Die Schule der Wunderdinge (1). Hokus Pokus Kerzenständer - Kira Gembri - E-Book

Die Schule der Wunderdinge (1). Hokus Pokus Kerzenständer E-Book

Kira Gembri

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Beschreibung

Diese Schule ist wahrlich wirbelig-wundervoll! Willkommen an der Schule der Wunderdinge! Hier erhält jedes Kind einen magischen Gegenstand, den es beschützen muss. Einen mechanischen Schmetterling, einen Zauberkompass, ja sogar einen Tarnumhang. Das kann ja nur ein wundersames Schuljahr werden! Doch als Tilly Bohnstängel den Kerzenständer Lux überreicht bekommt, hält sich ihre Begeisterung in Grenzen. Denn Lux ist nicht nur frech, er kokelt auch alles an. Kaum, dass Tilly ihrem neuen magischen Freund näherkommt, passiert das Undenkbare: Lux ist verschwunden! Und der einzige Hinweis für Tilly und ihre Freunde Pip und Nico ist ein rauchig-kokeliges S-O-S! Der Auftakt einer magischen Kinderbuchreihe von Bestseller-Autorin Kira Gembri ("Ruby Fairygale"). Humorvoll, liebenswert und wahrlich wunderbar! Für Fans von "Die Schule der magischen Tiere" und "Der zauberhafte Wunschbuchladen" und alle Leser*innen ab 8 Jahren.

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Seitenzahl: 126

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Kira Gembriwurde 1990 als Zweitälteste von fünf Geschwistern in Wien geboren. Seit ihrem Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft schreibt sie Romane für Kinder und Jugendliche. Ihre Kaffeemaschine nörgelt gern, der Futternapf ihres Katers leert sich wie von Zauberhand, und die Haarspangen ihrer kleinen Tochter können sich unsichtbar machen. Grund genug, endlich mal Geschichten über Wunderdinge zu Papier zu bringen.

Marta Kissiwurde in Warschau geboren und arbeitet heute als Illustratorin in London. Sie studierte Illustration und Animation an der Kingston University und Communication Art und Design am Royal College of Art. Sie liebt es, mit ihren Illustrationen Geschichten zum Leben zu erwecken, indem sie charmante Charaktere entwirft – und die wunderbaren Welten, in denen sie leben. Sie teilt sich ein Studio mit ihrem Mann James.

Ein Verlag in der westermannGRUPPE

1. Auflage 2021© 2021 Arena Verlag GmbHRottendorfer Straße 16, 97074 WürzburgAlle Rechte vorbehalten

Text: Kira GembriCover und Innenillustrationen: Marta KissiLektorat: Anna WörnerUmschlaggestaltung: Juliane Lindemann

E-Book ISBN 978-3-401-80953-3

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1. Kapitel

An manchen Tagen war Tilly davon überzeugt, dass man sie kurz nach der Geburt vertauscht hatte. Irgendjemand musste sie vor zehn Jahren ins falsche Bettchen gelegt haben – vielleicht eine müde Krankenschwester oder eine kurzsichtige Ärztin ohne Brille – und die richtige Mathilda Bohnenstängel war ganz woanders gelandet.

Nur so konnte Tilly sich erklären, warum sie ihren Eltern überhaupt nicht ähnlich war.

Stirnrunzelnd klappte sie ihr Notizbuch auf und begann, eine Liste zu schreiben. Das tat sie immer, wenn sie sich ratlos fühlte. Manchmal gelang es ihr auf diese Weise, das Chaos in ihrem Kopf zu ordnen.

WIE MAMA UND PAPA SICH VON MIR UNTERSCHEIDEN, krakelte sie und dachte, dass das eigentlich schon der erste Punkt auf ihrer Liste sein könnte: die Handschrift. Ihre Eltern schrieben so schön, dass es fast aussah wie gedruckt.

Tilly erschauderte vom braunen Wuschelkopf bis hin zu ihren Zehen (die übrigens in einer grünen und einer rotweiß geringelten Socke steckten). Einmal hatte sie ihre Eltern während der Arbeit besucht, und das war entsetzlich langweilig gewesen. Jetzt, nach dem Umzug, würden die beiden natürlich in einer anderen Bank am Schalter sitzen, aber dort ging es bestimmt nicht spannender zu.

