Die Schule der Wunderdinge (4). Schnick Schnack Schlüssel - Kira Gembri - E-Book

Die Schule der Wunderdinge (4). Schnick Schnack Schlüssel E-Book

Kira Gembri

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Beschreibung

Die magische Kinderbuchreihe von Bestseller-Autorin Kira Gembri. Humorvoll, liebenswert und wahrlich wunderbar! An der Schule der Wunderdinge ist was los! Tilly und ihre Freunde erhalten einen Hinweis, wohin Nicos Vater verschwunden sein könnte. Doch die Spur führt mitten hinein in das Hauptquartier der Wunderdiebe! Tilly weiß, dass diese Rettungsmission gründlich schiefgehen könnte (sogar mit einem Tarnumhang, einer Flugmaschine und einem absolut erstaunlichen Schlüssel!). Aber was für Wunderschüler wären sie schon, wenn sie nicht an echte Wunder glauben würden? Für Fans von "Die Schule der magischen Tiere" und "Der zauberhafte Wunschbuchladen" und alle Leserinnen und Leser ab 8 Jahren.   In der Reihe "Die Schule der Wunderdinge" sind erschienen: Band 1: Hokus Pokus Kerzenständer Band 2: Simsala Schirm Band 3: Zicke-Zacke, Zaubertasche Band 4: Schnick Schnack Schlüssel

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Seitenzahl: 139

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Weitere Bücher von Kira Gembri im Arena Verlag:

Die Schule der Wunderdinge

Hokus Pokus Kerzenständer (Band 1)

Simsala Schirm (Band 2)

Zicke Zacke Zaubertasche (Band 3)

Kira Gembri

wurde 1990 als Zweitälteste von fünf Geschwistern in Wien geboren. Seit ihrem Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft schreibt sie Romane für Kinder und Jugendliche. Ihre Kaffeemaschine nörgelt gern, der Futternapf ihres Katers leert sich wie von Zauberhand, und die Haarspangen ihrer kleinen Tochter können sich unsichtbar machen. Grund genug, endlich mal Geschichten über Wunderdinge zu Papier zu bringen.

Marta Kissi

wurde in Warschau geboren und arbeitet heute als Illustratorin in London. Sie studierte Illustration und Animation an der Kingston University und Communication Art und Design am Royal College of Art. Sie liebt es, mit ihren Illustrationen Geschichten zum Leben zu erwecken, indem sie charmante Charaktere entwirft – und die wunderbaren Welten, in denen sie leben. Sie teilt sich ein Studio mit ihrem Mann James.

Ein Verlag in der Westermann Gruppe

1. Auflage 2023

© 2023 Arena Verlag GmbH

Rottendorfer Straße 16, 97074 Würzburg

Alle Rechte vorbehalten

Text: Kira Gembri

Cover und Innenillustrationen: Marta Kissi

Lektorat: Anna Wörner

Umschlaggestaltung: Juliane Lindemann

E-Book ISBN 978-3-401-81034-8

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1. Kapitel

»Nur keine Angst. Ich tu dir nichts, versprochen!« Langsam schob Tilly Bohnenstängel ihre Hand zwischen die Gitterstäbe. Dabei murmelte sie beruhigend vor sich hin, obwohl sie selbst ziemlich nervös war. Ihre Finger zitterten sogar ein bisschen, während sie wartete – doch unter dem Heuhaufen in der Mitte des Geheges rührte sich nichts.

»Die hat keine Angst«, kommentierte Nico de Luca. »Ich glaube eher, sie lauert.«

»Ja, sie denkt darüber nach, ob sie dich in den Arm beißen soll.« Philippa Matzkowski, die von allen nur Pip genannt wurde, drehte sich ebenfalls zu Tilly. »Vielleicht aber auch nicht«, ergänzte sie nach kurzem Überlegen.

»Ach nein?«, fragte Tilly hoffnungsvoll.

