aber nicht im Geringsten um derartige Signale und hätte nur die Dämpfe im Kessel noch weiter angespannt.

J. R. Taskinar fühlte das. Das Blut stieg ihm in's Gesicht, welches eine apoplektische Röthe zeigte. Zwischen den fleischigen, mit kostbaren Brillantringen überladenen Fingern drehte er an der ungeheuren goldenen Panzerkette, an welcher seine Uhr hing. Er fixirte seinen Gegner und schloß dann für einen Moment die Augen, um sie haßerfüllter als je wieder zu öffnen.

»Zwei Millionen fünfhunderttausend Dollars! rief er endlich in der Hoffnung durch diesen kühnen Sprung jedes Mehrgebot auszuschließen.

– Zwei Millionen siebenmalhunderttausend Dollars! antwortete William W. Kolderup ganz gelassen.

– Zwei Millionen neunmalhunderttausend!

– Drei Millionen!«

Ja, William W. Kulderup aus San Francisco hatte drei Millionen Dollars gesagt!

Schon wollte man ihm zujubeln; der Auctions- Commissär vereitelte das jedoch dadurch, daß er das Gebot wiederholte, während der erhobene Hammer durch eine unwillkürliche Bewegung der Muskeln sich zu senken drohte. Man hätte behaupten können, daß Dean Felporg, der sich sonst gegen Überraschungen bei einer öffentlichen Versteigerung so trefflich gerüstet zeigte, jetzt kaum noch im Stande war, sich aufrecht zu erhalten. Alle Blicke hingen an J. R. Taskinar; seine voluminöse Persönlichkeit empfand das Gewicht derselben, noch mehr freilich die Last jener drei Millionen Dollars, welche ihn zu zermalmen schien. Er wollte offenbar den Mund aufthun, um noch mehr zu bieten, er konnte es nicht. Er wollte ein Zeichen mit dem Kopfe geben – er konnte es ebenso wenig.

Endlich ließ sich seine Stimme vernehmen, zwar nur schwach, aber doch hörbar genug für den Commissär.

»Drei Millionen fünfmalhunderttausend! murmelte er.

– Vier Millionen!« schallte das Echo seitens William W. Kolderup's.

Das war der letzte Keulenschlag, J. R. Taskinar sank zu Boden, der Hammer traf mit trockenem Schlage den Marmor des Pultes.

Die Insel Spencer war William W. Kolderup aus San Francisco für vier Millionen Dollars gerichtlich zuertheilt worden.

»Ich werde mich rächen!« murmelte J. R. Taskinar.

Und nachdem er noch einen Blick voll glühenden Hasses seinem Ueberwinder zugeschleudert, kehrte er nach dem Occidental-Hotel zurück.

Inzwischen donnerten die Hurrahs, die »Hips« dreimal vor den Ohren William W. Kolderup's; sie begleiteten ihn nach der Montgomery Street; ja der Enthusiasmus dieser Amerikaner ließ sie so weit gehen, daß sie sogar den Yankee Doodle zu singen vergaßen.

Kapitel

3

Worin ein Gespräch zwischen Phina Hallaney und Godfrey Morgan auf dem Pianino begleitet wird

William W. Kolderup war nach seinem Hôtel in der Montgomery-Straße zurückgekehrt. Diese Straße ist die Regentsstreet, der Broadway, die Ringstraße oder die Unter den Linden von San Francisco. In der ganzen Ausdehnung dieser langen Pulsader, welche die Stadt parallel ihrer Quais durchschneidet, herrscht Bewegung, Geschäftigkeit und Leben: zahlreiche Pferdebahnwagen, andere mit Pferden oder Mauleseln bespannte Geschirre, geschäftseifrige Leute, welche sich auf den Trottoirs an den Seiten drängen; Flaneurs, die vor den verlockend ausgestatteten Schaufenstern stehen, und noch zahlreichere Liebhaber an den Thüren der »Bars«, in denen ganz speciell kalifornische Getränke verabfolgt werden. Es wäre wohl unnütz, den Palast des Nabob von San Francisco zu beschreiben. Im Besitz so vieler Millionen, hatte er eben zu viel Luxus um sich; mehr Comfort als Geschmack; weniger künstlerischen als praktischen Sinn – man kann eben nicht Alles gleichzeitig haben.

Der Leser begnüge sich zu erfahren, daß sich hier ein prachtvoller Empfangssalon vorfand und in diesem Salon ein Pianino, dessen Accorde durch die laue Atmosphäre des Hôtels zitterten, als der steinreiche William W. Kolderup dahin zurückkam.

»Gut, sagte er für sich, sie und er sind beisammen. Erst ein Wort an meinen Cassirer, dann werden wir von etwas Anderem plaudern!«

Er begab sich nach seinem Cabinet, um das kleine Geschäft bezüglich der Insel Spencer vollends zu ordnen und nachher nicht weiter daran zu denken. Zu ordnen bedeutete ja weiter nichts, als aus dem Portefeuille einige Hände voll Wertpapiere zu nehmen und die neue Erwerbung zu bezahlen. Vier Linien an seinen Wechselagenten, mehr bedurfte es dazu nicht. Nachher wollte William W. Kolderup sich mit einer anderen »Combination« beschäftigen, die ihm ganz anders am Herzen lag.

Richtig! Er und sie befinden sich im Salon; sie vor ihrem Piano, er halb ausgestreckt auf einem Sopha, Nur halb auf die Notenperlen lauschend, die unter den Fingern des reizenden Mägdleins hervorgingen.