»Tillymaus!«, flötete ihre Mutter und streckte den Kopf zur Tür herein. »Was machst du gerade?«

Hastig schloss Tilly ihr Notizbuch. Sie wollte ihre Eltern nicht kränken, auch wenn sie stinksauer auf die beiden war. Schließlich hatten sie einfach ein Haus in der ödesten Stadt der Welt gekauft, ohne Tilly nach ihrer Meinung zu fragen.

»Ich will einen Apparat erfinden, der automatisch die Vorhänge zuzieht, wenn ich mich an den Schreibtisch setze«, sagte Tilly. »Damit ich das da nicht sehen muss!«

Anklagend deutete sie auf das Fenster über ihrem Schreibtisch. Durch die blank geputzte Scheibe hatte man perfekte Sicht auf die neue Nachbarschaft, und dieser Anblick ließ Tillys Laune auf den Tiefpunkt sinken. Entlang der schnurgeraden Straße standen hellgraue Häuser, die alle zum Verwechseln ähnlich waren. Noch nicht einmal die Vorgärten unterschieden sich voneinander. Nirgendwo gab es Blumen, eine Schaukel oder gar ein Trampolin. Stattdessen sah Tilly nur ordentlich gemähten Rasen und Schotterwege, die so wirkten, als hätte man sie mit einem Lineal gezogen.

Tillys Mutter legte bekümmert die Stirn in Falten. »Ich weiß, dass es hier ganz anders ist als in der Großstadt«, sagte sie, »und dass du deine Freunde vermisst. Aber Papa und ich haben schon immer davon geträumt, an so einem friedlichen kleinen Ort wie Blasslingen zu leben. Kannst du nicht wenigstens versuchen, dich darauf einzulassen?«

»Von mir aus«, antwortete Tilly widerwillig. »Dann werde ich eben keinen Propeller an mein Fahrrad bauen, um damit zu flüchten. Aber das ist alles, was ich versprechen kann!« Noch während sie das sagte, dachte sie daran, wie dringend sie so ein fliegendes Fahrrad eigentlich nötig hatte. Keiner ihrer Freunde würde regelmäßig mit dem Zug in diese langweilige Kleinstadt fahren, um sie zu besuchen. Und das konnte Tilly ihnen noch nicht einmal übel nehmen!

Ihre Mutter schien nun allerdings wieder beruhigt zu sein. »Hauptsache, du gibst unserem neuen Zuhause eine Chance«, sagte sie lächelnd. Dann platzierte sie schwungvoll einen Karton mit der Aufschrift Mathildas Kritzeleien auf Tillys Schreibtisch und wischte sich eine lose Haarsträhne aus der Stirn. Abgesehen von dieser winzigen Strähne, saß ihre Frisur perfekt. Sie schwitzte auch nicht, wie es wohl die meisten an ihrer Stelle getan hätten. Immerhin war es August, und die Familie Bohnenstängel hatte gerade einen Umzug hinter sich gebracht. Doch was bei vielen Menschen chaotisch ablief, klappte bei Tillys Eltern wie am Schnürchen. Deshalb würden sie an ihrem ersten Abend im neuen Zuhause nicht etwa zwischen Umzugskisten auf dem Fußboden hocken und Pizza direkt aus dem Karton futtern. Tilly bezweifelte, dass ihre Eltern überhaupt schon mal auf dem Boden gesessen hatten. Stattdessen würden sie im perfekt eingerichteten beigefarbenen Wohnzimmer irgendetwas sehr Gesundes essen – zum Beispiel gedünsteten Rosenkohl.

»Räum das bitte gleich weg, ja?«, sagte Tillys Mutter. »Am besten ganz nach hinten in den Schrank. Du wirst doch allmählich zu alt dafür, mein Schatz.« Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer, und gleich darauf ertönte das Brummen des Staubsaugers.

Seufzend öffnete Tilly den Karton, der mit Notizbüchern gefüllt war. Und diese Notizbücher waren gefüllt mit Ideen. »Allmählich zu alt«, murmelte Tilly. »Von wegen!« Ihre Eltern wollten einfach nicht glauben, dass Tilly ihren Berufswunsch ernst meinte. Erfinderin, das klang für Herrn und Frau Bohnenstängel kaum besser als Einhorn-Züchterin.