»Nein. Vielleicht wartet sie bloß, dass du in ihr Gehege kommst, und frisst dich dann komplett auf.«

Tilly unterdrückte ein Seufzen. Ihre Freunde hatten recht: Wer sich da unter dem Heu versteckte, war eindeutig nicht zum Scherzen aufgelegt. Oder zum Kuscheln. Oder dazu, mal für eine Sekunde freundlich zu sein.

Etwas enttäuscht zog Tilly ihre Hand wieder zwischen den Gitterstäben hervor und schaute sich in der Werkstatt der Wundervilla um. Normalerweise standen zwischen den vollgestopften Regalen mehrere große Tische, aber Wilma Wirbelig hatte den Raum vorübergehend in eine Pflegestation verwandelt. Nun gab es hier sechs Gehege, in denen magische Gegenstände untergebracht waren. Wilde magische Gegenstände, um genau zu sein. Die Wunderlehrerin hatte ihrer Klasse aufgetragen, sich um die Neuen zu kümmern und sie zu zähmen. Also hatten sie ausgelost, und leider war Tilly jetzt für das allerwildeste Wunderding zuständig: Natascha, die wohl griesgrämigste Reisetasche der Welt.

»Seht doch mal!«, flötete Clarissa von Rosenberg, die vor einem hohen Vogelkäfig stand. Sie machte eine Handbewegung, und schon sauste ein Schwarm geflügelter Stifte durch die Luft. Artig flatterten sie im Kreis, bis Clarissa ihren Arm wieder sinken ließ. »Toll, was?«, fragte sie zufrieden. »Hab ich ihnen heute erst beigebracht!«

Gabriel Achilles rümpfte die Nase, um seine Brille nach oben zu schieben. »Du sollst deine Schützlinge eigentlich zähmen, nicht dressieren«, meinte er, während er sorgfältig die Lehne eines Stuhls mit Putzmittel einrieb. Der Stuhl scharrte wie ein Pony mit dem rechten Vorderbein, hielt aber ansonsten friedlich still.

»Ist doch dasselbe.« Clarissa schüttelte ihr glänzendes blondes Haar nach hinten. Dann fragte sie in Richtung des sechsten Wunderschülers: »Hab ich recht, Bastian?«

»Oh, ähm … bestimmt.« Bastian Halbmeier lief rosa an – so wie immer, wenn Clarissa mit ihm sprach. Verlegen duckte er sich neben seinem Schützling, der sich sofort an ihn kuschelte. Der magische Schlafsack war von den Neuankömmlingen am zutraulichsten, aber auch die anderen hatten bereits große Fortschritte gemacht. Mittlerweile ließ sich das lebendige Tischchen von Pip sogar streicheln, obwohl es vor Kurzem noch jeden in seiner Reichweite getreten hatte. Und die bissigen Bücher erlaubten Nico immer öfter, ein paar Zeilen in ihnen zu lesen. Nur Tilly starrte seit Tagen vergeblich auf den Heuhaufen in Gehege Nr. 4.

»Das hat doch alles keinen Zweck«, murmelte sie, als unter dem Heu nur wieder ein Knurren hervordrang. »Ich werde Wilma fragen, ob sie einen Tipp für mich hat. Immerhin gehört die Tasche ihr!« Eilig verließ Tilly die Werkstatt, bevor jemand widersprach. Dabei wusste sie selbst, dass Wilma ihr bestimmt nicht helfen konnte. Die Tasche verhielt sich ihr gegenüber kein bisschen netter, im Gegenteil: Nachdem sie im Regenwald wild geworden war, hatte sie ihre Besitzerin auf einen Happs verschlungen. Das war zwar nicht ganz so schlimm gewesen, wie es sich anhörte – im Inneren der Tasche befand sich nämlich ein gemütliches Hotelzimmer. Aber Natascha hatte sich einen ganzen Tag lang geweigert, die Wunderlehrerin wieder auszuspucken.