»Hörst Du mich? sagte sie,

– Gewiß!

– Ja, aber auch mit Verständniß?

– Das wollt' ich meinen, Phina! Noch nie hast Du die Variationen Auld Robin Gray's so entzückend gespielt,

– Ich spielte nur nicht Auld Robin Gray, Godfrey … es war der Happy moment, …

– Ach, so täuschte ich mich also,« antwortete Godfrey mit so gleichgiltigem Tone, daß dieser Niemand entgehen konnte.

Das junge Mädchen erhob die, Hände und hielt die Finger einen Augenblick gespreizt über dem Clavier, als sollten sie wieder herabsinken, um einen Accord zu greifen. Dann aber drehte sie sich auf dein Clavierschemel und sah kurze Zeit den gar zu schweigsamen Godfrey au, dessen Blicke den ihrigen aus dem Wege zu gehen suchten. Phina Hollaney war das Pathenkind William W. Kolderup's. Eine Waise, erzogen auf seine Kosten, hatte er ihr das Recht zugestanden, sich als seine Tochter zu betrachten, und die Pflicht, ihn wie einen Vater zu lieben. Sie ließ sich in dieser Hinsicht nichts zu Schulden kommen.

Sie war ein noch sehr junges Mädchen, »hübsch in ihrer Art«, wie man oft sagt, auf jeden Fall reizend, eine Blondine von sechzehn Jahren, mit dem Gedankengang einer Brünette, was man aus dem Krystalle ihrer dunkelblauen Augen leicht herauslas. Wir können nicht umhin, sie mit einer Lilie zu vergleichen, obwohl dieses Bild unabänderlich in der besseren Gesellschaft gebraucht wird, um amerikanische Schönheiten zu bezeichnen. Es war also eine Lilie, da es doch nicht anders geht, aber eine Lilie, die auf solidem, nicht leicht schwankendem Stengel prangte. Unzweifelhaft besaß sie warmes Gefühl, diese junge Miß, daneben aber auch viel praktischen Verstand, ein gewisses Selbstbewußtsein, und endlich ließ sie sich nicht mehr als nöthig von den Illusionen und Träumereien bezaubern, welche ihrem Geschlechte und Lebensalter, sonst eigen sind.

Träume – wie schön, wenn man schläft, nicht wenn man wach ist. Und sie – sie schlief weder in dieser Minute, noch dachte sie überhaupt daran, zu schlafen.

»Godfrey? nahm sie wieder das Wort.

– Phina? erwiderte der junge Mann.

– Wo bist Du jetzt?

– Bei Dir … in diesem Salon …

– Nein, nicht bei mir, Godfrey, nicht in diesem Salon! … Aber weit, weit von hier … jenseits der Meere, nicht wahr?«

Ganz mechanisch verirrte sich Phinas Hand, die Tasten suchend, in eine Reihe verminderter Septimen, deren trauriger Klang laut genug sprach, den aber der Neffe William W. Kolderup's doch am Ende nicht verstand.

Denn das war dieser junge Mann, derart das Band der Verwandtschaft, welches ihn mit dem reichen Herrn des Hauses verknüpfte. Der Sohn einer Schwester dieses Inselkäufers und seit vielen Jahren elternlos, war Godfrey Morgan wie Phina auferzogen in dem Hause seines Onkels, dem das nie aussetzende Geschäftsfieber keine Zeit gelassen hatte, an's Heiraten zu denken.

Godfrey zählte jetzt zweiundzwanzig Jahre. Nach Vollendung seiner Erziehung war er eigentlich völlig müßig gegangen. Das Leben bot ihm nach allen Seiten Wege, sein Glück zu machen; ob er einen solchen nach rechts oder links wählte – ihm kam es darauf wenig an, denn der Erfolg konnte ihm in keinem Falle fehlen.

Uebrigens war Godfrey eine hübsche Persönlichkeit von vornehmer Eleganz, der niemals seine Cravate durch einen Ring gezwängt und weder seine Finger, noch die Manschetten, oder den Brustlatz mit jenen Juwelenphantasien bepflastert hatte, welche seine Landsleute so besonders lieben.

Es wird Niemand darob erstaunen, wenn wir es aussprechen, daß Godfrey Morgan Phina Hollaney heiraten sollte. Hätte es überhaupt anders sein können? Alle Verhältnisse wiesen ja darauf hin. Uebrigens wollte William W. Kolderup diese Verbindung; er sicherte damit das Glück zweier Wesen, die er über Alles liebte, ohne zu rechnen, daß Phina dem Godfrey gefiel und daß Godfrey auch Phina nicht mißfiel. Die gute finanzielle Stellung des Hauses unterstützte ebenfalls diese Heirat. Seit ihrer Kindheit war ein Conto dem jungen Mann, ein anderes dem jungen Mädchen eröffnet worden; es bedurfte also nur einer Übertragung, um das neue Conto für beide Gatten in schönster Ordnung zu haben. Der würdige Speculant hoffte, daß sich die Sache so am leichtesten abwickeln ließe und – von etwaigen Irrthümern und Fehlern abgesehen – Alles bestens stimmen müsse.

Aber einen Irrthum, ein Versehen hatte er, wie wir sofort sehen werden, doch außer Rechnung gelassen.

Einen Irrthum, weil sich Godfrey selbst zum heiraten noch gar nicht reif genug fühlte; ein Versehen, weil man unterlassen hatte, ihn rechtzeitig auf diese Eventualität vorzubereiten.