Tilly zog eines der Notizbücher heraus und blätterte durch die ersten Seiten. Darauf hatte sie lauter Dinge gezeichnet, die dringend erfunden werden sollten:

Leider wusste Tilly noch nicht, wie man das alles schaffen konnte – aber die Sache mit den Vorhängen würde sich bestimmt lösen lassen. Entschlossen blätterte sie bis zu einer leeren Seite und kritzelte nach kurzem Überlegen drauflos. Als sie den Plan fertig gezeichnet hatte, machte sie sich gleich daran, ihn in die Tat umzusetzen.

Zuerst rückte sie ihren Stuhl dicht an den Schreibtisch. Dann kletterte sie auf die Fensterbank, hob die Vorhänge hoch und band sie links und rechts vom Fenster mit Schleifen zusammen. Jeweils ein Ende der Bänder ließ sie dabei lang herunterhängen. Diese Enden zog sie unter dem Schreibtisch durch und knotete sie an den Stuhl. Fertig war der Vorhangapparat! Wenn man jetzt den Stuhl zurückzog, strafften sich die beiden Bänder, die Schleifen gingen auf, und die Vorhänge schwangen über dem Fenster zusammen.

Zufrieden betrachtete Tilly ihre Konstruktion. Von nun an würde sie vor der trostlosen Aussicht auf ihre neue Nachbarschaft geschützt sein, wenn sie am Schreibtisch saß und zeichnete. Oder … wenn sie ihre Schulaufgaben machte.

Bei diesem Gedanken war Tillys Zufriedenheit sofort wie weggeblasen. Auf der Fahrt hierher hatte sie schon einen Blick auf die Blasslinger Grundschule werfen können. Das war ein Betonklotz mit ungeschmückten Fenstern und einem kahlen, asphaltierten Hof. Dagegen machte ihre neue Wohnstraße beinahe einen freundlichen Eindruck. Wem gefiel bitte schön eine Schule, die dermaßen öde aussah?!

Antwort: Tillys Eltern.

»Wie wunderbar schlicht!«, hatte ihre Mutter gerufen, und ihr Vater hatte hinzugefügt: »Du wirst sehen, hier lebst du dich ganz schnell ein.«

Das konnte Tilly sich kaum vorstellen. Mit einem flauen Gefühl im Bauch dachte sie daran, dass die Ferien schon fast zu Ende waren. Ab nächster Woche würde sie täglich in diesem schrecklichen Betonklotz sitzen müssen! Stöhnend griff sie wieder nach ihrer Liste und schrieb noch eine letzte Zeile unter den Titel WIE MAMA UND PAPA SICH VON MIR UNTERSCHEIDEN:

8. Sie glauben, dass ich mich in Blasslingen wohlfühlen werde.

Dagegen waren beigefarbene Socken und trockene Haferkekse ein Klacks. Tilly hatte keinen Zweifel – dieser Punkt war der seltsamste von allen.

2. Kapitel

Tilly wusste, dass man sich manche Dinge ganz furchtbar vorstellt, und dann wird man positiv überrascht. So hatte sie zum Beispiel geglaubt, im Schrebergarten ihres Opas einen superlangweiligen Sommer erleben zu müssen, während ihre Eltern auf Haussuche gewesen waren. Aber dann hatte sie Opas alten Werkzeugkoffer benutzen dürfen und eine Blumengießmaschine erfunden, die fast perfekt funktionierte. Bis auf ein paar unerwartete Überschwemmungen war das also ein sehr angenehmer Sommer gewesen. Ganz ähnlich war es auch mit der Blasslinger Grundschule – nur umgekehrt.

Tilly fand es dort noch viel, viel schlimmer, als sie gedacht hatte.

»Herzlich willkommen!«, wurde sie am ersten Schultag von einer kurzhaarigen Frau begrüßt, die überhaupt nichts Herzliches an sich hatte. Sie war groß und dünn, hatte dünne, gerade Augenbrauen, eine schmale Brille und schmale Lippen. Die formte sie jetzt zum Hauch eines Lächelns, während sie auf das Namensschild an ihrer Kostümjacke tippte. »Ich bin Marianne Schmeling, die Rektorin. Schön, dass ich dich an der Blasslinger Grundschule begrüßen darf. Du wirst dich bestimmt rasch bei uns eingewöhnen!«

Ihr Blick wanderte über Tillys einziges, schon etwas zu kurz gewordenes Kleid und von dort weiter hinab zu Tillys Kniestrümpfen. Einer von ihnen war ordentlich weiß, doch sein Zwilling hatte leider beim Frühstück einen Fleck abbekommen. Deshalb trug Tilly nun am anderen Bein einen Strumpf mit aufgestickten Flamingos. Sehr sauberen Flamingos, wohlgemerkt, aber Frau Schmeling schien kein Fan pinker Vögel auf Kleidungsstücken zu sein.