Trotzdem wollte Tilly ihr Glück wenigstens versuchen. Sie huschte durch den dämmrigen Flur der Wundervilla und wäre beinahe gestolpert, als jemand unter der Treppe hervorgeschossen kam: Es war die wandelnde Uhr mit den drei langen, dünnen Beinen. Vorwurfsvoll hielt sie Tilly ihr Ziffernblatt entgegen.

»Ich weiß, es ist spät. Wir bleiben jetzt immer sehr lange hier, weil es so viel zu tun gibt!«, erklärte Tilly.

»SIEBZEHN UHR FÜNFUNDVIERZIG«, kreischte die Uhr, als hätte sie kein Wort gehört. Dann marschierte sie zurück in ihr Versteck unter der Treppe.

Tilly zuckte mit den Schultern und ging weiter zum Salon. Die Tür war nur angelehnt, sodass man ein Raunen und Flüstern hören konnte. Im Salon gab es nicht nur einen Kamin und bunte Sitzkissen, sondern auch jede Menge sprechender Bücher. Diesmal klang ihr Gemurmel allerdings nicht so verträumt wie sonst.

»Keinen blassen Schimmer!«, zischelte eines der Bücher.

»Wir haben dir alles gesagt, was wir wissen«, murrte ein anderes.

»Ich könnte dir noch was erzählen«, bot ein drittes etwas freundlicher an. »Gehen ein Hund, eine Ente und eine Knackwurst zum Friseur …«

»Danke, aber ich glaube nicht, dass mir ein Witzebuch bei meinem Problem helfen kann«, unterbrach Wilma. Sie hörte sich so niedergeschlagen an, dass Tilly nicht länger zögerte. Als sie die Tür aufdrückte, sah sie ihre Lehrerin zwischen mehreren Bücherstapeln auf dem Fußboden sitzen. An einem der Stapel lehnte der magische Spiegel, den sie auf einem Schiffswrack im Regenwald gefunden hatten. Bevor er zerbrochen war, hatte er Nicos Papa an irgendeinen geheimen Ort geschickt. Darum versuchte Wilma schon seit Tagen von früh bis spät, ihn wieder zum Sprechen zu bringen. Bisher hatte der Spiegel auf nichts reagiert, doch nun wirkte er zum ersten Mal verändert: Er zeigte keine verschiedenen, kleinen Bilder mehr, sondern nur noch Wilmas Gesicht.

»Bist du fertig?«, sprudelte Tilly freudig hervor. »Ist er repariert? Hat er schon was gesagt?«

Wilma drehte sich um. Ihre lila Haare standen noch wilder ab als sonst, und an einer Locke hing der Verschluss einer Klebstoff-Flasche. Wie ein seltsamer Ohrring baumelte er hin und her, als sie den Kopf schüttelte. »Kein Wort, leider«, sagte sie. »Und ich weiß jetzt auch, woran das liegt.« Sie rückte ein wenig zur Seite, damit Tilly freie Sicht auf den Spiegel hatte. »Da, siehst du? Eine Scherbe fehlt! Ich hatte gehofft, dass ihm das nichts ausmacht, aber er legt offenbar großen Wert auf Vollständigkeit. Eine Möglichkeit wäre, das Glas komplett auszutauschen – wenn die Bücher recht haben, wird er danach wieder funktionieren. Aber sie befürchten auch, dass er auf diese Weise sein Gedächtnis verlieren könnte.«

»Dann darfst du das auf gar keinen Fall tun!«, rief Tilly erschrocken. »Wie soll er uns sonst verraten, wo er Nicos Papa hingebracht hat?«

»Eben.« Wilma schob sanft, aber entschlossen das kleine rote Witzebuch weg, das aufdringlich mit seinen Seiten raschelte. »Mir bleibt nur eine andere Wahl: Ich muss zurück in den Regenwald und auf dem Schiffswrack nach der Scherbe suchen. Vielleicht liegt sie ja noch dort.«

»Und wenn nicht?«, fragte Tilly mit einem Kloß im Hals.

Bei dieser Vorstellung verzog Wilma das Gesicht, als hätte sie Zahnschmerzen. »Dann wird dieser Spiegel seine Geheimnisse niemals preisgeben«, sagte sie, »und wir haben die Spur zu Herrn de Luca verloren.«

2. Kapitel

»Was sagst du da?!«

Wilma und Tilly zuckten zusammen. Keine der beiden hatte bemerkt, dass auch die anderen Wunderschüler zum Salon gekommen waren. Nico stand direkt vor der Tür und starrte aus weit aufgerissenen Augen in den Spiegel.

Hastig rappelte Wilma sich auf, sodass der Krimskrams in ihren unzähligen Kitteltaschen schepperte. »Mein Lieber, mach dir bitte keine Sorgen. Ich bin sicher, dass es deinem Vater gut geht. Ein Wunderforscher lässt sich nicht so leicht unterkriegen!«

»Aber der Spiegel ist meine einzige Chance, ihn zu finden«, sagte Nico verzweifelt. »Ansonsten hab ich von ihm nur einen Brief, in dem er verrät, dass er einer großen Sache auf der Spur ist. Und wenn er so was schreibt, meint er auf jeden Fall eine gefährliche Sache!«

Beschwichtigend hob Wilma die Hände. »Ich werde alles dafür tun, deinen Papa aufzuspüren«, versprach sie. »Wenn ihr solange auf die wilden Wunderdinge achtgebt, mache ich mich gleich auf die Suche nach der fehlenden Scherbe.«

»Klar, kein Problem«, sagte Tilly. Dabei spürte sie allerdings ein unbehagliches Kribbeln im Bauch. Die Reisetasche machte sie schon nervös genug, wenn Wilma nur ein paar Schritte entfernt war. Wie sollte sie bloß ganz alleine mit Natascha zurechtkommen? Aber die Suche nach der Spiegelscherbe hatte jetzt eindeutig Vorrang. Darum lächelte Tilly, als wäre ein bitterböses, magisches Gepäckstück genauso einfach zu hüten wie ein zahmes Meerschweinchen.

Wilma nickte ihr dankbar zu. »Perfekt! Dann werde ich auf der Stelle abreisen. In Brasilien ist es jetzt Mittag, also habe ich genügend Licht für meine Suche.« Sie eilte voraus in die Werkstatt, und die Wunderschüler folgten ihr. Halb verborgen hinter roten Gardinen hing dort ein anderer magischer Spiegel, der zum Glück funktionierte – jedenfalls, wenn er Lust dazu hatte.

»Spieglein, Spieglein an der Wand!«, trällerte Wilma betont fröhlich, während sie sich vor ihm aufbaute. »Ich bräuchte mal wieder einen klitzekleinen Gefallen von dir!«

Der Spiegel öffnete eines seiner Augen, die in den Rahmen geschnitzt waren. »Ich sag’s mal so«, murmelte er, »… nö.«

»Ach, komm schon. Du erinnerst dich sicher, wo du uns zuletzt hingebracht hast, nicht wahr?«

»Hmpf«, machte der Spiegel. »Könnte der Mond gewesen sein oder vielleicht der Mars. Jedenfalls war es eeewig weit weg. Euer Transport hat mich fürchterlich erschöpft! Ich fühle mich heute noch ganz verschwommen vor lauter Anstrengung!« Blitzschnell änderte er das Spiegelbild, sodass es aussah, als wäre er dick mit Butter beschmiert. Stumm blickten alle in das trübe Glas, und Tilly bemühte sich, dabei möglichst bittend dreinzuschauen. Alte Wunderdinge benahmen sich gerne etwas zickig, aber die meisten von ihnen hatten einen weichen Kern.