»Wir glauben auch, dass unsere Tochter hier bestens aufgehoben ist«, sagte Frau Bohnenstängel, legte Tilly einen Arm um die Schultern und drückte sie leicht. Das sollte wahrscheinlich heißen: Komm, gib der Schule eine Chance. Herr Bohnenstängel zwinkerte Tilly hinter seinen Brillengläsern aufmunternd zu, dann meinte er, an Frau Schmeling gewandt: »Es ist ja alles sehr einladend hier!«

Das war keine Übertreibung, stellte Tilly fest, während sie sich im Büro der Rektorin umschaute. Nein, es war eine fette Lüge. Hier drin gab es nur ein Regal voller grauer Aktenordner, einen leeren Schreibtisch und einen Stuhl mit hoher Rückenlehne. Auf dem Fensterbrett stand außerdem eine Blumenvase mit einer Plastikrose darin. Wahrscheinlich wäre jede echte Pflanze beim Anblick des kahlen Schulhofs vor Langeweile verschrumpelt.

Aber Frau Schmeling sagte allen Ernstes: »Ja, wir legen viel Wert auf Gemütlichkeit. Begleiten Sie uns doch zu Mathildas neuem Klassenzimmer, dann sehen Sie es selbst.«

Mit energischen Schritten führte sie Tilly und ihre Eltern aus dem Büro und einen blitzsauberen Flur entlang. An den Wänden hingen keine Bilder aus dem Zeichenunterricht, wie Tilly das von ihrer alten Schule kannte. Stattdessen prangten überall Fotos lächelnder Kinder, die mit Sprechblasen versehen waren:

Echte Verbotsschilder hätten wenigstens etwas Spannendes an sich gehabt, fand Tilly – ein bisschen wie in einem Gefängnis oder in einem gruseligen Waisenhaus. Aber beim Lesen dieser Sprechblasen schliefen ihr glatt die Füße ein. Außerdem musste sie fürchterlich gähnen.

»Na, na«, sagte Frau Schmeling und deutete auf ein anderes Schild mit der Sprechblase:

In diesem Moment wurde Tilly klar, dass sie dringend eine künstliche Hand erfinden musste, die ständig vor ihrem Mund schwebte. An der Blasslinger Grundschule würde sie nämlich nie aus dem Gähnen herauskommen! Trotzdem lächelte sie mühsam, als ihre Eltern sich von ihr verabschiedeten, und betrat das Klassenzimmer.

Obwohl der Unterricht noch nicht begonnen hatte, saßen die Kinder bereits alle auf ihren Plätzen. Tilly spürte tief in ihrem Inneren einen Stich, als sie an ihre alte Schule dachte. Dort hatte sie vor der ersten Stunde immer mit ihren Freundinnen auf dem Flur herumgealbert, aber die Jungen und Mädchen hier schienen eindeutig strengere Regeln gewohnt zu sein. Beim Anblick der Rektorin sagten sie wie aus einem Mund: »Gu-ten Mor-gen, Frau Schme-ling!«

»Guten Morgen, Kinder. Ich bringe euch eine neue Klassenkameradin. Mathilda, such dir einen freien Platz!«, sagte Frau Schmeling, dann rauschte sie hinaus.