Auch der Spiegel schaffte es nicht, noch länger stur zu bleiben. »Wenn’s unbedingt sein muss, bring ich dich eben dorthin«, grummelte er. »Von mir aus werde ich dann auch nur mit einem Auge schlafen, während ich mit dem anderen nach dir Ausschau halte. Aber lass dir bloß nicht einfallen, vor morgen Abend zurückzuwollen! Ich garantiere dir, sonst fang ich vor lauter Stress noch an zu schimmeln!«

Mit einem tiefen Seufzer veränderte er erneut sein Spiegelbild. Plötzlich zeigte es nicht mehr die Werkstatt, sondern ein winziges Badezimmer. Bei diesem Anblick begann Tillys Herz, schneller zu schlagen. Sie wusste genau, dass dieses Badezimmer zu einer Hütte gehörte, die sich in einem Hoteldorf mitten im Regenwald befand.

»Danke, du bist der Beste!«, jubelte Wilma. »Jetzt wollen wir keine Zeit mehr verlieren. Kinder, ich lasse euch meinen Schlüsselbund hier, dann könnt ihr ab morgen problemlos ins Schulgebäude. Seid bitte lieb zu unseren Schützlingen. Und versprecht mir, keine neuen Wunderdinge zu erschaffen, während ich nicht da bin. Und esst bloß die Kekse auf, die ich für euch gebacken habe!« Sie raffte ihren Kittel hoch, um durch den Rahmen des Spiegels zu klettern. Da machte Nico einen Satz nach vorne.

»Warte!«, rief er und fasste in den Halsausschnitt seines Pullovers. Hastig zerrte er seinen magischen Kompass heraus. Er hielt ihn Wilma entgegen, doch die starrte ihn nur an, ohne danach zu greifen.

»Nico, das ist dein persönliches Wunderding«, sagte sie ungewöhnlich ernst. »Das kann ich dir auf keinen Fall wegnehmen!«

Nico zog den Kompass nicht zurück. »Schaffst du es, dass er für eine Weile wieder dir den Weg anzeigt anstatt mir?«, fragte er.

»Ich … denke schon.«

»Dann will ich ihn dir unbedingt geben. So kann ich wenigstens irgendwas tun, um meinem Papa zu helfen!«

Er drückte Wilma den Kompass in die Hand und trat sofort ein paar Schritte nach hinten.

Die Wunderlehrerin zögerte noch einen Moment, ehe sie sich die Kette um den Hals hängte. »Also gut«, sagte sie. »Wenn man eine Scherbe mitten im Regenwald sucht, kann man wahrscheinlich schon ein bisschen Hilfe gebrauchen.«

Sie schenkte Nico ein kleines Lächeln, dann stützte sie beide Hände auf den Rahmen des Spiegels. Schwungvoll zog sie sich hoch und rutschte in das Badezimmer auf der anderen Seite. Tilly sah sie kurz winken – doch in der nächsten Sekunde wurde das Glas wieder so undurchsichtig und fest, als gehörte es zu einem ganz normalen Spiegel.

3. Kapitel

Clarissa nutzte gleich die Gelegenheit, um ihre Frisur zu überprüfen. »Gut, dass wir diesmal nicht mitkommen mussten«, sagte sie. »Die feuchte Hitze im Regenwald hat meine Haare aussehen lassen wie …, haha, sehr witzig!« Verärgert schaute sie in den Spiegel, der ihrem Abbild einen Staubwedel auf den Kopf gezaubert hatte. Der Spiegel kicherte hämisch, dann schloss er die Augen.

»Das war’s wohl für heute«, meinte Clarissa. »Ich muss nach Hause, mein Vater hat mir ein Feinschmecker-Menü zum Abendessen versprochen.«

»Geht ihr in ein Restaurant?«, fragte Tilly höflich.

»Natürlich nicht, Bohnenstängel. Wir haben einen supermodernen Wunderherd, der jedes beliebige Gericht erzeugen kann. Aber so was hast du wahrscheinlich noch nie gesehen.« Clarissa hörte sich an, als redete sie mit einem Höhlenmenschen. Ohne zu fragen, steckte sie Wilmas Schlüsselbund in ihren schicken weißen Rucksack. Dann sagte sie hoheitsvoll: »Bis morgen, allerseits«, und rauschte davon.

Auch die anderen Wunderschüler packten ihre Sachen zusammen. Einer nach dem anderen verabschiedete sich, bis Tilly und Nico alleine in der Werkstatt zurückblieben. Einen Moment lang hörte man nur das Schnarchen des Spiegels, dann gab Tillys Magen ein Knurren von sich. »Ups! Natascha hat mich wohl angesteckt«, sagte sie mit einem schiefen Grinsen. »Manchmal ist Clarissa schon zu beneiden, oder? Gegen einen Wunderherd hätte ich jedenfalls nichts einzuwenden! Meine Eltern kochen natürlich selbst, und ich wette, das Abendessen ist heute wieder beige oder grau und irgendwas mit Haferkleie … Was gibt’s denn bei euch?«

»Ist mir egal.«

Nicos Tonfall ließ Tillys Lächeln verschwinden. Sie drehte den Kopf und sah ihn vor dem Büchergehege stehen. Obwohl die Bücher auffordernd klapperten und ganz offensichtlich gestreichelt werden wollten, rührte Nico sich nicht.

Plötzlich war Tillys Magen wie zugeschnürt. Da plapperte sie fröhlich vom Abendessen, während Nico sich große Sorgen machte! »Hey«, sagte sie leise, »tut mir leid, dass die Suche nach deinem Vater sich wieder verzögert hat. Ich kann mir vorstellen, wie schlimm das für dich ist.«

Mit einem Ruck wandte Nico sich zu ihr. »Du glaubst, du kannst dir das vorstellen? Obwohl deine Eltern gerade in eurer Küche stehen und zusammen Haferkleie kochen?«

Tilly biss sich auf die Unterlippe. Sie hatte tatsächlich keine Ahnung, wie es sich anfühlte, wenn der eigene Vater verschollen war. Herr Bohnenstängel tauchte höchstens mal für eine Weile ab, um auf dem Klo die Zeitung zu lesen.

»Ich meine nur, dass wir noch ein bisschen Geduld haben müssen«, sagte sie verlegen. »Oder möchtest du vielleicht einen Plan –«

»Nein, ich will keinen Plan schmieden«, fiel Nico ihr ins Wort. »Seit wir aus dem Regenwald zurück sind, haben wir ungefähr tausend Pläne geschmiedet, und das hat uns überhaupt nichts gebracht. Lass einfach gut sein, Tilly. Ich verschwinde.« Er schob die Kopfhörer über seine Ohren und ging aus der Werkstatt, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Tilly stand mit hängendem Kopf zwischen den Gehegen, während Nicos Schritte immer leiser wurden. Als die Haustür ins Schloss fiel, löste sie sich aus ihrer Starre. Kurz entschlossen setzte sie sich auf den Boden, öffnete ihren Rucksack und zog ihr Notizbuch heraus. Wenn sie ratlos, traurig oder gelangweilt war, schrieb sie fast immer eine Liste. Vielleicht würde das jetzt auch irgendwie helfen!

WOMIT MAN NICO AUFMUNTERN KÖNNTE, krakelte sie oben auf eine leere Seite und knabberte nachdenklich an ihrem Bleistift. Die Ideen ließen nicht lange auf sich warten:

Tilly stockte und schüttelte den Kopf. Dann zog sie einen Strich quer durch ihre Liste. So toll diese Erfindungen auch klangen – nichts davon würde Nico wirklich froh machen. Alles, was er sich wünschte, war die Rückkehr seines Vaters.

Bedrückt klappte Tilly ihr Notizbuch wieder zu. Sie wollte es gerade im Rucksack verstauen, da kam ihr eine kleine glänzende Gestalt entgegengesprungen.

???