Verlegen trat Tilly von einem Fuß auf den anderen und spürte, wie der ordentliche weiße Strumpf zu rutschen begann. Ihre neuen Mitschüler beobachteten sie, ohne ein Wort zu sagen. Dabei lächelten sie wie die Kinder auf den Plakaten. Die einzigen Ausnahmen waren ein Mädchen mit steif geflochtenen schwarzen Zöpfen und ein Junge in einem Kapuzenpullover, der eine Narbe an der linken Augenbraue hatte. Beide starrten nur abweisend auf ihre Pulte, also würde Tilly sich bestimmt nicht neben einen von ihnen setzen. Aber wohin sonst? Ratlos blickte sie sich im Klassenzimmer um, das ähnlich karg eingerichtet war wie Frau Schmelings Büro. Als sie schließlich ein Aquarium auf einem der Pulte entdeckte, atmete sie auf. Die Fische dümpelten zwar nur träge durchs Wasser, doch vielleicht konnte man ein Spielzeug für sie erfinden? Das wäre zumindest ein netter Zeitvertreib.

Erleichtert ging Tilly zu dem freien Platz neben dem Aquarium und setzte sich. Sie überlegte gerade, ob Blumentöpfe oder Kokosnuss-Schalen bessere Höhlen für Fische abgeben würden, da erklang in ihrer Nähe ein Räuspern.

»He, das ist eigentlich mein Platz!«

Tilly schreckte hoch. Ein Mädchen hatte sich neben ihr aufgebaut und schaute sie abwartend an. Sie war von Kopf bis Fuß in helle Farben gekleidet: weiße Jeans, eine zartrosa Bluse und ein himmelblauer Pullover, der locker um ihre Schultern hing. Ihr honigblondes Haar glänzte wie in einer Werbung für Shampoo.

»Ich wusste nicht, dass hier schon besetzt war«, sagte Tilly verdutzt.

»Nun ja, nach den Ferien darf sich jeder einen neuen Platz aussuchen. Aber ich denke, hier könnte es mir gefallen.« Das Mädchen beugte sich lächelnd vor, als wollte sie die Fische beobachten – dann zupfte sie sorgfältig ihre Frisur zurecht. Wie es aussah, benutzte sie das Aquarium als Spiegel.

»Also«, sagte Tilly, immer noch etwas überrumpelt. »Eigentlich war ich jetzt zuerst hier …«

Von einem Moment auf den anderen war das Lächeln des Mädchens verschwunden. Ihre Augen wurden schmal, und sie warf ihren schicken weißen Rucksack auf die Tischplatte. »Sei so nett, ja?!«, sagte sie kühl. »Ich bin übrigens Clarissa von Rosenberg. Mein Vater ist der Bürgermeister von Blasslingen.«

Tilly stand widerwillig auf. Es war sicher keine gute Idee, schon am ersten Tag mit einer Mitschülerin zu streiten. »Ich bin Tilly, und meine Eltern arbeiten in einer Bank«, sagte sie, obwohl sie es reichlich seltsam fand, sich auf diese Weise vorzustellen.

»Tatsächlich?« Clarissa musterte den Flamingo-Strumpf. »Ich dachte, du kommst aus einer Zirkusfamilie.«

Noch bevor Tilly etwas erwidern konnte, klingelte es zum Unterricht. Nein, eigentlich klingelte es nicht, sondern aus dem Lautsprecher über der Tür drang ein schwaches Tut-tut-tut. Nur Sekunden später kam ein Mann mit Halbglatze herein, der mittelgroß, mitteldick und vermutlich der Klassenlehrer war. Schnell huschte Tilly zum nächstbesten Platz – ausgerechnet neben dem Mädchen mit den schwarzen Zöpfen und dem mürrischen Gesichtsausdruck. Als Tilly sich setzte, räumte das Mädchen schweigend ein Federmäppchen und ein Lineal beiseite, auf denen PIA und MARIA stand.

»Pia-Maria? Schöner Name«, flüsterte Tilly.

Keine Antwort. Das Gesicht des Mädchens wurde noch ein bisschen mürrischer.

Und dann, als wäre nicht alles schon schlimm genug, sagte der Klassenlehrer mit der eintönigsten Stimme, die Tilly je in ihrem Leben gehört hatte: »Willkommen … zurück. Nach den langen Ferien … wird es höchste Zeit … für ein bisschen … Grammatik, nicht wahr?«

3. Kapitel

Tilly gab sich große Mühe, tapfer zu sein. Sie hielt sich fünfunddreißig Mal die Hand vor, als sie gähnen musste. Sie schrieb brav von der Tafel ab, was Klassenlehrer Klausner wie in Zeitlupe notierte: zuerst seitenweise Grammatikregeln, dann endlose Divisionen. Und sie versuchte, wenigstens irgendetwas